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Full text of "Prolegomena zur Geschichte Israels"

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PROLEGOMENA 

ZUR 

GESCHICHTE ISRAELS. 



J. WELLHAÜSEW. 



ZWEITE AUSGABE 



GESCHICHTE ISRAELS, BAND I. 



BERLIN. 

DRUCK UND VERLAG VON G. REIMER. 

1883. 



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547 rr?- 



Vorwort. 



Der erste Band der Geschichte Israels, -in sich ein ahge schlössen es 
und vollständiges Werk, erscheint nun so auch auf dem Titel, weil es 
unsicher ist, wann der zweite hinzukommt. Dass meine Kritik die Sub- 
strucüon zu einem positiven Aufbau ist, glaube ich auch für die, welche 
es ihr selber nicht anmerken, durch eine in der Encyclopaedia Britannica 
veröffentlichte Skizze gezeigt zu haben; umgekehrt hat August Köhler, 
unbewusst aber gründlich, von neuem dargethan, dass sich von den Vor- 
ansBefaungen der traditionellen Kritik zu einer geschichtlichen Anschauung 
und Darstellung nicht gelangen lässt. 

Einen Erfolg habe ich ohne Zweifel gehabt, den, dass die Grafsche 
Hypothese — der Name befriedigt nicht, aber man lasse es dabei, denn 
die anderen Namen sind nicht besser, und Vatke-Goorge-Reuss kann 
man doch nicht sagen — auch in Deutschland, wo sie bis dahin in den 
massgebenden Kreisen unbekannt geblieben und dementsprechend mit 
vornehmer Geringschätzang behandelt war, durch mein Buch auf die 
Tagesordnung gekommen ist. Die deutschen Fachgenossen sind durch 
mich aufgerüttelt worden; diese Thatsache wird dadurch nicht abge- 
schwächt, dass sie plBUhch Alles längst gewusst haben wollen, was sie 
von mir gelernt haben. Es gibt kaum einen schriftstellemden Hebräer 
oder Theologen, der nicht seit 1878 zu der neuen Zeit- und Streitfrage 
Stellung zu nehmen sich gedrungen gefühlt hätte. Steinschneider in 
Berlin erklärt, für ihn bleibe es, beim Alten, und citiert zur Begründung 
Ryssel; Kneucker in Ziegelhansen dagegen ist geneigt, nunmehr der 
Graf sehen Hypothese sich an zusch Hessen. Als ob es sieb um Sammlung 
von Voten für oder wider ein Dogma handle! Vorwiegend laut sind be- 
greiflicherweise die Gegner; sie selber glauben freilich übertäubt zu 
werden, aber in der Beziehung unterschätzen sie sich. Einer helfen sie 
dem anderen, ihre wankenden Idole zu halten und zu befestigen; einer 
berufen und stützen sie sich auf den anderen; sie trösten und stärken 
sich selber mit ihren Argumenten, denn für Übelwollende sind dieselben 



,y Googiz 



IV Vorwort 

offenbar nicht tiestimmt. Wenn aber ein gewisses Mistrauen auf den bis- 
herigen Erfolg ihrer vereinten Anstrengungen sie beschleichen will, so 
verweisen sie auf zukünftige Leistungen. „Ere long more than one effective 
reply will be forthcoining", lässt sich ein schottischer Interviewer von ZÖckler 
und Delitzsch versichern. Leider können sie im schlimmsten Falle auf 
einen stillen Socius recurrieren, der noch dazu die grösste lebende Auto- 
rität auf dem Gebiete der semitischeü Philologie und Geschichte ist, auf 
den ihnen -sonst sehr wenig geistesverwandten Theodor Nöldeke. Er hat 
zwar die Graf'sche Hypothese mit Freuden begrüsst und selber geholfen 
ihr die Wege zu bahnen, andererseits aber doch versucht einen Ausweg 
, zu zeigen, durch den man ihren Consequenzen entgehen kann, und da^ 
durch ihren Bestroitem den erheblichsten Dienst geleistet. 

Die Kunst der Gegner besteht im Ausweichen. So weit es geht, 
lehnen sie die Forderung ab', die Schichten des Pentateuchs — sämtlich 
und nicht bloss eine oder die andere — nach historischen Gründen anzu- 
setzen , indem sie sich- zurückziehen auf die Annahme sei es gottlicher 
sei es schriftsf«Ilerischer Velleitäten, die keine innere Beziehung zu einem 
bestimmten Zeitalter und keine geschichtliche Eealität haben. Geht das 
aber nicht, so befriedigen sie jene Forderung in der Weise, dass sie ■ 
selber die historischen Verhältnisse schaffen, die sie zu haben wünschen, 
statt sich an die gegebenen und bezeugt«n zu halten, die ihnen unbequem 
sind. Die jerusalemische Priesterschaft muss schon seit Salomo eine 
ähnliche Stellung gehabt haben wie nach dem Exil, die Hierokratie muss 
bis zu Mose hinaufreichen, der Hohepriester muss von jeher an der Spitze 
der Gemeinde gestanden haben. Allerdings, wenn der Priestercodex so 
alt ist: es muss dann sogar der König im Cultus nichts zu sagen gehabt 
und überhaupt in der Gemeinde eine höchst überflüssige Figur gemacht 
haben, es, muss Israel schon damals eine Kirche und kein Staat gewesen 
sein. Bezeugt ist aber überall das Gegenteil, dass der Konig an der 
Spitze des Cultus stand, dass der Tempel ein Teil seiner Burg war, dass 
die Priester von ihm geschaffen wurden, in seinem Auftrage amtierten 
und nach seinen Befehlen handelten. Durch den Hinweis auf 2, Reg. 18, 
4. 22 wird dieser Sachverhalt in keiner Weise widerlegt. Die Stelle 
könnte höchstens lehren, dass das Bestreben den Gottesdienst im Tempel 
von Jerusalem zu concentrieren schon zur Zeit Hizkia's sich regte: ein 
Centralisationsbestreben aber zeigt sich im Priest«rcodex nirgends, es 
wird vielmehr die Centralisation vorausgesetzt, als selbstverständliche 
Thatsache und in all ihre Consequenzen entwickelt. Höchstens das 
Deuteronomium könnte man nach 2. Reg. 18, 4. 22 ansetzen; freilich geht 
auch das nicht, weil man doch unmöglich mit dieser Notiz gegen den 
Bericht von 2. Reg, 22. 23 ankämpfen kann, wonach das Deuteronomium 
achtzig Jahre später aufgefunden und damals zuerst in Wirksamkeit ge- 



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setzt ist. Demgemäss habe ich, in der Anmerkung auf S. 49, die Ansicht 
ausgesprochen und begründet, es sei auf 2. Reg. 18, 4. 22 wenig zu 
gehen. Da drehen nun aber die nicht hyperkritischen Kritiker den Spiess 
um und werfen mir vor, dass ich mir die Grundlage, von der ich aus- 
gehe, erst' selber zurecht mache, durch willkürliche Behandlung des 
Textes, durch beliebige Streichungen und Veränderungen. Ich entscheide 
a potiori und suche darnach das Gewicht der einzelnen Instanz abzu- 
schätzen, sie verfahren umgekehrt — das ist der Unterschied- Im Übri- 
gen habe ich eben gezeigt, dass ihre Position durch 2. Reg. 18, 4. 22 
nicht befestigt und meine dadurch nicht erschüttert wird. Ich könnte 
so gut wie Graf auch ohne Textkritik und ohne Annahme einer durch- 
gehenden judaistischen Überarbeitung der Bibel auskommen und doch 
beweisen was ich wollte: wenn es mir darauf ankäme meinen Wider- 
sachern keine Blosse zu geben. Mein Zweck ist aber kein so ephemerer; 
es kommt mir gar nicht darauf an geschickt zu fechten, sondern die Wafir- 
heit zu finden und zu sagen, unbekümmert um den Schein des Willkür- 
lichen und Neuerungsüchtigen. Ob es mir helfen könnte das Niveau 
tiefer zu nehmen, mögen Unbefangene aus folgendem Beispiel abnehmen. 
Ich habe gezeigt, dass das Kapitel Jud, 1 in Wahrheit keine Fortsetzung 
des Buches Josua sei, sondern eine Parallele dazu, die sachlich an den 
Pentat«uch anschliesse und wohl die Eroberung des ostjordanischen Lan- 
des voraussetze, aber nicht die des westjordanischen, diese vielmehr erst 
selber erzähle und zwar ganz anders als wie es im Buch Josua geschiebt. 
Auf Grund dieses Nachweises habe ich dann weiter gesagt, also passe 
die Einleitungsformel „nnd es geschah nach dem Tode Josua's" (Jud. 1, 1) 
nicht zu dem Inhalte des Stücks, sie rühre wie die gleichlautende For- ' 
mel Jos. 1, 1 erst von dem Deuteronomisten her und müsse sachgemässer 
heissen: es geschah nach dem Tode Moses. Das sieht der Königliche 
Professor des Hebräischen in Oxford, 8. R. Driver, für eine Art Ge- 
schichtsfälschung an, indem er die Sache so vorstellt (Acad. 1882 SXI. 
p. 131), als ob ich zunächst in Jnd. 1, 1 zum Vergnügen Mose für Josua 
setzte und dann die Aussagen des folgenden Zusammenhangs meinen 
Wünschen gemäss gestalt«te. Natürlich denke ich in diesem Falle gar 
nicht einmal daran, die deuteronomistische Formel zu ändern. 

Die Säulen der schon nicht mehr ganz herrschenden Meinung sind 
Dillmann und Delitzsch. Unter Berufung auf alle gesunden Principien 
weist üillmann die Aufstellungen, die er nicht annimmt, kurzer Hand 
ab, in erregter Weise, als hätte er Grund die Grafsche Hypothese per- 
sönlich übel zu nehmen : da indessen sein Commentar zum Hexateuch 
übrigens recht brauchbar ist, so lässt man sich den strafenden Ton 
gefallen und bedauert nur die Gereiztheit nicht widerlegen zu können. De- 
litzsch geht in seinen pentat^uchtritjschen Studien (Luthardts Zeitschr. 



ly Gooj^le 



für kirilil Wissenschaft 18'^J tieter in die Diikuision Hin vermutlich ut 
aliqiiid fecisse videatur Mag er immerhin durch das was er lorhnngt 
leine Glaubigen einigermassen beruhigen obwohl auch das bei seiner 
eigenen Unruhe und HaltlosiRkfit zweifelhaft erscheint — für Mitarbeit 
an einem gemeinbamen Problem kann ich seine Gegnerschaft nickt gelten 
lassen Unertraghch ist die Sprache die er fuhrt Mit hamitiscker 
Freude über die Blosse Noi siU ich den Verfasser der Chronik der 
■ilierdmgs Ceschichte im Geiste seiner Zeit und seines Standes schreibe, 
sthimpfhcbit heruntersetzen wo es gelte biblische Geschuhtsschreiber 
zu kntisieren sei mir die niedrigste Vorstellung der gememite Aus- 
druck der iiebite, aber es sei ja so bei den Fortschritten in Wissen 
Schaft und Kunst dass sie in Sunden empfangen nnd geboren wurden 
(i S 116 625 224) Mir ekelt \or dieser Art rein aus ästhetischen 
Gründen denn die ptrsonliche Kränkung ertrage ich mit Gelassenheit 

Was ich mir aber selbst lon Delitzsch nicht gefallen lisse sind Vor 
schhge zu Verbesserungen meiner Ausdrucke Ich habe (Jahrbb für 
deutsche Theo! 1R77 S 436) gesagt, diss dor pneslerliche Redaktor seine 
Erzählung Le\ 24 10—14 23 ans dem (nesetz 24 15—22 entnehme um 
einen geschichtlichen Rahmen dazu nachzuliefern so wie es Lukas mit 
den evangelischen Reden zu mithen pflege ich habe dalei bezeichnend 
gefunden, dass er ^us den verschiedenartigen Geboten (24 15 — 32) nur 
las eine wekhes sii.h auf Cultus und Religion bezieht, heriusgreife und 
dazu eine Geschichte mache In der Hauptsache stimmt nun Delitzsch 
mir bei iber daran dass der Bearbeiter mit dem durchaus auf diese 
Stelle berechneten Zusatz auch die Gesihichte ^emitht habe nimmt er 
schweren Anstoss und klagt nuih an ich lasse mich durth das Bewusst 
sein der \ erantwortlichkeit unserer Worte nicht stören „Er konnte 
sagen der pnesterliche Bearbeiter gibt zu dem Gebote eine überlieferte 
Geschichte aber nein er hat dazu eine Geschichte gemacht ' Soll ich 
denn das Gegenteil von dem sa^en was ich meiner' Ich weiss was ich 
sage mir bedeutet überlieferte nnd gemachte Geschichte nicht gleichviel, 
und gerade wegen des Bewusstseins der \ erantwortlichkeit unserer Worte 
sage Kh gemacht und nicht überliefert Ebenso emsthth verbitte ich 
mir authentische Interpretationen meiner Worte von unbefugter '*eite Ich 
habe m der 1 Ansg S 427 geschrieben in "Wahrheit sei Mose etwa in 
dem gleithen Sinne der Urheber dtr mosaischen Verfassung wie unser 
Herr Jesus Christus der Stifter der Niederhessischen Kirchenordnung 
Dazu bemerkt der Licentiat Bestmann (Geschichte der ihr Sitte 8 284) 
,Der Witzgehalt dieser barocken Bemerkung ist beiläufig bemerkt ein 
ziemlich schwacher Bekanntlich hat man vor einiger Zeit erst die Mar 
burger Kirchenordnung von 1528 wieder entdeckt Also schon die Pa 
rallele zum Deuteronommm wäre unendlich gesucht '" Ich besitze nicht 



vGooqIc 



die bpkannthfiie fifkhr-.amkeit dei Licenüiten ich bin aber etwas alter 
als er und kann mieh noch dpr Zeit ennnem wo die Hessischen Beni- 
tenten sich auf den unbew eghchen Rechtshestand ihrer Knchenordnung 
(wenn ich nicht irre von 1657) berieten welche sie nuttelbar von unserem 
Herrn Jesus Chnatus, seäber ableiteten Letzteres war mir frappant, weil 
es zeigte, dass noch in unserer 7eit bona fide, geschphen kann was vor 
drittehalb tausend Jahren bei den aften Juden ^orgekDmmen ist Den 
Witz deisen Gehalt Bestmann schwach findet, hat er selbst gemacht 
So tief er auch in das innerste ^esen meines Geistes, durch reine In- 
tuition, eingedrungen ist, so bloss und entdeckt das ganze geheime Ge 
tnebe meiner Gedanken Tor seinen Äugen hegt — ich mag ihn doch 
nicht zu meinem Propheten haben 

Die kirchliche Wissen-schaft ') icheint im Alten Testamente die Auf 
gäbe zu haben, funf/ig Jahre lang eine neue Entdeckung zu widerlegen, 
darnach aber einen mehr oder minder geistreichen Ge-üchtspnnkt aufzu- 
hnden, unter vtelchem dieselbe ins Credo aufgenommen werden kann Aus 
diesem Grunde habe ich es nicht für notig und nutzliih gehalten, in der 
zweiten Ausgabe dieses Buches auf alle die Einwurfe einzugehen, die 
gegen die erste gemacht sind Ich habe im Gegenteil noch aUerlei Po 
iemik gestrichen weil ich glaubt, dass es überhaupt am besten ist, ein- 
fach seme Mtinung nnd die Grunde dafür vorzutragen, oder wie Ewald 
sich ausdruckte, immer gleich das Eichtige zu sagen Im ganzen ist 
diese zweit« Ausgabe wenig ler&ndert, nur das achte Kapitel habe ich 
vnihg umarbeiten müssen, «eil i,,ii zu der künstlichen Confusion in 
weicher es sich pnsentierte, inzwischen seiher den Sdilussel verloren 



) Gegen difl Polemik die loin Roden der kin blichen Praxis aus gegen mich 
gefuhrt wird, habe ich an sich nichts einzuwenden In Bezug auf den 
Artikel der N Ev KZ 1879 S 84 mochte ich mir jedoch drei Bemer 
kuugen erlauben Erstens was die ^ orte betrifft „Wie ist der liebe 
David noch in seinem hohen Alter so emsig gewesen, wie hat er sith so 
nahe zum Tempelbau hingemacht als es nur moslich war' Das ist so 
artig bei David er hat sich so nahe zu den Leviten hingemacht als sich 
nur immer es thun hess, als wäre er einer ihres gleichen, und hat doch 
keinen Eingriff gethan" (1 Auag & 181), -.o stimmen diese!b«n nicht 
von mir, sondern -son J A Bengel (Beitrage zu J A Bengels Si,bnfter 
kknmg, mitgetheilt von Wächter 186S 6 17) Zweitens was den ge 
wältigen Unterschied betrifft, der zwischen meiner Bearbeitung von Bleek 
(N Ev KZ 1878 9 ^52) und zwischen der Geschichte Israels Band I ge 
macht wird so ist derselbe unbegründet Dnttens erkenne ich der N 
Iv KZ nicht das Recht zu zu sagen, es leuchte ein, dass mein Buch 
>on unhistODscher Auffassung iiktiert sei loh habe nichts dagegen, 
dass sie David atch lieber nach der Lhronik und nach den Psalmen vor- 
stellt als nach den Büchern tiamuelis ebenso wie sie Calvin lieber im 
Lichte der Legende sieht al m dem der Urkunden (ISSy S. 526, Kamp- 
schulte S 485if), ab^r der kirchliche Standpunkt ist nicht der hiaforische. 



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VIII Vorwort. 

Dass man in dem Streben das Richtige zu sagen sich irrt, kommt 
vor. Ich habe auf S. 105 der Zusammenstellung des Passah mit dem 
Feste von Mekka das VroTt geredet, ans Gründen, die man dort nach- 
sehen kann. Durch Professor Robertson Smith bin ich indessen jetzt 
aiiderer Meinung geworden. In einem Briefe an mich vom 21. Mfirz 1883 
tritt er für seine bereits früher geäusserte Meinung (Prophets p, 383sq.) 
ein, dass Ewald Recht habe, die im Scholion zu Hariths Muallaka 6a be- J 
zeugte Opferung der Erstgeburten im heiligen Monate Ragab dem Passah- 
feste gleich zu setzen. Er leugnet nicht, dass zur Zeit Muhammeds der 
Dhulhigga und niclit det Ragab mit dem Passah coincidiere. Aber er 
verweist einerseits darauf, dass das mekkanische Fest in der Gestalt, in 
welcher wir es kennen, nicht alt sei, wie sich aus Ealammas (^ Kalendas, 
Kalendermacher) nnd anderen Spuren ergebe, andererseits darauf, dass 
die Namen der Monate verraten, dass sie einst ganz anders gelegen haben 
als zur Zeit Muhammeds. Der Eagab könne wohl ursprünglich in den 
Frühling gefallen sein. 

Ich muss meinem Freunde Smith Recht geben. Die alten Araber 
hatten keine Monatsnamen, sondern nur Namen für Jahreszeiten nnd zwar 
für ziemlich karze Jahreszeiten. Wenn noch jetzt Rabi und Gumada 
jeder zwei Monate umfassen, so besagt das doch eben, dass sie ursprüng- 
lich keine Monatsnamen sind; denn ein Monatsname muss auch eben 
einen Monat decken. Vor Rabi und Gumada liegt der Safar; wir hören 
von Ihn Dnraid (bei Ganhari), dass derselbe ursprünglich ebenfalls einen 
Zeitraum von zwei Monaten ausgefüllt hat und dass erst später, angeb- 
lich erst seit dem Islam, seine erste Hälfte Mnharram benannt worden 
ist. Abu Dhuaib redet von den beiden Monaten des Safar '), und im alten 
Urkundenslil erscheint wohl noch der Safar und nicht der Muharram als 
Anfeng des Jahres oder der einen Jahreshälfte.') 

Damit haben wir ein vollständiges Semester; Safar, Rabi, Gnmada. 
Es handelt sieh nun darum zu bestimmen, ob dies das Winter- oder das 
Sommersemester gewesen ist. Das gelingt sehr leicht; denn bei den alten 
Dichtem und überhaupt in der alten Sprache bedeuten die Namen noch 
immer lediglich Jahreszeiten. So z. B. der Safar bei Nabigha 11, 1 (ed. 
Ahlw.). Der Safar liegt zwischen Kaitz und ScMtä, er deckt sich noch 

') Der auch in anderer Beziehung interessante Vers steht im Tag alÄrus 111 
345, 3; der Ausdruck die beiden Monate Safar stammt natürlich erst 
aus einer Zeit, wo die allen Jahreaieitnamen schon zur Monatsbezeich- 
nnug wohl oder übel dienten. 

') Als Semesleranfänge kommen Safar und Ragab noch vor in dem Vertrage 
Muhammeds mit den Christen von Nagran (Baladh, Gi, 3 »gl. Vakidi a. 0. 
S. 20 S. 405 Anm. 2). Das Semester scheint bei den alt«u Arabern fast 
wie bei den deutschen Studenten eine ähnlich wichtige Einheit gewesen 
zu sein wie das Jahr, wie schon Ewald bemerkt hat. 



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Vorwort. IX 

teilweise mit dem Charif, und fallt ungefähr um die Herbstnaciitgleiche. ') 
Der Giimada kommt sehr häufig in der ältesten Literatur vor und be- 
zeichnet immer die schlimmste Winterkälte, im Januar und Februar. Da 
nun Eabi in der Mitte steht, so muss er zwischen Oktober und Januar 
fallen. Das ist die Hauptregenzeit in Arabien, wo nach langer Dürre 
wieder mebr Gras und Kraut wächst. Für diese Hauptregen- und Weide- 
zeit wird auch Rabi immer im alten Arabisch gebraucht, daher das Deno- 
minativnm Tarabbu = auf die Weide gehen. Man übersetzt Babi gewöhn- 
lich mit Frühling, und das ist auch nicht gerade unrichtig; nur muss man 
bedenken, dass das Analogon unseres Frühlings in Arabien in das erste 
Wintervierteljahr fällt. Freilich haben schon die Araber selbst, wenigstens 
in späterer Zeit, als sie ihr Hauptquartier nicht mehr in ihrer alten 
Heimat hatten, den Namen Rabi auch auf unseren Frühling übertragen, 
so dass dadurch ein Schwanken des Sprachgebrauchs eintritt. Das selbe 
Sehwanken findet sich auch bei den Syrern, wie Theodor Nöldeke, dessen 
milde Hand ich angesprochen habe, mir mitteilt und mit vielen Beispielen 
beweist (Herbst DMZ. 1861 S. 651, 5, vgl. Opusc. Nest. ed. HofFmann 
83, 3, Joel 2, 23, IIos. 3, 6 Hex.; Frühling als häufige Übersetzung von 
Wfpbc^ Regen schlechthin lob 37,6 wie es scheint). Dadurch wird 
aber daran nichts geändert, dass der richtige und ursprüngliche Rabi bei 
den Arabern in das erste Winter viertel jähr ßllt und dass von diesem 
Rabi die Monatsbezeichnung im mekkanischen Kalender hergenommen ist 
Da nun also Safar Rabi Gumada das Winterhalbjahr ist, Septem- 
ber/Oktober bis Februar/März, so folgt, dass das Semester, welches mit Ra- 
gab beginnt, eigentlich das Sommerhalbjahr ist, und dass also der Ragab 
unserem Frühlingsanfang und dem Passahmonat entspricht. Damit wird 
die Frage, die uns beschäftigt, zu Gunsten von Ewald und Smith ent- 
schieden. Weiter zu untersuchen, wie und wann (jedenfalls nicht erst 
seit dem Islam) aus den altarabischen Jahreszeiten die mekkanischen 
Monate gemacht sind, ist nicht dieses Ortes. Der Verdacht späterer Ein- 
schiebung richtet sich naturgemäss auf die Schuhiir alHagg; der Dhulhigga 
kommt bei den Himjariten vor, die seit alters nach zwöif Monaten ge- 
rechnet zu haben scheinen (DMZ. 1875 S. 603); andere Spuren weisen 
auf jüdischen oder nabatäischen Einfluss. Die Beobachtung Dozy's, dass 

■) Reiche Beispiele im Tag alÄrus III 345. 346; es werden Pflanzen, Tiere, 
Eegenfälle nach dieser Jahreszeit benannt. Sehr genau in der Abgrenzung 
ihrer Jahreszeiten sind die alten Araber nicht, sie lassen sie in einander 
lauten und haben gewöhnlich auch mehrere Beieiehnungea dafür. Die 
Angabe, Safar reiche vom Suhail bis zum Simäk oder mm Dhirä', sieht 
nach Gelehrsamkeit aus ; ■wertvoller scheint eine andere, es seien 40 Tag- 
nächte mit abwechselnder Hitze und Kälte, die (dan;m) die rau tadilat 
heissen, die sich das Gleichgewicht halien. Dieser Namo könnte auch auf 
die Tag- und Nacbtgleiche gehen. 



Lktogle' 



X Vorwort. 

die meisten technischen Ausdrücke des mekkanischen Fest- und Kalender- 
wesens sich nicht aus dem Arabischen erklären lassen, scheint sich von 
allen Seiten zu bestätigen. 

Noch in einem anderen Punkte wünsche ich mich hier zu conigieren. 
Auf S. 327 habe ich geäussert, wenn der Jehovist sich mit der babylo- 
nischen Version der Sündflutge schichte näher berühre als der Priester- 
codex, so sei dies ein Zeichen davon, dass sich bei ihm der internationale 
Charakter dieser Ursagen noch treuer erhalten habe. Es kann aber seiu, 
dass im Exil uad später directe Zuflüsse von Babylon eingedrangen sind. 
Der haggadische Zug, dass Noah beim Bau der Arche ausgelacht wird, 
findet sich schon in dem keÜschriftUchen Berichte. So scheint auch der 
Asphalt, der in Q beim Bau der Arche verwandt wird, direct aus Baby- 
lonieo entlehnt zu sein, worauf E. Süss aufmerksam macht. Beim Jeho- 
vjsten findet sich indessen eine Spur, wonach er die babylonischen Stoffe 
nicht von Babylonien bezogen hat Nimrod ist, wegen der Form des 
"Wortes, den Hebräern von den Syrern zugekommen; noch in späterer 
Zeit hatten die Harranier einen gleichbedeutenden, wenn auch nicht ganz 
gleichnamigen Gott Marri den Jt^ersmann. Vgl. Bibl. Or. I 327: der Satan 
führte Harran irre. durch Sin und Beelsemin und Barne mre and Marri mit 
den Hunden, und durch die Göttinnen Atargate und Gadallät. 

Ich will nicht Bchliessen ohne ein Wort des Dankes an die Freunde, 
die mir das vorliegende Buch doch auch erworben oder neu verbunden 
hat. Besonders lebhaft haben mir klassische Philologen ihre Zastimmung 
geäussert; nach K. D. llgen und Ph. Buttmann zn schliessen prädisponiert 
die Kenntnis des griechischen Altertums einigermassen für die Auffassung 
des Alten Testaments, welche ich für die richtige halte. 

Halle am 17. Mai 1883. 



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Das Thema 

des vorliegenden Buches ist die geschichtliche Stellung des 
mosaischen Gesetzes, und zwar handelt es sieh darum, ob 
dasselbe der Ausgangspunkt sei flir die Geschichte des alten 
Israel oder für die Geschichte des Judentums, d.h. der re- 
ligiösen Gemeinde, welche das von Assyrem und Chaldäern ver- 
nichtete Volk überlebte. 

1. Es ist eine verbreitete Ansicht, dass die Bücher des Alten 
Testaments, im ganzen und grossen, sieh nicht bloss auf die 
vorexilieche Periode beziehen, sondern auch aus ihr stammen. 
Es sind die Reste, meint man, welche die Juden aus der Lite- 
ratur des alten Israel retteten, das Erbe der Vergangenheit, von 
dem sie in Ermangelung eigenen geistigen Lebens zehrten. Auch 
wenn man nicht grade mit der Dogmatik das Judentum einfach 
als ein Vacuum betrachtet, über welches hinweg das Alte Testa- 
ment ins Neue mündet, hält man doch insgemein daran fest, 
dass dasselbe an der Hervorbringung der Schriften, welche es 
in die heilige Sammlung aufnahm, nur ausnahmsweise einen 
Anteil gehabt habe. Aber die Ausnahmen, die man in der 
jüngsten und in der mittleren Schicht des E^auons zugibt, sind 
nicht so ganz geringfügig. Von den Hagiographen ist bei weitem 
der grösste Teil erweislich nachexiliseh , erweislich vorexiliseb 
dagegen nichts; der Daniel reicht hinunter bis zu den makka- 
bäischen Kriegen, Esther vielleicht noch tiefer. Auch die pro- 
phetischen Schriften fallen durchaus nicht alle noch in die 
Königszeit, sondern zu einem sehr beträchtlichen Teile üher- 
sehreiten sie diese Grenze; die im Kanon damit unter gleichem 
Namen zusammengefassten Historienbtteher sind, wie wir sie 



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2 Das Thema. 

habeo, nach dem Tode dea gefangenen Königs Jechonia v 
der noch eine Weile über das Jahr 560 hinaus gelebt haben 
niuss. Bringt man nun auch die älteren Quellen in Anschlag, 
welche in den Bfichern der Richter Samuelis und der Könige 
vielfach benutzt und meist würtlich aufgenommen sind, so be- 
läuft sich doeb die vorexilisehe Literatur, die uns im Alten 
Testamente abzüglich des Pentateucbs erhalten ist, auf nicht viel 
mehr als die Hälfte vom Umfange des Ganzen, Das Uebrige 
gehört der späteren Periode an; darunter nicht bloss kümmer- 
licher Nachwuchs aus halb erstorbenen Trieben von ehemals, 
sondern auch so wertvolle und originelle Erzeugnisse vrie Isa. 
40-66 oder Ps. 73. 

Wir kommen zum Gesetze, Ausdrüekliehe Angaben ttber 
den Verfasser und die Äbfassungszeit fehlen, wie gewöhnlieh; 
um uns ungefähr zu orientiren, sind -wir darauf angewiesen, aus 
der Analyse des Inhalts passende Daten zu gewinnen und sie 
zu dem, was wir anderweit vom Verlaufe der israelitischen Ge- 
schichte wissen, in Beziehung zu setzen. Hier aber pflegt man 
den zu vergleichenden histoi-ischen Zeitraum von vornherein so 
abzustecken, dass das babylonische Exil als eine ebenso unüber- 
scbreitbare Grenze nach unten gilt wie der Auszug aus Ägypten 
nach oben. Verleiht etwa die Geschichte des Kanons ein Recht 
dazu? Es könnte so seheinen. Das Gesetz ist am frühesten 
kanonisch geworden, durch Ezra und Nehemia; die Propheten 
sind beträchtlich später hinzugekommen, am spätesten die Ha- 
giographen. Es liegt nun nahe, aus der Stufenfolge der Kano- 
nisirung dieser Schriften auf eine ungefähre Stufenfolge ihres 
Alters zu schliessen und demgeniäss nicht nur die Propheten 
den Hagiographen, sondern auch die fUnf Bücher Mosis den Pro- 
pheten Toranzustellen: wenn schon diese zum grösseren Teile 
der voresilischen Zeit angehören, wie viel mehr jene! Aber so 
zulässig eine derartige Vergleiebung zwischen der mittleren und 
der jüngsten Schiebt des Kanons sein mag, so unzulässig ist sie 
zwischen der ersten Schicht und den beiden anderen. Nämlich 
der Begi-iff des Kanons haftet an der Thora und ist von da erst 
auf die Übrigen Bücher übertragen; den letzteren wuchs allmäh- 
lich und unter der Hand ein gewisser Anteil an der Geltung 
zu, welche die Thora durch einen öffentlichen und ganz for- 
mellen Akt erlangt hatte, wodurch sie als die Magna Charta der 



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jüdischen Gemeinde eingeführt wurde (Nehem. 8—10). Bei jenen 
gehört der kanonische d. h. gesetzliche Charakter nicht zur 
Sache, sondern ist erat nachträglich hinzugetreten; da mnss ein 
längerer, kann ein sehr langer Zeitraum zwischen der Entstehung 
und der Sanktionierung gelegen haben. Dagegen der Thora ist 
der kanonische Charakter in der Tat viel wesentlicher; die An- 
nahme birgt Schwierigkeiten, dass das mosaische Gesetz im vor- 
exilischen Altertum entstanden sei und dann erst viele Jahr- 
hunderte spätei unter t tal \ ei iuderten Umständen Gesetzeskraft 
erlangt habe. T\enig'>ten kann daraus, dass es die öffentliche 
Geltung als Gemeindebuth die es beansprucht, früher gewonnen 
hat als Schriften die darauf m keinerlei Weise angelegt sind, 
gewiss nicht gefolgert weiden dass es älteren Ursprungs sei 
als jene. 

Somit lässt sich die Möglichkeit, dass das Gesetz des Juden- 
tums auch das Product des Judentums sei, nicht gleich vor der 
ThUre abweisen, und es gibt dringende Gründe, sie in nähere 
Erwägung zu ziehen. Vielleicht schickt es sich, hier persönliche 
Erfahrung reden zu lassen. Im Anfange meiner Studien ward 
ich angezogen von den Erzählungen von Saul und- David, über 
Elias und Ähab, und ergriffen von den Reden eines Arnos und 
Jesaia; ich las mich in die prophetischen und geschichtlichen 
Bücher des Alten Testaments hinein. An der Hand der mir zu- 
gänglichen Hülfsmittel glaubte ich sie zwar leidlich zu verstehen, 
hatte aber dabei ein schlechtes Gewissen, als ob ich beim Dache 
statt beim Fundamente anfinge; denn ich kannte das Gesetz 
nicht, von dem ich sagen hörte, es sei die Grundlage und Vor- 
aussetzung der Literatur. Endlich fasste ich mir Mut und ar- 
beitete mich hindurch durch Exodus Leviticus und Numeri und 
sogar durch Knobel's Commentar dazu. Aber vergebens wartete 
ich auf das Licht, welches von hieraus auf die geschichtlichen 
und prophetischen Bücher sich ergiessen sollte. Vielmehr ver- 
darb mir das Gesetz den Gennss jener Schriften; es brachte 
sie mir nicht näher, sondern drängte sich störend ein, wie ein 
Gespenst, das zwar rumort, aber nicht sichtbar, nicht wirksam 
wird. Wo sich Berührungen fanden, da waren Differenzen dar 
mit verbunden und ich konnte mich nicht entschliessen , auf 
■ Seiten des Gesetzes das Ursprüngliche zn sehen; dunkel empfand 
ich einen allgemeinen Abstand zweier verschiedenen Welten. 



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4 Das Thema. 

Jedoch zu einer klaren Anschauung gelangte ich keineswegs, 
sondern nur zu einer nnbehagliehen Confuaion, die durch Ewald'e 
Erörterungen im zweiten Bande seiner Geschiehte des Volkes 
Israel nur vermehrt wurde. Da erfuhr ich hei einem gelegent- 
lichen Besuche in Göttingen im Sommer 1867 durch Ritschi, dass 
Karl Heinrieh Graf dem Gesetze seine Stelle hinter den Pro- 
pheten anweise, und beinah ohne noch die Begründung seiner 
Hypothese ku kennen, war ieh für sie gewonnen: ich durfte mir 
gestehen, dass das hebräische Altertum ohne das Buch der Thora 
verstanden werden könne. 

Die Hypothese, die man nach Graf zu benennen pflegt, 
stammt nicht von ihm, sondern von seinem Lehrer Eduard Reuss. 
Am richtigsten wäre sie aber zu benennen nach Leopold George 
und \\'ilhelm Vatke; denn sie haben dieselbe zuerst literarisch 
vertreten, unabhängig von Eeuss und unabhängig von einander. 
Ihrerseits sind alle diese Männer von Martin Lebreeht de Wette 
ausgegangen, dem epochemachenden ErÖffner der historischen 
Kritik auf diesem Gebiete ')■ 2u einer festen Position ist frei- 

') W. M. L. de Wette, Beiträge zur Einleitung in da« A. T., Bd. I: Kri- 
tischer Vorsuch über die Glaubwürdigkeit der Bücher der Chronik, Bd. II: 
Kritik der Mosaischen Geschichte; Halle 18Üfi. 1807. J. F. L. George, 
die älteren Jüdischen Feste mit einer Kritik der Gesetzgebung de« Pen- 
tateuch; Beriin 1835 (Vorrede vom 13. Oktob.). W. Vatke, die biblische 
Theologie wissenschaftlich dargestellt; Berlin 183l> (Vorrede t. '18. Oktob., 
nur der erste Teil des ersten Bandes ist erschienen). K. fl. Graf, die 
geschichtliehen Bücher des Alien Testaments, Leipzig 1866. Dass Graf, 
ebenso wie J. Orth (Nouv. Revue de Theol. Ilt. 384£f., IV. 350£f., Paris 
1859.1860), die Anregung zu seiner Kritik von seinem Stras.=bai^er 
Lehrer empfangen habe, war nicht unbekannt; mie gross aber Reuss' 
Anteil an der Graf'schen Hypothese gewesen sein muss, hat sich erst 
im Jahre 1879 gezeigt durch die Veröffentlichung gewisser Thesen, die er 
schon 18ää formulirt, damals aber dem grossen theologischen Publicum ge- 
druckt vorzulegen Bedenken getragen hatte. Die Thesen, auf die es ankommt, 
lauten (L'Histoire Sainte et la Loi, Paris 1879 S. 33. 24): 1. L'element 
histonque du Pentateuque peut et doit etre examme k part et ne pas 
etre confonda avec 1 dement leg'd J L un el 1 autie ont pn axiater 
sani redaction ecnte La mention, chez d anciens ecnvains de certaines 
traditions patnarcales ou mosaijues ne prouve pas lesiatence du Pen 
tateuque et une nation peut avoir un droit coutumier sans code ecrit 
3 T es traditii ns nationales des Israellies remontent pluR haut que 
lei lois du Pentateuque et la redaction des premierea est anteneure k 
Celle des secondes 4 L mt^ret principal de rhistorien doit porter sur 
la date des lois parce que sur ce terrain il a plus de Chance darr»er 
ä des resultats certains II faut en conse]uence proceder a Imterroga 
toire des temoins 5 L histoire racontee dans les livres des Juges et de 
&amuel et meme en partie celle compnse dans les hvre= des Rois est 
en eontridiction a^ee des loi' dites mosaijues donc i-elies ci ptaienf m 



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lieh de Wette nicht gelangt, aber er liat Kuerst die Kluft deut- 
lieh empfunden und Dachgewiesen, welche sich zwischen dem 
angebliehen Auegangepunkte der israelitischen Geschichte und 
ihr selber anfthut. Das in der Wüste auf so breiter Grundlage 
errichtete Gebäude der religiösen Gemeinde, mit ihrem heiligen 
Mittelpunkt und ihrer uniformen Organisation, versehwindet 
spurlos, seit Israel landsässig und ein eigentliches Volk gewor- 
den ist. Die Richterperiode stellt sieh uns dar als ein buntes 
Chaos, aus dem allmählich eine zusammenfassende Ordnung her- 
vorgeht, unter dem Drack der äusseren Umstände, aber auf eine 
höchst natürliche Weise und ohne jegliche Remiuiscenz an eine 
einheitliche heilige Verfassung, die einst zu Recht bestanden 
hätte, Hierokratische Neigungen hat das hebräische Altertum 
gar nicht; die Macht ist lediglich bei den Geschlechts- und Fa- 
milienhäuptern und bei den Königen, sie verfügen auch über 
den Gottesdienst und setzen die Priester ein und ab. Der Ein- 
fiuss, den die letzteren besitzen, ist bloss ein moralischer; die 
Thora Gottes ist nicht ein ihre eigene Stellung garantirendes 
Dokument in ihren Händen, sondern eine Unterweisung für an- 
dere in ihrem Munde; sie hat wie das Wort der Propheten nur 
göttliche Autorität, gilt nur so weit als sie freiwillig anerkannt 
wird. Was endlich die Literatur betrifft, die uns aus der Königs- 
zeit überliefert ist, so wird es dem besten Willen schwer, ein 
paar zweideutige Anklänge an's Gesetz aufzustöbern, die gar 
nichts bedeuten, wenn man bedenkt, was Homer für die Griechen 



Um das Befremden auf die Spitze zu treiben, kommt nun 
noch hinzu, dass im nach exilischen Judentum der bis dahin 



conEues k l'epoijue de la redaetion de ceg livres, ä plus forte ri 
n'ont pas existe dans !es temps qui y sont decrils. S. les ^. .^. 
du 8" et du 7« siecle ne savenC rien du code tooBaique. 7. Jeremie est 
le Premier prophete qui connajsse une loi ecrite et ses citationa rappor- 
tent au Deuteron orae. 8. Le Deuteronome (4,45 — 28,69) est le ÜTre que 
les pretres pretendaient ayoir tiou-ve dans le temple, du tempe du roi 
Jostas. Ce code est k partie la plus ancienue de la. Ugislalion (redigee) 
comprise dans le Pentateuque. 9. L'histoire des Israelites, en tant qu'il 
s'agit du developpement national determine par des lois ecrites, se divi- 
sera en deux periodea, avant et apres Josias. 10. Ezechiel est anterieur 
ä ia rödaction du code rituel et des lois qui ont definitive ment orgauisä 
la hierarchie. II. Le livre de Josu^ n'est pas, tant s'eu faut, la partie 
la plus recent« de l'ouvrage eutiar. 12. Le redacteur du Pentateuque se 
distingue claireroent de rancien prophete Moyse. 



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latente Mosaisntus plötzlich Überall zum Vorsclieiu kommt. Da 
haben wir das Buch als Grundlage des geistigen Lebens, „die 
Leute der Schrift" wie der Koran sagt; da haben wir das Hei- 
ligtum, die Priester und Leviten im Mitteliiunkt und das Volk 
als Gemeinde darum gelagert, da haben wir den Cultus, die 
Brand- und Sfindopfer, die Keinigungeu und Enthaltungen, die 
Feste und Sabbathe genau nach der Vorschrift des Gesetzes, als 
die Hauptsache des Daseins. Man nehme die Gemeinde des 
zweiten Tempels und vergleiche sie mit dem alten Volke Israel, 
80 bat man auch den Abstand dieses letzteren vom sogenannten 
Mosaismus. Die Juden selbst haben diesen Abstand sehr wohl 
empfunden. Die gegen Ende des_ babylonischen Exils unternom- 
mene Bearbeitung der Bücher der Richter Samuelis und der Könige, 
die weit stärker eingi'eift als man gewöhnlich annimmt, ver- 
dammt die ganze ■ Königszeit als häretisch. Später gestaltete 
man die mehr und mehr mit einem gewissen Nimbus umgebene 
Vergangenheit lieber einfach ins Legitime um, als dass man sie 
verurteilte: die Chronik zeigt , wie sich die Geschichte des 
Altertums ausnehmen müsste unter der Voraussetzung, dass die 
mosaische Hierokratie ihr Grundinstitut gewesen sei. 

2. Diese kurzen Bemerkungen haben nur den Zweck zu zei- 
gen, dass es kein eingebildetes, sondern ein wirkliches und unab- 
weisbares Problem ist, um das wir uns bemUhen. Dasselbe soll 
damit Jiur eingeleitet werden, zu erledigen ist es nicht so leicht, 
im Gegenteil schwierig genug. So schlechthin lässt sich die 
Frage überhaupt gar nicht " aufwerfen , welche geschichtliche 
Stellung das Gesetz einnehme. Denn das Gesetz, wenn wir 
darunter den ganzen Pentateuch verstehen, ist keine literarische 
Einheit und keine einfache geschichtliche Grösse, Seit Peyre- 
rius und Spinoza hat die Kritik den eomplicirten Charakter 
dieses merkwürdigen Schriftwerkes erkannt und seit Jean Astruc 
sich mit Erfolg bemüht, die ursprünglichen Bestandteile aus 
ihrer Verschlingung zu lösen; sie ist gegenwärtig zu einer An- 
zahl von Ergebnissen gelangt, die als gesichert gelten können. 
Folgende sind daninter die vornehmsten. Die fünf Bücher Mosis 
gehören mit dem Buche Josua zusammen, indem nicht der Tod 
Mose's, sondern vielmehr die Eroberung des verheissenen Lan- 
des den wahren Abschluss zu der Erzvätergeschiehte der Aus- 
führung aus Ägypten und der Wüstenwanderung bildet: man 



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Das Thema. 7 

redet also literarisch richtiger vom Hexateueh als vom Penta- 
teuch. Aus diesem Ganzen löet sieh am einfachsten das Deute- 
ronomium ab, als ein von Haus aus selbständiges Gesetzbuch, 
Im Uebrigen tritt am markiertesten die s. g. Grundsebrift hervor, 
ehedem anch, wegen der Anwendung des Gottesnamens Elohim 
bis auf Mose, als der Elohist, von Ewald, nach der regebnässi- 
gen Form der Kapitelüberschriften in der Genesis, als das Buch 
der Ursprünge bezeichnet. Sie zeichnet sieh aus durch ihre 
Neigung zu Zahl und Mass, überhaupt zum Schema, durch ihre 
starre pedantische Sprache, durch die beständige Wiederholung 
gewisser Ausdrücke und Wendungen, die sich im älteren Hehrais- 
mns sonst nicht finden: sie hat die ausgesprochensten Charakter- 
zUge und ist daher am leichtesten und sichersten zu erkennen. 
Ihr Grundstock ist der Leviticus nebst den verwandten Teilen 
der angi-enzenden Bücher, Exod, 25^40 mit Ausnahme von 
Kap. 32— 34, und Num. 1—10. 15-19. 25-36 mit geringen 
Ausnahmen. Sie enthält demnach vorzugsweise Gesetzgebung, 
und zwar bezieht sich selbige wesentlich auf den Guttue der 
Stiftshütte und was damit zusammenhängt. Historisch ist nur 
die Form, sie dient dem gesetzliehen Stoff als Rahmen um ihn 
anzuordnen, oder als Maske um ihn zu verkleiden. Gewöhnlich 
ist der Faden der Erzählung sehr dünn und häufig nur dazu da, 
der Zeitrechnung als Vehikel zu dienen, die von Erschaffung 
der Welt an bis zum Auszug aus Ägypten lückenlos fortgeführt 
wird; nur wo die anderweitigen Interessen einspielen, schwillt 
sie an, wie in der Genesis bei den drei Vorstufen des mosaischen 
Bundes, die sich an die Namen Adam Noah und Abraham 
knüpfen. Scheidet man nun ausser dem Deuteronomium auch 
diese Gfundschrift aus, so bleibt das jehovistische Geschichts- 
buch übrig, welches im Gegensatz zu jenen beiden wesentlich 
erzählender Natur ist und den Ueberlieferungsstoff recht mit 
Behagen ausbreitet. Die Patriarehengesehiehte , die ihr beinah 
ganz angehört, charakterisiert diese Schrift am besten; dieselbe 
erscheint hier nicht als kurz abzumachende Einleitung f^r das 
Wichtigere, was kommen soll, sondern als eine ausführlichst 
zu behandelnde Hauptsache. Legislative Elemente finden sich 
nur an einer Stelle aufgenommen, wo sie in den historischen 
Zusammenhang hineingehören, nämlich bei der Gesetzgebung auf 
dem Sinai (Exod. 20-23. 34). 



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Lange Zeit hat man sich mit dieser Zweiteilung des niclit- 
deuteronomischen Hexateuchs begnügt, bis Hupfeld in gewissen 
StUeken der Genesis, die man bis dahin teils der Gnindschrift 
teils dem Jehovisten zugewiesen hatte, eine dritte zusammen- 
hängende Quelle aufwies, den s. g. jüngeren Elohisten. Der 
Name ist dai'um gewählt, weil auch hier Elohim die regel- 
mässige Bezeichnung der Gottheit ist, ebenso wie es in der Grund-, 
schrift bis Exod. 6 der Fall ist; doch bleibt der Zusatz der 
jüngere Elohist besser weg, da er ein unberechtigtes Präjudiz 
enthält und zur Unterscheidung von der Grundsehi-ift nicht mehr 
nötig ist, seit für sie der in der That unpassende Name Elohist 
aufgegeben worden ist. Hupfeld nahm nun an, dass die drei 
Quellen neutral neben einander hergelaufen seien, bis ein Spä- 
terer sie allesammt zugleich zu einem Ganzen vereinigt habe. 
Aber dies ist eine unhaltbare Vorstellung, der Elohist ist nicht 
bloss im Stoffe und in der Anschauung dem Jehovisten näehst- 
verwandt, sondern er ist uns nur als ein Ingrediens der jeho- 
vistischen Schrift erhalten; was zuerst Nßldeke erkannt hat'). 
Dann bleibt es also, trotz Hupfeld's Entdeckung, dennoch bei 
der alten Zweiteilung in zwei grosse Schichten; und man hat 
alle Ursache, diesen Hauptgegensatz als Grundlage der histori- 
eehen Untersuchung festzuhalten, trotzdem sich mehr und mehr 
herausstellt, dass nicht bloss der Jehovist, sondern auch die 
Grundschrift complicierte Gebilde sind, und dass daneben noch 
zwitterhafte oder posthume Elemente vorkommen, die sieh nicht 
einfach der einen oder der anderen Schicht zuweisen- lassen^), 

') Hermann Hupfeld, die Quellen der Genesis und die Art ihrer Zusara- 
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Das Gesetz nun, nach dessen gesehiehtliclier Stellung wir 
fragen, ist die a. g. Grundschrift, die nach ihrem Inhalt und 
Ursprung der Priestevcodex zu heissen verdient und so auch hin- 
fort genannt werden soll. Der Priestereodex präpaliert nicht 
bloss in Umfang, sondern auch in Geltung über die anderwei- 
tige Gesetzgebung, er gibt in allen Hauptsachen Mass und Aus- 
schlag. Nach seinem Muster hahen die Juden unter Ezra ihre 
heilige Gemeinde eingerichtet und stellen auch wir uns die mo- 
saische Theokratie vor: mit der Stiftshütte im Centrum, dem 
Hohenpriester als Haupt, den Priestera und Leviten als Or- 
ganen, dem legitimen Cultus als ihrer regelmässigen Funktion. 
Dies Gesetz im eminenten Sinne ist es nun auch gvade, welches 
in jene Schwierigkeiten verwickelt, die unser Problem begrün- 
den. Und nur hier herrscht der grosse Zwiespalt über die Ent- 
stehungszeit. Bei der jehovistischen Schrift ist man in erfreu- 
licher Weise darüber einverstanden, dass sie, ihrem Hauptbe- 
stande nach, durch Sprache Gesichtskreis und übrige Voraus- 
setzungen, der goldenen Periode der hebräischen Literatur zuge- 
wiesen wird, aus der die schönsten Stücke der Bücher der Richter 
Samuelis und der Könige und die ältesten der uns erhaltenen pro- 
phetischen Schriften herrühren, der Zeit der Könige und Pro- 
pheten, die der Auflösung der beiden israelitischen Reiche durch 
die Assyrer vorhergeht., Ueber den Ursprung des Deuferono- 
miums herrscht noch weniger Zweifel; in allen Kreisen, wo 
überhaupt auf Anerkennung wissenschaftlicher Resultate zu 
rechnen ist, wird anerkannt, dass es in der Zeit verfasst ist, 
in der es entdeckt und der Reformation des Königs Josia zu 
Grunde gelegt wurde: diese letztere ward etwa eine Generation 
vor der Zerstörung Jerusalems durch die Chaldäer durchgeführt. 
Nur beim Priestereodex gehen die Ansichten weit auseinander. 
Derselbe sucht nemlich mit Fleiss das Kostllm der mosaischen 
Zeit einzuhalten und seine eigene, so viel es immer geht, zU 

chem Einfluas dieser Nachweis auf die Beurteilung des Elohisten selber 
sein wird, lässt sich zur Zeit noch nicht absehen. — Ich bezeiclme das 
jehovistische Geschichtsbuch (nit JE, die Elohimquelle desselben mit E, 
die Jahvequelle mit J; für den Kern der Grundschrift, der sich durch 
seine historische Systematik auszeichnet und in der Genesis rein hervor- 
tritt, wende ich die Sigie Q und die Bezeichnung Vierbundesbuch i 
für die Grundschrift im Ganzen die Sigle RQ und die F 
Priestereodex. 



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10 Das Thema. 

maskieren. Das Deuteronomium tut dies bei weitem nicht in dem 
Grade, lässt vielmehr die wirkliche Situation, die Periode, wo 
nach der Zerstörung Samariens nur das Keich Juda allein noch 
fortbestand, sehr deutlieh durch die angenommene hindureh- 
scheinen (12,8. 19,8). Der Jehovist nun gar will kein mosaisches 
Gesetz, sondeni ein simffles Geschichtsbuch sein; der Abstand 
der Gegenwart von der Vergangenheit, über die gehandelt wird, 
wird nicht im mindesten verdeckt; hier finden sich alle jene 
Bemerkungen, die zuerst Ahenezra's und später Spinoza's Auf- 
merksamkeit erregten, wie Gen. 12,6: damals wohnten nämlich 
die Kanaaniter im Lande; Gen. 36,31: das sind die Könige, 
welche in Edom herrschten, ehe die Kinder Israel einen König 
hatten; Num. 12,6. 7. Deut. 34,10: es stand fürder kein Prophet 
in Israel auf, der Mose gleich gekommen wäre. Dahingegen 
der Priestereodex hütet sich vor jeder Hinweisung auf die spätere 
Zeit, auf das ansässige Leben im Lande Kanaan, welches 
wohl im jehovistisehen Bundeshuch (Exod. 21 — 23) wie im Deu- 
teronomium die ausgesprochene Basis der Gesetzgebun 
hält sieh formell streng innerhalb der Situation der 
Wanderung und will allen Ernstes eine Wttstengesetzgehung 
Es ist ihm wirklich gelungen, mit dem beweglichen Tabernakel 
mit dem Wanderlager und dem übrigen archaistischen Sehein 
seine wahre Abfassungszeit so zu verschleiern, dass die vielen 
materiellen Widersprüche gegen das uns anderweit bekannte 
vorexilische Altertum, die er enthält, nur als Zeichen davon 
aufgefasst werden, wie er über alle historische Zeit weit hinaus- 
rage und vor lauter Unvordenklichkeit kaum noch in einer 
Berührung damit stehe. Der Priestereodex also gibt uns das 
Rätsel auf, 

3. Es war ein richtiger Instinct, dass die Kritik von dem 
zuerst in de Wette's Geist aufgestiegenen und bestimmter von 
George und Vatke erfassten geschichtlichen Probleme vorläufig 
Ähstand nahm und zunächst mit der Composition des Penta- 
teuehs einigermassen ins Reine zu kommen suchte. Es war 
aber ein Irrtum, dass man mit dem Ausscheiden der Quellen — 
wobei man ganz sachgemäss die Hauptaufmerksamkeit auf die 
Genesis richtete — bei Wege zugleich jene grosse historische 
Frage erledigt zu haben glaubte. In Wahrheit hatte man sie 
nur in Schlaf gesungen: es ist Grafs Verdienst, nach einer lan- 



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Das Thema. U 

gen Zeit sie wiedererweckt zu haben. Seiiiereeits ignorierte er 
dabei freilieh, nicht zu seinem Vorteil, den Fortschritt der Seeir- 
arbeit und verwickelte sich dadurch in eine Verlegenheitsan- 
nahme, die völlig unhaltbar war, indessen auch gar nicht mit 
der eigentlichen Hypothese zusammenhing und auf dem Stande, 
zu dem Hupfeld inzwieehen die Quellenkritik gefördert hatte, 
von selbst wegfiel. Graf folgte nämlich anfangs der älteren, be- 
sonders durch Friedrieh Tuch vertretenen Meinung, dass der 
Priestercodex in der Genesis, mit seinem so nackt hervortreten- 
den Skelett, die Grundschrift sei, der Jehovist aber der Ergänzer 
und als solcher natürlich jünger; da er nun die Cultusgesetz- 
gebung der mittleren Blieher umgekehrt ftlr weit jünger hielt 
als den Jehovisten, so musste er dieselbe wohl oder übel von 
ihrer Einleitung in der Genesis losreissen und das eng Zusam- 
mengehörige durch einen Zeitraum von einem halben Jahrtau- 
send trennen. Aber längst hatte Hupfeld zur Anerkennung ge- 
bracht, dass der Jehovist kein Ergänzer sei, sondern Verfasser 
eines vollkommen selbständigen Schriftwerks, und dass die Stücke, 
die, wie Gen. 20 — 22, vorzugsweise als Beispiele jehovistischer 
Ueberarbeitung der Grundschrift vorgeführt wurden, in Wirklich- 
keit einer ganz anderen Quelle, dem Eloliisten, angehörten. Da- 
durch war der Anstoss, über den Graf gestrauchelt war, bereits 
im Voraus beseitigt, eine unerwartete Bundesgenossin hatte ihm 
die Wege geebnet. Dem Winke A. Kuenens folgend, zögerte 
er aicht ihre Hand anzunehmen, er widerrief die gewaltsame 
Zersplitterung des Priestercodex und zog nun unbehindert aus 
den Ergebnissen, die er für den gesetzlichen Hauptteil gewonnen 
hatte, die Consequenz auch für den erzählenden Teil in der 
Genesis '). 

') K. H, Graf, die s. g-, Grundschrift des Pentateuclis, in Merx' Archi? 

1869 S. 4(i6— in. Schon in einem Schreiben an Kuenen vom 12. Nov. 
1866 hatte er geäussert: vous me faites pressentir une Solution de cette 

^nigme c'est quo les partiee elohistiques de la Genese seraient 

posterieures ans parties jehovistiques. Vgl. Knenen, Theol. Tijdschrift 

1870 S. 412, Grat war auch in dieser Hinsicht Seuss gefolgt, welcher 
letztere a. 0. S. 24 yon sich sagt: Le coli laible de ma cpitique a ete 
que, k l'egard de tout ce qui ne rentrait pas daus les points enumeres 
ci-deasus, je restais dans l'orniere tracee par mes devanciers, admettant 
Sana plus ample examen que !o Pentateuque etait l'ouvrage de i'histo- 
rien elohiste, complete par l'historien jehoviste, et ne me rendant pas 
compte de la mauiere dont l'eliment legal, dont je m'etais occupe esclu- 
sivement, serait venu ae joindre k l'element historique. 



yGOOgfe 



12 Das Thema. 

Damit war der Grund gelegt; zur weiteren Ausgestaltung 
. der Hypothese hat hernach Kuenen das Meiste beigetragen '). 
Die Inhaber der herrschenden Meinung nun wehrten sieh, eu gut 
sie vermochten, sie waren aber vom langen Besitze her ein 
wenig erstarrt auf ihren Hefen. Sie erhüben gegen den Grund- 
stürzer eine Reihe von Einwänden, die alle mehr oder weniger 
an dem Fehler litten, dass sie das erschütterte Fundament zur 
Basis hatten. Stellen aus Amos und Hosea wurden vorgebracht, 
welche Bekanntschaft mit dem Priestercodex verraten sollten; 
wer aber diesen für jUnger hielt als jene, auf den konnten sie 
keinen Eindruck machen. Fast ungeberdig stellte man sich 
darüber, dass die Cultusgesetzgebung nun unter das Deutero- 
nomium hinabgedrüekt war: man berief sich darauf, dass letzte- 
res erstere ja benutze. Aber die Spuren erwiesen sich als 
äusserst problematisch , während umgekehrt die totale Abhän- 
gigkeit des Deuteronomiums vom Jehovisten mit der grössten 
Klarheit hervortrat. Man wies auf die letzte Redaktion des 
hexateuchi scheu Gesammtwerkes hin, die anerkanntermassen 
deuteronomistisch sei — es stellte sich aber heraus, dass die 
den teronomisti sehe Redaktion bei den zum Piiestercodex ge- 
hörigen Stücken nirgend aufzuspüren war. Auch die Sprach- 
geschichte musste gegen Graf herhalten ; sie war es leider ge- 
wohnt wie weiches Wachs behandelt zu werden. Kurz die Ar- 
gumente, die ins Feld geführt wurden, entlehnten insgemein ibre 
Kraft der moralischen Überzeugung, dass die Cultusgesetzgebung 
alt sein müsse und nicht erst in der Periode des Judentums 
niedergeschrieben sein könne: wenn sie vorher nicht wirksam, 
ja unter den vorexilischen Verhältnissen unausführbar gewesen 
sei, so könne sie ja darum doch vorher existiert haben. Diese 
Überzeugung war um so unerschütterlicher, je weniger sie auf 
Gründen beruhte. 

Von der Stelle, wo das Feuer angelegt war, hielt sieh die 
Löschmannschaft fern. Ich meine das Gebiet der gottesdienst- 
liehen Antiquitäten und der herrschenden Religionsideen, in dem 
ganzen Umfange, wie Vatke es in seiner biblischen Theologie 

') A. Kuenou, de Godsdienst yan Israel; Haarlem 1860. 1870. Derselbe, 
de prjesterlijke Bestanddeelea van Pentatcuch ea Jozua, Theo). Tijd- 
schrift 1870 S. 391— 426 (Bleek's EiuL in das Alte Testament 1878 
S. 153— 169). 



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Das Thema, 13 

behaDdelt hat. Nur hier aber, wo der Kampf eigentlich ent- 
brannt ist, kann er zum Austrage .gebracht werden. Indem ich 
dazu gegenwärtig den Versuch mache, gehe ich aus von der 
Vergleiehung der drei Schiebten des Hexatenehs, des Priester- 
eodex des Deuteron omiu ms und des Jehovisteu. Allerdings ent- 
halten die erateren beiden, wie wir gesehen haben, Gesetzgebung, 
der letztere Erzählung; .aber wie der Dekalog (Exod. 20), das 
Zweitafelgesetz (Exod. 34), und das Bundesbucb {Exod. 21—23) 
zeigen, fehlt dem Jehovisten das legislative Element nicht ganz, 
und in noch weit stärkerem Masse ist das historische im Priester- 
codex und im Deuteronomium vertreten. Ausserdem spiegelt 
sich immer in der Darstellung der Geschichte der gesetzliche, 
in der Darstellung der Gesetze der geschichtliche Standpunkt 
ab: an directen und indirecten Vergleich ungspunkten mangelt es 
also in keiner Weise. Dass nun die drei Schichten erheblich 
von einander abstehen, ist anerkannt; es fragt sich, wie sie fol- 
gen. Das Deuteronomium steht sowol dem Jehovisten als dem 
Priestercodex näher, der Unterschied zwischen den beiden 
letzteren ist der weiteste, so weit, dass aus diesem Grunde 
Ewald es bereits im Jahre 1831 (Stud. und Krit. S. 604) für un- 
möglich erklärt hat, dass eins zur Ergänzung des anderen ge- 
sehrieben sei. Nehmen wir hinzu, dass der Jehovist unbestritten 
dem Deuteronomium vorangeht, so würde sich ergeben, dass der 
Priestercodex ans Ende der Reihe gehöre. Aber diese Betrach- 
tung, wenngleich, so weit mir bewusst, von Zugestandenem aus- 
gehend, hat keinen Wert, so lauge sie sich so im Allgemeinen 
hält. Es kommt darauf an, die Folge der drei Schichten im 
Einzelnen aufzuweisen und sie daneben mittelst eines unabhängigen 
Masses zugleich zu erproben und zu fixieren, nämlich mittelst des 
inneren Ganges der israelitischen Geschichte, sowie er uns aus 
anderweitigen unverdächtigen Zeugnissen bekannt ist. 

Es ist eine literargesehichtliche Untersuchung umfassender 
und schwieriger Art, die wir beginnen. Sie zerfällt in drei Teile. 
Im ersten, grundlegenden, werden die auf die sakralen Alter- 
tümer bezüglichen Data gesammelt und in der Weise disponiert, 
dass man sieht, wie im Pentateuch die Schichten ebenso auf 
und aus einander folgen, wie in der Geschichte nachweisbar die 
Entwicklungsstufen. Nicht gegen, aber ohne die anfängliche 
Absicht ist eine Art Geschichte des Cultus daraus geworden. 



yGooqfe 



14 Das Thema. 

Freilieh durcli Schuld des Materials eine farblose und grobe; 
denn es handelt sieh immer bloss, in erster Linie, um den Ge- 
gensatz von vorexilisch und nachexUiich , m zweiter, um den 
von deuteronomiseh und vordeuteronomi'seh Em Vorteil ist in- 
dessen hei den ausgedehnten Perioden «le müssen sich greifbar 
unterscheiden, es muss bei geschichtlichen und gar hei gesetz- 
liehen Werken zu erkennen sein, ob «le vor oder nach dem Exil 
geschrieben sind. Der zweite Teil, in mancher Hinsieht ab- 
hängig vom ersten, weist den Einfluss der jeweils herrschenden 
Vorstellungen und Tendenzen auf die Gestaltung der historischen 
Tradition nach und verfolgt die verschiedenen Phasen in der 
Auffassung und Darstellung derselben; er enthält %n zu sagen 
eine Geschichte der Überlieferung. Der dritte Teil resumirt 
den kritischen Ertrag der beiden anderen, mit Hinzufügung 
einiger weiteren Entseheidungsgründe, und schlieest mit einer 
allgemeineren Ausschau. 

Die Voraussetzungen, die ich mache, werden im Laufe der 
Untersuchung immer wieder neu gerechtfertigt; die beiden vor- 
nehmsten sind, dass das jehovistische Werk, seinem Grund- 
stöcke nach, vor die assyrische Periode Mit, das Deuteronomium 
an den Schluss derselben. Für so sieber ieb übrigens die Da- 
tirung des letzteren nach 2. Reg. 22 auch halte, benutze ich 
diese Position doch nicht in dem Masse wie Graf, um meine 
Hebel anzusetzen. Das Deuteronomium ist der Ausgangspunkt 
nicht in dem Sinne, dass ohne es nichts zu machen wäre, son- 
dern nur in dem Sinne, dass seine Ansetzung nach historisehen 
Gründen die notwendige Forderung nach sich zieht, auch den 
Priestereodex nach historischen Gründen anzusetzen. Jileine 
Untersuchung ist breiter angelegt als die Grafs und nähert sieh 
der Art Vatke's, von welchem letzteren ich auch das Meiste und 
das Beste gelernt zu haben bekenne. 



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I. 
Geschichte des Cultus. 

Legem non habenies uaiura faeiuiit legis opera. 



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Erstes Kapitel. 



Der Ort des Gottesdienstes. 

Wie aus dem Eyangelium bekannt ist, stritten sicli zur Zeit 
Jesu Juden und Samariter über die richtige Stätte, wo man an- 
beten solle; dass es nur eine einzige geben könne, das war 
ihnen so ausgemacht, wie die Einheit Gottes selber. Die Juden 
sagten, es sei der Tempel zu Jerusalem, und seit er zerstöri 
war, hörten sie auf zu opfern. Allein nicht von jeher hat diese 
Einheit des Heiligtums in Israel thatsäehlich bestanden noch 
rechtlich gegolten, sie hat sieh erst allmählich im Laufe der 
Zeit herausgebildet. Die Überlieferung des Alten Testaments 
gestattet noch ganz wohl zu verfolgen, auf welchem Wege. Meh- 
rere Stadien lassen sich dabei unterscheiden; es wird sieh fra- 
gen, ob die drei Sebiehten des Pentateuchs eine Beziehung zu 
einem oder dem anderen Stadium aufweisen, ob und wie sie 
sich in den Verlauf des geschichtlichen Proeesses fügen, dem 
wir an der Hand der historischen und prophetischen Bücher 
seit der Eichteraeit nachgehen können. 

I. 

1. Für die älteste Periode der israelitischen Geschichte, vor 
dem Tempelbau, lässt sich von einem aussebliesslich berechtigten 
Heiligtume nicht die Spur auffinden. In den BUehern der Rich- 
ter und Samuelis wird kaum ein Ort erwähnt, an dem nicht 
auch, wie sich bei Wege ergibt, ein Altar steht und geopfert 
wird. Zum grossen Teil gehörte diese Vielheit der Heiligtümer 



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18 Geschichte das Cultus, Kap. I. 

schon zur kanaanitischen Erbschaft der Hebräer; wie in die 
Städte und überhaupt iu die Kultur der alten Bewohner, so 
wuchsen sie auch in ihre Cultusetätten hinein. Das Institut der 
Höhen (Bamoth) mit dem dazu gehörigen Apparat ist ohne 
Zweifel von Haus aus kanaanitiscb (Deut. 12, 2. 30, Num. 33, 52. 
Exod, 34, 12f.), hinterher findet es sieb ganz allgemein bei den 
Hebräern. Bei Sichern und Gibeou vollzieht sieb der Übergang 
beinah im vollen Lieht der Geschichte ; einige andere alt-israeli- 
tische Cultusorte, die hinterdieiu Kum Teil zu Levitenstädten 
gemacht worden sind, verraten wenigstens durch ihre Namen 
ihren Ursprung, wife Bethsemes oder Ir-beves d, i. Sonnenstadt, 
Astharoth Karnaim d, i, die zweigebörnte Astarte. Auch in dem 
Volksgedächtnis ist die Erinnerung daran, dass man manche der 
später angesehensten Opferstätten schon bei der Einwanderung 
vorgefunden hatte, nicht ausgestorben. Sichern Bethel Beerseba 
gelten in der Genesis als Stiftungen der Patriarchen, andere 
gleich wichtige Heiligtümer nicht — der Grund dafür kann nur 
in dem Bewusstsein ihres jüngeren Alters liegen; jene hatte man 
bei der Einwanderung vorgefunden, diese hatte man selbst ge- 
gründet. Denn natürlich, wenn sich die Hebräer nicht scheuten, 
die alten Landesheiiigtümer sich anzueignen, so trugen sie auch 
kein Bedenken neue zu stiften. In Gilgal und Silo, in den 
festen Lagern, wo sie zuerst im eigentlichen Palästina festen 
Euss gefasst haben, entstehen alsbald bedeutende Centra des 
Gottesdienstes, ebenso an anderen Orten von politischem Belang, 
auch an soleben, die nur zeitweilig in den Vordergrund rücken, 
wie Ophra, Rama, Nob bei Gibea. Und neben den grösseren 
fundirten Stätten, mit mehr oder weniger regelmässigem Dienste, 
ist es durchaus gestattet, überall wo ein Aniass sich bietet, ex 
tempore einen Altar zu errichten und Opfer zu bringen. Als 
nach der Schlacht von Michmas das Volk, müde und hungrig, 
über erbeutetes Vieh herstürzte und anfing das Fleisch im Blute 
zu verzehren (d. h, ohne das Blut am Altare zu vergiessen), 
Hess Saul einen grossen Stein hei'wälzen und befahl, jeder solle 
dort sein Kind oder Schaf sohlaehten. Das sei der erste Altar, 
den Saul dem Jahve gebaut habe, fügt der Bericht-erstatter hinzu, 
gewiss nicht um ihm einen Vorwurf zu machen oder auch nur 
um sein Handeln als etwas auffallendes und ausnahmsweises zu 
bezeichnen. Das Beispiel ist um so lehrreicher, weil es zeigt. 



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Der Ort des Goitesdiensfes. 19 

Wie das Verbot, Fieiseli zu &ssen obne das Blut Gott zurückzu- 
erstatten, in einer Zeit wo das Volk nicht auf ganz engem 
Kaume zusammengedrängt wohnte, notwendigerweise die Frei- 
heit voraussetzt, überall zu opfern — oder zu schlachten, denn 
beides ist ursprünglich ganz gleichbedeutend. 

Es versteht sieh, die Opferstätten, auch abgesehen von den 
improvisierten, standen sieb nicht gleich an Ansehen und Fre- 
quenz, neben rein lokalen gab es auch solche, zu denen man 
von weit und breit wallfahrtete. Gegen Ende der Richterzeit 
scheint Silo eine vielleicht über die Grenzen des Stammes Joseph 
hinausreichende Bedeutung gewonnen zu haben. Den Späteren 
galt der dortige Tempel sogar als der Vorgänger des salomo- 
nischen, d.h. als der einzig legitime Cultusort, dem Jahve alle 
Brandopfer der Kinder Israel verliehen habe (Jerem. 7, 12. 
1. Sam. 2,27 — 36). In Wahrheit aber, wenn ein wohlhabender 
Mann aus Ephraim oder Benjamin beim Jahreswechsel zum 
fröhlichen Feste nach Silo pilgerte, so that er das nicht, weil in 
seiner Heimat zu Kama oder Gibea keine Gelegenheit gewesen 
wäre, vor Jahve zu essen und zu trinken. Eine strenge Cen- 
tralisation ist für jene Zeit ein unmöglicher Gedanke, auf dem 
Gebiete des Gottesdienstes nicht minder, wie auf jedem andern. 
So zeigt sieh denn auch, dass die Zerstörung des Hauses von 
Silo, dessen Priesterschaft wir später zu Nob wiederänden, auf 
den dermaligen Charakter und Zustand des Cnltus nicht den 
geringsten Einfluss ausübt; dasselbe versehwindet stillschweigend 
vom Schauplatz und taucht nicht wieder auf, bis wir von Jere- 
mia erfahren, dass es, mindestens seit der Gründung des salo- 
monischen Tempels, in Trümmern lag. 

FUr die Periode, wo der Tempel von Jerusalem noch nicht 
stand, lässt auch die letzte Bearbeitung der historischen Bücher, 
die vielleicht nicht bei allen von der selben Hand, aber aus 
der selben Zeit (des babylonischen Exils) und aus dem selben 
Geiste stammt, die Vielheit der Altäre und heiligen Orte unbe- 
anstandet. Kein naehsalomonischer König kommt ohne Rüge 
davon, dass er die Höhen geduldet habe, aber Samuel darf in 
eigener Person einem Opferfesfe auf der Bama seiner Vater- 
stadt vorstehen, Salomo im Anfange seiner Regierung ein sol- 
ches auf der grossen Bama zu Gibeon anrichten, ohne dass es 
getadelt wird. Der anstössige Name wird 1. Sam. 9. 10 mehr- 



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20 Geschichte des fultus Kap 1. 

fach in harmloseBter Weise gebraucht und die Redaetion lässt 
ihn ohne Anstand passieren. Der Grundsatz, von dem sie sieh 
bei diesem wie es scheint angleiphrnästsigen Verhalten leiten 
lässt, erhellt aus 1. Reg, 3,2; das Volk opferte auf den 
Höhen, denn bis dahin war noch kein Haus dem Namen 
Jahve's gebaut. Erst seit das Haus dem Namen Jahve's ge- 
baut war, das ist die Meinung, kam das Gebot in Ki-aft, keine 
anderen Anbetungsstätten zu haben neben ihm'). Von dem sa- 
lomonischen Tempelbau, der ja auch als chronologische Haupt- 
epoche gilt, wird also ein neuer Abschnitt in der Cultusge- 
schiehte datirt. In gewisser Weise mit Recht. Das Königtum 
in Israel verdankte seine Entstehung dem notgedrungenen Er- 
wachen des Bedüifnisses, die bis dahin nur sehr lose verbun- 
denen Stämme und Geschlechter der Hebräer zu der Einheit 
eines Volkes und Reiches zusammenzufassen; es hatte eine aus- 
gesprochene centralisirende Tendenz, die sich sehr natürlich 
auch des Cultus als eines geeigneten Mittels zu dem politische» 
Zwecke bemächtigte. Schon der erste, der beinah König ge- 
worden wäre, Gideon stiftete ein kostbares Heiligtum in seiner 
Stadt Ophra; David Hess die Lade Jahve's in seine Burg auf 
dem Sion holen und legte Wert darauf, den Erben der alten 
Familie, welche ehedem zu Silo sie gehütet hatte, zum Priester 
zu haben; auch Salomo's Tempel sollte die Anziehungskraft 
seiner Residenz erhöhen helfen. Unzweifelhaft aber gab auf 
diese Weise die politische Centralisation den Antrieb zu einer 
grösseren Centralisation auch des Gottesdienstes, und dieser 
Antrieb wirkte .fort nach der Spaltung, in Israel ein wenig an- 
ders als in Juda. Die königlichen Priester, die grossen Reiehs- 
tempel, die Festvereammlungen des ganzen Volks und die unge- 
heuren Opfer — das waren die Züge, wodurch der früher wie 
es seheint sehr einfache Cultus jetzt die Signatur einer neuen 
Zeit erhielt. Noch eins ist bezeichnend: die häuslichen Dienste, 
die noch zu Davids Zeit allgemein gewesen sein müssen, kamen 
allmählich ab, versteckten sich und vei-loren ihre Bedeutung, 

'3 Vgl. 1. Reg. «, 16. Narh Deut. 12, lOf. wird die lokale Einheit des Cultus 
Gesetz von der Zeit an, wo die Israeliten zur Ruhe (Menueha) gekommen 
sind. Vergleicht man damit 2. Sam. 7, 1 1. I. Reg. 5, 18, so scheint die 
Uenucba erst zur Zeit Davids und Salomo's eingetreten zu sein. Die 
Ricbterperiode müsste dann viel kürzer vorgestellf sein, als es nach der 
jetzigen Chronologie dea Anschein hat. 



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Der Ort ifes Gottesdienstes. 21 

weil die Kreise der Gemeinschaft sich erweitertea und das Leben 
öffentlicher wurde. 

Aber diese Betrachtungsweise der Bedeutung des Königtums 
für die Geschichte des Cultus ist nicht die des Verfassers der 
■Königsbtieher. Er beurteilt den Tempel Salomo's als eiü Werk; 
lediglich unternommen im Interesse des reinen Gottesdienstes 
und aus einer ganz audereü Wurzel entsprungen als die heiligen 
Bauten der israelitischen Könige, denen er darum nicht gleich, 
sondern entgegen steht wie das EeMe dem Falschen. Er ist 
seiner Natur nach einzigartig und tou Tornherein in der Absicht, 
dass nun alle anderen Opferstätten aufhören sollten, angelegt 
worden; in einer religiösea Absicht, die von der Politik unab- 
hängig ist und nichts mit ihr zu schaffen hat. Diese Auffassung 
nun ist ungesehichtlich und überträgt die Bedeutung, die der 
Tempel kurz vor dem Exil in Juda erlangt hat, in die Zeit und 
in die Absicht seiner Gründung, In Wahrheit ist er nicht 
gleich anfangs gewesen, was er naebgehends geworden ist. Er 
wirkte durch seine eigene Schwere, aber nicht durch ein Mo- 
nopol Salomo's. Nirgends hören wir davon, dass dieser als ein 
Vorläufer Josia's seinem neuen Heiligtum zu lieb die übrigen 
habe abschaffen wollen; von einem so unvorbereiteten gewalt- 
samen Einschnitte in die bisherigen Verhältnisse des Gottes- 
dienstes findet sich nicht die geringste geschichtliche Spur. Nicht 
einmal die auf das kleine Juda beeehränkten Nachfolger Salo- 
mo's machten den hier vielleicht durchführbaren und gewiss in 
ihrem Interesse gelegenen Versuch, den öffentlichen Cultus in 
ihrem Tempel zu vereinigen, so eigenmächtig sie sonst auf die- 
sem Gebiete schalteten. Die Höhen wurden nicht beseitigt — 
80 wird regelmässig bei allen conetatiert. Für das eigentliche 
Israel war Jerusalem erst recht nicht der Ort, den Jahve er- 
wählt hatte — vollends nach der Spaltung des Reichs. Scharen- 
weise pilgerten die Ephraimiten durch die ganze Länge des 
Südreichs hindurch nach Beerseba und gemeinschaftlich mit den 
Judäem nach dem an der Grenze gelegenen Gilgal; nach Jeru- 
salem gingen sie nicht. Im eigenen Lande dienten sie dem 
Jahve zu Bethel und Dan, zu Siehem und Samarien, zu Penuel 
und Mispa und an vielen anderen Orten; jede Stadt hatte ihre 
Bama, in der alten Zeit meist frei auf dem Berge gelegen, auf 
dessen halber Höhe die Menschen wohnten. Der grosse Eiferer 



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22 Geschichte des Culhis, Ka|>. 1. 

für den reinen Gottesdienst, Elias, nabm so wenig an den Höhen 
und an der Vielheit der Altäre Jahve's Anstoss, dass ihn ihre 
Zerstörung als die Spitze des Frevels erbitterte und er mit 
eigener Hand den verfallenen Altar auf dem Karmel wieder 
aufbaute. Und dass auch das improvisierte Opfer bei ausseror- 
dentlichen Gelegenheiten nicht ausser Brauch gekommen war, 
zeigt Elisa'« Beispiel, der als er hinter dem Pfluge weg berufen 
wurde, seine Rinder auf der Stelle zerstUekte und opferte. In 
dieser Hinsieht blieb also auch nach Salomo's Tempelbau Alles 
beim Alten. 

Wenn Volk und Richter oder Könige, Priester und Propheten, 
Männer wie Samuel und Elias ungescheut opferten, wo sie An- 
lass und Gelegenheit hatten, so hatte oflfenbav in jener ganzen 
Zeit Niemand arg davon, dass dies ketzerisch und verboten sei. 
Wenn eine Theophanie dem Josua die Heiligkeit Gilgals kund 
that, Gideon und Manoah veranlasste in ihrer Heimat Altäre zu 
gründen, David auf die Tenne Arauna's aufmerksam machte, so 
galt darnach Jahve selbst als der eigentliche Stifter aller dieser 
Heiligtümer, und zwar nicht bloss dem Zeitalter der Richter, son- 
dern viel gewisser noch dem Zeitalter des Erzählers dieser Le- 
genden. Durch eine gnädige Offenbarung belohnte er Salomo's 
erstes Opfer auf der grossen Bama zu Gibeon, er konnte also 
kein Ausfallen daran haben. Nach alle dem ist es absurd, von 
einer Illegitimität des faktischen Bestandes zu reden, in der 
ganzen älteren Zeit der ismelitischen Geschichte ist die Be- 
schränkung des Cultus auf einen einzigen auserwählten Ort auch 
als fromme Forderung Keinem bewusst gewesen. Wohl glaubte 
man in Bethel oder in Jerusalem Gott näher zu sein als an 
einer beliebigen anderen Stätte, aber solcher Pforten des Himmels 
gab es mehrere und es überwog doch immer die Vorstellung, 
die sich am greifbarsten 2. Reg. 5,17 ausspricht, dass Palästina 
als Ganzes Jahve's Haus, sein Grund und Boden sei. Nicht 
ausserhalb Jerusalems, sondern ausserhalb Kanaans weilte man 
fern von seinem Angesicht, unter der Herrschaft und — cuius 
regio eius religio — im Dienste fremder Götter, die Heiligkeit 
des Landes floss nicht aus der Heiligkeit des Tempels, sondern 

- - 1'). 

, 13, IG: indem liain aus dein Lande (Kanaan) vertrieben wird, 
T .vom Angesichte Jahve's (Jon. 1, 3. II) vertrieben. 46, i : Jakob 



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Der Ort des Gottesdienstes. 23 

2. Eine Änderung hierin bereitet sicli erst seit jener denk- 
würdigen Epoche der israelitischen Religionegesehichte vor, welche 
durch den Sturz Samarieus und dae demselben entsprechende 
Auftreten der Propheten bezeichnet wird. Arnos und Hosea 
setzen den Zustand voraus wie er eben beschrieben worden: 
itberall in den Städten, auf den Bergen, unter grünen Bäumen, 
eine Menge von Heiligtümern und Altären, wo dem Jahve ge- 
dient wird, in gutem Glauben, nicht um ihn zu ärgern, sondern 
um sein Wohlgefallen zu erwerben. Es war eine unerhörte Sprache, 
welche jene Männer führten, wenn sie verkündigten, Gilgal und 
Bethel und Beerseba, Jahve's Lieblingsstätten, seien ihm ein 
Greuel, die Opfer und Gaben, womit man ihn dort ehre, reizen 
seinen Zorn statt ihn zu beschwichtigen, unter den Trümmern 
seiner Tempel, wo es Schutz und Zuflucht suche, solle Israel 
begraben werden (Am. 9). Was wollten sie sagen? Man würde 
die Propheten falsch verstehen zu meinen, sie haben an den 
heiligen Stätten — die noch Arnos Bamoth nennt (7,9) und zwar 
ohne Spott, im höchsten Pathos — an und fitr sich Austoes ge- 
nommen, wegen ihrer Pluralität und weil es nicht die richtigen 
seien. Sie eifeni nicht gegen die Orte, sondern gegen den Cul- 
tus, der daselbst getrieben wird, und zwar nicht bloss gegen 
seine falsche Art, weil allerlei Missbräuche sich darin finden, 
sondern beinah mehr gegen ihn selber, gegen seine falsche Wert- 
soll sich mt:ht scheuen nach Ägypten ausziiwaatfeni, denn Jahve will, in 
ausnah ms weiser Gnade, seinen Wohnsitz mit ihm wechseln. Esod. 15, 
17: du brachtest dein Volk zum Berge deines Erbea, zum 
Orte, den du dir zur Wohnung bereitet hattest; die folgende 
Erklärung zum Heiligtum, das deine Haude gegründet hatten, 
föllt ans der Situation, der Berg des Erbes kann nichts anders sein als 
das gebirgige Land Palästina, 1, Sam. 26, 19: David, durch Saul in die 
Fremde getrieben, wird dadurch aus der Familien gern einschaft am Erbe 
Jahve's losgerissen und gezwungen, fremden Göttern zu dienen. Hos. 8, 1: 
ein Adl er gleicher stösst auf Jahve's Haus, d. h. der Ässyrer auf 
Jahve's Land; 9,15: aus meinem Hause will Ich sie vertreihen, 
d. h. die Israeliten aus ihrem Lande. Am deutlichsten redet Kos. 9, 3 — h: 
Sie bleiben nicht wobnon in Jahve's Lande, Ephraim muss wieder 
nach Ägypten nnd in Assur müssen sie Unreines essen: sie spenden 
Jahve keinen Wein mehr und schichten ihm keine Opfer; wie Trauerbrot 
ist ihr Brot, wer davon isst wird unrein, denn ihr Brot wird nur für den 
Hunger sein, kommt nicht in Jahve's Haus — was wollt ihr gar machen 
zur Zeit der Versammlung und am Tage des Festes Jahve's ! Vgl. Jer. IG, 
13. Ezech. 4, 13. Mai. 2, II. 2. Reg. 17, 2öf. Möglich auch, dass dar 
grosse Zorn 2, Reg. 3, 27 nicht sowohl als Zorn Jahve's , wie als Zorn 
Eamos' vorgestellt wird, in dessen Lande sich äas israeliüsche Heer 
befindet. 



i.GoQS 



24 Ocsthielile des Culhis, Kap, 1. 

Schätzung. Die gemeine Meinung war: wie Moab sich als des 
Kamos Volk beweist, weil es dem Kamos seine Opfer und Gaben 
darbringt, so Israel als Jahve's Volk, weil es dem Jahve seinen 
Cultus widmet, und es ist seiner um so sicherer, je glänzender 
und eifriger es ihn verehrt: in Zeiten der Gefahr und Not, wo 
naan seines Beistandes besonders bedurfte, verdoppelten und ver- 
dreifachten sieh die Anstrengungen. Das ist es, wogegen die 
Propheten opponieren, indem sie ganz andere Leistungen fordern, 
worin sieh das Verhältnis Israels zu Jahve lebendig erweisen 
müsse. Das ist der Grund, warum sie dem Cultus so feind 
waren; von da stammte ihr Hass gegen die grossen Heiligtümer, 
wo der abergläubische Eifer sieh selber überbot, ihr Zorn auf 
die Vielheit der Altäre, die auf dem Boden des falschen Ver- 
trauens üppig hervorwuchsen. Dass die Stätten abgeschafft wür- 
den, der Cultus selbst aber wie bisher die Hauptsache in der 
Frömmigkeit bliebe, nur zusammengedrängt an einen einzigen Ort, 
das war keineswegs, was sie wünschten. Aber mit durch ihre 
Predigt kam es in der Tat dahin, dass alle übrigen Bamoth der 
von Jerusalem das Feld räumten. Dazu wirkten freilich die 
äusseren Umstände auf das wesentlichste mit. 

So lange das nördliche Reich bestand, pulsirte dort der 
Hauptstrom israelitischen Lehens; man braucht bloss einen Blick 
in die Königsbücher oder in den Arnos zu werfen, um das zu 
erkennen. Zwar waren in Jerusalem die Tage Davids und Sa- 
lomo's unvergessen, sie wurden zurückgesehnt und grosse An- 
sprüche daraus hergeleitet, aber der Wirklichkeit entsprachen 
diese Ansprüche gar wenig. Da fiel Samarien, Israel schrumpfte 
auf Juda zusammen, Juda allein blieb als das Volk Jahve's übrig. 
Dadurch ward flir Jerusalem das Feld frei. Die Residenz hatte 
immer ein erdrückendes Uebergewicht über das kleine Land ge- 
habt, in ihr selbst aber trat die Stadt zurück gegen den Tempel. 
Aus den wenigen von Juda handelnden Erzählungen gewinnt 
man fast den Eindruck, als gebe es dort keine andere Angelegen- 
heiten als die des Tempels, und namentlich die Könige scheinen 
dieser Ansicht gewesen zu sein und die Sorge um ihr Palast- 
beiligtum für ihre allerwichtigste Aufgabe gehalten zu haben'}. 

') Beinah alle judäiachen Erzählungen 

den Tempel und um die Massnahmeu i 
Eeiligtume. 



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IHt Ort des (iottesdieiistcs. 25 

So kam die Bedeutung, welche dem Hause Juda durch den Fall 
Samariens zuwuchs, ia erster Linie der Hauptstadt und ihrem 
Heiligtume zu gut, zumal Überhaupt der Gewinn mehr ein geistiger 
als ein politischer war und mehr in der Steigerung des religiösen 
Selbstbewusetseins als in der der äusseren Macht bestand. Hatte 
schon immer das grosse Gotteshaus auf dem Sion die übrigen 
judäisehen weit überragt, so stand es nun ohne gleichen in ganz 
Israel. Um aber dies Resultat des Verlaufs der Dinge recht zu 
würdigen, dazu gaben die Propheten die Anleitung, Sie hatten, 
der Zeit gemäss, bisher vorzugsweise das Nordreieh, seinen 
drohenden Sturz und die Heillosigkeit seiner Bewohner im Auge 
gehabt, und so auch namentlich über die dortigen Cultusstätten 
ihren Zora entladen: Juda beurteilten sie aus persönlichen und 
sachlichen Gründen günstiger, und hofften, dass es erhalten bleibe, 
für Jerusalem verleugneten sie ihre Sympathien nicht {Am. 1,2). 
Unter dem Eindruck ihrer Rede wurde nun der Untergang Sa- 
mariens aufgefasst als ein Gottesgericht gegen das sündige König- 
reich zu Gunsten der verfallenen Hütte Davids, und die Zerstö- 
rung der israelitischen Heiligtümer galt als eine unmissverständ- 
liche Kundgebung Jahve's gegen seine älteren Sitze zu Gunsten 
seiner Lieblingswohnung auf dem Sion. 

Vollends der Umstand, dass Jerusalem aus der Gefahr, der 
die stolze Nebenbuhlenn erlegen war, zwanzig Jahre später 
triumphierend heiTorging, dass im kritischen Augenblicke die 
Assyrer unter Senaherib plötzlich abziehen mussten, steigerte die 
Verehrung des Tempels auf den höchsten Grad. Mit Recht pflegt 
man dabei die prophetische Wirksamkeit Jesaia's besonders in 
Anschlag zu bringen, dessen Vertrauen, dass der Fels Sions fest 
gegründet sei, unerschütterlich wurde, als derselbe unheimlich zu 
wanken anfing. Nur darf man nicht vergessen, dass für Jesaia 
die Bedeutung Jerusalems nicht am Tempel Salomo's hing, son- 
dern daran , dass es die Stadt Davids und der Inbegriff seines 
Reiches war, der Mittelpunkt nicht des Cultus, sondera der 
Herrschaft Jahve's über sein Volk. Der heilige Berg war ihm 
die ganze Stadt, als politisches Gemeinwesen mit ihren Bürgern, 
Räten und Richtern (11,9); sein Glaube an den festen Grundstein, 
auf dem Sion stehe, war weiter nichts als der Glaube an die 
lebendige Gegenwart Jahve's im Lager Israels. Aber anders ver- 
standen die Zeitgenossen den Sinn der Ereignisse und die Worte 



yGoOQJC 



26 ftcschichte dps Culhis, Kap. I, 

des Propheten. Für sie wohnte Jahve deshalb zu Sion, weil er 
dort sein Haus hatte, der Tempel war es, der durch die Ge- 
sehiehte als sein wahrhaftiger Sitz erprobt worden, und die Un- 
antastbarkeit des Tempels verbürg^te nun die Unzerstörbarkeit 
des Volkes selber. Ganz aligemein verbreitet war dieser Glaube 
zur Zeit Jeremia's, wie die höchst lebendige Schilderung in 
Kap. 7 seines Buches zeigt, aber schon zur Zeit Micha's, im 
ersten Drittel des siebenten Jahrhunderts, muss der Tempel als 
ein Gotteshaus ganz eigener Art gegolten haben, so dass es 
paradox war, ihn mit den Bamoth Juda's gleich zu stellen, und 
unerhöit, an seine Verwüstung zu glauben. 

Indessen so Überaus hoch und allgemein der Tempel ver- 
ehrt wurde, fco blieben die anderen Heiligtümer vorerst doch 
neben ihm bestehen. Zwar soll der König Hizkia schon damals 
einen Versuch gemacht haben sie abzuschaffen, der aber ganz 
spurlos verlaufen und darum zweifelhafter Natur ist. Sicher ist, 
dass der Prophet Jesaia nicht auf die Beseitigung der Bamoth 
hingearbeitet hat. In einer seiner spätesten Reden erwartet er 
von der Zeit der Gerechtigkeit und der Gottesfurcht, die nach 
der assyrischen Krisis anbricht: „dann werdet ihr den Überzug 
eurer silbernen Sehnitzwerke und den Beschlag eurer goldenen 
Gussbilder verunebren, verabscheuen wie Unflat; hinaus! werdet 
ihr dazu sagen" (30,22). Hofft er also auf eine Säuberung der 
Änbetungsstätten Jahve's von abergläubischem Wust, so ist klar, 
dass er sie nicht selber abgetan wiesen will. Erst etwa ein Jahr- 
hundert nach der Zerstöning Samariens ward in Wirklichkeit 
der Schritt gewagt, aus dem Glauben an die Einzigartigkeit des 
jerusalemiecheu Tempels die praktische Consequenz zu ziehen. 
Natürlich geschah dies nicht der blossen Folgerichtigkeit wegen, 
sondern in einer anderweiten heilsamen Absicht. Mit der weg- 
werfenden Art, womit die früheren Propheten bisweilen im Eifer 
ihrer Opposition vom Cultus sprachen, war praktisch nichts aus- 
zurichten; es kam nicht darauf an ihn abzuschaffen, sondern ihn 
zu reformieren, und daz usoUte seine Concentration in der Haupt- 
stadt als Mittel dienen. Propheten und Priester scheinen ge- 
meinschaftlich die Sache betrieben zu haben. Der Hohepriester 
Hilkia machte zuerst auf das gefundene Buch aufmerksam, wel- 
ches der Aktion zu Grunde gelegt werden sollte, die Prophetin 
Hulda bekräftigte dessen göttlichen Inhalt, die Priester und Pro- 



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Der Ort lies Oottesdienstes. 

pheten bildeten einen hervorragenden Beatandteil der ^ 
lung, worin das neue Gesetz veröffentlicht und beschworen wurde. 
Da nun ein enges Verhältnis der beiden leitenden Stände Über- 
haupt im Wesen der geistigen Entwicklung in Juda begründet 
und ftir dieselbe charaeteristisch erscheint'), so wird mau an- 
nehmen dürfen, dass das bei dieser Gelegenheit hervortretende 
Einvernehmen nicht lediglieh zu Zwecken der Inseenierung ge- 
stiftet war, sondern dass darauf schon der Gedanke einer der- 
artigen Umgestaltung des Cultus beruhte. In der Tat entsprach 
diese auch dem beiderseitigen Interesse, sowohl dem des Tempels, 
wie von selbst einleuchtet, als auch dem der prophetischen Re- 
formpartei. Für die letztere musste die Beschränkung des Opfer- 
dienstes an sich als ein Vorteil gelten; dieselbe hat hernach am 
meisten zu seiner Beseitigung beigetragen, und etwas von dem 
späteren Erfolg hat ohne Zweifel in der ursprünglichen Absiebt 
gelegen. Dazu kam, dass nur zu leicht der Jahve von Hebron 
als verschieden von dem zu Bethsemes oder zu Bethel angesehen 
wurde, und dass darum aus dem streng monarchischen Gottes- 
begriff die Folgerung floss, dass auch die Stätte seiner Wohnung 
und seiner Anbetung nur eine einzige sein könne; allenthalben 
bei den Sehriftstellern der chaldäischen Periode fällt der enge 
Zusammenhang auf, in dem der Monotheismus mit der Einheit 
des Cultus gedacht wird (Jerem. 2,28. 11,13). Die Wahl des 
Ortes aber konnte natürlich nicht zweifelhaft sein, der Mittel- 
punkt des Reiches musste auch der Mittelpunkt des Gottes- 
dienstes werden. Mochte Jerusalem und das Haus Jahve's da- 
selbst auch selber der Keinigung nicht unbedürftig sein, den 
Vorzug vor den Winkelaltären verdiente es doch. Es war der 
Sitz der geistlichen Bildung, unter den Augen der Propheten 
belegen, dem Licht und der Luft, der Reform und der Controle viel 
leichter zugänglich. Ausserdem mochte der kanaanitische Ur- 
sprung der meisten Bamoth, der z. B. dem Deuteronomium nicht 

') Wäbrend Hosea, der Nordisiaelit, häufig liie Pfaffen seiner Heimat aa- 
greift und ihnen die Hauptschuld an der Verauukenheit und Verblendung 
des Volkes beimiaat, sagt Jesaia auch in der zorniKsteii Standrede gegen 
den abergläubischen Gottesdienst" der Menge kein Wort gegen die Priester, 
mit deren Oberhaapte tFria er hingegen auf sehr vertrautem Fusse steht. 
Namentlich aber aus Jeremia's Buche, dem besten Spiegel der damaligen 
jüdischen Verhältnisse , lässt sich der enge Zusammenhacg tivrischen 
Priestern und Propheten erkennen. , Sie teilten sich gewissermassen beide 
in den Besitz des Heiligtuma, igl. Lament. 3, 20. 



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28 Ijesohichte des CuUiifi, Kap. 1. 

unbekaniit ist, zu ihrer Discreditierung beitragen, während die 
Gründung Jerusalems zu den stolzesten Erinnerungen der israeli- 
tischen Geschichte gehörte und die Lade, die dem dortigen Tem- 
pel der» Ursprung gegeben hatte, mit einem gewissen Recht als 
das einzige echt mosaische Heiligtum gelten konnte'). 

Im 18, Jahre Josia's, 621 v. Chr., fiel der erste schwere 
Schlag gegen die lokalen Opferstätten. Wie gewaltsam der 
König verfuhr, wie neu die Massregel war und wie tief sie in's 
Fleisch schnitt, lehrt der Bericht 2. Reg. 23. Welche Lebens- 
kraft hatten doch nooh immer die grünen Bäume auf den hohen 
Bergen I Sie wurden auch jetzt nur gekappt und nicht ent- 
wurzelt. Nach Josia's Tode sehen wir die Bamoth allenthalben, 
nicht bloss in der Landschaft sondern auch in der Hauptstadt 
selber, wieder auftauchen; so viel Städte, so viel Altäre in Juda, 
muss Jeremia klagen. Was von der reformatorischen Partei er- 
reicht war, war einzig die feste Position eines geschriebenen 
und feierlich von allem Volk beschworenen Gesetzes, das noch 
immer von Gottes wegen zu Rechte bestand. Aber dasselbe 
wieder in Kraft zu setzen und durchzuführen war nicht leicht, 
und alleine den Anstrengungen der Propheten, eines Jeremia 
und Ezechiel, wäre es wohl nicht gelungen. 

3. Wären die Judäer ruhig in ihrem Lande geblieben , so 
wäre die josianische Reformation schwerlich im Volke durch- 
gedrungen, weil die Fäden zu stark waren, welche die Gegen- 
wart mit der Vergangenheit verbanden. Um die Bamoth, au die 
sich von den Vätern her die heiligsten Erinnerungen knüpften, 
die wie Hebron und Beerseba durch Abraham und Isaak selber 
gestiftet waren, in den Ruf abgöttischer und ketzerischer Greuel- 
stätten zu bringen, dazu bedurfte es eines vollständigen Durch- 
schneidens der natürlichen Ti-adition des Lebens, des Zusammen- 
hangs mit den ererbten Zuständen. Dies ward bewirkt durch 
das babylonische Exil, wodurch die Nation gewaltsam aus ihrem 
Matterboden losgerissen wurde und für ein halbes .Jahrhundert 
von demselben getrennt blieb — ein Einschnitt in die geschicht- 

') Luther an den deutschen Adel rath zum zwanzigsten: dass die wilden 
Capellen und Feldkirehen würden verstöret, als des Teufels Gespenst, das 
er treibet, den Geiz zu stärken, falsche erdichtete Glauben aufzurichten, 
Pfarrkirchen zu sohirächeQ, Tabemen und Hurerei zu mehren, unnütz 
Geid und Arbeit zu verlieren und nur das arme Volk mit der Nasen 
umzuführen (Niemeyor's Neudruck S. 54). 



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Der Ort des Gollesdienstes. 29 

liclie Continuität, wie er kaum grösser gedacht werden kann. 
Die neue Generation hatte kein natUrlicheB, sondern nur nooh 
ein künstliches Verhältnis zn der Vorzeit, die so fest eingewur- 
zelten Gewächse des alten Ackers, Dornen in den Äugen der 
Frommen, waren ausgerissen, der Neubruch bereit für neuen 
Samen. Es ist allerdings nicht an dem, dass eine allgemeine 
Bekehrung im Sinne der Propheten damals das ganze Volk er- 
griffen hätte. Vielleicht die Mehrzahl gab die Vergangenheit 
überhaupt preis, verlor sieh aber eben dadurch unter den Heiden 
und kam für die Zukunft nicht mehr in Betracht. Nur die 
Frommen, die zitternd Jahve's Worte folgten, blieben der Rest; 
sie allein hatten die Kraft, in dem Völkergewoge, in dem sie um- 
hertrieben, die judische Besonderheit zu bewahren. Aus dem 
Exil kehrte nicht die Nation zurück, sondern eine religiöse Sekte, 
, welche sich mit Leib und Seele den reformatorischen 
argeheu hatten. Es ist kein Wunder, dass diesen Leuten, 
die sich noch dazu bei ihrer Heimkehr alle in der nächsten Um- 
gebung Jerusalems ansiedelten, nicht der Gedanke kam, die 
lokalen Culte herzustellen. Es kostete sie keine Kämpfe, die 
zerstörten Bamoth in Trümmern liegen zu lassen, ihnen war es 
völlig in Fleisch und Blut übergegangen, dass der eine Gott 
auch nur eine Aubetungsstätte habe, und seitdem galt das für 
alle Folgezeit als eine selbstverstäudliche Sache. 



IL 

Dies war der faktische Verlauf der Centralisation des Cultus, 
diese drei Stadien kann man unterscheiden. Lässt sich nun eine 
Correspondenz zwischen den Phasen des wirkliehen Hergangs 
und denen der Gesetzgebung in diesem Punkte aufzeigen? Die 
drei Schichten der Gesetzgebung enthalten sämmtlieh Bestim- 
mungen über den Opferdienst und die Opferstätten. Es ist an- 
zunehmen, dass dieselben irgendwie in der Geschichte wurzeln 
und nicht völlig ausser oder über dem Boden der Wirklichkeit 
in der Luft schweben. 

1. Das jehovistische Hauptgesetz, das sogenannte Bundes- 
bnch, enthält Exod. 20,24^26 folgende Verordnung: „einen Altar 
von Erde sollst du mir machen und dai'auf deine Voll- und 
Sehlaehtopfer, deine Schafe und Rinder opfern; an jedem Orte, 
wo ich meinen Namen ehren lasse, will ich zu dir kommen und 



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30 Geschichte des Culfus, Kap, T. 

dich eegneB. Oder wenn du mir einen Altar von Steinen machen 
willst, so sollst du nicht mit behauenen bauen; denn hast du 
dein Eisen darüber geschwungen, so hast du sie entweiht. Und 
nicht auf Stufen sollst du zu meinem Altar aufsteigen, damit 
nicht deine Scham vor ihm entblösst werde." Ohne Zweifel ist 
hier nicht der Altar der Stiftshütte, der aus Holz gezimmert und 
mit Erz überzogen war, oder der des salomonischen Tempels, 
der an seiner Ostseite eine Treppe ') und rings herum auf halber 
Höhe einen Umgang hatte, als der einzig wahre beschrieben. 
Dahingegen gilt augenscheinlieh eine Vielheit ron Altären nicht 
bloss als zulässig, sondern als selbstverständlieh. Denn es wird 
gar kein Wert darauf gelegt, immer die gleiche sei es stehende 
oder gar überallhin mitzuschleppende Opferstätte zu haben; Erde 
und unbehauene Feldsteine') findet man allerwegen, und sie 
zei-fallen ebenso leicht als sie zusammengeschichtet werden. 
Auch wird zweierlei Material zur Wahl gestellt, nach der ur- 
sprünglichen Meinung doch wohl zum Bau yerschiedener Altäre; 
und nicht an dem Orte, sondern an jedem Orte, wo er seinen 
Namen ehren lässt, will Jahve zu seinen Anbetern kommen und 
sie segnen. Das iu Rede stehende Gesetz steht also im Ein- 
klänge mit Sitte und Brauch der ersten geschichtlichen Periode, 
wurzelt darin und sanctioniert sie. Allerdings scheint die Freiheit 
überall zu opfern etwas beschränkt zu werden durch den Zusatz: 
überall, wo ich meinen Namen ehren lasse. Aber das hat weiter 
nichts zu bedeuten als dass man die Stätte, wo der Verkehr 
zwischen Himmel und Erde vor sich ging, nicht gerne als vrill- 

') Der Altar des zweiten Tempels hatte keine Stufen, sondern einen schrä- 
gen Aufgang, ebenso nach der Meinung der Juden auch der der Stifts- 
hüttfi. Der Grund nbrigens, weshalb Exod, 20, 26 die Stufen verboten 
werden, föllt hinweg, wenn die Priester Hosen halten (Exod, 28,42). 

■) Der Plural der Slfline ist vielleicht bemerkenswert. Es gab auch Opfer- 
statten aus einem grossen Steine 1. Sam. 14, 33. 6,14.15. 2. Sam. 20,8. 
Jud.GjSO, 13,19.20. I.Reg.1,9; dahin gehört wol ursprünglich auch die 
Tenne Arauna's 2. Sam. 24, 21, vgl. Esdr. 3, 3 mUlSO bV' ßaaber 
solche einzelne heilige Felsen leicht in eine mythologische Beziehung zur 
Gottheit traten, so nahm man Anstoss daran, wie aus dem Nachtrag 
Jud. G, 22r-24 erhellt, worin der Pelsaltar, der als Sitz der Theophanie 
gedachte Stein unter der Eiche, auf dem Gideon opfert und aus dem 
die Flamme schl&gt (6,19—21), in einen Altar auf dem Felsen verbessert 
wird. Die Masseboth werden Esod. 24, 4 vom Altar unterschieden, an- 
derewo jedoch offenbar damit gleichgesetzt Gen. 33, 20 und überall mehr 
oder weniger mit der Gottheit identificirt Gen. 28. 



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Der Ort des Gottesdienstes. gj 

kürlich gewählt gelten Hess, Boiidem als irgendwie durch die 
Gottheit selbst zu ihrem Dienste ausersehen betrachtete. 

Mit dem jeho vis tischen Gesetze stimmt die jehovistische Er- 
zählung des Pentateuchs vollkommen überein, wie namentlich 
die Patriarchengeschichte in J und E sehr deutlich lehrt. Über- 
all, wo sie wohnen oder vorübergehend sich aufhalten, gründen 
hiernach die Erzväter Altäre, richten Malsteine auf, pflanzen 
Bäume, graben Brunnen. Das geschieht nicht an gleichgiltigen 
zufälligen Orten, sondern zu Sichern und Bethel in Ephraim, zu 
Hebron und Beerseba in Juda, zu Mispa Mahanaim Penuel in 
Gilead: an lauter berühmten altheiligen Cultusstätten. Daran 
hängt das Interesse solcher Angaben, es sind keine antiquarischen 
Notizen, sondern roll der lebendigsten Bedeutung für die Gegen- 
wart der Erzähler. Der Altar, den Abraham zu Sichern gebaut 
hat, ist eben der, auf dem noch immer geopfert wird, und trägt 
„bis auf den heutigen Tag" den Namen, den ihm der Patriarch 
gegeben; wo er zu Hebron den Jahre zum ersten Male bewirtet 
hat, da wird diesem seither beständig der Tisch bereitet; wie 
Isaak so schwören seine Söhne noch immer (Am. 7, 14. Hos, 4, 15) 
bei dem heiligen Brunnen von Beerseba, den er gegraben und 
opfern dort auf dem Altar, den er gebaut, unter der Tamariske, 
die er gepflanzt hat; den Olstein Jakobs zu Bethel salbt noch 
das lebende Geschlecht und bezahlt den Zehnten, den jener 
einst dem dortigen Gotteshause gelobte. Darum sind auch die 
Stellen dieser Reliquien dem Berichterstatter so wohl bekannt 
und werden auf den Punkt genau angegeben, trotz der 400 Jahre 
des ägyptischen Aufenthalts, welche die Wiederanffindung sonst 
einigermassen erschwert haben würden. Der A^ta,r, den Abraham 
zu Bethel errichtete, liegt auf dem Berge östlich von der Stadt, 
zwischen Bethel im Westen und Ai im Osten; andere sind durch 
einen Baum oder eine Quelle fixirt, wie der von Sichern oder 
Natürlich aber war es nicht die Absicht, den 



') Das richtige Verständnis bei Ewald, Geach, des V. I. P S. 436f, A.Bern- 
stein (Ursprung der Sagen you Abraham u. s. w.; Berlin 1871) bringt die 
Politik hinein, in garstiger Weise. „Er betritt zwar nicht Sichern und 
Bethel selber — dies sind Stätten, die Jehnda feindlich sind — aber in 
echt jehudäischer Demonstration erbaut er in ihrer Nähe Altäre und ruft 
an den Namen Jehova's" (S. 22). Er baut vielmehr die Altäre genau an 
den Stellen, wo sie später nachweislich standen^ sie standen nicht inner- 
halb der Städte! In Gen. 18 wird auch die Eiche Mamre nicht gebraucht, 



yGoügft: 



32 Geschichte des Cultus, Kup, 1. 

Cult-us der Gegenwart dadurch za veruneliren , dass mau seine 
Einrichtung den Erzvätern zuechrieb. Diese Legenden glorificieren 
vielmehr den Ursprung der Stätten, an denen sie haften, und 
umgeben sie mit dem Nimbus altersgrauer Weihe. Um so mehr, 
als die Patriarchen ihre Altäre in der Kegel nicht nach eigenem 
Gutdünken errichten, wo es ihnen beliebt; sondern eine Theo- 
phanie macht sie aufmerksam auf die Heiligkeit des Ortes oder 
bestätigt dieselbe wenigstens nachträglich. Jahve erscheint dem 
Abraham bei Sichern, da erbaut jener den Altar „dem ihm er- 
schienenen Jahve"; er isst bei ihm unter der Eiche Mamre, das 
ist der Ursprung des Opferdieustes daselbst; er zeigt ihm den 
Ort, wo er seinen Sohn darbringen soll, da steht noch heute die 
Stätte. In der ersten Naeht, wo Isaak auf dem heiligen Boden 
von Beerseba schläft (26, 24), erhält er den Besuch des dort 
wohnenden Numen und baut in Folge davon den Altar; über- 
rascht von profanen Blieken wirkt Jahve vernichtend, aber frei- 
willig weist er selbst seinen Lieblingen die Orte, wo er sich 
schauen lassen will; und wo Menschen ihn gesehen haben und 
lebendig geblieben sind, da bezeichnet ein Heiligtum den offen 
stehendeo Zugang zu ihm. Der Inhalt der Offenbarung ist dabei 
verhältnismässig gleichgiltig: ich bin die Gottheit; das Wichtige 
ist die Theophanie an sich, ihr Erfolgen an dem betreffenden 
Orte, Man darf sie nicht als ein vereinzeltes Factum ansehen, 
sondern vielmehr als den eklatanten Anfang eines an dieser 
Stelle fortzusetzenden Verkehrs (Hin' ''15 HNI) zwischen Gott und 
Mensch , gleichsam als die erste und stärkste Äusserung der 
Heiligkeit des Bodens. In grösster Klarheit und mit unver- 
gleichlicher Anmut tritt uns diese Vorstellungsweise in dem Be- 
richte über die Kimmeisleiter entgegen, welche Jakob zu Bethel 
sah. „Ihn träumte, da war eine Leiter, die stand auf der Erde 
und ihre Spitze rührte an den Himmel, und siehe die Engel 
Gottes stiegen daran auf und nieder. Und er fürchtete sieh und 
sprach: wie schauerlich ist diese Stätte, dies ist nichts anderes 
als ein Haus Gottes und dies ist die Pforte des Himmels." 
Die Leiter steht an dieser Stätte nicht bloss in diesem Augen- 
blick, sondern immer und gleichsam von Natur; Bethel — das 



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Der Ort des Gotfesdienstes, 33 

erkennt Jakob daraus — ist ein Ort, wo Himmel und Erde sich 
berühren, wo die Engel auf und niedersteigen, um den an diesem 
T höre von Gott geetifteten Verkehr zwischen Himmel und Erde 
zu yermitteln. 

Dies Alles ist nur zu verstehen als eine Verklärung der 
Verhältnisse und Einrichtungen des Cultus, wie wir sie etwa in 
den ersten Jahrhunderten des geteilten Reiches antreffen. Alles 
was einer späteren Zeit anstössig und heidnisch erscheint, wird 
hier durch Jahve selbst und seine Lieblinge geweiht und auto- 
risiert, die Höhen, die Malsteine (Masseboth), die Bäume, die 
Brunnen'). Zwischen dem jehovistischen Gesetze, welches die 
bestehenden Cultusstätten sanctioniert , und der jehovistischen 
Erzählung herrscht wesentliche Übereinstimmung, die letztere 
ist ihrem Fundamente nach vielleicht noch etwas älter. Beide 
gehören augenscheinlich der vorprophetisehen Periode an — 
eine spätere Bearbeitung der Erzählung in prophetischem Sinne 
hat das Wesen ihres Kernes nicht geändert. Es ist undenkbar, 
dass Amos und Hosea oder ein ähnlich gesonnener Mann mit 
so teilnehmender Liebe und gläubiger Ehrfurcht sich in Ge- 
schichten versenken konnte, die nur dazu dienten, dem bestehen- 
den Gottesdienst, wie ihn das Volk auf den Höhen Isaaks als 
seine heiligste Angelegenheit trieb , noch mehr Nimbus und 
grösseres Ansehen zu verleihen. 

2. Das jehovistische Bundesbueh liegt zwar dem Deutero- 
nominm zu Grunde, aber in einem Punkte differieren sie beträcht- 
lich, und das ist grade der, der uns hier angeht. Wie dort, 
so eröffnet auch hier eine Verordnung über den Altardienet die 
eigentliche Gesetzgebung (Deut. 12), aber hier hält nun Moses 
seinen Israeliten folgende Rede: „Wenn ihr in das Land Kanaan 
kommt, so sollt ihr alle daselbst vorfindlichen Cultusstätten zer- 
-stören und nicht in der Weise wie die Heiden ihre Götter ver- 
ehren, ebenso thun dem Jahve 'eurem Gotte, Vielmehr nur an 
dem Orte, den Jahve aus allen euren Stämmen sich zur Woh- 
nung erwählen wird, sollt ihr ihn suchen und dort eure Opfer 
und Gaben darbringen und dort vor ihm essen und euch freuen. 

') Aber nur der öffentliche Cultus, namentlich an gewissen Hauptstätten, 
wird gloriliciert; dagegen der häusliche Penatencultas, an dem besonders 
die Weiber hüngeii, schon von Jakob (in E) gemisbiüigt. Ascheren wer- 
den nicht erw&hnt, Gussbilder verworfen, namentlich von E, Vielleicht hat 
hier schon in JE eine Correctur der alten Sage statt gefunden. 



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34 Geschichte des Cultus, Kap. 1. 

Gegenwärtig thun wir so wie es jedem gut dlinkt, aber wenn ihr 
zu festen Sitzen und zur Ruhe Tor den Feinden gelangt seid, 
80 soll der Ort, den Jahve sich in einem eurer Stäinme zur 
Wohnung erwählen wird, der einzige sein, wohin ihr eure Opfer 
und Gaben bringt. Htttet euch , an einem beliebigen Orte zu 
opfern, ihr dürft nicht in jeder Stadt eure heiligen Abgaben ver- 
zehren, sondern nur au der Statte, die Jahve erwählen wird." 

Das Gesetz wird nicht müde, die Forderung der lokalen 
Einheit des Gottesdienstes immer und immer zu wiederholen. 
Es tritt damit dem „was wir gegenwärtig zu thun gewohnt sind" 
bewusst entgegen und bekämpft die bestehende Sitte, es hat 
durch und durch polemischen, reformatorisehen Charakter. Mit 
Recht wird es darum von der geschiehtUeheu Kritik in die Zeit 
der Angriffe der jerusalemisehen Reformpartei gegen die Bamoth 
gesetzt. Wie das Bundesbuch und überhaupt das ganze jeho- 
vistisehe Schriftwerk die erste vorprophetische Periode der Cultns- 
geschiehte refleetiert, so ist das Deuteronomium der gesetzliebe 
Ausdruck der zweiten Periode des Kampfes und des Überganges 
— dieses historische Nacheinander ist um so sicherer, da die 
literarische Abhängigkeit des Deutei onomiums von den jeho- 
vistisehen Gesetzen und Erzählungen ohnedies erwiesen und an- 
erkannt ist. Nahe liegt es daher auch zu glauben, dass das 
Buch, dessen Auffindung dem König Josias den Antrieb zur Zer- 
störung der lokalen Heiligtümer gegeben bat, eben das Deute- 
ronomium gewesen sei, welches ursprünglich selbständig und in 
einer kürzeren Gestalt existiert haben muss. Wenigstens bringt 
von allen Büchern des Pentateuchs nur dieses die Beschränkung 
des Opferdienstes auf den einen erwählten Ort so gebieterisch 
zum Auedruck, nur hier maelit sieh die Forderang in ihrer 
aggressiven Neuheit so fühlbar und beherrscht die ganze Ten- 
denz des Gesetzgebers. Das alte Material, welches er sonst- 
benutzt, gestaltet er überall nach dieser Rücksicht um, nach allen 
Seiten geht er den Consequenzen der Massregel nach; um ihre 
Durchführung zu ermöglichen ändert er frühere Einrichtungen, 
erlaubt was verboten, verbietet was erlaubt war; fast immer 
steht bei seinen übrigen Neuerungen diese im Hintergrunde. 
So, wenn er gestattet zu schlachten ohne zu opfern und zwar 
an jedem Orte, wenn er, um nicht mit den Altären zugleich die 
Asyle (Exod. 21, 13. 14 1. Reg. 2, 28) abzuschaffen. 



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Der Ort des f.<ittesdien^t(^. 35 

Zuflucbtsstädte für unschuldig Verfolgte einrichtet, wenn, er fdr 
die Priester der aufgehobenen Heiligtümer sorgt, den Provinzialen 
empfiehlt bei ihren Opferwal Ifahrteu sie mitzunehmen, und ihnen 
das Recht gibt, im Tempel zu Jerusalem zu amtieren, so gut wie 
der dort erbgeseseene Clerus. Auch übrigens dominiert der be- 
regte Gesichtspunkt, z. B. werden hauptsächlich ihm zu liebe 
die alten Verordnungen und Bräuehe betreffend die Abgaben 
und die Feste dargestellt, wie sie sich nun ausnehmen mUssen. 
, Ein 80 lebendiges Gesetz, das sich überall an der Wirklichkeit 
reibt, gegen das Hergebrachte kämpft, durch Abrechnung mit 
den Bedürfnissen der Praxis sich Bahn bricht, i&t keine Yelleität, 
kein Hirngespinnst eines mUssigen Kopfes, sondern ebenso ent- 
standen aus geschichtlichem Aulass, wie- in den Verlauf des ge- 
sehiehtlichen Processes wirksam einzugreifen bestimmt. Ein 
sachgemässes Urteil kann demselben dahep uur einen geschicht- 
lichen Platz anweisen, in der Reformbewegung, die durch den 
König Josias zum Siege gebracht worden ist. 

3. Über den Priestercodex ist die Meinung verbreitet, dass 
er sieb in dieser Sache ziemlich iudiffei-ent verhalte, weder die 
Vielheit der Opferstätten erlaube noch auf die Einheit Gewicht 
lege, und dass ihm dieser Haltung wegen die Priorität vor dem 
Denteronomium zukomme '). Diese Meinung ist, gelinde gesagt, 
oberflächlich in hohem Grade. Die Voraussetzung der Concen- 
trierung des Gottesdienstes auf einen einzigen Mittelpunkt durch- 
dringt den Priestevcodex ganz und gar. Wer sich um sie zu 
erweisen auf Lev. 17 oder auf Jos. 22 beruft, der zeigt, dass er 
Exod. 25 bis Lev. 9 von Anfang bis zu Ende nicht verstanden 
hat. Ehe noch irgend eine die Materie des Cultus betreffende 
Verordnung gegeben werden kann — das ist der Sinn jenes 
grossen Abschnitts — muss erst der rechte einige Ort desselben 

') De Wetie, Habilitationsschrift über das Denteronomium (Jena 1805) unter 
6): de hoc unico. cultus sacri Jooo . . . priores libri nihil omniuo habent. 
De sacriflciis tantum unjce ante tabeniacnlum conventas offereiidis lex 
quaedam eistat. Sed in legibus de diebus festis, de primitiis et dacimis, 
tarn saepe repetitis, nihil omniao monituni est de loco unieo, nbi cele- 
brari et offerri debeant (Opusc. theol. S. 1G3 — 165). Vgl. Jahrbb. für 
Deutsche Theologie 1877 S..423: Es ist ein höchst verwunderlicher 
Irrtum, zu meinen, dass abgesehen von Lev. 17 im Priestercodei von 
Einheit des Cultusortes nichts m finden sei; die Stiftehutte ist ja doch 
die Basis des Ganzen, ohne welche es zusammenbräche, und sie hat keine 
andere Bedeutung als eines Gesetze.^ dei- Cultnseinheit ia historischer 
Form. 



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. 36 Geschichte des Cultua, Kap. I. 

vovhauden sein. Die Stiftshütte ist nicht bloss Historie, sondern 
wie alle Historien in jenem Buch ist sie zugleich Gesetz, sie 
drückt die gesetzliche Einheit des Cultus als gesehiohtliche That- 
saelie aus, die von Anfang an, seit dem Auszuge aus Ägypten, 
in Israel bestanden habe. Ein Gott, ein Heiligtum — ■ das ist 
ihre Meinung. Mit ihrer Einrichtung, die den Inhalt der gött- 
lichen Offenbarung auf den Sinai ausmacht, wurde die Theo- 
kratie begründet; wo sie ist, da ist jene. Ihre Beschreibung 
steht darum ebenso an der Spitze des Priestereodex, wie die des 
Tempels an der Spitze der Gesetzgebung Ezecbieis. Sie ist die 
Grundlage und der unentbehrliche Boden, ohne den alles Andere 
in der Luft stünde; erat muss die Stätte der göttlichen Gegen- 
wart auf Erden da sein, ehe die heilige Gemeinde ins Leben 
und der Cultus in Kraft treten kann. Glaubt man, die Stifts- 
hütte dulde noch andere Heiligtümer neben sich? Wozu dann 
aber das Lager der zwölf Stämme um sie herum, das keine 
kriegerische, sondern rein geistliehe Bedeutung hat und seinen 
ganzen Sinn von dem heiligen Mittelpunkte aus empfängt? wo- 
her diese Coneentration des ganzen Israels zu einer einzigen 
grossen Gemeinde (mjJ> ^np), die nirgends im Alten Testamente 
ihres gleichen hat? Vielmehr es gibt nur diesen einen Ort, wo 
Gott wohnt und sich schauen lässt, nur diesen einen, wo der 
Mensch sieh ihm nahen und mit Opfern und Gaben sein Antlitz 
i kann. Diese Anschauung durchzieht die ganze Eitual- 
ibung des mittleren Pentateuehs wie etwas das sich gar 
nicht anders denken lässt. Bezeichnend dafür ist besonders das 
Überall beiläufig eingesti'eute nVll2 bnti 'JE^ (vor der Stiftshütte), 
namentlich in der Opferordnung. 

Was folgt nun hieraus für die geschichtliche Eingliederung 
des Priestercodex, wenn man eine solche überhaupt für nötig 
hält? Er kann nicht in die erste Periode verlegt werden, conse- 
quenterweise so wenig wie das Deuteronomium. Aber in welchem 
Verhältnis steht er zu diesem? Im Deuteronomium wird die Ein- 
heit des Cultus gefordert, im Priestercodex wird sie voraus- 
gesetzt. Stillschweigend liegt sie ihm allenthalben zu Grunde, 
aber mit ausdrücklichem Anspruch macht sie sich nirgend gel- 
tend '), sie ist nichts Neues, sondern etwas ganz Selbstverständ- 

') abgesehen von Lev. 17, aber das kleine Corpus Lev. 17— 2G bildet aueli 
erst ilen Obergang vom Deuteronomium zum Priestercodex. 



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Her Ort des fiottesdienstes. 37 

liches. Was folgt daraus fftr unsere Frage? Midi dünkt: das, 
dass der Priestercodex auf dem Resultate fusst, welches das 
Deuteronomium anstrebt. Dieses steht miften im Kampf «nd 
in der Bewegung, deutlich spricht es seine reformatorische Ab- 
sieht aus, seinen Gegensatz gegen das Hergebrachte „was wir 
gegenwärtig zu thun pflegen"; jener steht ausser und über dem 
Streit, das Ziel ist erreicht und sicherer Besitz geworden. Auf 
Grund des Priestereodex wäre nie eine Reformation erfolgt, kein 
Josias hätte daraus gemerkt, dass der dermalige Zustand ver-, 
kehrt sei und umgestaltet werden müsse; es wird ja gethan, als 
sei Alles seit je in bester Ordnung. Und auch nur im Deutero- 
nomium sieht man hinein in die Wurzel der Sache und erkennt 
ihren Zusammenhang mit der Sorge für einen strengen Mono- 
theismus und für die Entfernung volkstümlich-heidnischer Ele- 
mente aus dem Gottesdienste, also mit einem tieferen und wirk- 
lich wertvollen Zwecke; im Priestereodex beruht die Ratio der 
an sieh doch keineswegs rationellen Einrichtung auf ihrer eigenen 
,, Legitimität", wie alles Thatsäehliche för die Gewohnheit natür- 
lich erseheint und unbedürftig der Motivierung. Nirgends tritt 
hier hervor, dass die Abscliaffimg der Bamoth mitsamt Ascheren 
und Malsteinen der eigentliche Zweck ist, diese Institute sind 
kaum noch bekannt, und was nur als negative und polemische 
Massrege! sich begreifen lässt, wirdals in sich sinnvoll ange- 
sehen. 

Die Idee als Idee ist älter wie die Idee als Geschichte. Im 
Deuteronomium trägt sie ihre angeborene Farbe, tritt fordernd 
und aggressiv der Wirklichkeit entgegen. Nur insofern aller- 
dings als sie dem Moses in den Mund gelegt wird, geschieht ein 
Schritt sie geschichtlich einzukleiden; aber dieser Anfang hält 
sich in bescheidenen Clrenzen. Moses stellt nur das Gesetz auf; es 
auszuführen, macht er weder für seine eigene Zeit Anstalten 
noch verlangt er es von der nächsten Zukunft. Vielmehr soll 
dasselbe erst in Kraft treten, wenn das Volk mit der Eroberung 
des Landes fertig und zur Ruhe gelangt ist. Es ist oben ver- 
mutet, dass der letztere Termin die Giltigkeit des Gesetzes bis 
auf die Tage Davids und Salomos (1. Reg. 8, 16) hinausrUcke. 
Dies ist um so wahrscheinlicher, da zu seiner Ausführung „der 
Ort, den Jahve erwählen wird" gehöi-t, womit nur die judäische 
Hauptstadt gemeint sein kann. Davon also, dass das was sein 



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3^ Oeschichffi ries ('ultiis, Kap. 1. 

soll, auch Ton jeher geschiohtlieh dagewesen sei, weiss das 
Denteronomium gar nichts; bis auf den salomonischen Tempel 
hat die Cultuseinheit eigentlich nicht einmal zu Rechte bestanden, 
und dass sie von da ab auch mehr eine fromme, als 'eine 
praktische Forderung gewesen sei, steht unverkennbar zwischen 
den Zeileu. Dahingegen der Priestereodex kann so wenig von 
ihr abstrahieren, dase er sieh Israel ohne sie in keinem Äugen- 
blicke vorstellen kann, dass er ihr thatsächliches Vorhan- 
densein bis in den Anfang der Theokratie hinaufrückt und dem- 
gemäss die alte Geschichte völlig umgestaltet. Die Grundlage 
der Concentration des Gottesdienstes, der Tempel, der in Wirk- 
lichkeit erst von Salomo gebaut wurde, gilt hier auch für die 
unruhige Zeit der Wanderung, die der Sesshaftigkeit vorherging, 
als so unentbehrlich, dass er tragbar gemacht und als Stiftshlltte 
in die Urzeit versetzt wird. Denn diese ist in Wahrheit nicht 
das Urbild, sondern die Copie des jerusaiemlschen Tempels. Die 
beiderseitige Ähnlichkeit ist bekannt'), aber mit nichten wird 
1. Keg. 6 berichtet, dass Salomo das ältere Muster benutzt und 
seinen tyrischen Meistern befohlen habe, sich daran zu halten. 
Näher erhellt die Posteriorität des mosaischen Baues aus folgen- 
den zwei von Graf (S. 60SF.) hervorgehobenen Punkten. Erstens 
ist bei der Beschreibung der Stiftshütte wiederholt von ihrer 
Hüd- Nord- und Westseite die Rede, ohne vorhergehende An- 
ordnung einer bestimmten und stets gleichen Orientierung der- 
selben: diese wird stillschweigend vorausgesetzt, weil sie vom 
Tempel hergenommen ist, der ein festes Gebäude war und 
seinen Platz nicht wechselte. Zweitens ist der eherne Altar 
eigentlich als ein hölzerner beschrieben, der nur mit Ei-z über- 
zogen ist: für einen Herd gi-össten Umfange, auf dem beständig 
ein gewaltiges Feuer brennt, eine völlig widersinnige Construction, 
die nur aus dem Bestreben erklärlich ist, den ehernen Altar, den 
Salomo gegossen hatte (2. Reg. 16,4), dadurch transportabel zu 
machen, dass man seinen Kern in Zimmerwerk verwandelte. 
Die Hauptsache bleibt indessen, dass die Stiftshtitte des Priester- 
codex ihrer Bedeutung nach nicht ein einfaches provisorisches 
Obdach der Lade auf dem Marsche ist, sondern das einzige 

'} Sap. Sal. 9,8 heisst der Tempel ein ^(|ji,Tjiia oxijv^t ifbit. Josephus sagt 
Ant. 111 6, 1 von der Hütte: Sj 5' oiBev jiETatpepojiEvou xai au/jiTEpivoaToüvm; 



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]>er Oii lies Gottesdienslfs. 39 

legitime Heiligtum der Gemeinde der zwölf Stämme Tor Salomo 
und darum also eine Projection des späteren Tempels '}. Wie 
bescheiden und fast verlegen nimmt sich gegen diese dreiste 
Thatsache einer yon Anfang an gegebenen Grundlage der Cen- 
tralisation der deuteronomiselie Hinweis auf den zukünftigen Ort 
aus, den Jahve erwählen werde! Hier ist gewisserraassen nur 
die Idee in des Gesetzgebers Geiste vorhanden und beansprucht 
erst für eine weit spätere Zeit reale Wirksamkeit, dort hat sieh 
die mosaische Idee auch einen mosaischen Körper nach- 
wachsen lassen, mit dem sie gleich von Anfang an leibhaftig in 
die Weit tritt'). 

Auf demselben einfachen historischen Wege, wie der Priester- 
' codex das CentraUieiligtum in die vorsalomonisehe Zeit hinein- 
pflanzt, schafft er die anderweitigen Cultusstätten aus der Luft. 
Seine achtundvierzig Levitenstädte sind -zum gi-ossen Teil nach- 
weislich eine zeitgemässe Metamorphose der alten ßamoth. Der 
Altar, den Jos, 22 die ostjordanischen Stämme bauen, soll bei 
Leibe nicht in der Absicht ihn zu gebrauchen errichtet sein, 
sondern nur so zum Andenken an jrgend etwas. Sogar die vor- 
mosaische Zeit wird in dieser Weise purificiert. Weil die Patri- 
arehen keine Stiftshütte haben, so haben sie überhaupt keinen 
CultUB, sie bauen nach dem Priestereodex keine Altäre, bringen 
keine Opfer und halten sieh sorgfältig von allem fern, wodurch 
sie dem Privileg des einzig wahren Heiligtums irgi 
greifen könnten. Diese Gestaltung der Erzvätergf 
nur die äusserste Oonsequenz des Streben», gleichsam das Semper 
ubique et ab omnibus der gesetzlichen Cultuseinheit gesehichtr 
lieh durchzuführen. 

Also im Deuteronomium liegt die Institution in den Geburts- 
wehen und hat im Kampf mit der Praxis der Gegenwart sich 
durchzuringen, im Priestercodex trägt sie Sorge fUr ihre uralte 

') Als Hulche wird siu empfunden, wenn sie mehrfach in der Chronik unwill- 
kürlich mit dem Tempel confundiert wird; Graf S. 55. In m. Zebachim 
14,4 heisat es: antequam erectum esset tabernaculum , fucrunt exrelsa 
iicita: postquain erectum est tabernaculum , prohibita fuenint escelsa. 
Nach dem deuteronomischen Verse I. Reg. 3, 3 tritt er&t mit der Erbauung 
des Tempels das Verbot der Bamoth in Kraft. 

-■) Es entspncht dem genau, wenn der deuteronom. Bearbeiter dtffi Konigs- 
bnchs zwar seit dem Tempelbau das Gesetz als zu Recht bestehend an- 
sieht, aber daa constaute Abweichen der Praxis anerkennt, dagegen der 
Chronist die jüdische Geschichte der Kegel nach ins Gesetz umdicbtet. 



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40 Ge.schi(?hlp (Ips CuIIu^, Kap, 1. 

Legitimität und gestaltet die Vergangenheit naeli' sich um, offen- 
bar deshalb, weil dies für die Gegenwart nicht mehr nötig iet 
— die Zuvüektragung des Neuen in die alte Zeit pflegt später 
ale die Geburt des Neuen selber. Das Deutero- 
tt steht in der geschichtlichen Krisis mitten drin und noch 
im engen Zusammenhang mit der älteren Cultusperiode, deren 
Zustände es bekämpfen, aber nicht ignorieren oder gar sie ab- 
leugnen kann. Kein Fortleben dei- früheren Sitte in der Gegen- 
wart rerhindei-t dagegen den Priestercodex, sich ein Bild der 
alten Zeit wie sie sein muss zu entwerfen ; unbeengt durch noch 
vorhandene Anschauung und wirkliche Tradition kann er sie 
nach Herzenslust idealisieren. Er hat demnach seine Stelle 
hinter dem Deuteronomium , und zwar in der dritten, naeh- 
exilisohen Periode der Cultusgesehichte, wo einerseits die Einheit 
der Opferstätte eine vollendete von niemand und durch nichts 
angefochtene Thatsaehe war, und wo andrerseits das Exil das 
natürliche Band zwischen der Gegenwart und dem Altertum so 
durchschnitten hatte,, dass einer künstlichen Repristination des 
letzteren, von der Idee aus, ^kein Hindernis im Wege stand. 

III. 

Das gewöhnliehe Urteil ist umgekehrt. Im Deuteronomium, 
meint man, kommen deutliche Beziehungen zur Königszeit vor, 
der Priestereodex passe mit seinen geschichtlichen Voraussetzun- 
gen in keine Situation derselben und sei deshalb älter. Wenn, 
wie bei Ezechiel, der Cultus auf dem Fundamente des salomo- 
nischen Tempels ruht, so erkennt jedermann die spätere Zeit; ■ 
wenn er aber auf die Stiftshfitte gegründet ist, so ist das eine 
andere Sache. Man beweist das hohe Alter der priesterliehen 
Gesetzgebung damit, dass man sie in eine von ihr selbst aus 
ihren gesetzlichen Prämissen geschaffene historische Sphäre ver- 
setzt, die in der wirkliehen Historie nirgend zu linden ist und 
darum ihr voraufgehen muss. So hält sie sich am eigenen Schopf 
über dem Boden in der Schwebe. 

1, Es mag jedoch seheinen, als sei bisher nur behauptet 
worden, dass die Stiftshütte auf einer historischen Fiktion be- 
ruhe. In Wahrheit ist es zwar bewiesen, indessen mag noch 
einiges hinzugefilgt werden, was zwar längst gesagt, aber noch 
immer nicht recht beherzigt ist. Es handelt sieb, wie ich voraus- 



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Der Ort des (iottesdietistes. 41 

sdiicke, um die StiftshUtte des Priestereodex, Denn irgend ein 
Zelt für die Lade mag es wohl gegeben haben, Zelte waren in 
der That in Palästina die ältesten Obdächer der Idole (Hob. 9, 6), 
woraus erst später feste Häuser wurden; und auch die jehovistisebe 
Überlieferung (jedoch nicht J). kennt ein heiliges Zelt') heim 
mosaischen Lager und zwar ausserhalb desselben, wie die älteren 
Hohen meist frei vor der Stadt lagen. Es bandelt sich aber nm 
das bestimmte Zelt, welches Exod. 25 ff. nach Gottes Anweisung 
als der Grundstein der Theokratie errichtet wird, das vorsalo- 
monische Centralbeiligtum , welches auch äusserlich das Gegen- 
biid des Tempels ist. Schon dessen blosse Möglichkeit ist be- 
streitbar. Ganz wundersam contrastiert dieser Prachtbau, zu 
dem das kostbarste Material beigesteuert und in der kunstvollsten 
Weise des Morgenlandes verarbeitet wird, gegen den Boden, auf 
dem er sich erhebt, in der WUste unter den urwüchsigen hebrä- 
ischen Wandei-stämmen, die ihn doch ohne fremde Beibiilfe in 
kurzer Frist hergestellt haben sollen. Der Gegensatz ist früh 
aufgefallen und hat zuerst Voltaire Aniass zu Zweifeln gegeben. 
Diese Zweifel mögen auf sich beruhen; es genüge, dass die 
B Überlieferung, selbst für die Zeit der Richter und der 
, fUr welche doch die mosaische Stiftshittte' eigens 
bestimmt ist, nichts von derselben weiss. 

Man sollte das freilich nicht denken, wenn man sieht, wie 
viel manch einer heute von ihr zu erzählen weiss, der das Buch 
der Chronik geschickt zu benutzen versteht. Nämlich 2, Cbron. 
l,3ff, heisst es, Salomo habe seinen Regierungsantritt mit einem 
grossen Opferfeste zu Giheon gefeiert, denn dort habe die Stifts- 
hütte und der eherne Altar Mose's gestanden, üem entsprechend 
wird 1. Chrou. 21, 29- gesagt, David habe zwar auf der Tenne 
Arauna's ein Opfer gebracht; aber die Wohnung Jahve's und 
der rechtmässige Altar sei in jener Zeit zn Giheon gewesen; 
und weiter 16, 39, dort in Giheon habe der legitime Hohepriester 
Sadok fungiert. Hievon ausgehend haben schon die Babbinen 
und neuerdings besonders Keil und Movers eine systematische 
Geschichte der Stiftehtltte bis auf den Tempelbau ausgesponnen. 

') Es wird aber uirgend zu gesetzgeberischen Zweclien. benutzt, sondern ist 
eiufaclies Obdach für die Lade, steht ausserhalb des Lagers, wie die 
ältesten Heiligtümer ausserhalb der Stadt«, und wird von Josua als Aedi- 
tuus bewacht, der auch darin schläft; wie Saraue!, der Aedituus Eli's. 



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42 (ieschii^bli! den ('ultiiK, Kap. I, 

Unter David und Salomo, so lange die Lade auf dem Sion sieh 
befand, war sie in Gibeon, wie auch daraus zu ersehen, dass 
dort (2. Sam. 21,6. 9) Opfer yor Jahve gebracht werden. Vorher 
zu Nob, wo Ephod und Scbaubrode erwähnt werden {1. Sam. 21); 
ursprünglich zu Silo, seitJosua. Aber dies waren nur ihre stän- 
digen Wohnorte, daneben hielt sie sieh vorübergehend bald hier 
bald dort auf und rettete durch ihre allgegenwärtige Geschwindig- 
keit die Einheit des Cultus, trotz der verschiedenen und weit 
auseinander liegenden Statten, an weichein derselbe ausgeübt 
wurde. Überall, wo von einem Erseheinen und Opfern vor Jahve 
die Hede ist, muss die Stiftshütte stillschweigend ergänzt werden '). 
Wie dogmatisch dies Verfahren ist und zii welch absurden Con- 
Sequenzen es führt, braucht nicht noch gezeigt zu werden; die 
Hauptsache ist, dass der Ausgangspunkt nichts weniger als 
fest ist. Denn die Angabe der Chronik, Salomo habe sein Äu- 
trittsopfer auf dem Altar der Stiftshfltte zu Gibeon dargebracht, 
steht in Wideraprueh zu der älteren Parallele 1, Reg. 3, 1 — 4. 
„Diese sagt nicht nur nichts von der mosaischen Stiftshütte, die 
zu Gibeon gestanden habe, sondern sie sagt ausdrücklich, dass 
Salomo auf einer Höhe (als solcher) geopfert, und entschuldigt 
ihn deswegen" damit, dass bis dahin noch kein Haus dem 
Namen Jahve's gebaut worden sei. Dass der Verfasser der 
Chronik von dieser Relation abhängig ist, ist aus allg;emeinen 
Gründen gewiss und ergibt sieb speeiell daraus, dass er die 
Stiftshütte zu Gibeon mit dem Namen Bama bezeichnet, eine 
eontradictio in adjecto, die nur aus dem Bestreben authentischer 
Interpretation „der grossen Bama zu Gibeon" 1. Reg, 3 zu er- 
klären ist. Hier wie sonst conformiert er die Geschichte dem Ge- 
setze: der junge fromme Salomo kann sein Opfer doch nur an 
der gesetzliehen Stätte gebracht haben, welche also jener Höhe 
zu Gibeon untergelegt werden muss. Mit 2. Chron. l,3ff, fallen 
auch die zwei anderen Notizen 1. Chron. 16, 39 und 21, 29, die 
beide von jener Hauptstelle abhängig sind, wie der wieder- 
kehrende Ausdruck „die Bama von Giheon" deutlich verrät. 
Sonst kommt die Stiftshütte in der Chronik nicht weiter vor, sie 

') LXX Jos. 24,33: nach Josua's und Eleazars Tode \a^6ite( oi uioi 'lapai]). 
T])v jtißfuTÖv Toü feoü Ttapiey^pooav Iv iauTOw- Nach Jo. Buxtorf und Sal. 
van. Til (Ugol. Bd. 8) ist dann diese Theorie besoiidora von Movera aus- 
gebildet worden. Dagegen de Wette, Beiträge S. 108 ff., Vatke a. 0. 
S. 316 Anm. 



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I»«r Ort des GottPi'diciistps. 4il 

liat noch nicht ihre Consequenzen gezogen und die historische 
Anschauung des Verfassers noch nicht durchdrungen. Dieser 
wUrde gewiss durch die Frage, ob sie vorher in Nob gestanden 
habe, in einige Verlegenheit geraten sein, da er Gewicht legt 
auf die Verbindung des rechtmässigen Heiligtums mit dem reeht- 
mässigen Priestergesehlecht Sadok-Eleazar, welche allenfalls i^r 
Silo, aber nicht fUr Nob anzunehmen möglich ist '). 

Dass die Chronik die israelitische Geschichte dem Priester- 
eodex gemäss darstellt, hat zwar gewöhnlich unwillkürlich dazu 
veranlaset, ihre principielle Auffassung derselben zu Grunde zu 
legen, dürfte aber doch wohl eher dazu bewegen, sie aus dem 
Spiel zu lassen, wenn es sieh um Ermittlung der wirklicbeu und 
echten Tradition handelt. Die Bücher der Richter und Samuelis 
thun zwar vieler Heiligtümer Erwähnung, damnter aber nicht des 
allevwichtigsten, des Tabernakels. Denn die einzige Stelle, wo 
der Name Ohel Moed vorkommt, 1. Sam. 2, 22, ist schlecht be- 
zeugt und inhaltlich verdächtigt). Von dem Vorhandensein der 
Lade Jahve's allerdings finden sich gegen Ende der Richter- 
zeit deutliche Spuren, (1. Sam. Kap. 4—6), Bürgt nun die Lade 
für das Tabernakel? Vielmehr ist ihre Geschichte bis zur Unter- 
bringung im Tempel Salonio's ein Beweis dafUr, dass „sie ganz 
unabhängig von einem ihr besonders geweihten Zelte gedacht 
wurde". Das hebt aber den Begriff der mosaischen StiftsbUtte 
auf, denn nach dem Gesetz gehören beide Stücke notwendig zu 
einander, eins darf nicht ohne das andere sein, eins ist so 
wichtig wie das andere. Das Tabernakel muss das Symbol 
seiner Gegenwart überall begleiten, das Dunkel des Allerhei- 
ligsten ist gleichsam das Lebeneelement der Bundeslade; nur 
notgedrungen und auch dann nur unter der Hülle der Vorhänge 
verlässt sie ihre Wohnung während des Marsches, um sie sofort 
wieder zu beziehen, wenn Station gemacht wird. Nun aber 
zieht 1. Sam. 4fF. lediglieh die Lade zu Felde, sie allein fallt 
den Philistei-n in die Hände, vom Tabernakel und vollends von 
dem notwendig dazu gehörenden Altar ist auch in Kap. 5, wo 
das Symbol Jahve's im Tempel Dagons zu Asdod aufgestellt 

') Von der Priesterschatt au Nob ejitrajia nur Abiathar dem Blutbade 

L Sam, 22; also war Sadok nicht dabei. 
'} Die Septuaginta liest die Stelle nicht, und überall sonst ia i. Sam. 1—3 
ist das Heiligium von Silo eia Hekal, d. h. sicher kein Zelt. 



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44 (leschiolile des Cultus, Kap. 1. 

wird, keine Rede; ebensowenig in Kap. 6, obwohl hier die Feinde 
deutlieh ihren gesammten Kaub am Heiligtume herausgeben. 
Man nimmt an, die IJehausung der. Lade sei in Silo zurtickge- 
blieben. Sehr glaublich, aber das war dann nicht die mosaische 
Stiftshtltte, die unzertrennliche Begteiteriu der Lade. In der That 
redet der Erzähler von einem festen Hause zu Süo, mit Pfosten 
und ThUren; möglich, dass dies ein Anachronismus') — obgleich 
warum? — , aber so viel folgt jedenfalls, dass er von der Stifts- 
hlitte keine Idee hat, die ja mit in den Krieg hätte- ziehen 
müssen. Wäre gerade diesmal eine illegale Ausnahme gemacht, 
warum ward denn die Lade nicht wenigstens nach ihrer Heraus- 
gabe wieder mit der Wohnung vereinigt, die sie ja eigentlich 
gar nicht hätte verlassen, dürfen ? Statt dessen kommt sie nach 
Bethsemes und bringt Unheil, weil — die Leute sie sieh neu- 
gierig besehen. Dann nach Kiriathjeainm, wo sie lange Jahre 
im Hause eines Privatmannes bleibt. Von da lässt sie David 
nach Jerusalem holen — natürlich, sollte man auf Grund der 
ans dem Pentateueh und der Chronik fliessenden Vorstellung 
denken, um sie der ebenfalls nach Jerusalem zu bringenden 
Hütte wiederzugeben. Aber daran kommt ihm nicht der Gedanke, 
so nahe er gelegen hätte. Zuerst will er die Lade zu sich auf 
die Burg nehmen, wird jedoch davon abgeschreckt, und aus 
Verlegenheit, sie anderswo unterzubringen, stellt er sie schliess- 
lich in das Haus eines seiner Hauptleute, des Obed Edom von 
Gath. Hätte er etwas von dem Tabernakel gewusst, hätte er 
geahnt, dass es leer in Gibeon stehe, ganz in der Nähe, es 
hätte ihm ans aller Not geholfen. Da nun die Lade dem Hause 
Obed Edoms Segen bringt — man denke: die Lade im Hause 
«ines Soldaten, eines Philisters, und trotzdem kein Zorn, son- 
dern Segen') — ^ so wird der König ermutigt, nun doch sein 
ursprüngliches Vorhaben auszuführen und sie in seiner Burg auf- 

') Vgl. ähnlich Jos. 6, 19. 24. 9, 27, wo gerade der Änachroiiismus beweist, 
dass die Vorstellung der Stiftshütte dem Vf. unbekannt war. Dass übri- 
gens itt Wirklichkeit zu Silo damals ein festes Haus stand, folgt daraus, 
da*:s Jeremias (7, 12) auf seine Trümmer verweist. Denn er kann uur ein 
Torsalomonisches Heiligtum als Vorgänger Jerusalems betrachten; ausser- 
dem gibt es auch ton einem bedeutenderen Tempel, zu Silo seit der 
Königszeit nicht die geringste Spur mehr. 
) Die Chronik hat gute Gründe, Ihn zum Leviten zu machen. Aher Gafh 
an sich, namentlich bei David, ist das pUlisthäische, und Obed Edom 
. "^ gehört' zu der Leibwache i die vorwiegend aus Fremden und Philistern 
bestand JÄisserdem ist sein Name schwerlich israelitisch. 



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Der Ort des Gottesdieiisteg. 45' 

zuBtellen. Und zwar unter einem Zelte, welches er für sie hatte 
machen lassen (2. Sam. 6, 17); dies Zelt Davids auf dem Sion 
blieh ihr Aufenthalt bis zum Tempelbau. 

Unumgänglich war die Stiftshtitte , falls es sie gab, zu er- 
wähnen als der Tempel an ihre Stätte trat. Dass sie ihm uicht 
als Vorbild diente, ist bereits gesagt. Wenigstens wäre es doch 
aber zu erwarten, dass in dem Berieht Über den Bau des neuen 
Heiligtumes ein Wort über den Verbleib des alten einflösse. 
Das echeint nun auch 1. Reg. 8, 4 zu geschehen: nach Vollen- 
dung des Tempels brachte man ausser der Lade den Ohel 
Moed und alle darin befindliehen heiligen Geräte 
hinein. Die Ausleger schwanken, ob sie unter dem Ohel 
Moed das Zelt der Lade auf dem Sion verstehen aollen, von 
dem bisher allein die Rede gewesen {1. Reg. 1,39. 2,28—30), 
oder das mosaische Zelt, das nach der Chronik in Gibeon stand, 
von dem aber das Buch der Könige nichts berichtet und auch 
nichts weiss (3, 2 — 4). Dem Verfasser des Verses 8, 4 wird 
wahrscheinlich beides in einander geflossen sein, wir aber sind 
vor folgende Alternative gestellt. Entweder steht die Notiz im 
Zusammenhange der Erzählung des Buchs, dann kann der Ohel 
Moed nur das Zelt auf dem Sion sein — oder der Ohel Moed 
8,4 ist die mosaische Stiftshütte, die von Gibeon in den salo- 
monischen Tempel übergeführt wurde: dann steht die Angabe 
ausserhalb des Zusammenhangs und geht nicht von den Piä- 
misaen aus, die dieser an die Hand gibt, dann ist sie mit an- 
dern Worten von einem Späteren eingeschoben. Die erstere 
Möglichkeit ist unwahrscheinlich, denn der Name Ohel Moed 
kommt abgesehen von der Interpolation 1. Sam. 2, 22" in den 
Büchern der Richter Samuelis und der Könige überhaupt nicht 
vor und insonderheit nicht für das Zelt Davids auf dem Sion; 
dasselbe war auch zu wenig durch das Alter geheiligt und nach 
2. Sam. 7 zu unansehnlich und provisorisch, um der Aufbewah- 
ning im Tempel gewürdigt zu werden. Wenn aber der Ohel 
Moed hier wie immer die Stiftshütte ist, worauf auch die heili- 
gen Geräte führen, so ist der Vers ebeu auch Interpolation. 
Die Veranlassung einer solchen ist leicht zu begreifen; der selbe 
Anstoss, von dem wir oben ausgingen, musste es einem Juden, 
der von pentateuehischen Gedanken ausging, nahe legen, an 
dieser Stelle die Stiftshütte zu suchen und wenn er sie nicht 



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46 Geschichte des Cultus, Kap. !. 

fand, zu eigänzen. Doch auch die Interpolation 
Schwierigkeiten nicht. Wo bleibt der mosaische Brandopfer- 
altar? er war ebenso wichtig und lieilig als daa Tabernakel 
selber, wird auch iu der Chronik ausdriicklieh stets daneben 
aufgeführt und verdiente nicht, dass man ihn in Gibeon ver- 
kommen Hess — was andrerseits auch der Einheit des Opfer- 
dienstes sehr ge^hrlich war. Ferner, wenn die heiligen Geräte 
aus der Hütte in den Tempel übertragen wurden, warum goss 
denn Salomo naoh 1. Keg, 7 alles neu? ') Kostbar genug waren 
auch die alten Geräte, zum Teil noch kostbarer als die neuen, 
dazu durch ihren alten Gebrauch geheiligt. Es ist klar, dass 
zur Zeit Salomo's weder Stiftshütte noch heilige Geräte noch 
eherner Altar Mose's existierten. 

So wie es nun aber zur Zeit der letzten Richter und ersten 
Könige keine StiftshUtte gab, so war sie auch in der ganzen 
früheren Periode nicht vorhanden. Das folgt aus 2. Sam. 7, 
einem Abschnitt, auf dessen Geschichtlichkeit es nicht ankommt, 
der aber jedenfalls die Auffassung eines voresilischen Schrift- 
stellers wiedergibt. Nachdem David, wird erzählt, vor seinen 
Feinden Ruhe hatte, gedachte er der Lade ein würdiges Obdach 
zu bauen und sprach seinen Entschluss gegen den Propheten 
Nathan mit den Worten aus: „ich wohne in einem Cederhause 
und die Lade Gottes unter einem Zelte". Er kann nach 6, 17 
nur das Zelt meinen, das er errichtet hatte, also nicht das mo- 
saische, das auch nach der Beschreibung Exod. 25ff. nicht füg- 
lieh einem Holzbau entgegengesetzt werden, noch weniger für 
eine ärmlielie, am allerwenigsten für eine Gottes unwürdige Be- 
hausung gelten konnte und iu Bezug auf Pracht mit Salomo's 
Tempel zum mindesten wetteiferte. Nathan billigt anfangs die 
Absicht des Königs, verwirft sie aber nachträglieh, Gott wolle 
es jetzt nicht anders haben als wie er es sonst gehabt hahe. 
„Ich hahe in keinem Hause gewohnt, seit ich die Kinder Israel 
aus Ägypten geführt habe, vielmehr bin ich in Zelt und Obdach 
hemmgewandert." Natürlich hat auch Nathan nicht das mo- 

•) Der ehenie Altar, den Salomo goss (L Reg. 8, 64. 2. Reg. 16, 14. 15), wird 
jatit in der AuüihluEg der Tempel gerilte 1. Reg. 7 veraiisst, Ursprnng- 
lich kann er nicht gefehlt habeii, denn er ist ja grade das wichtigste Ge- 
rät. Er ist also gestrichen worden, ans Gründen, die man nach der obi- 
gen Erörterung leicht verstehen wird. Diese Streichung ist das negative 
Gegenstück zur Interpolation der Stiftshütte 1. Reg. 8, 4. 



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Der Ort des Gottesdienstes. ■ 47 

■ saiBche ^elt als gegenwärtige Wohnung der Lade vor Augen, 
sondern das Davids auf dem Sion. Ev sagt nun nieht, die Lade 
sei früher immer in der Stiftshütte gewesen und ihr jetziges Not- 
dach sei darum höchst illegitim, sondern gerade der jetzige Zu- 
stand sei der rechte, in einem ähnliehen simplen und unansehn- 
lichen Obdach habe die Lade bisher stets gehaust. Da Davids 
Zelt nicht bis zum Auszug aus Ägypten «hinaufreicht, so redet 
Nathan notwendigerweise von wechselnden Zelten und Wohnun- 
gen, die Lesart der Parallelstelle in der Chronik (1 17, 5) beruht 
darum auf einem ganz richtigen Verständnis. Der Vorstellung 
des Pentateuchs kann nichts prineipieller entgegenlaufen als diese 
Wofte: die Lade hat nieht ein bestimmtes einziges heiliges Pracht- 
zelt zum Correlatj sondern ist gegen ihr Obdach ganz gleichgiltig, 
hat damit häufig gewechselt, aber uie ein besonders schönes ge- 
habt. Und so ist es seit Moses gewesen'). 

So steht es um die Stiftshütte; will man das Älter des 
Priestereodex an diesen Faden hängen, so habe ich nichts da- 
wider. Ihre Vorstellung ist erwachsen in Anlehnung an die 
früh bezeugte heilige Lade, die zur Zeit Davids und auch schon 
eher ■ unter einem Zelte gestanden hat, aus der Wurzel des 
salomonischen Tempels. Von diesem hat sie sowohl ihr inneres 
Wesen, die centrale Bedeutung für den Cultus, als auch ihre 
äussere Form. 

2. Einen eigentümlichen Standpunkt nimmt Theodor Nöl- 
deke ein. Er gibt die Prämisse zu, dass die Stiftshtitte eine 
Fiction sei mit dem Zwecke, den Tempel "und die Einheit des 
Cultus präexistent zu machen, leugnet aber die Folgerung, dass 
der Priestereodex in diesem Falle die Einheit des Cultus in seiner 
Gegenwart als schon bestehend voraussetze und darum später 
sei als das Deuterono mium. Er sagt in den Untersuchungen zur 

') S. Sam. 7 war für die landläufige historisch-kritische Einleitungswisseiischatt 
der locus probans classicus dafür, dass bis zum Tempel die inosttische 
Stiftshütte fungiert habe. Für die Stumpfheit ihres Blickes kann es kaum 
einen schlagenderen Beweis geben. Richtig ist nur, dass hier geleugnet 
wird, es habe vor dem Tempelbau die Lade je in einem Hause gewohnt. 
Aber diese allgemeine und bestimmt veranlasste Betrachtung verdient 
weniger Glauben als die .gelegentlichen Einzelangaben, woraus erhellt, 
ilaes die Lade lange Jahre im Hause Abinadabs stand und dass der 
Tempel von Silo ein Haus war. Unser Verfasser seheint besonders den 
Krieg im Äuge zu haben, und die -Lade war allerdings ursprünglich ein 
^ kriegerisches Heiligtum, zunächst des Stammes Joseph (Josua's), sodann 

Davids (2. Sam 11,11. 15,24). 



ly GoOf^ 



48 Reschichte das Oultus, Kap. 1. 

Kritik des Alten Testaments S. 127 f.: „Eid starker Drifng nach 
Einheit des Cultus muBste entstehen, sobald' Salomo's Tempel 
erbaut war. Gegen dies glänzende Heiligtum mit seinem bild- 
losen CultuB am Mittelpunkte des judäisehen Reichs mussteo 
die alten heiligen Stä.tten immer mehr zurücktreten, und zwar 
nicht bloss in den Augen des Volks, sondera ganz besonders 
auch in denen der -Besteu und geistig am meisten Vorge- 
schrittenen (vgl. Amos 4, 8. 8, 14). Wenn schon Hizkia die 
Einheit in Juda ziemlich durchführte, so rauss das Streben da- 
nach doch recht alt sein; denn man wird sich nicht leicht ent^ 
schlössen haben, alte heilige Gebräuche gewaltsam zu unter- 
drücken, wenn dies nicht die Theorie schon lange gefordert 
hatte. Die Priester in Jerusalem mussten ganz besondere früh 
auf den Gedanken kommen, dass ihr Tempel mit der heiligen 
Lade und dem grossen Altar der einzig wahre Ort der Gottes- 
verehrung wäre, und dieses für die Reinheit der Religion gewiss 
sehr förderliche Streben hat unser Verfasser in die Form eines 
freilich in seiner Strenge ganz unausführbaren Gesetzes gekleidet 
(Lev. 17, 4ff,), das daher auch später vom Deuteronomiker für 
die Praxis modificiert ward." 

Was geschehen musste, darauf kommt es weniger an als 
auf das was wirklieh geschah. Nöldeke stutzt sich einzig auf 
die Nachricht 2. Reg. 18, 4. 22, dass Hizkia die Bamoth und 
Altäre Jahve's beseitigt und zu Juda und Jerusalem gesagt 
habe: vor diesem Altar sollt ihr anbeten in Jerusalem. Gegen 
dieselbe sind bereite oben Zweifel erhoben worden. Welchen 
Eelat machte später die gleiche Massregel Josia's! und diese, 
obwohl die frühere, soll so ganz ruhig abgelaufen sein? und 
so spurlos, dass ihre Wiederaufnahme nach siebzig oder achtzig 
Jahren in Wirklichkeit nicht im mindesten an sie anknüpft, 
sondern sich in jeder Beziehung als ein neuer erster Schritt ge- 
berdet, auf einer bisher völlig unbetretenen Bahn? und so ganz 
beiläufig ist da^on die Rede, während doch sonst der Gegen- 
stand das bevorzugte Hauptthema des Buchs der Könige ist? 
Dazu kommt nun noch das besondere gleichfalls oben schon 
geltend gemachte Bedenken, dass der Mann, von dem Hizkia 
nach Lage der Dinge die Anregung zu seinem Vorgehen er- 
halten haben muss, der Prophet Jesaia, in einer seiner spätesten 
Reden ausdrücklich nur eine Reinigung der Cultusstätten von 



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Her Ort des Gottesdienstes. 49 

Schultz- und Gusabilderu iu der messiauischen Zeit fordert, also 
nicht ihre TÖUige Aufhebung wünscht. Daa steht allewege fest, dass 
WQun an der in Rede stehenden Angabe überhaupt etwas ist^), 
Hizkia nur einen schwachen und gänzlich erfolglosen Versuch 
in dieser Richtung gemacht und auf keine Weise „die Einheit 
in Juda ziemlich durchgeführt" hat. Gleichwohl könnte man 
sogar dies letztere zugestehen, ohne dass daraus irgend etwas 
für die Annahme folgt, auf die Nöldeke hinaus will. 

Diese ist nämlich, dase das Streben nach der Einheit gerade 
in den jerusalemischen Priesterkreisen seinen alten und ursprüng- 
lichen Sitz gehabt habe. Wenn der Pnestereodex älter ist als 
das Deuteronomium, so muss allerdings die prophetische Agi- 
tation für die Cultusreform, aus der das Deuteronomium hervor- 
gewaehsen ist, nur das Nachspiel einer älteren priesterlichen sein. 
Von dieser erfahren wir aber lediglich nichts, während wir 
jene von ihren idealen Anfängen an bis zu ihrem praktischen 
Ausgange leidlieh verfolgen können. Arnos Hosea Jesaia sind 
es, welche die Bewegung gegen den alten volkstümlichen Gottes- 
dienst auf den Höhen eingeleitet haben, sie gehen dabei durch- 

') Auf 3. Reg. 22 ist weaijr ?.u geben; die Eraähltuig über die assyrische 
Belagerung Jerusalems ist nicht gleichzeitig, wie im Hllgemeinen aus der 
völligen Unbestimmtheit der Naciirichteii nbev den plötzlichen Abzug der 
Assjrer und seine Gründe, im besonderen ans 19, 1 (36. 37) erhellt. Denn 
die Meinung ist hier jedenfalls die, dass Senaherib bald nach dem ver- 
geblichen Feldznge im Jahre 701 ermordet worden sei; in Wahrheit hat 
er aber bis 684 oder 681 regiert (Smith, Assyrian Eponym Canon S. 90. 
170). Der Erzähler hat also nicht bloss zwanzig Jahre nach den Ereig- 
nissen geschrieben, sondern noch um so viel spütor als erforderlich ist, 
damit sich jene zwanzig Jahre so stark verkürzen konnten; er steht 
wahrscheinlich schon unter dem Einflüsse des Deuteronomiums. Schwerer 
als 2. Reg. 18, 22 wiegt allerdings 2. Reg. 18, i. Indessen so authentische 
Nachrichten nns auch in der Epitome des Buchs der Könige erhalten 
sind, so haben dieselben doch alle nicht bloss die Auswahl, sondern auch 
die Bearbeitung des deuterono mischen Redactors passiert, und es ist gar 
leicht möglich, dass dieser sich zu einer Generalisiemng berechtigt 
glaubte, wodurch die von Jesaia . angeregte und durch Hizkia ausgeführte 
Reinigung (zunächst des Tempels zu Jerusalem) von Idolen in eine Be- 
seitigung der Bamoth samt Masseben und Ascheren verwandelt wurde. 
Wie wenig die späteren SchriftstflUer Zeitunterschiede und Grade in der 
Ketzerei des ungesetzlichen CuRus anerkennen, ist bekannt; sie gehen 
immer gleich aufs Ganze. In Wirklichteit aber hat sich die Reformation / 

ohne Zweifel stufenweise vollzogen. Zuerst findet sich bei Hosea und 1^6m- tf. 
Jesaia die Polemik gegen geschnitzte und gegossene Bilder, darauf bei :'^vi* 
Jeremia die Polemik gegen Holz und Stein, d.h. gegen Masseben uuAl<f^jf 
■ Ascheren: von den Propheten ist die Bewegung ausgegangen, auf ihr! J' -— 
authentisches Zeugnis ist das grösste, ja das einzige Gewicht zu legen, l ■Z.'Z,- 
Vgl. den Artikel Israel in der Encyclopaedia Brit. S. 413 Note I. 



ly GOOQ 



50 Geschichte des Cultiis, Kap. !. 

aus nicht von einer eingewurzelten Vorliebe flir den Tempel von 
Jerusalem aus, sondern von sittlichen Motiven, die in ihnen zu- 
erst urwüchsig entstanden sind, ja vor .unsern Augen entstehen; 
ihre Äusserungen, wenn auch aus geschichtlichen Gründen durch 
die nord israelitischen Heiligtümer veranlasst, lauten doch völlig 
allgemein und richten sich gegen den Cultus überhaujit. Von 
der Einwirkung eines Gesichtspunktes, der mit einem priester- 
lichen auch nur verwandt wäre, dass nämlich der Gottesdienst 
an dem und dem besonderen Orte mehr wert sei als an allen 
anderen und darum allein fortzubestehen verdiene, findet sieh 
bei ihnen nichts; ihre Polemik ist eine rein prophetische, d. h. 
individuelle, theopneuste in dem Sinn, dass sie von allen her- 
gebrachten und vorgefassten Menschenmeinungen unabhängig ist. 
Von diesem absolut originellen Anfange ist aber nun die fol- 
gende Entwicklung abhängig, und diese läuft nicht auf den 
Priestereodex aus, sondern auf das Deuteronomium , ein Buch, 
das bei aller billigen Klleksiehtuahme für die Priester (freilich 
fUr die jerusalemischen nicht mehr als für die anderen) doch 
seinen prophetischen Ursprung nicht verleugnet und vor allen 
Dingen von all und jeder hierokratisehen Neigung vollkommen 
frei ist. Und das Deuteronomium endlieh ist es gewesen, wel- 
ches den geschichtiiehen Erfolg der Kefoi-mation Josia's gehabt 
hat. Also die historische Bewegung auf diesem Gebiete, soweit 
sie wirksam und uns dadurch bekannt geworden ist, ist von 
Haus aus und wesentlich prophetisch, wenu auch zu Ende 
priesterliche Einflüsse seeundiert haben mögen; und sie kann 
nicht bloss, sondern sie muss aus sieh heraus verstanden 
werden. Eine ältere oder selbständig nebenhergehende 
priesterliehe Bewegung in derselben Richtung ist wenigstens 
völlig resultatlos geblieben, darum auch gänzlich unbezeugt. 
Uns kommt es vielleicht so vor, als hätten die jerusalemischen 
Priester doch selbst zuerst das Ziel ins Äuge fassen müssen, 
dessen Verwirklichung ihnen- später so viel Gewinn brachte, 
aber es seheint nicht, dass sie von vornherein so klug waren, 
wie wir es nachträglich sind. Wenigstens gibt es weiter keine 
Gründe für die Hypothese eines seit alter Zeit latent vorhandenen 
Centralisationsbestrebens der jerusalemisehen Priesterschaft als 
die Präsumption, dass der Priestereodex nicht bloss dem Deute- 
ronomium , sondern auch den Propheten zeitlich vorangehen 



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Der Ort des Gottesdienstes. 5] 

mlisse. Zu diesem Behuf wird eioe ganz abstraete — und als 
solche unwiderlegliche — Möglichkeit construiert, durch deren 
Pforte mau der historischen Wahrsoheinlichkeit eutschlüpft, über 
die hinaus wir's ja nicht bringen können. 

Wie vollständig unbekannt der Priestereodex noch bis mitten 
ins Exil hinein gewesen ist, ei-sieht man aus den Büchern der 
Könige, welche ihre gegenwärtige Gestalt nicht vor Nebukad- 
nezar's Tode erhalten haben können. Der Redaktor, der das 
deuteronomische Gesetz citiert und beständig darnach urteilt, 
hält, wie wir aus 1. Reg. 3, 2 gelernt haben, die Bamoth vor 
dem Tempelbau Salomo's für erlaubt; die Stiftshütte hat also in 
seiner Vorstellung nicht existiert. D*er etwa um eine Generation 
ältere Jeremias kennt sie gleichfalls nicht, sondern er betrachtet 
— der Lade wegen, jedoch nicht notwendig in Übereinstimmung 
mit hergebrachter Meinung — das Gotteshaus von Silo, dessen 
Ruinen damals wie es scheint noch zu sehen waren, als den 
Vorgänger des jerusalemischen Tempels, und darin folgt ihm die 
anonyme Weissagung 1. Sam. 2,27—36, deren späteres Älter 
aus der Sprache (2, 33) und aus dem Umstände erbellt, dass sie 
der folgenden Drohung in Kap. 3 vorgreift. Bei allen diesen 
Sehriftstellern, besonders auch beim Deuteronomiker selber, der 
in Kap. 12 die Einheit des Cultus faktisch erst von der Wahl 
Jerusalems abhängig macht, ist es doch höchst auffallend, wenn 
damals der Priestereodex längst vorhanden war, dass sie ein so 
bedeutendes einschlägiges Buch nicht gekannt haben; es zu über- 
sehen machte die alte hebräische Litteratur nicht ganz so leicht 
als in einem ähnlichen Fall unsere heutige. Und wie kommt 
es nun, dass in der aus dem dritten Jahrhundert stammenden 
Chronik der Priestercodex auf einmal nicht mehr scheintot ist, 
sondern seinen Eintluss auf die Betrachtungsweise Überall nur 
zu lebendig und deutlich äussert? Für diese Schwierigkeiten ist 
Nöldeke unempfindlicher als billig ist. Er seheint der Ansicht 
zu sein, dass die nachexilische Zeit nicht gewagt haben würde, 
eine so durchgreifende Umbildung, ja Neugestaltung der Tradition 
vorzunehmen, wie die Prädatierung des salomonischen Tempels 
durch die Stiftshütte sie mit sich bringt '). Es ist jedoch gerade 

') Jahrbb. für prot. Theol. I, S. 852: Und nua möchte ich fragen, ob eine 
derartige Schrift, welche uns von Geschiflite Landverteilnng und Opfer- 
Ifebrauch des gesamten Israel ein so vielfach von der Wirklichkeit ab- 



»Gooq 



52 Geschichte de« Cultus, Kup. 1. 

umgekehrt das KenozeielieD der naehexilischen Sehriftsteller, 
d'ass sie von ihren Ideen aus auf's freieste mit den .Einrichtungen 
des israelitischen Altertums sehalten, mit welchem ihre Zeit durch 
kein lebendiges Band mehr verbunden war. Wozu steht sonst 
die Chronik im Kanon, als um uns dies zu lehren? 

Wenn NöMeke aher die Unbekanntheit der Stiftshütte damit 
entschuldigt, dass sie eben ein blosses Gedankending sei'), so 
läBst er einstweilen ausser Acht, dass hinter ihr die sehr reale 
Idee der Cultuseinheit steckt, um deren willen sie z, B. dem 
Deuteronomiker, auch als blosse Vorstellung, sehr willkommen 
sein musste. Nur das Gerüst der Stiftshtttte ist Phantasie, ihre 
Idee wurzelt in gesehichtlieliem Boden, und bei dieser lässt sie 
sieh fassen. Und wenn Nöldeke schliesslich für die Prioiität 
des Pnestereodex in diesem Punkte das geltend macht, dass er 
trotz der Beschränkung des Opferns auf einen einzigen Ort 
dennoch die alte Bestimmung, dass jede Schlachtung Opfer sein 
müsse, aufrecht erhalte, während das Deuteronomium, einen 
Sehritt weiter gehend, sie fallen lasse, so hält das ebenfalls ganz 
und gar nicht Stich. 

Es heisst nämlich Lev. 17: „Wer immer vom Hause Israel 
Rind oder Schaf oder Ziege sehlachtet, im Lager oder ausser- 
halb des Lagers, und es nicht vor die Stiftshütte führt um Jahve 
eine Darbringung darzubringen vor der Wohnung Jahve's, dem 
soll es als Blutschuld gelten, Blut hat er vergossen und er soll 
ausgerottet werden aus seinen Verwandten, Auf dass die Kinder 
Israel ihre Opfer, die sie auf dem Felde opfern, dem Jahve 
bringen vor die Stiftshütte zum Priester und sie opfern als Dank- 
opfer dem Jahve . . . und nicht mehr den Feldteufeln, denen sie 
naehhuren, ihre Opfer opfern!" Das Absehen dieser Vorschrift 
ist einzig und allein darauf gerichtet, die Alleinberechtigung der 
einzig legitimen Opferstätte sieher zu stellen; nur um deswillen, 
wie man sieht, wird auch die profaue Schlachtung ausserhalb 
Jerusalems verboten, welche das Deuteronomium gestattet hatte. 
Offenbar verstand der gemeine Mann nioht recht den Unterschied 

weichendes Bild darbietet, in eine Zeit gehört, in der sich Israel in 
ängstlicher Scheu an das Überlieferte anklammerte. 
') Unters. S. 130 r Man muss sich immer vor Augen halten, dass der Vf. 
in seinen Berichten wie in seinen Gesetaea nicht thatsächliche Verhält- 
nisse, sondei'n zunächst seine. Theorieen und Ideale schildert. Dahin i^e- 
hfirt die Verherrlichimg der Stiftshäite ii. .i. w. 



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■ Der Ort des Gottesdiensles. 5S 

zwischen dem reÜgiöseu und profanen Acte, der ja neu gemacht 
und bisher ganz unbekannt war; und wenn er, was er ja durfte, 
zu Hause ecblaohtete, so beobachtete er dabei doch, halb un- 
willkürlich- yieileiebt,_den alten heiligeu Ritus des Opfers. Daraus 
erwuchs die Gefahr, dass sieb unter der Hand eine Vielheit der 
Altäre wieder einschlich, und einer solchen Gefahr wird in 
Lev. 17 begegnet, freilich in völlig unpraktischer, unausführbarer 
Weise. Bemerkenswert ist dabei, wie sehr dieses im Übrigen 
auf dem Deuteronomium fussende Gesetz in der Beschränktheit 
legitimistischer Betrachtungsweise fortgeschritten ist. Das Deute- 
ronomium erkennt noch durchaus an, dass die Opfer ausserhalb 
Jerusalems doch auch dem Jahve dargebracht werden; für den 
Verfasser von Lev. 17 ist das eine unmögliche Vorstellung, er 
sieht diese Opfer schlechtweg an als Opfer für die Feldtenfel '). 
Ich lasse mir nicht einreden, dergleichen sei für jemand möglich 
gewesen, der noch vor der deuterouomisehen Reformation, oder 
auch nur vor dem Exil in den alten Verhältnissen lebte. 

Übrigens gehört Lev. 17 bekanntlich zu einer eigenartigen 
kleinen Gesetzsammlung, die zwar in den Priestercodex aufge- 
nommen ist, aber mehrfach von ihm abweicht und so auch gerade 
hiDsiehtlieh des Verbots der profanen Schlachtungen. Für den 
Priestereodex im Ganzen trifft die "Behauptung Nöldeke's gar 
nicht zu. Derselbe erlaubt vielmehr die Schlachtung ohne Opfer 
schon in den Noachischen Geboten, die nicht bloss für alle Welt, 
sondeiTi auch für die Juden Giltigkeit haben. Später wiederholt 
er diese Erlaubnis zwar nicht ausdrücklich, er sieht sie aber als 
selbstverständlich an. Nur darum kann er das Dankopfer so 
ganz als Nebensache ansehen und die Opfei-niahlzeit beinah 
ignorieren; auch gibt er in Lev. 7, 22 — 27 geradezu Regeln über 
das Verfahren beim Schlachten solcher Tiere, die nicht geopfert 
werden *). Also auch hier zeigt sich wieder das Verhältnis, dass 

') Vgl, zu diesen i'eldteufelii meine Anmerkung zu Vakidi's Maghazi (Ber- 
lin 188ä) S. 113. Etwas ähnliches, wenngleich nicht dasselbe ist es, wenn 
die Muslime sagen, die alten Araber hätten ihren Gottesdienst den Ginnen 
gewidmet — und was dergleichen mehr von Degfadierung der Gottheiten 
za Gespenstern vorkommt. 

") Dass in Lev. 7, 22— -il nicht längst und austübrlicii gegebene Bestim- 
mungea über das Dankopfer wiederholt, sondern neue ub^r die Schlach- 
tung nachgetragen werden sollen, erhellt ans: das Vieh wovon man 
dem Jahve Opfer bringen kann v. 25 nnd aus; in allen euren 
Wohnsitien v. 2(i, desgleichen aus der Praxis des Judentums. 



»Gooi, 



54 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

was im Deuteronomium als Neuerung auftritt, im Priestercodex 

als längst und schon seit Noali bestehende Sitte vorausgesetzt 
wird. Mithin ist dieser auf dem Boden erwachsen, welcher 
durch jenes präpariert ist. 



Zweites Kapitel. 

Die Opfer. 

Wie dem ganzen Altertum, so iet auch den Hebräern das 
Opfer die Hauptsache im Cultus. Es fragt sieh, ob derselbe 
nicht auch in dieser wichtigsten Hinsicht eine Geschichte durch- 
gemacht hat, deren Stadien sich im Pentateuch widerspiegeln. 
■ Nach den bereits gewonnenen Ergebnissen muss dies als von 
vornherein wahrscheinlich gelten, aber um nun wirklich den 
Proeess zu verfolgen oder auch nur seine beiden Pole festzu- 
stellen, dazu scheinen die uns erhaltenen Quellen nicht auszu- 



I. 

1. Geflissentlich beschäftigt sich mit dem Gegenstande nur 
der Priestercodex, der eine genaue Classifieierung der verschie- 
denen Arten des Opfers und Besehreibmig des Verfahrens bei 
ihnen enthält. Er liefert darum auch den neueren Darstellungen 
das massgebende Schema, worin sich die übrigen gelegentliehen 
Aßgabsn des Alten Testaments wohl oder übel fügen müssen. 
Damit ist nun sogleich für die Charakteristik des Buches in 
diesem Punkte ein wichtiger Zug gewonnen. Das Opferritual 
ist hier ein Bestandteil der mosaischen Gesetzgebung und zwar 
ein sehr wesentlicher; es ist nicht als alter Brauch von Urväter 
Zeiten her durch die lebendige Praxis den Israeliten (Iherliefert, 
sondern erst Mose hat ihnen die Theorie davon gegeben und 
zwar gleich eine sehr ausgebildete, und diesen hat Gott selber 
darin unterwiesen {Exod. 25ff, Lev. Iff.). Auf die der Theorie 



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Die Opfer. 55 

entsprechende Technik des Opfers, sowohl auf das wann, wo 
und durch wen, ale auch besonders auf das wie, wird darum 
ein ganz unverhältnismässiger Nachdruck gelegt. Dadurch erhält 
dasselbe seineu specifischen Wert; mau könnte glauben, auch 
wenn es einem anderen Gölte dargebracht würde, würde es durch 
den legitimen Ritue au sich gleichsam jahvistisch von Natur sein. 
Durch seine Form wird der israelitische Cultus wesensversehieden 
von allen anderen, ein uutei'scheidendes und constitnierendes Merk- 
mal der heiligen Gemeinde. Mit ihm fangt die Theokratie an 
und er mit der Theokratie, letztere ist weiter nichts als die An- 
stalt um ihn in der gottgewollten Weise zu betreiben. Darum 
gehört auch das Ritual, das nur die Priester anzugehen scheint, 
in ein Gesetzbuch, welches flir die ganze Gemeinde bestimmt ist; 
sie müssen doch alle, um am Leben der Theokratie teilnehmen 
zu können, über ihr Wesen Bet-cheid wissen, und zu diesem ge- 
hört in erster Linie die Theorie des Opferdienstes. 

Auch die jebovistische Schiebt des Peutateuchs kennt keine 
andere Art der Gottesverehrung als den Opferdieust und hält 
ihn nicht für weniger wichtig als der Priesteroodex. Aber dass 
sieh das israelitische Opfer durch eine besondere dem Mose ge- 
offenbarte Form, die es allein legitim macht, vor allen anderen 
auszeichnet, davon ist hier nicht viel zu merken. Opfer ist 
Opfer — wird es dem Baal dargebracht, so ist es heidnisch, 
wird es dem Jabve dargebracht, so ist es israelitisch. Im Bundes- 
buch und in den beiden Dekalogen wird geboten, vor allem, 
keinem anderen Gotte als Jahve zu dienen, ihm aber auch wirk- 
lich zur rechten Zeit Erstlinge und Gaben zu opfern. Negative 
Bestimmungen, die zumeist irgend eine heidnische Absonderlich- 
keit ausschliessen, kommen vor, aber positive Verordnungen über 
das Ritual finden sieh nicht; wie man es machen muss zu opfern, 
wird ale bekannt vorausgesetzt und erscheint nirgend als Gegen- 
stand der Gesetzgebung, die es vielmehr mit ganz anderen Dingen 
zu thun hat. Was Bundesbuch und Dekaloge vielleicht noch 
zweifelhaft lassen, wird aus der jehovistisehen Erzählung voll- 
kommen klar. Hier ist weit mehr von Opfern die Rede als dort, 
und schon dies kann man bezeichnend finden: im Priestercodex 
ist das Verhältnis umgekehrt. Besonders wichtig jedoch ist es, 
dass nach der jehovistisehen Geschichte die Praxis des Opfers, 
und zwar des rechtmässigen und gottgefiilligen , weit über die 



,yGt>O^C 



56 fieschichtt des Ciilhis, Kap. ä. 



■ hinausveicht und eigentlicb so alt ist 
wie die Welt selber. Ein Opfei-fest, das sie in der Wüste feiern 
wollen, ist die Veranlassung des Auszugs der Israeliten, schon 
zu Raphidira (Exod. 17) baut Mose einen Altar, und noch vor 
der Bundschliessung auf dem Sinai wird bei Gelegenheit von 
Jethro's Besuch (Exod. 18) ein feierliches Mahl vor Jahve ver- 
anstaltet. Aber der Brauch ist noch viel älter, Abraham Isaak 
und Jakob haben ihn gekannt und geübt, Noah, der Vater der 
gesamten Menschheit, hat nach der Flut den ersten Altar er- 
richtet, und lange vor ihm haben Kain und Abel in derselben 
Weise geopfert, wie es Jahrtausende später in Palästina zu ge- 
schehen pflegte. Der Aramäer Bileam versteht es so gut wie 
jeder Israelit, dem Jahve Opfer darzubringen, die ihre Wirkung 
auf ihn nicht verfehlen. Daraus ergibt sich mit aller nur 
wünschenswerten Deutlichkeit die Vorstellung, dass das Opfer 
eine aus grauer Vorzeit fiberkommene und ganz allgemeine 
Weise die Gottheit zu verehren ist, und dass das israelitische 
.Opfer- nicht durch das Wie, sondern durch das Wem sich unter- 
scheidet, dadurch, dass es dem Gotte Israels dargebracht wird. 
Mose hat nach dieser Vorstellung das Verfahren beim Opfer- 
dienste ebenso der hergebrachten Praxis Überlassen wie das Ver- 
fahren beim Gebet; wenn man überhaupt an bestimmte Urheber 
die des israelitischen Cultus denken kann, so sind es am ehesten 
die Patriarchen, aber auch sie haben das Ritual nicht erfunden, 
sondern nur die Stätten gegründet, wo die Israeliten den ge- 
meinen Gebrauch aller Welt dem Jahve widmeten. Der Gegen- 
satz gegen den Pi-iestercodex ist höchst auifalleud, denn es ist 
bekannt, dass dieser keinen Opferakt vor Mose erwähnt, weder 
in der Genesis noch im Exodus, obwohl seit Noah die Schlach- 
tung erlaubt ist. Das Fest der Darbringung von Schafen und 
Rindern als die Veranlassung des Auszuge aus Ägypten fällt 
hier weg, und aus dem Opfer der Erstgeburten wird das Passah- 
lamm, welches ohne Altar ohne Priester und nicht vor Jahve 
geschlachtet und gegessen wird'). 

Zu meinen, dass der Cultus auf vormosaischen Gebrauch 
zurückgehe, ist ohne Frage naturgemässer als zu meinen, dass 
er das Hauptstttck der sinaitischen Gesetzgebung sei; es ist ein 

Bezug auf die Opfer noch ganz auf dein 



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Die Opfer. 57 

wunderlieher Gedaoke, dass Gott oder Mose plötzlieb das richtige 
Opferritual sollte erfunden und eingefllhrt haben. Indessen daraus 
ergibt sieb nicht der Sehiuss, dass der Prieetevcodex jüngerer 
Zeit angehöre. Ebenso folgt dies auch nicht aus der hier sebon 
sehr entwickelten Technik des Verfahrens, denn die mag bei 
den grossen Heiligtümern schon recht früh vorhanden gewesen 
sein, ohne freilich darum gerade als eebt mosaisch zu gelten. 
Dagegen fällt es allerdings sobwer ins Gewicht, dass die aus- 
schliessliche Legitimität einer so bestimmten Opferordnung, wie 
sie im Priestereodex als die einzig mögliehe in Israel gilt, eine 
Vorstellung ist, die sich nur in Folge der Centralisation des 
Cultus zu Jerusalem ausgebildet haben kann. Doch dadurch 
würde die Entscheidung über unsre Frage auf das im vorigen 
Kapitel gefundene Resultat zurückgeschoben, und wünschenswert 
wäre es jedenfalls, sie selbständig zu erledigen, damit nicht der 
Tragkraft eines einzigen Pfeilers zu viel anvertraut werde, 

2. Auch hier können die Gründe der Entscheidung nur 
den geschichtlichen Documeuteu aus der vorexilischen Zeit ent- 
nommen werden, den Buehern der Richter Samuelis und der 
Könige auf der einen, den Schriften der Propheten auf der an- 
deren Seite. Was die ersteren betriöt, so .erscheint hier der 
Cultus und das Opfer bei allen Gelegenheiten als eine grosse 
Hauptsache im Leben des Volks und des Einzelnen, Aber wenn 
auch nicht anzunehmen ist, dass auf das rite gar nichts sollte 
gegeben sein, so liegt doch darauf keinesfalls der Nachdruck; 
der Gegensatz ist nicht; rite und nicht rite, sondern: dem 
Jahve und den fremden Göttern — umgekehrt wie im 
Priestereodex. Neben glänzenden Opfern _wie die königlieben, 
die vermutlich nach allen Kegeln der Kunst dargebracht wer- 
den, kommen auch höchst einfache und primitive vor, z. B. das 
Sauls 1. Sam. 14, 35 und Elisa's 1. Reg. 19, 21; richtig siod sie 
beide, wenn sie nur dem richtigen Gotte gewidmet sind. Ab- 
gesehen von der esilischen Bearbeitung des Buchs der Könige, 
welche den Cultus ausserhalb Jerusalems für ketzerisch hält, 
trifft man nirgend die Vorstellung an, dass ein Opfer dem Gotte 
Israels geweiht und doch illeg;itim sein könne. Naeman (2. Reg. 
5, 17) wird seinen heimischen syrischen Ritus befolgt haben; das 
thut der WohlgefälHgkeit seines Opfers keinen Eintrag. Zu 
einer Besehreibung des Ritus ändet sich erklärlicher Weise selten 



yGOOgfe 



58 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

Anlass; kommt aber einmal eiue solche vor, bo lässt sie sich 
nur mit Grewalt in das gesetzliche Schema hineinzwängen. Am 
meisten frappiert das Verfahren Gideons Judie. 6, 19—21, womit 
offenbar zugleich das zu Ophra noch zur Zeit des Erzählers 
übliche besehrieben wird. Gideon kocht einen Ziegenbock und 
bäckt ungesäuerte Asehenkuehen , thut darauf das Fleisch in 
einen Korb und die Brühe in einen Topf, und dann wird das 
so zubereitete Mahl der Flamme des Altars übergeben. Doch 
mag auch Übereinstimmung mit der Kegel des Pentateuehs vor- 
gekommen sein, das Wichtige ist aber, dass der Begriff des Le- 
gitimen und des Ketzerischen ganz fehlt. Man vergleiche nur 
die Chronik, so merkt man den Unterschied. 

Den Eindruck, den man aus den geschichtlichen Büchern 
gewinnt, vervollständigen die Propheten. Es ist wahr, indem 
sie gegen die Verwechslung des Cultus mit der Keligion kämpfen, 
lassen sie erkennen, dass derselbe zu ihrer Zeit auf das eifrigste 
und glänzendste betrieben wird und in der höchsten Wert- 
schätzung steht. Aber diese Wertschätzung gründet sich nicht 
auf die Meinung, dass der Cultus seiner Materie nach auf Mose 
oder Jahve selbst zurückgehe, der Theokratie den unterschei- 
denden Charakter gebe und eben das übernatürliche Priester- 
amt Israels unter den Völkern ausmache, sondern einfach auf 
den Glauben, dass Jahve von seinen Anhängern ebenso mUsse 
geehrt werden wie die anderen Götter von ihren ünterthanen, 
durch Opfer und Gaben, als die natürlichen und, ebenso wie das 
Gebet, allgemein üblichen Äusserungen der religiösen Huldigung. 
Je mehr die Quantität und je schöner die Qualität, desto besser; 
dass das Verdienst bei der Darbringung von der genauen Beob- 
achtung der Etikette, als des Gesetzes Jahve's, abhänge, tritt 
nicht hervor. Daher können die Propheten fragen, ob denn 
Jahve befohlen habe , sich mit dergleichen Leistungen für ihn 
anzustrengen, in der Voraussetzung, dass ein solcher Befehl 
nicht existiere und dass niemand von einer Thora rituellen In- 
halts etwas wisse. Arnos, ihr Chorführer, sagt 4, 4f.: „Kommt 
nach Bethel zu sündigen, nach Giigal noch mehr zu sündigen, 
und bringt alle Morgen eure Opfer„ alle drei Tage eure Zehnten 
— so liebt ihr es ja, ihr Kinder Israel!" In dem wegwerfenden 
Urteil über den Wert des Cultus widerspricht er dem Glauben 
seiner Zeit, aber wäre die Meinung verbreitet gewesen, grade 



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Die Opfer. ■ 59 

dev Cultus sei die Stiftung Jahve's in Israel, so könnte er nicht 
sagen: so liebt ihr es ja. Ihr, nicht Jahve; es ist eitel seltiBt 
gewählter G-ottesdienst. Nocli deutlicher spricht ev sieh 5, 21ff. 
aus: „Ich hasse, verschmähe eure Feste und rieche nicht an 
eure Feiertage; bringt ihr mir VoHopfer und eure Gaben dar, 
ich mag sie nicht, und euren Dank an Mastkälbern sehe ich 
nicht an. Fort von mir mit dem Lärm deiner Lieder, dein 
Haifenspiel will ich nicht hören ; es quille aber wie Wasser das 
Recht hervor und Gerechtigkeit wie ein unversieglieber Bach. 
Habt ihr mir Opfer und Gaben in der Wüste dargebracht, die 
vierzig Jahre, Haus Israels?" Schwerlich fürchtet Amos mit 
der Behauptung dieser letzten Frage auf irgend welchen Wider- 
spruch zu stossen, er folgt darin im Gegenteil der allgemeinen 
Annahme. Seine Polemik ist gegen die Praxis seiner Zeitge- 
nossen gerichtet, er basiert sie aber hier auf eine theoretische 
Grundlage, in der sie mit ihm öberein stimmen, nämlich darauf, 
dass der Opferdienst nicht mosaischen Ursprungs sei. Wenn 
endlich die Stelle 2, 4 echt wäre, so wUrde sie das selbe lehren. 
Unter der Thora Jahve's, welche die Judäer verachtet haben, 
kann Amos nichts verstehen, was mit einer Ritualgesetzgebung 
die entfernteste Ähnlichkeit hat. Sollte er sich aber von der 
Thora seinen besonderen Privatbegriff gemacht haben? wie wäre 
er dann vom Volke verstanden worden, wie hätte er auf das 
Volk wirken können! Das jedenfalls kann man dem Hirten 
von Thekoa am wenigsten zutrauen, dass er unter dem Einfiuss 
prophetischer Tradition — den er ja so weit von sich weist — 
die Thora für etwas ganz anderes angesehen hätte, als was sie 
wirklich war. 

An Amos. sebliessen sich Hosea Jesaia und Micha an. Der 
erstere führt 4, ßff, bittere Klage darüber, dass die Priester statt 
der Thora die Opfer eultivieren. Die Thora, die Jahve ihrem 
Stande anvertraut, giebt ihnen den Beruf, die Kenntnis Got- 
tes in Israel zu verbreiten, dass er Treue und Liebe Recht und 
Billigkeit fordert und keine Geschenke, aber aus niedriger 
Selbstsucht befördern sie den Hang des Volkes zum Cultus, in 
dessen Überschätzung sein Aberglaube seine Sünde und sein 
Verderben besteht. „Mein Volk geht unter aus Mangel der Er- 
kenntnis, denn ihr selbst (ihr Priester!) verachtet die Erkenntnis, 
so will auch ich euch verachten, dass ihr mir nicht Priester sein 



yGOQ*^ 



60 Geschichte des Cultns, Kap. 2. 

sollt; ihr habt die Thora eures Gottes vergessen, so will ieh 
auch euer vergessen. So viel sie sind, so sllndigen sie gegen 
'inieh, ilire Ehre vertauschen sie gegen die Schande. Meines 
Volkes Sünde essen sie und nach seiner Verschuldung tragen 
sie Verlangen." Daraus sieht man, wie thörieht es ist zu glau- 
ben, die Propheten haben „das Gesetz" bekämpft; sie kämpfen 
für die Priesterthora, aber diese hat es nicht mit dem Cultus 
za thun, sondern mit dem Recht und der Sitte. An einem an- 
deren Orte (8, llflf.) heiest es: „Ephraim hat sich viele Altäre 
. gebaut, zu sündigen, die Altäre sind ihm da, zu sündigen. Mag 
ich ihm noch so viel meiner Weisungen (thorothäi) vorschreiben, 
sie werden geachtet wie die eines Fremden." Diese Stelle hat 
das unverdiente Missgesehick, als Beweis dafür dienen zu müssen, 
dase Hosea umfangreiche Aufzeichnungen ähnlichen Inhalts wie 
unser Pentateuch kenne. Das allein ergibt sich aus dem Gegen- 
satz statt meine Thoroth zu befolgen opfern sie — denn 
das ist der Sinn — , dass dem Propheten die Möglichkeit gar 
nicht in den Sinn kam, dass mau auch den Cultus zum Gegen- 
stand der Weisungen Jahve's machen könnte. Aus Jesaia's 
Reden gehört hierher die bekannte Stelle des ersten Kapitels; 
„Wozu mir eure vielen Opfer, sagt-Jahve; ieh bin der ver- 
brannten Widder und des Fettes der IMastkälber satt, und das 
Blut von Rindern und Schafen mag ich nicht. Wenn ihr kommt, 
mein Angesicht zu schauen, wer verlangt das von eurer Hand? 
- ■ meine VovhÖfe zu zertreten!" Über diese Äusserung hat man 
sich von Alters her Sorge gemacht und allerdings hätte der 
Prophet sie nicht thun können, wenn der Opferdienst, nach 
irgend welcher Tradition, fiir speciliseh mosaisch gegolten hätte. 
Das Wort Thora gebraucht Jesaia von der prophetischen und 
nicht von der priesterliehen Weisung (1,10. 2,3. 5,24. 8,16. 
20. 30, 9); da beide einer gemeinsamen Quelle entspringen 
und der eigentliche Weiser Jahve ist (30,20), so erklärt sich 
das leicht und ist andererseits für den Begriff sehr lehrreich; 
der Inhalt des Priestercodex passt schlecht in die Thora von 
1, 10. Von hervorragender Bedeutung ist endlich noch Micha's 
Antwort auf die Frage des Volkes, wie man sieh die Gunst des 
zümenden Gottes wieder erwerben könne 6, 6 ff. „Soll ich mit 
Brandopfei-n ihm entgegen kommen, mit jährigen Kälbern? hat 
er Gefallen an Tausenden von Widdern, an unendlichen Olströ- 



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Die Opfer, 61 

men? boU ich meinen Erstgeborenen für meine SUnde geben, 
meines Leibes Fracht als Sühne meiner Seele? — — Es ist dir 
gesagt, Mensch, was frommt und was Jahye von dir fordert: 
vielmehr Recht pflegen und Liehe Üben und demütig wandeln 
vor deinem Gott." Obwohl die schroffe Entgegensetzung von 
Cnltus und Religion gewiss eigentümlich prophetisch ist, so kann 
sieh Micha doch darauf berufen:, es ist dir gesagt, Mensch, 
was Jahve fordert. Ee ist nichts Neues, sondern eine bekannte 
Sache, dass die Opfer nicht der Inhalt der Thora Jahve's sind. 
Dass aus diesen Aussprüchen der älteren Propheten nicht 
zu viel geschlossen ist, erhellt aus ihrer Fortsetzung durch Jere- 
mia, der kurze Zeit vor dem babylonischen Exil lebte. Wie er 
6, 19 f. die Thora dem Cultua entgegensetzt, so lässt er sich 
7,21ff. also vernehmen: „Eure Brandopfer t^gt zu euren Dank- 
opfem und esset Fleisch! Denn ich habe euren Vätern nichts 
gesagt und ihnen nichts befohlen, als ich sie aus Agypteuland 
fühlte,- in Betreff von Brand- und Dankopfern. Sondern das 
habe ich ihnen befohlen: höret auf meine Stimme, so will ich 
euch Gott und ihr sollt mir Volk sein, und gehet auf dem Wege, 
den ich euch immer weisen werde, damit es euch wohl gehe." 
Es ist zwar keine uralte Anschauung, dass die Propheten — 
denn diese sind nach dem Zusammenhange die stets lebendige 
Stimme, auf welche Israel hören soll — die eigentliche Seele 
der Theokratie seien, das Organ, wodurch Jahve in ihr wirkt 
und sie regiert. Aber an dem Positiven liegt nichts; genug, 
dass Jeremia jedenfalls die mosaische Gesetzgebung, wie sie im 
Priestercodex enthalten ist, nicht kennt. Geflissentlich ignoriert 
hat er sie nicht, denn von Hass gegen den Cultus war er fern 
(17,26). Als Priester und Prophet, der beständig im Tempel 
zu Jerusalem sieh aufhielt, häjte er sie aber kennen müssen, 
wenn sie vorhanden und gar codificiert war. Es wird schwer 
sein daran vorbeizukommen. 

Also gehen die geschichtlichen Zeugen, insbesondere die 
Propheten den Ausschlag zu Gunsten der jehovistischen Tra- 
dition. Nach der allgemeinen Meinung der vorexilischen Zeit 
ist der Cultus zwar alter und dem Volke sehr heiliger Brauch, 
aber nicht mosaische Einrichtung, das Ritual ist nicht die Haupt- 
sache daran und auf keine Weise Gegenstand der Thom '). Mit 
') Dass die Priester nicht eitel rechtliche \md moralische, sondern auch 



bjCac^j 



f)2 Oosfhiohle des Ciilfiis, Kap. 2. 

anderen Worten, mau iindet keine Spur der Bekanntschaft mit 
dem Priestercodex, dagegen aber recht deutliche der Unbekannt- 
sehaft mit seinen Vorstellungen. 

3. Den Übergang tou der vorexilischen zur naehexilischen 
Zeit macht hier nicht der Deuteronomiker, sondern Ezechiel, der 
. Priester im Prophetenmantel, welcher unter den ersten Verbannten 
sich befand. Er steht in einem merkwürdigen Gegensatze zu 
seinem älteren Zeitgenossen Jeremia. In dem von ihm im Jahre 
573 entworfenen Zukunftsbilde Israels Kap. 40 — 48, worin wohl 
auf Jahve phantastische Hoffnungen gesetzt, au die Menschen 
aber keine unerfüllbaren Ansprüche gemacht werden, nimmt der 
Tempel und der Cultus eine centrale Stellung ein. Woher kommt 
diese plötzliche Wendung? etwa weil jetzt auf einmal der Priester- 
eodex nach langem Schlafe zum Leben aufwachte und den Ezechiel 
inspiiierte? In einem solchen Zufall liegt die Erklärung wohl nicht, 
sondern emfach lu den gescbiehtliehen Umständen. So lange 
der Opfeidienst als Praxis bestand, übte man ihn eifrig aus, be- 
schäftigte sich aber nicht theoretisch damit und hatte gar keinen 
Änlass ihn zu codificieren. Nun war der Tempel zerstört, der 
Cultus \oibei, das Personal ausser Dienst: es ist begreiflieh, 
dass die heilige Praxis von ehemals nun zum Gegenstand der 
Theorie und der Schrift gemacht wurde, damit sie nicht verloren 
ging, und dass ein verbannter Priester den Anfang machte, das 
Bild von ihr, das er in seiner Erinnerung trug, aufzuzeichnen 
und es als Programm für die zukünftige Herstellung der Theo- 
kratie zu veröffentlicheu. Begreifen lässt es sich auch, wenn 
Einrichtungen, die solange sie lebendig waren einfach als natür- 
lich galten, seit ihrer Abolition in einem yerklärenden Lichte 
erschienen und durch das ihnen gewidmete Studium auf eine 
künstliche Weise noch mehr im Werte stiegen. Diese durch 
das Exil gegebenen Bedingungen reichen hin, den Übergang von 
Jeremia auf Ezechiel und die Genesis von Ezech. 40 — 48 zu 
verstehen. Die Mitwirkung des Priestereodex ist dabei nicht 
nur völlig überflüssig, sondern auch störend Die Abweichungen 

rituelle Belehrung, z.B. aber Reinheit und Umemheil, erteilten, soll 
damit natürlich nicht geleugnet werden Zu behaupten ist nur, dass im 
voreiiliscLen Altertum nie die eigene Praxi*" der Pnester (am Altare) 
den Inhalt ihrer Thora bildete sondern dass ihre TIlOr^ stets eine Unter- 
weisung für die Laien war. Wer den Unterachied verstehen w lil, ver- 
steht ihn. Getreu Dillmann, Exodus und lei S 38fi llfT 



vGooqIc 



Die Opfer. 63 

Eze h el vom Ritual des Pentateuchs lassen sich nicht als ab- 
s cl tl cl e Äuderungen des Originals verstehen, dazu sind sie zu 
zufiill o und unbedeutend. Der Prophet hat ferner das Autor- 
recht fl den Schluss seines Buchs so gut wie für die übrigen 
Tele e hat es ebenso auf sein Zukunftsbild wie die früheren 
Propheten auf die ihrigen. Endlieh erwäge man das Gewicht 
der einfachen Thatsaehe, dass ein exilierter Priester sich veran- 
lasst sieht, eine solche Skizze des Tempeicultus zu entwerfen. 
Wozu wäre sie nötig gewesen, wenn das ausgeführte Bild existiert 
hätte, welches durchaus seinen Absichten entsprach und die Ge- 
fahr gar nicht aufkommen Hess, dass der Cultus durch sein that- 
säehliches Pausieren erlöschen wQrde, da er im Buche stand? 

Der Ausweg einer leblosen Existenz des Gesetzes bis auf 
Ezra's Zeit steht auch hier wieder offen. Es ist aber unbereeh-, 
tigt, dieselbe dann nicht von Mose zu datieren, sondern von" 
irgend einem mittleren Punkte der israelitischen Geseliichte. 
Ausserdem ist doch gerade beim Opferritual die Annahme einei- 
Codification, die entweder vor aller Praxis oder unabbängig 
neben ihr hergeht, äusserst schwierig, da es auf der Hand liegt, 
dass dieselbe nur der endliche Niederschlag eines alten und reich 
entwickelten Usus und nicht Erfindung eines massigen Kopfes 
sein kann. Aus diesem Grunde ist ebenso die Ausflucht einer 
gesetzwidrigen Praxis unmöglich und die Legitimität des faktisch 
Bestehenden nicht anzufechten, 

IL 

Zu allen Zeiten also hat der Opferdienst in Israel bestanden 
und grosse Bedeutung gehabt, aber in der älteren Zeit gründete 
, er sich auf den ererbten Brauch der Väter, in der naehexilisehen 
auf das Gesetz Jahve's durch Mose. Früher war er naiv: auf 
die Menge und Gute der Gaben kam es vorzugsweise an; später 
ward er legal: auf die scrupulose Ausfahrung des Gesetzes, d, i. 
das Ritus, ward vor allem gesehen. War denn nun, abgesehen 
davon, ein eigentlich materieller Unterschied nicht vorhanden? 
Um darauf zu antworten, muss etwas weiter ausgeholt und zuvor 
einiges Allgemeine zur Orientierung bemerkt werden. 

1. Im Pentateuch wird wohl der Ritus der Opfer weitläufig 
beschrieben, nirgend aber im Alten Testament wird ihi e Bedeu- 
tung förmlich auseinandergesetzt, sondern diese gilt im Ganzen 



„Goi^P: 



64 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

als selbBtyei'Btäudlich und aller Welt bekannt. Der allgemeine 
Begriff des Opfers ist im Priestercodex Korban, im übrigen 
Alten Testament Minha'), d, h, G-abe; die entsprechenden Verba 
sind bakrlb undhaggisch, d.h. nahebringen. Beide Nomina 
und Verba stehen ursprünglich von dem Darbringen eines Ge- 
schenks an den König (oder die Grossen), um ihm zu huldigen, 
ihn gnädig zu stimmen, eine Bitte zu unterstützen (Jud. 3, 17 f. 
1. Sam. 10, 27. 1. Keg. 5, 1); von da also sind sie auf den höch- 
sten König übertragen (Mal. 1,8). Af&pa Osof*; Tcefflei, Siüp' afSoiou? 
ßacJiX^tt?. Die Gabe darf nicht zur Unzeit und nicht täppisch 
aufgedrungen werden, nicht wenn der König im hellen Zorn ist, 
und nicht ron einem, dessen Anblick ihm verhasst ist. 

Gegen den Inhalt ist der Begriff des Opfers an sich gleich- 
giltig, wenn es nur überhaupt einen Wert hat und Eigentum 
des Darbringers ist. Korban und Minha umfasst auch das, was 
die Griechen Anathema nennen. Die heiligen Abgaben, die 
hinterher an die Priester fallen, sind ohne Zweifel ursprünglich 
regelmässige Opfer gewesen, darunter befindet sich auch Wolle 
und Flachs (Deut. 18, 4. Hos. 2, 7. 11). Jedoch entspricht es der 
Naivetät des Altertums, dass sowie an die Menschen, so an Gott 
vorzugsweise Essbares geschenkt wird — wobei noch hinzukam, 
dass man auf diese Weise zurückgab, was er hatte wachsen lassen. 
Die regelmässige Form ist dabei die, dass man ein Mahl ihm zu 
Ehren veranstaltet, worai der Mensch als Gast Gottes teilnimmt. 
Das Opfer sehleehtbin ist stets ein Ess- oder Trinkopfer. Darum 
wird der Altar auch Tisch genannt, deshalb gehört zum Fleische 
Salz, zu Mehl und Brot Ol, zu beiden Wein; darum kommt das 
Fleisch regelrecht zerstüekt und in alter Zeit gekocht auf den 
Altar, das Korn gemahlen oder gebacken. Daher auch der 
Name Brot Jabve's für das Opfer (Lev. 21. 22). Allerdings 
„hat der gebildete Hebräer im Opfer keine Speisung Jahve's 
gefunden", aber der gebildete Protestant ist auch nicht mass- 
gebend fUr den ursprünglichen Charakter des Protestantismus. 
Die Art, wie die Gott zufallenden Stücke ihm applieiert 

') Gen. 4, 3—5. Num. 16, lö. 1. Sam. 3, 17. 29. 26, 19. Jos. 1, 13. Mal. 1, 10 
bis 13. 2, 12f. 3, 3f. Im Priestercodex ist Minha ausschliesslich termi- 
nus teehnicus für das Mehlopfei'. Der allgemeine Name in der Sept. und 
im Neuen Testament ist Btüpov (Matth. 5,23f. 8,4. 15,5. 33,18f.). Vgl. 
Spencer III 2 de ratione et oiig. sacrificiorum, bei weitem das Beste, was 
über den Gegenstand geschrieben ist. 



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Die Opfer. 65 

werden, ist verschieden. Die primitivste ist das blosse Hiu- 
Htellen (-p,]} struere) und Aussehiitten ("jstf fundere) bei den 
Schaubroden und Trankopfeni — dem würde einfaches Essen 
und Trinken eutsprechen. Die üblichste aber ist das Verbrennen 
oder, wie die Hebräer sich ausdrücken, das Rauchern (T!3pn) 
— dem entspricht die feinere Genuseform des Kiechens. Ur- 
sprünglich jedoch verzehrt Gott selber, was die Flamme ver- 
zehrt. Jedenfalls ist das Verbrennen ein Applicieren , nicht 
etwa, wie man aus dem ,, süssen Duft" (nri'J n'") Gen. 8, 21) 
schliessen könnte, ein Zubereiten. Denn in alter Zeit brieten 
die Hebräer das Fleisch nicht, sondern sie kochten es, in dem 
uaehweislich ältesten Ritus (Jud. 6, 19) wird auch das Opfer 
gekocht der Altarflamme Qbergeben; ausserdem wird ja nicht 
bloss das Fleisch, sondern auch das Brot und das Mehl verbrannt. 

Was den Untereehied von niehtblutigeu und blutigen Opfern 
betrifft, so werden bekanntlich die letzteren im Alten Testa- 
ment vorgezogen, eigentlieU aber haben die erstereu den selben 
Wert und die selbe Wirkung. Das Wei brauch opfer ereeheint 
als Siihnmittel (Lev, 16. Num. 17, 12) und ebenso die unend- 
lichen Olströme mitten zwischen den Tausenden von Widdern 
und dem Menscheno])fer (Mich. G), Dass das vegetabilische 
Opfer immer nur das tierische begleite, trifft nicht zu, weder bei 
den Sehanbroten noch bei der täglichen Minha des Hohen- 
priesters (Lev. 6, 13. Neh. 10, 34). Nur das Trankopfer tritt 
nicht selbständig auf und hat überhaupt nicht die Bedeutung 
wie bei den Griechen. 

Bei der Schiachtung besteht das Opfer nicht im Blute, son- 
dern im Fleische, in den essbaren Teilen, Nur diese können 
als Brot Jahve's bezeichnet werden, auch werden nur die ess- 
baren Haustiere dargebracht. Aber allerdings hat sich bei den 
blutigen Opfern mit der ursprünglichen Idee der Gabe ein neues 
Motiv verbunden. Das Leben, als dessen Substanz das Blut 
angesehen wurde (2. Sam. 23, 17), hatte filr die alten Semiten 
etwas Mysteriöses, Göttliches; es zu vernichten trugen sie eine 
religiöse Scheu. Fleisch essen war ihnen ein seltenes Fest und 
sie asseu es mit anderen Empfindungen wie Früchte oder Milch. 
Eine so gleichgiltige bloss präparatorisehe Massregel wie etwa 
die Reinigung und Zubereitung des Kornes war das Sehlachten 
also nicht, vielmehr wagte man nur so das Blut zu vergiessen, 



yGoOgI 



fif) fiesrhiciltc (Ipb C'ultus, Küp. '2. 

■ (lass man es der Gottheit, der Quelle des Lebens, zurilckgab. 
So ward zwar keineswegs jede Mahlzeit, wohl aber jede Schlach- 
tung ein Opfer. Zunächst handelte es sieh dabei um eine blosse 
Zurückgabe ihres Eigentums an die Gottheit, jedoch ergab sieh 
leicht eine Combination mit dem Opferbegriff, wodurch dieser 
selbst eigentlimlieh modificiert wurde. Die stthnende Wirkung 
der Gabe fing man an vorzugsweise dem Blute und der stellver- 
tretenden Kraft des getöteten Lebens zuzuschreiben. Das Blut- 
ausgiessen und -sprengen war bei allen Opfern ein Ritus von 
hervorragender Wichtigkeit und auch die Schlachtung selber bei 
einigen und gerade den geschätztesten ein heiliger Akt. 

2. In diesen ümriss fügen sich die Zllge der vei'sehiedeuen 
Quellen. Der Priestercodex lässt nun einige Besonderheiten er- 
kennen, wodurch er sieh in Hinsieht auf das Opferwesen von 
dei- vorexilischen Literatur unterscheidet. 

Zuuäehst zeichnet er sich bei den unblutigen Opfern durch 
eine gewisse Verfeinerung des Materials aus. So will er zu den 
Mehlopfem nicht ncp far angewandt wissen, sondern n'?D si- 
mila. In der vorexilisehen Literatur findet sich das letztere 
Überhaupt nur an drei Stellen, nie aber beim Opfer, wo viel- 
mehr das gewöhnliche Mehl gebraucht wird (Jud. 6, 19. 1. Sam. 
1,24). Dass dies kein Zufall ist, folgt einerseits daraus, daas 
in der späteren Literatur seit Ezechiel ncp als Opfermehl ver- 
schwindet und statt dessen stets rhu erscheint, andererseits 
daraus, dass die Septuaginta oder ihre hebräische Vorlage an 
dem ungesetzlichen Material 1, Sam. 1 , 24. Anstoss nimmt und 
es in gesetzliches verbessert'). 

Dahin gehört ferner, dass der Weihrauch in auifallender 
Weise bevorzugt wird. Mit jedem Mehlopfer gelangt Weihrauch 
auf den Altar; im inneren Heiligtum wird eine eigentümliche 
Mischung von Spezereien verwandt, deren genau angegebenes 
Recept_f(ir den Privatgebrauch nicht nachgemacht wei'den darf. 
Das Räucheropfer ist das Vorrecht der liöchsten Priester, in dem 
Ritus des grossen Versöhnungstages , dem einzigen bei dem 
Aharon in Person fungieren muss, nimmt es eine hervorragende 
Stellung ein. Es ist von einer gauK gefährlichen Heiligkeit, 
') Ezecb. 16, 13. 19. 4e,U. l.riiroTi,9,29. 23,29, Sirac.35,2, 38,11.39,32. 

Sept. zu laa. 1, 13. 66, 3. Iia Priestercodex kommt n'?D ö*»«'' "e^g 



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Bie Opfer, 67 

Aharons eigene Söhne stai'ben, weil sie sieh nicht der richtigen 
Kohlen bedient hatten. Den nicht dazu berechtigten Leviten 
der Rotte Korah bringt ea Tod und Verderben, während ea als- 
bald darauf, in der Hand des legitimen Hohenpriesters, das 
Mittel ist den ausgebrocbenen Zorn Jahve's zu beschwichtigen 
und der Plage Einhalt zu , thun. Von diesem Opfer nun , das 
mit einem solchen Glanz der Heiligkeit ausgestattet ist, weiss 
die ältere Literatur des jüdischen Kanons, bis auf die Propheten 
Jeremia und Sephania, lediglich nichts. Das Verbum "IlSp heisst 
da immer nur das Fett oder Mehl verbrennen und es dadurch 
Gott zu einem wohlgefälligen Geruch machen, nicht aber 
Weihrauch opfern; das Substantiyum mtsp als Opferterminua 
hat den ganz allgemeinen Sinn des auf dem Altar Ver- 
branuten'). In Aufzählungen, wo die Propheten Alles erschöpfen, 
was an Gaben und liturgischen Leistungen existiert, wo sie in 
dem Bedürfnis die Reihe zu verlängeni sieh auch vor Wieder- 
holungen nicht scheuen, ist von Weihrauehopfer keine Rede, 
weder bei Arnos (4,4f. 5, 21ft!.), noch bei Jesaia (l,llfF.), noch 
bei Micha (6, 6f.). Sollten sie es durch Zufall allesammt ver- 
gessen oder auf Verabredung ignoriert haben? — denn wenn 

') Das Verbum wird von den alten Seliriftstelleru im l'iel gebraucht, im 

Priestercodes (Chronik) im Hiphil, in der Übergangszeit vom Verfasser 

des Buchs der Könige pTOmiacuo, Wenigstens ist dies so, wo man die 

- Foiinen sieber unterscheiden kann, im Perfectum Imp^ratiy und Infinitiv; 

iffl der Unterschied zwischen "ißpi und "l^üp', IßpD und I^Bpo beruht 

. j bekanntlich nicht auf geaichertev Überlieferung. Vgl, ?,. B. kalter jak- 

"* tirun l.Sam. 2,1G: die Abschreiber und die Punctatoren bevorzugen 

unter dem Einfluss des Pentateuohs das Hiphil. ~ Im Prieslorcoden 

(Chronik) hat TBpn beide Bedeutimgen neben einander, doch steht es 

hier' absolute meist vom Weihränchern, vom Verbrennen gewöhnlich mit 



i Zusatz nnajon d. h. auf dem Altar, anf dem nämlich das eigent- 
„ y iicne Räucheropfer nicht dargebracht wurde. — Das SubsfantiTum 
,,XW.. j^^jjp j^j jji ,1^,^ Bedeutung Weihrauehopfer, in der es im Priester- 
jf. rt*codex ausschliesslich >ind sehr häufig vorkommt, enerst nachweisbar bei 
Ezechiel A H. 16, 18. 23,41), dann oft in der Chronik, im übrigen Alton 
Testamente nnr Prov. 27,9, aber im profanen Sinne. Sonst nie, nicht 
einmal in so späten Steilen wie l.Sam. 2,28 Ps. GG, 15. 141,2, Bei 
sichei' voi-exilischen Schriftstellern findet sich das Wort nur zwei mal, 
beide mal in ganz allgemeinem Sinne? Isa. 1,13; bringt mir nicht mehr 
vergebliche Opfergabc, gieuliches lüucherwerk ist mir das. Deut. 33, 10: 
die Leviten bringen Räncherwerli (= das Fett der Dankopfer) in deine 
Nase und Vollopfer anf deinen Altar. — Der Name ni37 thus kommt 
zuerst bei Jeremia vor C,20, 17,26. 41,5; Sbrigens nur im Priestercodex 
(9 mal), Jes. 40--6G (3 mal), Nehemia und Chron. (3 mal), und Canticum 
(3 mal), Vgl. Sophon. 3, 10. 1. Reg. 9, 25. 



,/Goöt^ 



fift Geschicilto des Calliis, Kap. 3. 

"es vorhanden und von so grosser Wichtigkeit war, so hätte es 
doch wenigstens einer von ihnen erwähnen müssen. Ebenso 
wenig findet sich sonst eine Erwähnung desselben weder in der 
jehovistischen Schiebt des Hexateuchs, noch in den gesebieht- 
lichen Rücbern, abgesehen von der Chronik, noch bei den Pro- 
pheten — bis auf Jeremia, welcher 6, 20 gerade das Weihraueb- 
opfer hervorhebt, als etwas Rares, Weitbergeholtes; wozu mir 
der Weihrauch von Saba her und das edle Rohr aus fernem 
Lande! Von da ab erwähnen es Ezechiel, Jesaia 40—66, Nebe- 
mia, die Chronik; die Zeugnisse reissen nicht ab. Die Einfüh- 
lung hängt natürlich zusammen mit gesteigertem Luxus; man 
könnte geneigt sein zu vermuten, dass der Gebrauch erst von 
einem feiner entwickelten fremden Cultus aus in den Jahve- 
dienst eingedrungen wäre. Zu welcher Bedeutung derselbe aber 
in der Ritualgesetzgebung des Pentateuchs gelangt ist, geht vor 
Allem daraus hervor , dass er hier zu der Neubildung einep 
eigenen hochheiligen Gerätes gefuhrt hat, nämlieh des goldenen 
Altars im Inneren der Stiftshütte, den die Geschichte nicht 
kennt und der sogar dem Kerne des Piiestereodex selbst 
fremd ist. 

Wir erwarten den Räncheraltar in Exod. 25—29, wir finden 
ihn statt dessen nachträglich zu Anfang von Exod. 30. Warum 
erst an dieser Stelle, warum getrennt von den übrigen Geräten 
des inneren Heiligtums, wamm sogar nach der Verordnung Über 
den Priesterornat und die Inauguration des Gottesdienstes? Der 
Grund , warum der Verfasser von Kap. 25 — 29 an der Stelle, 
wo er die innere Einrichtung der Hütte, bestehend in Lade 
Tisch und Leuchter, beschreibt, den goldenen Räueheraltar nicht 
mit aufführt, ist, dass er von letzterem nichts weisa. Vergessen 
kann er ihn nicht haben — so bleibt keine weitere Möglieb- 
keit'). Hinterher wiederholt sich die Erscheinung, dass der 

') Insbesojideie ist es verkehrt, den Anstoss dadurch zu beseitigen, dass 
man ihn auf gleiche Stufe mit anderen angeblichen Wunderlichlieiten der 
Aaordttung setzt, z. B. damit dass die Geräte dos Tabernakels (Kap. 25) 
vor diesem selber (Kap. 26] angeordnet werden. Dies ist ganz sachge- 
niäss, im Befehl kommt erst der Zweck und dann das Mittel, in der Aus- 
führung amgekehrt erst Aas Mittel und dann der Zweck. Ebenso ist es 
durchaus nicht auffallend, wenn nutergeordaete Apparate wie die Schlacht- 
bänke oder das Waschbecken, die keine Bedeutung für den eigentlichen 
Cnitua haben, entweder überhaupt nicht aufgeführt oder nachgetragen 
werden. Bas lässt sich damit gar nicht vergleichen, dass das wichtigsle 



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Die Opfer. 69 

Räucheraltar nur io gewissen Stücken des Priestercodex vor- 
kommt, in anderen aber feblt, wo er nicht fehlen könnte, wäre 
er bekannt gewesen. Der Bitus des feierlichsten SUndopfers 
geht zwar in Lev. 4 am goldenen Altar vor sieb, aber in Exod. 29. 
Lev. 8. 9 ohne denselben. Auffallender noch ist es, dass in 
Stellen, wo es sich um das heiligste Räucheropfer selber han- 
delt, von dem betreffenden Altar keine Spur zu entdecken ist. 
So namentlich in Lev. 16. Um im Heiligtume zu räuchern, 
nimmt Aharon eine Pfanne, fUllt sie mit Kohlen vom Brand- 
(ipferaltar (v. 12, 18 — 20) und thut im Adyton den Weihrauoh 
darauf. Ebenso wird Lev. 10 Num. 16. 17 auf Pfannen ge- 
räuchert, deren jeder Priester eine besitzt. Die Kohlen werden 
vom Brandopferaltar genommen (Num. 17,11), der mit den 
Pfannen der korahitiBchen Leviten Itberzogen ist (17,3.4); wer 
das Feuer anderewoher nimmt, ist des 'J'odes (Lev. 10, 1 ff.). Der 
Räueheraltav ist hier liberall unbekannt, der Brandopferaltar ist 
der alleinige Altar und heisst auch immer schlechthin der 
Altar, z. B. sogar Exod. 27, wo es doch besonders nötig ge- 
wesen wäre die unterscheidende Bestimmung hinzuzusetzen. Nur 
in gewissen jüngeren Partieen des Priestercodex kommt der 
Name Brandopfevaltar vor, eben in denen, die den Räucher- 
altar kennen. Charakteristisch in dieser Beziehung ist der Ver- 
gleich des Befehls Exod. 27 mit der Ausführung Exod. 38. 

Der goldene Altar im Heiligen ist uvsprlinglich nichts an- 
deres als der goldene Tisch, der Wechsel des Ausdrucks hat 
zur Verdoppelung der Sache geführt. Ezeehiel unterscheidet 
nicht zwischen dem Tisch rmd dem Altar imNaos, sondern setzt 
beides gleich. Denn er sagt 41, 21f.: „Vor dem Adyton stand 
etwas, aussehend wie ein hölzerner Altar, drei Ellen hoch, zwei 
Ellen lang und breit, und hatte vorstehende Ecken, und sein 
Gestell und seine Wände waren von Holz: das ist der Tisch, 
der vor Jabve steht." Demgemäss bezeichnet er den Dienst der 
Priester im inneren Heiligtum als den Dienst am Tisch 44,16: 
Tisch ist der Name, Altar der Zweck '). In 1. Reg. 7, 48 werden 
allerdings goldener Altar und goldener Tisch neben einander 
aufgeflihrt. Es fällt jedoch auf, dass die Sehlnssübersieht in 

Gerät des Heiligen au lier Stelle, wo es notwendig hingehört, liber- 
gangen wird. 
') Umgekehrt nennt Maleachi den n. g. Brandopferaltar Tisch. 



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70 Geschichte des Ciiltiis, Kap. 2. 

. diesem Falle ein Gerät — uud zwar ein so wichtiges Gerät — 
mehr nennt, als die vorliergeliende Eiuzelbeschreibung; denn in 
der letzteren ist nur von der Verfertigung des goldenen Altars 
die Rede, nicht von der des goldenen Tisches (6, 20—22). Wie 
die Umstände liegen, ist nichts wahrseheinlieher, als dass irgend 
ein späterer den goldenen Tisch 7,48 eingeechoben hat, weil er 
ihn auf Grund des Pentateuehs für verschieden von dem goldenen 
Altare ansah und darum seine Erwähnung vermieste. Dass der 
Text des ganzen Capitels vielfach corrupt und iuterpoliert ist, 
steht auch aus anderen Grlinden fest. 

Wenn es im nach exi lisch en Tempel einen goldeuen Altar 
und einen goldenen Tisch nebeneinander gegeben hat, so ist 
das kein Wunder. Wir hören (1. Maec. l,21,f. 4,49), dass der eine 
und der andere von Äntiochus IV fortgeschleppt und beim Tempel- 
weihfest neugemaeht sei. Aber es befremdet nicht wenig, dass 
die Römer bei der Zerstörung Jerusalems nur Tisch und Leuchter 
vorgefunden und erbeutet haben — wo sollte wohl inzwischen 
der goldene Käucheraltar geblieben sein, da Jeremia ihn ja auch 
nicht versteckt hatte (2. Macc. 2, 5)? Und bemerkenswert ist 
ferner, dass in der Septuagiuta die Stelle Exod. 37, 25 — 29 fehlt, 
der Räucheraltar also zwar wohl befohlen, aber nicht ausgeführt 
wird. Unter diesen Umständen ist endlieh auch die schwankende 
Ortsangabe Exod. 30, 6 und der vermeintliche Irrtum des Ver- 
fassers des Hebräerbi-iefes wichtig und begreiflieb. 

Soviel über das Räucheropfer und den Käucheraltar. Ebeu- 
falis als eine Art Verfeinerung, die freilich mehr geistiger Natur 
ist, darf es betrachtet werden, dass das Opfertleisoh im Priester- 
codex nicht gekocht, sondern roh der Altarflamme Übergeben 
wird. Die alte Sitte ist dies nicht, wie nicht bloss aus dem be- 
reits angefahrten Beispiele Gideons (Jud, 6), sondern auch aus 
dem 1, Sam, 2 beschriebenen Verfahren zu Silo erhellt, wo die 
Söhne Eli's nicht warten wollen, bis das Opferfleisch gekocht 
und die Altarstücke „geräuchert" sind, sondern ihren Anteil roh 
zum Braten verlangen. Der Gottheit wird das Mahl, das sie mit 
den Mensehen teilt, in derselben Weise wie den Menschen zu- 
bereitet. Diese Naivetät ist der fortgeschrittenen Bildung ge- 
wichen , und zwar wohl nicht erst in ganz später Zeit. Dabei 
mag noch eine andere Ursache mitgewirkt haben. Die alte und 
auch späterhin im Volk allgemein übliche Sitte, das Fleisch zu- 



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Die Opfer. 71 

zubereiten, war das Kocheu. Das Wort b^2 (im Wasser sieden) 
kommt äusserst häutig, dagegen rh^ (braten) nur noch Exyd. 12, 8 
und Jes. 44, 16. 19 vor. Alles Opferfleiseh (nh^2) ward gekocht 
und anderes gab eb nicht '). Aber bei vornehmen Leuten muss 
schon früh das Braten daneben aufgekommen sein. ,,Gib dem 
Priester das Fleisch zum Braten, er will es nicht gesotten von/ ^UTvvi. 
dir haben, sondern roh" — sagt 1. Sam. 2, 15 der Diener der^- 
Söhne Eli's, Es mag also auch das zum Wegfall des alten'^-"'*' 
Bi-auehs, die Stücke gekocht zu opfern, beigetragen haben, dass - ^ /öf 
inz-svischen das Kochen überhaupt mehr aus der Mode gekommen 
war. Jedenfalls erklärt es sich daraus, dass das Osteropfer, 
welches ebenso wie alle anderen ehedem gesotten wurde, nach 
der ausdrücklichen Verordnung des Priestercodex nur gebraten 
genossen werden sollte '•)■ 

In dieselbe Kategorie gehört es, dass das Mehl im Gesetze 
vorzugsweise roh, in früherer Zeit aber, selbst als Zuthat zum 
Brandopfer, gebacken dargebracht wird. Wenigstens ist dies 
Jud. 6, 19 der Fall, und darnach wird man auch die Angabe 
1. Sani. 1,24 aufzufassen haben: der Opfernde bringt Mehl mit, 
um es an Ort und Stelle zu Massa zu verbacken (Ezeoh. 46, 20). 
Er bringt aber etwa auch gewöhnliehe, d. h. gesäuerte Brote 
mit (1. Sam. 10, 3); diese scheinen keineswegs von jeher, so wie 
Lev, 2, 11, als nicht opfevbar gegolten ku haben. Schon die 
Auflegung der Schaubrote würde sieh unter dieser Bedingung 
nicht verstehen lassen, und sieher sind doch auch die Pfingst- 
brote ursprünglich richtige Opfer gewesen, nicht blosse Abgaben 
an die Pi-iester. Nach Arnos 4, 5 wurde gerade bei einem be- 
sonders festlichen Opfer Gesäuertes verwandt, und eine Remi- 
niscenz an diese Sitte ist sogar Lev. 7, 13 erhalten, ohne dass 
ihr freilich praktische Bedeutung gegeben wird'). Übrigens be- 

') Darnach wird mau auch nifj) ''üin Kocheu verstehen mÖBseii Jud. 6, 19. 

Vgl. die Koebhäuser des Tempels noch beiEieohiel 4(i, 20. 24. In l-Sam. ^^. jv v# 
1,9 sprich beschela statt beschilo und ülge das foigende i-inNI 

') \ gl die pilHinisi,he BestimmiLU^' L\od 12, J mit l'eut 16 7 
^) Die Brote werden Lev 7, 29f totgeschwiegen troUdeni geiade hiei die 
Darbnngung von Seiten der Opfernden naher beschrieben wird Und 
wenn es heilst 7 1 > wenn er da^ Opfer als Thoda bnngt so soll er 
dajin mit Ol angemachte Mazzenbiichen und mit Ol bostnrhene Mazzen 
blattet und mit Ol gemengtes Semmelmehl (LXX) darbringen 7, 13 [auf] 
gesäuerte Brotkuchen soll ei als Uabe darbiingen zu dem Daniopfer der 



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72 Geschieht« des Cultus, Kap. 2. 

deutet auch MaBsa eigentlich nur das eilig uiid in primitivster 
Weise für den augenblicklichen Genusa bereitete Gebäck und 
enthält ursprünglich keinen Gegensatz zu der Säure, son- 
dern nur zu der kdnstlieheren und langsameren Hersteilung 
der gewöhnliehen Brote^). Im Pnestercodex sind die Stoffe 
feiner, aber sie werden möglichst roh belassen: beides ist ein 
Fortschritt, 

3. Eine andere und weit bedeutendere Dilferenz besteht 
bei dem Tieropfer. Von diesem kennt die ältere Praxis nur 
zwei Arten, abgesehen von ausserordentlichen Varietäten, die 
nicht in Betracht kommen. Diese beiden Arten sind das Brand- 
opfer, 01a, und das Dankopfer, Schelem, Zebah, Zebah sehe- 
lamim. Bei dem ersteren kommt das ganze Tiei aut den Altar, 
bei dem anderen bekommt Gott, ausser dem Blut, nur em Ehren- 
teil, während übrigens das Fleisch von den Opfei gasten \ erzehrt 
wird. Nun ist es bemerkenswert, wie selten dab Biandopfer 
alleine vorkommt. Nur beim Menschenopfei versteht sich das 
von selbst (Gen. 22, 2 ff. Jud. 11, 31. 2. Reg. 3, 27. Jer. 19,5), 
sonst aber ist der Fall ungewohülieh (Gen. 8, 20. Num. 23, 1 ff. 
Jud. 6, 20. 26. 13,16. 23. l.Sam. 7,9f. l.ßeg. 3,4. 18,34. 38) 
— Doeh dazu sind alle diese Opfer ausserordentlich oder my- 
thisch, was für Bezeugung der Sitte an sich gleiebgiltig sein mag, 
nicht aber für die Statistik ihrer Häufigkeit '). In der Regel kommt 
die 01a nur in Verbindung mit Zebahim vor, die letzteren sind 
dabei in der Überzahl und stehen immer im Plural, während 
daneben das erstere mehrfach im Singular '). Sie ergänzen sich 

Thoda — , so ist der Verdacht äusserst nahe gelegt, dass v. 12 eiae vor- 
aufgeschickte authentische Interpretation ist, die den Austoss des v. 13 
zum voraus beseitigt, und dass ebenso das erste ^^ in v. 13, das sich mit 
dem zweiten keineswegs gut verträgt, eine spätere Coriectur ist. An v. II 
schliesst sich v. 13 besser an als an v. 12. — Exod, 34, 25. 

I) Vgl. Gen. 18, G mit 19,3. 

^ Vermutlich erwartete Jephthah Jud. 11,31, dass ihm ein Uensch aus sei- 
nem Hanse entgegenkäme (Tabari I 1063f.). — Bei der obigen Aufzählung 
ist abgesehen von dem saorificium inge 2, Reg. 16, 15. Die Angabe 
1. Reg. 3,4 gehört vielleicht mit 3, 15 zusammen: glaubwürdiger wird sie 
freilich anch dadurch nicht. Selbstverständlich sind hier überall nur die 
Stellen zu berücksichtigen, wo von wirblich dargebrachten Opfern erzählt 
wird, nicht allgemeine Aussagen über eine oder mehrere Opferarien. Die 
letzteren kennen natürlich die Ola alleine ins Auge fassen, ohne dass 
daraus für die Praxis irgend etwas erhellt. 

') Exod. 10, 2,^. 18,13. 24,5. 32,6. Jos. 8,31. Jud. 20, 26. 21,4. l.Sam, 6, 
Uf. 10,8. 13,9—12. 2,Sam.e,17f. 24,23—2.^. 1. Reg. 3, 15. 8,63f. 



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Die Opfer. 73 

al8ü wie zwei zusammenpassende Hälften; die 01a ist, wie ihr 
Name sagt, eigentlich weiter nichts als der auf den Altar ge- 
langende Teil eines grossen Opfers. Mau könnte darum auch 
das, was von einem einzelnen Tiere der Gottheit geweiht wird, 
Oia nennen; dies geschieht jedoch nicht, weder vom Blute 
noch vom Fette (itsp) gebraucht man das Verbum rhvT^, sundern 
bloss von den FleischstUeken, von denen bei dem kleinen Opfer 
nichts verbrannt wird. Aber ein principieller Unterschied 
existiert nicht, sondern nur ein gradueller: ein kleines Zebah, 
vergrössert und gesteigert, wird zu Ola und Zebahim-, auf eine 
gewisse Anzahl geschlachteter Tiere, welche die Opfergesellscliafi 
verzehrt, kommt eins, welches für Gott bestimmt und ganz der 
Flamme llbergebeu wird. Übrigens hat man zu bedenken, dass 
es in der Regel nur grosse Opferfeste sind, über welche die 
historisciieu Bücher Anlass nehmen zu berichten, und dass iu 
Folge davon das Brandopfer doch noch mehr hervoi"tntt, als es 
durehsebnittlieh ira gewöhnlichen Leben der Fall gewesen sein 
wird. Für gewöhnlich kamen gewiss keine anderen als Dank- 
opfer vor — notwendigerweise, wenn jede Schlachtung beim 
Altare zu geschehen hatte. Wo in den Hiiehern Samuelis und 
der Könige von einem simplen Opfer die Rede ist, versteht es 
sieh von selbst, dass es ein Dankopfer ist. Namentlich die Stelle 
1. Sftm. 2, ]2ff. ist auch in dieser Beziehung lehrreich. 

Aus dem Gesagten ergibt sieb , dass nach der Praxis der 
älteren Zeit mit dem Opfer fast immer ein Mahl verbunden war. 
Es war die Regel, dass bloss Blut und Fett auf den Altar kam, 
die Menschen aber das Fleisch verzehrten ;. nur bei sehr grossen 
Opferfesten bekam Jahve ein ganzes Tier oder mebrere. Wo 
geopfert ward, da ward auch gegessen und getrunken (Exod. 32, 6. 
Jud. 9, 27. 2. Sam. 15, llf. Amos 2, 7); kein Opfer ohne Mahl 
und auch kein Mahl ohne Opfer (1, Reg. 1, 9), auf keiner bedeu- 
tenderen Bama fehlte wohl die Unterkunft, die Lesche, in wel- 

■2. Reg. :>, 17. 10, 24. ^5. — Das Zeugma Jud. 20, 26. 21, 4 vevstösst gegen 
den älteren Sprachgebrauch. — Der eigentliche Name für das holocaustum 
scheint ^i^3 zu sein Deut. 33, 10. 1. Sam. 7,9, nicht n^V- — Ob die 
Opferabpibe von allen Arten des Zebah gleich gewesen ist, lässt sich 
nicht entscheiden; wahrscheinlich ist es nicht. Vermutlich sind die Sche- 
lamim feierlichere Opfer aia das einfache Zebah. Das Wort Fett wird 
Gen. 4, 4. Exod. 23, 18 in einem sehr allgemeinen Sinne gebraucht. Was 
unter dem Segnen des Zebah I. Sam. 3, 13 gemeint ist, ist nicht ganz klar; 
vermutlich eine Art Qratias. 



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yGoOgfi 



74 Ge&chkhfe des Cultus, Kap. 2. 

ober Samuel den Saut, Jevemia die Rekabiten traktierte {1, Sam. 
9, 22, Jerem. 35, 2). Sich freuen, essen und triuken vor Jahve, 
ist eine bis auf das Deuteronomium übliche Redeweise; noch 
Ezechiel nennt den HöhencuUus ein Essen auf dea Hergen 
(1. Sam. 9, 13. 19ff.) und bei Zacharia haben die Kochtopfe im 
Tempel eine besondere Heiligkeit (14, 20). Durch das Mahl bei 
Jahve wird eine Bundesgemeinschaft einerseits zwischen ihm 
und den Gästen, andererseits zwischen den Gästen unter einander 
gestiftet, welche fiir die Opferidee wesentlich ist und von der die 
Sehelamim ihren Namen haben. Vgl. Exod, 18, 12. 24, 11. Bei 
den gewöhnliehen Schlachtungen wird diese Vorstellung abge- 
schwächt sein, bei den feierlicheren Opfern war sie lebendig. 
Gott ladet ein, denn sein ist das Haus, sein ist auch die Gabe, 
die ihm von dem Darbringer ganz vor den Altar geftihrt werden 
musE und die er erst dai-auf zum grössten Teil seinen Gästen 
abtritt; diese essen also gewissermassen an Gottes Tisch und 
müssen sich dazu vorbereiten, heiligen'}. Auch bei uns höchst 
unpassend seheinenden Gelegenheiten fehlt doch das Mahl nicht 
(Jud, 20, 26. 21, 4. 1. Sam. 13, 9—12). Dass es nicht immer ganz 
säuberlieh dabei herging, lässt sich von vornherein annehmen 
und wird durch laa. 28, 8 sogar in Beziehung auf den Tempel 
von Jerusalem bezeugt: alle Tische sind voll unüätigen Gespeies, 
kaum Platz! Daher war auch Eli's Verdacht gegen Hanna nahe- 
liegend und nieht so entrüstend, wie er uns vorkommt. 

Wie verschieden von diesem Bilde ist die Vorstellung, welche 
der Priestereodex erweckt! Daes zu jedem Opfer ein Mahl ge- 
hört, merkt man hiei; nieht, das Essen vor Jahve, noch im Deu- 
teronomium schlechthin der Ausdruck für Opfern, kommt nirgend 
vor und ist jedenfalls kein Stück des Gottesdienstes. Schlach- 
tung und Opfer fällt nieht mehr zusammen, das Dankopfer, wo- 

'/ Um vor Jahve zu treten, piitxt mau sich mit Eloideru iiud Schmuck 
Exod. 3,a3. ll,3f, 12,35f. Hob. 2, 15. Ezech. 16, 13 (vgl. Sur. 30,61), 
heiligt sich 1. Sam. 16,5 (Num. 11,18) und wird geheiligt I.Sain. 16,5. 
Bsod. 19, 10. 14. Das Opfermahl gilt als Kodesch, denn nicht bloss_ die 
Priester essen Eodesch, sondern alle Geheiligten 1. Sam. 31, 5f. Über 
den Sinn der Heiligung gibt I. Sam, 21, 5, 2, Sam. 11, 2 Aufsohluss, Vgl. 
N3' n:n V2sh it1> Job. i;i, IR. Lev. 7, 20 und Matth. 23, 11 — 13. — 
Jahve ladet die Ileere der Völker zu seiuera Opfer ein, zu wekheni er 
ii^end ein anderes Volk ihnen preisgibt, und nennt die Medei', deaen er 
Babel darbietet, seine Geheiligten d. h. seine Gäste. Sophon. 1, 7f, Jer. 
4fi, 10. Kzech. 39, 17. Isa. 1-% 3. 



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Die Opfer. 75 

von die Bruet und die rechte Keule zu weihen sind, ist etwas 
anderes als das alte einfache Zobah, Aber gerade darum bat 
es seine frühere breite Bedeutung eingebiisst. Der Mizböali, 
d. h. der Ort wo die Zebahim darKuhringen sind, hat sich in 
einen Mizbah ha-üla verwandelt. Das Brandopfer ist ganz 
selbständig und unabhängig geworden und tritt durchaus in den 
Vordergrund; die nicht mit einem Mahl verbundenen Opfer über- 
haupt dominieren so sehr, daes bekanntlich Theophrast behaupten 
konnte, andere gäbe es gar nicht bei den Juden, die sich auf 
diese Weise von den übrigen Völkern unterschieden'). Wo ehe- 
dem ein Dankopfer, das man vor Jahve verzehrte, wir können 
deutlicher sagen ein Mahlopfer vorgeschrieben war, hat der 
Prieatercodex, wie wir später sehen werden, einfache Abgaben 
an die Priester daraus gemacht, z. B. bei deu Ei'stgehurten und 
Erstlingen. Nur darin gibt auch er noch der alten Sitte ein un- 
willkürliches Zeugnis, daes er die Namen Thoda Neder und 
Nedaba, von denen namentlich die beiden letzteren notwendig 
einen ganz allgemeinen Sinn Laben müssen (Lev. 22, ] 8. Ezecli. 
46, 12), ausschliesslich auf das Dankopfer bezieht, wie denn auch 
Milluim und Passah nur Abarten desselben sind. 

4. Was das Dankopfer verloren hat, ist dem tiünd- und 
Kehnldopfer zugewachsen; das freiwillige Privatopfer, welches 
der Darbringer in fröhlicher Gesellschaft an heiliger Stätte ver- 
zehrte, ist dem notwendigen gewichen, von dem er nichts be- ' 
kommt und das überhaupt den Charakter des heiligen Mahles 
ganz abgestreift hat. Das Brandopfer ist doch noch ein Mahl, 
wenn auch nur ein einseitiges für Gott; beim Sündopfer aber 
wird Alles fern gehalten, was an ein Mahl erinnern könnte, z. B. 
die Zuthateu Mehl und Wein, Öl und Salz; vom Fleisch gelangt 
nichts auf den Altar, sondern es fällt als Busse ganz an den 
Priester. Von dieser (är den Priestercodex so überaus wichtigen 
Opfeiart findet sich nun vor Ezechiel im übrigen Alten Testament 
keine Spur, weder beim Jehovisten und Deuteronomiker, noch 
in den geschichtlichen und prophetischen Büchern ''). 01a und 
Zebah ist die Zusammenfassung der tierischen, 01a und Minha, 

') Porphjriiia ile abstin. 2,2(1. Vgl. Josepli, eoiitra Ap. Ü. lii: outoi eSy&vrai 

Wie verschieden ist Deut. 21,1—9, nie fern liegt iiier überhaupt der 
Opfergedanke! 



i-Goi^ft 



76 Geschichte des Cultiis, Kap. 2. 

oder Zebali tmd Minba die ZusammeufassuBg aller Opfer, nir- 
gends kommt eiue eigene Opferart filr die Sühne vor (1, Sam. 
B, 14). Allerdings sagt Hosea (4, 8): „die Sünde meines Volkes 
essen sie und nach seiner Verschuldung sind sie gierig" — aber 
das Verständnis, als ob liier den Prieslern voi'geworfen werde, 
sie veranlassen das Volk zunächst selber zur Veruntreuung der 
heiligen Abgaben , um diese hinterher mit dem Zins der öttnd- 
und Schuldopfev wieder einzuheimsen, ist doch allzu fein wo 
nicht allzu plump'). Mit grösserem Rechte wird man die fünf 
goldenen Mäuse und die fünf goldenen Pestbeulen, mit denen 
die Philister die geraubte Lade zurückerstatten und die 1, Sam. 
6,3. 4. 8 als Ascham bezeichnet werden, namentlich aber die 
Schuld- und Sflndgelder, die nach 2. Reg. 14, 17 den jerusalemi- 
seben Priestern zufielen, mit dem gleichnamigen Schuld- und 
Slindopfer des Pentateuchs zusammenstellen. Nur sind eben, auch 
an der zweiten' Stelle, Ascham und Chattath keine Opfer, son- 
dern, dem ursprünglichen Wortsinn entsprechender, einfache 
Bussen und zwar Geldbussen. Umgekehrt hat dahingegen die 
Mich. 6, 7 gemeinte Chattath nichts mit einer Priesterabgabe zu 
schaffen, sondern bedeutet einfach die Schuld, die eventuell 
ein Anderer auf sieh nimmt. Selbst Isa. 53, 10, in einer aller- 
dings späten Stelle, muss Ascham nicht in dem technischen Sinne 
der Cultusgesetzgebung genommen werden, sondern einfach wie 
bei Micha als Schuld, die von dem Unschuldigen für die Schul- 
digen getragen wird. Mit Fug und Recht ist Gramberg zur Er- 
klärung dieser Propbetenstelle auf die Erzählung 2. Sam. 21, 
1 — 14 zurückgegangen. „Auf Saul und seinem Hause liegt eine 
Blutsebuld, weil er die Gibeoniten getötet bat" — wird dem 
David als Grund einer dreijährigen Hungersnot mitgeteilt. Von 
ihm befragt, womit er sühnen solle, antworten die Gibeoniten; 
,,es bandelt sich uns gegen Saul und sein Haus nicht um Silber 
und Gold; man gebe uns aber sieben Mann von seiner Familie, 
dass wir sie dem Jahve aufhängen in Gibea Sauls auf dem 

') Die Sünde und die Verschuldung ist der Opterdieiist .überhaupt wie er 
voio Vollte getrieben wird (8,11. Arnos 4, 4): in dem ganzen Abschnitt 
begründet der Prophet den hiev scharf zugespitzten Vorwurf gegen die 
Priester, dass nie die Thors vemachiSäsigon und dem Hange des Vollies 
zu abergläubischem und unzüchtigem Cultus Vorschub leisten. Was ent- 
hielte übrigens nach dem Pentateuch der erst« Satz von 4,8 für einen 
Vorwurf? «nrl der zweite redet von DJIJJ und niuht von DCB'K' 



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Die Opffv, 77 

Berge Jahve's", Das geschah, uml sie hingen sie auf vov Jahve 
alle siebett. 

Ascham und Chatfath als Opfer fiiulen sich zuerst bei Ezechiel 
und scheiueu nielit lange Zeit vor ihm an die Stelle der früheren 
Geldbussen {2-. Reg. 12, 17), die vielleicht schon immer auch in 
gleichwertigen Naturalabgaben geleistet werden konnten, getreten 
zu sein; wohl im siebenten Jahrhundert, welches ftlr das Mysterium 
der Sühne und des Blutvergiessens sehr empfänglich und in der 
Einführung neuer Cultusgebräuche recht fruchtbar gewesen zu 
sein scheint '). Ihren Ursprung aus den Bussen und Wrogen 
sieht man auch den Sund- und Schuldopfern des Pentateuehs 
noch an ; es sind keine Gaben an Gott, nicht einmal symbolische, 
sondern Strafabgaben an 'die Priester, zum Teil von bestimmtem 
Taxwerte (Lev. 5, 15). Mit dem Opfer haben sie, abgesehen tou 
dem mechanischen Verbrennen des Fettes, nur das Blutvergiessen 
gemein, ein ursprünglich secundäres Moment, welches hier dann 
zur Hauptsache geworden ist. Auch das beweist wiederum für 
unsere Behauptung. Der Ritus des einfachen Opfers hat drei Akte; 
•1) die VorführuDg des lebenden Tieres vor Jahve und die Hand- 
anflegung als Zeichen der manumiesio von Seiten des Darbrin- 
gers, 2) die Scblachtung und die Ausschüttung des Blutes an 
den Altai-, 3) die wirkliehe oder scheinbare Uebergabe der Opfer- 
stUcke an die Gottheit und das Mahl der Mensehen. Beim 
Braudopfer fallt im dritten Akt das Mahl der Menschen fort, 
im zweiten tritt die Schlachtung als bedeutungsvoll und heilig 
hervor, da sie, wie stets ausdrücklich bemerkt wird, vor Jahve 
zu geschehen hat, an der Nordseite des Altars. Beim Sund- und 
Schuldopfer verschwindet der dritte Akt völlig und die ganze 
Bedeutung der Handlung iallt dadurch auf die Schlachtung, die 
natürlich ebenfalls vor dem Altare stattfindet, und auf die Blut- 
sprengung, die sieh hier in besonderer Weise ausgebildet hat. 
Man sieht, wie die Veränderung der Gabe und des Mahles zur 
blutigen Sllhne sich steigert und in dieser letzten Opferart gipfelt. 
Die Neuheit derselben seheint sieh sogar innerhalb des Prie- 
stereodex selber durch ein gewisses Schwanken zu verraten. In 

') Man erwäge das Grassieren des Kinderopfers gerade in dieser Zeit, dif 
Einfühi'ung des Weihrauchs, die neuen Moden, die der König Manasse 
aufbracbte und vo» denen gewiss manches haften blieb, iras der Zeit' 
Btiinnmng entsprach und mit dem Jahvedienst vereinbar war oder gar 
dessen Würde und Ernst zn erhöhen schien. 



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78 Cieschiditp deä f'iiitns, Kap. 'i. 

(lern darin recipierten Corpus Lev. 17—26 werden noch die Opfer 
insgesamt unter der Zwieteiluug: HDT und rhv begriffen 17, 8. 
22, 18. 21; andere gibt es nicht. Zwar kommt 19, 21 f. das 
Ascliam vor, aber anerkanntermassen in einem Zusatz der Be- 
arbeitung; dagegen wird dasselbe 22,14 nicht gefordert'), wo es 
nach Lev. 5 und Num. ft hätte geschehen müssen. Und auch 
abgesehen von Lev. 17—26 herrscht in diesem Punkt zwischen 
dem Kern des Priestereodex und den Novellen keine Überein- 
stimmung Einmal besteht eine Differenz, hinsichtlich des Ritus 
des feieilichiten Silndopfers zwischen Exod. 29. Lev. 9 auf der 
einen und Lev. 4 auf der anderen Seite; sodann aber, was wicli- 
ligei M, kommt das Sehuldojifer nie in den primären, sondern 
nui in den secundären Sttieken vor, Lev. 4 — 7. Kap. 14. Nuni. 
5, 7. 8. G, 1. 18, 9. Auch in den letzteren ist übrigens der Unter- 
schied Kwischeu Ascliam und Chattatb nicht sehr deutlieh und 
nur die Absieht klar, einen solchen zu machen — vielleicht weil 
er in der alten Praxis zwischen msün f]DD nml DtfN ^DDt und 
bei Ezechiel zwischen n«Bn und DU'N wirklich vorhanden ge- 
wesen war^). 

') Genauer muss man vielleicht sagen, dass hier das Ascliam, bei Zurück- 
evstattiing widerreclitlichen Besitzes, einfacli das Aufgeld vou einem Füuf- 
teil des Wertes ist, und niclit das Widderopfer, weiches Lev. 5 obendreiu 
gefordert wird. Auch Niun. 5 wird oben diesi Fönfteil Ascliam genannt. 
*) Die drei Stücke Lev. 4, 1—35 (Chattath). 5, 1—13 (Chattath-Ascbam), 5, U 
bis 26 (Ascham) sind von Haus aus nicht oooi-dinirle Teile eines Ganzen, 
sondern, selbständige Autsütze aus der selben Schule. Denn 5, 1 — 13 ist 
keine Fortsetzung oder Nachtrag zu 4, 27—35, sondern eine völlig unab- 
hängige Darstellung 3er selben Materie, mit erheblichen Unterschieden 
der Form. An die Stelle der allgeuieinen Systematik de.s Kap. 4 tritt 
hier der einzelne bestimmte Fall nnd seine Analogie, der Ritus wird we- 
niger genau angegeben, die hierarchische Rangordnung kommt bei dem 
Vergehen nicht in Betracht Auch wechseln in diesem Stück Ascham und 
Chattath mit einander in gleicher Bedeutung. In dem dritten Stück wird 
für den seihen Fall ein Widder als Ascham gefordert 5, 17 — 19, für den 
im ersten ein Bock i'esp. eine Ziege als Chattath vorgeschrieben ist 4^ 32. 
27. Mit dem mittleren hat das dritte Stück zwar ftriaell grössere Ähn- 
lichkeit, aber als wahre Ei^änzung desselben läSsC es sich schon deshalb 
nicht ansehen, weil jenes nicht zwischen Chattath und Ascham unter- 
scheidet. — Wenn mau sich nach Lev. .'?, 13— 16. 20 — 2(! richtet nnd 
V. 17—19 nicht in Betracht zieht, so tritt das Ascham nur ein bei frei- 
williger Erstattung widerrechtlich zurückbelialtenen oder angeeigneten Be- 
sitzes, namentlich der heiligen Abgaben. Die Sachen müssen dem Eigen- 
tümer mit einem Aufgelde von einem Fnnfleil ihres Wertes erstattet wer- 
den, als Ascham kommt ein Widder dazu, der ans Heiligtum Mllt. In 
Num. 5, 5 — 10 ist die Sache zwar ebenso, aber der Sprachgebrauch anders, 
denn hier wird das zurückerstattete Eigentum Ascham genannt und der 
Widder heisst D''"lS2n "?'«■ Vg'- Lev. 22, 14. 



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III. 

Die Krisis in der Geschiciite des üpferweaenR ist die Refor- 
mation Josia'fi, ilire Consequenzen sind es, die im Pnestercodex 
zur Reife gediehen sind. Gei'sde bei den eharakteristisehen Diffe- 
renzen des 0|)fergesetK6S von der alten Opferpvaxis lÄsst es sieb 
verspüren, dass sie, wenn auch nicht alle geradezu durch die 
Centratisation des Cultus verursacht, doch heinah alle irgendwie 
damit zusammenhängen. 

In der alten Zeit erzeugte sich der fiottefdießst aus dem 
Leben und war aufs engste damit verwachsen. Das Opfer 
Jahve's war ein Mahl der MeDsehen, bezeichnend filr das Fehlen 
des Gegensatzes von geistlichem Enist und weltlicher Fröhlich- 
keit. Ein Malil bedingt einen abgeschlossenen Kreis von Gästen: 
so verband das Opfer die Angehörigen der Familie, die Glieder 
der Corporation, die Genossen des Heeres und jedweder daueru- 
den oder voi-fibergeh enden Vereinigung. Es sind irdische Be- 
ziehungen, denen dadurch die Weihe gegeben wird; ihnen ent- 
sprechen natürliche Anlässe der Feier, wie sie das bunte Leben 
bietet. Von Jahr zu Jahr kehrte 'die Obstlese, die Kornernte, 
die Schafschur wieder und vereinigte die Hausgenossen, vor 
•lahve zu essen und zu trinken; daneben fehlte es nicht an we- 
niger regelmässigen Vorkommnissen, die in wechselnden Kreisen 
gefeiert wurden. Kein Kriegszug, der nicht auf diese Weise 
eingeleitet, keine Verabredung, die nicht dadurch perfekt wurde, 
kein irgend wichtiges Unternehmen ohne Opfer'). Wenn ein 
angesehener Gast kommt, so schlachtet man ihm ein Kalb — 
nicht ohne der Gottheit Blut und Fett darzubringen. Der dem 
Leben entnommene Änlass ist also von der heiligen Handlung 
unabtrennbar und gibt ihr erst Inhalt und Charakter, ein der 
Situation entsprechender Zweck steckt immer dahinter. Daher 
dai-f auch das Gebet nicht fehlen. Das Verbum T'nyn „räuchern" 
(Fett und Miuha) bedeutet schlechthin flehen, umgekehrt 
nini nx typD „den Jahve suchen" faktisch nicht selten opfern. 
Zur Unterstützung der Bitte oder Frage, zur Bezeugung des 
Dankes dient die Gabe, das Gebet gehört als Interpretation dazu. 
Dies erhellt freilich mehr gelegentlich, als dass es ausdrücklich 
gesagt winde (Hos. 5, 6. Isa. 3, 15. Jerem. 14, 12. 1. Reg. 8, 27 ff". 

') Vorwand ist das Opfer 1. Sam. K, Iff. 1, Reg. I,9ff.; Tgl. PrOT. 7, !4. 



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so GfKchielitp liw Cullii-., Kap, 2. 

Prov. 15, 8); nur flir die Darbringung der Festgabe haben wir 
in Ueut. 26, 3ff. das Muster eines Gratiae; bei der einfachen 
Schlachtung wird ein Segen gesprochen (1. Sam. 9, 13). Es ver- 
steht sich, daes das Gebet weiter nichts ist als der Ausdruck 
der Stimmung des Anlasses und dass es ebenso mannigfaßb 
variiert wie dieser. HeiTOrgegangen aus den Antrieben und ge- 
richtet auf die Zwecke des Lebens spiegeln somit die Opfer 
dessen bunte Mannigfaltigkeit in sieh ab. Unsere Hochzeiten 
Taufen Leichensebmäuse auf der einen, alle Arten von Zweck- 
essen auf der anderen Seite wUrden sich noch am ersten zur 
Vergleicbung herbeiziehen lassen, wenn nicht auch hier der 
Zwist zwischen Geistlieh und Weltlich die Naivetät störte. Der 
Gottesdienst war im hebräischen Altertum Natur, er war die 
liUite des Lebens und dessen Höben und Tiefen zu verklären 
war sein Sinn. 

Durch das Gesetz, welches alle Opfei-stätten mit Einer Aus- 
nahme aufhob, wurde diese Verbindung durchschnitten. Das 
Deuteronomium beabsichtigt zwar eine solche Wirkung nicht. 
Im merkwürdigen Gegensatz zum Priestercodex ist hier noch das 
Essen und sich Freuen vor Jahve die stehende Bezeichnung des 
Opferns: die Meinung ist, es handle sich bei der Zusammen- 
legung des Cultus nach Jerusalem bloss um einen Ortswechsel, 
der das Wesen der Sache unverändert lasse. Aber das war ein 
Irrtum. Es war ein anderes Ding, ob mau die Feier der, Wein- 
lese in den heimischen Bergen oder in Jerusalem beging, ob 
man einen sich zufö.llig darbietenden Anlass zu einem Opfermahl 
an Ort und Stelle benutzen konnte oder vorher erst eine Heise 
unternehmen musste. Und es war auch etwas anderes, ob man 
bei sich zu Hause vor Jahve erschien oder au der allgemeinen 
Stätte unter der grossen Gemeinde verschwand. Wie das Leben 
im Lokal wurzelt, so wurzelte auch der alte Cultus im Lokal; 
durch die Verpflanzung aus seinem ursprünglichen Boden ward 
er seiner nattirliehen Nahrungssäfte beraubt. Es musste eine 
Scheidung zwischen ihm und dem Leben eintreten, eine Schei- 
dung, welche das Deuteronomium selber vorbereitet hatte" durch 
die Erlaubnis der profanen Schlachtung. Man lebte in Hebron, 
mau opferte in Jerusalem, Leben und Gottesdienst fielen ausein- 
ander. Die Folgen, die im Gesetz des Deuteronomiums sehlnm- 
mern, haben sich im Priestercodex entwickelt. 



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Die Opfer. 81 

VoD daher rührt es, dasa das Mahlopfer, ehedem bei weitem 
die Hauptsache, jetzt gätizlieh zurücktrat. Fleisch eesen konnte 
man zu Hause, in Jerusalem war das Geschäft der Gottesdienst. 
Man beyorzugte also solche Opfer, bei denen der gottesdienst- 
liehe Charakter abstraot, d. h. möglichst rein und ohne natür- 
liche Beimischung heiTortrat, von denen Gott Alles und der 
Mensch nichts hatte: Brand- SUnd- und Schuldopfer. 

War früher das Opfer gefärbt durch die Qualität seines An- 
lasses, 80 hatte es jetzt wesentlich einen und denselben Zweck: 
Mittel des Cultus zu sein. Der warme Pulssehlag des Lebens 
zitterte nicht mehr beseelend darin nach, es war nicht mehr die 
Blüte und Frucht von all dessen Trieben, es hatte seinen Sinn 
für sich selber. Es symbolisierte den Gottesdienst; damit gut, 
Die Seele war entwichen, die Schale geblieben, und auf deren 
Ausbildung ward nun alle Kraft verwandt. Die Mannigfaltigkeit 
der ßiten trat an die Stelle der individualisierenden Anlässe; 
die Technik ward Hauptsache, die vorsehriftsmässige Ausführung 
nach den Kegeln der Kunst. 

Der Cultus war ehedem spontan, jetzt wird er Statut. Die 
Befriedigung, die er gewährt, liegt eigentlich ausser ihm, in dem 
moralischen Vergnügen der Gewissenhaftigkeit, mit der man die 
ritualen Gebote erfüllt, die Gott nun einmal seinem Volke be- 
fohlen hat. Es ist zwar das freiwillige Opfer nicht verboten, 
aber eigentlicher Wert wird nur den vorgeschriebenen beigelegt 
und diese überwiegen durchaus. Und auch beim freiwilligen 
Opfer muss sich Alles streng in die Grenzen der Satzung fügen: 
hätte jemand im Drang seines Herzens bei einem Zebah Schela- 
mim mehr Fleisehstücke dargebracht als der Ritus forderte, — 
es wäre ihm übel bekommen. 

Sonst stiftete das Mahlopfer eine besondere Beziehung zvri- . 
sehen der Gottheit und einer geschlossenen Gesellschaft von 
Gästen; die natürliche Opfergesellsehaft war die Familie oder 
das Geschlecht (1. S;im. 1, 1 ff. 16, 1 ff. 20, 6). Jetzt verlieren sich 
die kleinen Sakralgemeinschaften, die bunten Kreise des Lebens 
verschwinden in dem Schatten der universalen Gemeinde 
(my, hnp). Der Begriff derselben ist dem hebräischen Altertum 
fremd, durchdringt aber den Priestercodex von vorn bis hinten. 
Wie der Gottesdienst selber, so wurde auch sein Snbjeet abstraet, 
eine geistliche Grösse, die durch nichts anderes als eben durch 



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Gescbiolife des Ciiltus, Kap, 2. 

; zusammengehalten wurde. Da nun die Teil- 
nahme der Gemeinde „der Söhne Israels" am Opfer doch eigent- 
lich immer nur eine ideale war, so trug auch dies dazu bei, dass 
die heilige Handlung wesentlich durch sich selbst perfect ward, 
dadurch dass sie der Priester verrichtete, wenn auch niemand 
dabei war. Daher dann später die Notwendigkeit einer beson- 
deren Opferdeputation, der Ansehe Maamad. Wie endlich alles 
dies zuBammenbängt mit der judaistisehen FernrUekung Gottes 
vom Menschen, ist klar '). 

Zwei Einzelheiten verdienen hier noch besonders heiTor- 
gehoben zu werden; Das wichtigste Opfer ist im Priestercodex 
das Brandopfer, d. h. thatsäehlich das Tbamid, das holocaustum 
iuge, bestehend in zweijährigen Lämmern, die täglich auf dem 
„Brandopferaltare" verbrannt werden, eins des Morgens und eins 
des Abends. Die Sitte, täglich zu bestimmter Zeit ein festes 
Opfer zu bringen, bestand zwar, in einfacherer Form'), schon 

.') Es soll nicht belianptet werden, dass der vorgesetzliche Cultus. (dessen 
Schatteuseiten aus Ämos und Hosea bekannt sind) dem gesetzlichen vor- 
zuziehen, sondern nur, dass er ursprünglicher sei — der Maassstab ist nicht 
die Moral, sondern die Idee, der ursprünglicbe Sinn des Cnltns. Es 
soll ferner nicht bestritten werden, dass der Glaube, es hänge der Erfolg 
des Opfers und der übrigen heiligen Handlungen ab voii der peinlich 
genauen Befolgung der heimbrachten und vorgeaehri ebenen Riten , bei 
gewissen Völkern schon im höcbsten Altertum vorkommt. Aber bei den 
Israeliten war das, nach dem Zeugnis der historischen und prophetischen 
Bücher, eben durchschnittlich nicht der Fall, so wenige wie bei den alten 
Griechen; es gab da keine Brahmanen und Magier. Übrigens muss man 
wohl beachten, dass im Priestercodci keineswegs noch die kindliche 
Wertschätzung des Oultus besteht wie etwa im Rigveda, und dass nicht 
etwa deshalb die genauen Vorschriften gemacht und eingebalten werden, 
weil nur damit der Geschmack der Gottheit getroffen wird — der Gottes- 
begriff ist liier sogar auffallend wenig anthropomorphisch und der ganze 
Cultus weiter nichts als eine Übung in der Gottseligkeit, die nun ein- 
mal so vorgeschrieben ist, ohne dass sie irgend einem zu Gute kommt. 
') Kuenen, Godsdienst van Israel II, 271. Nach 2, Reg. IS, 15 ward zu 
Ahaz' Zeit im Tempel von Jerusalem täglich eine n^U zu ifforgen und 
eine nnOÜ su Abend geopfert. Auch Ezechiel redet 46, 13— !5 nnr von 
der Morgenola, Vgl. noch Esdr. 9,4. Neh. 10,33. Im Priestercodei ist 
die Abendminha zu einer zweiten 01a gesteigert; daneben bat sie sich 
aber doch in der täglichen Minha des Hohenpriesters erhalten und auch 
auf den Morgen ausgedehnt Lev. 6,12—16, — Die tägliche Minha scheint 
älter zu sein als die tägliche 01a. Denn während es nahe lag, der Gott- 
heit regelmässig ein Mahl zu bereiten, waren die Kosten einer täglichen 
01a für eine einfache Opferstätte zu gross, und es entsprach auch nicht 
der menschlichen Sitte, alle Tage Fleisch zu essen. Die Darbringung 
der täglichen Minha wird schon l. Reg. 18,29.36 als Zeitbestimmung für 
den Nachmittag angewandt, und diese Bezeichnung pflanzt sich fort bis 
in die späteste Zeit, während nie das Tbamid d. h. die 01a zu gleichem 



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Die Opfer. 83 

im vorexilischen Altertum, aiier daneben nahmen damals die 
freien Privatopfer doch eine viel wichtigere Stellung und einen 
weit grösseren Eaum ein. Im Gesetz ist das Thamid faktisch 
das GiTindelement des Gottesdienstes, denn auch die Sabbath- 
und Festopfer sind nur eine numerische Steigerung desselben 
(Num, 28. 29). Wenn es nachher im Buebe Daniel heisst das 
Thamid ward abgeschafft, so ist damit gesagt, der Cuftua 
ward abgeschafft (8, 11—13. II, 31. 12, 11). Nun aber bedeutet 
das Dominieren des täglichen, sabbathlichen, und festlichen Tha- 
mid, dass der Opferdienst eine ganz feste Form angenommen 
hatte, die von jedem besonderen Motiv und von jeder Spon- 
taneität unabhängig war, und ferner (was nahe damit zusammen- 
hängt), dass er von Gemeinde wegen geschah, Gemeinde in dem 
technischen Sinne des Gesetzes genommen. Daher die Notwen- 
digkeit der allgemeinen Tempelsteuer, deren Vorbild in dem 
halben Sekel als Kopfsteuer für den Gottesdienst der StiftshUtte 
Exod. 30, 11 ff. gegeben ist. Vor dem Exil bezahlten die jüdi- 
schen Könige das regelmässige Opfer, noch bei Ezeebiel trägt 
der Monarch die Kosten nicht allein des Sabbath- und Festopfers 
45, nff., sondem auch des Thamid 46, 13—15'). Es ist auch 
ein Zeieben der Zeit, dass nach Exod. 30 die Kosten des Tempel- 
dienstes direct aus der Kopfsteuer der Gemeinden bestritten wer- 
den, und es erklärt sieh nur daraus, dass es keinen König mehr 
gab. So sehr ward im Judentum das Opfer Sache der Gesamt- 
heit, dass das freiwillige Korban des Einzelnen sich in eine 
Geldabgabe verwandelte, als Beitrag zu den Kosten des allge- 
meinen Gottesdienstes (Marc. 7, 11. 12, 42 f. Matth. 27,6). 

Der zweite Punkt beti-ifft Folgendes. In dem Masse wie 
die speziellen Anlässe und Zwecke der Opfer wegfallen, tritt 
ein gleicher allgemeiner Anlass heiTor, die Hunde, und ein glei- 
cher allgemeiner Zweck, die Sühue. Im Priestercodex ist bei 
allen Tieropfern das eigentliche Mysterium die Sühne durch das 
Blut; am reinsten ausgebildet erscheint dieselbe bei den Sünd- 
und Schuldopfern, welche ebensowohl ftlr den Einzelnen, als für 

Zweclt benutzt wird. Die älteste Sitte war aber wohl atich die tägliche 
Minha nicht, sondern die Schaubrote, die dem selben Zwecke dienten, 
aber nicht alle Tage frisch aufgelegt wurden, 
') Vgl. die Sept. Der masorethiaohe Text hat die auf den Fürsten bezüg- 
liche dritte Person in die zweite eorrigiert, als Anrede an den Priester, 
die aber im Ezeebiel gänzlich nnmogiich ist. 



yGocw^e 



84 Geschichte des Cultus, Kap. 2. 

die Gemeinde und .ftir ihr Haupt dargebracht werden. In dem 
gi-ossen Vereöhnungetage gipfelt in gewisser Hineicht der ganze 
Gottes- und Opferdienst, dem bei aller Verschiedenheit der Kiten 
eine obligate Beziehung auf die Sünde gemeinsam ist. Hievon 
lassen nun die alten Opfer wenig merken, Wohl suchte man 
ehedem durch reiche Gaben auf die zweifelhafte oder drohende 
Stimmung der Gottheit einzuwirken und ihr Angesicht zu glätten, 
aber die Gahe hatte dann naturgemäss den Charakter des tasten- 
den Versuchs fMich, 6, 6). Der Gedanke lag fem, dass eine be- 
stimmte Schuld durch ein vorgeschriebenes Opfer gesühnt wer- 
den müsse und könne. Wenn im Gesetz zwischen solchen Sün- 
den, die durch ein Opfer gedeckt werden, und solchen, die un- 
nachsichtlich den Zorn nach sich ziehen, unterschieden wird, so 
ist diese Unterscheidung durchaus nicht antik; für das bebräiseUe 
Altertum war der Zorn Gottes etwas völlig Unberechenbares, 
man kannte nie seine Ursachen, geschweige dass man im voraus 
die Sünden hätte angehen können, die ihn erregen und nicht 
erregen'). Im allgemeinen fand eine obligate Beziehung der 
Opfer zur Sünde durchaus nicht statt. Sie waren durchweg fröh- 
licher Natur, ein sieh Freuen vor Jahve, bei Sang und Klang, 
unter Pauken Flöten und Saitenspiel (Hos. 9, 1 ff. Arnos 5, 23. 
8,3. Isa. 30,32). Kein grösserer Gegensatz hiezu, als der mo- 
notone Ernst des sogenannten mosaischen Cultus. Nöfio; ■Kapet- 

In dieser Weise zeigt sich im Priestercodex die mit der 
Centralisierung gleichlaufende Vergeistlicbuug des Gottesdienstes. 
Er erhält so zu sagen einen abstract gottesdienstliehen Cha- 
rakter, er scheidet sich zunächst vom Leben und absorbiert es 
sodann, indem er das eigentliche Geschäft desselben wird. Das 
ist für die Zukunft von folgenschwerer Bedeutung geworden. Die 
mosaische Gemeinde ist die Mutter der ehnstlichen Kirche- 
die Juden sind eu die den BegnÖ geschaflen haben 

In dei ilten Zeit ist der Cultus dem grünen Baume zu vei 

) Wenn sich der Zorn nach den Regeln „des Binies nchtet so ist der 
urspruDglahe Begriff voUsta: dig altenert der spottet der Abmachung 
Gerade dass man anh auf keine Weise davor m 4i,ht nehmen und nichts 
dagegen mai,hen konnte gib der Sache ihr iinhe mli he lirauen — 
Unter dem Druck des Zornes Jahve s unterhess man nioht nur das 
Opfern sondern lermied es sogar «einen Namen zu nennen um seine 
Aufmerksamkeit nuht luf bi h zu lenken Hos ^494 Arnos ti 10 



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Die Feste. 85 

gleichen, der aus dem Boden wächst wie er will und kann, 
hinterher ist er zureeht gehauenes Ho!z, das mit Zirkel und 
Winkelmass immer kftüstlicher ausgestaltet wird. Ersichtlich 
hängt mit dem qualitativen Gegensatz, der soehen entwickelt 
worden, der formale von Brauch und Gesetz, von dem wir zu 
Anfang ausgegangen sind, enge zusammen. Zwischen dem na- 
turaliter ea quae legis sunt facere und dem secundum legem 
agere besteht doch ein mehr als äusserlicher Unterschied. Wenn 
wir am Ende des ersten Abschnittes das unabhängige Neben- 
einander der alten Praxis und des Gesetzes Mosis gerade auf 
diesem Gebiet unwahrscheinlich gefupdea haben, so steigert sich 
die Unwahrscheinlichkeit dadurch, dass das letztere mit einem 
ganz anderen Geiste erfüllt ist, der nur als Zeitgeist aufgefasst 
werden kann. Es ist nicht die Luft des alten Reichs, sondern 
der Gemeinde des zweiten Tempels, in der der Priestercodex 
atmet. Damit stimmt, dass seine Opferordnung in ihrem posi- 
tiven Inhalt vom Altertum ebenso vollständig ignoriert, als von 
der naebexilisehen Zeit genau befolgt wird. 



Drittes Kapitel. 

Die Feste. 

Die Feste gehören genau genommen noch in's vorige Ka- 
pitel, denn sie sind urspriinglieb nichts als regelmässige Opfer- 
anlässe. Die Ergebnisse der vorhergehenden Untersuchung wie- 
derholen sich denn auch hier, aber mit einer so präcisen Deut- 
lichkeit, dass es sich lohnt, diesen Punkt für sieh in's Auge zu 
fassen. Zunächst und hauptsächlich wird uns die Geschichte der 
solaren Feste in Anspruch nehmen, d. h. derjenigen, die sich 
nach den Jahreszeiten richten. 



1. In dem jehovistisch-deuteronomischen Teile des Penta- 
teuche herrseht ein .Turnus von drei grossen Festen, die allein 



yCoO^C 



86 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

mit dem eigentlichen Namen Hag bezeichnet werden- „Dreimal 
sollst du mir Fest feiern im Jahr, dreimal im Jahr sollen alle 
deine Männer vor dem Herrn Jahve, dem Gotte Israels, er- 
scheinen" (Esod. 23, 14. 34, 23 ^ 23, 17. Deut. 16, 16). „Das Fest 
der ungesäuerten Brote (Massoth) sollst du feiern, sieben Tage 
Massoth essen, wie ich dir befohlen habe, zur Zeit des Monats 
Abib, denn da bist du ausgezogen aus Ägypten, und nicht er- 
scheint man vor mir mit leeren Händen; und das Fest des 
Schneidens (Kasir) der Erstlinge deiner Erzeugnisse, die du säest 
auf dem Felde; und das Fest der Lese (Asiph) am Auggange 
des Jahres, beim Einherbsten deiner Erzeugnisse vom Felde." 
So verordnet das Bundesbuch Exod. 23, 15. 16. Ähnlieh das 
Zweitafelgesetz Exod. 34, 18 ff.; „Das Fest der ungesäuerten 
Brote sollst du feiern, sieben Tage Massoth essen, wie ich dir 
befohlen habe, zur Zeit des Monats Abib, denn im Monat Abib 
bist du ausgezogen aus Ägypten. Aller erste Wurf ist mein, 
alles männliche Vieh, der erste Wurf von Rind und Schaf; den 
ersten Wurf vom Esel sollst du lösen mit einem Schafe oder 
sonst ihm das Genick brechen, alle Erstgeburt deiner Söhne 
sollst du lösen, und nicht erscheint man vor mir mit leeren 
Händen. Sechs Tage sollst du arbeiten und am siebenten Tage 
ruhen, auch in der Saat- und Erntezeit sollst du ruhen. Und 
das Wochenfest (Sehabuoth) sollst du dir halten, der Erstlinge 
des Weizensebnittes, und das Fest der Lese (Asiph) beim Jahres- 
wechsel." Ausführlicher dagegen und. von einer etwas anderen 
Art sind die Bestimmungen im 16. Kap. des Deuteronomiums. 
lachte auf den Monat Abib und halte das Passah dem Jahve 
deinem Gott, denn im Monat Abib hat dich Jahve dein Gott 
aus Ägypten geführt bei der Nacht; und opfere als Passah dem 
Jahve deinem Gott Kleinvieh und Rinder, an dem Orte, den 
Jahve erwählen wird zur Wohnung seines Namens. Du sollst 
nichts Gesäuertes dabei essen , sieben Tage sollst du dabei 
Massoth essen, Brot des Elends, denn in ängstlicher Eile bist 
du. aus Agyptenland gezogen , damit du des Tages deines Aus- 
zugs aus Agyptenland all dein Lebetag gedenkest. Es soll 
sieben Tage in deinem ganzen Lande kein Sauerteig zu sehen 
sein, und von dem Fleische, welches du am Abend am ersten 
Tage opferst, soll über Naoht kein Rest bleiben bis zum andern 
Morgen. Du darfst das Passah nicht in einem beliebigen deiner 



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Die Feste. 87 

Thore, die Jahve deiu Gott dir gibt, opfeiii, sondern an dem Orte, 
den Jahve dein Gott zum Wohnsitz seines Namens erwählen 
wird, sollst du das Passah opfern am Abend nach Sonnenunter- 
gang, zur Zeit deines Auszugs aus Ägypten, und sollst es kochen 
und essen an dem Orte, den Jahve dein Gott erwählen wird, 
und am andern Morgen wieder heimgehen. Sechs Tage sollst 
du Massoth essen und am siebenten Tage ist die Schlussfeier 
für Jahve deinen Gott, da sollst du keine Arbeit thun (v. 1 — 8). 
Sieben Woehen von da sollst du dir abzählen, von dem Anhieb 
der Sichel in die Saat sollst du anfangen sieben Wochen zu 
zählen und dann das Woehenfest (Schabuoth) dem Jahve deinem 
Gott halten, auf Grund freiwilliger Gaben deiner Hand, in dem 
Masse wie dich Jahve dein Gott segnet; und sollst dich freuen 
voi Jahve deinem Gott, du und dein Sohn und deine Tochter 
und dein Knecht und deine Magd und der Levit in deinen Thoren 
und der Fremdling und die Waise und die Witwe in deiner 
Mitte, an dem Orte, den Jahve dein Gott zur Wohnung seines 
Namens erwählen wird. Und denke daran, dass du Knecht ge- 
wesen bist in Ägypten, und halte und thue diese Gebote {v.9— 12). 
Das Laubblittenfest (Sukkoth) sollst du dir halten sieben Tage 
lang, beim Einherbsten von deiner Tenne und von deiner Kelter, 
und sollet dich freuen an deinem Feste, du und dein Sohn und 
deine Tochter und dein Knecht und deine Magd und der Levit 
und der Fremdling und die Waise und die Witwe in deinen 
Thoren, Sieben Tage sollst du feiern dem. Jahve deinem Gott 
an dem Orte, den Jahve erwählen wird, dafür dass Jahve dein 
Gott dich segnet in allem Ertrage und in aller Arbeit deiner 
Hände, und sollst ganz Freude sein. Dreimal im Jahr sollen 
alle deine Männer vor Jahve deinem Gott erscheinen, an dem 
Orte, den er erwählt, am Fest der ungesäuerten Brote, der 
Wochen, und der Laubhütten (Hag ha-Massoth, -Schabuoth, -Suk- 
koth) ; und man soll nicht leer vor mir erseheinen, jeder so viel 
er geben kann, nach dem Masse des Segens, den Jahve dein 
Gott dir gegeben hat (v. 13—17)." 

Hinsichtlich des Wesens der beiden letzten Feste herrscht 
hier Übereinstimmung. Die Sukkoth des peuteronomiums und 
das Asiph der jehovistisohen Gesetzgebung fallen nicht bloss der 
Zeit nach zusammen, sondern sind in der That dasselbe Fest, 
das herbstliehe Einheimsen des Weins und Öles von der Kelter, 



,yC.(.H)^le 



88 Goschichte des Oiütus, Kap. H. 

aber auch des ausgedroeeheoen Koros von der Tenne. Der 
Name Asiph geht zunächst auf die Trauben- und Olivenlese, 
und auf diese seheiut sich auch der Name Sukkoth zu beziehen, 
der sieh am einfachsten aus der Sitte erklärt, mit Alt und Jung 
in die Weinberge zu ziehen und dort die Zeit des Herbstens 
über im Freien zu eampieren, unter improvisiertem Zweigdach 
(Jes. 1, 8). Kasir und Sehabuoth sind gleichfalls nur verschie- 
dene Namen für dieselbe Sache, nämlich für das Fest des Kom- 
oder genauer des Weizenschnittes , welcher in den Anfang des 
Sommers föUt, Diese beiden Feste haben also einen rein natür- 
lichen Anlassj dagegen wird das Frühlin gefest, welches immer 
die Reihe eröfinet, geschichtlieh motiviert, und zwar wird ihm 
der Auszug aus Ägypten zur Grundlage gegeben, in der ausge- 
sprochensten Weise vom Deuteronomium. Aber der Cyklus 
scheint doeh die ursprüngliche Gleichartigkeit seiner Glieder 
vorauszusetzen und zu fordern. Nun deutet der doppelte Eitus 
des Passah und der Massoth auf ein zwiespältiges Wesen dieses 
. Festes. Das eigentliche Hag heisst nicht Hag ha-Pesah,') 
sondern Hag ha-Massoth, nur das letztere wird den beiden 
anderen Haggim coordiniert; der Name Pesah findet sieh Über- 
haupt erst im Deuteronomium, obwohl allerdings schon im 
Zweitafelgesetz das Erstgeburtsopfer mit dem Fest der unge- 
säuerten Brote zusammengelegt zu werden scheint. Es folgt, 
dass für die Vei'gleichung mit Kasir und Asiph nur die Massoth 
in Betracht kommen können. Über deren eigentliche Bedeutung 
die Zeitgenossen zu belehren findet die jehovistisehe Gesetz- 
gebung nicht nötig, dieselbe veiTät sich aber im Deuteronomium. 
Hier ist das Sehneidefest in eine bestimmte zeitliche Beziehung 
zum Massothfeste gesetzt: es soll sieben Wochen später gefeiert 
werden. Dies ist keine neue Verordnung, sondern auf alter 
Sitte beruhend, denn der Name Wochenfest findet sich schon 
Exod. 34 (vgl. Jerem. 5, 24). Sieben Wochen nach Ostera (Deut. 
16,9) wird aber weiterhin genauer dahin erklärt: sieben Wochen 
nach dem Anhieb der Sichel in die Saat. Mithin ist das Massoth- 
fest der Anhieb der Sichel in die Saat, und es tallt dadurch 
Licht auf seine feste Beziehung zu Pfingsten. Pfingsten feiert 

') Die oripnalu Form des Spruches Esod, 34, 25 ist Exod. 23, 18 (>!;ni oictt 
riDSn 3n) erhalten. Im Üeuteronomium heisst es, obschon das nCD 
mehr hervortritt, dennoch nlSOn JH 'G> n. 



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ilas Ende dev Mahd, die mit der Gerste beginnt und mit dem 
Weizen schliesst, Ostern den Anfang „im Ahrenmonat", dazwischen 
liegt die auf sieben Wochen _beme8sene Dauer der Kornernte. 
Dieses ganze tempus clausum ist eine von den beiden Festen 
eingerahmte grosse Freudenzeit. Weitere Aufklärung gewinnen 
wir aus Lev. 23,9—22'). Der Ostertermin ist hier wie im Deu- 
teronomium der Anfang des Schneidens, er wird aber genauer 
bestimmt auf den Tag nach dem ersten Sabbath, der in die 
Erntezeit fällt, und daniaeb richtet sich dann auch die Rechnung 
der Pentekoste. Der eigentümliche Osterritus aber ist die Dar- 
bringung einer Geretengarbe — vorher darf niemand vom neuen 
Getreide kosten; der eutspiecheude Pfingstritas ist die Darbrin- 
gung gewöhnlicher Weizenbrote. Mit der Gerste beginnt, mit dem 
Weizen schliesst die Kornei-nte; zu Anfang wird die Aparche 
roh als Garbe dargebracht, wie auch die Menschen das frische 
Gewächs als geröstete Ähren verspeisen (Lev. 23, 14. Jos. 5, 11), 
zu Ende zubereitet als ordentliches Brot. Nun werden auch die 
Maesoth verständlich. Es sind dies, wie bereits gesagt, nicht 
eigentlich süsse, sondern in der Eile gebaekeiie Notbrote {1. Sam, 
28, 24); sie werden insofern ganz richtig mit der Eile des Aus- 
zugs motiviert und als Elendbrot bezeichnet. Zuerst lässt man' 
sich nicht Zeit, das Neue vom Jahre noch lange zu säuern zu 
kneten und zu backen, sondern man macht daraus ge- 
schwind eine Art Aseheukuchen : das sind die richtigen Massoth. 
Sie stehen in dem selben Gegensatz zu deB Pfingstlaiben, 
wie die Garbe und die gerösteten Ähren, welche letzteren 
nach Jos. 5, 11 an ihrer statt gegessen werden dUrfen, sie 
sind ursprünglich gewiss nicht bloss die Osterspeise der Men- 
schen, sondern auch Gottes gewesen, so dass die Garbe in die 
Kategorie der geistigen Verfeinerungen des Opfermaterials ge- 
hören wütde 

Also ist Oftem die »Vulingv und Pfings-ten die Sibliiitteier 



') Man kunnte dagegen (reilich ermnein da'.', dies fetuck gegenwarlig dem 
Prieslercodet angehört Aber die Sammlung Lev 17—26 ist beianathr-ti 
Ton diesem nur nberarbeitet und recipiert urspi ungliih aber ein. selb 
ständiges Corpus, welches auf dem Übergänge vom Deuteronomium zum 
Priestercode^ steht, bild diesem bald jenem sich nähernd und die volle 
Berechtigung Lev 23, '1 — 22 in diesem Zusammenhange zu verwerten 
folgt daraus, das» die dort beschriebenen Riten nur auf diese Weise Leben 
und Bedeutung gemnnen 



»GooqIc 



90 Gflschichte des Cultus, Kap. 3. 

oder, was das selbe sagen will, die Aseretb') der siebeu- 
wöeh entliehen „Freude des Schneidens"; und das Frühlingefest 
hat nun keiue befremdliche Stelluug mehr in dem Cyklus der 
drei Jahresfeste. Aber wie steht es mit dem Passah? Was der 
Name bedeutet, ist nicht klar; wie wir gesehen haben, kommt 
er erst im Deuteronomium Tor, und dort wird auch die Zeit der 
^* Feier bestimmt auf den Abend und die Nacht des ersten Massoth- 
tages, von Sonnenuntergang an bis an den folgenden Morgen. 
^ ^,' Der Sache nach läuft das Passab hinaus auf das Erstgeburts- 
"' opfer ,(Exod. 34, 18f. 13, 12 ff. Deut 15, 19ff. 16,lif.), und an 
diesem Punkte vornehmlieh hängt der historische Charakter des 
ganzen Festes. Weil Jahve die ägyptische Erstgeburt gesehlagen 
und die hebräische verschont hat, deswegen wird ihm seitdem 
die letztere geheiligt. So heisst es nicht bloss im Pi-iestercodex, 
sondern auch Exod. 13, llff. Aber in ihren beiden Quellen 
kennt die jehovistische Tradition diese Vorstellung nicht. „Lass 
mein Volk, dass mir's ein Fest feiere in der Wüste, mit Opfern 
von Kindern und Schafen" — das ist von anfang an die For- 
derung an Pharao, und um sieh zu diesem von vomherein in's 
Äuge gefassten Zwecke wie siehs gehört zu putzen, borgen die 
Ausziehenden Feierkleider und Sehmuck von den Ägyptern. 
Weil Pharao nicht zugeben will, dass die Hebräer ihrem Gott 
die ihm gebührenden Erstlinge des Viehs darbringen, deshalb 
nimmt Jahve sieh selbst mit Gewalt von jenem die Erstgeburt 
der Menschen. -Also gilt nicht der Auszug als Veranlassung des 
Festes, sondern das Fest als Veranlassung, wenn auch nur als 
Vorwand, des Auszugs, Wenn nun in Exod. 13 das Verhältnis 
umgekehrt ist, so gehört das Sttlek eben nicht den Quellen der 
jehovistischen Tradition an, sondern der Bearbeitung, und zwar, 
wie aus anderen Gründen für den ganzen Abschnitt 13, 1 — 16 
gewiss ist, einer deuteronomistischen Bearbeitung. Damit ge- 
langen, wir zu dem Ergebnis, dass die geschichtliche Motivierung 
des Passah erst vom Deuteronomium vollzogen ist, wenn auch 
vielleicht schon vorher eine gewisse Neigung dazu sieh eon- 
statieren lässt, ebenso wie hei den Massoth (Exod. 12, 34). Sie 
ist augenseheinlieb veranlasst, durch das schon von der älteren 
Überlieferung angenommene Zusammenfallen des Fröhlingsfestes 

') Haneberg Altertümer 2. Aufl. 8. 656. Im Deut, dauert Pfingsten als Ase- 
reth nur ejaeo Tag, wälii'end Ostern und Laubhütten eine Woche. 



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Die Fest!.., 91 

und dee Auszugs aus Ägypten, wobei eich das Verhältnis von 
Ursache und Wirkung im Laufe der Zeit umkehrte. Der Natur 
der Dinge entspricht es einzig, die Bitte des israelitischen Erst- 
lings opfers als Mutter der Erzählung von der Tötung der ägyp- 
tischen Erstgeburt anzusehen ; ohne Voraussetzung der Sitte 
wttrde die Erzählung unerklärlich und die sonderbare Auswahl, 
welche die Pest unter den Mensehen trifft, völlig unmotiviert 
sein. 

Das Opfer der Erstgeburten — der männlichen , denn die 
weibliehen wurden wie bei uns aufgezogen — erklärt sich auch 
ohne gesehichtliehe Grundlage und zwar auf eine recht simple 
Weise: es ist der Dank, welcher der Gottheit von den Erzeug- 
nissen der Viehzucht entrichtet wird. Wenn auf die mensch- 
liche Erstgeburt ebenfalls Anspruch erhoben wird, so ist das 
weiter nichts als eine naehträgüche Genei'alisierung, welche am 
Ende doch ■ nur auf eine Lösung durch Schlachtvieh und also 
auf eine Vergrössening des ursprünglichen Opfers hinausläuft. 
In Exod. 22, 28. 29 und 34, 19 scheint diese Consequenz noch 
nicht gezogen, ja noch nicht einmal als möglich geahnt, und in 
34,20 erst nachgetragen zu sein; am ausgesprochensten tritt 
sie in der spätesten Stelle 13, 12 auf, denn da ist Dm nt2S dem 
IJE' "itas entgegengesetzt und für das erstere der Ausdruck 
"l^DVn gebraucht, der für das Kinderopfer zu Jeremia's und 
Ezechiel's Zeit technisch ist. Die Ansieht von einigen Gelehrten, 
meistens StreifzUglern auf Alttestameiitliehem Gebiete, als sei die 
Schlachtung der erstgeborenen Knählein ursprünglich gerade die 
Hauptsache beim Passah, verdient kaum Widerlegung. Wie die 
anderen Feste, so hat auch dieses, abgesehen von der Auffassung 
des Priestercodes, einen durchaus fröhlichen Charakter (Exod. 
10, 9. Deut. 16, 7 vgl. Isa. 30, 29). Historisch ist die Hingabe 
des einzigen oder des wertesten Kindes wohl in einigen Bei- 
spielen bezeugt, aber stets als freiwillige und ganz exorbitante 
That; die Stelle Hos. 13,2 beweist nicht das Gegenteil'). Eine 
') „Sie machen sich Gussbilder aus ihrem Silber, nach ihrer Phantasie Öl- 
götzen, zu denen reden sie, opfernile Menschen küssen Kllber". Men- 
schenopfer würde der Prophet schwerlich nur so beiläufig, mehr im Spott 
als in der Entrüstung, tadeln; er würde das Empörende, Soheussliche 
der That viel mehr hervorheben als das Widersinnige. Also bedeutet 
DIN 'n21 wohl: Opfernde aus dem Uenus Mensch. Indessen, wenn es 
auch Menschenschi achter bedeutete, so würde daraus für das regelmässige 
Kinderopfer doch nichts folgen. 



yGoodc 



92 Gpschicbte des Cultus, Kap. 3. 

regelmässige und geforderte Abgabe ist in der alten Zeit das 
meDBchtiche Erstgeburtsopfer auf keinen Fall gewesen, es finden 
sieh Ton einem so enormen Blutzoll keine Spuren, desto mehrere 
von einer grossen Bevorzugung der ältesten Sühne. Erst kurz 
vor dem Exil kam mit vielen anderen Neuerungen das Kinder- 
verbrennen im grossen Stil auf, das man dann auch mit einer 
strengen Interpretation der Forderung der Erstgeburten stützte 
(Jer. 7, 31. 19,5. Ezeeh. 20,26). Dazu stimmt es, dass das Ge- 
setz Exod. 13, 3—16 von der Hand des jüngsten Bearbeiters des 
j eh ovisti sehen Gesehichtswerks herrührt. 

2. „Abel war ein Hirt und Kain war ein Ackersmann. 
Und einmal, da brachte Kain von der Frucht des Ackers dem 
Jahve eine Gabe dar, und Abel brachte auch ein Opfer von den 
Erstgeburten seiner Schafe." Die einfachsten natürlichsten und 
allgemeinsten Opfer, die Erstlinge von den Erzeugnissen des 
Ackerbaues and der Viehzucht, deren Anlässe sich regelmässig 
mit den Jahreszeiten wiederholen — aus denen sind die Feste 
geworden. Passah entspricht den Erstgeburten Abels des Hir- 
ten, die anderen drei den Feldfriichten Xains des Ackersmannes; 
abgesehen von diesem Unterschiede ist das Wesen und Funda- 
ment aller dieser Feste das gleiche. Ihr Zusammenhang mit 
den Aparchen der Jahreszeit wird freilich in der jehovistieehen 
und deuteronomisehen Gesetzgebung mehr vorausgesetzt als aus- 
gesprochen. Doch heisst es Exod. 23, 17—19. 34, 23—26: „Drei- 
mal im Jahre sollen alle deine Männer vor dem Herrn Jahve 
erscheinen — du sollst nicht mit Saurem das Blut meines 
Opfers vermischen und das Fett meines Festes nicht bis zum 
anderen Morgen übrig lassen, das Beste der ersten Feldfrilehte 
sollst du zum Hause deines Gottes bringen, du sollst das Böek- 
ehen nicht in der Milch seiner Mutter kochen." Man erscheint 
nicht leer vor Jahve; daraus ergibt sieh die Beziehung, welche 
zwischen dem vorangestellten allgemeinen Satze und deuifolgen- 
den speciellen waltet. Unter diesen könnte eich der erste 
vielleicht auf das Passahfest beziehen; er gilt zwar ohne Zweifel 
von allen Tieropfern, aber faktisch wurden solche vom Volke 
eben vorwiegend zu dem grossen Schlachtefest dargebracht, wenn 
die Rinder und Schafe geworfen hatten. Die übrigen Sätze be- 
ziehen sich dann auf das Ernte- und Lesefest , deren Basierung 
auf den Ertrag des Feldes ohnehin klar ist. Was das Deute- 



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Die Feste. 93 

ronomium anbelangt, so wird auch hier einerseits gefordert, man 
solle die Abgaben von Feldfrüehten und Vieh persönlich in Je- 
rusalem darbringen und dort fröhliche Opfermahlzeiten davon 
veranstalten, andererseits, man solle dreimal in Jerusalem er- 
■ scheinen, zu Ostern Pfingsten und Laubhütten, und nicht mit 
leeren Handel). Das lässt sieh nur so vereinigen, dass die Ab- 
gaben eben zu den Festen den Stoff lieferten. Ersichtlich fällt 
im Deut, alles drei zusammen, Opfer, Abgaben, Feste; es ist 
kaum von anderen Opfern die Rede als von denen, die von den 
Abgaben veranstaltet werden, um sich vor Jahve am Feste zu 
freuen; die Abgaben sind eigentlich weiter nichts als die von 
der Volkssitte vorgeschriebenen, darum festen und festlichen 
Opfer, von denen allein das Gesetz Veranlassung hat zu han- 
deln'}. Es macht sich von selber so, dass der Dank für den 
Segen Jahve's gemeinsam dargebracht wird; besonderes Gewicht 
wird nicht gerade darauf gelegt. Namentlich das Erstgeburts- 
opfer steht gewissermassen noch auf dem Übergänge zum Feste. 
Das Bundesbuch gebietet Exod, 22, 29, das Junge sieben Tage 
seiner Mutter zu lassen und es am achten dem Jahve zu geben; 
hier ist, wie es scheint, das grosse Schlaohtefest unbekannt. 
Dagegen wird es in der jehovisti sehen Erzählung des Auszugs 
und wohl auch im Zweitafelgesetz Exod. 34, 19, 25 vorausgesetzt. 
Da die Erstgeburten der Heerdentiere in den Frühling zu fallen 
erklärt es sich, dass man die Opferung derselben 
1 anfing; doch ist die Sitte wahrscheinlich lokal 
verschieden gewesen. Entschiedener haben sieh die Ernte- 
aparehen zu Festen ausgebildet, wie es ja in der Natur der 
Dinge liegt, dass die Feldfrüchte ihre Zeit regelmässiger inne- 
halten als die Kälber und Lämmer. Indessen ist es auch hier 
in Exod. 23. 34 noch durchaus nicht zu festen Terminen gekom- 
men, so dass man von einei im stiengen Sinn gememschaltiicheu 
Feier kaum reden kann und ehei von Fe'stzeiten al" von Fest 

') 12,Gf. llf. 14, J3 Jb IG, 7 11 14 la dem Abatliuitt 14, 22— Ib, 17 
werden Abgaben und Feste zusammengefd^at In der erstea Hälfte 14, 
22—15,18 findet ein stufenmassiger Fortscbntt statt von den Leistungen, 
die innertialb eiues emzelnen lahrw siih wjederholen, zu denen, die alle 
drei und endlieh alle sieben Jahr fällig sind in dflr zweiten Hälfte 15, 
19 — IG, 17 wird noch eininil auf die hanpt=achln,hen, d h die Jahreszeit 
liehen Abgaben lunii-kgeffangen und zunaihst nber die Erstgeburten und 
das Passahfest, sodann nber die beiden anderen Feste gehandelt, denen 
der Fruchtzehnte entspricht 



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94 Geschichte des Culins, Kap. 3. 

tagen. Osteni wird im Mooat Abib gefeiert, wenn die Saat in 
Ähren steht (Exod. 9, 31. 32), Pfingsten, wenn der Weizen ge- 
schnitten ist, das Herbstfest, wenn die Lese beendet ist: ziem- 
lich weite und variable Bestimmungen. Das Deuteronomium 
thut einen Schritt zu grösserer Fixierung der Termine und der 
Fristen, was natürlich mit der Cenfralisierung des Cultus in 
Jerusalem aufs engste zusammenhängt. Aber ein Gesammtfest- 
opfer der Gemeinde findet sich auch hier nicht, sondern nur 
vereinigte Privatopfer der Einzelnen. 

Dem entsprechend ist das Mass der Gaben noch so ziem- 
lich dem guten Willen überlassen. Nur die Erstgeburten sind 
eine bestimmte Forderung. Die im Deuteronomium gestattete 
Ablösung durch Geld, wofür man in Jerusalem anderes Opfer- 
vieh kauft, hat für die frühere Zeit keinen rechten Sinn; doch 
mag auch damals dei' Darbringer sich in einzelnen Fällen die 
Freiheit des Umtausehs genommen haben, da ja doch seine 
Gabe, als Mahlopfer, wesentlich ihm selber zu gut kam (Exod. 
23,18. Gen. 4,4: J.T'D'pnDl). Für die Erstlinge der Peldfrüchte 
wird im Exodus gar kein Mass vorgeschrieben, das Deuterono- 
mium verlangt den Zehnten von Korn Most und Ol, der aber 
nicht mathematisch streng zu verstehen ist, da er zu Opfermahl- 
zeiten verwandt, nicht an einen Anderen entrichtet und also 
auch nicht nachgezählt wird. Und zwar wird der Zehnte, wie 
aus Deut. 26 erhellt, zum Herbst d. h. zu Laubhütten darge- 
bracht'); dies ist das eigentliche Erntedankfest, nicht bloss für 
den Ertrag der Kelter, sondern auch der Tenne {16, 13) ; es nimmt 
sieben Tage in Anspruch, die alle in Jerusalem gefeiert werden 
müssen, während bei den Massoth bloss der erste. Übrigens 
versteht es sieh von selbst, dass man sich nicht auf den Genuss 
der, vegetabilischen Gaben beschränkt, sondern auch Fleischopfer 
hinzunimmt, die vielleicht mit aus dem Verkauf des Zehnten be- 
stritten ^vnrden. Dadurch konnte sieh der besondere Charakter 
der Feste und ihr Zusammenhang mit den ihnen eigentümlichen 
Aparchen leicht verwischen, ein Fall, der in der That im Deute- 
ronomium und vielleicht schon früher eingetreten zu sein scheint. 

') Nach eiuein Zusätze der Sept. brachte Elkana den Zehnten am Herbst- 
feste nach Silo. Bieron. zu Ezecb. 1, 3: Apud orientales populos pogt 
collectionem frugum et torcularia, quando decimae deferebantui' in tem- 
plum, October erat primus mensis et lannarius quartus. 



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Die Feste. 95 

Dass uns Vieles unklar vorkommt, was den Zeitgenoesen selhst- 
varständllch sein musste, ist niclit zu verwundern ; es wird eben 
auch im Deuteronomium das Meiste der bestehenden Sitte über- 
lassen und nur immer die eine Hauptsache eingesehärft, dass 
man den Gottesdienst und also auch die Feste nur in Jerusalem 
feiern dllrfe. 

Im Ganzen und Grossen kann es nicht zweifelhaft sein, dass 
nicht nur in der jebovistischen, sondern auch in der deuterono- 
mischen Gesetzgebung die Feste auf dem Ackerbau fussen '), der 
die Grundlage wie des Lebens so der Religioa ist. Das Land, 
das fruchtbare Land ersetzt beides, Himmel und Hölle, zugleich. 
Jahve gibt das Land und sein Vermögen, er empfängt das Beste 
vom Ertrage zum Dank, den Zehnten als Anerkennung seines 
Besitzrechtes. Indem er seinem Volke das Land zu Leben ge- 
geben bat, ist überhaupt das Verhältnis zwischen beiden erst 
fertig geworden; es wird beständig warm gehalten dadurch, dass 
von Jahve Wetter und Fruchtbarkeit abhängt. Im Deuterono- 
mium sieht man die ersten stärkeren Spuren einer Vergeschieht- 
liebung der Religion und des Cultus, die sieb, aber noch in be- 
scheidenen Grenzen hält. Das historische Ereignis, worauf zurück- 
gegangen wird, ist immer die Ausführung aus Ägypten, und dies 
ist insofern bezeichnend, als die Ausführung aus Ägypten zu- 
sammenfällt mit der Einführung in Kanaan, d. h. mit der Land- 
gabe, und also die geschichtliche Motivierung doch wieder ein- 
mündet in die natürliche. Darum kann man sagen, dass von der 
Herbringung nach Kanaan nicht bloss das Osterfest, sondeni 
alle Feste abhangen, und dies tritt wirklich ■ deutlich in dem Ge- 
bete Deut. 26 hervor, womit zu Laubhütten der Anteil, der dem 
Priester von den Festgaben zufiel, der Gottheit übergeben wurde. 
Es wird ein Körbchen mit Früchten auf den Altar gesetzt und 
Folgendes dazu gesprochen. „Ein irrender Aramäer war mein 
Vater und ging hinab nach Ägypten und weilte dort wenige 
Männer stark, und ward dort zu einem grossen starken und 
zahlreichen Volke. Die Ägypter aber mishandelten und drückten 
sie und legten ihnen harten Dienst auf, da riefen wir zu Jahve 
dem Gott unserer Väter und er hörte unsere Stimme und sah 
anser Elend und Leid und unsere Drangsal. Und Jahve führte 

') Nur das Passah fusat vielmehr auf der Viehzucht. 



,CoQgle 



96 Geschichte des Cultns, Kap. 3. 

UD9 aus Ägypten mit starker Hand und ausgestrecktem Aim 
und grosser Majestät unter Zeichen und Wundern, und brach'te 
uns au diesen Ort und gab uns dies Land, ein Land, 
wo Milch und Honig fliesst: nun also bringe ich das 
Beste der Früchte des Landes, welches du mir gege- 
ben hast." Man beachte, worauf hier die Heilsthat hinausläuft, 
durch die Israe! gegründet wurde. 

IL 

Mit diesem Befunde der jehoyistisch-deuteronomisehen Ge- 
setzgebung stimmt die vorexilisehe Sitte, soweit sie verfolgbar 
und in den geschichtlichen und prophetischen Büchern be- 
zeugt ist. 

1. Altisraelitisehe Feste müssen — wenn dies überhaupt 
möglich ist — das Hirtenleben zur Basis gehabt haben. Es 
ist insofern consequent, wenn das Fest, welches dem Auszüge 
aus Ägypten als Veranlassung untergelegt wird, als ein in der 
Wüste zu feierndes und als ein Schlachtefest gilt, welches mit 
dem Fruchtlande und der Ernte nichts zu schaffen hat. Ein 
mit am frühesten und zwar für das sehafzüehtende Juda be- 
zeugtes Fest ist die Schur (1. Sam. 25, 2 ff. Gen. 38, 12); sie 
seheint sieh aber nicht zu einer regelmässigen nud selbständigen 
Feier entwickelt zu haben. Aparchen von Wolle und Flachs 
kommen bei Hosea vor (2, 7. 11), wie von der Wolle allein im 
Deuteronomium (18, 4). 

Die Agricültur haben die Hebräer von den Kanaanitern ge- 
lernt, in deren Lande sie sich niederliessen und mit denen ver- 
schmelzend sie in der Ricbterzeit zum ansässigen Leben über- 
gingen. Ehe sie die Metamorphose von Hirten zu Bauern durch- 
gemacht hatten, konnten sie unmöglich die auf den Ackerbau 
bezilgliehen Feste haben. Es müsste mit sonderbaren Dingen 
zugehen, wenn sie dieselben nicht ebenfalls von den Kanaanitern 
übernommen hätten. Jene verdankten dem Baal das Land und 
seine Früchte und bezahlten ihm dafür den Tribut; sie dem 
Jahve. Der Inhalt der Handlung an sich. war weder heidnisch 
noch israeiitiseh, eines und das andere wurde sie erst duroh 
die dativische Beziehung. Der Übertragung der Feste von Baal 
auf Jabve stand somit nichts entgegen, im Gegenteil musste sie 
als Bekenntnis des Glaubens gelten, dass nicht in dem heidnischen, 



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sondern dem isiaelitisehen Gott das Land und sein Ertrag, und 
damit die ganze Grundlage der Voiksexistenz , verdankt werde. 

Am höchsten hinauf reicht die Bezeugung des Herbstfestes 
der Weinlese. Und zwar zunächst als einer Sitte der kanaani- 
tischen Bevölkerung von Sichern. In der allen und inhaltreichen 
Gesehichte von Abimelech, dem Sohne Jerubbaals, wird über die 
Bürger von Sichern berichtet (Jud. 9,26); sie gingen hinaus aufs 
Feld und hielten Weinlese und kelterten und feierten Hillulim 
und kamen ins Haus ihres Gottes und aasen und tränten und 
fluohten dem Abimelech. Ziemlieh früh muss sich aber diese 
Feier dann auch bei den Israeliten eingebürgei't haben. Zu Silo 
soll nach Jud, 21, 19ff. von Jahr zu Jahr in den Weinbergen dem 
Jahve ein Fest begangen sein, wobei die Mädchen dranssen zum 
Reigen antraten. Wenn auch die Erzählung Jud. 19ff. im Ganzen 
höchst unglaubwürdig ist, so berührt das doch diesen beiläufigen 
Zug nicht notwendig, zumal er- durch 1. Sam. 1 bestätigt wird. 
Hier ist nämlich abei-mals von einem Feste zu Silo die Bede, 
welches am Ende des Jahres, d. i. im Herbat zur Zeit des Äsiph '}, 
stattfindet und wozu auch die Nachbarschaft wallfahrtet, Er- 
siehtlieh kommt das Fest nicht allenthalben zugleich auf, son- 
dern an bestimmten einzelnen Orten (in Ephraim), die dann 
auch auf die Umgegend wirken. Die Sache hängt zusammen 
mit der Entstehung grösserer Heiligtümer gegen Ende der Richter- 
zeit, beziehungsweise mit ihrer Übernahme von den alten Ein- 
wohnern; z, B. nachdem Sichem eine israelitische Stadt geworden 
war, werden die Hillulim so wenig abgeschafft worden sein wie 
das Gotteshaus. 

Bedeutenden Einfluss müssen dabei die grossen königlichen 
Tempelbauten ausgeübt haben. Sowohl zu Jerusalem als zu 
Bethel wurde seit Salomo und Jerobeam das Fest gefeiert, das- 
selbe wie zu Sichern und Silo, dort im September, hier vielleicht 
etwas später'), üies war damals die einzige wirkliehe Pane- 
gyrie. Die Feste zu Anfang des Sommers mögen zwar auch 
schon begangen sein (Isa. 9, 2), aber in kleineren lokalen Kreisen. 

') Dien n^pn"? (= ™ n&xen Jahr) 1. Sam. 1, 20. Exod. 34, 22. ■ Darnach 
ist auth nO^Oi D'D^D Jud. 31, 19. 1. Sam. 1, 3 zu verstehen, vgl. 
Zach. 14, 16. 

") 1. Reg. 13, 33 ist freilich sehr unzuverlässig. 1. Heg. 8, 2 ist mit 6, 38 
nicht gut zu mimen, wonii die Deutimg von Biil uud Etiaiiim richtig ist. 



■yGoii^le 



98 Geschichte des Cnltiis, Kiip. 3. 

Mau ei'kennt dieseü Unterschied noch im Deuteronomiuin, deuii 
obwohl hier die Laubhütten theoretisch nicht den Vorrang haben, 
so werden doch faktisch nur sie von Anfang bis zu Ende beim 
Centralheiligtum, Ostern dagegen im Ganzen zu Hause und nur 
am ersten Tage in Jerusalem gefeiert; noch dazu wird die ge- 
i-ingere Forderung viel nachdrücklicher eingeschärft als die 
grössere, so dass die erstere scheint Neuerung, die letztere aber 
ältere Sitte gewesen zu sein. Arnos und Hosea, wie sie einen 
glänzenden CuUus und gi-osse Opferstätten voraussetzen, kenneu 
ohne Zweifel auch mehrere Feste, aber sie haben keinen Anlass, 
irgend eins bei Namen zu nennen. Bestimmtere Angaben finden 
sich bei Jesaia. Die Drohung, dass man binnen Jahresfrist die 
Assyrer im Lande haben werde, drückt er 29,1 ao aus: „Fügt 
•Jahr zu Jahr, lasst die Feste kreisen, dann bedränge ich Jerusa- 
lem", und am Ende der selben Rede lässt er sich 32, 9fi'. so ver- 
nehmen: „Ihr leichtsinnigen Weiber, auf, höret meine Stimme, 
Ibr sorglosen Mädchen merkt auf meine Worte: in Jahr und Tag 
werdet ihr Sorglosen zittern, denn ein Ende hat's da mit der 
Lese und das Herbsten fällt aus; auf die Brüste werdet ihr euch 
schlagen ob der lieblichen Gefilde, ob des reichtragenden Wein- 
stoeks". Wenn die beiden Stellen zusammengehalten werden, 
so geht daraus hervor, dass Jesaia, der allgemeinen Sitte der 
Propheten bei gi-ossen Volksversammlungen aufzutreten folgend, 
hier zur Zeit des Herbstfestes redet, an dem sich auch die 
Weiher lebhaft beteiligten (Jud. 21, 19tf.). Dieses Herbstfest 
aber, dessen fröhlicher und natürlicher Charakter unverkennbar 
durchscheint, fällt bei ihm an den Jahreswechsel, wie man aus 
dem Vergleich von IBp:-" 29, 1 mit nspn Exod. 34, 22. 1. Ram. 
I, 20 abnehmen darf, und schliesst einen hier zuerst erwähnten 
Cyklus von Festen ab. 

Der selbe Jesaia erwähnt zuei'st eine Pannychis als einleitende 
Festfeier 30,29, offenbar die Vigiliennacht Exod. 12,42. Es 
wird kaum zufallig sein, dass sich gerade bei diesem spezifisch 
jerusalemischen Propheten der Tunius so hei einander findet. 
Das Paasah kommt unter diesem Namen nur 2. Reg. 23, 21 ff. 
vor, wo erzählt wird, im 18. Jahr des Königs Josia sei es nach 
der Vorschrift des Gesetzes {Deut, 16) begangen und zwar da- 
mals zum erstenmal, bisher nie seit den Tagen der Richter, 
Wenn hier die Neuheit der Institution so sehr hervorgehoben 



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Die Fesle. 99 

wii'd, so beziebt sieb das einmal natürlicb nicbt auf die Massotb, 
und auch bei dem Passah weniger auf die Sacbe, als auf deu 
Modus der deuteronomiscben Vorschrift. Diese maebt daraue 
eine in Jerusalem zu feiernde Panegyris, als welche bis dahin 
nur das Herbstfest liergebracbt war, und indem sie zugleich den 
Ersatz der männlichen Erstgeburten durch andere Opfertiere ge- 
stattet, verwischt sie vollends einen wichtigen Zug der alten Sitte. 
Das wird es sein, was als Neuerung empfunden wurde. 

2. Nach dieser Übersicht scheint es nun freilich mit der 
behaupteten Oongruenz des j eh ovisti sehen Gresetzes und der 
älteren Praxis nicht ganz wobl bestellt zu sein. Namen lassen 
sieh tiberall nicht nachweisen, der Sache nach ist nur das Herbst- 
fest gut bezeugt, aber wie es scheint als das einzige, als das 
Fest. Ohne Zweifel ist es auch das älteste und wichtigste ge- 
wesen, wie es immer das abschliessende blieb. Was gilicklieh 
vollendet ist, begeht man mit dem meisten Eecbt; der Absehluss 
der Ernte, sowohl des Drusches als der Kelterung, eignet sieb 
auch deshalb am besten zu einer gi-ossen GEesammtfeier, weil 
hier der Termin nicht so wie bei der Freude des Schneidens 
von der Natur abhängt, sondern eher in des Menschen Hand 
steht und ron ihm geregelt werden kann. Doch müssen schon 
in der alteren Königszeit die Vorfeste daneben bestanden haben 
(Isa, 29, 1). Die Einzigkeit der Laubhütten wäre dann darauf 
zu beschränken, dass es weiter kein allgemeines Fest zu Jeru- 
salem und zu Bethel gab; lokale Feiern „auf allen Korntennen" 
— das heisst auf allen Bamofh — werden dadurch nicht ausge- 
schlossen (Hos. 9, 1). Die jehovistische Gesetzgebung aber macht 
dazwischen keinen Unterschied, denn sie will von den gi-ossen 
Tempeln nichts wissen '}■ Übrigens mag sie auch wohl die noch 
nnbestimratere Sitte etwas systematisieren; der Übergang von 
den Aparchen zum Feste war vielleicht in der Praxis noch 
fliessenden Von Übereinstimmung in der Hauptsache dennoch 
zu reden, ist man, bei der Dürftigkeit des positiven Materials, 
dämm berechtigt, weil der Begriff der Feste hier und dort der- 
selbe ist. Sehr lehiTcicb in dieser Hinsicht sind zwei Abschnitte 
aus Hosea, Kap. 2 und Kap. 9, so daes sie verdienen ausfilhrlieh 
mitgeteilt zu werden. 



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100 Geschichte des Culhis, Kap. 3. 

In der einen wird Israel als Frau vorgestellt, die von ihrem 
Manne, d. li. der Gottheit, den Unterhalt bekommt: dies ist die 
Basis des Treueverhältnisses. Sie irrt sieh aber in dem, der ihr 
.Speise Tranfe und Kleidang gibt, meinend es seien die Idole, 
'während es Jahve ist. „Sie hat gesagt: ich will meinen Buhlen 
nachlaufen, die mein Brod und Wasser, meine Wolle und Flachs, 
mein öl und mein Getränke spenden. Weiss sie denn nicht, 
dass ich (Jahve) ihr das Korn und den Most und das Ol gegeben 
habe und Silber in Menge und Gold — daraus sie Götzen macht? 
Darum will ich mein Korn wieder an mich nehmen zu seiner 
Zeit und meineu Most zu seiner Frist, und meine Wolle und 
meinen Flachs wegholen, die ihr zur Kleidung dienen; und dann 
will ich ihre Blosse vor den Augen ihrer Buhlen aufdecken und 
niemand soll sie meiner Hand entreisseu. Und ich mache alt 
ihrer Freude ein Ende, ihren Festen Neumonden und Sabbathen 
und all ihren Feiertagen. Und ich verwüste ihre Rehen und 
Feigen, von denen'sie sagte: Buhllohn ist's für mich, den meine 
Buhleu mir gegeben haben; und ich mache dieselben zur Wildnis 
und die Tiere des Feldes sollen sie fressen. So strafe ich an 
ihr die Tage der Götzen, da sie ihnen räucherte und ihren 
Schmuck und Kleinodien anlegte und ihren Buhlen nachlief und 
mich vergass, spricht Jahve. Darum so will ich sie locken und 
sie in die Wüste führen und ihr dort ihre Weinberge anweisen; 
da wird sie fügsam wie in ihrer Jugend und wie zur Zeit da 
sie aus Agyptenland KOg, Darnach verlobe ich dich mir aufs 
neue f(tr immer, um Recht und Gerechtigkeit und um Liebe und 
Erharmen. Jenes Tages will ich, spricht Jahve, dem Himmel 
willfahren, und der wird der Erde willfahren, und die Erde 
wird dem Korn Most und Öl willfahren, und sie werden Israel 
willfahren" (2,7 — 24). Der Segen des Landes ist hier das Ziel 
der Religion, und zwar ganz allgemein sowohl der falschen heid- 
nischen, als auch der wahren israelitischen'). Sie' hat keine 
historischen Heilsthateu, sondern die Natur zur Grundlage, welche 

') Vgl. Zach. 14, IGff, Die Übriggebliebenen von den Völkern, die gegen 
Jerusalem gezogen sind, werden von Jahr zu Jahr wallfahrten zu huldigen 
dem Jahve Sebaoth und das Laubhättenfest zn feiern. Welche aber nicht 
mit walltahrtfiii von den Geschlechtern der Erde nach Jerusalem zu hul- 
digen dem Jahve Sebaoth, för die wird der Regen ausbleiben. Die 
-ifrypter aber — die wegen des Hila keines Regens bedürfen — werden 
auf andere Weise gestraft, wenn sie nicht zum Laubhüttenfeste kommen. 



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Die Feste. 101 

jedoch nur als Domanium der Gottheit uud als Arbeitsfeld der 
Menschen betrachtet und keineswegs selbst vergöttert wird. Das 
Land ist das Haus Jahve's (8, 1. 9, 15), worin er der Nation 
Wohnung und Unterhalt gibt; im Lande und durch das Land 
wird Israel erst Jahve's Volk, wie die Ehe dadurch geschlossen 
wird; däss das Weib in des Mannes Haus aufgenommen und dort 
sustentiert wird. Und wie die Scheidung die Verweisung des 
Weibes aus dem Hause ist, so löst Jahve seine Beziehung zu 
Israel, indem er das Land zur Wüste macht oder zuletzt das 
Volk geradezu daraus in die Wüste vertreibt; er knUpft sie andrer- 
seits wieder an, indem er es aufs neue „einsät im Lande", den 
Himmel regnen und . die Erde tragen lässt, und dadurch den 
Namen Gott gesät für Israel wieder zu Ehren bringt (2,25). 
Demgemäss ist der Gottesdienst weiter nichts als der schuldige 
Dank für die Gaben des Bodens, der Lehenetribut für den Haus- 
heri-n, der diesen und jene gegeben hat. Er fällt von selbst fort, 
wenn Koni und Wein ausbleibt, in der WQste ist er undenkbar; 
denn wenn Gott nichts beschert, so kann man sieb auch nicht 
freuen, und der Gottesdienst ist lauter Freude über den be- 
scherten Segen. Derselbe hat somit durchgehends uud allgemein 
den Charakter, den in der jehovistisehen Gesetzgebung die Feste 
tragen, in denen er sieh auch nach der Beschreibung Hosea's 
gipfelt und coneentriert. Denn die Tage der Götzen, an denen 
man sich putzte und opferte, sind eben die Feste, und zwar die 
Feste Jahve's, den aber das Volk unter Bildern verehrte, welche 
dem Propheten schlechterdings als heidnisch gelten. 
" Ebenso instructiv ist die andere Stelle 9, 1—7. „Freue dich 
nicht zu laut, Israel, wie die Heiden, dass du hurst gegen deinen 
Gott, Buhllohn gern hast auf allen Getreidetennen. Tenne und 
Kelter wird sie nicht laben und der Most wird sie trügen — 
sie werden im Lande Jahve's nicht bleiben, Ephraim muss wie- 
der nach Ägypten und in Assur müssen sie Unreines essen. Dann 
spenden sie nicht mehr Wein für Jahve und schichten ihm keine 
Opfer; wie Trauerbrot ist ihr Brot'), alle die davon essen werden 
unrein, denn ihr Brot wird nur für ihren Hunger sein, kommt 
nicht in Jahve's Haus. Was wollt ihr erst macheu zur Feierzeit 
und für den Tag des Festes Jahve's? Dean siehe nachdem sie 

') Für O'nUi 9, 4 lies 131K>, mid □Op,'? f"'' Dilbi s- Kuenen , Volksrdi- 
gion und Weltreligion (lierlin 1883) S. 310f, 



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102 Geschichte des Cultus, Kap. 3. 

a«B Trümmern ausgezogen, wird Ägypten sie festhalten, Memphis 
sie begraben, ihre silbernen Lieblinge wird die Nessel beerben, 
der Dornbusch in ihren Zelten". Es braucht uns nicht zu stören, 
dass der Prophet hier wieder den Cultus, der der Absicht nach 
ersichtlich dem Jahve gelten soll, mit dem in der That äusser- 
lich wohl wenig verschiedenen Cultus der Heiden gleichsetzt, 
weil er die silbernen Lieblinge der Zelte auf den Höhen nicht 
iiXr Symbole Jahve's, sondern fttr Götzen und ihren Dienst für 
Hurerei erkennen muss. Genug, dass abermals erbellt, wie der 
volkstümliche Gottesdienst in Israel damals beschaffen wai-, 
Tenne und Kelter, Korn und Most sind seine Motive, laute 
Freude, rauschender Jubel sein Ausdruck. Alle Lust des Lebens 
drängt sieh zusammen iu Jahve's Hause, bei den Freudeu- 
mahlen zum Anbruch der Gaben seiner milden Güte; kein 
eehrecklieherer Gedanke, als dass man sein Brot wie unreine 
Speise, wie Trauerhrot essen muss, ohne die Aparchen (zum 
Feste) dargebracht zu haben '). Dieser Gedanke ist es, der der 
gedrohten Exilierung den Stachel gibt; denn Opfer und Feste 
hängen von dem Lande ab, der nährenden Mutter und dem 
wohnlichen Hause der Nation, der Grundlage ihrer Existenz und 
ihres Cultus. 

Dass dies voUständig mit dem Weseu des Gottesdienstes 
und der Feste im Bundesbueh Zweitafelgesetz und Deuterono- 
mium übereinstimmt, ist an sieh klar, wird aber noch deutlicher 
durch die Vergleichung des Priestereodex , wozu wir nunmehr 
übergehen. 

HI. 
Über den Festcyklus handeln hier die Abschnitte Lev. 23 
und Num. 28. 29, von denen der erstere einen dem Kera des 
Priestercodex nicht ganz homogenen Bestandteil (23, 9—22 uud 
zum Teil v. 39—44) mit einem völlig homogenen verbindet. Die 
drei grossen Feste kommen auch in diesen beiden Aufzählungen 
vor, aber mit beträchtlicher Veränderung ihres Wesens. 

') Traueizeiten eind genissermaaseii Interdicte in lenen dip (lemein'.chaft 
zwischen Oott und Mensch pansiert Übrigen« iss maii uberhnupt nichts 
al'H wovon zuerst die Gottheit ihren Anteil bekomnnn hati* nicht bloss 
kein anderes Fleisch, s indem auch keine anderen Vegetabilien denn die 
Aparchen von Kom und Wein galten als Anbruch des Jahresertrags und 
heihgteu den ganzen Allee andere war uniein vgl Czeih 4,18 



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Die Feste. 103 

1. Die eigentliche Feier wird durch vorgeschrieheiie Ge- 
samtopfer erschöpft. Es werden dargebracht ; iu der Oster- 
woche und ebenso am Pfingsttage, ausser dem Thamid, täglich 
2 Farren 1 Widder 7 Lämmer als Brand- und 1 Ziegenbock 
als Söndopfer; zu Laubhütten vom ersten bis zum siebten Tage 
2 Widder 14 Lämmer nnd in absteigender Linie 13—7 Fan-en, 
am achten Tage 1 Farre 1 Widder 7 Lämmer als Biand-, ausser- 
dem tagtäglich 1 Ziegenbock als SUndopfer, Hinzukommende 
freiwillige Leistungen der Einzelnen werden nicht ausgeschlossen, 
sind aber Nebensache. Sonst ist, sowohl in der älteren Praxis 
(1, Sam. 1, 4 ff.) als im Gesetz (Exod, 28, 18), gerade das Festopfer 
stets ein Mahl-, also ein Privatopfer. Im Deuteronomium hat 
man nur deshalb die fröhlichen Mahlzeiten vor Jahve auffallend 
finden können , weil man das Alte Testament nur aus der Per- 
spective des Priestercodex kennt; eigentümlich ist hier höchstens 
eine gewisse humane Ausbeutung der Festopfer, dass man näm- 
lich die Armen und Grundbesitzlosen seiner Bekanntschaft dazu 
einladen soll. Das ist aber eine Fortbildung, die der alten Opfer- 
idee der Communio zwischen Gott und Menschen weit näher 
liegt als jene selbstgenugsaraen Generalkirehenopfer. Nur das 
Passall ist auch im Priestercodex ein Mahlopfer geblieben und 
die Teilnahme daran auf die Familie oder eine geschlossene Ge- 
sellschaft beschränkt. Aber dieser letzte Rest der alten Sitte 
erseheint bier als sonderbare Ausnahme, auch hat die Feier im 
Hause, statt vor Jabve, etwas ganz Zwitterhaftes und macht das 
Opfer fast ganz zu einer profanen Schlachtung — bis auf den 
Ritus der Entsündigung, der charakteristischer Weise beibehalten 
wird (Exod. 12, 7 vgl. Ezeeb. 45, 19). 

Dem geht zur Seite, dass die Aparchen der Jahreszeit sieh 
noch mehr, als es schon ohnehin der Fall war, von den Festen 
gelöst haben. Während sie im Deuteronomium noch zu den drei 
grossen Mahlzeiten vor Jahve verwandt werden, sind sie im 
Priestereodex überhaupt keine Opfer mehr und also auch keine 
Festopfer, sondern nüchterne Abgaben an die Priester, die teil- 
weise von diesen selber eingesammelt werden und allesamt nicht 
vor den Altar gelangen. Damit verlieren die Feste vollends ihre 
eigentlichen Charakteristica, ihre beseelenden und unterscheiden- 
den Anlässe; durch das Einerlei der ewigen Brand- und Sttnd- 
opfer der Gesamtgemeinde werden sie alle einander gleich 



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104 Geschichte des Ciiltiis, Kap. 3. 

gemacht, ihrer Naturwüctsigkeit entkleidet und zu Exercitien der 
Religion degradiert. Nur ganz leiee Spuren bezeugen noch, 
gleichsam verräterischer Weise, den Auegangspunkt der Eut- 
wickeiung, nämlich die Riten der Gerstengarbe der Weizenbrote 
lind der Laubhütten (Lev. 23). Aber es eind dies eben blosse 
Riten, versteinerte Reste der alten Sitte; die wirklichen Erstlinge 
der Grundeigentümer heimsen die Priester ein, ihr Schatten 
bleibt dem Feste erhalten in der von der ganzen Gemeinde dar- 
gebrachten symbolischen Garbe, die nun ein ganz vereinzelter 
und unverstandener Zug geworden ist. Wenn somit in Wahrheit 
die Ahstättung des Dankes für die Früchte des Feldes nichts 
mehr mit den Festen zu thun hat, so fängt auch selbst der 
Sehein an zu schwinden, denn die Riten Lev. 2i} sind aus einer 
älteren Gesetzgebung übernommen und werden Num, 28. 29 
mehrenteils mit Stillschweigen übergangen. — Das Passah ist 
auch hier wieder seinen eigenen Weg gegangen. Schon früher 
konnte es mit den Erstgeburtsopfern, nachdem dieselben auf ein 
Fest verlegt waren, nicht mehr so genau genommen werden; 
Ersatz durch andere Rinder und Schafe war gestattet. Im Prie- 
stercodex nun werden die Erstgeburten zwar strenge gefordert, 
aber als blosse Abgaben, nicht als Opfer; das Passah, immer 
ein jähriges Schaf- oder Ziegenlamm, hat weder der Sache noch 
der Zeit nach damit etwas zu schaffen, sondern steht gesondert 
daneben. Da dasselbe jedoch gestiftet sein soll, damit die mensch- 
liche Erstgeburt der Hebräer, beim Würgen der ägyptischen, ver- 
schont bleibe, so verrät sich durch diesen Zusammenhang, dass 
die jährigen Lämmer doch nur ein Ersatz sind flir die Erstlinge 
alles schlaehtbaren Viehs, aber in Vergleich zu den Rindern und 
Schafen der jehovistischen Tradition und des Deuteronomiums 
ein sekundärer und in seiner Gleichförmigkeit unmotivierter Er- 
satz, und dass wenn nun die Erstlinge noch ausserdem an die 
Priester gesteuert werden, dies einer Verdoppelung gleichkommt, 
welche auf Grund ««nächst einer gänzlichen Verdunkelung, so- 
danü einer künstlichen Erneuerung der ursprünglichen Sitte er- 
möglicht ist. 

Ein weiteres hierher gehöriges Symptom ist die Fixierung 
der Erntefesttermine nach Monatstagen, die sich ausschliesslich 
im Priestercodes: findet. Ostern fällt auf den 15., d. h. auf 
den Vollmond des ersten, Laubhütten auf den selben Tag des 



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Die l■c^ie, 105 

siebeuteii Monats, PÜDgateii, m Num. 28 merkwürdiger Weise 
uiibesiimmt gelassen, föllt nach Lev. 23 sieben Wochen nacli 
Ostern. Diese bestimmte Datierung weist nicht bloss auf eine 
feste einheitliche Regelung des Cnltus, sondern auch auf eine 
inhaltliche Veränderung. Denn es ist nicht gleichgiltig, dass 
nach der jehovistisch-deiiterononiisehen Gesetzgebung Ostern im 
ÄhrentQonat begangen wird, beim Anhieb der Sichel in die Saat, 
Pfingsten nach der Weizenemte, Laubhütten nach dem Herbsten; 
als Erntefeste richten sie sich von Haus aus nach dem Stande 
der Friiehte. Thun sie das nicht, werden sie an den Mondwechsel 
gebunden, so ist das ein Zeichen, dass sich ihr Zusammenhang 
mit dem natürlichen Änlass verwischt. Ohne Zweifel steht die 
genaue Bestimmung des Termins in Beziehung dazu, dass die 
Feste nicht mehr an beliebigen Stellen zerstreut, sondern vom 
ganzen Volke vereint an einer einzigen Stelle begangen werden. 
Es ist darum glaublieh, dass sich dieselbe bei der Herbstfeier 
zuerst vollzog, weil diese zuerst den lokalen Charakter abstreifte 
und sieh auch am leichtesten ein paar Wochen verschieben Hess. 
Am schwersten war das dagegen beim Massothfeete möglich: 
der Anhieb der Sichel in die Saat lässt sich nur sehr unbequem 
verlegen. Hier aber seheint das Passah eingewirkt zu haben. 
Das Passah, das einzige Fest, welches die Hebräer aus dem 
Hirteuleben der Wüste mitgebracht haben können, war eine 
Pannychis und wurde als solche höchst wahrscheinlich in einer 
Monduaeht, in der Vollmondszeit des Frühlings, gefeiert: wohl 
mit Recht hat es Snouek Hurgronje mit dem mekkanischen 
Feste zusammengestellt'). 

Die positive Gegenprobe für die behauptete Denaturalisation 
der Feste im Priestercodex liegt darin, dass die schon von der 
jehovistischeu Tradition vorbereitete geschichtliche Deutung der- 

') Htt MeUiaans he Feest (Le ien 188CJ S 4h «5 Na h Sjr J" i'i liegt 
es 1 ihp Hs grosse Opfer und Scilla htefeai von Mekka auf d e Darbrin- 
giinff der Apaichen les Viehea zurück iutuhren Aus dem Lebea Muham- 
rned geht mit genügender &n.herheit hervor da>s vor der Einrichtung 
des muslinuscben Moudjabrs der Dhulhiega bei den Arabern auf den An- 
fang des Ftuhhng gefallen ist es stimmt also auch die Zeit zum Passab. 
\gl %akidis Maghazi (Berlin 1882) S 17fr Nolleke« Taban S. 303 
Amn I Allerdmgs wenn Uozy lecht hat so wäre die Übereinstimmung 
des Hagsf mit dem Passah kein Wunder — Die Erstlinge der Früchte 
gdben dit Araber auoh (6ur 6 142) da -aus scheinen si h aber bei ihnen 
keine Feste entwickelt zu haben 



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106 Geschichte des CvUns, Kap. 3. 

selben hier ihre Spitze erreicht hat. Denn sind dieselben ihres 
ursprünglichen Inhalts verlustig gegangen und zu . vorgeschrie- 
benen Fornien des Gottesdienstes herabgesunken, so steht nichts 
im Wege, die leeren Schläuche nach dem Geschmack des Zeit- 
alters neu anzufillleu. So werden nun auch die Laubhütten 
(Lev. 23) ein historisches Fest, eingesetzt zum Andenken an die 
Obdächer, unter denen sieh das Volk während des 40jähngen 
Wüstenznges behelfen mussfe. Bei Ostern wird über die bereits 
im Deuteronomium und in Exod. 13, 3 ff. sich findende Motivie- 
rung durch den Auszug aus Ägypten noch ein Schritt hinaus 
getban. Im Priestercodex ist nämlich dies Fest, das gerade 
wegen seines eminent geschichtlichen Charakters hier als das 
bei weitem wichtigste von allen gilt, noch mehr als bloss Nach- 
hall einer göttlichen HeÜsthat, es ist selber Heilsthat. Nicht 
weil Jahve die Erstgeburt Ägyptens geschlagen, wird in der 
Folge das Passah gefeiert, sondern vorher, im Moment des Aus- 
zugs, wird es gestiftet, damit er die Erstgeburt Israels ver- 
schone. Die Sitte wird also nicht bloss geschichtlich motiviert, 
sondeiTi in ihrem Anfange selber zu einem geschiehtiieheu Faktum 
potenziert und durch ihren eigenen Anfang begründet; der 
Schatten, den sonst doch nur ein anderweitiges historisches Er- 
eignis wirft, wird hier verkörpert und wirft sieh selber. Sehr 
ähnlich verhält sieh die Sache mit den ungesäuerten Broten. 
Statt dass sie durch den Umstand, dass die in der Mitternacht 
Ausziehenden in der Eile ihren Teig ungesäuert wie er ist mit- 
nehmen, veranlasst sind, und bestimmt das Andenken an diesen 
Zug zu erhalten (Exod. 12, 34), werden sie im Priestercodex 
ebenfalls schon vorher (12, 15fF.) befohlen und hinterdrein zum 
Andenken an sieh selber gefeiert, also nicht bloss durch die 
Gesehiehte motiviert, sondeni selbst vergesehicbtlicht. Darum 
wird denn auch das Ostergesetz ganz ans dem Zusammenhange 
der Stiftshiitten-gesetzgebung herausgehoben (Exod. 12, 1 ff.), und 
die Schwierigkeit, dass nun beim Passah von dem sonst im 
Priestercodex unentbehrlichen Heiligtume abstrahiert werden 
mues , durch möglichstes Abstreifen des Opfercharakters um- 
gangen'). Einzig beim Ptingstfest zeigt sieh noch kein Ansatz 

') Dfts ÄbsehBii lorn Heiligtum ist nur beiüi eri^tea l'asaah liegnmdet uuti 
soll vielleicht nur für diesem gelten. Der Unterschied zwischen dem 
D^ISO nCS lu'tl de™ nnnn nOS ist uotwendig, stliuii »eil jenes 



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[)ie Feste. 107 

zur historiechen Deutung; liier ist dieselbe dem späteren Juden- 
turne vorbehalten geblieben, welches darin, auf Grund der Chro- 
nologie des Buches Exodus, eine Erinnerung an die sinaitische 
Gesetzgebung erkennt. Man sieht aber, wohin der Zug der spä- 
teren Zeit geht. 

Es ist schon im Vorhergehenden augedeutet, dass für diese 
Entwickeiuug die Centralisation des Cultue epochemachend ge- 
wesen ist. Die Centralisation ist mit Generalisierung und Fixierung 
gleichbedeutend; und das sind die äusseren Züge, wodurch sich 
das Festwesen des Priestereodex von dem früheren unterscheidet. 
Ich verweise auf die vorgeschriebenen Gemeinde- statt der spon- 
tanen Privatopfer, auf die festen Termine am 15. des Monats, 
auf die reinliche Sonderung von Opfern und Abgaben, auf die 
Uniformierung des Passah: nichts frei und naturwüchsig, nichts 
undeutlich und noch im Werden, alles statutarisch, klipp und 
klar. Aber auch an der inneren Umwandlung der Feste ist die 
Centralisation des Cultus nicht zum wenigsten schuld. Erst 
werden die Gaben der Jahreszeit von den einzelnen Häusern 
geopfert wie es sieh jedem passt, sodann werden sie zusammen- 
gelegt und es entstehen Feste, zuletzt treten die vereinigten 
Einzelopfer zurück gegen die einheitlichen Gesamtopfer der 
ganzen Gemeinde. Je mehr Gewicht auf die Gemeinsamkeit und 
Gleiehföimigkeit der Feier gelegt wird, desto mehr löst sie sich 
von ihrer Wurzel, desto abstrakter wird sie. Dass sie dann 
gern einen historischen Inhalt annimmt, wird zum Teil auch 
dem Umstände zugeschrieben werden dürfen, dass die Geschichte 
nicht, wie die Ernte, ein Erlebnis der einzelnen Haushaltungen 
ist, sondern vielmehr ein Erlebnis des Volkes im Ganzen, Man 
sieht freilich, dass die — ja immer in gewissem Grade centrali- 
stisehen — Feste an sieh die Neigung haben sich von ihren 
individuellen Trieben zu entfernen ; aber nirgends haben sie sieh 
so weit davon entfernt wie im Priestercodex. Während sie doch 
sonst noch überall, wie wir sahen, in deutlicher Beziehung zu 
dem Lande und seinem Segen stehen und gleichsam die grossen 
Huldigungs- und Tributtage für den Lehnsherrn und Verleiher 
des Landes sind, so tritt dieser Zusammenhang hier völlig zu- 
ein hist«ri8ches Faktum, dieses eine BriBuenuigsfeier daran ist. Dagegen 
ist nicht zu kämpfen, wenn für die Ursprünglielikeit des Passah-ritus im 
Priestereodex damit eingetreten wird, dass dieser allein den Bedingungen 
des ägyptischen Auienliialts enisprecbe. 



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108 Gesehithte des Cultus, Kap. 3. 

rüek. Wie mau im Gegensatz zum Bundesbuch und Deutero- 
uomium, ja seibat zu dem Corpus, welches Lev. 17 — 26 zu 
Gvuude liegt, den ganzen Priestercodex als Wüstengesetzgebung 
eharaliterisieren kann, insofern er von den natürlichen Bedin- 
gungen und Motiven des wirkliehen Volkslebens im Lande Ka- 
naan abstrahiert und auf der tabula rasa der Wüste, der Negation 
der Natur, aus kahlen Statuten des absoluten Willens die Hiero- 
kratie aufbaut, so sind auch die Feste, bei denen sich die Ab- 
hängigkeit des CultuB vom Ackerbau am stärksten zeigt, so 
viel es angeht, hier zu Wiistenfesten geworden, allerdings am 
meisten das Osterfest, das aber das wichtigste von allen gewor- 
den ist. 

2. Mit der Centralisation des Cultus, deren umgestaltender 
Einfluss sich im Priestercodex zeigt, macht das Deuteronomium 
den Anfang. Jener fusst auf diesem und zieht die hier noch 
nicht geahnten Cousequenzen. Dies Verhältnis bewährt sich 
auch in Einzelheiten. Zunächst in den Namen der Feste, welche 
beiderorts die gleichen sind, Pesah, Sehabuoth, Sukkoth. Es 
ist das nicht ohne innere Bedeutung, denn Asiph hätte der ge- 
schichtlichen Umdeutung viel grössere Hindernisse in den Weg 
gelegt als Sukkoth. Sodann in der Bevorzugung des Passah, 
eines vorher nirgend erwähnten Festes, welche im Priestercodex 
noch weit auffallender ist als im Deuteronomium. Ferner in der 
Dauer der Feier. Während das Deuteronomium allerdings die 
Anfangstermine noch nicht gleiehmässig tixiert, thut es doch 
darin einen Schritt über die jehovistisehe Gesetzgebung hinaus, 
daes es Ostern und Laubhütten auf eine Woche, Pfingsten auf 
einen Tag normiert. Damit, sowie auch mit der zeitlichen Be- 
ziehung TOD Pfingsten zu Ostern, stimmt der Priestercodex im 
Ganzen Uberein, doch sind seine Bestimmungen im Einzelnen 
ausgebildeter. Das Passah, im ersten Monat am Abend des 
14,, eröffiiet zwar auch hier das Fest, zählt aber nicht wie Deut. 
16,4.8 als erster Tag der Osterwoche, sondern diese beginnt 
erst mit dem 15. und sehliesst mit dem 21., vgl, Lev. 23, 6. 
Num. 28, 17. Exod. 12, 18. Da nun der Anfang der Festwoche 
besonders ausgezeichnet wird, so entsteht dadurch nicht bloss 
ein gewöhnlicher, sondeni ein ausserordentlicher Feiertag mehr, 
der Tag nach dem Passah, an dem nach den Bestimmungen des 
Deuterouomlums bereits in der Frühe die Pilger von Jerusalem 



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DiK F«sl.f. 109 

in die Heimat zurQekkelireii sollten '). Eine andere Steigerung 
besteht darin, dass niolit bloss das Passah, wie im Deuterono- 
mium, oder ausserdem der hinzugekommene erste Festtag, son- 
dern auch der siebente, der nach Deut. 16, 8 nur durch Ruhe aus- 
zuzeichnen ist, als Mikra Kodeseh in Jevusalem gefeiert wer- 
den muss. Mit anderen Worten sind die nicht ganz in der 
Nähe wohnenden Wallfahrer gezwungen die ganze Woche dort 
zuzubringen: eine Anforderung, die den Fortsehritt der Centra- 
lisierung erkennen läset, den weit massigeren Aueprtichen des 
Deuteronomiuma gegenüber. Die Laubhtittenwoche wird aiieh 
in dem letzteren Gesetze von Anfang bis zu Ende in Jerusalem 
begangen, aber der Priestercodex hat hier abermals einen achten 
Tag zuzulegen verstanden, als eine Aeereth zum Hauptfeste, die 
freilich in dem älteren Bestände von Lev. 23 noch zu fehlen 
seheint. Nach alle dem unterliegt es keinem Zweifel, dass der 
Priestercodex zunächst mit dem üeuteronomium zu vergleichen ist 
und in der seihen Richtung darüber herausgeht, wie dieses 
selbst über die jehovistische Gesetzgebung. Auf jeden Fall 
nimmt das Deuteronomium die mittlere Stellung in der Reihen- 
folge ein, und wen« man dieselbe mit dem Priesfercodex be- 
ginnt, so gelangt man consequenter Weise dazu, sie mit dem 
sinaitischeu Bundesbueh (Exod. 20, 23 ff.) zu sohliessen. 

Nachdem der König Josia das Deuteronomium publieiert 
und es durch feierliche Verpflichtung des Volkes zum '. 
buch gemacht hatte {a. 621) , befahl er allem Volke : 

dem Jahve eurem Gotte, wie es vorgesehrieben ist in 
i Bundeshuche — ein solches Passah war nicht begangen 
seit den Tagen der Richter und während der ganzen Königszeit 
(2. Reg. 23,21.22). Und als der Schriftgelehrte Ezra den Pen- 
tateuch, wie er uns gegenwärtig vorliegt, als Grundgesetz der 

') Dadurch dass im Priestercodex der Tag vom Abend an gerechnet wird, 
laast sich diese Diffei'enz nicht ausgleichen, dena erstens hat dies keinen 
ptaktischpn Einfluss, da die Datierung dennoch mit dem Morgen beginnt 
nad dei dem 15. voraufgehende Abend immer der 14, des Monats heisst 
(Lev 2i, 27 32); zweitens ist der erste Festtag im Deut, eben der Tag, 
an dessen Abend das Passah fällt und es folgen d^n nicht noch sieben, 
sondern sechs Tage, mährend im Priestetcodex die Feier vom 14. bis zum 
21 des Monats sieb ausdehnt Exod. 12,18. — Wenn die fiscn n"!nD 
nicht wie Jos. 5, 11 als der auf den 14., sondern wie in der jüdischen 
Tradition (LXX zu Lev. 23, II) als der auf den 15. Nisan folgende Tag 
gedeutet wird, so tritt zum 14. und 15. auch noch der 16. Nisan als be- 
sonderer Festtag hinzu. 



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110 üescMchto des Ciilt.iis, Kap.."., 

(iemelude des zweiten Tempels eiufithrte (a.444), da fandeii sie 
gesehrieben in der Thora, welche Jahve durch Mose befohlen 
hatte, dass die Kinder Israel am Feste im siebenten Monat in 
Hatten wohnen und dazu Laubzweige von Oliven und Myrten 
und Palmen gebrauchen sollten; und dementsprechend ging das 
Volk hin und machte sieh Hütten: das war nicht geschehen seit 
den Tagen Josua's des Sohnes Nun bis auf diesen Tag (Nehem. 
8, 14fiF.). DasB sieh das Passah Josia's auf Deut. 16 und nicht 
auf Exod. 12 gritndet, mnss man schon deshalb annehmen, weil 
die Feetfeier im Zusammenhange steht mit der neuen Cultus- 
einheit und zur Erprobung derselben dienen soll, während die 
Vorschrift von Exod. 12, wörtlich befolgt, nur zur Erschütterung 
derselben hätte dienen können. Auf der anderen Seile ist es, 
trotz kleiner Incongi-uenzen, klar, dass die Laubhiittenfeier unter 
Ezra auf Lev. 23 zurückgeht. Es trifft sieb also, dass die zwei 
so wichtigen und einander so ähnliebeu Gesetzespublicieruugen 
beide in die Zeit eines Festes fallen, die eine in den Fillbling, 
die andere in den Herbst; und es ergibt sieh bei dieser Gele- 
genheit, dass die Festsitte des Priestercodes erst beinah 20Ü 
Jahre später anfing ins Leben zu treten und Geltung zu ge- 
winnen, als die deuteronomische. Es gibt dafür noch einen an- 
deren Beweis. Der Verfasser des Buchs der Könige weiss nur 
von einer siebentägigen Dauer der Laubhütten (1. Reg. 8, 66): 
am aehten Tage entläsat Salomo das Volk. Dagegen in der 
Parallelstelle der Chronik (II 7, 9) hält der König am achten 
die Asereth und entlässt das Volk erst am folgenden, dem 23. 
des Monats. Es wird also hier der deuteronomisehen Sitte, 
welcher der ältere Schriftsteiler und der ihm etwa gleichzeitige 
Ezeehiel (45, 25) folgt, von dem jüngeren die seit Ezra (Nebem. 
8, 18) herrsehende des Priestercodex iibercorrigiert. Im späteren 
Judentum kam es bekanntlich, durch die Neigung gerade das 
Anfechtbare am festesten zu behaupten, dahin, dass der achte 
Tag des Festes als der heriliehste von allen angesehen wurde 
(Joh. 7, 37). 

Am nächsten steht dem Priestercodex auch auf diesem Ge- 
biete Ezeehiel, der (45, 21—25) folgende Verordnung gibt. „Im 
I.Monat am 14. sollt ihr das Passahfest feiern, eine Woche 
Massoth essen; an selbigem Tage soll der Fürst für sich und das 
ganze Volk einen Sündfarren bringen und während der sieben 



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Die Ffiste. 111 

Tage regelmässig als Brandopfer 7 FaiTeii uud 7 Widder, als 
Slindopfei' eiaeu Ziegenbook , als Melilopfer ein Epha flir jeden 
Farren und Widder, und Ol ein Mass auf das Epha — im 
7. Monat am 15., am Feste, soll er dasselbe darbringen, 7 Tage, 
hinsiebtlicli der Sund- Brand- und Mehlopfer und dea Öles." 
Im Einzelneu deckt gieli hier allerdings beinah nichts mit den 
Bestimmungen des Bitualgesetzes Lev. 23. Num. 28f. Abgesehen 
davon, dase der — vom masorethischen Texte durch eine albei-ne 
Correctur in v. 21 restituierte — Pfingsttag übergangen wird, 
weicht zunächt die Dauer der Feste ab, beide währen sieben 
und nicht acht Tage und das Passah gilt als der erste Ostertag, 
wie im Deuteronomium. Ferner diiferieren die Opfer, sowohl 
durch ihre stets gleich bleibende Zahl als durch ihre Qualität; 
insbesondere ist vom Passahlamm keine Rede, sondern von einem 
Stlndfarren als Generalopfer. Bei der Minha fehlt der Wein, 
doch das darf mau nicht in Anschlag bringen, da Ezeehiel die- 
sen grundsätzlich aus dem , Cultus verbannt. - Endlich bringt 
nicht die Gemeinde die Opfer, sondern der Fürst, ftlr sich 
und das Volk. Aber trotz aller Differenzen leuchtet doch die 
aligemeine Gleichartigkeit durch; es wird an ihnen gewisser- 
massen nur anschanlieh, dass man hier zum ersten male etwas 
hat, was man auf allen Punkten mit dem Priestercodex zusam- 
menstellen kann, mit dem die jehovistisehe Gesetzgebung ganz 
und die deuteronomisehe halb unvergleichbar ist. Beidevorts 
findet sich der nach dem Mouatstage datierte Termin, das fest 
vorgeschriebene Gesammt- Brand- und Sündopfer, die Abstraetion 
von Aparchen und Ackerbau, die Ausgleichung der natürlichen 
Unterschiede zu einer allgemein -kirchlichen Feier. Schwerlich 
nun hatte Ezeehiel einen Grund, Lev. 23 und Num. 28f. zu re- 
producieren, noch weniger aber, sich dabei eine Menge völlig 
zweckloser Variationen zu erlauben. Man beachte, dass er in 
keiner Einzelheit dem Deuteronomium widerspricht und doch 
dem Priestereodex so unendlich viel näher steht: die Verwandt- 
schaft ist eine unwillkürliche, die in der Zeit liegt. Ezeehiel 
ist der Vorläufer des priesterliehen Gesetzgebers im Pentatench, 
sein Forst und Volk die noch einigermassen von der vergan- 
genen Königszeit gefärbte Vorstufe der Gemeinde der Stifts- 
hütte und des zweiten Tempels, Dieser Annahme steht nichts 
im Wege und sie ist darum die rationelle, weil nicht Ezeehiel, 



ly vjO.Vi 



112 Geschichte des Cultiis, Kap. 3. 

sDüdera dei- Priestei'codex die Sitte der späteren Zeit nor- 
iniert hat. 

Denn sowie das Festwesen des Prieetercodex sich in die 
Art des älteren Cnltus, wie wir ihn z. E. aus Hos. 2. 9 können, 
schlechterdings nicht schicken will, so ist dasselbe fUr die Praxis 
des naehexilischen Judentums, und darum auch fiir unsere von 
daher entnommene Ansehauung, in jeder Hinsicht massgebend. 
Niemand denkt im Neuen Testament an eine andere Passah- 
feier als die von Exod. 12 und an ein anderes Opfer als da« 
dort vorgeschriebene Passahlamm, Man daif vielleicht die Ver- 
mutung wagen, dass wenn in jeuev WUstengesetzgebung der 
Ackerbau überhaupt nicht als die Grundlage des Lebens empfun- 
den wird, die er noch im Deuteronomium und selbst in dem 
Kerne von Lev. 17 — 26 ist, auch dies ein Beweis für ihren Zu- 
sammenhang mit den Zuständen weniger einer sehr alten als 
einer sehr jungen Zeit ist und nicht sowohl als ein Noch 
nicht, sondern viel eher als ein Nicht mehr aufgefasst wer- 
den muss. Durch die babylonische Gefangenschaft haben die 
Juden ihre Sesshaftigkeit verloren und sind ein Handelsvolk 
geworden. 

3. Eine Erscheinung, wodurch sich der Piiestercodex aus- 
zeichnet, ist bisher übergangen, dass nämlich hier der drei- 
gliedrige Cyklus der Feste erweitert und durchbrochen ist, lu 
der nach der Zeitfolge geordneten Aufzählung Lev. 23. Num. 28. 
29 sind zwischen Pfingsten und Laubhütten zwei andere Feier- 
tage eingesetzt, Neujahr am 1. des 7. Monats und der grosse 
Versöhnungstag am 10. des selben Monats, Wie sehr die drei, 
ursprünglich zu einander gehörigen, Erntefeste abgeblasst sind, 
sieht man daraus, dass diese beiden heterogenen Tage mitten 
dazwischen erscheinen, der Jom Kippurim in gleicher Reihe 
mit den alten Haggim, d. h. Tänzen, die lauter Lust und 
Freude waren und mit einem Trauerfasten nicht an einem Tage 
zu nennen. Im Einzelnen ist Folgendes zu bemerken. 

Der Jahreswechsel fiel in der Königszeit auf den Herbst; 
das Herbstfest bezeichnete den Abschluss des Jahres und der 
Feste (Exod. 23, 16. 34, 22. 1. Sam. 1, 20. 21. Isa. 29, 1. 32, 10). 
Das Deuteronomium wurde im 18. Jahre Josia'« aufgefunden und 
noch im selben Jahre Ostern nach Vorschrift dieses Gesetzes 
begangen — das war nur möglich bei Jahresanfang im Herbst. 



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Die Fe.=tp. 113 

Hiernaeb rjcbtet sich mm aueb im PrieBtereodex die kircU- 
licbe Neujabrsfeier '). Der Jom Tberua (JLev. 23, 24f. Nuni. 
29, Iff.) I^llt auf den eisten Neumond des Herbstes, und es 
folgt aus der durch Ley. 25, 9f. beglaubigten Tradition, dass 
dieser Tag als n:tS'n ITNIi als Neujahr begangen wird. Er wird ■ 
nun aber immer als der erste des siebenten Monats bezeiclmet. 
Also hat sich das bürgerliche Neujahr von dem kirchlichen 
getrennt und auf den Frühling verlegt; das kirehliehe kann mir 
als Eest von früher her aufgefasst werden und verrät schlagend 
die Priorität der Sitte, wie sie in der älteren Königszeit herrschte. 
Erst durch den Einfluss der Babylonier scheint dieselbe abge- 
kommen ZH sein , welche die Frühlingsära hatten '). Denn die 
mit dem Gebrauch der Frühlingsära zusammenfallende Bezeich- 
nung der Monate durch Zahlen statt durch die althebräischeu 
Namen (Abib Ziv Uul Ethanim) findet sieh, abgesehen vom 
Priestercodex und dem letzten Eedaetor des Peutateuchs (Deut. 
1,3), noch nicht im Deuterouomium (16,1), sondeni erst bei 
Sehriftstellern des Exils. Zuerst bei Jeremia, aber nur In solchen 
Teilen seines Buchs, die nicht von ihm aufgeschrieben oder 
doch von späterer Hand redigiert sind'); sodann bei Ezechiel und 
dem Verfasser des Buchs der Könige, der die Namen seiner 
Quelle durch Zahlen erklärt (1. Reg. 6, 37. 38. 8,2), ferner bei 
Haggai und Zacharia; zuletKt noch in der Chronik, aber hier 
beginnen schon die zunächst vom Hebräischen femgehaltenen 
babylonisch - syrischen Monatsnamen einzudringen (Nehero. 1, 1. 
2, 1. Zach, 1, 7}, die im Buche Esther den Zahlen immer bei- 
gegeben und im Makkabäerbuch ausschliesslich gebraucht wer- 
den. Wollte man diese seit dem Exil nachweisbare Änderung 
des Kalenderwesens aus der zufällig jetzt beginnenden Einwir- 

') Dabei iomuil fieilich Laubhütten nicht \orher, sondern jiachher zu stehen 
— was wahrscheinlich mit <ler bestimmteren Datierung (auf den 15. Mo- 
uatstag) zusammenhängt, der alten Sitte und dem Sinne des Festes aber 
(lui'chaus widerspricht. 

') In Exod. 13, 2 wird dieser. Wechsel der Ära förmlich durcli Mose ange- 
ordnet: dieser Uonnt (der Ostermonat) soll euch der Anfang der Monate 
sein, der erste sei er ench von den Monaten des Jahres. Nach George Smith 
(the Assjrian eponym canou S. 19) begann das assyjische Jahr mit der 
Frö bliugsnacbt gleiche ; die assyrische Sitte hängt von der babylonischen 
ab. Trotz der entgegenstehenden Annahme Idelers war ich von dem 
Frühlingsanfang des babylonischen Jahres fest überzeugt, lange bevor 
ich die Ergebnisse der Assyrjologie in dieser Beziehung kannte. 

') Kuenen, historisch -kritisch Onderzoek II (1863) S. 197. 214. 



«Giaii^le 



1 1^4 Oeschichte des Cultus, Kap. Ü- 

kuDg des bisber seheintoten PrieBteroodex erklären, statt aus 
allgemeinen in den Zeitumständen liegenden Gründen, unter deren 
Einfluss eben auch dieser stand und die überbaupt damals einen 
Umschwung — allgemeinere Anwendung und grössere Genauig- 
keit — in der Zeitrechnung zur Folge hatten, so würde das 
absurd genannt werden mUssen. — Eine ähnliehe Erscheinung 
zeigt sieh bei dem Gewichtswesen. Der „heilige Sekel", der 
oft im Priestereodex und nur hier vorkommt, kann unmöglicli 
eher so benannt sein, als bis auch die natürlichsten altisraelitischen 
Dinge, weil abhanden gekommen, in einem wundersamen Nim- 
bus erschienen. Er hat zum Gegensatz, den „Stein des Königs", 
der 2. Sam, 14, 26 in einer Glosse erwähnt wird; der König ist 
kein anderer als der Grosskönig von Babylon, Interessant ist 
es, das8 der heilige Sekel des Priestereodex dem Ezechiel noch 
der gewöhnliehe ist; vgl. Exod. 30, 13 mit Ezech. 44, 12. 

Während des Exils scheint das kirchliche Neujahr nicht am 
1., sondern am 10. des 7. Monats gefeiert zu sein (Lev. 25, 9. 
Ezecli. 40, 1) — ganz begreiflich, nachdem es überhaupt einmal 
von dem wirklichen Jahresanfang sich getrennt hatte ')■ Schon 
daraus würde erhellen, wie jung der grosse Versöhnungstag 
Lev. 16 ist, der später auf diesen Termin begangen wurde; denn 
obwohl derselbe als Generalreinigungsoeremonie mit Fug am 
Jahreswechsel steht , so passt doch der frühliche Lärm der 
Neujahrsposaunen nicht in seine stille Feier , wie denn der 
nynn DI' im Priestereodex in der That auf den 1. des 7. Monats 
gelegt ist. Trotz seiner überragenden Wichtigkeit ist der Ver- 
söhnungstag weder im jehovistiseh-deuteronomiscben Teile des 
Pentateuchs, der nur ein dreimaliges Erscheinen vor Jahve for- 
dert, noch in den historischen und prophetischen Büeheru be- 
kannt. Seine ersteu embryonischen Keime zeigen sich im Exil. 
Ezechiel -veioidnet (45,18—20) zwei giosse Entsündigungen zu 
Anfang der beiden Jahie^biUten, denn 45, 20 ist nach dei bep 
tuaginta W~in2 '•V'Jli'^ „im 7 Monat am Neumond" zu lesen Die 
zweite von diesen, im Heibst, ist mit dei des Piiesteicudex zu 

, ') Dasi hei Ez der 10 aN njBTI E'NT genau zu nehmen ist, folgt nioLt 
y^^ I lilo% dataui, dass dieae Be?eii.hiiraiK nur m dieiem Sinne viukommt 
„ ji4-- I sondum auch darius, dnss e' nn.ht zußllig i«t, ftenn dei Piopliet girade 
■ l ti- 1 211 Neujahi das Nene Jerusalem schaut Dann abei isl nach Lev Jo, 9 
*ii-J*^*- der Hiebenfe Monat ijememt, in dessen lU lige die Posiiinen zum An 
bruch des Jobeljahres geblasen werden 



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Die Fesle. 115 

vergleichen, uur daes sie auf den ersten und Neujahr (40, 1) auf 
den zehnten fällt, während dort umgekehrt Neujahr auf den 
ersten und die Entsiiiidiguug auf den zehnten; aucli ist der Eitua 
weit einfacher, Zacharia, gegen Ende des sechsten Jahrhunderts, 
sieht auf zwei seit 70 Jahren, d. h. seit dem Anfange des Exils, 
bestehende regelmässige Fasttage im 5. und 7, Monate zurück 
(7, 5), denen er (8, 19) noch zwei andere im 4. und 10. Monate 
zufügt. Sie beziehen sieh, nach Ch. B. Michaelis' unzweifelhaft 
richtiger Erklärung, auf die geschichtlichen ünglUckstage, welche 
dem Exil vorhergingen. Am 9, des 4- Monats ward Jerusalem 
eingenommen (Jer. 39, 2), am 7. des 5. ward die Stadt und der 
Tempel verbrannt (2. Keg. 25, 8), im 7. Monat wurde Gedalia er- 
schlagen und der Rest des jüdischen Staats vernichtet (Jer. 41), 
im 10. hatte die Belagerung der Stadt durch Nebukadnezar be- 
gonnen (2. Reg. 25, 25). Den grossen Versölinungstag von Levit. Ifi 
kennt mithin auch dieser Prophet noch nicht, sondern erwähnt 
nur neben anderen das Fasten im 7. Monat als seit 70 Jahren 
bestehend. Derselbe ist sogar bis a. 444, dem Jahre der Publi- 
cation des Pentateuchs durch Ezra, noch nicht in Kraft getreten. 
Ezra beginnt die Vorlesung des Gesetzes am Anfang des 7. Mo- 
nats, darnach wird am 15. Laubhütten begangen: von einer 
Sühnfeier am 10. des Monats wird in der genauen und gerade 
für Liturgisches interessierten Erzälilung nichts berichtet, sie wird 
dagegen am 24. nachgeholt (Nehem. 8. 9). Dies testimonium e 
silentio ist vollgültig ~ bis dahin bestand der grosse Tag des 
Priestereodex nicht, der erst jetzt eingeführt wurde'). Sein 
Termin wird teilweise im Änschluss an Ezechiel durch das alte 
Neujahr (Ler. 25, 9) bedingt sein, teilweise im Änschluss an 
Zacharia dureli das Fasten G-edalia's, welches freilieli später 
dann doch noch besonders gefeiert wurde. 

Auch vor dem Exil kamen wohl allgemeine Fasttage vor, 
aber sie wurden besonders angesagt und waren immer ausser- , 
ordentlich veranlasst, wenn eine Schuld zum öftentlichen Be- 

') „Wenn Lev. l(i zum ursprünglichen Beslauii der Priesterschrift gehört 
imd im Jahr 444 der gesamte Pentat«uch von Ezra publiciert wurde 
uDd doch damals der Tag nicht gefeiert wurde, so wird ja eben damit 
zugegeben, daas es Gesetze geben kann, ohne daas sie ausgeführt wer- 
den." So Dillmann in der Einleitung zu ler. 16 (1880 S. 525); es wird 
ihm jeder zugehen, dass das Gesetz, ehe es öffentliche Geltung gewinnen 
iionnte, zuvor geschrieben und proomilgiert sein musste, 



IV Kj 



116 Geschichte des Cultiis, Kap. .'S, 

wusstseiu kam oder der göttliche Zorn drohte, uamentlicli bei 
Landescalamitäten (1. Reg. 2J, 9. 12. Jerem. 14, 12. 36, 6. 9. Joel 
1, 14. 2, 12. 15). Im Exil begannen sie regelmässige Sitte zu 
werden Isa. 58, ohne Zweifel zunächst in Erinnerung an die er- 
lebten dies atri und gewissermassen ah ein der Situation eut- 
spreeliender Ersatz für die nur im heiligen Lande möglichen 
fröhlichen Volksversammlungen zu Ostevn Pfingsten und Laub- 
hütten'). Endlieh traten sie den Festen selber zur Seite und 
\vurden ein förmlicher und sehr wichtiger Bestandteil des ordent- 
lichen Gottesdienstes. Im Priestercodex ist das grosse Fasten 
am 10. des. 7. Monats der heiligste Tag des ganzen Jahres. Nichts 
ist so bezeichnend fUr den Gegensatz des neuen Cultus zum 
alien: wie er liberall auf die Sünde und die SUhne sein Absehen 
richtet, so läuft er auch in ein grosses SündensUhnfest als in 
seine Spitze aus. Es ist als ob die Stimmung des Exils aueb 
nach der Befreiung, wenigstens während der ei-sten Jahrhunderte, 
im Judentum stehen geblieben wäre; als ob man sieh nicht bloss 
momentan wie die frühere Zeit bei einem besonderen Änlass, 
sondern unaufhörlich unter dem bleiernen Di-uck der Sünde und 
des Zorns gefühlt hatte. leh habe kaum nötig ausdrücklich hin- 
zuzufügen, dass auch hinsichtlich des Versöhnungstages als des 
Festes aller Feste der Friestercodex für die nachexilische Zeit 
massgebend geworden ist, R tus n 1 Oi fe h nd durch das 
Misgeschick der Zeiten unteige angen abe d eselbe Heiligkeit 
ist ihm geblieben; wer sieh noch nicht ganz losgesagt hat vom 
Judentum, hält diesen Tag mag ei aucl s nst ^egen alle Ge- 
bräuche und Feste desselben gle cl gilt g sein 

IV. 

Zum Sehluss noch ein Wort über die Mondfeste, d. h. über 
Neumond und Sabbath. Dass beides zusammengehört, lässt sich 
. allerdings aus dem Pentateuch nicht sehen, wohl aber annähernd 
ans Amos 8, 5 und 2. Reg. 4, 22f. Uei Arnos sagen die über jede 
Unterbrechung ihres Wuchers ungeduldigen Kornhändler: wann 
wird der Neumond vorübergehen, dass wir Getreide verkaufen 
und der Sabbath, dass wir Korn aufthun' An der anderen Stelle 

') Auch nach dei zweiten Zerstori ng Jerusalem durch Titus nahm da» 
Fsitenweseu einen solchen Auf «chwiing dass d e Tage Teizeichnet weiden 
musüten, aa denen dajä Fasten verboten war 



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Die Feste. 117 

wird die Sunamiüii, da sie ihren Mann um einen Esel und einen 
Knecht bittet ura den Propheten Elisa zu beanehen, von diesem 
gefragt, wie sie denn dazu komme, jetzt eiuen solchen Ausflug 
zu unternehmen, da es ja doch „kein Neumond uud kein 8ab- 
bath'', d. h. wie wir sagen würden, kein Sonntag sei. Wahr- 
scheinlich hat sieh der Sabbath ursprünglich nach den Phasen 
des Mondes gerichtet und ist also immer der 7. 14. 21. (28.) Tag 
des Monats gewesen, den Neumond als ersten gerechnet: eine 
Ratio muss er gehabt baben, uud eine andere lässt sich nicht 
auffinden '). Denn dass die Woche durch die sieben Planeten 
bedingt sein soll, erscheint sehr wenig glaublieh. Erst nachdem 
man die sieben Tage hatte, kam man darauf sie nach den sieben 
Planeten zu benennen ; die Siebenzah! ist das einzige Band zwi- 
schen ihnen. Ohne Zweifel ist die Woche älter als die Namen 
ihrer Tage. 

Die Mondfeste sind wohl llberbaupt älter als die Erntefeste, 
und sicher sind sie es bei den Hebräern. In vorhistorischer Zeit 
muss der Neumond so vorzugsweise gefeiert sein, dass von einer 
alten Benennung desselben, welche im biblischen Hebraismus 
nicht mehr vorkommt, sogar das allgemeine Wort fiir den Fest- 
jubel abgeleitet ist, welches sich schon Jud, 9, 27 für die Feier 
der Weinlese gebraucht findet '). Aber auch noch aus historischen 
Zeugnissen lässt sich eonstatieren , dass die Neumondsfeier in 

') George Smitb, the Assyrian Eponym Oanoß S. 19f: Among the Assj- 
rians the first twenty-eight days of avery montL were tlivided into 
four weeks of seven days eaeh, the seventh, fourteenth, twenly-first, and 
tweaty-eigbth days, respectively, being sabbatha; and Ihere was a ge- 
neral prohibition of work on tbese days. Femer Hyde, hist. relig. vet, 
Pers. S. 239. Bei den Syrern bedeutet ftSB* nicht den siebenten Tag, 
sondern die Woche, ebenso bei den Arabern »j-i*, und Käj_La, (Plur- 
c^^U*-,Dem. JüJ-O«) einen Zeitabschnitt (Lagardc, Ps. Hier. S. 158), 
und zwar nach den Lexikographen einen längeren. Aber in dem ein- 
zigen Beispiele, welches der Tag al'Arüs aninhrt, bedeutet es vielmehr 
eine kurze Frist: küm. ..IjÄäe t— ''^.^Jt (stattO'L^) |o U ^= wasist . 
die Jugend? der Anfang einer Sanbata; d.i. etwa: der Sonntag einer 
Woche. Darnach wäre der Sabbath ursprünglich die Woche selber ge- 
wesen und erst binterärein der Wochenfesttag geworden. Die Identität 
des syrischen Wortes (tu orfßßaxa im N.T.) mit dem hebräischen wird 
durch die doppelte Form des arabischen verbürgt. 

") Mit Hecht haben Sprenger (leben Moh. III. -527) und Lagarde das hebrilische 
hallel mit arab, ahalla (Labbaika rufen, z. B. Abulf. I 180p) lusam- 
mengeatellt. Über die Ableitung des ahalla ton hiläl (Neumond) waltet /*-i -' 
aber gar kein Zweifel. Vgl. Vakidi's llaghazi S. 421 Anra. 1: die Mekkaner JW 
ahallu (nahmen den Ihräm an), nenn sie den hiläl sahen. — " 



»Ga«'e 



118 Geschichte dra Cultii8, K.np. ?,. 

alter Zeit mindeetens auf gleicher Liuie mit der Sabbathsfeier 
j^estanden hat; vgl. 1. Sam. 20, 5. 6. 2. Reg, 4, 23. Amog 8, 5. Isa. 
J, 13. Hos. 2, 13. In der jehovistiscbeu uud deuteronomischeii 
Gesetzgebung jedoch wird dieselbe vollkommen ignoriert und 
wenn sie in der jiriesterliehen und ezecbielischen etwas mehr 
herrortritt — ohne entfernt mit der Sabbathfeier sich messen 
zu können — , so hängt das vielleicht damit zusammen , das8 
sich hier die grossen Feste nach dem Neumond richten und des- 
halb seine Beobachtung von Wichtigkeit ist. Es mag einesteils 
bewusste Absieht gewesen sein, welche die Neumondsfeier, wegen 
allerhand heidnischen Aberglaubens, der sieh leielit daran an- 
setzte, verdrängt hat, andernteils ist wob! auch das unwillkür- 
liche Übergewicht des Sabbaths daran schuldgewesen, zilfolge 
dessen dieser seine eigenen Wege ging und in regelmässigen 
siebentägigen Intervallen weiter gerechnet wurde, unbekümmert 
um den Neumond, mit dem er nun coUidierte, statt wie früher 
durch ihn gestützt zu werden. a 

Als Mondfest reichte ohne Zweifel auch der Sabbath in sehr 
hohes Alter hinauf. Bei den Israeliten aber bekam dieser Tag 
eine ganz eigentümliche Bedeutung, wodurch er sich von allen 
anderen Festen unterschied; er wurde der Ruhetag kat' exocben. 
Ursprunglieh ist die Ruhe nur eine Consequenz der Feier, z. B. 
der Erntefeste nach der sauren Arbeitszeit; auch die Neumonde 
wurden dadurch ausgezeichnet (Amos 8, 5; 2. Keg, 4, 23). Sie ist 
auch beim Sabbath eigentlich nur die Folge davon, dass er der 
Feier- und Opfertag der Woehe ist (Isa. 1, 13. Ezeeh. 46, Iff.), 
an dem die Sehaubrote aufgelegt werden; filr ihn aber wurde 
sie, wohl wegen der Begelmässigkeit , mit der er die Alltags- 
arbeit alle acht Tage unterbrach, allmählich die wesentliche 
Eigenschaft. Am Ende wurde dann auch sein Name so gedeutet, 
als sei er vom Ruhen hergenommen; Als Ruhetag kann nun 
der Sabbath nicht so uralt sein; in dieser Eigenschaft setzt er 
vielmehr den Ackerbau und ein ziemlich angestrengtes Werk- 
tagsleben voraus. Dazu stimmt es, dass sieh im Laufe der Ge- 
schichte eine Steigerung der Sahbathsrube bei den Israeliten 
nachweisen lässt. Am höchsten ausgebildet, bis zur Veränderung 
der Qualität, erscheint dieselbe im Priestercodex. 

Nach 2. Reg. 4, 22f. hat man am Sabbath Zeit zu nicht ali- 
täglichen Besehäftigungeu; Knecht und Esel können abkommen, 



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Die Feste. 119 

ZU einer Reise, die weiter ist al» ein Sabbatliei'weg. Hoe. 2, 13 
heisst es: „ich maelie aU ihrer Freude ein Ende, ibreu FeKten 
Neumonden und Sabbathen"; diese letzterenteilen also mit den 
ersteren die lustige Fröhlichkeit, die sich im ExiJ, mit dem Jahve 
droht, von selbst verbietet. Beim Jehoyisten und Deuterouomisten 
ist der Sabbath, der freilich schon Arnos 8, 5 auf den Handel aus- 
gedehnt wird, eine Einrichtung speeiell für den Ackerbau; er ist 
der Erholungstag für die Leute und das Vieh uad wird mithin 
in ähnlicher Weise wie die Opfermahle zu socialen Zwecken 
benutzt (Exod. 20. 10. 23, 12. 34, 21. Deut. 5, 13. 14). Obwohl 
diese morahsche Wendung echt israelitisch und nicht ursprüng- 
lich ist, so ist die Ruhe doch auch hier noch ein Fest, ein Ver- 
gnügen fSr die arbeitenden Klassen; denn was zur Pflicht ge- 
macht wird — den israelitischen Herren nämlich, an welche 
die Gesetzgebung sich richtet — ist weniger, dass sie ruhen, als 
dass sie ruhen lassen. Im Priestereodex dagegen ist die Sab- 
bathsruhe sebleehterdings nicht mit dem fröhlichen Aufatmen 
von der Last des Lebens bei den Festen gleichartig, sondern 
eine Sache für sich , die den Sabbath nicht bloss von den 
Wochentagen sondern auch von den Festen unterscheidet und 
einer ascetiseheu Leistung weit näher kommt als einer lässigen 
Erholung. Sie wird hier ganz abstract genommen, nicht als 
Ruhe von der gewöhnlichen Arbeit, sondern als Ruhe schlecht- 
hin. Mau darf am heiligen Tage nicht aus dem Lager gehen, 
um Manna oder Holz zu sammeln {Exod. 16. Num. 15), nicht 
einmal Feuer anzünden und kochen {Exod. 35, 3): diese Ruhe 
ist in Wahrheit ein Opfer der Enthaltsamkeit von aller Be- 
schäftigung, worauf man sieh schon den Tag vorher präpai-ieren 
muss {Exod. 16). In der That könnte vom Sabbath des Priester- 
codex nicht gesagt werden, er sei um des Menschen willen da 
{Marc. 2,27), er ist vielmehr ein mit der Starrheit eines Natur- 
geKetzes auftretendes Statut, das sich selbst zum Grunde hat 
und auch für Gottes Schaffen gilt. Der ursprilngliebe Schöpfungs- 
berieht, wonach Gott am siebenten Tage die Welt vollendete 
und ihn darum beiligte, ist dahin verbessert, dass er in sechs 
Tagen fei'tig wurde und am siebenten Tage rubele '). 

Ansätze zu einer solchen Überspannung der Sabbathsruhe 

') Es ist ein unnweifelhHfter WMenipmch , wemi es in Gen. 2, 2 zunächst 
lieisst: er machte die Arbeit ain siebenten Tage fertig, und sodann: er 



120 Geschichte des Cultus, K.ip. 3. 

iuH Absolute finden sich seit dev chaldäisehen Zeit. Während 
Jesaia, den Sabbath rein als Opfertag betracbteud, sagt: „ihr sollt 
nicht mehr nichtBautziges Opfer darbringen, ekelhafte ßäneherei 
ist es mir; Neumond und Sabbatli, TempelYersammlung — ich 
mag nicht Gränel und Feiertag", so ist Jeremia der erste unter 
den Propheten, welcher umgekehrt för strengere Heiligung des 
siebenten Tages eintritt, denselben aber lediglich als Ruhetag 
auffasst 17, 19flf.: „tragt keine Last am Sabbathsfag, weder hinein 
in die Thore Jerusalems noch hinaus aus euren Häusern, und be- 
, sorgt keinerlei Geschäft an ihm". Er fügt hinzu, dass dies Gebot 
zwar schon den Vätern gegeben, bisher aber nicht gehalten sei; 
hergebracht scheint also nur die Enthaltung von der Feldarbeit 
und vielleicht von der professionellen Hantierung gewesen zu 
sein. Ebenso wie Jeremia verhalten sich in dieser Hinsicht seine 
exilischen Nachfolger, nicht bloss Ezechiel {20, 16. 22, 26), son- 
dern auch der grosse Unbekannte (Is. 56, 2. 58, 13), der sonst 
keine ausgesprochene Vorliebe ftir den Cultus zeigt. Während 
nach Hos. 2, 13 und sogar nach Thren. 2, 6 der Sabbath ausser- /^ 
halb des heiligen Landes, wie der übrige Gottesdienst, aufhören >i. 
muss, gewann er thatsächlich im Exil ausserordentlich an Be- S-3. 
dentung, indem er nicht bloss vom Ackerbau, sondern nament- 
lich auch vom Opfercultus sich ganz unabhängig und als heilige 
Kuhefeier völlig selbständig machte. Dergestalt wurde er neben 
der Beschaeidung das zusammenhaltende Symbol der jüdischen 
Diaspora, wie schon im Priestereodex beide Institute die allge- 
meinen religiösen Erkennungszeichen (niN Gen. 17, 11. 10 Exod. 
31, 13) sind, welche auch unter Umständen bestehen, wo ähnlieh 
wie im Exil die Bedingungen des mosaischen Cultus nicht vor- 
handen sind (Gen, 2, 3. 17, 12f.), Welche Mühe inzwischen noch 
die Constitutoren der Gemeinde des zweiten Tempels hatten, mit 
den neuen strengen Anforderungen durchzudringen, erhellt aus 
Neh. 13, 15ff. Aber es gelang sehliesslieh. Die Sabbathfeier 
des Judentums hat sieh nuf Grund der pviesterlichen Gesetz- 
gebung eonsequent weiter entwickelt, immer mehr dem Ideal 
der absoluten Kühe sich nähernd, so dass filr die strengste Rich- 
tung der Pharisäer die Vorbereitung auf den heiligen Tag die 

feierte am siebenten Tage von der Arbeit. Handgreiflich ist der letztere 
Sati eine authentische Interpretation, aus sehr deutlichem Motive nath- 
getragea. 



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Die Feste. 121 

ganze Woche in Anspruch nahm und also womöglich das halbe 
MeuscheulebeD um seinetwegen da war. „Vom Sonntag an denk 
an den Sabbath", sagt Sdiammai. Hervorgehoben zu werden ver- 
dient die Unterscheidung zwischen Jörn tob und Schabbath, die 
mit der pnrilanisehen zwischen Fest- und Sonntag zu vergleichen 
ist, und die Discussion über das Breeben des Sabbaths dureb 
den Gottesdienst; zwei Einzelheiten, welche die durch den Prie- 
Btereodex angezeigte Richtung erkennen lassen, in der sieh die 
spätere Sitte vom Ursprünglichen entfernt. 

2. Mit dem Sabbath steht das Sabbathjabr in Verbindung. 
Im Bundesbuche wird gefordert, einen Hebräer, den man zum 
Knechte kauft, nach sechs Jahren des Dienstes im siebenten frei 
zu geben, wenn er anders nicht selber zu bleiben wünscht (Exod. 
21,2 — 6), Ebendaselbst wird an einer anderen Stelle geboten, 
sechs Jahre das Land und die Obstgärten zu bestellen und die 
Ernte einzuheimsen, aber im siebeuten dieselbe preiszugehen 
(BOtf), damit die Armen sie essen und, was sie übrig lassen, die 
Tiere des Feldes (23, 10. 11). Von einem Sabbathjalir ist hier 
keine Rede. Die Freigebung des hebräischen Knechts erfolgt 
sechs Jahr nach dem Kauf, also an einem relativen Termin. 
Ebenso ist in der anderen Verordnung ein absolutes siebentes Jahr 
durch nichts indiciert; auch handelt es sich nicht um einen Sab- 
bath, d. h. eine Brache, für das Land, sondern um eine Preis- 
gabe der Ernte. 

Das erste Gebot wird im Deuteronomium wiederholt, ohne 
sachliche Abweichungen, teilweise wörtlich (15, 12 — 18). Das 
andere hat wenigstens ein Analogen in Deut. 15, 1 — 6: „am Ende 
von sieben Jahren sollst du eine Preisgabe (riBOIi') machen und 
folgende Bewandtnis hat es mit der Preisgabe: kein Gläubiger 
soll wegen einer Forderung seinen Bruder drängen, denn man 
hat eine Preisgabe ausgerufen dem Jabve; den Fremden magst 
du drängen, aber was dir dein Bruder schuldet, sollst du preis- 
geben". Dass diese Verordnung mit Exod. 23, 10. 11 zu ver-' 
gleichen ist, beweist der Name niDDB', aber derselbe bekommt 
eine andere Bedeutung, die oftenbar als neu eingeführt wird. 
Es bandelt sieh hier nicht um Grund und Boden, sondern um 
Geld, und preisgegeben werden soll nicht bloss, wie die Ernte 
des Feldes, so die Zinsen der Forderung, sondern das Capital 
selbst — der letzte Satz lässt kein anderes Verständnis zu, so 



H='" = '»Q9Ä'e 



122 Gesehichip iles rultii?, Kap. .S. 

zweekwidtig die Miesieffel ist. Ein Sebritt auf das Sabbathe- 
jahr zu ist dum zu eikenneu, das» der Termin des siebeuteu 
Jahres mclit ein fdi die einzelnen Schuldverhältniese, je nach 
dem Datum ihiei Contiaction, verBchiedeiier ist — daun könnte 
ee sich emfaeh um Veijahiung handeln — , sondern ein für alle 
gleicher und gemeinsamer den man öffentlich ansagt; ein abso- 
luter also kein ieliti\ei Jedoch umfasst er nicht dae ganze 
siebente Jabr, tritt nicht am Ende von sechs Jahren ein wie im 
Exodus, sondera am Ende von sieben: die Preisgabe der Ernte 
nimmt eben das ganze Jahr in Anspruch, der Schuldenerlass 
vergleichsweise nur einen Moment. 

Das Sabbathjahr ist dem Priestercodex eigentümlich, oder 
genauer der von ihm recipierten und überarbeiteten Gesetzsamm- 
lung, welche in Lev. 17 — 26 zu Grunde liegt. Es heisst in 
Lev. 25, 1 — 7 : „wenn ihr in das Land kommt, welches ich euch 
geben werde, so soll das Land dem Jahve einen Sabbath feiern; 
sechs Jahre sollst du dein Feld säen und deinen Weinberg be- 
stellen und die Ernte einheimsen, und im siebenten Jahre soll 
das Land einen Ruhesabbath feiern dem Jahve, dein Feld sollst 
du nicht säen und deinen Weinberg nicht bestellen, das freige- 
wachsene Korn sollst dn nicht mähen und die Trauben der nicht 
geputzten Reben nicht schneiden, ein Ruhejahr soll das Land 
haben, und der Sabbath des Landes soll euch zur Nahrung sein, 
dir und deinem Knechte und deiner Magd und deinen Heuerleuten 
vmd deinem Vieh und dem Wilde soll all sein Ertrag zur Nah- 
rung sein". Die Ausdrücke lassen keinen Zweifel darüber, dass 
Exod. 23, 10. 11 die Grundlage dieser Verordnung ist, aber es 
ist etwas Anderes daraus gemacht. Das dort relative siebente 
Jahr ist hier ein festes geworden, nicht verschieden für die ver- 
schiedenen Acker, sondern gemeinsam für das ganze Land, ein 
Sabbathjahr nach der Ähnlichkeit des Sabbathtages. Dies kommt 
einer gewaltigen Erschwerung der Sache gleich, denn es ist ein 
anderes Ding, ob sieb der Verzicht auf die Ernte über sieben 
Jahre verteilt oder auf das je siebente zusammendrängt. Glei- 
cherweise zeigt sich die Steigerung der Anforderung darin, dass 
im siebenten Jahre nicht bloss einzuheimsen, sondern auch zu 
säen und zu bestellen verboten wird. In dem originalen Gebote 
ist das nicht der Fall, hier fällt nur die Ernte im siebenten 
Jahre nicht dem Eigentümer des Feldes zu, sondern ist publici 



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Die Festp. 123 

iuris — vielleicht ein Rest der GemeiuwirtKohait Diivcli ein 
blosses Misverständnis des Verbalsuffixes Exod. 23, 11, wie Hup- 
feld vermutet hat, ist aus dem Liegenlassen des Ertrags des 
Landes ein Liegenlassen des Landes selbst, eine allgemeiue 
Brache desselben gemacht Lev. 25, 4. Das Misverständnis ist 
aber nicht zuß.llig, sondern überaus chai'aktei'istisch. In Exod, 23 
ist die Einrichtung für die Menschen da, eine Beschränkung der 
Privateigentümer des Grundbesitzes zum Besten der Gesamtheit, 
d. h. faktisch der Besitzlosen, die im siebenten Jahr den Niess- 
brauch haben sollen; in Lev. 25 ist die Eintiehtung wegen des Lan- 
des da, damit es wenn nicht am siebenten Tage doch im siebenten 
Jahre ruhe, und wegen des Sabbaths, damit er seine Herrschaft 
auch über die Natur ausdehne. Natürlich setzt dies die extreme 
Sabbathfeier durch absolute Buhe voraus und ist nur a5s Aus- 
wuchs davon zu begreifen. Übrigens ist eine allgemeine Brache 
nur unter Verhältnissen möglieh, die schon von der eigenen land- 
wirtschaftlichen Produetion ziemlich unabhängig sind: vor dem Exil 
hätte schwerlieh auch nur der Gedanke daran kommen können. 
Zu dem Sabbathjahre kommt nun im Priestercodex als Er- 
gänzung noch das Jobeljahr hinzu (Lev. 25, 8ft'.). Wie jenes dem 
siebenten, so ist dieses dem fünfzigsten, d. i. dem Ffingsttag 
nachgebildet, wie schon aus dem Parallelismus von Lev. 25, 8 
mit Lev. 23, 15 zu erkennen ist. Wie der 50. Tag nach den 
sieben Sabbathtagen als Schlussfeier der 49tägigen Periode ge- 
feiert wird, so das 50. Jahr nach den sieben Sabhathjahren als 
Schinssstein der 49jährigen; die sieben in die Ernte fallenden 
Sabbathe, die besonders gezählt zu werden pflegen (Lue. 6, 1), 
haben eben dadurch, dass sie die Erntearbeit unterbrechen, eine 
besondere Ähnlichkeit mit den Jahrsabbathen, die den Äckerbau 
überhaupt unterbrechen. Jobel ist also eine künstliche Einrich- 
tung, aufgebaut auf den Brachjahren als Erntesabbathe», nach 
der Analogie des Pfingstfestes. Seine beiden Funktionen scheinen 
ursprünglich auch dem Sabbathjahr angehört zu haben und aus 
den beiden entsprechenden Bestimmungen des Deuteronomiums 
über das siebente Jahr abgeleitet zu sein, so dass also Exod. 23 
die Basis von Lev. 25, 1 — 7 und Deut. 15 die von 25, 8tf, wäre. Die 
Freilassung des hebräischen Sklaven sollte zuerst im siebenten 
Jahre des Kaufes, sodann vermutlich im siebenten Jahre schlecht- 
hin geschehen : von da ist sie aus praktischen Gründen auf das 



Hcstro .GOQgIC 



124 Geschichte des Ciütus, Kap. -S. 

fiinfzigste verlegt worden. Analog ist auch wohl das andere 
Element des Jobet, der Rückfall des verpfändeten Grundbesitzes 
an den Erbeigentilmer , erwachsen aue dem Schnldenerlass, der 
Deut. 15 fiir das Ende des siebenteu Jahres gefordert wird ; denn 
beides hängt sachlich eng mit einander zusammen, wie Lev. 
25, 23 ff. zeigt. 

Was die Bezeugung aller dieser Einrichtungen betrifft, so 
werden die des Bundesbuchs gleichmässig vom Deuteronomium 
und vom Priestereodex vorausgesetzt. Auf die Anregung des 
Deuteronomiums seheint es zurückzugehen, dass gegen Ende der 
Regierung Sedekia's Ernst gemacht wurde mit der Freilassung 
der hebräischen Sklaven; die Ausdrücke Jer. 34, 14 weisen auf 
Deut. 15, 12 und nicht auf Exod. 21, 2. Da sie bisher nicht 
praktisch geworden war, ward in diesem Falle die Massregel 
von Allen zu gleicher Frist durchgeführt; in der That musste 
dies immer geschehen, wenn sie als ausserordentliche Neuerung 
in die Welt trat: vielleicht hängt es damit zusammen, dass aus 
einem relativen ein fixes siebentes Jahr ward. Das Sabbathjahr 
ist nach der eigenen Aussage des Gesetzgebers in der ganzen 
vorexilischen Zeit nicht gehalten worden. Denn nach Lev. 26, 
34f. soll die Desolation des Landes während der Dauer des 
Exils eine nachträgliche Erstattung der früher nicht eingehaltenen 
Brachjahre sein: „dann wird das Land seine Sabbathe bezahlen 
alle Tage der Verödung, wenn ihr im Lande eurer Feinde seid, 
dann wird das Land feiera und seine Sabbathe bezahlen; alle 
Tage der Verödung wird es nachfeiern, was es früher nicht ge- 
feiert hat, solange ihr darin wohntet". Der Vers wird 2. Chr. 
36, 22 als ein Wort Jeremia's citiert rmd das ist ein richtiger und 
unbefangener Eindruck seines exilisehen Ursprungs. Da nun aber 
der Verfasser von Lev. 26 auch der von Lev. 25, 1 — 7 ist, d. h. 
der Gesetzgeber des Sabbathjahres , so folgt daraus die Jugend 
dieser Einrichtung. Das Jobeljahr, auf alle Fälle vom Sabbath- 
jahr abgeleitet, ist noch jünger als dieses. Jeremia (34, 14) ahnt 
nichts davon, dass die Freilassung der Knechte nach dem „Ge- 
setz" im 50. Jahre erfolgen soll. Den Namen "ini, welchen 
Lev. 25, 10 das Jobel trägt, gebraucht er vom siebenten Jahre, 
und das ist auch für Ezeeh. 46, 17 entscheidend; das Grundstück, 
welches der König einem seiner Diener schenkt, bleibt nur bis 
zum siebenten Jahre in dessen Besitz. 



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Viertes Kapitel. 
Die Priester und Leviten. 

I. 

1. Das Problem, um das es sich liier handelt, ereelieiut 
mit besonderer Schärfe in einem prägnanten Beispiele, das wohl 
au die Spitze gestellt zu werden verdient. Das mosaische Ge- 
setz, d. h. der Priestercodex, scheidet bekanntlich zwischen den 
zwölf weltliehen Stämmen und Levi, andererseits innerhalb des 
geistlichen Stammes selber zwischen den Söhnen Aharona und 
den aebleehthin so genannten Leviten. Der erstere Unterschied 
wird anschaulich in der Lagerordnung Nura, 2, in der Levi einen 
sehützenden Ring um das Heiligtum bildet, gegen die unmittel- - 
bare Bertthmng der Übrigen Stämme; im ganzen gilt er jedoch 
als selbstverständlich und wird niebt besonders hervorgehoben 
(Num. 18, 22). Der andere wird mit ungleich grösserem Nach- 
druck eingesehäi-ft. Bloss Aharon und seine Sohne sind Priester, 
zum Opferdienst uud zum Räuchern befähigt, die Leviten sind 
Hieroduleu (3. Esdr. 1, 3) , die zur Besorgung der niederen 
Dienste an die Aharoniden geschenkt worden (Num. 3, 9). Zwar 
sind sie deren Stammgenossen, aber nicht wegen seiner Zuge- 
hörigkeit zu Levi ist Aharon erwählt uud sein Priestertum nicht 
etwa die Spitze und Blute des allgemeinen Berufs seines Stam- 
mes. Er war vielmehr Priester, lange bevor die Leviten ge- 
heiligt wurden; während der Cultus längst eingerichtet und im 
Gange ist, sind die letzteren noch geraume Zeit nicht vorhan- 
den; im ganzen dritten Buche nicht, das seinem Namen Levi- 
ticus insofern keine Ehre maebt. Genau genommen gehören 
sogar die Leviten gar nicht zum Klerus, sie werden nicht von 
Jahve berufen, sondern von den Kindern Israel an das Heiligtum 
gewidmet; an Stelle der Erstgeborenen, aber nicht als Priester 
— weder Num. 3. 4. 8 noch sonst im Alten Testament kommt 
von einem Priestertum der Erstgeborenen eine Spur vor ■ — 
sondern als Abgabe an die Priester, als welche sie sogar die 
übliche Schwingung vor dem Altar, d. h, das scheinbare Werfen 



»Qo^'e 



12fi rxesKliichte des Cultus, Kap. 4. 

in die OpferHamme ilurchzuniachen haben (Num. 8). Die Ver- 
wandtschaft zwisehen Äharon und Levi und dass gerade dieser 
Stamm als Lösung der Erstgeborenen dem Heiligtum abgetreten 
wird, erscheint somit fast als zufällig, erklärt sich aber jeden- 
falls nicht daraus, dass Aharon auf den Schultern Levi's in die 
Höhe gestiegen, sondeni dass Levi au Aharon heraufgerankt 
ist, dessen Priestertum durchaus als das Prius gilt. Von Gleicli- 
artigkeit zwischen beiden ist nicht die Rede, das Amt und auch 
das Blut scheidet sie mehr, als dass es sie verbindet. 

Nun hat sieh der Prophet Ezeehiel in dem Plan des neuen 
JeiTisalem, welchen er im Jahr 573 entwarf, auch mit der Neu- 
gestaltung der Verhältnisse des Tempelpevsonals beschäftigt und 
er sagt in dieser Beziehung 44, 6 — 16: „So spricht der Herr 
Jahve, Lasst es genug sein all eurer Greuel, Haus Israel! — 
dass ihr Ausländer, unbeschnittenen Herzens und unbeechnittenen 
Fleisches, habt eingehen lassen zu sein in meinem Heiligtum, 
. es zu entweihen, wenn ihr mein lirot, das Fett und Blut, dar- 
brachtet, und habt meinen Bund gebrochen^) durch all eure 
Greuel und meinen heiligen Dienst nicht gewahrt, indem ihr 
jene') zu Besorgern meines Dienstes in meinem Heiligtum ge- 
macht habt. Darum') spricht der Herr Jahve also: kein Aus- 
länder, un beschnitte neu Herzens und unbeschniftenen Fleisches, 
soll in mein Heiligtum hineinkommen, keiner von allen, welche 
unter den Kindern Israel leben; sondern die Leviten, welche 
sich entfernt haben von mir, da Israel von mir abirrte hinter 
seineu Götzen ber, die sollen ihre Schuld hassen, und sollen in 
meinem Heiligtum Dienstlanger sein, Wachen au den Thoren 
des Hauses und Diener des Hauses, sie sollen das Brandopfer 
schlachten und das Dankopfer den Leuten und vor ihnen stehen 
sie zu bedienen. Weil sie ihnen gedient haben vor ihren 
Götzen und dem Hause Israel ein Anstoss zur Sünde geworden 
sind, darum erhebe ich meine Hand gegen sie, spricht der Herr 
Jahve, dass sie ihre Schuld büssen sollen; sie sollen sieh mir 
nicht nahen, mir zu priestern und all meinem Heiligen zu 
nahen, sondern ihre Schande und Greuel bliesen, die sie verübt 
haben; und ich will sie zu Besorgern des Hausdienstes machen, 
aller Arbeit daran und alles dessen, was darin zu geschehen 

■) Für nsii V. 7 1. nsm. füi- noirm «■ « oioirm. ^«r Q^h *. s p^, 

alles mich der Septuagiuta. ' . 



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Die Priester «iid Leviten. 127 

hat. Aber die Priestei', die Leviten Söhne Sadoks, welche den 
Dienst meines Heiligtums gewahrt haben iu der Zeit da die 
Kinder Israel von mir abirrten, die sollen zu mir nahen mich 
zu bedienen und sollen vor mir stehen, mir Fett und Blut dar- 
zubringen, spricht der Herr Jahve; sie sollen eingehen in mein 
Heiligtum und treten an meinen Tisch, mich zu bedienen, und 
sollen meinen Dienst bewahren," 

Hieraus ist zweierlei zu lernen, Einmal, dass die systema- 
tische Absjievrung des Heiligen vor profaner Berilhrung nicht 
von jehev bestand, dass mau im salomonischen Tempel sogar 
Heiden (Zach. 14, 21), wahrscheinlich Kriegsgefangene, zu den 
Hierodulendiensten verwendete, welche nach dem Gesetz die 
I^eviten hütten verrichten müssen uud später auch ivirklich ver- 
richteten. Freilieh hält Ezeehiel diese Sitte fUr einen abscheu- 
liehen Misbrauch, man könnte sie also fdr einen Ungehorsam 
ausgeben, den die jerusalemisehen Priester gegen ihre eigenen 
Forderungen sich zu Schulden kommen Hessen, und würde es 
dadurch vermeiden, sie der Unhekanntscliaft mit ihrem Gesetz 
zu zeihen. Dahingegen sehliesst eine zweite Thatsache, die aus 
unserer Stelle erhellt, das Vorhandensein des Priestercodex flir 
Fzechiel und seine Zeit zweifellos aus. An die Stelle der heid- 
nischen Tempelsklaven sollen künftig die Leviten treten. Bisher 
besassen diese das Priestertum, und zwar nicht zufolge eigen- 
mächtiger Aumassung, sondern vermöge ihres guten Rechtes. 
Denn es ist keine blosse Zurückweisung in die Sehrauken ihres 
Standes, wenn sie nicht mehr Priester, sondern Tempeldiener 
sein sollen, keine Herstelluug eines Status quo ante, dessen Be- 
fugnisse sie ungesetzlicher Weise ttbersch ritten haben, sondern 
ausgesprochener Massen eine Degradation, eine Entziehung ihres 
Rechtes, welche als eine Strafe ersclieint und als verdiente ge- 
rechtfertigt werden muss: sie sollen ihre Schuld hilsseu. 
Sie haben ihr Priestertum dadurch verwirkt, dass sie es mis- 
braucht haben, um dem Cultus der Höhen vorzustehen, der dem 
Propheten als Götzendienst gilt und ihm iu tiefster Seele ver- 
basst ist. Natürlich sind diejenigen Leviten von der Strafe aus- 
genommen, welche an der legalen Stelle amtiert haben; das sind 
die Leviton die Söhne Sadok zu Jerusalem, welche nun 
einzig Priester bleiben und über ihre bisherigen Standesgenossen, 
mit denen sie Ezecbiel noch unter dem selben Gemeinnameu 



äfiÄfö''^ 



128 Geschichte des Ciiltns, Kap. 4. 

zueammenfaset, emporrliekeu, indem diese zu ihren Handlangei'ii 
und Hierodulen erniedrigt werden. 

Es ist eine wunderliche Gerechtigkeit, dass die Priester der 
abgeschafften Bamoth dafür besti'aft werden , dass sie Priester 
der abgeschafften Bamoth gewesen sind, und' umgekehrt die 
Priester des jerusalemischen Tempels dafdr belohnt, dass sie 
Priester des Tempels gewesen sind: die Schuld jener und das 
Verdienst dieser besteht in ihrer Existenz. Mit anderen Worten" 
hängt Ezeehiel bloss der Logik der Thatsaehen einen morali- 
schen Mantel um. Aus der Abschaffung der volkstümlichen 
Heiligtümer in der Provinz zu Gunsten dos königlichen von 
Jerusalem folgte mit Notwendigkeit die Absetzung der provin- 
cialen Priesterschaften zu Gunsten der Söhne Sadok am Tempel 
Salomo's. Zwar will der Urheber der Centralisierung, der deu- 
teronomische Gesetzgeber, dieser Consequenz vorbeugen, indem 
er auch den auswärtigen Leviten das Recht gibt in Jerusalem 
zu opfern so, gut wie ihre dort erbgesessenen Brüder; aber es 
war nicht möglich in dieser Weise das Schicksal der Priester 
von dem ihrer Altäre zu trennen. Die Söhne Sadok Hessen es 
sich wohl gefallen, dass in ihrem Tempel alle Opfer sich ver- 
einigten, aber dass sie ihr Erbe nun mit der Priestersebaft der 
Höhen theilen sollten, leuchtete ihnen nicht ein und es ward nicht 
durchgesetzt (2, Reg. 23,9). Für diese Abweichung vom Gesetz 
findet Ezeehiel, jerusalemisches Vollblut wie er ist, einen mora- 
lischen Ausdruck, der indes die Thataache nicht motiviert, son- 
dern nur umsehreibt. 

Von der Grundlage des Deuteronomiums aus ist es leicht 
möglich, die Verordnung Ezechiels zu veretehen, von der Grund- 
lage des Priestercodex aus ist es ganz und gar unmöglich. Was 
er als das ursprüngliche Recht der Leviten betrachtet, den 
Priesterdienst zu verriebten, betrachtet dieser als eine bodenlose 
und höchst bösartige Anmassung, die einmal in der Urzeit der 
Rotte Korah den Untergang brachte; was jener als nachträgliche 
Entziehung ihres Rechtes, als Degradierung zur Strafe einer 
Schuld ansieht, sieht dieser als ihre erbliche Naturbestimmung 
an. Der Unterschied zwischen Priester und Levit, den Ezeehiel 
als eine Neuerung einfuhrt und rechtfertigt, besteht nach dem 
Priestercodex seit ewigen Zeiten, was dort als Anfang erseheint, 
. ist hier seit Mose immer so gewesen, ein Gegebenes, nichts Ge- 



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Die Priester und Leviten. 129 

j oder Gewordenes '). Daes uun der Prophet vom priester- 
liehen Gesetz, mit dessen Tendenzen er von Herzen llbereia- 
Btimmt, nichts weiss, kann nur daher kommen, daes es nicht 
vorhanden war. Seine eigenen Verordnungen sind nur als Vor- 
stufe desselben zu verstellen. 

2. Nöldeke jedoch deutet den Vergleich der Söhne Aha- 
rons mit den Söhnen Sadoks zu Gunsten der Priorität des 
Priestereodex , der doch noch nicht ganz so exciusiv sei wie 
Ezeehiel"). Nun ist dies zunächst ein untergeordnetes Moment, 
die Hauptsache ist, dass Ezechiel den Unterschied zwischen 
Pi-iestern und Leviten erst selber machen muss, der im Priester- 
eodex ein längst gegebener ist. Dem gegenüber, dass jener 
die Sondernng neu einführt, die dieser voraussetzt, ist 
der Grad derselben hier und dort vollkommen gleioh- 
giltig. Ferner aber kann man mit dem selben Rechte wie die 
Söhne Aharone im Vergleich zu den Söhnen Sadoks, so auch 
die Stiftshütte im Vergleich zum jerusalemischen Tempel für 
einen Beweis höheren Alters ausgeben. Jene nämlich sind die 
Priester der Stiftshütte, diese die des Tempels; wie aber faktisch 
kein anderer Unterschied zwischen dem mosaischen und dem 
wirkliehen Centralbeiiigtum besteht, als der zwischen Körper 
und Schatten, so auch kein anderer zwischen der mosaischen 
und der wirklichen Centraipriestersehaft. Nur darum ist im 
Priestereodex der altersgraue Name an die Stelle des gesebieht- 
liehen gesetzt, um den Scbein der mosaischen Zeit aufrecht zu 
erhalten: soll diese Verschleierung ein Zeichen seines früheren 
Ursprungs sein, so ist es wohl auch ähnlich zu beurteilen, dass 
in ihm Herkunft und Wesen der Leviten gänzlich unklar ist, 
während man es bei Ezeeliiel mit Händen greift, dass sie die 
ausser Dienst gestellten Priester der abgeschafften Bamoth sind, 
die notgedrungen sieh unter die vornehmen Standesgenossen zu 
Jerusalem haben unterordnen müssen. In Wahrheit ist es 

') „Wenn ilie Leviten kraft ihrer Geburt iuiin<Jglicli Priester wej'den konn- 
teii, so würde es mehr als sonderbar sein, ihnen das Priestertum zu ent- 
ziehen auf Grund ihrer Übertretungen — ebenso sonderbar als wena je- 
mand Bürgern als Strafe andi^bt, sie sauten künftig in einer Versamm- 
lung von Edelleuten nicht mebi' Sitz und Stimme haben." Kuenen, Theol. 
TijÄchr. m 463. 

») Jahrbh. für Prot. Th, 1875 S. 351: „Dass er die Aaroniden aUein als 
wahre Priester betrachtet, hat sein Gegenbild im Eiechiel, welcher noch 
viel esclnaiver bloss die Söhne Sadok's als Priester anerkennt." 



iSiiÄ^'e 



130 Geschielite des Cultua, Kap. 4. 

gerade uingekebit ein Beweis der naeliexilischen Abfassung des 
P r i e Stereo d ex, dass er die Priester des Centralheiligtums — das 
sind auch nach dem traditionellen Verständnis {2. Clir. 13, 10), 
direct oder indirect, die jerusalemischeu — zu Söhnen Aharons 
macht. Er führt dadurch ihren Ursprung hinauf bis zur Stif- 
tung der Theokratie und lässt sie als die legitimen seit je er- 
scheinen. Diese Meinung nun konnte vor dem Exil nicht ge- 
wagt werden. Denn damals war es zu wohl bekannt, dass das 
Priestertum des jerusalemischen Geschlechts sich nicht über die 
Zeit Davids verfolgen liess, sondern erst von Sadok datierte, 
der unter Salomo die erbberechtigte Familie Eli aus der Stel- 
lung verdrängte, welche dieselbe schon seit lange, eret zu Silo 
und zü Nob, und dann zu Jerusalem an dem jeweils hervor- 
ragendsten Heiligtume Israels eingenommen hatte. 

In einer deuteronomiseh gefärbten Stelle, die nicht lauge 
vor dem Exil gesehrieben sein kann, heisst es in einer Weis- 
sagung an Eli über den Sturz seines Hauses durch Sadok: „leb 
habe zwar gesagt, spricht Jahve der Gott Israels, dein und 
deines Vaters Haus sollen vor mir wandeln in Ewigkeit, aber 
jetzt sage ich: das sei ferne von mir, denn die mich ehren, die 
ehre ich, und meine Verächter werden zu schänden — siehe es 
kommen Tage, da zerschmettere ich deinen und deines Ge- 
schlechtes Arm, und erwecke mir einen verlässigeu Priester, der 
nach meinem Herzen handelt, und baue ihm ein verlässiges Haus, 
dass er vor meinem Könige wandeln soll immerdar" (1. Sam. 2, 
27 — 36). Also ist Eti's Haus und Vatershaus das in Ägypten er- 
wählte rechtmässige Priestergeschlecht; gegen das Erbrecht und 
gegen die Verheissung ewigen Bestandes wird es abgesetzt, weil 
die Gerechtigkeit vorgeht. Der an die Stelle tretende verlässige 
Priester ist Sadok, nicht bloss weil es 1, Reg. 2, 27 ausdrück- 
lich gesagt wird, sondern auch weil kein anderer als er das 
verlässige Haus gehabt hat und als Ahn und Inhaber des- 
selben vor den jüdischen Königen gewandelt ist alle Zeit. Dieser 
Sadok also gehört weder dem Hause noch dem Vatershause Eli's 
an, sein Priestertum reicht nicht bis in die Stiftungszeit der Theo- 
kratie und ist kein im eigentlichen Sinne legitimes; er hat es 
vielmehr erlangt durch den Bruch des gewissermassen ver- 
fassungspiässigen Privilegs, für das kein weiterer Erbe existierte 
als Eli's Familie und Geschlecht. Man sieht, er gilt nicht als 



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Die Priester unil Leviten. lg] 

Mittelglied der Linie Äharons, sondern als der Anfänger einer 
absolut neuen Linie; die jerusalemischen Priester, deren AlinheiT 
er ist, sind Emporkömmlinge aus dem Anfange der königlieben 
Zeit, mit denen das alte mosaische Saeerdotium nicht fortgesetzt 
wird, sondern abbricht. Wenn dieselben nun im Priestercodex 
Söhne Ah arons lieissen, mindestens unter den Söhnen Aharons 
mit einbegriffen sind, denen sie in Wahrheit nur entgegengesetzt 
werden können, so ist das ein sicheres Merkmal, dass die Fäden 
der Tradition aus der vorexilisehen Zeit hier Tollkommen ab- 
gerissen sind, was in Ezechiels Tagen noch nicht der Fall war '). 
Das hierait dargestellte Verhältnis der priesterlichen Gesetz- 
gebung zu Ezeehiel gibt nun Ziel und Richtung für die folgende 
Darstellung an, in welcher der Versuch gemacht wird, die ein- 
zelne Erscheinung in ihren allgemeinen Zusammenhang ku stellen. 

n. 

1. Die Absonderung eines ganzen geistlichen Stammes aus 
dem flbi-igen Volk und der schroffe Rangunterschied innerhalb 
der Klassen desselben setzen einen sehr systematischen Gegen- 
satz von Heilig und Profan und einen gewaltigen Apparat des 
Cultiis voraus. In der That sind, nach der Darstellung des Prie- 
stercodex, die Israeliten von Anfang an als Hierokratie organisiert 
gewesen, mit dem Klerus als Skelett, dem Hohenpriester als 
Haupt und der Stiftshütte als Herz. Aber so plötzlich wie diese 
Hierokratie ausgebildet vom Himmel in die Wilste berabgefahren 
ist, so plötzlich ist sie im Lande Kanaan spurlos wieder rer- 
sebwunden. Wie weggeblasen sind, in der Zeit der Richter, 
Priester und Leviten mitsamt der „Gemeinde der Kinder Israel", 
welche sich um jene schart; kaum ein Volk Israel gibt's, nur 
einzelne Stämme, die sieh nicht einmal zu den dringendsten Not- 
sachen vereinigen, geschweige denn auf gemeinsame Kosten ein 
nach Tausenden zählendes Cultuspersonal mit Weib und Kind 
unterhalten. Statt der Kirch engesehichte des Hexateuehs setzt 
mit einem mal im Buch der Richter die Weltgeschichte ein, der 



') In der Chronik wird, uro des Pentateiiches willen, durcli künstliciie Gene- 
alogien nachgewiesen, wie sich die Sehne Sadoks in ununterbrocbener 
Feige von Aharou und Eieaiar ableiten. Vgl. meine Pharis. und Sadd. 
S, 48f. Die Sache ist zuerst entdeckt vwi Vatke S. 344f., sodann -von 
Kuenen, Theol. Tiidschr. III S. 463—509, zuletzt von mir, Teit der Bb. 
Sam. S. 48—51. 



a.Ca*Ie 



132 Geschichte des Ciiltiia, Kap. 4. 

geiBtliclie Charakter ist völlig abgestreift. Der Holiepriester, nach 
der Absicht des Priestereodex die centrale Obrigkeit von Gottes 
Gnaden, mag sehen wo er bleibt, denn die wirklich eingreifenden 
Volkshäupter sind die Richter, Leute von ganz anderem Schlage, 
nicht gestützt auf ein Amt, sondern auf ihre Person und das Be- 
dürfnis der Umstände, selten über die Grenzen ihres Stammes 
hinaus von Einfluss. Und offenbar sehen wir hier nicht die 
traurigen Reste einer einst unter Mose und Josua vorhandenen, 
dann aber total zerfallenen kirchlieh -politischen Ordnung, son- 
dern die ersten naturwüchsigen Anfänge staatlicher Autorität, 
die sich weiter und weiter entwickelnd schliesslich zum König- 
tum geführt haben. 

Im Kern des Richterbuches Jud. 3—16 kommt nirgends. 
eine Person vor, die den Cultus als Profession betreibt. Zwei- 
mal wird ein Opfer dargebracht, von Gideon und Manoah; ein 
Priester gilt dabei nicht Air nötig. In einer G-losse zu 1. Sam. 
6, 13f. macht sieh die Divergenz der späteren Sitte I nft Als 
die Lade JaUve's auf einem Kuhwagen aus ihrem philisthaischen 
Exil zurückkehrte, blieb sie in der Feidmark von Bethsemes bei 
dem grossen Steine stehen; die Bethsemesiten aber, die eben bei 
der Weizenernte waren, spalteten das Holz des Wagens und vei 
brannten die Kühe auf dem Stein, Nachdem sie nun feitig sind, i 
kommen t. 15 die Leviten im Plusquamperfeetum, und thun als j, 
ob nichts geschehen wäre, beben die Lade von dem gai nicht 
mehr vorhandenen Wagen und setzen sie auf den Stein, auf'* ' 
dem bereits das Opfer brennt: natürlich nur um das Gesetz zu et 
fllllen, dessen Anforderungen die ursprüngliche Erzählung ignorieit 
Ehe nicht der Cultus einigermassen centralisiert ist, haben die 
Priester keinen Boden. Denn wenn jeder für sieh und sein Haus 
opfert, an einem Altar, den er wo möglich für das augenblick- 
liche Bedürfnis improvisiert, wozu braucht's solcher Leute, deren 
Geschäft und Begriff es ist, für andere zu opfern? Wenn sie 
also in der frühesten Periode der israelitischen G'eschichte so 
wenig von sieh merken lassen , so hängt das damit zusammen, 
daes es noch wenige grosse Heiligtümer gibt. Sobald dagegen 
solche auftauchen, finden sich aueb die Priester ein. So Eli und 
seine Söhne bei dem alten Gotteshause des Stammes Ephraim 
zu Silo. Eli nimmt eine sehr angesehene Stellung ein, seine 
Söhne werden als übermüthige Menschen geschildert, die nieht 



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Di" Priester und Leviten. 133 

direct, sonderu durch einen Diener mit den Opfernden verkehren 
vuid ibven Pflichten gegen Jahve mit vornehmer Lässigkeit nach- 
kommen. Das Amt iet erblich, die Priesterschaft schon recht 
zahlreich. Wenigstens zur Zeit Saub, nachdem sie von Silo, 
wegen der Zerstörung des dortigen Tempels durch die Philister, 
nach Nob übergesiedelt war, zählte sie über fünfundachtzig Män- 
ner, die indessen nicht gerade lauter Blutsverwandte Eli's ge- 
wesen zu sein brauchen, wenn sie sich auch zu dessen Geschlechte 
rechneten 1. Sam. 22, 11'), Noch ein anderes Heiligtum wird 
gegen Ausgang der Kiehterperiode erwähnt, das zu Dan an den 
Quellen des Jordans. Ein reicher Ephraimit, Micha, hatte dem 
Jahve ein silberüberzogenes Bild gestiftet und dasselbe in einem 
ihm gehörigen G-otteehause aufgerichtet. Zunächst stellte er einen 
seiner Söhne dabei als Priester an, darauf den Jonathan ben 
Gerson ben Mose, einen heimatlosen Leviten von Bethlehem 
Juda, den er sieh glücklich schätzte gegen ein Jahrgeld von 
zehn Silberlingen nebst Kleidung und Unterhalt festzuhalten. 
Als jedoch die Daniten durch die Philister gedrängt aus ihren 
alten Sitzen aufbrachen, um sich im Norden an den Abhängen 
des Antilibanus eine neue Heimat au gründen, raubten sie unter- 
wegs das Gotteabild und den Priester Micha's; veranlasst durch 
ihre Kundschafter, welche vordem bei Micha geherbergt und 
dort ein Orakel eingeholt hatten. So kam Jonathan nach Dan 
und ward der Begrllnder des Geschlechtes, welches bei dieser 
späterhin so wichtigen Cultusstätte bis zur Fortführung der Da- 
niten in die assyrische Gefangenschaft das Priestertum inne hatte 
(Jud. 17. 18). Seine Stellung erseheint sehr verschieden von der 
des Eli. Nur darin herrscht Gleichheit, dass sie beide Erbpriester, 
s. g. Leviten sind und sieh vom Geschlechte Mose's ableiten: 
daröber wird unten des näheren zu reden sein. Während aber 
Eli ein vornehmer Mann ist, vielleicht der Besitzer des Heilig- 
tums, jedenfalls ganz unabhängig und das Haupt eines gi'ossen 
Hauses, ist Jonathan ein einsamer fahrendei' Levit, der bei dem 
Eigentümer eines Gotteshauses gegen Kost und Lohn in Dienst 
tritt, von diesem seinem Brotherrn zwar wie ein Sohn gehalten, 

') Freilieh ist 1. Sam. If. mir immer von Eli imd seinen iwei Söhnen iind 
von einem Knecht die Rede; und noch David imd Salomo scheinen an 
dem Hauptteiapel nur einen oder zwei Priester gehabt lu haben. Sollte 
Doeg 85 Männer alkine haben hinrichten liönnen? 



yGoQgle 



134 Geschichte dps Cnlüis, Ksp, 4. 

von den Daniten aber keineswegs mit sonderlieber Hoebaehtung 
behandelt wird. 

Der letztere Fall sfellt vermutlicb eher die Regel dar als 
der erste. Ein selbständiges und angesehenes Priestertnm koante 
fieb nur an grössereu und öffentlicben Cultusstätten ausbilden, 
die zu Silo scheint aber die einzige dieser Art gewesen zu sein. 
Die Übrigen Gotteshäuser, von denen wir aus der Übergangsperiode 
zur Königszeit boren, sind nicht bedeutend und befinden sieb im 
Privatbesitz, entsprechen also dem des Micha auf dem Gebirge 
Ephraim. Das zu Ophra gebort dem Gideon und das zu Kiriatb- 
jearim dem Abinadab. Namentlich seheint es, dass Micha, indem 
er für Geld einen Diener des Heiligtums anstellt, einer allge- 
meineren Sitte gefolgt ist. Denn der Ausdruck IT nbo^ welcher 
als technischer Terminus auch später f(ir die Ordination der 
Priester beibehalten worden ist als diese längst ganz unabhängig 
ausgestattet waren, kann ursprünglich in dieser Anwendung nichts 
anderes als ein Füllen der Hand mit Geld oder Gut bedeutet 
haben; das Priesferamt wird also in älterer Zeit ein bezahltes, 
vielleicht das einzige bezahlte gewesen sein. Wen er anstellen 
will, steht im Belieben des Eigentümers; hat er sonst niemand, 
so beauftragt er. einen seiner Söhne (Jud. 17, 5. 1, Sam, 7, 1): von 
einem cliaraeter indelebilis ist dabei natürlich nicht die Rede, 
wie man aus dem ersteren Beispiel ersehen kann, wo Micha's 
Sohn nach kurzer Frist vom Dienst zurücktritt. David, als er 
die Lade überführte, vertraute sie zunächst dem Hause Obed- 
edoms an und machte diesen seinen Hauptmann, einen Philister 
aus Gath, zu ihrem Wächter. Ein Berufspriester, ein Levit, ist 
nach Jud. 17, 13 für ein gewöhnliches Heiligtum eine grosse 
Seltenheit. Auch zu Silo, wo Übrigens die Verhältnisse ausser- 
ordentlich sind, ist das Privilegium der Söhne Eli's nicht exciusiv; 
Samuel, der nicht zur Familie gehörte, wird doch zum Priester 
angenommen. Der Dienst, wozu man einen ständigen Beamten 
nötig hatte, war nicht das Opfern; das geschah nicht so regel- 
mässig, dass man es nicht auch selber hätte besorgen können. 
Für einen einfachen Altar bedarf es keines Priestei-s, sondern 
nur für ein Haus, worin ein Gottesbild befindlieh ist^); dieses 

') D^nbn Pa Gotteshaus ist nie etwas anderes als das Haus eines Bil- 
des. Ephod ist ausserhalb des Priestercodex das Gottesbild, Ephod Bad 
das Priesterkleid. 



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Die Priester und Leviten. I35 

muBB bewacht und bedient werden (1. Sara, 7, 1) — ein Ephod 
wie dae Gideons oder Micba's (Jud, 8, 26f. 17, 4) war in der That 
sehr stehlenswert und die Gotteehäueer lagen gewöhnlich frei 
(Exod. 33, 7). Noch in späterer Zeit sind von daher die Ans- 
drlieke "IDB' und mty ftir den heiligen Dienst beibehalten worden, 
und während jedermann zu opfern versteht, ist die Kunst, mit 
dem Ephod umzugehen und ihm Orakel zu entlocken, von jeher 
nur das Geheimnis des Priesters. Ausnahmsweise ist bisweilen 
der Wärter nicht der Priester selber, sondern sein Lehrling, der 
die Anwartschaft hat. So hat Mose den Josua als seinen Aedituus ') 
neben sich (Exod, 33, 1 1), der nicht aus dem Zelte Jahve's weicht, 
Bo ferner Eli den Samuel, der Nachts im Inneren des Tempels 
bei der Bundeslade schläft; wenn auch die Jugendgesehichte 
Samuels den wirklichen Verhältnissen zu Silo vielleicht nicht 
ganz gerecht wird, so reicht sie doch jedenfalls zur Bezeugung 
anderweit vorhandener Sitte vollkommen aus. Man vergleiche 
mit diesen einfaeWn Zuständen, dass im Priestercodex den Söhnen 
Aharons etwa die Hälfte von 22000 Leviten als Wächter und 
Diener des Heiligtums zur Seite stehen. 

Schlachten und opfern darf jedermann (1. Sam. 14, 34f.), und 
auch da wo Priester vorhanden sind, ist von systematischer Ab- 
sonderung des Heiligen und von einer Scheu es zu berühren 
nichts zu spüren. Wenn David „in das Haus Gottes eingeht 
und die Schaubvote isst, welche nur die Priester essen dlirfen, 
und auch seinen Leuten davon gibt" (Marc. 2, 26), so gilt dies 
1. Sam. 21 in dem Falle gar nicht fUr unerlaubt, dass die Essen- 
den geheiligt sind, d. h. sieh Tags zuvor von Weibern enthalten 
haben. Verfolgte Flüchtlinge erfassen das Hörn des Altars, ohne 
dass dies als Profanierung desselben gilt. Ein Weib, wie die 
Hanna, tritt vor Jahve, d. h. vor den Altar, um zu beten; die 
von der Sept. gegebenen Worte '■'' "'izb 21i'nm (1. Sam. 1,9) sind 
ftlr den Zusammenhang notwendig und vom masorethi sehen Text 
als anstössig ausgelassen. Sie wird dabei von dem Priester 
beobachtet, der wie er pflegt gemütlich in der Tempeltür auf 
seinem Stuhle sitzt. Namentlich die Geschichte der Lade, wie 
Vatke mit Recht bemerkt S. 317. 332, bietet mehrfache Beläge 
dafür, dass der Begriff der Unnahbarkeit des Heiligen unbekannt 
war; ich will nur den auffallendsten hervorheben. Samuel der 
') ntfO mtS'C, genauer ]n3n .Itt'» ''JB n« " n« "D 1- Sam. 2, 11. 



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136 Geschichte (ies Cultus, Kflp. 4. 

Ephraimit schläft von Amts wegen jede Nacht bei- der Lade 
Jahve's, wohin Dach Lev, 16 nur eimnal im Jahr der Hohepriester 
eingehen darf und auch er nicht anders als nach der strengsten 
Vorbereitung und unter den ceremoniösesten Sühngebräuoheu. 
Der Widerspruch der Empfindungsweise ist so gross, dass 
ihn noch niemand sieh klar zu macheu gewagt bat. 

2. Mit der beginnenden Königszeit treten alsbald auch die 
Priester, im Anschluss an die Könige, stärker hervor; die Stei- 
gerung der Centralisation und der Öffentlichkeit des Lehens 
macht sieh auch auf dem Gebiete des Cultus bemerkiich. Im 
Anfange der Regierung Sanis finden wir die angesehene ephra- 
imitische Priestersehaft, das Haus Eli's, nicht mehr in Silo, son- 
dern zu Nob, in der Nähe des Königs, und gewissermassen im 
Bunde mit ihm; denn ihr Haupt, der Priester Ahia, ist gleich 
bei der ersten Sehilderhebung gegen die Philister in seiner 
nächsten Umgebung, teilt mit ihm die Gefahr und befragt für 
ihn das Ephod, Hinterher trübte sich das Einvernehmen, Ahia 
uijd seine Brüder fielen der Eifersucht des Königs zum Opfer 
und damit ward dem einzigen Ansatz eines selbständigen Priester- 
tums von Bedeutung, welcher sich in der alten israelitischen 
Geschichte findet, für immer ein Ende gemacht. Abiathar, der 
allein dem Blutbad von Nob (1. Sam. 22) entkam, floh mit dem 
Ephod zu David, er gelangte zum Dank dafür später zu hohen 
Ehren, aber alles was er geworden ist, ward er als Diener 
Davids. Unter David begann das königliche Priestertum sich 
zu der Bedeutung zu entwickeln, die es fortab behalten hat. 
Er verfügte mit voller Freiheit wie über das Heiligtum der Lade, 
welches in seiner Burg stand, so über die Einsetzung der Priester, 
welche lediglich seine Beauftragten waren. Neben Abiathar 
stellte er den Sadok (später noch den Ira) neu an, ausserdem 
auch einzelne seiner Söhne. Denn wenn es 2. Sam. 8, 18 heisst 
die Söhne Davids waren Priester, so dürfen diese Worte 
nicht dem Pentateuch zu liebe anders gedreht werden als wie 
sie lauten. Auch den Sohn des Propheten Nathan treffen wir 
1. Reg. 4, 5 als Priester, umgekehrt dagegen den des Sadok in 
einem hohen weltlichen Amte (v. 2); die spätere Grenze zwischen 
heiligen und nichtheiligen Personen existierte eben noch nicht. 
Was unter David der Institution des königlichen Cultus und der 
königliehen Priester noch fehlte, ein fester Mittelpunkt, kam 



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Die Priester iiiiH Leyiten. 137 

diu'cb den Tempelbau seines Nachfolgers binzn. Zu Anfang der 
Regierung Salomo's gab es noch keine, grosseren Bedürfnissen 
genügende, israelitische Opferstätte; er war gezwungen, seinen 
Antritt auf der grossen Bama zu Gibeon zu feiern, einer damals 
noch ganz kauaanitiseben wenn auch schon länger unterworfeuen 
Stadt in der Nähe Jerusalems. Jetzt sorgte er dafür, dass seine 
ungeheuren Feste auch in seinem eigenen Heiligtum gefeiert 
werden konnten. Er machte daran den Sadok zum Priester, 
nachdem er bereits früher den greisen Abiathar, der aus vor- 
nehmem und echtem Priesterblute entsprossen war, wegen seiner 
Parteinahme für den rechtmässigen Thronfolger abgesetzt und 
auf sein Landgut nach Änatbotb, einem Dorfe bei der Haupt- 
stadt, verbannt hatte, damit das 1. Sam. 2 angedrohte Geschick 
der einst so stolzen und mächtigen Familie Eli's eifüllend. Dem 
Geschlechte Sadoks werden sieh allmählich andere Priester an- 
geschlossen haben, die sich späterhin ebenso seine Söhne nannten, 
wie die Eeehabiten den Jonathan ben Eechab oder die Pro- 
pbetenkinder den oder jenen grossen Propheten als ihren Vater 



Wenn diese ersten Könige, ganz ebenso wie es in dem 
elassisehen Beispiel Jud. 17. 18 Micha thut, ihre Heiligtömer als 
ihr Privateigentum betrachten und in der Ein- und Absetzung 
der Beamten daran ganz umumschränkt verfahren, so scheuen 
sie sich natürlich auch nicht, selber die Rechte auszuüben, die 
von ihnen emanierten und auf andere übertragen wurden. Von 
Saul, der freilieh noch Alles selber und wenig durch Andere 
that, wird mehrfach gemeldet, dass er in eigener Person geopfert 
habe; und es ist deutlieh, dass ihm das in 1. Sam. 14 und 
Kap. 15 nicht zum Vorwurf gemacht wird. David opferte", als er 
die Lade glücklich nach Jerusalem heraufgeholt hatte; dass er 
dabei selbst fungierte, geht daraus hervor, dass er den linnenen 
Priestervock trug, das Ephod Bad, und dass er nach vollbrachtem 
Opfer den Segen sprach {2. Sam. 6, 14. 18). Nicht minder voll- 
zog Salomo selber die Einweihung des Tempels, er trat vor den 
Altar und betete dort auf den Knieen mit ausgestreckten Armen, 
dann erhub er sich und segnete das Volk (1. Reg. 8, 22. 54. 56), 
ohne Zweifel wird er auoh eigenhändig das erste Opfer darge- 
bracht haben. Nur zur Befragung des Orakels vor dem Ephod 
ist die Technik des Priesters nötig (1. Ham. 14, 18). 



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138 Geschichte des Ciiltiis, Kap, 4, 

3. Die Gesehiobte des Prieetei-tums nach der Teilung des 
Reichs ist die Fortsetzung dieser Anfange. Jerobeam I., der Be- 
grilnder des israelitischen Reicbs, gilt dem Geechicblssehreiber 
auch als der Begründer des israelitischen Cultuswesens, eofern 
dieses sich von dem judäischen Ideal unterschied ; „er machte 
die beiden goldenen Kälber und stellte sie auf zu Betbel uud 
zu Dan, er machte die Bamothhäuser und stellte Priester mitten 
aus dem Volke an, die nicht zu den Söhnen Levi's gehörten und 
feierte Fest im achten Monat und stieg auf den Altar um zu 
räuchern" (1. Reg. 12, 28fif. 13,-33). Hier wird zwar in der be- 
kannten Weise der frommen Pragmatik dem deuteronomiachen 
Gesetze, das erst dreihundert Jahre später in Geltung kam, rück- 
wirkende Kraft verliehen und also nach einem historisch unzu- 
lässigen Massstabe geurteilt; auch werden die dem Urteil zu 
Grunde liegenden Fakta einesteils zu sehr verallgemeinert, an- 
demteils zu ausschliesslich dem Jerobeam zur Last gelegt. Der 
erste König trägt die Cultue-Sünden aller seiner Nachfolger und 
des ganzen Volks. Aber die Anerkennung des souveränen Prie- 
stertums des Herrschers, des bestimmenden Einflusses, den er auf 
den Cultus ausgeübt hat, ist richtig. Die bedeutendsten Tempel 
waren königlich und königlieh auch die Priesterschaft daran 
(Arnos 7, lOff.). Als darum Jehu das Haus Ahabs stürzte, da er- 
würgte er nicht bloss alle seine Angehörigen, sondern mit seinen 
Beamten und Höflingen auch seine Priester; das sind ebenfalls 
königliche Diener und Vertrauenspersonen (2. Reg. 10, 11. vgl. 
1. Reg. 4, 5). Die Angabe, dass dieselben nach Belieben von dem 
Könige ausgewählt wurden, wird dahin zu verstehen sein, dass 
sie, wie in der Zeit Davids und Salomo's, so auch später beliebig 
ausgewählt werden konnten und durften; denn tbatsäehlich blieb 
wenigstens in Dan das heilige Amt seit der Richterzeit bis zur 
assyrischen Gefangenschaft in der Familie Jonathans erblich. 
Ausserdem hat man sieh gewiss nicht vorzustellen, dass sämmt- 
liohe Bamothhäuser und sämmtliehe Priesterstellen ') königlich 
gewesen seien; so tief konnte die Regierung unmöglich in diese 
Angelegenheiten eingreifen. Öffentlich waren in dieser Periode 

') Der Paralleliamus von ßamothhäusern und Priesteraustellung 1. Reg. 12, 31 
scheint nicht zufällig zu sein. Während eine Bama ein einfacher Altar 
aein kann, setzt ein ßamothhaus ein Gottesbild voraus und macht einen 
aedituus notirendig. 



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Die Priester iinrl Leviten, 139 

wohl die meisten Heiligtümer, aber darum noch nicht königlich, 
und so gab es ohne Zweifel auch zahlreiche Priester, die nicht 
königliehe Diener waren. Dem Übergewicht des officiellen Cultus 
und des officiellen Cultuspersonals stand gerade im Nordreieh 
der häufige Wechsel der Dynastien und der ungebundene Parti- 
eulariBmus der Stämme gegenüber; die Verhältnisse werden sieh 
sehr bunt und individuell gestaltet, erbliche und nichterbliche, 
unabhängig ausgestattete und arme Priester neben einander be- 
standen haben; die Verschiedenartigkeit und das gleiche Kecht 
der Verschiedenartigen ist die Signatur der Zeit. 

Im allgemeinen aber hat sich die Priestersehaft gegen 
früher entschieden consoüdiert und wie an Zahl so auch an 
Einfluss nicht wenig zugenommen; sie ist eine wichtige Macht 
im öfTentlichen Leben geworden, ohne welche sich das Volk 
nicht mehr denken lässt. Auf Grund der kurzen und unzu- 
länglichen Notizen des Königsbuchs, welches vorzugsweise das 
ausserordentiiche Eingreifen der Propheten in den Gang der 
ismeliti sehen Geschichte hervorhebt, wäre es vielleicht etwas 
ktthtt dies zu behaupten, aber andere und authentischere Zeug- 
nisse berechtigen dazu. Zuerst der Segen Mosis, ein unabhängig 
für sich stehendes, nordisraelitisches Dokument. Darin wird ge- 
sagt: ,, Deine ürim und Thummim gehören dem Manne deiner 
Freundschaft, den du erjirobt hast zu Massa, für ihn gestritten 
an den Wassern von Meriba; der spricht von Vater und Mutter: 
ich habe sie nie gesehen, und seine Brüder nicht kennt und um 
seine Kinder sich nicht kümmert — denn sie bewahren dein 
Wort und dein Gesetz behüten sie, sie lehren Jakob deine 
Rechte und Israel deine Weisungen, sie bringen Fettduft in deine 
Nase und Vollopfer auf deinen Altar; segne, Jahve, seinen 
Wohlstand und lass dir seiner Hände Werk gefallen, zer- 
schmettre seinen Gegnern die Lenden und seinen Hassern dass 
sie sich nicht erheben" (Deut. 33, 8—11), Die Priester erscheinen 
hier als ein festgeschlossener Stand, so sehr, dass sie nur aus- 
nahmsweise als Plural auftreten, meist aber zu einem singu- 
lariseben Coliectivum zusammengefasst werden, zu einer orga- 
nischen Einheit, die nicht bloss die gleichzeitigen, sondern auch 
die aseendierenden Glieder umfasst und ihr Leben mit Mose, 
dem Freunde Jahve's, beginnt, welcher als Anfang ebenso mit 
der Fortsetzung zusammenfällt, wie der Mann mit dem Kinde 



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140 Go'ichichte -Iw Cultus, Kap. 4. 

aus dem' er erwachsen ist. Die Gescliiehte Mose's ist zugieich 
die Geschichte der Priester, die Urim und Thummim gehören, 
man weiss nicht recht, ob jenem oder diesen, aber das ist das 
selbe: jeder Priester, dem die Hut eioes Ephod anvertraut war, 
befragt vor demselben das heilige Los.- Der erste auf Mose 
bezügliche Relativsatz geht ohne Subjectswechsel Über in einen 
auf die Priester bezüglichen , darnach fällt der Singular unver- 
mittelt in den Plural und der Plural zurück in den Singular. 
Jedoch beruht diese so Sehr hervortretende Solidarität des Stan- 
des keineswegs auf der natürlichen Grundlage der Geschlechts- 
oder Familien einlieit; den Priester macht nicht das Blut, sondeiii 
im Gegenteil die Verleugnung des Blutes, wie mit grossem 
Nachdruck betont wird. Er muss um Jahve's willen thun, als 
habe er nicht Vater und Mutter, Brüder und Kinder. Die blinde 
Befangenheit in den Vorstellungen des Judaismus hat bis jetzt 
das Verständnis dieser Worte verhindert, sie sind aber durchaus 
unmisverständlich. Indem man sich dem Dienste Jahve's widmet, 
besagen sie, tritt man heraus aus den natürlichen Verhältnissen 
und reisst sich los von den Banden der Familie; es hat also mit 
der Brüderschaft der Priester in Nordisrael ganz ähnliche Be- 
wandtnis wie mit den ebenfalls dort heimischen religiösen Gil- 
den der Prophetensöhne, der Rechabiten und wohl auch der 
Naziräer (Ämos 2, llf.}. Wer wollte (oder: wen er wollte), den 
machte Jerobeam zum Priester, drückt sich der deuteronomische 
Bearbeiter des Königsbuch aus (1. Reg. 13, 33), Ein historisches 
Beispiel dazu liefert der junge Samuel, wie er in der jedenfalls 
auf ephrBJmitischen Zuständen der Königszeit fussenden Jugend- 
geschichte 1. Sara. 1 — 3 erscheint. Aus einer wohlhabenden 
bürgerlichen Familie zu Kama in der Landschaft Suph' Ephraim 
gebürtig ist er von seiner Mutter schon vor der Geburt dem 
Jahve versprochen und dann sobald es irgend möglich dem 
Heiligtum zu Silo übergeben, und zwar nicht etwa zum Naziräer 
oder Nathinäer im Sinne des Pentateuchs, sondern znm Priester, 
denn als niro trägt er den linnenen Priesterrock, das Ephod 
Bad und sogar das Pallium 1. Sam. 2, 18'). Sehr deutlich er- 
hellt dabei, dass es als eine Verzichtleistung auf die Rechte der 

') Vgl, Boehari in der Bulaker imvoealiaierteii Ausgabe 1. 70, 16f.: 



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Die Priestei' und Leviten. 141 

Familie betrachtet wird, wenn die Mutter den Knaben, der eigeut- 
lieh ilir gebort, des Gelübdes wegen dem Heiligtum abtritt und 
ihn wie sie sieb ausdrückt für immer dem Jaiive leibt (1. Sam. 
1,28 ^KICB' = bsriD). Dass Samuel von seinen Eltern ge- 
widmet wird und sieb nicht selber widmet, begründet natürlieh 
keinen erhebliehen Unterschied; das eine steht auf gleicher 
Linie mit dem anderen und wird neben dem anderen vorgekom- 
men sein, wenngleich seltener. Umgekehrt ist es aber auch 
schwerlich die Regel gewesen, dass jemand nicht bloss Eltern 
und Brlldei-, sondern auch Weib und Kinder dahinten liess, um 
der Priestei'schaft beizutreten ; das wird Deut. 33, 9 nur als extre- 
mes Beispiel der Aufopferungsfähigkeit angeführt. Auf keinen 
Fall darf man daraus auf gefordertes Cölibat sebliessen, sondern 
nur darauf, dass das Priestertum häufig kaum den Mann, ge- 
schweige denn eine Familie ernährte. 

So fest und bedeutend, so selbständig und abgeschlossen 
mu8S in der Entstehungszeit des Segens Mosis der Priesterstand 
gewesen sein, dass er eine eigene Stelle neben den Stämmen 
des Volks einnimmt, gleichsam selbst eiu Stamm, aber nicht 
durch das Blut , sondern durch geistige Interessen verbunden. 
Seine Bedeutung erhellt auch aus der Opposition, die er findet 
und die zu einer so lebhaften VerwUusehung seiner Gegner Au- 
lass gibt, dass man glauben sollte, wer sie niederschrieb, sei 
wohl selbst ein Priester gewesen. Worauf die Feindschaft be- 
ruht, wird nicht gesagt; es seheint aber als richte sie sieh ein- 
fach gegen die Existenz eines berufsmässigen und fest organi- 
sirten Klerus und gehe von Laien aus, welche die Rechte der 
alten priesterlosen Zeit festhalten. 

Neben dem Segen Mosis enthalten die Reden Hosea's das 
wichtigste Material für die Würdigung des nordisraelitiscben 
Priestertums. Die grosse Bedeutung desselben für das öffent- 
liche Leben geht auch aus seinen Äusserungen hervor. Die 
Priester sind die geistigen Leiter des Volkes; der Vorwurf, dass 
sie ihren hohen Beruf nicht erfüllen, beweist zunächst, dass sie 
ihn haben. Ausgeartet sind sie allerdings, sie erscheinen bei 
Hosea in einem ähnlichen Lichte wie die Söhne Eü's nach der 
Beschreibung 1. Sam. 2, 12ff., zu der vermutlich der Verfasser 
die Farben aus Verhältnissen entlohnt hat, die ihm näher lagen 
als die der Richterzeit. Die Priester von Sichern werden von 



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142 Geschichte des flultus, Kap. 4. 

dem Propheten sogar offenen StraBsenraubes bezielitigt (6,9), 
und alle mit einander klagt er sie an, dass sie ihr Amt in 
schnöder Gewinnsucht ausbeuten, dessen heiligste Pflieliteu ver- 
nachlässigen und auf diese Weise an dem Ruin des Volks die 
Hauptschuld tragen. „Hört Jahve's Wort, ihr Kiuder Israel, 
denn Jahve hat zu hadern mit den Landesinsassen; denn es ist 
keine Treue und Liebe und Gotteskenntnis im Lande. 2. Schwö- 
ren und lügen und morden und stehlen und ehebrechen, 
sie üben Gewalt und reihen Mord au Mord! 3. Darum trauert 
das Land und welkt Alles was darin wohnt, bis auf das Wild 
des Feldes und die Vögel des Himmels, und auch die Fische 
des Meeres werden hingerafft. 4. Doch schelte und ladle nur 
uiemand, denn das Volk machts wie seine Pfaft'en. 5. Darum 
werdet ihr (Priester) straucheln jenes Tags und auch die Pro- 
pheten mit ench jene Nacht und ich rotte aus eure Sippe. 
6. Mein Volk geht unter aus Mangel der Kenntnis, denn ihr selbst 
verachtet die Kenntnis, so will auch ich euch verachten, dass 
ihr mir nicht Priester sein sollt, ihr habt der Lehre eures 
Gottes vergessen, so will auch ich euer vergessen! 7. So viel 
sie sind, so sUndigeu sie gegen mich, ihre Ehre vertauschen sie 
gegen Schande; 8. meines Volkes Sünde essen sie und nach 
seiner Verschuldung trageu sie Veriangen, 9, so soll es wie dem 
Volke auch den Priestern ergehen, ich ahnde an ihnen ihren 
Wandel und vergelte ihnen ihre Thaten; 10. sie sollen essen 
und nicht satt werden, huren und sich nicht mehren, weil sie 
dem Jahve zu dienen abgelassen haben" Hos. 4, 1—10'). Kaum 

') Im Eingang wird das Volle aufgefordert zu hören, worüber Jahve en an- 
klage; die Sünde herrsolie derart, dass der völlige [Intergang des Landes 
nidit ausbleibeu könne v. 1 — 3. Mit dem Docb au der Spitze des fol- 
genden Verses ändert der Prophet seine Gedankenrichtung, yom Volke 
geht er über zu den Priestern: die Wnrzel des allgemeinen Verderbens 
sei der Mangel der Gotteakenntnis (nämlich : Liebe will ich und nicht 
Opfer, vgl. Jerein. 32, 16) und daran seien die Piieater schuld, die die 
Aufgabe hätten „die Kenntnis" zu verbreiten, statt dessen aber in selbst- 
süchtigem Interesse dem Hange des Volkes, durch Opfer statt durch Ge- 
rechtigkeit Jahve's Gnade zu erlangen, Vorschub leisten. Wenn nämlich 
zugestanden ist, dass von y. 6 an die Priester angeredet werden, so ist 
nicht ersichtlich, wailim zwischen v. 5 und v. 6 ein Wechsel in der An- 
rede statt finden soli, zumal die Coordination von Priestern und Pro- 
pheten berechtigter ist als die von Propheten und Volk v. 5. Da nun 
auf diese Weise v. 4 zwischen die Anklage gegen das Volk v. 1 — 3 und 
die Anklage gegen die Priester y. 5—10 in die Mitte 7U stehen kommt, 
so mnss aarin der Obergang vom Einen zum Andern gemacht werden, 



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Die Priester und Leviten. 143 

geringer scheint liienacli auch im Nordreiche der geistige Ein- 
fluss der Priester auf das Volk gewesen zu sein, als der der 
Propheten, und wenn wir in den historischen Berichten weniger 
davon hören'), so erklärt sich das daraus, dass sie still und 
regelmässig in kleinen Kreisen wirkten, unpolitisch und der ge- 
gebenen Ordnung unterthan, und dass sie darum nicht so viel 
Aufsehen und weniger von sich reden machten, ale die Pro- 
pheten, die durch ihr ausserordentliches und oppositionelles Ein- 
greifen Israel aufregten, wie Elias nud Elisa. 

4. In Juda war der Ausgangspunkt der Entwickelung der 
gleiche wie in Israel. Die Meinung hier hahe sieh das echte 
mosaische Priestertum von Gottes Gnaden erhalten, dort da- 
gegen sieh ein schismatisches Priestertum von des Königs und 
der Mensehen Gnaden eingedrängt, ist die der späteren Judäer, 
die das letzte Wort und darum Reeht behielten. Die B'ne Sadok 
von Jerusalem waren gegenüber den B'ne Eli , die sie ver- 
drängten, ursprünglich illegitim — wenn man diesen in jener 
Zeit völlig unbekannten Begriff anwenden darf — und hatten 

iler durch das Doch angezeigt ist. Hosea bricht von dem vorherigen 
Schelten gegen das ^oUi tb doch schelte und tadle nur niemand 
wirum niLht das nnssen die folgenden Weite hesagen Es muss in 
^ 4i> em Um tai I genannt werden der dai ^ olk entschuldigt und zu 
gleiLh den Zorn auf die Pnester ableitet, die im Folgenden daran kam 
men Der zu eiwartenie iieianke i"*! durch diese Erwägungen ganz not 
wendig bestimmt nämhch denn das Volk folgt nur seinen 
Priestern Diesen Smn trifft die Coniectur 1'1033 iDVI (^l*** 
2^1032Djn3 mein Volk macht s wie seine Pfaffen, \gl v 1 Das ut rig 
bleibenoe 1,-131 wird man itreichen müssen — Die gewöhnliche Auf 
fassungion \ 4 ist kium der Widerlegung wert Das flDl' '?N ^ ■* 
soll im Sinne de Volkes geredet sein Die Leute lerbittea sich Buge 
und Tadel des Propheten wahrend ^ 10 wird dann y i' gedeutet — sie 
selbst sich kern Gewissen daraus ma hen sogar m t iem Priester zu 
hadern Sogar — denn Mangel an Lnterwurhgkeit gegen den Pnestei 
gelte als besonders bosirtig Aber dei Prophet Ho?ea wurde es k^uni 
äs Capitalsunde betrachtet haten wenn auch das ^olk den Priestern 
die Achtung leraagte die =ie nach seinen Äusserungen '<o ganz und 
gar nicht verdienten Ausserdeta lasst jede Auslegung die in v 4 einen 
\orwurf gegen da ^olk findet unklar wo dei Übergang vom Schelten 
gegen das \olk zum Schelten gegen die Priester sich ^ Hzieht 
') Nach 2 Reg IT 3" 28 wuilen die lon den Assyrem nach dem ent 
volkerten Samanen eingeführten fremden Colonen zuerst von Löwen ge 
fressen weil sie die richtige Verehningsweise ies Landesgottes nicht 
kannten in Folge dessen sandte Esarhaddon einen der exilierten sama 
iisthen i riester hin der seinen Sitz zu Bethel dem alten Hauptbeiligtum 
aufechlug und die Ansiedler in der Religion des Landesgottes interwies 
CTIID) ^^ ^^'^t eiiei geschlossenen Pnesfeiatand ^ laui der Sich 
sogar in dei ^ erbannung längere Zeit erhielt 



yGoQgle 



144 Geschichte des Cultus, Kap. 4. 

ihr Beeilt nicht von den Vätern her, sondern von David und 
Salomo. Sie blieben immer in dieser Abhängigkeit, sie wan- 
delten, wie es 1. Sara. 2, 35 ausgedrückt wird, vor dem Ge- 
ealbten Jalive's allezeit, als dessen Diener uud Beamte. Den 
Königen war der Tempel ein Teil ihres Palastes, der wie 
1. Reg. 7 und 2. Keg. 11 lehrt auf dem selben Hügel lag und 
unmittelbar darau stiess; sie legten ihre Seh welle neben Jahve's 
Schwelle und setzten ihre Pfosten neben die seinigen, so dass 
nur die Wand zwischen Jabve und ihnen lag (Ezeeh. 43, 8). Den 
officiellen Cultus gestalteten sie ganz nach ihjem Belieben und 
hielten seiue Bewirtschaftung, wie es wenigstens nach der Epi- 
tüme des Köuigsbuehes scheint, fllr das Hauptgeschäft ihrer Re- 
gierung. Sie führten neue Gebräuche ein und schafften alte ab, 
die Priester fügten sich .dabei stets ihrem Willen und waren 
nur ihre ausführenden Organe'). Dass sie auch opfern durften, 
versteht sieh, sie thaten es jedoch nur ausnahmsweise, etwa zur 
Einweihung eines neuen Altars (2. Reg. 16, 12. 13). Noch fttr 
Jeremia, der im Allgemeinen das Opfern und Nahen zu Jahve 
(Num. 16, 5) nicht mehr für jedermanns Sache hält, ist doch der 
König als solcher auch der oberste Priester; denn im Anfang 
des Exils und der Fremdherrschaft hofft er von der Zukunft: 
Israels Fürst wird aus ihm selber stammen und ich will ihn mir 
nahen lassen, dass er vor mich trete — wer hätte sonst das 
Herz, vor mich zu treten, spricht Jahve (30,21). Erst Ezechie! 
protestiert gegen die Behandlung des Tempels als einer könig- 
liehen Dependenz, bei ihm ist die Prärogative des Fürsten dabin 
zusammengeschrumpft, dass er den öffentlichen Cultus auf seioe 
Kosten unterhalten muss. 

Der Uutersebied zwischen dem judäischen und israelitischen 
Priestertum war nicht von Anfang an vorhanden, sondeni ent- 
stand erst durch den Verlauf der Geschiobte. Den äusseren 
und inneren Unruhen , dem raschen aufgeregten Treiben im 
Nordreich steht das geschützte Stillleben des Kleinstaats im 
Süden gegenüber. Dort warf der geschiehtliebe Strudel ausser- 
ordentliche Persönlichkeiten aus der Tiefe hervor, Usurpatoren 
und Propheten, hier befestigten sich die Institutionen, die auf 
das Bestehende gegründet und von den bestehenden Mächten 

') Vel. z. B. 2. Reg. 12, 5ff. Joas zu Jqjada, 16, lOff. Abaz zu Uria, und zu- 
letzt noch Kap. 22 Josia zu Hilkia. 



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r>ic Priester und Leriten. 145 

abhängig waren'). Am meisten kam natlirlieh die StabiSität 
dem Königtum selber zu gut. Der königliehe Cultus, der im 
Reiche Samarien nicht im Stande war deu volkstümlichen und 
unabhängigen zu rerdräugen, bekam in dem kleinen Juda schon 
früh ein fühlbares Übergewicht; die königliche Priestersehaft, 
welche dort gelegentlich in den Sturz der Dynastie verwickelt 
wurde, erstarkte hier zur Seite des Hauses David — schon 
Aliaron und Amminadab waren nach dem Prieetercodex ver- 
, wie in Wirklichkeit Jojada und Ähazia. Auf diese 
ird schon früh der Uuiformierung vorgearbeitet, wo- 
durch Josia den königlichen Cultus zum alleinigen und offieiellen 
machte. Als begleitende Folge seiner Massregel ergab sich 
natürlich die ausschliessliche Berechtigung der königliehen 
Priesterschaft zu Jerusalem. Jedoch war die Erblichkeit auch 
bei den übrigen pvi esterliehen Familien schon so durchgedrungen, 
dass ihnen der Übergang zu profanem Berufe nicht zugemutet 
wurde. Der deuteronomische Gesetzgeber hatte ihnen das Recht 
gegeben, ihr Amt zu Jeiusalem fortzusetzen und dort für jeden, 
der ihre Dienste iu Anspruch nahm, zu fungieren; aber diese 
Bestimmung erwies sich , dem Widerstreben der B'ne Sadok 
gegenüber, im ganzen als undurchführbar (2, Reg. 23, 9), wenn 
auch einzelne fremde Elemente damals Aufnahme in den Tempel- 
adel gefunden haben mögen. Die Masse der ausser Dienst ge- 
setzten Hohenpriester musste, da sie ihren geistlichen Charakter 
schon nicht mehr los werden konnten, sich zur Degradierung 
unter ihre jerusalemischen Prüder und zu einer untergeordneten 
Teilnahme am Dienste des Heiligtums bequemen, vgl. 1. Sam. 
2, 36. So entstand am Ausgange der vorexilisehen Geschichte 
der Unterschied von Priester und Leviten, den Ezeehiel sieh 
bemüht gesetzlich zu sanctionieren. 

III. 

1, Mit den erkennbaren Stufen der historischen Entwieke- 
lung die Schiebten des Pentateuchs in Parallele zu stellen, ge- 
lingt hier im Ganzen leicht. In der jehovistischen Gesetzgebung 

') Die Rekabitfltt, <iie im Nordreiche entatanden, erhielten sich in Jnda, 
und Jeremia weissagte ihnen, es solle ihnen nie fehlen an einem priester- 
liehen Haupte aus der Familie des Stifters (35,19). 



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146 Geschichte des Cuttus, Kap. 4. 

{Exod. 20—23. Kap. 34) ist Ton Priestern nicht die Rede, und 
auch solche Gebote wie: du sollst nicht auf Stufen zu jneinem 
Attare heraufgehen, damit nicht deine Scham davor sich ent- 
blösse (20, 26), werden an das aiigemeiue Du, d. h. an das Volk, 
gerichtet. Dem entspricht, dass bei der feierlichen Bund- 
schliessung am Sinai (Exod. 24, 3 — 8) junge Männer aus den Kin- 
dern Israel als Opferer fungieren. Anderswo im Jehovisten gel- 
ten Aharon (Exod. 4, 14. 32, Iff.) und Mose (33, 7—11. Deut. 33, 
8) als die Anfänger des Klerus. Zweimal (Exod. 19, 22. 32, 29) 
werden noch andere Priester neben ihnen genannt; aber Exod. 
32, 29 steht auf dem Boden des Deuteronomiuma , und auch 
Exod. 19, 22 gehört schwerlich zum ursprünglichen Bestände einer 
der jehonstisehen Quellen. 

2. Im Deuteronomium nehmen die Priester neben dem 
Kiebter und den Propheten eine sehr hervorragende Stellung 
ein (16, 18^18, 22) und bilden einen in zahlreichen Familien 
erblichen Klerus, dessen Privilegium nicht bestritten wird und 
darum auch nicht geschlitzt zu werden braucht. Hier nun tritt 
zuerst mit ßegelmässigkeit der Name Leviten für die Priester 
auf, dessen bisher aufgeschobene Besprechung bei dieser Gele- 
genheit nachgeholt werden soll. 

In der vorexilischen Literatur ausserhalb des Hexateucha 
findet er sich sehr selten. Bei den Proplieten zuerst ein einziges 
Mal im Buche Jeremia (33, 17 — 22), in einer Stelle, die jeden- 
falls später ist als die ehaldäische Eroberung Jerusalems und 
gewiss nicht von Jeremia herrührt'). Gesichert ist der Gebrauch 
des Namens bei Ezechiel (a. 573), und nun reisst derselbe bei 
den späteren Propheten nicht ab, zum Zeichen, dass das frühere 
Fehlen nicht als Zufall zu erklären ist, zumal bei Jeremia, der 
80 häuüg von den Priestern spricht^). In den historischen ßUcbem 
kommen Leviten, abgesehen von 1. Sam. 6, 15. 2. Sam. 15, 24 
und 1. Keg. 8, 4. 12,31'), nur vor in den beiden Anhängen zum 

') In der feeptuaginta fehlt 38. 14—26. Auffallend ist der Parallelismus von 
V n — 22 mit V. 23— 2G. Es scheint, als seien David und Levi Misver- 
stanilnis der heiden Geschlechter von v. 24, nämlich Juda's uuii Ephraims. 
Jedeufails ist im t. 26 interpoliert. 

>) Ezecb 40,46. 43, 19. 44, 10. 15. 45,5. 48,11—13.22.31. Isa. GG, 21. 
Z^ch 12,13. Mal, 2,4,8. 3,3. 

"} Iber 1 Sam. G, 15 ist auf S. 145 und über 1. Reg. 8, 4 auf S. 32 das 
Notige bemerkt worden. Uass 1. Reg. 12, 31 von dem deutorouamistischen 



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Die Priester und Leviten. 147 

Riehterbuche (Kap. 17. 18 und Kap. 19. 20), von denen jedoch 
der letztere unhistorisch und spät ist und nur der erstere ohne 
Zweifel vorexiliseh. Hier aber handelt es eich nicht wie sonst 
um die Leviten, sondern um einen Leviten, der als grosse 
Rarität gilt und vom Stamme Dan, der keinen hat, geraubt 
wird. 

Dieser Jonathan nun, der Ahnherr des Priestergeschleehtes 
von Dan, wird, obgleich judäischen Gesehleehts, von Gerson dem 
Sohne Mose's abgeleitet (Jud. 18, 30). Das andere alte Priester- 
gesehlecht, das in die Richterzeit hinaufreicht, das ephraimi- 
tische von Silo, scheint gleichfalls mit Mose in Verbindung ge- 
hracht zu werden; wenigstens wird in der allerdings nach- 
deuteronom. Stelle l.Sam, 2,27, wenn Jahve sich dem Vatershause 
Eli's in Ägypten geoffenbart und dadurch zu der Begabung des- 
selben mit dem Priestertum den Gmnd gelegt haben soll, doch 
wohl an Mose als den Empfänger der Offenbarang gedacht. Mit 
historiseher Wahrscheinlichkeit lässt eich die Familie auf Pinehas 
zurückführen, der in der frühen Richtevzeit Priester der Lade 
war und von dem das Erbgut auf dem Gebirge Ephraim und 
ebenso der zweite von Eli's Söhnen den Namen hatte; es ist 
nicht anzunehmen, dass er nur der Schatten seines jüngeren Na- 
mensgenossen sei, weil der letztere noch vor dem Vater starb 
und neben demselben keine Bedeutung hatte. Pinehas aber ist 
nicht nur im Priestercodex, sondern auch Jos. 24, 33 (E) der Sohn 
Eleazars, und dieser ist zwar nach der massgebenden Tradition 
ein Sohn Abarons, jedoch in der Aussprache Etiezer neben Gerson 
ein Sohn Mose's. Zwischen Aharon und Mose ist im jehovisti- 
sehen Pentateueb kein grosser Untersehied; wenn Aharon im 
Gegensatz zu seinem Bruder als derLevit charakterisiert wird 
(Exod. 4, 14), so führt andererseits Mose den priesterlichen Stab, 
ist der Herr des Heiligtums und hat dabei den Josua zur Seite 
wie Eli den Samuel (Exod. 33, 7 — 11). Er hat offenbar die älteren 
Ansprüche; in der jehovistisehen Hauptquelle, inj, kommt Aharon 
ursprünglich überhaupt nicht vor '), wie auch Deut. 33, 8 nicht an 

Bearbeiter lierrührt, der nicht vor der zweiten Hälfte des Kxiis geschrieben 
hat, bedarf keines Beweises. Die totale Comiption von 2. Sam. 15, 24 
habe ich im Teit der Bücher Samuelis (Gottingen 1871) nachgewiesen. 
') Am besten läast es sich in Exod. 7— 10 nachweisen, dass Aharon in J 
nicht ursprünglich, Bondem erst durch den Bearbeiter, der J und E zn 
10* 



.yGQQgIc 



148 Goscbichtc des Cultus, Kap. 4. 

ihn gedaclit wird. Noch in den Genealogien dee Priestercodex 
heisst der eine Hauptast des Stammes Levi Gerson wie der älteste 
Sohn Mose's, und ein anderer mclitiger Zweig heiset geradezu 
Muschi, der Mosaische. ■ 

Nicht unmöglich, dass wirklich in der Familie Mose's das 
heilige Amt sich fortpflanzte, und sehr wahrscheinlich, dass die 
beiden ältesten Erbgeschlecliter zu Dan und zu Silo im Ernst 
den Anspruch machten, von ihm abzustammen. Hinterher ver- 
ehrten, wie uns Deut. 33, Sff. gelehrt hat, alle Priester in Mose 
ihren Vater, nicht als das Haupt ihres Geschlechtes, sondern als 
den Begründer ihres Standes. In Juda geschah das seihe, aber 
hier bildete sieh die Erblichkeit des Klerus heraus, der Stand 
verwandelte sich in eine Art Geschlecht. Levit, bis dahin Be- 
rufsname, ward nun zugleich Gentile und alle Leviten zusammen 
bildeten eine Biutsverwandteehaft '), einen Stamm, der zwar kein 
eigenes Land, dafür aber das Priestertum zum Erbteil empfangen 
hatte. Seit dem Anfange der israelitischen Geschichte sollte 
dieser Erbklems bestanden haben, und zwar schon damals nicht 
beschränkt auf Mose und Aharon, sondern gleich als ein zahl- 
reiches Geschlecht. So ist die Vorstellung bei den späteren 
Schriftstellern, seit dem Deuteronomium; doch wird im letzteren 
meist von dem Leviten in den jüdischen Provinzialstädten und 
von den Piiestern den Leviten m Jeiusalem geredet, von 
Gesamtleu naht hiufig flO 8f 18 1)=) 

Dass min e« hiei mit Pi idatieiung eiaei eist m der späteren 
Königszeit entstandenen Fiblichkeit zu thun hat, ist bereits nach- 
gewiesen, namenthch an dem Beispiele dei Sohne Sadok von 

JB veiband hineingcbi-aiht it Der Befehl Jiliires Tor Pharao zu 
treten ergeht nimluh m J immer an Mo e allem (7 14 2ß. 8, 16. 9, 1. 
13. 10 1) nur im weiteren Verlauf erscheint daneben viermal Aharon, 
Mmlich immer in dem Falle wenn I hario in der Not Mose und 
Aharon holen lasat nm ihre Fürbitte in Anspruch zu nehmen. Merk- 
würdigerweise aber wird hinterher wieder Aharon toIIi^ ignoriert, Mose 
antwortet allein redet nur in seinem nicht zugleich in Aharon's Namen 
(8, 5 22 25 9 29) unil obwohl er selbander gekommen geht er doch im 
Singular wieder fort und bittet »m Singular (S 8 J(j t 33. 10,18); der 
"Wedisel des Numerus in 10, 17 i«t unter diesen Umstanden verdächtig 
genug Es scheint als ob der jehOYistische Bearbeiter gerade bei der 
FürbiHe die Asai&tenz Aharon s für angemessen gebalten habe. 

') Wie leiLht der Übergang war ersieht min aus dem Boiipiele der Bne 
Eekab 

') Ijber Deut. 27 vgl. Kuenen, Theol. Tijdsohr. 18(8 6. 297. 



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Die Priester und Leiiten. 149 

Jerusalem, die zuerst Parvenue und hemaeh die legitimeten der 
legitimeu waren. Aber höchst sonderbar ist es, wie diese künst- 
liche Bildung eines geistlichen Stammes, die an sieh durchaus 
nichts rätselhaftes hat, dadurch nahegelegt und beglinatigt wurde, 
dass es in grauer Vorzeit einmal einen wirklichen Stamm Levi 
gegeben hat, der schon vor der Entstehung des Königstums unter- 
gegangen ist. Er gehört zu der Gruppe der vier ältesten Söhne 
Lea's, Rüben Simeon Levi Juda, die immer in dieser Reihenfolge 
zusammen aufgezählt werden und zu beiden Seiten des toten 
Meeres sich ansiedelten, gegen die Wüste zu. Merkwürdiger 
. Weise hat sich von ihnen allen nur Juda zu behaupten gewusst, 
die anderen lösten sich unter den Wlistenbewohnem oder unter, 
ihren Volksgenossen auf. Am frühesten erlitten die beiden 
Gen, 49 zu einer Einheit zueammengefassteu Stämme Simeon 
und Levi dieses Schicksal, in Folge einer Katastrophe, die sie 
in der Kichterzeit betroffen haben muss. „Simeon und Levi sind 
Brüder, Mordwaffen ihre Hirtenstäbe; meine Seele komme nicht 
in ihre Gesellsehaft, meine Ehre sei fern von ihrer Rotte, denn 
im Zora erwürgten sie Männer und zur Lust zerhieben sie Rin- 
dern die Sehneu: verflucht sei ihr Zorn, so heftig, und ihre Wut, 
so grausam — ich will sie verteilen in Jakob und zerstreuen über 
Israel!" (Gen. 49,5 — 7). Die hier gestrafte Unthat Simeons und 
Levi's kann nicht gegen Israeliten gerichtet gewesen sein, denn 
in diesem Falle würde der Gedanke gar nicht entstehen können, 
der hier mit Nachdruck zurückgewiesen wird, dass Jakob d. i. 
Gesamtisrael mit ihnen gemeinsame Sache machen könnte. Es 
handelt sich also um einen Frevel gegen die Kanaaniten, höchst 
wahrscheinlich um den selben, der in Gen. 34 den beiden Brüdern 
zur Last gelegt vrird und von dem auch dort (v. 30) Jakob nichts 
wissen will, dass sie nämlich trotz eines mit Sichern abge- 
schlossenen Frieden svertMges die Stadt treulos überfallen und 
ihre Bewohner niedergemacht haben. In Jud, 9 wird erzählt, 
dass Sichern, bis dahin eine blühende Stadt der Kanaaniten, mit 
denen sich übrigens schon israelitische Elemente zu mischen be- 
gannen, von Abimeleeh erobert und zerstört sei; damit kann man 
jedoch die Zerstörung durch Simeon und Levi auf keine Weise 
zusaramenbnngen , dieselbe muss früher stattgefunden haben, 
wenngleich auch in der Richterperiode. Die Folgen ihrer That, 
die Rache der Kanaaniten, haben die beiden Stämme allein zu 



, Google 



150 Geschichte dea Cultus, Kap. 4. 

tragen geliabt; Israel hat sieh nach der Andeutung Gen, 49, 6 
34, 30 nicht bewogen gefühlt für sie einzuti'eten und gemein- 
sehaftliehe Sache mit ihnen zu machen. So sind sie zersprengt 
und haben sieh aufgelöst, und damit ist ihnen nach der Meinung 
ihres eigenen Volkes ganz recht geschehen. In den geschicht- 
lichen Büchern ist von ihnen nie melir die Rede. 

Es ist eine haare Unmöglichkeit, diesen Levi der Genesis, 
den Bruder Simeons, als einen blossen Reflex der Kaste anzu- 
sehen, welche gegen Ende der Königszeit aus den verschiedenen 
Priesterfamilien Juda's zusammengewachsen ist. Der Spruch 
Gen. 49, 5 — 7 setzt die beiden Brüder völlig gleich und legt 
ihnen einen sehr weltlichen blutdürstigen Charakter bei. Keine 
Ahnung von dem heiligen Berufe Levi's und seiner dadurch be- 
dingten Zerstreuung, dieselbe ibt em Fluch und kern "^egen, eine 
Vernichtung und keine Stabiliei ung semei Besondeiheit Ebenso 
unmöglich aber ist es, die Kaste aus dem btamme abzuleiten, 
es existiert kein realer Zusammenhing zwischen beiden Eb 
fehlen alle Mittelglieder, der Stamm ist fiüh untergegangen und 
die Kaste sehr spät entstanden, nachwei&bar aus freien Anfängen. 
Unter sotanen Umständen ist nun aber die Übereinstimmung des 
Namens höchst rätselhaft: Levi der dritte Sohn Jakobs, vielleicht 
einfach das Gentile seiner Mutter Lea'), und Levi der Berufs- 
priester. Wenn es anginge, den letzteren Sprachgebrauch aus 
der appeliativischen Bedeutung der Wurzel herzuleiten, natürlich 
mit Evidenz, so würde man an Zufall glauben können; aber das 
ist nicht möglieh. Man ist darum auf den Ausweg verfallen, die 
gewaltsame Auflösung des Stammes in der Richterzeit habe die 
einzelneu Leviten, die nun kein Land mehr hatten, dazu veran- 
lasst, sich ihren Unterhalt durch Verwaltung des Opferdienstes 
zu erwerben; dies habe sich ihnen darum nahe gelegt und sei 
ihnen 'deshalb gelungen, weil einst Mose der Mann Gottes zu 
ihnen gehört und ihnen ein gewisses Vorzugsrecht auf das hei- 
lige Amt vererbt habe. Aber es gab damals keine Menge von 
unbesetzten Priesterstellen und ein solcher Massenübergang der , 
Leviten zum Dienste Jahve's in jener alten Zeit ist bei der Selten- 
heit grösserer Heiligtümer eine sehr schwierige Annahme. Richtig 

') ^el- C^ Demin. von ij^ (BHish. 534, 14) =- ^yi^^J' ,^'> Agh. X 
13, 29. Auch Agh. VD. 101 f. und Wüstenfelds Register S. 273, 



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Die Priester und Leviten. 151 

iet es vielleielit, dass Mose wirklieli aus Le?i stammt und dase 
von ihm aus dio spätere Bedeutung des Namens Levit zu er- 
klären ist. In der That selieint derselbe zunächst nur auf die 
Nachkommen und Verwandten Mose's angewandt und erst später 
auf die Priester überhaupt übertragen zu sein, die dem Blute 
nach nichts mit ihm zu thun hatten, aber alle mit ihm als ihrem 
Haupte in Zusammenhang stehen wollten. Über Vermutungen 
wird man hier nie hinauskommen. 

3. Während im Deuteronomium der geistliehe Htamm des 
Leviten {10, 8f. 18,1. Jos. 13,14. 33) noch bescheiden auftiitt, 
wird im Priestercodex massirer Ernst damit gemacht'; der 
Stamm Levi (Num. 1, 47. 49. 3, 6. 17, 3. 18, 2) wird von den 
übrigen Stämmen dem Heiligtum übergeben, nach dem genea- 
logischen System seiner Fan^üien katalogisiert, zählt 22000 männ- 
liche Mitglieder und erhält sogar auch eine Art Stammgebiet, 
die 48 Levitenstädte (Jos. 21). Einen mit dieser Verbreitei-ung 
des Klerus zusammenhängenden, aber noch viel bedeutenderen 
Sehritt vorwärts, den der Priestercodex thut, Laben wir bereits 
am Anfange des Kapitels besprochen: während es sich bisher 
immer nur erst um die Scheidung des Klerus von den Laien 
bandelt, wird hier jene grosse innere Zwteteilung desselben ein- 
geführt, in Aharoniden und Leviten. Nicht bloss im Deutero- 
nomium, sondern überalt im Alten Testament abgesehen von 
Ezra Nehemia und Chronik ist Levit der Ehrentitel des Prie- 
sters') — Aharon selber wird in der öfters angeführten Stelle 
Exod. 4, 14 611 genannt und zwar um dadurch seinen Beruf, nicht 
seine Familie zu be^eiehuen, denn die letztere hat er mit Mose 
gemein, lon dem ei doch durch das Beiwort dein Bruder der 
Levit uateisthieden werden soll. Im Deuteronomium aber fällt 
es auf, dasi mit emer absichtlichen Emphase die gleiche Berechti- 
gung aller Leviten zum Opferdienste in Jerusalem statuiert wird: 
„die Priester die Leviten, der ganze Stamm Levi, sollen nicht 
Teil noch Erbe haben mit Israel, die Opfer Jahve's und sein 
Erbteil sollen sie essen — und wenn ein Levit aus irgend einer 

I) Esod, 4, U. Deut. 33,8. Jud. 17f. — Exod. 32,26—28. Deut. 10, 8f. 12, 
12. 18f. U, 37. 29. 16, 11. U. 17, 9. 18. 18, 1—8. 24, 8. 27, 9. 14, 31, 9. 
25. Jos. 3,3. 13,14.33. 14, 3f. 18,7. Jud. 19 f. 1. Sam. 6, 16. I.Reg. 
12, 31. Jer. 33, 17-22. Ezech. 44, 8ff. Isa. SB, 31. Zach. 12, 13. Mal. 2, 4. 
8, 3, 3. — Nur läie Glossen 2. Sam, 15, 24 und 1. Reg. 8, 4 (ygi. jedoch 
2, Chron. 5, 5) mögen auf den Pcieatercodex benüien. 



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152 Geschichte des Ctiltus, Kap. 4. 

Stadt Yon ganz Israel, wo er wohnt, kommt zu dem Orte, deu 
Jahve erwählen wird, so darf er im Namen Jalive's seines Gottes 
fungieren so gut wie die Leviten, die daselbst vor Jahve stehen" 
(18, 1. 6, 7). Der Gesetzgeber hat hiebei seine Hauptmaesregel 
vor Augen, nämlich die Abschaffung aller Cultusstätten bis auf 
den Tempel Salomo's; die bisherigen Priester derselben duiften 
damit nicht brotlos werden. Darum legt er es auch so oft und 
dringend den Provinzialen ans Herz, sie sollten bei ihren Opfer- 
wallfahrten nach Jerusalem den Leviten ihres Orts nicht ver- 
gessen und ihn mitnehmen. Dies ist nun für das Verständnis 
der folgenden Eatwickelung insofern eebr wichtig, als man sieht, 
wie durch die Centralis! erung des Gottesdienstes die nichtjerusa- 
lemisehen Leviten in ihrer Stellung bedroht waren. Thatsächlich 
erwies sich die gute Absicht des Deuteronomikers als undurch- 
führbar, mit den Bamoth fielen auch die Priester der Bamoth. 
Sofern sie Überhaupt noch am heiligen Dienste teilnahmen, 
mussten sie sieh eine Unterordnung unter die Söhne Sadoks 
gefallen lassen (2. Reg. 23, 9). Mit Recht vielleieht hat hierauf 
Graf die Weissagung 1. Sam. 2, 36 bezogen, dass dermaleinst zu 
dem festgegründeten königliehen Priester die Nachkommen des 
gestürzten Hauses Eli kommen würden, ihn um ein Almosen 
anzugehen oder zu sagen: füge mich ein in eine der Priester- 
schaften um ein Stück Brot zu essen; dass geechiehtlich die ab^ 
gesetzten Leviten mit jenen alten Sehieksalsgenossen nicht allzu 
nahe zusammenhingen, kann gegen diese Deutung hei einem 
naehdeuteronomischen Schriftsteller keine Bedenken erregen. Auf 
diesem Wege entstand, als eine gesetzwidrige Folge der Refor- 
mation Josia's, der Unterschied von Priestern und Leviten. Für 
Ezechiel ist derselbe noch eine Neuerung, die gerechtfertigt und 
sanktioniert zu werden bedarf; für den Priestercodex „eine ewige 
Satzung", obwohl doch noch nicht so ganz unangefochten, wie 
aus seiner Version der Erzählung von der Rotte Korah erhellt'). 
Für das Judentum seit Ezra und dadurch für die christliehe 
Tradition ist auch hier der Priestereodex massgebend geworden. 
Statt der deuteronomi sehen Formel die Priester die Leviten 
heisst es fortab die Priester und die Leviten, namentlich in 

Veriarbte Anklänge an die historische Wahrheit finden sich auch in 
Num. 17, 25 und 18, 23, welche Stellen ohne Ezech. ii nicht zu yorstehen 
sind. Vgl. Kuecen, TheoJ. Tijdschr, 1878 S. 138 ff. 



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Die Priester und Leviten. 153 

der Chronik'); und iü den Übersetzungen wird der alte Sprach- 
gebrauch mehrfach corrigiert *). 

Der SchluBsstein des heiligen Gebäudes, welches die Gesetz- 
gebimg des mittleren Pentateuohs aufrichtet, ist der Hohepriester. 

') Ausgenommen 2, Chr. 5, 5. 30, 27. Über die handschriftliche Bezeugung 
dieser und ähnlicher Stellen handelt Curtiss, the Levitical Priests 
(Edinb. 1877), angezeigt voa Bandissin in Schürer's Theol. Literaturz. 
1879 S. 343. 

=) Z. B. Septuag. Jos. 3,3. Isa. 66,21; Hieron. Deut, 18,1. Jud. 17,13; Syr. 
an Tiolen Stellen. Über die Durchföhrung der neuen Organisation 
des Tempelpersonals nach dem Exil vgl. Vatko S. 568, Graf ia Merx' 
Archiv I S. 23Öff. nnd Kuenen, Qodsdienat II S. 104f. Mit Zerubahel 
und Josua kehrten a. 538 vier Priestergeschleehter aus Babylon zurück, 
zusammen 4289 Köpfe slark (Eadr. 2, 36—39), mit Ezra kamen a. 458 
noch zwei Geschlechter hinzu, deren Zahl nicht angegeben wird (8,2). 
Von Leviten zogen das erstemal 74 mit (2, 40), das zneitemal befand sich 
unter den 1500 Männern, die sich auf dem von Ezra bestimmten Sammel- 
plafa eingefunden hatten um die Reise durch die Wüste anzutreten, an- 
fangs kein einziger Levit und erst auf dringende Vorstellungen des 
Schriflgelehrten ivurden endlieh noch einige dreissig bewogen, sich anzu- 
sohliessen {8, 15—20). Wie ist dies Übergewicht der Priester über die 
Leviten za erklären, das auch dann noch auffallend bleibt, wenn man die 
Posten nicht für genau vergleichbar hültP Sicherlich nicht auf Grund eines 
tausendjährigen Bestehens der Verhältnisse, wie sie im Priestercodei und 
in der Chronik erscheinen. Dahingegen verschwindet das Rätselhafte, 
wenn die Leviten die degradierten Priester der judäischen Bamoth waren. 
Diese waren wohl überhaupt nicht zahlreicher als das jerusalemische C^ol- 
legium, und auf keinen Fall konnte die Aussicht, in der Heimat fortab 
nicht mehr opfern, sondern nur schlachten und waschen zu sollen, für 
sie sehr verlockend sein; man kann es ihnen nicht verdenken, dass sie 
keine Lust hatten, sich freiwillig zu Handlangem der Söhne Sadoks zu 
erniedrigen. Ausserdem wird man annehmen dürfen, dass doch auch 
manche ursprünglich nicht dazn gehörige (namentlich levitische) Elemente 
es damals verstanden sich in die salomonische Priesterschaft einzudrin- 
gen; dass es nicht allen gelang (Esdr. 2, 61), beweist, dass es manche 
versuchten, und bei der Leichtigkeit, mit der man damals altersgraue 
Stammbäume schuf und anerkannte, wird auch nicht Jeder Versuch mis- 
glückt sein. 

Wie ist es denn aber nun zugegangen, dass in der Folgezeit, wie 
man aus den Angaben der Chronik scbliessen muss, das Verhältnis der 
Leviten zu den Priestern der gesetzlichen Proportion wenn auch nicht 
ganz, so doch mehr entsprach? Einfach durch Lexitisierung^fremder Ge- 
schlechter. Zu Anfang wurdenTiner Gemeinde des zweiten Templls" 
dieTieviten noch unterschieden von den Sängern Thorwächtern und Ne- 
thinim (Esdr. 2,41 — 58), Innungen, die schon von vornherein weit zahl- 
reicher waren und schnell wuchsen (Neh. 11,17.19.36. 12,28f. l.Chr.9, 
16 22 26) Aber der Unterschied hatte in der Gegenwart keine faktische 
Basis mehr, nachdem einmal die Leviten auch zu Tempeldienem degra- 
diert und zu Nethinim der Pnester geworden waren (Num. 3, 9). Wo 
daher der Chronist, der zugleich der \erfasser der Bücher Ezra und 
Heheniia iit, nicht ^ltere Quellen wiedergibt, sondern frei sehreibt, da 
betrachtet er auch die Singer und die Thorwichter als Leviten. Durch 
künstliche Genealogieen sind die drei Sängcrgeschlechter Heman Asaph 
und Ethau von den alten levitischen Geschlechtern Kehath Qerson und 



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154 Geschichte des Culhis, Kap. 4. 

Wie über den Leviteu die Aharoniden. bo erhebt sich Aharon 
selber über seinen Söhnen; in seiner Person gipfelt die uni- 
tarisehe Ausgestaltung des Cultus, wie sie durch das Deutero- 
nomium und Josia angebahnt worden ist. Eine Figur von so 
unvergleichlicher Bedeutung ist dem übrigen Alten Testamente 
fremd, selbst Ezecbiel kennt noch keinen Hohenpriester mit 
eminenter Heiligkeit. Schon vor dem Exil war allerdings der 
Tempeldienst zu Jerusalem so grossartig und das Personal so 
zahlreich, dass eine geregelte Ämterteilung und abgestufte Rang- 
ordnung eine Notwendigkeit war. Zur Zeit Jeremia's bildeten 
die Priester eine in Classeu oder Geschlechter eingeteilte Ge- 
nossenschaft, mit Ältesten als Vorsteliem ; der oberste Priester 
hatte in der Anstellung seiner niederen Collegen einen bedeuten- 
den Einfluss (1. Sam. 2, 36) ; neben ihm standen der zweite Prie- 
ster, die Sehwellenhüter, der Wachtoberst als vornehme Chargen '). 
Aber im Gesetz nimmt Aharon keine bloss oberste, sondern eine 
einzigartige Stellung ein, wie der römische Pontifex gegenüber 
den Bisehöfen; seine Söhne fungieren unter seiner Aufsicht (Num. 
3,4), der einzige vollberechtigte Priester ist nur er, die Con- 
centration des Heiligen in Israel. Er allein trägt die Urim und 
Thummim und das Ephod: der Priestercodex weiss zwar nicht 

Merari abgeleitet (1. Chron. 6, IS.), wobei mit dem Material nicht perade 
wählerisch -verfahren wird, s. Graf a. 0. S. 231, Ewald III S. 380f. In 
wie weit der Unterschied der Nothinim gegen die Leiiiten spiLterhin 
aufrecht erbalten wurde (Jos. 9, 21. 3 Esdr. 1, 3. Esdr. 8, 20), ist nicht klar. 
Es wäre nicht übel, wenn die Absicht Ezechiels , die Ausländer aus dorn 
Tempel üu verbannen, in der Weise erfüllt wäre, dass diese heidnischen 
Hierodulen, die Meunäer Nephisäer Salmä^r und wie die fremdartigen 
Namen Esdr. 2, 43ff. sonst noch lauten, auf dem beliebten genealogischen 
Wege in den Stamm Levi Aufnahme gefunden hätten. Ein eigentüm- 
liciiea Schlaglicht auf die Richtung, in der sich die Dinge entwickelten, 
wirft die Thatsache, dass die Säuger, die zur Zeit Ezra's noch nicht ein-, 
mal Leviten waren, später sich schämten es zu sein und wenigstens 
äusserlich den Priestern gleichgestellt werden wollten. Sie baten den 
König Agnppali, ihnen vom Synedriura die Befugnis zu erwirken, dass 
sie das weisse Priestergewaud tragen dürften. 
') Der Kohen ha-Rosch findet sich zuerst 2. Sam. 15, 27, aber hier stammt 
B'Nin (sf statt nxnn) von dem luterpolafor des v. 24. Sodann '^n 
b'im 3- lieg. 12, 11, aber 2. Reg. 12 stammt vom Verfasser von 3. Reg. 
le, lOff. und Kap. 22f. Sonst einfach der Priester. — Vgl. übrigens 
2. Reg. 19,2. Jer. 19, 1. 2. Reg. 23, 4. 25,18. Jer. 20, 1. 29,35.26. In 
1. Sam. 2,36 muss nJHD Priesterschatt, Priesterorden bedeuten, 
wegen vriBD glledre mich ein. Wegen "7 ist es merkwürdig, dass 
DSD mit m^ parallel steht Isa. 14, 1. 



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Die Priester imd Leviten. X55 

mehr was es mit jenen Losen für eine Bewandtnis liat und er 
eonfundiert das Ephod Zahab mit dem Ephod Bad, das über- 
zogene Gottesbild mit dem Priesterüberzug; aber die trüben Ee- 
miniscenzen dienen dazu, Aharons niajeetätisehen Ornat noch 
magischer zu gestalten. Er allein darf ins AUerheiligste ein- 
dringen und dort das Eäucberopfer bringen ; der sonst unnahbare 
Zugang (Neb. 6, 10. 11) steht ihm am grossen Versöhnungstage 
offen. Nur in ihm berührt sich Israel unmittelbar, in einem 
Punkte und in einem Momente, mit Jahve, die Spitze der Py- 
ramide ragt an den Himmel. 

Der Hohepriester erseheint auf seinem Gebiete völlig sou- 
verän. Bis auf das Exil, haben wir gesehen, war das Heiligtum 
Besitz des Königs und der Priester, sein Diener; sogar bei 
Ezeebiei, der im Übrigen auf Emancipation hinarbeitet, hat doch 
der Fürst noch eine sehr grosse Bedeutung für den Tempel, an 
ihn werden die Abgaben des Volkes entrichtet und er unterhält 
dafiir den Opferdienst. Dagegen im Priestereodex werden die 
Abgaben direct an das Heiligtum entrichtet, der Cultus ist voll- 
kommen autonom und gibt sieh seine eigene Spitze von Gottes 
Gnaden.. Und nicht bloss die Autonomie des Heiligen reprä- 
sentiert der Hohepriester, sondern auch die Herrschaft desselben 
über Israel. Das Seepter und das Schwert führt er nicht, nir- 
gends, wie Vatke S. 539 treffend bemerkt, wird ein Versuch ge- 
macht, ihm weltliehe Macht zu vindicieren. Aber eben nach seiner 
geistlichen Würde, als oberster Priester, ist er das Oberhaupt 
der Tbeokratie, und so sehr, dass ein anderes neben ihm nicht 
Platz hat, ein theokratiscLer König ihm zur Seite nicht denkbar 
ist (Num. 27, 21). Er allein ist der verantwortliche Vertreter 
der Gesamtheit, die Namen der zwölf Stämme sind ihm auf 
Herz und Schultern gesehrieben; sein Fehltritt zieht Verschul- 
dung des ganzen Volkes nach sich und wird gesühnt-wie der 
des ganzen Volkes, während die Fürsten durch ihre Sttndopfer 
sich ihm gegenüber als Privatleute charakterisieren (Lev. 4, 3. 
13. 22. 9, 7. 16, 6). Sein Tod begründet eine Epoche; nicht wenn 
der König stirbt, sondern wenn der Hohepriester stirbt, tritt für 
den flüchtigen Amnestie ein (Num. 35, 28). Er empiangt bei der 
Investitur die Salbung wie ein König und heisst darnach der 
gesalbte Priester, er ist mit dem Diadem und dem Kopfbund 
{Ezeeh. 21, 31} geschmückt wie ein König, er trägt wie ein König 



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156 Geschichte des Cultna, Kap, 4. . 

den Purpur, das unpriestevlichste Gewand von der Welt, das 
er darum auch ausziehen musa, wenn er ins ÄUerheiligste eiu- 
geht ^Lev. 16, 4). Was bedeutet es nun, dass die Spitze des 
Cultus — eben als solebe und nur als solche, ohne daneben mit 
politischen Befugnissen ausgestattet zu sein und in die Regierung 
einzugreifen — zugleich die Spitze der Nation ist? Was anders, 
als dass die weltliebe Herrschaft dieser Nation genommen und 
nicht mehr ihre eigene Sache ist, dass sie nur uoeb eine geist- 
liche kirebliche Existenz führt? Vor der Anschauung des Priester- 
eodex steht Israel in der Tbat nicht als Volk, sondeni als Ge- 
meinde; weltliehe Angelegenheiten liegen derselben fern und wer- 
den von dieser Gesetzgebung nie berührt, ihr Leben geht auf im 
Dienste des Heiligen. Es ist die Gemeinde des zweiten Tempels, 
es ist die jüdische Hierokratie, mit der Fremdherrschaft als 
Voraussetzung ihrer Möglichkeit, die uns hier entgegen tritt. 
Zwar pflegt mau, was mau in der geschichtlichen Realität Hie- 
rarchie nennt, im Gesetz mit dem idealen d. h. blinden Namen 
Theokratie zu bezeichnen: aber wer damit einen Unterschied 
der Sache gewonnen zu haben glaubt, der belügt sieh selber. 
Wer das fertig bringt, dem gelingt es dann auch weiter, die 
hierokratisehe Gemeindeveifassung in die mosaische Zeit zu ver- 
setzen, weil sie das Königtum aussehliesst, und dann entweder 
die Geheimhaltung derselben während der ganzen Richter- und 
Königszeit zu behaupten oder mit dem Hebel der Fiktion die ge- 
samte überlieferte Geschichte aus den Angeln zu heben. 

Für einen einigermassen mit der Geschichte Vertrauten ist 
es nicht nötig nachzuweisen, dass die sogenannte mosaische 
Theokratie, die in die Verhältnisse der früheren Zeit nirgends 
hinein passt und von der die Propheten, auch in ihren idealsten 
Schilderungen des israelitischen Staates wie er sein soll, nicht 
die leis^te Spur einer Vorstellung haben, dem nachexilisehen 
Judentum so zu sagen auf den Leib geschnitten ist und nur da 
Wirklichkeit gehabt bat. Damals hatten die fremden Herrseher 
den Juden die Sorge für die weltlichen Geschäfte abgenommen, 
sie konnten und mussten sich rein den heiligen widmen, in denen 
man ihnen volle Freiheit liess. So ward der Tempel der aus- 
schliessliche Mittelpunkt des Lebens und der Tempelfürst das 
Haupt des geistlichen Gemeinwesens, dem auch die Verwaltung 
der politischen Angelegenheiten, so weit solche etwa noch der 



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Die Priester und Leviten. 157 

Nation Überlassen wurden, von selbst zufiel, weil es überhaupt 
keine andere Spitze gab'). Der Chronist lässt den zwei mal zwölf 
Generationen zu vierzig Jahren, welche man von der Befreiung 
aus Ägypten bis zum Tempelbau Salomo's und von da wiederum 
bis zur Befreiung aus Babylonien annahm, ebenso viele Hohe- 
piiester zur Seite gehen; die Amtsdauer dieser Hohenpriester von 
denen die Geschichte freilieb nichts weiss, ist an die Stelle der 
Regierung der Richter und Könige getreten, wonach ehedem ge- 
rechnet wurde (1, Chron. 5, 29ff.), Wie man in dem Ornate Aha- 
rons, an dem übrigens die Urim und Thummim fehlten (Neh. 7, 65), 
gewiasermassen die dem Volke Gottes zum Trost fiir die ver- 
lorene irdische Hoheit gebliebene transcendente Majestät ver- 
ehrte, erhellt aus Sirac. 50 und aus mehreren Angaben des Jo- 
aephus, z. B. Antiq, 18 4, 3. 20 1, 11. Unter der griechischen 
Herrschaft ward der Hohepriester Ethnarch und Präsident des 
Synedriums; nur durch das Pontifikat konnten die Hasmonäer 
zur Herrsebaft gelangen, aber indem sie dasselbe mit der vollen 
weltlichen Souveränetät verbanden, schufen sie ein Üilemma, an 
dessen Folgen sie untergingen. 



Fünftes Kapitel. 

Die Ausstattung des Klerus. 

Die Macht und Unabhängigkeit des Klerus läuft parallel 
mit seiner materiellen Ausstattung, hier wie dort lässt sich daher 
die gleiche Entwiekelung verfolgen. Ihre Stufen spiegeln sieh 
schon in der Sprache ab, in der graduellen Abstumpfung des 
eigentlichen Sinnes der Formel die Hand füllen, welche zu 
allen Zeiten für die Ordination gebraucht worden ist. Ursprüng- 
lich kann dieselbe nichts anderes bedeutet haben als die Hand 

') Sehr interessant und lelirreich ist die von Ewald erwiesene Correktur von 
Zachar. 6, 9— 15. Ebenso waren und sind gegenüber den Clialifen und 
Sultanen die Patriarchen die uaturgemäsäen Häupter der griechischen imd 
orientalischen Christen auch in weltlichen Angelegenheiten. 



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158 Geschichte des Cultng, Kap, 5. 

mit Gelde oder Gute füllen; wir habeu geeehen, dasa der Prie- 
ster einst von dem Besitzer des Heiligtums gegen Lohn angestellt 
wurde und nicht unabhängig von einem bestimmten Herrn seine 
Existenz auf die Gefälle gründen konnte, die von seinen Opfer- 
kunden eingingen. Als nun aber in dem judischen Eeich der 
späteren Zeit das levitische Erbpriestertum aufkam, da Mite 
ihnen nicht mehr ein Änderer die Hand, der das Eecht hatte sie 
■ ein- und abzusetzen, sondern sie fttllten sieh auf Gottes Ge- 
heiss selber die Hand; oder vielmehr sie hatten das zur Zeit 
Mose's ein für alle mal gethan, wie in dem mit dem Deuterono- 
mium gleichstehenden Einsätze Exod. 32, 26—29 gesagt wird. 
Dass dies bei Lichte besehen ein Widersinn ist, sich aber erklärt 
aus dem Streben, das Eingreifen des fremden Subjeets zu ent- 
fernen, liegt auf der Hand')- Hier indessen wird doch noch 
immer die Etymologie insoweit empfunden, dass sie unwillkür- 
lichen Anstoss erregt und zur Abänderung der Construction führt; 
zuletzt aber ist sie vollständig abgeblasst und verseh wunden: die 
Hand anfüllen bedeutet dann einfach einweihen. Bei Ezeehiel 
wird nicht nur dem Priester, sondern sogar dem Altare die Hand 
gefüllt (43, 26}; im Priestereodex ist hauptsächlich das Ab- 
etractum milluim in Gebrauch, mit ausgelassenem Subject und 
Object, als Name einer blossen Inaugurationsceremonie , die 
mehrere Tage dauert (Lev. 8, 33. Exod. 29, 35) , wesentlich in 
der Darbringung eines Opfers von Seiten des Einzuweihenden 
besteht und mit der wirklichen Handfüllung auch nicht im lose- 
sten Zusammenhange mehr steht (2. Chr. 13, 7 vgl. 29, 31). Das 
Verbum bedeutet dann nichts mehr und nichts weniger als diese 
Ceremonie vollziehen, und das Subjeet ist dabei ganz gleich- 
gültig (Lev. 16,32. 21, 10 Nuni. 3,3); nicht von der den Eitus 
ausfllhrenden Person hängt die Einsetzung ab, sondern von dem 
Ritus selber, von der Salbung Investitur und den übrigen For- 
malitäten (Exod. 29, 29). 

Dieser Wandel im Sprachgebrauch ist das Eeho der realen 
Veränderungen in der äusseren Lage des Klerus, die nunmehr 
näher ins Auge zu fassen sein werden. 

') In dem arabischen äjlXj ^ ist allerdings das Nomioalsuffix immer 
rcflexir, aber die Redensart wird auch ganz anders angewandt, in dem 
Sinne sieh die Eäude mit Beute ffillea (auch abs. Ham. 2S6, 8, 
und die Waffen zur Hand nehmen, mit V ''*'' Waffe. 



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Die Ausstattung des Klerus. 159 

I. 

1. Von den Opfern widmete man in alter Zeit einiges der 
Gottheit, das meiste verwandte man zu heiligen Mahlzeiten, an 
denen man, wenn ein Priester vorhanden war, natürlich aach 
diesen in irgend einer Weise teilnehmen Hess. Aber einen ge- 
setzlichen Anspruch auf bestimmte Fleischabgaben seheint der- 
selbe nicht gehabt zu haben. „Eli'e Söhne waren nichtsnutzige 
Leute und kümmerten sich nicht um Jahve noch um Recht und 
Pflicht der Priester gegen das Volk; so oft jemand opferte, so 
kam der Knecht des Priesters — das sind hier die 22000 Le- 
viten — , wenn das Fleisch kochte, mit einer dreizinkigen Gabel 
in der Hand und stach in den Kessel oder in den Topf, und alles 
was die Gabel heraufbrachte, nahm der Priester — so thaten sie 
allen Israeliten, die dort nach Silo hinkamen. Sogar bevor das 
Fett geräuchert war, kam der Knecht des Priesters und sprach 
zu dem Opfernden: gib Fleisch zum Braten her für den Priester, 
er will kein gekochtes von dir haben, sondern rohes, und sagte 
jener dann zu ihm: erst soll das Fett geräuchert werden und 
dann nimm dir wie du willst, so sprach er: neiii, jetzt gleich 
sollst du es geben, sonst nehme ich's mit Gewalt" 1. Sam. 2, 
12—16. Die Abgabe roher Fleisebstücke vor der Käucherung des 
Fettes gilt hiev als eine unverschämte Forderung, welche geeignet 
ist das Opfer Jahve's in Verachtung zu bringen (v. 17) und den 
Untergang der Söhne Eli's zur verdienten Folge hat. Erträg- 
licher ist es, aber auch schon ein Misbrauch, dass sich die Prie- 
ster gekochtes Fleisch aus dem Topfe holen lassen, dabei nicht 
einmal das beste sich aussuchend sondern die Wahl dem Zufall 
überlassend; sie sollen abwarten, was man ihnen gibt, oder sieh 
damit begnügen, dass man sie zur Mahlzeit einlade. Dagegen 
ist es nun im Deuteronomium „das Kecht der Priester an das '?i«»«. 
Volk" (18,3 = 1. Sam. 2, 12), dass ihnen ein Vorderbein die '^'^ 
Kinnladen und der Magen des Opfertieres zukommen; und dies ^V 
ist noch bescheiden gegenüber den Anspi-lichen, die sie nach 
dem Priestercodex haben, auf die rechte Keule und den Bug 
(Lev. 7, 34). Wohin der Lauf geht, sieht man; natürlich ist 
für das Judentum der Priestercodex massgebend geworden. 
Beiden Opfern galt seine Forderung; jedoch um alle Gerechtig- 
keit zu erfüllen, hielt man daneben auch die des Denteronomiums 



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160 GsBchichte des Cultus, Kap. 5. 

aufrecht,- indem man sie, gegen die klare Meinung und aleo 
gewiss erst in Folge stiäterer Bchriftgelelirter Rigorosität, nicht 
auf die Opfer, sondern auf die profanen Schlachtungen be- 
zog und auch von diesen den Priestern einen Teil gab, die 
Kinnladen (nach Hieronymus zu Mal, 2,3) einschliesslich der 
Zunge: also harmonistische Verdoppelung der Leistung^). 
In einer älteren Zeit bekamen die- Priester zu Jerusalem Geld 
' von ihren Kunden (Deut. 18, 8), hatten dafür aber die Pflicht 
'Wiw-den Tempel in Stand zu halten; man sieht daraus, dass dies 
'%» Geld eigentlich an das Heiligtum gezahlt und nur bedingungs- 
weise dessen Dienern Wberlassen wurde. Da sie die Bedingung 
nicht hielten, ward ihnen von König Joas auch das Geld ent- 
zogen (2. Reg. 12,7ff.). 

Die Mahlopfer sind im Priestercodex Nebensache, und was 
den Priestern hievon zufällt, ist geringfügig im Vergleich zu 
ihrer Einnahme aus den übrigen Opfeni, Das Mehl, wovon nur 
eine Handvoll auf den Altar gestreut wird, die Gebäeke und 
überhaupt die Minha bekommen sie ganz, ebenso die so häutig 
geforderten SUnd- und Schuldopfer, von denen Gott nur das 
Blut und Fett, der Darbringer aber gar nichts erhält; vom 
Brandopfer fällt wenigstens das Fell für sie ab (Ezech. 44, 29). 
Diese GeMle jedoch,, in ihrer bestimmten Form allesamt nicht 
als alt nachzuweisen und zum Teil nachweislich nicht alt, wer- 
den schon in der früheren Zeit Analoga gehabt haben, so dass 
sie nicht schlechthin als Steigerung des Einkommens betrachtet 
werden dürfen. Zur Zeit Josia's waren die Massoth eine Haupt- 
nahi-ung der Priester (2, Reg. 23, 9): sie rührten doch wohl 
grossenteils von der Minha her. Statt der Sund- und Schuld- 
opfer, die noch dem Deuteronomium unbekannt sind, gab es 
früher Sund- und Sehuldbussen als Geldzahlungen an die Priester, 
die freilieh gewiss nicht so regelmässig gewesen sein werden 
{2. Reg. 12, 17). Es ist als oh die blossen Geldzahlungen dem 
Gesetze zu profan seien, es musa bei der Sühne Blut vergossen 
werden. Dass von der 01a die nicht opferhare Haut dem 
Priester zutUllt, ist eine so natürliche Sitte, dass man sie für 
neu zu halten nicht geneigt sein wird, obwohl Ezechiel von 
dieser doch nicht wertlosen Gebühr stillschweigt f44, 28—31). 
Soweit sieh also in den Opfergefällen des Priestercodes 

') philo de praemiia sacerdotum § 3. Joseph. Ant. III, 9, 2. IV 4, 4. 



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Die Ausstattung des Klerus. 161 

Abweieliungeü gegen den früheren Gebrauch eonstatieren lasse«, 
sind sie zwar keinesfalls fiir bloss lokale Verschiedenheiten 
auszugeben, aber auoh im Ganzen und Grossen nicht gerade 
eine bedeutende Erhöhung der Taxe. Indessen, die Opfergefälle 
sind hier auch nur ein ziemlich untergeordneter Teil des Ein- 
kommens der Priester. Im Deuteronomium sind die letzteren 
darauf angewiesen, sie leben vom Opfer (18, 1) und von der Ein- 
ladung zu ' den heiligen Mahlzeiten (12, 12, 18f.); sie müssen 
hungern, wenn sie nicht fungieren (1. Sam. 2, 36). Dahingegen- 
die Aharoniden des Priestercodex brauchen gar nicht zu opfern 
und haben doch ihr Brot, denn ihre Haupteinuabme besteht in den 
reichen Naturalsteuern, welche ihnen geleistet werden müssen. 
2. Die Abgaben, welche nach dem Gesetze an die Priester 
fallen, waren allesamt ursprünglich Opfer, nämlieh die regel- 
mässigen Opfer, weiche zu den Festen gebracht werden mussten; 
und allesamt dienten dieselben ursprünglich zu heiligen Mahl- 
zeiten, Ton denen die Priester weiter nichts als den auch sonst 
üblichen Anteil bekamen. Dies gilt zunächst von den männ- 
lichen Erstgeburten des Viehs. Wie wir in dem Kapitel über 
die Feste gesehen haben, werden sie in dem jehovistisehen Ge- 
setze ebenso wie in der jehovistisehen Erzählung über den Aus- 
zug und Über Abel geopfert und zwar als Mahlopfer, wie alle 
von Privaten dargebrachten Opfer in alter Zeit, Wenn es Exod. 
22,29 heisst, sie sollen dem Jahve gegeben werden, so bedeutet 
das nicht, sie sollen den Priestern gegeben werden; von sol- 
chen wird im Bundesbuch nirgend etwas erwähnt. Ebenso stehen 
die Sachen im Wesentlichen auch noch im Deuteronomium; „du 
sollst sie dem Jahve heiligen und nicht pflügen mit der 
Erstgeburt deines Rindes noch die Erstgeburt deines Schafes 
scheren, vor Jahve sollst du sie verzehren alle Jahr an 
dem Ort den er erwählt; wenn aber ein Fehl daran ist, so sollst 
du sie nicht opfern dem Jahve deinem Gott" (15, 19f.). Dem 
Jahve heiligen, vor Jahve essen, dem Jahve opfern — sind hier 
ganz gleichwertige Begriffe, Wenn nun nach Num, 18,^5ff. aller 
erste Wurf ohne Umschweife dem Priester zugesprochen und 
daneben dann noch ein besonderes Passahopfer eingesetzt wird, 
so kann das nur als die letzte Phase der Entwickelung verstanden 
werden, teils weil überhaupt der Begriff der Abgabe im Vergleich 
zu dem des Opfers etwas Abgeleitetes ist, teils weil der gewaltige 



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162 Geschichte des Oultus, Kap- 5. 

Zuwachs in der Einnahme der Priester auf hierSkratische Macht- 
entfaltung hinweist. Ezeehiel zählt die Erstgeburten noch nicht 
unter den Einkünften des Klerus auf (44, 28—31); dagegen richtet 
sich die Praxis des Judentums wie gewöhnlich nach der Norm 
des Priestercodex; seit Nehem. 10,37. 

Auch der Zehnte ist ursprünglich Gott gegeben und ebenso 
wie die anderen Opfer behandelt, d. h. nicht von den Priestern, 
sondern von den Darbringern in heiligen Mahlzeiten verzehrt. 
In der jehovis tischen Gesetzgebung kommt er nicht vor, aber 
Jakob widmet ihn (Gen. 28, 22) dem Gott von Bethel, wobei trotz- 
dem dass_das Ganze Projection aus späterer Zeit ist, es doch 
schwerlieh im Sinne des Erzählers sein würde, an Priester da- 
selbst zu denken. Der Prophet Arnos, der in gleiche Linie ge- 
stellt werden darf, sagt; „kommt nach Bethel zu sündigen, nach 
Gilgal noch mehr zu sündigen, und bringt jeden Morgen eure 
Opfer, alle drei Tage eure Zehnten, und bringt auf Brot Fleisch- 
Btücke dar zur Flamme und rufet Freigaben laut aus — so liebt 
ihres ja, Haus Tsrael!" (4, 4 f.). Ironisch empfiehlt er ihnen, in 
ihren bisherigen Ansti-engungen zur Ehre Gottes fortzufahren und 
sie zu verdoppeln, täglich zu opfern,, statt wie es Sitte war 
(1. Sam. 1) jährlich an dem Hauptfeste, jeden dritten Tag zu 
zehnten, statt wie man pflegte, alle drei Jahre. Man sieht, dasa 
der Zehnte hier in einer Reihe mit Zebah Thoda und Nedaba 
steht; er ist ein Freudenopfer und ein glanzvolles Stück des 
öffentlichen Cultus, keine blosse Abgabe an die Priester, Auch 
in diesem Punkte nun hat das Deuteronomium die alte Sitte im 
Ganzen unverändert gelassen. Nach 14, 22 — 29 soll der Zehnte 
des Feldwuchses, oder auch der Erlös desselben in Gelde, von 
Jahr zu Jahr zum Heiligtume gebracht und daselbst vor Jahve, 
also als Mahlopfer, verzehrt werden; nur in jedem dritten Jahre 
soll er nicht in Jei-usalem geopfert, sondern als Almosen an die 
des Grundbesitzes entbehrenden Ortsangehörigen gespendet wer- 
den zu denen namentlich die Leviten gehören. Die letztere Ver- 
wendung ist eine Neuerung, die einerseits mit der Abschaffung 
der lokalen Cultusstätten zusammenhängt, andererseits mit der 
Tendenz des Deuteron omikers, die Festfreude zu humanen 
Zwecken zu benutzen '). Das ist aber noch nichts dagegen, dass 

') Anlehnang an eine ältere Sitte, wie wir sie für Arnos 4, 4 voraussetzen 
müssen, ist trotzdem möglich, ygl. 26,12 das Jahr des Zehntes. 



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Die AusstattiiDg des Klerus. 163 

nun im Priestercodex endlich der ganze Zehnte zu einer blossen 
von den Leviten einzusammelnden (Neh. 10, 38) Steuer an den 
Klerus geworden ist, dessen Ausstattung dadurch wiederum sehr 
beträchtlich verbessert wird. Ezechiel schweigt auch hierüber 
(44, 28—31), aber so wie der Zehnte im Buche Numeri (18, 21ff.) 
gefordert wird, hat ihn seit Nehemia (10, 38 f.) die Gemeinde des 
zweiten Tempels gegeben. Späterhin fügte man dazu dann noch, 
um der abweichenden Forderung des Deuteronomiums.zu genügen, 
den sogenannten zweiten Zehnten hinzu, der für gewöhnlich zu 
Jerusalem verzehrt und im dritten Jahr an die Armen gegeben 
wurde (so Sept. zu Deut. 26, 12), und am Ende entrichtete man 
sogar den Annenzehnten als dritten zu dem ersten und zweiten 
obendrauf (Tobith 1, 7. 8. Jos. Ant. 48, 22). 

Wahrhaft unerhört ist es, dass der Zehnte, der sich der Natur 
der Sache nach nur von Gegenständen festen Masses, von Korn 
Most und Öl versteht (Deut. 14,23), im Priestereodex auch auf 
das Vieh ausgedehnt wird, so dass neben den männliohen Erst- 
geburten auch noch das zehnte Stück von Rindern und Schafen 
an die Priester gezahlt werden muss. Jedoch findet sich diese 
Forderung noch nicht Num. 18 und ebenfalls noch nicht Neh. 
10, 38. 39, sondern erst in der Novelle Lev. 27, 32 (J. Sam. 8, 17). 
Ob sie in der Praxis des Judentums durchgedrungen ist, erscheint 
fraglieh; 2. Chron. 31, 6 wird der Viehzehnte zwar erwähnt, aber 
dafür die Erstgeburten nicht; in der vorrabbiuischen Literatur 
sind keine Spuren zu entdecken, insbesondere nicht bei Philo 
der nur den an die Leviten zu entrichtenden gewöhnlichen, aber 
nicht den an die Priester au entrichtenden Viehzehnten kennt 
(de praem. sacerd. § 6}." 

Mit dem Fi'uehtzehnten sind die Erstlinge in der Wurzel 
identisch , sie sind durch ersteren nur nachträglich auf ein be- 
stimmtes Mass gebracht. Dies wird der Grund sein, warum in 
der jehovistischen Gesetzgebung nicht beides neben einander ge- 
fordert wird, sondern nur eine dem freien Ermessen anheimge- 
stellte Gabe des Ersten und Besten von Korn Most und Ol, 
welche mit der Erstgeburt der Rinder und Schafe zusammenge- 
stellt wird (Exod. 22, 28. 34, 26. 23, 19). In ganz gleicher Be- 
deutung steht im Deuteronomium neben den Erstgeburten des 
Viehs der Zehnte des Feldes (14, 22 f. 15,19ff.). Aber auch 
die Keechith, die man durch Erstlinge zu Terdeutechen pflegt, 



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164 Geschichle des Gullus, Kap. 5. 

kommt im Deuteronomium vor, sie zwar als Abgabe an die Prie- 
ster, yon Korn Most 01 und Wolle (18,4); eine Kleinigkeit, ein 
Korb voll, wird dav^on yor den Altar gebracht und mit einer 
ßinnTollen Liturgie übergeben (26, 1 ff.). Es eeheint, dass sie von 
dem Zehnten abgenommen wird, wie aus 26, I2ff. als Fortsetzung 
von V, 1—11 gefolgert werden könnte; ausnahmsweise bricht 
26, 2 der allgemeinere Sprachgebrauch durch, wonach die Reschith 
die geheiligte Frucht überhaupt bedeutet, welche im GanzMi von 
den Darbringem vor Jahve verzehrt wird und von welcher die 
Priester nur einen Teil erhalten. Im Priestercodex aber wird 
nicht nur der ganze Zehnte als Abgabe an den Klerus gefordert, 
sondern ebenso daneben noch die Reschith (Num. 18, 12), und 
dieselbe wird dadurch vervielfacht, dass sie nicht bloss von der 
Tenne, sondern auch vom Backtrog gefordert wird: bei jeder 
Säuerung gebUhrt die Ilalia dem Jahve (15, 20). Damit aber 
nicht genug, sondern zu der Reschith (18, 12) kommen noch die 
Eikkurim (18, 13) als etwas Besonderes hinzu. Sonst findet sich 
der Unterschied nicht (Exod. 34, 26); es handelt sich immer bloss 
um präparierte Frllchte, um den Ertrag der Tenne und Kelter, 
wovon man den Vorlauf weihen sollte, „die Fülle und den Über- 
fluss". Das Fett von Ol Most und Korn ist auch in Num. 18 
die Hauptsache und heisst Reschith (v. 12) oder Theruma (v. 27); 
aber die Bikkurim (v. 13) scheinen doch davon getrennt zu wer- 
den, und wenn dies wirklich der Fall ist, so müssen diejenigen 
rohen Früchte damit gemeint sein, die am frühesten reif gewor- 
den sind. Das Judentum, welches sich hier abermals im Wesent- 
lichen durchaus nach der Vorschrift des Priestercodex richtet, 
hat in der That diese Distinktion gemacht; seit der Publikation 
des Gfesetzes durch Ezra ver]ifliehtete sich die Gemeinde, die 
Bikkurim jährlich hinaufzubringen zum Hause Jabve's, die Re- 
schith aber in die Tempelzellen abzuliefern (Neh. 10, 36. 38). 
Jenes war eine mit Processionen verbundene religiöse Feier, bei 
der man Deut. 26 als Ritual benützte, dieses mehr eine simple 
Naturalsteuer — ein Untersebied, der vielleicht mit den ver- 
schiedenen Ausdrücken sie sollen bringen (Num, 18,13) und 
sie sollen geben (18,12) zusammenhängt. Die Septuaginta 
hält ciirapx^ und TtpwTOYevv^ax« genau auseinander, ebenso Philo 
de praem. sac. § 1. 2 und Josephus Ant. 4 4, 4. 8,22. 

3. Es ist unglaublich, was am Ende alles abgegeben werden 



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Die Ausstattung des Klerus. J65 

niuBS. Was urspr[lngiicb neben einandei- hergelaufen war, wird 
zusammen gehäuft, was frei und unbestimmt gewesen, wird auf 
Mass gebracht und vorgeschrieben. Die Priester bekommen alle 
SUnd- und Scbuldopfer, den grössteu Teil der Tegetabilischen 
Zugaben, die Haut vom Brand-, Keule und Bug vom Mahlopfer. 
Ausserdem die Erstgeburten, sodann Zehnten und Erstlinge in 
doppelter Form, kurz alle Kodasebim, die frlllier bloes als regel- 
■ massige Mahlopfer gefordert (Deut. 12, 26 = v. 6. 7 u. a.) und 
freilich an heiliger Stätte und von geheiligten Gästen, aber nicht 
von dem Priester verzehrt wurden. Trotzdem wird dafür nicht 
etwa dem Klerus (wie von Ezeehiel dem Fürsten, der dort die 
Abgaben bezieht 45, ISff.) zugemutet den öffeutliehen Gottesdienst 
auf seine Kosten zu bestreiten, sondern dazu dient die Kopf- 
steuer, die im Kern des Priestercodex noch nicht angeordnet, 
aber seit Neb. 10, 33 in der Höhe von einem drittel Seekel ge- 
leistet uud in einer Novelle des Gesetzes (Exod. 30, 16) in der 
Höhe eines halben Seckels gefordert wird. 

II. 

1. Zu der Ausstattung des Klems im Priestereodex gehören 
endlich noch die aehtundvierzig Städte, welche ihm nach Mose's 
Anordnung von Josua zugewiesen worden sind (Num. 35. Jos. 21). 
Die Stämme geben sie gutwillig her, der kleine wenig, der grosse 
mehr (Num. 35, 8). In vier Abteilungen losen die Aharoniden 
und die drei Geschlechter der Leviten darum, jene treffen 
13 Städte in Juda, diese 10 in Ephraim-Manasse, 13 iu Galiläa 
und 12 im Ostjordanlande- Nicht etwa bloss die Wobnbereehti- 
gung, sondern, trotz allem apologetischen Rationalismus, den 
vollen Besitz erhalten sie an denselben (Jos. 21, 12), einschliess- 
lich einer als Gemeinde-anger dienenden Feldmark von 2000 Ellen 
im Quadrat — Quadrat im ganz eigentlichen Sinne gefasst 
(Num. 35, 5). 

Die eachliche Unmöglichkeit dieser Einrichtung hat nach 
Grambergs Vorgange Graf mit schlagenden Gründen erwiesen 
(Merx Archiv I S.83). Die4xl2 oder statt dessen 13-|- 10+13+12 
Städte, von denen trotz Num, 35, 8 gewöhnlich vier auf je einen 
der zwölf Stamme fallen, reichen schon hin den Verdacht künst- 
licher Mache zu begründen; vollends die Bestimmung, dass ein 
quadratischer Bezirk von 2000 Eilen Seitenlange rings um die 



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166 Geschichte des Cultus, Kap. Ö. 

Stadt, die 4abei (Num. 35, 4) rein als Purkt betrachtet wird, zur 
Viehtrift fitr die Leviteu abgemessen werden solle, liesse sich, 
um mit Graf zu reden, wohl etwa in einer südruasisehen Steppe 
oder bei neu zu gründenden Städten im Westen Nordamerika's, 
nicht aber in dem gebirgigen Palästina ausfuhren, wo ein solcher 
geometrisch abzumessender Baum gar nicht vorhanden ist und 
es keineswegs von willkürHehen Gesetzesbeetimmungen abhängt, 
welche Grundstücke sich zn Viehweideu und welche sieh zu 
Feld- und Gartenbau eignen, wo auch die Städte schon bestan- 
den, das Land schon bebaut wai, als die Iwaeliten es im Laufe 
der Jahrhunderte eroberten. Geschichtliche Spuren von dem 
Vorhandensein der Levitenstädte hnden sieh deun auch seit 
Josua nirgend. Eine ganze Anzahl deiseiben war noch in den 
Tagen der Richter und bis in die erste Königszeit im Besitz 
der Kanaaniten, so Gibeon Sichem Gezer Thaanaeh, einige 
mögen sogar stets darin verblieben sein. Die aber in die Hand 
der Israeliten tibergingen, gehörten zu keiner Zeit den Leviten. 
Sichem Hebron Ramoth waren die Metropolen von Ephraim 
Juda und Gilead, ebenso Gibeon Gezer Hesbon wichtige und 
keineswegs geistliche Städte. In der deuteronomischen Periode 
lebten die Leviten in der Weise über Juda verstreut, dass jeder 
Ort die seinigen und den seinigen hatte, nirgends wohnten sie 
abgeschlossen in eompakten Massen zusammen, da sie sich ja 
vom Opfern fttr andere nährten und ohne Gemeinde ihren Be- 
ruf nicht ausüben konnten. Einzelne hatten wohl Land und 
Erbe; wie einst die silonische Familie zu Gibeath-Pinehas Amasia 
zu läethel und Abiathar zu Anatbotb, "so in späterer Zeit Jeremia 
gleichfalls zu Anathoth. Aber eine Priesterstadt im Sinne von 
Jos, 21 war z. B. Anathoth darum noch nicht, Jeremia hatte dort 
sein Grundstück als Bürger und nicht als Priester und teilte 
nicht mit den Priestern, sondern mit dem Volke (37,12). Als 
Stamm unterschied sich Levi eben dadurch von den anderen 
Stämmen, dass er kein Land hatte und seine Glieder meist nur 
als Inquiliuen den angesessenen Bürgern und Bauern sieh an- 
schlössen (Deut. 10, 9. 18, 1). 

Auch nach dem Exil ward es freilieh in dieser Beziehung 
nicht anders als es vorher gewesen war. Ab excidio templi 
prioris sublatum est Levitie ius suburbiorum, sagt R. Nachman 
(b. Sota 48"), und das Schweigen von Neb. 10 gibt ihm Recht, 



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* Die Ausstattung des Klerus. 167 

Man verschob die AusfUlirutig des Gesetzes wahrseheinlich auf 
die Zeit des Messias, sie stand iu der That nicht in der Men- 
sehen Macht und kann Tom Priestercodex selbst nicht im Ernst 
gefordert sein, da er ein rein ideales Israel mit idealen Grenzen 
dabei vor Augen hat und von der Wirklichkeit so weit abstrahiert, 
dasB er Jerusalem, den geschichtlichen Hauptsitz der Priester, 
aus archaistischen Gründen gar nicht mit aufführt. 

Dieser Umstand nun, dass nämlich diese Städte iu pailibus 
infidelium lagen, scheint sie als Handhabe für die Altersbestim- 
mung des Priestercodex unbrauchbar zu machen. Mau kann 
wie Bleek die geschieh tliohe Transcendenz als Mosaicität aus- 
legen, dagegen ist niclit anzukämpfen. Man kann aber auch ia 
der Weise Nxildeke's geltend machen, eine so kühne Erfindung 
lasse sich dem Geiste der exiliscben und nachexilischen Zeit 
nicht zutrauen, der überall nur ängstlich an daw Alte sich an- 
klammern und es zu restaurieren beflissen sei ; dies verdient und 
gestattet eher eine Widerlegung. Es ist nämlich nicht an dem, 
dass die Juden der Restauration vor ihrer alten Geschichte Ee- 
speet gehabt hätten, sie verurteilten vielmehr die ganze frühere 
Entwickelung und Hessen nur die mosaische Zeit nebst ihrem 
davidischeu Abglanz gelten, d. h. also nicht die Gesehiehte, son- 
dern die Idee. Die theokratisehe Idee stand seit dem Exil im 
Mittelpunkt alles Denkens und Strebens, und sie veniichfete den 
objeetiven Wahrheitssinn, die Achtung und das Interesse für den 
überlieferten Sachverhalt. Es ist bekannt, dasS es nie dreistere 
Geschiehtsmacher gegeben hat als die Rabbinen. Die Chronik 
aber liefert hinreichende Proben, dass diese schlimme Disposition 
in sehr frühe Zeit hinaufreicht, wie denn ihre Wurzel, der do- 
minierende Einfluss des Gesetzes, die Wurzel des Judaismus selber 
ist. Der Judaismus also ist für ein solches Kunstgewäehs, wie 
die achtundvierzig Priester und Leviteustädte sind, gerade der 
geeignete Boden. Einem Autor, der in der Königszeit, noch in 
der Continuität der alten Geschichte lebte, würde es schwer ge- 
fallen sein, 80 gänzlich von allen Bedingungen der damaligen 
Wirklichkeit zu abstrahieren, er wUrde dadurch auf seine Zeit- 
genossen keinen anderen Eindruck gemacht haben als dass sie 
ihn für nicht recht klug gehalten hätten. Nachdem aber durch 
das Exil das alte Israel vernichtet und der natürliche Zusammen- 
hang mit den Zuständen des Altertums gewaltsam und gründlieh 



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168 Oeschichte des Cultug, Kap. 5. 

durch schnitten war, stand nichts im Wege, die tabula rasa in 
Gedanken beliebig anzupflanzen und auszustaffieren, etwa so wie 
es die Geographen mit den Landkarten zu machen pflegen, so 
lange die Gegenden unbekannt sind. 

Weiter nun ist bekanntlich keine Phantasie reiue Phantasie, 
einer jeden liegen irgendwelche reale Elemente zu Grunde, bei 
denen sie sieh fassen lässt, seien es auch nur gewisse herr- 
schende Vorstellungen eines Zeitalters. Es ist klar, wenn dem 
Klerus ein eigenes Gebiet zugesprochen wird, so ist die Vor- 
stellung von dem geistliehen Stamm, die im Deuteronomium eben 
anfängt Wurzel zu sehlagen, hier bis zu dem Grade ausge- 
wachsen und erstarkt, dass auch der letzte nnd ausschlag- 
gebende Unterschied fortgeschafft wird, welcher die wirklichen 
Stämme gegenüber den Leviten auszeichnet, die communale 
Selbständigkeit und die Dichtigkeit der Consistenz, welche in 
abgeschlossenen Sitzen zum Ausdruck gelangt. Denn dass es 
trotzdem im Priestercodex heisst, Aharon und Leyi sollen kein 
Teil und Erbe haben in Israel (Num. 18, 20. 23), das ist nur eine 
aus dem Deuteronomium beibehaltene Redensart und zugleich 
eine unwillkürliche Concession an die Wirklichkeit: was sollen 
denn diese aehtundvierzig Städte, hätte es sie wirklich gegeben 
anders sein als ein Los, als ein Landgebiet und zwar ein ver- 
gleichsweise sehr bedeutendes? Lässt sich insoweit die allge- 
meine Basis erkennen, welche der historischen Fiktion zur Vor- 
aussetzung dient, so kann man auch einen näheren Einblick in 
das concreto Material derselben gewinnen. Die Priester- und 
Levitenstädfe hängen mit den sogenannten Freistädten zusam- 
men. Diese werden nun auch im Deuteronomium angeordnet 
(Kap. 19), nur noch nicht namentlich aufgeftihrt — denn Deut. 4, 
41 — 43 kann nicht als genuin in Betracht kommen. Ursprüng- 
lich waren die Altäre, Asyle (Exod. 21, 14. 1. Reg. 2,28), einige 
in höherem Grade als andere (Exod. 21,13). Um nun nicht mit 
den Altären zugleich auch die Asyle abzuschaffen, wollte der 
deuteronomische Gesetzgeher einzelne heilige Orte als Zufluchts- 
städte fortbestehen lassen, vorläufig drei für Juda, zu denen 
wenn sich das Gebiet des Reichs erweiterte noch drei andere 
hinzukommen sollten. Der Priestercodex nimmt diese Einrich- 
tung herüber und nennt drei bestimmte Städte diesseit und drei 
jenseit des Jordans (Num, 35. Jos. 20) — vier davon sind nach- 



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weislich berühmte alte Cultuestätten , nämlich die sämtlichen 
drei westlichen und von den ösilichen Ramoth d. i. Mispa . 
(Gen. 31. Jud. 11, 11). Alle diese Asyle sind nun aber zugleich 
Priester- und Leviten städte; die Vermutung liegt nahe, dass die- 
sen auf eine ähnliche Weise alte Heiligtümer mögen zu Grunde 
gelegen haben. Es soll damit nur das Nachklingen einer allge- 
meinen Erinnerung behauptet werden, dass es einst in Israel 
viele heilige Orte und Sitze von Priesterschaften gegeben hatte, 
nicht gerade, dase jeder einzelnen der Jos. 21 aufgefllhrten 
Städte wirklich ein altes Heiligtum entspreche. Vielfach läset 
sieh dies jedoch allerdings nachweisen'), obwohl einige der be- 
rühmtesten oder für den späteren Standpunkt bertiohtigsten Ba- 
moth, wie läethel Dan Gilgal und Beereeba, wahrscheinlich mit 
Absicht übergangen sind. 

i ist vielleicht der nächste Auegangspunkt für diese 
n die Leviten bei dem Propheten Ezechiel zu 
suchen, in dem Bilde, welches er zum Schlues von dem zukünf- 
tigen Israel entwirft. Ausführlieh beschäftigt er sieh da auch 
mit der Absteckung der Grenzen des Volkes und der Stämme, 
wobei er ganz frei zu Werke geht und gewissermaesen nach 
der Elle zusehneidet. Während er das Land östlich vom Jordan 
den Saracenen überläset, teilt er das westliche in 13 parallele 
Querstreifen; in der Mitte des (übrigens dem Fürsten zugewie- 
senen) dreizehnten, der zwischen Juda und Benjamin sich er- 
streckt , treten die zwölf Stämme ein Quadrat von 25000 Ellen 
als heilige Abgabe an Jahve ab. Dieses wird in drei von West 
naeh Ost laufende und somit in dieser Biehtung 25000 Ellen 
lange Oblonga zerlegt, davon umfasst das südliehe, 5000 E, breit, 
die Eeicbestadt nebst Gemarkung, das mittlere, 10000 E. breit, 
den Tempel und das Gebiet der Priester, das nördliche, gleioh- 

') Bei Hebron Gibeon Sichern Ramoth Malianaim und Tliabor (Uos. 5, 1) 
durch geschichtliche Nachrichten, bei Bethsemes Ästharoth Kedes, vielleicht 
auch Rimmona, durch die Namen. Cousequente historische Treue wird 
mau freilich auch hier dem Priestercodei uicht zutraueu dürfen. Was 
Hoa. 5, 1. 3 angeht, so scheint der ursprüngliche Sinn zu sein: ,ein Fall- 
etrick seid ihr geworden für Uispa und ein ausgebreitetes Netz auf dem 
Thabor und die Fallgrube von Sittim (C^EIIT! nntf) haben sie tief ge- 
macht". Sittim ist als Lagerstätte unt«r Mose und Josua sieber ein. 
Heiligtum, 90 gut wie Kades, Gilgal und Silo; der Prophet führt solche 
Statten an, an denen nach seiner Meinung der (Jultus besouders ver- 
lockend und seelenmörderisch ist; den Vorwurf macbt er den Priestern, 
die das Subject der Aussagen sind. 



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170 Gescbichte des CuKus, Kup. 5, 

falls 10000 E. breit, das Erbe und die Städte der Leviten'). 
Also ebenfalla eine Landabgabe von Seiten der Stämme an den 
Klerus; die Vergleiebuiig mit Joe. 21 ist nicht abzuweisen, um 
80 weniger, da sonst im Alten Testament sieli nirgend Ahnliches 
findet. Ezechiel nun ist ganz durchsichtig und aus sieb zu rer- 
steheo. Damit der Tempel in seiner Heiligkeit aufs beste ge- 
schützt werde, kommt er in die Mitte des Priestergebietes zu 
liegen, welches seinerseits wieder von der Stadt im Süden und 
von den Leviten im Norden gedeckt wird. Zugleich soll auch 
das Cultuspersonal selber mögliehst abgeschieden auf eigenem 
Grund und Boden wohnen, derselbe soll ihnen dienen zu 
abgesonderten Häusern sie zu heiligen, wie es für die 
Priester 45, 4 ausdrücklich bemerkt wird und in abgestuftem 
Mass natUrlieb auch filr die Leviten ihnen zur Seite gilt. Vom 
Tempel geht hier Alles aus und erklärt sieh Alles. Sein 
Original ist unrerkennbar der salomonische; er liegt bei der 
Hauptstadt, im Centrum der heiligen Mitte des Landes zwischen 
Juda und Benjamin, dort haben die Söhne Sadoks ihren Sitz 
und daneben die Leviten, welche Josia aus dem ganzen Lande 
nach Jerusalem Übergeführt hatte. Man sieht, hier liegen die 
Motive auf der Hand. Dahingegen im Priestercodex, der nicht 
in der Lage war die Zukunft frei von der Gegenwart aus zu 
gestalten, sondern gezwungen, sich archaistisch zu verbrämen, 
sind dieselben historisch verdeckt und fast paralysiert. Die 
Wirkung ist geblieben, nämlich der abgeschlossene Landbesitz 
des Klerus, aber die Ursache oder der Zweck, durch die Ab- 
straction vom Heiligtum, nicht mehr zu erkennen, Jerusalem 
und der Tempel, die eigentlich treibende Kraft der ganzen Ein- 
richtung, werden mit einer höchst autfallenden Geflissentlicbkeit 
in Stillschweigen begraben, und dagegen, in Beminiseenz der 
früher überall an den israelitischen Bamoth zerstreuten Priester- 
Schäften, acbtundvierzig anderweitige Levitenstädte creirt, denen 
aber ihr eigentlicher Mittelpunkt, nämlich ein Heiligtum, entzogen 
ist. Nur darin, dass die Aharoniden sich zu^llig gerade die 
dreizehn jüdisch -benjaminitischen Städte erlosen, bricht denn 
doch unwillkürlich der Einfluse Jerusalems durch. 

') Für PDIT^ □^"Itl'y 45i 5 lies iQit LXS raü''? D^iyC' Thore zu wohnen. 
Vgl. Sept. 42, 3 me gleiche Umatellung der Buchataben. Der Ausdruck 
Thore für Städte ist durch das Deute ronomium v — '"' 



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Die Ausstattung' des Klerus. 171 

ihen Ton dieser liistorischen Fiktion sind die 
llbrigeu Ansprüche betreffs der Ausstattung des Klerus, so exor- 
bitant sie sind, doeb ausführbar und ernst gemeint. Man steht 
ihnen gegenüber, was die Umstände ihrer Genesis betrifft, vor 
zwei Möglichkeiten. Entweder die Priester forderten, was sie 
zu erlangen hoffen konnten; dann hatten sie thatsäohlieh die 
Herrschaft über das Volk. Oder sie stellten Forderungen, die 
zu ihrer Zeit weder berechtigt noch überhaupt möglich waren: 
dann waren sie zwar nicht bei Sinnen, zugleich aber doch so 
prophetisoh nüchtern, dass Jahrhunderte später ihre geträumten 
Einkünfte in wirkliehe sich verwandelten. Soll etwa Mose seinem 
in der Wüste notdürftig da's Leben fristendem Volke zugemutet 
haben, fljr eine übermässig reiche Dotierung des Klenis zu sor- 
gen? oder glaubt man, in der Riehterperiode, wo die einzelnen 
israelitischen Stämme und Geschlechter, nachdem sie sich zwi- 
schen die Kanaaniter eingedrängt. Mühe hatten ihre Position zu 
behaupten und sich in den neuen Wohnsitzen und Verhältnissen 
einigermassen einzuwurzeln, sei der Gedanke aufgetaucht, der- 
gleichen Steuern zu erheben von einem Volke, das erst zusam- 
menwuchs, zu einem Zweck, der ihm durchaus ferne lag? welche 
Gewalt hätte denn damals, wo jeder that was ihm recht schien, 
den Einzelnen vermögen sollen zu bezahlen? Als aber wirklich 
unter dem Druck der Umstände eine politische Organisation, 
welche die sämtlichen Stämme umfasste, zu stände gekommen 
war, auch da konnten die Priester schwerlieh darauf verfallen, 
den weltlichen Aim als Mittel zu benutzen, um sich selber eine 
souveräne Stellung zu geben; und ohne den König konnten 
sie, bei ihrer völligen Abhängigkeit von ihm, noch weniger die 
Rechnung machen. Kurzum die Ansprüche, welche sie im Ge- 
setz erheben, würden sich in der vorexilischen Zeit im eigent- 
lichen Sinne utopisch ausgenommen haben; sie erklären sieh 
nur aus den Verhältnissen, wie sie seit der chaldäischen und 
noch mehr seit der persischen Fremdherrschaft sieh anliessen 
zur Ausbildung einer Hierokratie, der das Volk als der wahrhaft 
nationalen und dazu auch göttlichen Obrigkeit fi'eiwilligen Ge- 
horsam entgegenbrachte und der auch die Perser Rechte ein- 
räumten, die sie der Familie Davids nicht verstatten mochten. 
Gleich im Anfange des Exils beginnt Ezechiel die Einkünfte der 
Priester zu steigern (44,28—30); doch hält er sieh im ganzen 



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172 fiescliichte des Cultus, Kap. 5. 

noch an (3as Mass des Deuteronomiums und erwähnt nichts von 
Zehnten und Erstgeburten. Von den Forderungen des Piiester- 
codcx im vollen Umfange hören wir geschichtlich zum ersten 
male in Neh. 10; da wird berichtet, dass sie von Männern, welche 
die Autorität des Ärtaxerses hinter sich hatten, durchgesetzt 
wurden. Es ist dies mit das schwerste und zugleich wichtigste 
Stück in der Arbeit, welche Ezra und Nehemia bei der Ein- 
führung des Pentateuchs als Gesetzes der jüdischen Gemeinde 
hatten; darum ist so speeiell und so aasfuhrlich davon die Rede. 
Hier liegt offenbar die materielle Basis der Hierokratie, vou wo 
aus ihr Haupt schliesslich auf den Königsthron gelangte. 

Denn alle diese Abgaben, abgesehen vou den Opfergeföllen, 
flössen in eine gemeinsame Casse und kamen denen zu gut, die 
über letztere zu verfügen hatten, d. h. dem Pfiesteradel zu Jeru- 
salem, dem sie zu einer wahrhaft fürstlichen Stellung verhalfen. 
Die gewöhnlichen Priester und gar die Leviten hatten nichts 
davon. Die letzteren sollten zwar nach dem Gesetz den Zehnten 
bekommen und davon nur wiederum den Zehnten an die Aharo- 
niden abtreten, aber wie überhaupt die Richtung der Zeit dahin 
ging, sie herabzodrücken, so ward ihnen allmählich auch dieses 
gesetzliche Einkommen entzogen und von den Priestern ange- 
eignet. Weiterhin nahmen dann die Erzpriester den Zehuten 
für sich allein in Besehlag, während ihre niederen Standesge- 
nossen bitteren Mangel und selbst Hunger litten (Jos. Ant. 20 
8, 8, 9, 2). 

Zum Schiusa sei noch ein Einwurf erwähnt, der neuerdings 
auf Grund der eben angegebenen Differenz der späteren Praxis 
vom Gesetz gegen die Ansetzung desselben in der babyloniseh- 
persischen Periode gemacht worden ist. „Ein anderes Zeugnis 
der Überlieferung sehliesst Abfassung der elohistischen Thora 
(d. h. des Priestereodex) durch Ezra geradezu aus. Es ist be- 
kanntlich die eiohistisehe Thora , weiche das Verhältnis der 
Priester und Leviten zu einander geflissentlich ordnet, während 
das Deuteronomium beides ohne den Unterschied hervorzuheben 
zusammenfasst. Jene ist es, welche den Leviten den Zehnten 
zuweist, sie jedoch verpflichtend den Zehnten von ihrem Dienst- 
zehnten als Hebe an die Priester abzugeben. So war auch bald 
nach dem Exil [d. h. 100 Jahre später Neh. 7,5] die Praxis . . . 
(Neh. 10, 38ff.). Weiterhin aber kam die Entrichtung des Zehn- 



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Die Ausstattung des Klerus. 173 

ten an die Leviten ganz ausser Brauch, man entrichtete den 
Zehnten unmittelbar und nur an die Priester, so dass Jose hen 
Chanina geradezu bekennt: wir geben den Zehnten nicht nach 
G-ottes Anordnung (Sota 47 "). Überall aber ftlhrt der Thalmud 
diese Praxis auf Ezra zurück, Ezra soll es gewesen sein, 
welcher die Leviten durch Entziehung des Zehnten strafte und 
zwar weil sie nicht aus Babel heimgekebrt waren (Jeham. 86*. 
Chullin ISl"), Wir constatieren, dass Ezra eine Vorschrift der 
elohistiachen Thora nach traditionellem Zeugnis antiquiert hat, 
indem er sieh dabei vielleicht auf die deuteronomisehe Thora 
stützte." So Delitzsch in der Zeitscbr. fUr luth. Theol. 1877 
S. 448f. Dass Ezra nicht der Verfasser des Prieetereodex ist, 
soll bereitwilligst zugestanden werden — nur nicht auf dies 
Argument bin. Wenn die Überlieferung, die mit Recht diesen 
edlen Namen verdient, den Ezra ausdrücklich als Einführer 
des Levitenzehntena gerade nach der Vorschrift des Gesetzes 
nennt (Neh. 10, 38ff.), welcher gewisseubafte Mensch darf dann 
etwas darauf gehen, dass der Thalmud es besser weiss? 

Aber nehmen wir an, die von der gesetzliehen Vorsehi-ift 
differierende Praxis reiche wirklieh bis auf Ezra zurück, was 
würde daraus gegen den nach exi lisch en Ursprung des Pnester- 
eodex folgen? denn auf diesen kommt es an, nicht auf die Ab- 
fassung durch Ezra, die nur von der durehsiehtigen Angriffs- 
taktik jenes Theologen zur Hauptsache gemacht wird. Die 
Forderungen des Priestercodex, die vor dem Exil nachweislich 
weder gestellt noch irgendwie erfüllt worden sind, erlangten 
100 Jahre nach der Rückkehr aus Babylon Gesetzeskraft 
(Neh. 10), das ganze Abgabensystem des Judentums basierte 
allezeit darauf — soll das gar nichts besagen in Vergleich zu 
der Kleinigkeit, dass der Zehnte zwar auch durchaus in Über- 
einstimmung mit dem Priestercodex und im Widerspruch zu der 
alten Sitte an den Klerus abgegeben wurde, aber niebt dem 
niederen, sondern dem höheren zu gute kam? 

Besser in der Tbat als diese hätte jede andere Differenz 
der jüdischen Praxis vom Gesetz gegen die Thesis Grafs geltend 
gemacht werden können, z. B. das Feblen der ürim und Tbummim 
(Neh. 7, 65) oder der achtundvierzig Levitenstädte, die Gemeinde 
der zurückgekehrten Exulanten statt der Gemeinde der zwölf 
Stämme Israels, der zweite Tempel statt der Stiftsbutte, Ezra 



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174 Geschichfe des Cultus, Kap, 5. 

statt Mose, die Söhne Sadoks statt der Söliue AfaaroDS, item die 
Abwesentieit der übrigen Merkmale der Mosaieität. Denn mit 
jenem Punkte wird gerade die Aehillesferse des Priestercodex 
berührt. Wenn die Leviten späterhin noch weiter unter die 
Priester herabgedrüekt und gegen sie benachteiligt werden, so 
setzt das doch den Untereehied zwischen beiden voraus: weise 
man also erst nach, dass dieser dem genuinen Alten Testament 
hekannt ist und dass insonderheit Ezeehiel ihn nicht als neu, 
sondern als urantanglich gegeben einfährt. Oder bedeutet die 
primäre Tbatsache, dass die Kluft zwischen Priestern und Leviten 
nur im Priestereodex und im Judentum aufgerichtet und in ihrer 
Genesis seit Josia mit Sicherheit verfolgbar ist, weniger als die 
sekundäre, dass dieselbe in der weiteren Entwickelung des 
Judentums sich noch etwas verbreitert hat? ist denn nicht die 
Consequenz Folge des Priacips? Aber — ganz zutraulich stellt 
Delitzsch den Satz an die Spitze: „es ist bekanntlich die elo- 
histische Thora, welche das Verhältnis der Priester und Leviten 
zu einander geflissentlich ordnet, während das Dentevonomium 
beides ohne den Unterschied hervorzuheben zusammenfasst", 
und auf dem Grunde dieser vorsichtigen Haimlosigkeit wirbelt 
er dann, um den Daum an der Wurzel zu treffen, einen Stein 
in den Wipfel, der auf ihn selber zurllck lallt. 



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II. 
Geschichte der Tradition. 



Hesiod. Operae 40. 



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Sechstes Kapitel. 
Die Chronik. 

Unter dem Einfluss des Zeitgeistee ist der gleielie, ursprtlng- 
lieli aus Einer Quelle geflossene Überlieferungsstoff sehr yer- 
sehieden aufgefasst und geformt worden, anders im neunten und 
achten Jahrhundert, anders im siebenten und sechsten, anders 
im fünften und vierten. In der selben Ordnung nun, wie die 
Schichten der Gesetzgebung, folgen sich auch die Schichten der 
Tradition, Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Tradi- 
tion sagenhaft oder historisch ist, oh sie vorgeschichtliche oder 
geschichtliche Zeiten betrifft: der Wechsel der herrsehenden 
Ideen prägt sich gleiehmässig hier wie dort aus. Dies fttr den 
Hesateuch nachzuweisen ist allerdings unsere Hauptabsicht; aber 
den Anfang machen wir vielmehr mit den eigentlich historischen 
Biiehem. Denn aus verschiedenen Gründen können wir hier 
mit grösserer Gewissheit behaupten: dies Ansehen hatte die Ge- 
schichte in dieser, jenes in jener Periode, diese und jene Ein- 
flüsse herrschten hier und dort. 

Wo die Sache am klarsten liegt, setzt die Untersuchung 
ein, nämlich bei der Chronik, Die Chronik, mit den Büchern 
Eüra und Nehemia eigentlich zusammengehörig, geht im Stoff 
vollkommen den Büchern Samuelis nnd der Könige parallel, 
und wir sind hier in der günstigen Lage, die Vergleichungs- 
objeete nicht erst wie gewöhnlieh durch Quellenseheidung ge- 
vrinnen zu müssen, sondern sie von vornherein, sicher begrenzt, 
vor uns zu haben. Was aber mehr ist, wir können sie auch 
ziemlich sicher datieren. Die Bücher Samuelis und der Könige 



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178 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

sind im babylonischen Exil redigiert, die Chronik dagegen ist 
wohl 300 Jahre später verfasst, nach dem Untergänge des per- 
sischen Reichs, schon mitten aus dem Judaismus heraus. Es 
soll nun gezeigt werden, dasa es lediglich der Zeituntei-sehied 
ist, welcher die abweichende Darstellung des selben Gegenstan- 
des auf der früheren und auf der späteren Stufe erklärt, und 
dass der Unterschied im Geist der Zeiten beruht auf dem in- 
zwischen eingetretenen Einfluss des Priestercodex. Ich fusse 
durcbgehends auf de Wette's kritischem Versuch über die Glaub- 
würdigkeit der Bücher der Chronik (Beiträge 1 1806); diese Ab- 
handlung ist von Graf (Gesch. Bücher des Alt. Test. S. 114ff.) 
nicht verbessert, denn die Schwierigkeit ist hier nicht, die 
Einzelheiten aufzutreiben, sondern einen Gesammteindruek zu 
geben und des überreichen Stoffes Herr zu werden. Und das 
hat de Wette viel besser verstanden. 

I. 
1. Nachdem Jahve den Saul getötet hatte, so beginnt die 
Erzählung der Chronik, wandte er das Königreich dem David 
ben Isai zu; ganz Israel versammelte sich zu ihm nach Hebron 
und salbten ihn zum Könige nach dem Worte Jahve's durch 
Samuel (1. Chron. 10, 1—11, 3). Wie einfach und glatt, wie 
ganz ohne menschliches Zutun hat sich darnach die Sache ge- 
macht! Anders iu der Eelation des Buches Samuelis. Diese 
enthält zwar wörtlich auch den Berieht der Chronik, aber noch 
einiges mehr, wodurch die Sache ein ganz anderes Aussehen 
gewinnt. Auf der untersten Stufe zum Königtum ist David hier 
der Bandenführer in der Wüste Juda, der schliesslich durch 
Sauls Verfolgungen gezwungen wird auf philisthäisches Gebiet 
überzutreten und dort unter dem Schutz der Feinde seines Volks 
sein Freibeuterleben fortsetzt. Nach der Schlacht von Gilboa 
benutzt er die Auflösung des Reichs, um als Vasall der Phi- 
lister im Süden ein PartikularfQrstentum zu errichten; er wird 
nicht erwählt, sondern mit 600 Mann hinter sich kommt er und 
trägt sich den Ältesten Juda's an, die er schon früher durch 
allerlei Gefälligkeiten und Geschenke sieb verbunden hat. In- 
zwischen erhält Sauls Vetter, Abner, vom Reich was zu erhalten 
ist, nicht für sich, sondern für den rechtmässigen Erben Isbaal; 
von Gilead aus, wohin er nach der grossen Katastrophe die 



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Die Chronik. 179 

Regierung verlegt hat, erobert er aHmählich das Westjordanland 
zurliek und trachtet daruach, auch das loegerisseue Juda wieder 
zu gewinnen. So kommt es zu langwierigen Kämpfen zwischen 
Ahner und Dayid, worin das Glilck mehr auf Seiten des letzteren 
ist; doeii tritt er nicht aus der Defensive heraus und erwirbt 
nicht etwa im Kampfe die Herrschaft über Israel. Sie wird 
ihm vielmehr durch Verrat in die Hände gespielt. Abner selbst, 
über den Undank seines königlichen Neffen erzürnt, bietet dem 
Nebenbuhler die Krone an und tritt dieserhalb mit ihm in 
Unterhandlung, aber da er gleich darauf der Blutrache zum 
Opfer fällt, so wird nichts daraus, bis Isbaal heimtückisch im 
Schlaf von zweien seiner Hauptleute ermordet wird: da erst 
kommen die Altesten von Israel nach Hebron und da erst wird 
David König über das Keich Sauls. Wie viel Zeit gebrauchen 
die Dinge, wie natürlich entwickeln sie sich, wie viel Mensch- 
liches läuft mit unter, List und Verrat und Krieg und Mord! 
Der Chronik ist das Alles zwar wohl bekannt, wie aus gelegent- 
lichen Äusserungen in Kap. 11 und Kap. 12 erhellt, aber es wird 
verech wiegen. Unmittelbar nach seines Vorgängers Tode wird 
der Sohn Isai's von ganz Israel aus freien Stücken zum Könige 
gemacht, nach dem Worte Jahve's durch Samuel. Anders lässt 
sich die Folge von 10, 13. 14 11, 1 nicht verstehen, anders ist 
sie auch nicht verstanden — denn es ist dadurch wirklich ge- 
lungen, wenigstens das Königtum Isbaals aus der traditionellen 
biblischen Geschichte eo ziemlich herauszubringen: auf Saul, 
sagt man, folgt David. Es liegt also eine beabsichtigte und in 
ihren Gründen sehr durchsichtige Verstümmlung der originalen 
Relation vor, die uns im Buche Samuelis erhalten ist. 

Wie ganz Israel den David zum Nachfolger Sauls gemacht 
hat und ganz Israel dann mit ihm auf die Eroberung Jerusalems 
ausgezogen ist (11, i) — in 2. Sam. 5, 6 ist bloss von den 
Männern Davids die Rede — , so werden nun alsbald die edelsten 
Repräsentanten aus allen Stämmen Israels, die schon bevor er 
König geworden, mit dem Herzen und auch in der That auf 
seiner Seite gestanden haben, an dieser Stelle mit Namen und 
Zahlen aufgeführt, in drei Verzeichnissen (11, 10 — 12, 40), welche 
zwischen die Mitteilung von 2. Sam. 5, 1—10 und 5, llff. einge- 
schoben sind. Das erste (11,10—47: dies sind die Helden, die 
ihm beistanden in Gemeinschaft mit ganz Israel ihn zum Könige 



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180 Geschichte der Tradition, Kap. G. 

ZU machen) ist das von 2. Sam. 23, welches der Chronist, wie 
er in Kap. 20. 21 verrät, an jener Stelle gekannt hat und hier 
höchst verfrüht mitteilt; denn es sind meistens Krieger aus 
Davids späteren Kämpfen, die aufgezählt werden '). Das zweite 
Verzeichnis (12, 1—22: dies sind die nach Siklag zu David Ge- 
kommenen, als er noch verbannt war vor Saul) ist nicht ans 
dem B. Samuelis entnommen, man merkt aber auch den Unter- 
schied: neben alten und echten höchst gewöhnliche Namen, 
kaum ein einziger nur hier vorkommender; die in Kap. 11 so 
speeielle Angabe der Herkunft mangelt fast immer, und statt 
vor unseren Augen volkstümliche Thaten zu verrichten, ein 
G-erstenfeld vorm Feind zu retten, einen Trunk Wasser mit Blut 
zu bezahlen, einen Löwen im Brunnen zu erlegen, bekommen 
die Helden allerlei Epitheta ornantia {12, 1—3) und Ehrentitel 
(12, 14. 20), und führen gelegentlieh eine recht geistliehe Sprache 
(12, 17. 18). Was vollends die historische Situation betrifft, 
welche Unmöglichkeit, dass zu David als philisthäisehem Lehns- 
manne in Siklag sieh ein grosses israelitisches Heer gesammelt 
haben soll (12, 22), mit einer Menge von Hauptleuten über Hun- 
derte und über Tausende! Offenbar ist der verbannte Flüchtling 
für diese Vorstellung der glänzende König und der erlauchte 
Ahnherr der legitimen Dynastie; daher auch die naive Bemer- 
kung V. 29. Nicht besser steht es mit dem dritten Verzeichnis 
(12, 23 — 40: dies sind die Häupter der Gerüsteten, welche zu 
David nach Hebron kamen). Man beachte die regelrechte Auf- 
zählung der zwölf Stämme, die in den älteren geschichtlichen 
Büchern nirgends vorkommt und überall künstlich ist, sodann 
die ungeheuren Zahlen, die hier nichts gleiehgiltiges , sondern 
die Hauptsache sind und den ganzen Inhalt ausmachen, endlieh 
die 4000 Leviten und 3700 Priester, die auch mit in dem krie- 
gerischen Zuge auftreten und fortab die eigentliche Garde des 
Königs bilden: der Chronik ist der Unterschied zwischen welt- 
liehen und geistlichen Soldaten nicht ganz klar. Specialia kom- 

') Die durch Textverderbnisse im 2. Sam. '23 verwischte Einteilung in eine 
Gruppe *on drei und in eine andere von dreiasig Helden (Test der Bb. 
Sam. S. 313 — 216) hat der Chronist nicht verstanden und ganz unieant- 
lieh gemacht. Darum hat er am Schluss (11,42 — 41) noch eine Reihe 
anderer Namen hicirafügen können, die über die Zahl Dreiasig hinaus- 
schiessen. In v. 42 verrät sich deutlich sein Stil, die Eleraente wird er 
irgendwo vorgefunden haben. 



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Die Chronik, 181 

men wenig vor; die Bemerkung 12, 32 hängt vielleiclit mit 
2. Sam. 20, 18 zusammen, Jojada der Fürst des Hauses Äharon, 
d. h, der Hohepriester, eine neben der historisch gesicherten 
Folge Eli Pinehas Ahitub Ahia (Ahimelech) Abiathar vollkom- 
men unmögliehe Person, ist ein Reflex des Jojada von 2. Eeg. 
II. 12, und die Angabe, Sadok au der Spitze von 22 Erzpriestern 
eei damals zu David gestossen, ist ein wenig glaubwürdiger Er- 
satz der Nachricht des B. Samuelis, wonach Abiathar, dessen 
ältere Ansprüche den E'ne Sadok und den Späteren nicht ge- 
nehm waren, derjenige Priester gewesen ist, der es von vorn- 
herein mit David gehalten; die 22 Erzpriester scheinen den 
Häuptern der 22 nachexilischen Priesterfamilien zu entsprechen 
(Neh. 12, 1—7. 12—21. 10, 3-9. 1. Cbron. 24, 7—18). Doch es 
bedarf kaum so weitläufiger Untersuchungen des Inhalts dieser 
Verzeichnisse, da die Absicht, in welcher sie hier stehen, 
zum Schlüsse ohne Umschweif angeghen wird v. 38; „alle 
diese Kriegsloute , in Heeresordnung, kamen von ganzem Her- 
zen gen Hebron, David zum König über ganz Israel zu 
machen, und auch alles andere Israel war eines Herzens, dass 
man David zum Konige machte; und waren daselbst hei David 
drei Tage, assen und tranken — denn es war eine Freude in 
Israel". 

Nach dieser an recht verkehrter Stelle eingeschobenen Ex- 
plicierung des Begriffs Gesamt-Israel wird mit der Wiedergabe 
von 2. Sam. 5—7 fortgefahren, Davids erste That, nach der Er- 
oberung der Feste Jehus, ist in der Chronik die, dass er sie, 
durch Überführung der Lade Jahve's, zur heiligen Stadt macht 
(13, IfF.}. Es hat den Anschein, als solle der Palastbau und 
der Philisterkrieg 2, Sam. 5, 11 — 25 ausgelassen werden, aber 
nachdem die Erzählung 2, Sam. 6, Iff. bis zu dem Punkte und 
die Lade Gottes blieb im Hause Obed-edoms drei Mo- 
nate (1. Chron. 13, 14 = 2. Sam. 6, 11) gegeben ist, wird diese 
vierteljährige Pause benutzt, um das Übergangene nachzuholen 
(14, 1—17 = 2. Sam. 5, 11—25), und dann der Bericht über die 
Lade zu Ende gebracht. Dadurch wird zwar das Zusammen- 
gehörige auseinandergerissen, aber zugleich das weltliche Ge- 
schäft, welches nach der älteren Relation das nächste und an- 
gelegenste ist, zu einer blossen Episode des heiligen herabge- 
drüekt, Dass Hausbau und Philisterkrieg in den drei Monaten, 



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182 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

die 80 pi'abtiseh zu [ihrer Einaehaltnng dienen, keinen Platz 
haben, ist Nebensache. 

Was nun näher die heilige Angelegenheit betrifft, die Über- 
führung der Lade auf den Sion, so findet sieh beinah Allee was 
2. Harn. 6 steht, wörtlich auch 1. Chron. 13. 15. 16. 17, 1. Zwei 
Züge nur fehlen in der Chronik, aber beidemal nicht zum Besten 
des Zusammenhangs, Davids Weib Michal, heiset es 2. Sam. 
6, 16, 20—23 , da sie den König in der Proceseion tanzen und 
springen sah, verachtete ihn in ihrem Herzen; hinterher als er 
zu Hause kam, sagte sie ihm über sein unwürdiges Benehmen - 
die Meinung. Die erstere Bemerkung findet sich auch in der 
Chronik (15, 29), aber die letztere ist (bis auf den abgerissenen 
Ansatz 16, 43 = 2. Sam. 6, 20) ausgelassen — obwohl sie die 
Hauptsache enthält, denn die Äusserung der Verachtung ist 
das historische Ereignis, nicht die psychologische Motivierung 
derselben: ein Weib durfte dem David nicht so etwas bieten. 
Ganz ähnlich steht es mit dem anderen Fall. Wegen des Un- 
glücks, das den Führer der Lade betroffen hat, wagt David zu- 
erst nicht sie in seine Burg zu nehmen, sondern bringt sie unter 
im Hause seines Hauptmanns Obed-edom; da aber Jahve das 
Haus Ohed-edoms segnet, so fasst er Mut, sie zu sich zu holen 
(2. Sam. 6, 10 — 12). Dass Jahve Obed-edoms Haus gesegnet 
habe, teilt auch die Chronik mit (13,4), aber dem wird keine 
Folge gegeben, wir haben wieder die Ursache ohne die Wirkung. 
Statt dessen wird ein anderer Pragmatismus beliebt: David er- 
kannte, daes jener Unfall beim Transport der Lade davon ge- 
kommen sei, weil sie nicht, nach der Vorschrift des Gesetzes, 
von den Leviten getragen worden; nun sollten die Leviten sie 
tragen, dann sei keine Gefahr dabei (15, 1. 13—15). Dass dies 
dem älteren Berichte völlig widerspricht, liegt auf der Hand; 
und da die Chronik in Kap. 13 denselben eopiert, so widerspricht 
sie sich auch selber (13, 10), und zwar in um so auffallenderem 
Masse, als sie durch den Zusatz 13,2 die Fahrt der Lade auf 
dem Kuhwagen von den nebenherziehenden Klerikern still- 
schweigend approbieren lässt. Nachdem ihnen so ihre gebüh- 
rende Beteiligung an dem heiligen Zuge gesichert ist, wird 
1. Chr. 15 in Priestern und Leviten , von denen 2, Sam, 6 kein 
Wörtlein zu lesen ist, förmlich geschwelgt, auch alsbald eine 
Art musikalischer Gottesdienst von David höchstselber vor der 



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Die Chronik. 183 

Lade eiDgeriehtet uud eine von ihm aus Bachexiliachen Psalmeu 
zusarumengesetzte Festcantate aufgeführt Kap. 16. Aus der 
ursprünglichen Refeition, deren zerrissene Glieder sich nun sehr 
sonderbar in dem neuen Zusammenhange ausnehmen, ist dadurch 
etwas ganz anderes geworden. „Dort ist alles frei, bloss Sache 
des Königs und des Volks, hier ist es Priestereeremoniel , dort 
jauchzet und tanzet fvöhlieh das Volk mit seinem Könige vor 
der Lade her, hier sind die Leviten Musiker und Sänger in 
festgesetzter Ordnung. Beide Erzählungen vereinigen zu wollen, 
ist ganz gegen die Gesetze historischer Interpretation. Wäre 
die erste kurz und gedrängt, so wäre eine Vereinigung eher mög- 
lich, allein specieller und anschaulicher kann nicht erzählt wer- 
den, und nur von den Leviten, wenn sie eine so wichtige Rolle 
gespielt hätten, sollte nichts gesagt sein? Der Vf. der Chronik 
konnte sie nur hineinbringen, indem er sein Original entstellte 
und verstümmelte und mit sieh selbst in Widerspruch geriet Er 
kann nichts ohne Leviten geschehen lassen, und die Bundeslade 
sollte ohne sie nach Jerusalem geschafft worden sein? Das Ge- 
setz sollte auch das zweitemal unter dem frommen König David 
unterlassen worden sein? Dies schien ihm unmöglich. Veran- 
lassung mag ihm gegeben haben, dass Uzza bei der ersten Ab- 
holung der Lade umkam , und dass 2. Sam. 6, 13 die Lade das 
zweitemal — wo es sich 'um einen ganz kurzen Weg handelt 
— getragen wird. Der eombinationsreiche Verfasser benutzte 
diesen Wink." So sagt mit Recht de Wette, Beiträge I, 88—91. 
Nachdem der Bericht 2. Sam. 6 mit der ersten Hälfte von 
V. 19 {1. Chron. 16,3) abgebrochen ist, wird nach Einsehiebung 
von 16, 4 — 42 die andere Hälfte des Verses und der Anfang des 
folgenden nachgebracht (16, 43) und dann das Kapitel 2. Sam. 7 
angeschlossen, welches 1. Chron. 17 im ganzen wörtlich wieder- 
gegeben wird: der Entschluss Davids, der Lade ein Haus zu 
bauen und was ftSr einen Bescheid darauf ihm Jahve durch Na- 
than gegeben. Der Sinn der Bede des Propheten hängt 2. Sam. 7 
an dem Gegensatze: „du willst mir ein Haus bauen? vielmehr 
ich will dir ein Haus bauen"; das Haus Davids ist natürlich 
die Dynastie der Davididen. Aber schon in den Samuelistest 
ist eine Interpolation eingedrungen 7, 13, welche die Antithese 
so fasst; du willst mir eiu Haus bauen? nein, dein Sohn soll 
mir ein Haus bauen. Die Chronik nun, der David lediglich als 



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184 Geschichte dar Tradition, Kap. G. 

der eigentliche Gründer des salomonischen Tempels in Beti'acht 
kommt, nimmt gerade wegen dieser Interpolation die Erzählung 
2, Sam. 7 auf, wie aus 22, 9. 10 erbellt, sie «erweitert das Mis- 
veratändnis, indem sie in einem Zusätze (17, 14) darauf zurück- 
kommt, und verdirbt von vornherein den originalen Gegensatz 
durch die unschuldige Änderung; „du sollst mir das Haus niebt 
bauen" (17,4) statt: du willst mir ein Hans bauen? Das Haus 
kann hier nur heissen dss notwendige und längst von Gott und 
Menseben ins Auge gefaeste, das jedenfalls gebaut werden muss, 
nur nicht von David, sondern von Salomo; es ist unzweideutig 
der Tempel und enthält nicht wie ein Haus die Mögtiebkeit 
des Doppelsinns, worauf die urspriingliehe Pointe beruht. Inter- 
essant ist auch der Vergleich von 2. Sam. 7, 12 mit 1. Chron. 
17, 13. „Ich will deinem Samen Vater und er soll mir Sohn 
sein; wenn er fehlt, so will ich ihn mit Menschenrute 
züchtigen und mit menschliehen Schlägen, aber meine 
Gnade soll nicht von ihm weichen." Die gespen-ten Worte 
fehlen in der Chronik, der Sinn, dass Jahve der judäiscben 
Dynastie im Ganzen seine Gnade nicht entziehen wolle, wenn 
auch einzelne ihrer Glieder Strafe verdienen würden, wird da- 
durch zerstört und in einen abstracten Idealismus verflüchtigt, 
welcher zeigt, dasa dem Verfasser das davidische Königsge- 
Hchleeht nur als Nebelbild bekannt ist und nicht aus historischer 
Erfahrung wie dem Verfasser von 2. Sam. 7. 

In Kap. 18 — 20 seheint sieh die Chronik an einer kleinen 
Abwechselung zu erholen, indem sie die äusseren Kriege Davids 
erzählt, nach der Reihenfolge von 2. Sam. 8. 10. 11, 1. 12, BG- 
Bl. 21, 18—22. Aber sie hat dabei doch ihren Zweck im Auge, 
der auf David als Stifter des jeruealemischen Gottesdienstes ge- 
richtet ist; diese Kriege brachten ihm das viele Geld ein, das 
zum Tempelbau nötig war. Alles dagegen, was über die inneren 
Vorgänge jener Zeit im Buche Samuelis so ausführlich und 
schön erzählt ist, wird weggelassen, da es doch nicht viel zur 
Verherrlichung des Königs beiträgt. So die Geschichte von Me- 
ribaal und Siba Kap. 9, von Bathseba und Uria Kap. 11, 12, 
von Thamar und Amnon Kap. 13, 14, vom Aufstande Absaloms 
Kap. 15 — 20 und von der Opferung der Söhne Sauls 21, 1 — 14. 
Wie meebanisch und roh dabei die Angaben über äussere Kriege 
aus dem Zusammenhange mit häuslichen Begebenheiten, worin 



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Die Chronik, 185 

sie in der älteren Relation stehen, herausgerissen werden, zeigt 
1. Cbron. 20, 1. 2 verglichen mit 2. Sam. 11, 1. 12, 30. Die Notiz 
David blieb in Jerusalem als dae Heer gegen Rabba 
ausrückte bereitet 2, Sam. 11 den Ehebruch mit dem Weibe 
eines im Felde stehenden Hauptmanns vor, bat aber 1. Cbron. 
20, 1 keinen Sinn und verwiekelt in Widerspruch mit v. 2, wo 
David dennoch im Lager zu Eabba erscheint, obwohl der Über- 
gang, dass ev dem Heere nachgezogen, zusammen mit dem gan- 
zen Zwischenspiel von Bathseba und Uria ausgelassen ist 
(de Wette S. 19. 20. 60). Wie weit das Zudecken der Schande 
der Heiligen getrieben wird, möge noch daraus abgenommen 
werden, dass auch von den äusseren Kämpfen Davids, die sonst 
allesamt mitgefeilt sind, einer versehwiegen wird, den David 
nicht ganz mit Ehren bestanden bähen soll, der mit dem Biesen 
Jisbobenob (2. Sam. 21, 15 — 17). Bemerkenswert ist endlich 
noch die Änderung 1. Cbron. 20, 5. Elhanan, der Sohn Jairs 
von Bethlehem, heisst es 2. Sam. 21, 19, habe den Groliath von 
Gatb getötet, dessen Speerscbaft so dick gewesen sei wie ein 
Webebaum. Aber David von Bethlehem hatte doch nach 1. Sam. 
17 den Riesen Goliath erlegt, dessen Speevschaft so dick war 
wie ein Webebaum? Also erschlägt Elhanan in der Chronik 
den Bruder des veritablen Goliath. 

2. Die letzten Kapitel des B. Samuelis II 21—24 sind be- 
kanntlieh ein Nachtrag von sehr eigentümlicher Struetur. Der 
Faden von 21,1—14 wird mit 24, 1 — 25 fortgesetzt, in die Mitte 
aber ist 21, 15^23, 39 geraten, auf eine sehr irrationelle und 
vielleicht rein zufällige Weise. In diesem Zwischenstücke selber 
gehören wiederum die ganz gleichartigen Verzeichnisse 21, 
15 — 22 und 23, 8 — 39 eng zusammen; die beiden Lieder also 
22, 1--51. 23, 1—7 sind ein Einschiebsel im Einschiebsel. Dieser 
Unordnung folgt nun auch der Verfasser der Chronik, indem er 
2. Sam. 23, 8—39 als gesondert von 21, 15—22 behandelt und 
2. Sam. 24 an der letzten Stelle mitteilt, welche es nicht aus 
sachlichen Gründen einnimmt, sondern nur deshalb, weil es 
nachträglich angehängt und noch dazu von seiner ursprünglichen 
Verbindung mit 21, 1 — 14 durch eine grosse Interpolation los- 
gerissen ist. 

Im ganzen ist 1. Chr. 21 (die Pest als Strafe für Davids 
Volkszählung und die Theophanie als Veranlassung des Altar- 



..Goosle 



186 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

baues auf der Tenne Arauna) eine Copie von 2, Sam. 24, jedocli 
mit Auslassung der genauen und intereseanten geographischen 
Angaben v. 5 ff. und mit Anbringung mehrfacher Verbesserungen, 
So 21, 1: und der Satan 8ta,nd auf wider Israel und reizte David 
— statt: und Jahve zürnte nochmals auf Israel und reizte David 
(2. Sam. 24, 1). Desgleichen 21,6: Levi und Benjamin zählte 
Joab nicht mit, da des Königs Befehl ihm ein Greuel war — 
ein Zusatz, der sieh einesteils aus Num. 1,49 und andemtetls 
daraus erklärt, dasB im Gebiete Benjamins die heilige Stadt lag. 
Sodann 21, 16. 27: David sah den Engel stehen zwischen Him- 
mel und Erde und sein Schwert gezUckt in seiner Hand, aus- 
gereckt gegen Jerusalem — verglichen mit 2. Sara. 24, 16. 
(1. Chr. 21, 15) : der Engel streckte seinen Arm aus Jerusalem 
zu verderben und er war bei der Tenne Arauna; nach der 
älteren Ausehauung haben die Engel keine Flügel (Gen. 28). 
Ferner 21, 25: David gab dem Arauna für seine Tenne 600Sekel 
Goldes — dagegen 2. Sam. 24, 16: nur 50 Seket Silber; dem 
Verfasser der Chronik kostete es nichts den König königlich be- 
zahlen zu lassen. Seine bedeusamste Zuthat endlich ist das 
Feuer vom Himmel, welches das Opfer verzehrt (21,26); dadurch 
soll der Altar auf der Tenne Arauna, d. h. der des jerusalemi- 
sehen Heiligtums, dem Altar der Stiftehütte, seinem Vorgänger, 
gleichgestellt werden, dessen Feuer ebenfalls vom Himmel ent- 
zündet wurde (Lev. 9, 24). Wer die Geschichten von den Altar- 
bauten der Erzväter, Josua's (5, 15) Gideons und Manoabs be- 
griffen hat, wird zugeben, dass der Verfasser der Chronik die 
Meinung von 2. Sam. 24, der zufolge hier die göttliche Inaugu- 
ration der jerusalemiechen Cultusstätte berichtet werden soll, 
ganz richtig verstanden hat; aber was dort, ebenso wie in den 
ähnlichen älteren Sagen von Anzeigung geweihter Stätten durch 
eine Theophanie, für geistesverwandte Zeitgenossen nur ange- 
deutet wird, das muss er stark retouchieren, damit die Epigonen 
es merken; und doch hat er die Pointe dadurch halb verdorben, 
dass er den Engel nicht bei der Tenne Arauna auf dem heiligen 
Boden stehen, sondern ihn in der Luft schweben lässt. 

2. Sam. 24 = 1. Chron. 21 dient nun weiter zum Ausgangs- 
punkte für die freie Ausführung 1. Chron. 22 — 29. Dass im letzten 
Kapitel des Buchs Samuelis David den Altar zu Jerusalem grün- 
det, wird dabin erweitert, dass er im letzten Jahre seiner ße- 



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Die Chronik. 187 

giernng den Balomonisehen Tempelbau in allen Stttcken bis aufs 
kleinste vorbereitet habe. Unbeengt von der historischen Über- 
; bewegt sich hier der Verfasser in freien Regionen, in 
1 richtigen Fahrwasser. Was bia dahin an der Hand der 
älteren Quelle über den König gesagt ist, das Alles ist durch 
Zusätze und Auslassungen zugestutzt zu einer blossen Einleitung 
für das eigentliche Werk seines Lebens, welches jetzt recht eon 
amore beschrieben wird. Er selber hat leider dem Jahve da« 
Haus nicht bauen dürfen, weil er viel Blut vergossen und grosse 
Kriege geführt hat (22, 8. 28, 3), aber das Verdienst an der Sache 
nimmt er doch noch im letzten Jahre seiner Regierung (23, 1. 
26, 31) seinem Nachfolger vorweg. Mein Sohn Salorao, sagt er, 
ist jung und schwach, das Haus aber, das dem Jahve gebaut 
werden soll, muss gross und herrlich werden, da will ich's ihm 
. bereiten (22, 5). So beschafft er denn zum voraus die Hand- 
werker und Künstler, wozu er namentlich die nichtisraelitische 
Bevölkerung aufbietet, er beschafft das Material, Steine und Holz 
und Erz und Eisen und Gold und Silber und Juwelen ohne Zahl, 
er liefert auch den Plan oder erhält ihn vielmehr direct von 
Jahve, und zwar schriftlich, schwarz auf weiss (28, 19), während 
Mose die Stiftehütte doch nur nach der Erinnerung an das himm- 
lische Urbild baut, welches er auf dem Sinai hat schauen dürfen. 
Vor allem aber bestellt er das Personal für den Dienst des Tem- 
pels, die Priester Leviten Thorwächter und Sänger, teilt ihre Tau- 
sende in Classen ein und weist ihnen durchs Los ihre Amter 
zu; mit besonderer Vorliebe nimmt er sich dabei natürlich der 
Musik an, indem er die Instrumente erändet (23,4) und selber 
als oberster Dirigent fungiert (25, 2. 6). Und da er doch nun ein- 
mal König ist, so nimmt er zum Schluss auch noch ein Inventar 
seines weltlichen Staates auf, nachdem er zuvor den geistlichen 
geordnet. Dies Alles thut er für die Zukunft, für seinen Sohn 
und Nachfolger; nicht in Wirklichkeit, sondern bloss nach dem 
Plane werden z. B. die Thorwächter auf ihre Posten gestellt 
(26, 12if.), nichtsdestoweniger mit genauester Angabe und Benen- 
nung der Lokalitäten des dereinstigen Tempels — und zwar des 
zweiten! Wie er fertig ist mit den Vorbereitungen, beruft David 
eine grosse Versammlung der Prälaten und Notabetn (23, 1. 28, 1), 
lässt Salomo zum Könige und Sadok zum Priester salben (29, 22} 
und übergiebt in langer Predigt dem ersteren mit dem Reich 



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188 Gesehichffi der Tradition, Kap. 6. 

zugleich die Aufgabe seiner Regierung, nämlich die Ausführung 
dessen, was er seiher rorhereitet und angeordnet hat; bei dieser 
Gelegenheit werden dann noch mehr köstliche Steine und edle 
Metalle, darunter Gold von Ophir und persische Danken, yon 
David und von den Fürsten zum heiligen Bau gespendet. Der 
ganze Abschnitt 1. Chron. 22—29 ist ein abschreckendes Beispiel 
der statistischen Phantasie der Juden, die sich ergötzt an unge- 
heuren Geldsummen auf dem Papier (22, 14), an künstlieh einge- 
teilten Kegimentern von Namen und Zahlen (Kap. 23 — 27), an der 
Aufzählung von lauter Suhjecten ohne Prädikat, die in Parade 
neben einanderstehen und nichts zn thun und zu bedeute» haben. 
Nur durch gesalbte Beden wird zuweileu die Monotonie unter- 
brochen, aber keineswegs in erquicklicher Weise. Man lese die 
Kapitel durch, wenn man es fertig bringt. 

Nach 1. Reg. 1, 2 war der König David in seinen alten 
Tagen krank und schwach an Leib und Seele, und durchaus 
nicht in der Verfassung, kurz vor seinem Tode seinem Nach- 
folger in dieser Weise vorzuarbeiten, ihm das Brot so weit fertig 
zu machen, dass jener es nur in den Ofen zu schieben brauchte. 
Von seiner Absieht, dem Jahre ein Haus zu bauen, ist allerdings 
auch 2. Sam. 7, in Anlas» von 6, 17, die Rede; sie wird aber in 
Folge der Ablehnung Jahve's, nicht der Mensch baue der Gottheit, 
sondern die Gottheit dem Mensehen ein Haus, definitiv aufgegeben. 
Wunderlieh contrastiert gegen diese Motivierang die der Chronik, 
David sei ein Kriegsmann und habe viel Blut vergossen, darum 
dürfe er den Tempel nicht errichten: dass er die Kriege Jahve's 
geführt, dass der Herr durch seine Hand Sieg gegeben, wäre 
der älteren kriegsgewohnten Zeit wahrhaftig nicht als Grund 
wider, sondern nur als Grund für seine Würdigkeit zu diesem 
Werke erschienen. Am schlimmsten coUidiert jedoch die feier- 
liche in allen Formen des Rechts und der Öffentlichkeit ge- 
schehende Einsetzung Salomo's zum Könige und Sadoks zum 
Priester, wie sie 1. Ghron. 28. 29 vgl. Kap. 22. 23, 1 erzählt wird, 
mit der älteren Relation 3. Reg. 1. 2. Nach der letzteren war 
es vielmehr eine gewöhnliche Palastiotrigue, durch die es einer 
Partei am Hofe gelang, dem altersschwachen Könige die Sanktion 
der Nachfolge Salomo's abzulocken. Bis dahin hatte Adonia 
als präsumtiver Thronerbe gegolten, bei David selbst, bei ganz 
Israel und bei den Hauptwürdenträgern des Reichs, Joab und 



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Die Chronik. 189 

Abiathar; in die Entscheidung fUr Salomo fiel vor allen Dingen 
das Gewicht der 600 Prätorianer ßenaja's, einer furchtbaren 
Macht unter den Umständen der damaligen Zeit, Ganz harmlos 
glaubt der Verfasser der Chronik allen Schwierigkeiten zu ent- 
gehen, indem er die von ihm berichtete Krönung Salomo's für 
die zweite ausgiebt (29, 22); eine Bezugnahme auf 1. Reg. 1. 2, 
die den Widerspruch nicht beseitigt, sondern nur ven-ät. 

Doch dies besagt nichts gegenüber der Disharmonie des 
Gesamtbildes. Was hat die Chronik aus David gemacht! Der 
GrUnder des Reichs ist zum Gründer des Tempels und des Gottes- 
dienstes geworden, der König und Held an der Spitze seiner 
Waffengenossen zum Kantor und Liturgen an der Spitne eines 
Schwarmes von Priestern und Leviten, seine so scharf gezeichnete 
Figur zu einem matten Heiligenbilde, umnebelt von einer Wolke 
von Weihrauch. Dass es vergeblieh ist, die grundverschiedenen 
Bilder stereoskopisch zusammenzuschauen, leuchtet ein; histori- 
schen Wert hat nur die Tradition der älteren Quelle. In der 
Chronik ist dieselbe dem Geschmack der nach exilischen Zeit 
gemäss vergeistlicht, welche für nichts mehr Sinn hatte als für 
den Cultus und die Thora, welche daher der alten Geschichte, 
die doch die heilige sein sollte, fremd gegenüber stand, wenn 
sie sie nicht ihren Begriffen assimilierte und zur Kirchengesehichte 
umgestaltete. So wie das durch Ezra zur Grundlage des Juden- 
tums gemachte Gesetz als das Werk Mose's angesehen wurde, 
so ward, was sich auf dieser Grundlage noch nach Mose aus- 
bildete — und das war namentlich die heilige Musik und die 
Ordnung des Tempelpersonals — , auf den König David zurück- 
geführt, den lieblichen Sänger Israels, der nua seine Muse in 
den Dienst des Cultus stellen und in Gemeinschaft mit Asaph 
Heman und Jeduthun, den levitischen Sängergesehlechtern, Psal- 
men dichten musste. 

3. Bei Salomo entfernt sich die Chronik (II Kap. 1—9) nir- 
gend sehr weit von dem Leitfaden des Buches der Könige. Da 
die Erzählung 1. Reg. 1. 2, die nicht erbaulich ist und dem Be- 
richte 1. Ghron. 22 — 29 unbarmherzig ins Gesieht sehlägt , aus- 
gelassen werden muss, so wird mit 1. Reg. 3 angefangen, mit 
dem Antrittsopfer Salomo's auf der grossen Bama zu Gibeon 
und der Offenbarung Jahve's, die ihm darauf im Traume zu teil 
wurde. Die letztere ist mit geringen Änderungen abgeschrieben, 



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190 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

aber am Anfang findet sieh eine charakteristische Differenz. 
„Salomo liebte den Jahve zu wandeln [in den Sitten seines 
Vaters David, nur opferte und räucherte er auf den Höhen (denn 
68 war bis dahin dem Namen Jahve'e noch kein Haus gebaut); 
und der König ging nach Gibeon, dort zu opfern, denn da ist 
die grosse Bama, tausend Brandopfer opferte er auf jenem Al- 
tare; und Jahve erschien ihm im Traume: bitte was ieh dir 
geben soll." So 1. Reg. 3, 3ff. Die Chronik umgibt den König 
zunächst in ihrer Weise mit einer grossen Versammlung von 
Hauptleuten über Hunderte und Tausende, von Richtern und 
Fürsten und Familienhäuptern, mit lauter pentateuehischen 
Grössen, und fährt dann fort: „und Salomo uod die ganze Ge- 
meinde mit ihm gingen zur Höbe in Gibeon, denn dort war die 
Stiftsblitte Gottes, die Mose der Knecht Jahve's in der Waste 
gemacht hatte; aber die Lade Gottes hatte David aus Kiriath- 
jearim heraufgeholt dahin, wo er ihr die Siätte bereitet hatte, 
denn er hatte ihr ein Zelt aufgeschlagen in Jerasalem; und der 
eherne Altar, den Besaieel ben Uri ben Hur gemacht hatte, 
stand dort vor der Wohnung Jahve's, den besuchte Salomo und 
die Gemeinde; und Salomo opferte dort auf dem ehernen Altar 
vor Jahve, hei der Stiftshütte opferte er 1000 Brandopfer und 
Gott erschien ihm im Traume; bitte was ich dir gehen soll" 
2. Chron. 1, 3flF. In der älteren Relation steht nichts von der 
Stiftshütte; unter der Voraussetzung derselben würde die Ent- 
schuldigung dafür, dass Salomo auf einer Höhe geopfert habe, 
weder nötig noch möglieh sein. Dfe Chronik, in ihren Vor- 
stellungen vom Altertum durch den Priestercodex behen-scbt, 
hat sie vermisst und nach jener Norm ergänzt; der junge fromme 
König konnte doch unmöglich sein feierliches Antrittsopfer, wozu 
er sich express von Jerusalem wegbegab, an einem anderen als 
dem gesetzlieh vorgeschriebenen Orte dargebracht, widrigenfalls 
noch unmöglicher Jahve ihm dazu seinen Segen gegeben haben. 
Es kennzeichnet die Gebundenheit und die Kühnheit des Ver- 
fassers, dass er den 1, Reg. 3, 3 gebrauchten Ausdruck Höhe 
beibehält und mit Stiftshiitte gleichsetzt, obwohl derselbe das 
gerade Gegenteil davon bedeutet. Lehrreich aber ist es zu sehen, 
wie binderlich ihm nun hei anderen Gelegenheiten sein ad hoc 
in die Geschichte eingeführtes mosaisches Centralheiligtum zu 
GibeoE vrird. Nach 1. Chron. 16 ist David im besten Zuge, bei 



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Die Chronik. 191 

der Lade Jahve's, die er auf den Sion übergeführt hat, auch 
einen Opferdienst einzurichten; aber er darf nicht, denn der mo- 
saische Altar steht zu G-ibeon, und mußg sieh mit einem musika- 
lischen Surrogat begnUgen {v. 37—42). Ähnlich wird die Er- 
zählung 1, Chron. 21, dass David durch die Theophanie auf der 
Tenne Arauna's veranlasst sei, dort einen Altar zu bauen und 
darauf ein vom Himmel acceptiertes Opfer zu bringen, zum 
Schluss noch geknickt und verdorben durch die auf 2. Chron. 1 
vorbiickende Bemerkung: freilieh sei das mosaische Heiligtum 
und der Brandopferaltar damals noch auf der Höhe zu Gibeon 
gewesen, aber der König habe nicht die Kraft gehabt sich dort- 
hin zum Opfer zu begeben, weil ihm der Sehrecken vor dem 
Engel mit dem gezückten Sehwert in die Glieder gefahren. So 
muss denn auch das Opfer, welches Salomo gleich nach der 
Rückkehr von Gibeon vor der Bundeslade zn Jerusalem darge- 
bracht haben soll, ebenfalls ignoriert werden (2. Chron. 1, 13), 
weil es den Zweck der vorangegangenen Interpretation der Bama 
zu Gibeon vernichten würde. Also der Schatten raubt dem 
Körper die Luft. An anderen Stellen v^ird bezeichnender Weise 
die Stiftshütte mit dem jerusalemischen Tempel confundiert (Graf 
S. 56), im Ganzen ist sie jedoch eine ziemlich wirkungslose Vor- 
stellung geblieben, die nur an unserer Stelle (2. Chron. 1) ge- 
wissermassen ex machina benutzt wird, um den Salomo von 
schwerem Vorwurf zu reinigen. 

Auf den letzten feierlichen Gottesdienst bei dem mosaischen 
Heiligtum folgt nun, mit Übergehung von 1. Reg. 3, 16 — 5,14, 
gleich der Tempelbau (1,18 — 7,11), Doch werden inzwischen 
ein paar- kurze Züge zur Schilderung des Reichtums Salomo's 
gegeben (1,14—17), die im Buche der Könige erst 10,26—29 
stehen und an dieser weit schicklicheren Stelle auch in der 
Chronik wiederholt werden (9, 25 ff.); vgl. Sept. zu 1, Reg. 3. 
Die Vorbereitungen zum heiligen Bau hat zwar eigentlich David 
dem Nachfolger abgenommen, aber letzterer seheint davon nicht 
befriedigt (2, 16) und besorgt sie noch einmal (1, 18—2, 17). Ein 
Vergleich mit Esdr. 3 (Zurüslung des zweiten Tempels) lehrt, 
dass die Erzählung ein Elaborat unseres Verfassers ist, jedoch 
nach Motiven von 1. Reg. 5, 16 ff. und mit Beibehaltung mancher 
wörtlichen Reminiscenzen. Während Hiram und Salomo nach 
dem älteren Bericht sieh gleichstehen und einen Coatrakt machen. 



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192 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

der auf Leistung und Gegenleistung beruht, ist liier der tyrische 
König der nntertänige Diener des israelitischen und liefert ihm, 
was er verlangt, als Tribut; statt sieh wie dort milndlieli bereit 
zu erklären, sehreibt er hier einen Brief, worin er nicht bloss offen 
seinen Glauben an Jahve den Gott Israels, der Himmel und 
Erde gemacht hat, bekennt, sondern auch eine seltsame Kennt- 
nis des pentateuchischen Priestercodex yerrät. Der Erzgiesser, 
den Salomo aus Tyrua kommen lässt (1. Reg. 7, 13. 14), wird 
2, 13 als ein wahrer Dädalus und Tausendkünstler beschrieben, 
ganz in der Weise Besaleels (Exod. 31, 2ff.); dass derselbe zum 
Sohne eines Weibes von Dan statt einer Witwe von Naphthali 
gemacht wird, gibt den Auslegern Stoff zur Äusspinnung eines 
kleinen Familienromans'), hat aber nicht mehr auf sich, als dass 
das Sandelholz (2, 7) vom Libanon bezogen wird. Die Angabe 
1, Keg. 5, 27 (11,28. 12,4), dass Israel in starkem Masse zum 
Frohndienste des Königs herangezogen sei, ersetzt der Chronist 
durch die an einem anderen Orte (1. Reg, 9, 21) vorkommende, 
dass nur die kanaanitischen Hörigen dazu benutzt seien: die 
Summe derselben berechnet er gleichwohl aus den 1. Reg. 5, 29f. 
aufgeführten Zahlen. Charakteristisch ist endlich noch, wie 
Salomo (2, 2) dem Hiram versichert, er werde den Gottesdienst 
in dem neuen Hause ganz legitim nach der Ordnung des Priester- 
codex einrichten; solche Bemerkungen, aus denen die ununter- 
brochene Ausübung des mosaischen Cultus nach den Regeln 
des Gesetzes erhellt, werden dann von Zeit zu Zeit wiederholt 
(8, 12-16. 13, 11). 

In Kap. 3. 4 gibt der Verfasser die Beschreibung des Tem- 
pels 1. Eeg. 6. 7 wieder, mit Auslassung dessen, was sich auf 
Profanbauten bezieht. Den gegenwärtig sehr eorrnpten Text hat 
er vielleicht an einer Stelle (1. Reg. 7,23) noch besser vorge- 
funden, im Übrigen ihn entweder liederlich exeerpiert oder wört- 
lich abgeschrieben, mit Zuthat einiger Extravaganzen und späterer 
Einrichtungen, z. B. der Specification des Goldes (3, 4ff. 8. 9), 
der zehn goldenen Tische und hundert goldenen Schalen (4, 8), 
der erzüberzogenen Thüren der Aussenthore (4, 9), des Vorhofs der 
Priester (4, 9), des Vorhangs zwischen Heiligem und Allerheilig- 

') „Sie war von Geburt eine Danitin, heiratete in den Stamm Naphthali, 
ward Witwe, als Witwe aus dem Stamme Naphthali ward sie das Weib 
des tyrischen Mannes." So Bertheau z. d. St. 



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Die Chronik. 193 

stem (3, 14). Zu leugnen, dass in 1. Reg, 6. 7 das Original erhal- 
ten sei, auf das an naauchen Stellen zum Veiständnis reeurriert 
werden muss, dazu gehört ein übe! angebrachter Mut, zuraat da 
geradeso wie 1. Reg, 7, 40—51, auch 2. Chr. 4, 11—5, 1 das sum- 
marische Verzeichnis auf die' Beschreibung des Einzelnen folgt. 
Während die eonereten und sachlichen Angaben von 1. Eeg. 
6. 7 nur unvollständig und flüchtig mitgeteilt werden, wird da- 
gegen der Äktus der Einweihung und die dabei von Salomo ge- 
haltene Rede genau und ausführlich nach 1. Reg. 8 wiedergegeben 
(5,2—7,10); die vorkommenden Zusätze und Auslassungen sind 
allesamt geflissentlich. Die Priester und Leviten spielen 1. Reg. 8 
bei einer Gelegenheit, die sie so nahe anging, nicht die ihnen 
gebührende Rolle und machen namentlich gar nicht die bei einer 
solchen Feier doch ganz unentbehrliche Musik. Also schiebt 
der Chronist ad yocem -Priester in der Mitte der auseinander 
gerissenen Glieder von 1. Reg. 8, 10. 11 folgendes ein: „denn alle 
Priester, so viel ihrer waren, hatten sich geheiligt ohne Unter- 
schied der Klassen, und die Leviten, die Sänger, allesamt stan- 
den in weissen Kleidern mit Cymbeln und Harfen und Zithern 
Östlich vom Altäre und bei ihnen hundertundzwanzig Priester 
mit Posaunen; und wie auf einmal die Posaunenbläser und Sän- 
ger zusammen den Lobgesang Jahve's anstimmten und die Musik 
begann mit Posaunen und Cymbeln und Begleitinsti-umenten und 
dem Lobgesang; Preis dem Jahve, denn er ist freundlieh und 
seine Güte währet ewiglich, da füllte sich das Haus mit Rauch" 
(5,11—13). Weiterhin wird die Angabe 1. Reg. 8, 22, Salomo 
sei vor den Altar getreten und habe dort gebetet, zwar zunächst 
copiert (6, 12), sodann aber einer authentischen Interpretation 
unterwoi-fen , der König habe nämlich nicht etwa wirklieh vor 
dem Altar gestanden (was nur die Priester durften), sondern auf 
einer improvisierten Kanzel im inneren Vorhof, auf einem um- 
gestülpten ehernen Kessel (6, 13) — ein ausgezeichneter Ge- 
danke, der denn auch die verdiente Approbation der Ausleger 
gefunden hat. Der Schiuss von Salomo's Gebet (1. Reg. 8, 49 bis 
53) wird, vielleicht um 8, 50 los zu werden, verkürzt (6, 39. 40) 
und dafür ein Epilog eigener Fabiik gegeben (6, 41. 42), der an 
nachexilische Psalmen erinnert. Darauf folgt eine grössere Aus- 
lassung, nämlieh von 1. Reg. 8, 54 — 61, die sieh aus dem Anstosa 
erklärt, dass der König hier doch nicht auf dem Kessel, sondern 



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194 GescMchle dnr Tradition, Kap. G. 

vor dem Altare kniet und steht und segnet wie ein Priester; 
als Ersatz wird dann in 7, 1—3 herielitet, wie der Altar durch 
Feuer Tom Himmel eingeweiht sei, das zwai' schon einmal auf 
ihn herabgefallen {I. 21, 26), aber wie es scheint unverantwort- 
licher Weise ausgegangen ist. Mit 7, 4 erreicht der Verfasser 
wieder den Ansehluss an 1. Reg. 8, 62ff., spickt indessen auch 
hier seine Vorlage, wo sie ihm zu mager dünkt, mit posaunen- 
den Priestern und musieierenden Leviten (7, 6) und lässt zum 
Schluss die Entlassung des Volks statt am achten Tage des 
Laubhlittenfestes (1. Keg. 8, 66) vielmehr erst am neunten ge- 
schehen (7, 10), auf Grund der Vorschrift Num. 29, 35. 

Der Rest der Geschichte Salomo's (7, 11-— 9, 28) ist aus 
1. Reg. 9. 10 übertragen. Dabei ist die Naehrieht 1. Reg. 9, 
10 — 18, dass Salomo dem Hiram zwanzig galiläische Städte ver- 
handelte, in ihr Gegenteil umgediehtet, dass nämlich Hiram dem 
Salomo die Städte abgetreten und dieser darin Israeliten ange- 
siedelt habe (8,1.2), und ähnlich ist die schon 1. Eeg. 9, 24 
verdunkelte Notiz von der Übersiedelung der ägyptischen Ge- 
mahlin Salomo's aus der Burg Davids in seinen neuen Palast '), 
verändert und in ein ganz falsches Licht gesetzt: „die Tochter 
Pharao's brachte Salomo aus der Burg Davids in das Haus, 
welches er ihr hatte bauen lassen, denn er sprach: im Hause 
Davids soll mir kein Weib wohnen, denn es ist heilig, weil dort 
die Lade Jahve's hingebracht ist" (8, 11). Über 8, 12 — 16 
(1. Eeg. 9, 25) thut nicht weiter not zu reden; melir gleichgil- 
tiger Art sind der Zusatz 7, 12 — 15, aus lauter Reminiscenzen 
zusammengesetzt, die Ausschmückung 8,3 — 6, entsponnen aus 
1. Reg. 9, 17 — 19, die Variationen 8, 17 f. 9,21, misverstanden 
aus 1. Reg. 9, 26ff. 10, 22. Das Scblusskapitel über Salomo's 
Regierung (1, Reg. 11), worin der König sich nicht von der glän- 
zenden Seite zeigt, wird aus den selben Gründen mit Still- 
schweigen übergangen wie die beiden Anfaugskapitel. 

Nach dem selben Plan und mit gleichen Mitteln wie die 
Geschichte des Vaters ist also auch die Geschichte des Sohnes 
bearbeitet, nur fügt sich hier der Gegenstand leichter der Ab- 
sicht der Bearbeitung. Das alte Bild ist in der Weise retouchiert, 
dass alle dunklen und hässlichen Zttge getilgt und dafür neue 



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Die Chronik. 195 

und glänzende Farben aufgesetzt sind, nicht im Stil des Origi- 
nals sondern im Uescbmack der Zeit: Priester und Leviten und 
Feuer vom Himmel und Erfüllung aller Gerechtigkeit des Ge- 
setzes und viel Musik, dazu noch allerlei harmlose legendarisehe 
Anachronismen und Übertreibungen. Der überlieferte Stoff er- 
scheint gebrochen durch ein fremdartiges Medium, den Geist des 
nach exilischen Judentums. 

II. 

1, Seit Salomo's Tode wird die Geschichte Israels in der 
Chronik nur durch das Reich Jahve's in der Hand der Söhne 
Davids fortgesetzt und Alles beiseite gelassen, was sich auf die 
Zehn Stämme bezieht. Denn nach den Begriffen der judaisti- 
schen Periode ist Israel die Gemeinde des rechtmässigen Gottes- 
dienstes, dieser aber ist an den Tempel zu Jerusalem geknüpft 
und am Tempel zu Jerusalem haben nattirlicb die Samarier 
keinen Anteil. Abia von Juda macht dem Könige Jerobeam I 
und seinem Heere diesen Standpunkt klar, in einer Rede vom 
Rerge Seniaraim herab, womit er die Scblacht eröffnet. „Ihr 
denkt zu bestehen vor dem Reiche Jabve's in der Hand der 
Söhne Davids, da ihr ein grosser Haufe seid und die goldenen 
Kälber auf eurer Seite habt, die euch Jerobeam zu Göttern 
gemacht hat? habt ihr nicht die Priester Jahve's, die Söhne 
Aharons, und die Leviten vertrieben und wie die Heiden euch 
selber Priester gemacht, so dass jeder, der kömmt seine Hand 
zu füllen mit einem Farren und sieben Widdern, Priester wird 
für die Götzen? Wir aber haben den Jabve unsern Gott nicht 
verlassen und unsere Priester dienen dem Jahve, die Söhne 
Aharons und die Leviten zur Dienstleistung, und räuchern dem 
Jahve Brandopfer alle Morgen und Abend und bringen Weih- 
rauch dar und Schaubrote auf den reinen Tisch ; denn wir 
haben den Dienst Jahve's unseres Gottes bewahrt und ihr habt 
ihn verlassen. Und siehe mit uns sind au der Spitze Gott und 
seine Priester und die Lärmposaunen zu lärmen gegen euch: 
Israeliten, kämpft flicht gegen Jahve den Gott eurer Väter, denn 
es wird euch nicht gelingen!" (13,8—12, vgl. 11,13—17). 

In Wahrheit war das Reich, welches den Namen Israel 
ftihrte, in alter Zeit auch thatsächtich das eigentliche Israel, und 
Juda eine Art Anhang dazu. Als Amasia von Juda nach der 



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196 Geschichte der Tradition, Kap. (i. 

Bezwingung der Edomiter den König Joas von Samaiien zum 
Kampfe herausforderte, dessen Land damats durch die ewigen 
Syrerkriege aufs äusserste gelitten hatte, liese der ihm sagen: 
„die Distel auf dem Libanon sandte zur Ceder auf dem Li- 
banon: gib deine Tochter meinem Sohne zum Weibe — da lief 
das Wild darüber hin und zertrat die Distel; du hast Edom ge- 
sohlageu und bist stolz geworden, geniesse deinen Ruhm und 
bleib zu Hause" (2. Reg. 14, 9); und da der andere nicht hören 
wollte, strafte er ihn wie einen unartigen Knaben und IJess ihn 
laufen. Dem Verhältnis der politischen und historischen ent- 
sprach so ziemlieh das der religiösen Bedeutung. Israel war 
die Wiege des Prophetentums, Samuel Elias und Elisa wirkten 
dort; welche ähnliche Gestalt wäre ihnen gleichzeitig aus Juda 
an die Seite zu setzen? sicher würde sie der Verfasser des 
Buchs der Könige nicht vergessen haben, der von ganzem Her- 
zen Jude ist und doch durch den Stoff selber gezwungen wird, 
sich vorzugweise für das Nordreieh zu interessieren. Noch zum 
Sehluss war es der drohende Untergang Samariens, welcher eine 
neue Phase der Prophetie erweckte; ihr Eröffuer, der Judäer 
Arnos von Thekoa, ward nicht an Juda, sondern an Israel ge- 
sandt, dessen Geschichte als die des Volkes Jahve's von ihm 
in tiefster Seele mit- und vorausempfunden wurde. Erst Jesaia 
stellte Jerusalem in den Mittelpunkt seiner Schau und wandte 
sieh von Israel ab; denn als er zuerst auftrat, brannte der Krieg 
zwischen den Brudervölkeni , und als er auf der Höhe seiner 
Wirksamkeit stand, war es aus mit dem Nordreicbe, und alle 
Hoffnung musste sich an den Rest halten, an die verfallene 
Hütte Davids. Hinsichtlieh des Cultus allerdings mochten die 
Dinge, wenigstens in dem letzten Jahrhundert vor der assyri- 
schen Gefangenschaft, in Israel etwas ungünstiger liegen als in 
Joda, aber von vornherein bestand kein wesentlicher Unter- 
schied. Hüben und drüben ward Jahve als der eigentliche Gott 
des Volks an zahlreicheu Stätten verehrt, dem Höhendienste 
mangelte es weder hier noch dort an heiligen Bäumen Pfählen 
und Steinen, an goldenen und silbernen Bildern (Isa. 2, 8ff. 
17, 8. 31, 22. Micha 5, 12). Ob in der Zeit vor Hizkia der 
Reiehscultus zu Jerusalem sieh so sehr vor dem zu Bethel und 
Dan ausgezeichnet habe, ist die Frage — den goldenen Käl- 
bern Jerobeams steht die eherne Schlange Mose's und die Lade 



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Die Chronik. 197 

Jahve's aelber gegenüber, die im Altertum ein Idol war (1. Sam. 
4—6) imd zu einer Lade des Bundes d. i. Gesetzes erst ideali- 
siert wurde, als sie wahrscheinlich gar uieht mehr vorhanden 
war. Was aber die prophetische Reaetion gegen den volkstüm- 
lichen Cultus betrifft, so beweist das Beispiel Hosea's, dass sie 
sieh gerade so frtth und so stark innerhalb Israels regte wie 
innerhalb Juda's. Sogar noeb nach der Reformation Josia's 
klagt Jeremia, die bis dahin verschonte Schwester sei um nichts 
besser als die vor hundert Jahren dem Assyrer zum Opfer ge- 
fallene (3, 6 — 10) , und der Verfasser des Buches der Könige, 
obwohl er, auf dem Deuteronomium fussend, grundsätzlich Juda 
und Jerusalem vorzieht, verändert doch nicht seinem Urteil zu 
lieb die Thatsachen, welche beweisen, dass das alte Israel den 
Anforderungen jenes Gesetzes nicht eben schlechter entsprochen 
habe als das alte Juda. 

Die Chronik dagegen legt das Gesetz — und zwar im 
vollen Umfange das ganze pentateuchische Gesetz, namentlich 
aber den daiin dominierenden Priestereodex — nicht bloss ihrem 
Urteil über die Vergangenheit zu Grunde, sondern dichtet auch 
die Thatsachen in jene von jeher gültige Norm um und denkt 
sieh das alte hebräische Volk genau nach dem Muster der spä- 
teren jüdischen Gemeinde, als einheitlich gegliederte Hierokratie, 
mit einem streng centralisierten Cultus von genau vorgeschrie- 
bener Form an der heiligen Stätte zu Jerusalem. Wenn also 
die Zehn Stämme alle die Kennzeichen des Reiches Gottes ver- 
missen lassen so bedeutet das ihren Abfall vom wahren Israel; 
sie haben die Böcke und Kälber zu ihren Göttern gemacht, die 
Priester und Leviten veijagt, überhaupt sich losgesagt von den 
Einrichtungen, die in Juda seit Josia sieh ausbildeten und durch 
Ezra ihren Abschluss gewannen'). Sie kommen darum wie an- 
dere Heiden nur so weit für die heilige Geschichte in Betracht, 
als sie mit dem eigentlichen Volke Jahve's, dem Israel im Lande 
Juda (2. Chron. 23, 2), in freundliehe oder feindliche Berührung 
treten, wobei dann immer in geflissentlichster und unverholenster 
Weise für Juda Partei genommen wird, sogar von den Be- 

') Freilich kann der Verfasser der Chronik auch hei diesen Schismatiliern 
nicht von seinen gesetzlichen Vorstellungen abstrahieren, wie es sich in 
einer fast komischen Weise darin zeigt, dass die Priester Jerobeams ihre 
Ketzereien ganz nach Vorschrift des Priestercodex begehen nnd ihre 
HandfüUning mittelst eines grossen Opfers besorgen (13, 9). 



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198 Guhchichte der Tradition, Kap. d. 

wohnerri des Nordreiclis selber'). Macht man Ernst mit dem 
Pentateuch als mosaischem Gesetze, so ist diese Aussehliessang 
der Zehn-Stämme in der Tbat eine notwendige Coasequenz, 
denn die blosse Thatsache ihrer Zugehörigkeit aiim Volke Jahve's 
zerstört dessen GruudvoraussetzuDg, die Einheit und Legitimität 
des Gottesdienstes als Basis der Theokratie, die Priester und 
Leviten als ihre wichtigsten Organe „als die Sehnen und Mus- 
keln des Volksleibes, welche den Gliederbau zu einem lebens- 
kräftigen und beweglichen Ganzen zusammenhalteu". 

2. Die Kehrseite ist natürlich die Idealisierung Juda's vom 
legitimen Cultus aus, in einer Weise, die man sich nach den bei 
David und Salomo abgelegten Proben vorstellen kann. Die 
Priester und Leviten, die aus Israel ausgewandert sind, haben 
das südliehe Eeich gestärkt (11, 17) und bilden hier das eigent- 
lich herrschende, die Geschichte tragende Element. Um ihret- 
willen sind die Könige da, als die Schirmherren und Vögte des 
Cultus, in dessen innere Angelegenheiten sie sich aber nicht 
mischen dürfen (26, IßS.); Predigten zu halten und geistliche 
Feste — welche als die Höhenpunkte der Historie erscheinen 
— zu ordnen gehört zu den Hauptpfiiehten ihres Regiments ^). 
Die guten unter ihnen begreifen ihre Aufgabe und sind unzer- 
trennlich von den heiligen Dienern Jahve's, so namentlich Jo- 
saphat Hizkia und Josia. Von dem ersteren wird berichtet, er 
habe im dritten Jahr seines Königreichs eine Commission von 
Notabein Priestern und Leviten abgeordnet um mit dem Gesetz- 
buch umherzuziehen und zu lehren in den Ortschaften Juda's 
(17, 7^9); in den grösseren Orten, in den Festungen, habe er 
demnächst Riehtercollegia bestellt und über ihnen ein höchstes 
Tribunal zu Jerusalem eingesetzt, gleichfalls bestehend aus Prie- 
stern und Leviten und Notabein, unter dem Vorsitz des Hohen- 
priesters für die geistlichen und des Fürsten von Juda für die 
weltlichen Sachen (19, 5—11). Im Huche der Könige steht davon 
nichts, obwohl weniger Wichtiges bemerkt wird (I. 22, 47); der 
Verfasser der Chronik meldet es in seiner eigenen Sprache, die 
namentlich in den frommen Reden unverkennbar ist. Wahr- 
Bobeinlich ist es die Justi/,organisation seiner Gegenwart, die 

•) Vgl. 11, le. 15, 9. 30, 6. 19, 2. 20, 35ff. 25, 7. 28, 9ff, 
') 13,7ff. .15,10ff. 20,eff. 29,5ff. 30, Iff. 35,lff, 



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Die ChrODik- 199 

hier auf Josaphat zurttckgeflihrt wird, so dass wir hier wohl 
das älteste ^ieugnis ftlr das Synedrium zu Jenisalem als oberste 
Instanz Über den provincialen SyDedvien, sowie fllr dessen Zu- 
samiaensetzuTig und Präsidium haben. Die Unmöglichkeit einer 
solchen Gerichtsverfassung im Altertum erhellt aus der Voraus- 
setzung des Gesetzbuches als ihrer Grundlage, aus .der Coordi- 
natiou von Priestern und Leviten, und auch aus dem thatsäch- 
licheu Widerspruch gelegentlicher Angaben namentlich bei Jesaia 
und den älteren Propheten (bis auf Jerem. 26), in denen es 
überall als selbstverständlich gilt, dass die Machthaber zugleich 
auch die geborenen Richter sind. Schon von David weiss 
tibrigens die Chronik Ahnliches zu erzählen wie von Josaphat 
(1.23,4. 26, 29 — 32}; der Grund, warum vorzugsweise der 
letztere zu diesem Werke ausersehen wird, liegt einfach in sei- 
nem Namen Jahve ist Richter, wie er selbst mehrfach an- 
deuten muss (19, 5 — 11 vgl. Joel 4, 12). Aber nicht bloss in 
diesen inneren Angelegenheiten, sondern auch zum Kriege stär- 
ken die Priester und. Leviten den König von Juda. Wie die 
Posaunen der Priester dem Abia Mut und Sieg wider Jeroheam 
von Israel verleihen, so die Leviten dem Josaphat gegen Moab 
und Ammon, Nachdem er zuvor gefastet und die ti'öetliche 
Verheissung des Sängers Schauegott anbetend entgegen genom- 
men hat, rückt er am anderen Morgen mit dem Heere gegen 
die Feinde aus, die Leviten voran, die im heiligen Schmuck vor 
den Gerttsteten herziehen und singen: danket dem Jahve, denn 
seine Güte währet ewiglich. . Er findet darnach die Kampfes- 
arheit von den Feinden selbst gethan, die sieh auf das Signal 
jeues Lobgesanges hin einander angefallen und allesamt aufge- 
rieben habeu, teilt drei Tage den Raub aus und kehrt dann um 
wie er gekommen ist, die levitische Musik voran, mit Psaltern 
Harfen und Drommeten zum Hause Jahve's (20, 1 — 28). In ähn- 
licher Weise wird Hizkia verherrlicht. Von der assyrischen Be- 
lagerung Jerusalems und der denkwürdigen Befreiung der Stadt 
wird verhältnismässig wenig Aufhebens gemacht (32, Iff. vgl. 
de Wette I. 75); nach der Chronik ist seine Hauptthat, dass er, 
sobald er auf den Thron gelangt, im ersten Monat des Jahres 
und seiner Regierung (Exod. 40, 2. Lev. 9, Ij, durch die Priester 
und Leviten, die er ganz väterlieli als seiue Kinder anredet 
(30, 11), ein grosses Weihfest des angeblieh von Ahaz ver- 



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200 Geschichlc der Tradition, Kap. 6. 



und verwüsteten Tempels veranstaltet, darauf im 
zweiten Monat das Passah in grossartigster Weise nachfeiert, 
und endlich vom dritten bis zum siebenten Monat für das genaue 
Eingehen der Abgaben an den Klerus Sorge trägt; wie das alles 
in dem gewohnten Stile durch drei lauge Kapitel besehrieben 
wird, aus denen wir für die Zeit Hizkia's nichts, wohl aber 
manches fUr die Zeit des Verfassers lernen können, besonders 
für die damalige Darbringungeweise der heiligen Abgaben (29, 
1 — 31, 21). Auch bei Josia wird zwar der Bericht über seine 
epo ehemachend 6 Cultusreformation im ganzen nur verstümmelt 
in der Chronik wiedergegeben, aber die kurze Notiz 3. Reg. 23, 
21 — 23 wird zu der ausführlichsten Schilderung eines glänzen- 
den Paseahfestes erweitert, wobei wie immer die Priester und 
vor altem die Leviten als, die Hauptpersonen figurieren. In 
letzterer Beziehung ist. noch ein einzelner kleiner Zug mitteilens- 
wert, dass nämlich die gi'osse Versammlung, worin der König 
das Gesetzbuch beschwören lässt, zwar im Übrigen 2. Chron. 34, 
29f. genau so zusammengesetzt ist wie 2. Reg. 23, 1. 2, aber 
statt der Priester und Propheten die Priester und Leviten 
daran teilnehmen. Was das zu bedeuten habe, lehrt am besten 
der Vergleich des Thargum, wo die Priester und Propheten 
in Priester und Schriftgelehrte übersetzt werden. 

In einen eigentumlichen Conflikt gerät nun aber der Chro- 
nist durch diese Projection des im Gesetz vorgeschriebenen und 
im Judaismus verwirklichten legitimen Cultus mit den Angaben 
seiner Quelle, aus denen hervorgeht, dass derselbe nicht fertig 
aller Geschichte vorangegangen , sondern allmählich im Laufe 
der Geschichte geworden ist; er wickelt sich heraus so gut es 
geht, ohne jedoch einem wunderlichen Schaukeln zwischen der 
zeitlosen Anschauung, die ihm Natur ist, und der historischen 
Tradition, die er benutzt und aufnimmt, zu entgehen. Die Verse 
1. Keg. 14, 22. 23 die Judäer (nicht bloss Rehabeam) thaten 
was Jahv e übel gefällt und ärgerten ihn wie ihre 
Väter und errichteten ebenfalls Höhen und Malsteine 
und heilige Pfähle u. s. w., welche ebenso wie die parallelen 
über Israel 12, 25 ff. an dieser Stelle von prineipieller Bedeutung 
sind und einen derben Strich durch den angeblichen Unter- 
schied der Culte des levitisehen und des ui eh tlevi tischen Reiches 
ziehen, werden als gar zu unmöglich ausgelassen, obwohl der 



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Die Chronik. 201 

gaoze übrige Zusammenhang mitgeteilt ist (12, 1—16). Des- 
gleichen ist das ungünstige Urteil Über Kehabeams Nachfolger 
Abia 1. Reg. 15, 3 — 5 nicht aufgenommen, weil die ersten jüdi- 
schen Könige, da sie ja den rechten Gottesdienst bewahren, 
gegenüber den israelitischen, die davon abgefallen sind, noi^ 
wendig gut sein müssen. Aber wenn der Chrouist zur Ehre 
Juda's das Schlimme verschweigt, so mag er doch nicht die 
nach 1. Eeg. 15, 12ff. mit Asa eintretende Besserang übergehen, 
obgleich man nun gar nicht weiss, wozu es derselben bedarf, 
da ja schon vovlier Alles in bester Ordnung gewesen ist. Ja er 
übertreibt noch diese Besserung und macht deo Asa zu einem 
andern Josia (15, 1—15), lässt ihn auch (14, 3) die Höhen ab- 
schaffen und recipiert dann doch {15, 17) die Angabe 1. Keg. 
15, 14, die Höhen seien nicht abgetban. Ähnlich heisst es über 
Josaphat zunächst, er habe in den anfänglichen Wegen seines 
Vaters Asa gewandelt und die Höhen abgeschafft in Juda (17, 3. 
6. 19, 3), in falscher Verallgemeinerung von 1. Reg. 22, 43. 47, 
und hinterdrein dennoch, die Höhen seien geblieben (20, 32. 33), 
wörtlich nach 1. Reg. 22, 43. 44. Es dünkt dem Verfasser einer- 
seits eine Unmöglichkeit, dass der Höhendienst, der ihm trotz 
33, 17 im Grunde Abgötterei ist, auch von den frommen d. i. 
gesetzest reuen Königen nicht unterdrückt sein sollte, und auf der 
anderen Seite copiert er doch mechanisch seine Vorlage. 

Bei den notorisch misfälligen Herrschern hilft er sich damit, 
dass er sie einfach zu Heiden und zu Vei-folgern der Bundes- 
religion macht; denn . innerhalb des Jahvismus, der ja zu allen 
Zeiten nach dem Gesetz normiert und mit dem exclusiven Mo- 
saismue des Judentums gleichbedeutend gewesen ist, sind sie 
für ihn undenkbar. So zuerst bei Joram: er macht Hohen auf 
den Bergen Juda's und verführt die Bewohner Jerusalems zur 
Hurerei und Juda zum Abfall (21,11), erwürgt dazu alle seine 
Brüder mit dem Schwert (v. 4) — eins ergibt sich aus dem an- 
deren. Seine Witwe Athalia verwüstet, durch ihre ermordeten 
aber zu diesem Zweck wieder auflebenden Söhne, den Tempel 
Jahve's und macht Baalsbildev aus dem geweihten Metall (24, 7); 
nichtsdestoweniger geht der öffentliche Jahvedienst unter Lei- 
tung des Priesters Jojada ununterbrochen fort. Am unbarm- 
herzigsten wird Ahaz zugerichtet. Nach 2. Keg. 16, lOff. hat der- 
selbe zu Damascus einen 'Altar gesehen, der ihm gefiel, und nach 



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202 Geschichte am Trailitloi), Kap. e. 

dessen Muater einen ähnlichen zu Jerusalem errichten lassen, 
während der eherne Altar Salomo's wahrseh einlieh in die 
Schmelze wanderte; Uria der Priester hat die Ausföhrung der 
betreffenden Befehle des Königs besorgt. Man sieht, toü Auto- 
nomie, von unantastbarem göttlichen Recht des Heiligtums ist 
keine Rede, der König befiehlt's und der Priester thut's. Dem 
Chronisten ist also die Geschichte' vollkommen unfassbar; was 
macht er daraus? Ahaz hat den damasceuisehen Götuendienst 
ei»gef(ihi-t, den Jahvedienst abgeschafft und den Tempel zuge- 
schlos'sen {28, 23f.). Au der Person eines Menschen liegt ihm 
nichts, an der unbeugsamen Einheit des mosaischen Cultus Alles, 
und dessen Identität wäre ja dahin, wenn ein rechtgläubiger 
Priester, ein Freund des Propheten Jesaia, die Hand dazu ge- 
boten hätte, einen fremden Altar einzuführen. Um Manasse 
und Amon zu reinen Götzendienern zu machen, war eine Stei- 
gerung der Angaben 2. Reg. 21 kaum von nöten; ausserdem la- 
gen hier besondere Gründe vor, die es verboten zu schwarz zu 
üeichnen. Wunderbar ist wie auch das Volk, welches stets von 
Eifer und Freudigkeit fdr das Gesetz beseelt ist und den from- 
men Herrschern ihre Bundestreue belohnt (15, 15. 17, 5. 24, 10. 
31, 10), diese bösen Könige dadurch censiert, dass es ihnen die 
Ehre des königliehen Begräbnisses versagt oder verkümmert 
(21, 19. 20. 28, 27. 33, 20) — in Widerspruch gegen 2. Reg. 9, 28. 
16, 20. 21, 28. 

Die periodischen Anfälle des Heidentums dienen zugleich 
dazu, die darauf folgenden Besserungen zu verstehen, die f 
das Begriffsvermögen des jüdischen Schriftgelehrten i 
Nach dem Buche der Könige trafen die Könige Joas Hizkia 
und Josia lobenswerte Neuerungen im Tempeleultus, beseitigten 
tief eingewurzelte und von jeher geübte Gewohnheiten und re- 
formierten den oftieiellen Dienst Jahve's, Aus diesen Fovt- 
sehriiten innerhalb des Jahvismus, die allerdings seiner mo- 
saischen Stabilität recht unbequem widersprechen, macht die 
Chronik vielmehr einfache Herstellungen des reinen Gottes- 
dienstes, welche auf vorübergehende gewaltthätige Abschaffung 
desselben folgen. Am gründlichsten bei Hizkia. Nachdem sein 
Vorgäuger die heiligen Thore geschlossen, die Leuchter gelöscht 
und den Gottesdienst sistiert hat, bringt er, durch die reacti- 
vierten Priester und Leviten, alles wieder in Gang; seine erste 



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und wichtigste Kegierungsthat ist die Tempelweihe (Kap. 2 
daran schlieset sich (Kap. 30. 31) die Wiedereröffnung des I 
und die Eintreibung der Temporalien an den bisher, wie es 
Bcbeint, gesperrten Klerus. Dass die freilieh ganz anderes be- 
sagenden Angaben 2. Reg. 18, 1—7 der Ausgangspunkt zu diesen 
Extravaganzen gewesen sind, lehrt der Vergleich von 29, 1. 2. 
31, 1. 20. 21. 32, 22. Nur dass der König die eherae Schlange 
NehuBtan zerstörte (2. Reg. 18, 4), wird mit Stillschweigen über- 
gangen, als sei es unglaublieh, dass man ein solches Abbild, im 
Glauben es rühre von Mose her, bis dahin sollte verehrt haben; 
der nicht geriogere Anstoss dagegen, dass er die Aschera um- 
hieb, worunter man nur die des Tempelaltars verstehen kann 
(Deut. 16, 21), wird durch Umsetzung des Singulars in den 
Plural geebnet: er hieb die Äscheren um (31, 1), die sich hie 
und da in Juda vorfanden, natürlich bei heidnischen Altären, 

Bei Joas und Josia stehen die nicht bloss kurz das Resultat 
berichtenden sondern spociell in den Hergang eingehenden Er- 
zählungeu der Vorlage, an die der Chronist gebunden ist 2. Reg. 
11, 12. Kap. 22. 23, dem freien Fluge seiner gesetzesseligen 
Phantasie entgegen. Gerade solche Geschichten, fast die einzigen 
ausführlichen über das Reich Juda im Buche der Könige, die 
ihrer Natur nach der Vorliebe unseres Verfassers für den Cultus 
am meisten entsprechen, bringen ihn durch ihr Detail in die 
grösste Verlegenheit, welches nach seinen Begriffen total unge- 
setzlich ist und doch nicht anders als im günstigsten Lichte dar- 
gestellt werden darf. 

Dass die im Tempel spielenden und den Tempel betreffen- 
den Perikopen über Joas 2. Reg. 11, 1 — 12, 17 eigentlich iden- 
tisch sind mit 2. Chron. 22, 10 — 24, 14, steht ausser Zweifel. 
Was zunächst 2. Reg. 11 beti-ifft, so kehrt der Anfang und 
Sehluss v. 1--^. V. 11—20 in 2. Chron. 22, 10—12. 23, 12—21 
wörtlich wieder, von kleinen Alterationen abgesehen. Aber auch 
in der Mitte finden sich Stellen aus 2. Reg. 11 in 2. Chron. 23 
unverändert aufgenommen, nur sind sie hier im Zusammenhange 
ungereimt, während dort verständlich. Denn die Meinung und 
Farbe des Ganzen ist in der Chronik völlig verändert, wie fol- 
gende Nebeneinanderstellung der Haujjtpartie lehren mag, zu 
deren Verständnis man wissen muss, dass die Regentin Athalia 
alle dem Blutbade Jeliu's entronnenen Glieder der davidischen 



lyGoo^Jc 



Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

hat bis auf den kleinen Joas, welclier mit 
Pneeters Jojada im Tempel Versteck und Schutz 



gefunden hat. 



3. Reg. 11, i. Im siebenten Jahre 
beachied Jojada und nahm die Ilaupt- 
leute der Karer und Trabanten 



und liess sie iii sich ms Haus Jthve s 
liinimeii und machte mit ihnen eiren 
Bund und Vi.richnorung im Hause 
Jahve s imd zeigte ihnen den Kunigs 
60hn 5 und befahl ihnen dies ist e*. 
nas ihr thun =oIlt das Drittel von euch, 
die am Sabbath heimgehen und den 
Dienst im Konigshause versehen [6 und 
da» Drittel im Thore Jesod und dia 
Drittel im Thore hinter den Tralanten 
und ihr sollt den Dienst im Hiuse 
versehen ] 7 und die zwei 

anderen Drittel von euch, dieSabbaths. 
lufziehen und den Dienst im Jah\ ehause 
haben bei dem kumge 



8 ihr sollt den Rjmg rings umgeben, 
jeder mit gezogener Waffe und wer 
emdnngt in die Reihen, soll getötet 
werden, und ihr sollt mit demRtnige 
Min, wo immer er sich hinwendet 

■} Und die Hauptleute thafen genau 
wie ihnen der Priester Jojada gesagt 
hatte und nahmen jeder seine Mann 
Schaft, die am Sabbath Heimgehenden 
und die am Sabbatb Aufziehenden, und 
kamen zum Priester Jojada. 



2. Chron. 33, 1. Im siebenten 
Jahre ermannte sich Jojada und 
nahm die Hauptleute Azaria ben 
Jeroham, Ismael ben Jobanan, Azaria 
ben Obed, Maaseja ben Ädaja und 
Elisaphat ben Zikri mit sich in Bund, 
2 und sie zogen in Juda umher und 
simmelten die Leviten aus allen Städten 
Jud'i ? und die ramilienhäupter Israels 
und timen gen Jerusalem, 3 und die 
ganze Gemeinde schloss einen Bund 
im Hause Gottes mit dem Könige. 
Und er '.prach zu ihnenr siehe der 
Konigssohn soll herrschen wie Jahve 
geredet hat über die Söhne Davids, 
4 dies ist es, was ihr thunsollt; 
das Drittel von euch, die am 
Sibbath kommen, von Priestern 
und von Leviten, soll die Schwellen 
hüten, 5 und das Drittel von euch soll 
sein im Hause des Königs und das 
Drittel im Thore Jesod und alles Volk 
in den Hofcn des Hauses Jahve's; 
a und ciemind soll ins Haus Jahve's 
dringen als die Priester und die Dienst- 
habenden von den Leviten , sie sollen 
hinein, denn sie sind heilig, aber alles 
Volk soll die Ordnung Jahve's ein. 
halten 1 und die Leviten' sollen 
denKunig rings umgeben, jeder 
mit gezogener Waffe, und wer 
in den Tempel dringt, soll getötet 
werden, und sie sollen mit dem 
Konige sein, wo immer er sich 
hinwendet 8 Und die Leviten und 
das g^nze Tuda thaten genau wie 
ihnen der Priester Jojada be- 
fohlen hatte und nahmen jeder 
seine Mannschaft, die am Sab- 
bath Kommenden mit den am 
Sabbath Gehenden, denn der 



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10 Und der Priester gab dea Haupt- 
leiiten die Speere und Küituagen des 
Königs David, die im Hause Jalive's 

11 Und die Trabanten standen, männig 
lieh mit der Waffe in der Hand, \on 
der Süd'ieite des Tempels herum bia 
zur NordsBite um Altar und Tempel, 
nngs um den Konig 

12 Und e[ führte den Eonigasohn her 
aus und le^e ihm das Diadem und 
die Armspangen an, und sie macbtnn 
ihn zum König und salbten ihn und 
klatnrhten m die Hind und nefen es 
lebe der König! 



Priesfer Jojada entliess die Abtbeilun- 
gen nicht. 9 Und der Priester Jojada 
gab den Hauptlenten die Speere nnd 
Schilder und Rüstungen des Königs 
David die im Hanse Öotfes waren, 
10 und er stellte das ganze Volk, 
manniglicb mit der Waffe ia der 
Hand, vonderSädsi 



rNordsf 



Altai 



ndTei 



Jojada und f 
eben: es lel 



Die luthroiiisatioQ des Joae soll, ähnlich wie einst die Sa- 
lomo'e, durch die Leibwache der jüdischen Könige geschehen 
sein? der Hohepi-iester soll mit den Hauptlenten im Hause 
Jahve's eine Verschwörung gemacht und seihst die Anregung 
gegeben haben jene halbheidnischen Söldlinge in den Tempel- 
raum einzuflthren ? das wäre ja ein Greuel gegen das Gesetz, 
der einem «olehen heiligen Mann nicht zuzutrauen. Warum 
brauchte Jojada denn nicht seine eigene Garde, die Myriaden 
von Leviten, die ihm zu Gebote standen? Das war doch das 
einzig richtige und also auch das wirkliche Verfahren. „Nie- 
mand soll ins Haus Jahve's dringen als die Priester und die 
Diensthabenden von den Leviten", nach diesem von ihm seihst 
angegebenen Grundsatze (23,6; vgl, v. 7 in den Tempel statt 
in die Reihen) substituiert unser frommer Geschichtsehreiber 
den Karern und Trabanten seine Priester und Leviten, Da- 
durch rüekt nun auch Jojada in die ihm gebührende Stelle als 
Souverän des Heiligtums und der Gemeinde. Er braucht nun 
nicht mehr insgeheim mit den Befehlshabern der Leihwache eine 
Verschwörung anzustiften, sondern beruft durch seine geistlichen 
Offleiere die Leviten und Familienhäupter aus allen Städten 
Juda's in den Tempel und lässt dort die ganze Versammlung 
einen Bund mit dem jungen Könige schliessen. Die schreienden 
Disharmonieen, die durch derartige Neucolorierungen einzelner 
Partien des alten Bildes unvermeidlich entstehen, mues man in 



vGooqIc 



206 Geschichte der Ti'aditlon, Kap. 6, 

den Kauf nehmen. Wenn Jojada unbeschränkt über eine solche 
Macht gebietet und bei seiner Revolution mit der gröesten 
Öffentlichkeit verfährt, so hat er und nicht Athalia die eigent- 
liche Herrschaft — wozu macht er aber dann so viel Wesens 
um die Tyrannin abzusetzen? aus blosser Lust an levitischem 
Pomp und solennem Verfahren? Was soll man ferner mit den 
Häuptleuteu, die 23, 1. 9 beibehalten und v. 14 sogar wie 2. Reg. 

11, 15 Officiere des Kriegevolks genannt werden, anfangen, 
nachdem ihnen ihre Soldaten genommen oder verwandelt sind? 
Waren die Leviten militärisch organisiert und lösten sie sich, 
in drei Compagnien eingeteilt, allwöchentlich im Tempeldienste 
ab? Die Ausleger sind geneigt, solche Hülfsannahnien hinzuzu- 
dichten; damit können sie ins Unendliche fortfahren ohne zum 
Ziel zu gelangen, denn der Irrtum ist fruchtbar. Als ein be- 
sonders auffallendes Beispiel, wie sieh das Verfahren der Chronik 
rächt, möge noch 23,8 erwähnt werden: und sie nahmen jeder 
seine Mannschaft u. s. w. Die Worte sind aus 2. Reg. 11, 9 entlehnt, 
haben aber dort die Hauptleute zum Subject, dagegen hier die 
Leviten und alle Judäer, als ob ein jeder von diesen letzteren 
seine Mannschaft gehabt hätte, die des Sabbaths an und abtrat. 

Nicht viel weniger lehrreich ist der Vergleich von 2. Keg. 

12, 5—17 mit 2. Chron. 24, 4—14. Nach 2. Reg. 12 traf Joas 
die Anordnung, dass alle dem Tempel geweihten Geldgaben 
künftig an die Priester fallen, diese aber dafür die Pflicht haben 
sollten, das Gebäude im guten Stande zu halten. Aber sie 
nahmen das Geld und vernachlässigten doch die Reparatur, und 
als sie und insonderheit Jojada darum vom Könige gescholten 
wurden, verzichteten sie auf die Einnahme, um die Last nicht 
zu tragen. Darauf stellte 'der König eine Art Gotteskasten, eine 
Truhe mit einem Loch, neben dem Altare auf, „rechts wenn 
man in den Tempel will", dahinein sollten die Priester das ein- 
laufende Geld werfen, mit Ausnahme der Straf- und Sehuld- 
geider, die ihnen verblieben, und so oft die Truhe voll war, 
schütteten der Schreiber des Königs und der oberste Priester 
das Geld aus, wogen es und übergaben es den Werkführern 
zur Löhnung der Arbeiter; zur Anschaffung heiliger Geräte sollte 
nichts davon verwandt werden, wie ausdrücklich (v. 14) gesagt 
wird. Diese Einrichtung des Königs Joas war eine dauernde 
und bestand noch zur Zeit Josia's (2. Reg. 22, 3 ff.). 



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Die Chronik. 207 

In die autonome Hievokratie von Gottes Gnaden passte das 
eigenmächtige Verfahren des Joas nicht. Nach dem Gesetze 
fielen die laufenden Geldabgaben an die Priester; kein König 
durfte sie ihnen nehmen und nach Gutdünken darüber befinden. 
Wie konnte Jojada auf sein gottliches Recht verzichten und 
eine solche Majeetätsbeleidigung des Heiligen duldeul wie konnte 
er für seinen anfänglieben passiven Widerstand gegen die ge- 
setzwidrige Zumutung geladelt, wie konnte überhaupt der Pne- 
ster in seinem eigenen Departement vom Könige zur Rede ge- 
stellt werden ! Die Chronik weiss es besser. Athalia , die 
schlimme, hatte den Tempel verwüstet und ausgeraubt; so be- 
echloss Joas ihn zu restaurieren und zu dem Zweck durch die 
Leviten aus ganz Israel Geld sammeln zu lassen. Da aber diese 
damit keine Eile hatten, so machte er eine Truhe und setzte 
sie drausseil in das Thor zum Heiligtum: da strömte das Volk 
herbei und freudigen Herzens thaten Vornehme und Geringe ihre 
Gaben in die Truhe, bis sie ganz voll war. Als nun die Thor- 
wache dies gemeldet hatte, kamen der Schreiber des Könige 
und der Delegirte des Hohenpriesters, das Geld auszuschütten, 
und der König und der Hohepriester löhnten damit die Arbeiter; 
was übrig blieb, ward zu kostbaren Geräten verarbeitet {2. Chron. 
24, 5 — 14). Hieniaeb ti-ifi't Joas nicht über die heiligen Abgaben 
irgend welche Verfügung, sondern er veranstaltet eine ausser- 
ordentliche Sammlung wie einst Mose zum Bau der Stiftshütte 
(24,6.9); in Folge dessen erscheint auch alles Andere, was 
2. Reg. 12 dauernde Einrichtung ist, hier als einmalige Begeben- 
heit ; statt von den immer wieder nötigen Reparaturen des Tem- 
pels ist von einer ausserordentlichen Restauration desselben die 
Rede, und nur zu diesem vorübergehenden Zweck wird der 
Gotteskasten aufgeHtellt, jedoch nicht beim Altar sondern am 
Thor (24, 8 vgl. 2. Reg. 12, 10). An den Klerus, und zwar an die 
Leviten, ist nur die Zumutung gestellt worden, die Sammlung 
zu betreiben, nicht selbst von den heiligen Einkünften den Bau 
zu bezahlen; in Folge dessen wird ihnen auch nicht vorgeworfen, 
dass sie das Geld für sich behalten, sondern dass sie nicht recht 
an die Sammlung heran wollen. Es erweist sich aber, dass sie 
mit diesem Widerstreben ganz Recht gehabt haben, denn der 
König braucht nur den Gotteskasten auszustellen, so fliesst er 
auch über von freiwilligen Gaben des sich herzudrängenden 



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208 Geschichte der Tradition, Kap. ß. 

Volks, SO dass davon auch noch zu anderen, freilich nach 2. Reg. 
12, 14 ausdrücklich ausgeschloesenen Zwecken etwas übrig bleibt 
(v. 14). Den Priestern erteilt Joas überhaupt keine Befehle, und 
namentlieli Jojada steht ihm ganz gleichberechtigt gegenüber: 
schickt der König seinen Schreiber, so erscheint auch der Hohe- 
priester nicht persönlich, sondern lässt sich durch seinen Delegier- 
ten vertreten (24, 11 vgl. 2. Reg. 12, 11). Auch hier passt mancher 
neue Lappe nicht zum alten Kleide, wie de Wette I, 100 zeigt; 
stillschweigend gibt die t'hronik selber dem älteren Bericht die 
Ehre, indem sie den Joas schliesslich vom Mosaisraus abfallen 
und die dankbare Ehrerbietung, welche er dem Hohenpriester 
schuldig war, verleugnen lässt: das ist die Nachwirkung des 
unangenehmen Eindrucks, den sie nicht aus ihrer eigenen Er- 
zählung, sondera nur aus der des Buches der Könige, über das 
unangemessene Auftreten des dennoch frommen Königs in Ange- 
legenheiten des Heiligtums und der Priester, gewinnen konnte. 
Die Früchte für ihre Entstellung von 2, Reg. 12 erntet die 
Chronik bei der Wiedergabe der damit nahe verwandteu und 
eng zusammenhängenden Perikope 2. Heg, 22, 3 — 10. Es ist der 
Muhe wert, die Parallelen noch einmal zusammenzustellen. 



2. Reg. 22, 3. Und im 18. Jalire des 
Königs Joaia sandte der König den 
Saptian ben Asalia ben Mesullam ins 
Hans Jahve's sprecliend; 4 geht zn 
Hiiliift dem Hoheapriester, und schüttet 
das Silber aus, das eingegangen ist im 
Hause Jahve's, welches die Schwellen- 
hoter eingenommeE haben von dem 
Volk, 5 und gebet es den Wertführem 
im Hanse Jahve's, <iass sie es den 
Arbeitslenten geben, welche im Hause 
Jahve's mit der Reparatur beschäftigt 
sind, 6 den Schmieden Zimmerleuten 
und Maurern, und zum Kant von Holz 
und Bansteinen zur Ausbesserung des 
Hauses, ^ doch soll über das ihnen 
übergebene Geld nicht mit ihnen abge- 
rechnet werden, auf Treu und Glauben 
verfahren sie. 



2. Chron. 34, 8. Und in seinem 
18. Regierungsjahre, zu reinigen das 
Land und den Tempel, sandte er den 
Sapbau ben Äsalia und Maaseja den 
Biirgemeistec und Joah ben Joahaz 
den Kanzler, zu restaurieren das Haus 
Jahve's seines Gottes. 9 Und sie ka- 
men zum Hohenpriester Hilkia, und 
sie gaben das im Hause Gottes ein- 
gegangene Silber, welches die Leviten, 
die Schwellenhüter, gesammelt hatten 
von Ephraim und Manasse und dem 
übrigen Israel und von ganz Juda und 
Benjamin und damit heimgekehrt wa- 
ren nach Jerusalem, 10 das gaben sie 
den Arbeitern bestellt im Hause Jahve's, 
und die Arbeiter, welche an der Re- 
stauration im Hause Jahve's schafften, 
11 die gaben es den Handwerkern und 
Bauleuten, zu kaufen Hausteine und 
Hoizer zu Decken und Balken der 



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17 und sie haben das im Hause Jahve's 
vorhandene Geld ausgeschüttet und es 
den Vorstehern und den Arbeitsleuten 
übergeben. 18 Und der Schreiber 
Saphan erzählte deoi König also: ein 
Buch hat mir der Priestor Hilkia ge- 
geben, und Saphan las darans dem 



Die in der Einrichtung des Joas liegender 
des Anlasses, bei dem der Priester dem Saphan das Gesetz- 
buch insinuiert, hat die Chronik zerstört und dafür andere er- 
gänzt: unter den Vorgängern Josia's sei der Tempel verderbt, 
unter ihm selber aber durch umherziehende Leviten aus ganz 
Israel Geld zur Restauration gesammelt und zunächst im Gottes- 
kasten deponiert. Beim Ausschütten dieses Kasten soll dann 
der Priester das Buch gefunden haben (v. 14, nach Deut. 31, 26), 
ungeachtet bei dieser Gelegenheit auch Saphan und die beiden 
V. 8 hinzugefügten Statisten zugegen waren und den Fund hätten 



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210 Geschitlite der Tradition, Kap. 15. 

mitmaoheu müssen, was durch v. 15 ( = 2. Reg. 22, 8) ausge- 
schlossen ist. Andere MiBverständnisse kommen hinzu, nament- 
lich sind die Werkfllhrer (muphkadim), denen nach dem 
ursprünglichen Bericht das Geld zur Löhnung Übergeben wird, 
zu einfachen Arbeitern degradiert, von denen sie dann doch 
wieder untersohieden werden: während sie 2. Reg. 22, 7 bei 
der Auszahlung des Geldes auf Treu und Glauben verfahren, 
verfahren sie 2. Ohron. 34, 12 bei dem Werke mit Treu und 
Glauben. Vielleicht ist dies indessen kein reines Misveretändnis, 
sondern hängt zusammen mit dem Bestrehen, die profanen Hände 
thunlichst Tom Heiligen ferne zu halten und besonders die Lei- 
tung des Baues den Leviten zu übergehen (v. 12. 13). Wie weit 
die Ängstlichkeit der Späteren in diesem Punkte ging, ersieht 
man aus der Angabe {Joseph, Ant. 15 11, 2), dass Herodes zum 
Bau seines Tempels tausend Priester zu Maurern und Zimmerleuteu 
ausbilden liess. Die zwei interessantesten Änderungen der Chronik 
sind ganz unscheinbar. In v. 18 sind die Worte: er las das Buch 
dem Könige vor, umgewandelt zu: er las daraus dem Könige vor, 
und hinter; und Hizkia gab das Buch dem Saphan (v, 15), ist der 
Satz: und er las es auegelassen. Nach 2. Reg. erscheint das 
Gesetzhueb als sehr massigen Umfanges, aber der Verfasser der 
Chronik stellt sich den ganzen Pentateuch ^darunter vor. 

Im weiteren wird zwar 2. Reg. 22, 11— -23, 3 wörtlich wieder- 
holt 2. Chron. 34, 18—32, aber der sich anschliessende unver- 
hältnismässig «nichtigere Abschnitt 23, 4—10, der eine detaillierte 
Schilderung der gewaltsamen Reformation Josia's enthält, wird 
übergangen und mit der nichtssagenden Bemerkung ersetzt, der 
König habe alle Greuel aus Israel entfernt (34, 33); desto aus- 
führlicher wird , daflu- sein Passahfest beschrieben (Kap. 35). 
Wenn die Chronik auch den Bericht von der Auffindung und 
Publicierung des Gesetzes mitteilt, so begreift sie doch nicht, 
dass dasselbe erst seit diesem Augenblicke geschichtlich wirk- 
sam und plötzlich von so grosser Bedeutung geworden sein 
sollte. Es war ja seit Mose die Grundlage der Gemeinde und 
bestand zu allen normalen Zeiten in Kraft und Geltung; nur 
zeitweilig konnte dies Lebenspvincip der Theokratie von schlech- 
ten Königen niedergehalten werden, um nach dem Aufhören 
des Druckes sofort meder wirksam und mächtig zu werdeu. 
Sobald Ahaz die Augen geschlossen hat, stellt Hizkia im ersten 



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Die Chronik. 211 

Monat seines ersten Jahres den moeaisehen Cultus wieder her; 
und sobald Josia za verständigen Jahren gekommen ist; macht 
er gut was seine Väter gesündigt. Weil er bei seinem Antritt 
noch zu jung ist, wird Anstands halber statt des achten Jahrs 
seines Alters das achte Jahr seiner Regiernug gewählt und dahin 
die grosse Eeformation verlegt, die er thatsäehlieh viel später 
unternahm (34, 3—7 ^ 2. Reg. 23, 4—20). So verliert dieselbe 
denn glücklieb den geschichtlichen Anlass und der Charakter 
der Neuerung erscheint vielmehr als einfaches Emporschnellen 
der Feder nach Beseitigung der ihr angethanen Gewalt. Das 
Gewölk weicht vor der Sonne des Gesetzes und sie scheint 
wieder wie zuvor — ihr Lieht macht keine Phasen durch, sie 
leuchtet von Anfang an in gleicher Stärke. Was Josia gethan 
hat, hat ganz ebenso vor ihm schon Asa gethan, darnach Jo- 
saphat, darnach Hizkia; die Reformen sind keine Stufen einer 
fortschreitenden Entwickelung, sondern haben alle den gleichen, 
ewigen Inhalt. Das ist der Einfluss des transcendenten , allem 
Werden und Wachsen enthobenen Mosaismus auf die historische 
Anschauung, spürbar schon im Buche der Könige, aber in der 
Chronik ungleich handgreiflicher. 

3. Abgesehen davon, dass sie die stetige Tradition des 
legitimen Cultus zu Jerusalem darstellt, hat die Geschichte 
Juda's in der Chronik noch einen anderen lehrhaften Zweck. 
In dem Reiche Jahve's wirkt nicht ein natürlicher und mensch- 
licher, sondern der göttliche Pragmatismus. Ihn zum Ausdruck 
zu bringen, dazu sind die Propheten da, die in ununterbrochener 
Suceession den Königen und Hohen priesteni zur Seite geben; 
sie verknüpfen die Thaten der Menschen mit den Ereignissen 
des Weltlaufs und benutzen die heilige Geschichte als Thema 
für ihre Predigt, als Beispielsammlung für die prompteste Wirk- 
samkeit der Gerechtigkeit Jahve's. Neues und Freies verkün- 
digen sie dabei nicht, sondeni handhaben nur, ebenso wie Jahve 
selber, die Thora Mose's, indem sie nach der Schablone Glück 
oder Unglück in Aussicht stellen, je nachdem das Gesetz treulich 
eifüllt oder vernachlässigt worden ist. Natürlich treffen ihre 
Weissagungen immer genau ein, und es ergibt sich somit eine 
ganz wunderbare Symphonie von innerem Wert und äusserem 
Ergehen. Nie bleibt auf die SUnde die Strafe aus und nie man- 
gelt dem Unglück die Schuld. 



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212 Geschichte <ier Tradition, Kap. G. 

Im 5. Jahr Kehateams ward Juda und Jerusalem tod 
Pharao Sisak ausgeplündert (1. Reg. 14, 25). Nämlicli drei Jahre 
lang wandelten sie in den Wegen Davids und Salomo's, denn 
drei Jahre lang wurden sie gestärkt und gekräftigt von den aus 
dem Nordreich zugezogenen Priestern und Leviten und übrigen 
Frommen (2. Chron. 11, 17); darnach aber im 4. Jahr, da das 
Königreich Rehabeams gestärkt und gekräftigt war, verliess er 
das Gesetz und ganz Israel mit ihm (12, 1) ™ und es folgte im 
5. Jahre der Überfall Sisaks. Ein Prophet kündigt denselben 
an, in Folge dessen demütigt sioh der König mit seinem Volk 
und kommt mit blauem Auge davon — weil er gewürdigt wor- 
den, noch zwölf weitere Jahre zu regieren, 

Asa litt im Alter an den Füssen (1. Reg. 15, 23). ' Nach 
2. Chron. 16, 12 starb er an der als sehr geföhrlieh geschilderten 
Krankheit im 41. Jahre seines Königtums, nachdem er schon 
vorher in der späteren Zeit seiner Regierung Unglück gehabt 
hatte. Was war die Schuld? Er hatte gegen Baesa von Israel 
auswärtige Hülfe statt der göttlichen angerufen. Nun lebte Baesa 
nur bis zum 26. Jabre Asa's, jene böee That müsste also vorher 
begangen sein. Aber dann wäre ihr Zusammenhang mit der 
Strafe nicht klar geworden, die den König erst gegen Ende 
seines Lebens traf. Also wird Baesa's Zug gegen Jerusalem 
und der in Folge dessen von Asa veranlasste Einfall der Syrer 
in Israel von der Chronik in's 36. Jahr des letzteren verlegt 
(16, 1). Man hat die treffende Beobachtung gemacht, dass Baesa 
damals eigentlich längst tot war, und darum die Zahl 36 in 16 
verbessern wollen — ohne zu bedenken, dass die erste Hälfte 
der Kegierungszeit Asa's ausdrücklich als glücklieh bezeichnet 
wird, dags schon 15, 19 das 35. Jahr erreicht ist und dass jene 
Correetur den Zusammenhang mit dem Folgenden (16, 7ff.) zer- 
stört. Nämlich in Anlass jener frevelhaften Herbeirufung der 
Syrer tritt nun der Übliche Prophet auf (16, 7) und verkündet 
die übliche Drohung. Es ist Hanani, ein Nordisraelit (1. Reg. 
16, 7), aber Asa behandelt ihn wie seinen eigenen Unterthan, 
iässt ihn hart an und setzt ihn in's Stoekhaus. Dadurch ver- 
grössert und beschleunigt er die Strafe und erliegt ihr im 
41. Jahr seiner Regierung. 

Josapbat, der fromme König, beteiligte sich nach 1, Reg. 22 
an dem Feldzuge des gottlosen Ahab von Israel gegen die Da- 



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Die Chronik. 213 

Ungeahndet kaun ihm das die Chronik nicht hin- 
gehen lassen, also sagt ihm, da er in Frieden heimkehrt, selbi- 
ger Hanani eine jedoch gnädige Sti-afe an (19, 1 — 3). Und in 
der That sie ist gnädig; die Moabiter und Ämmoniter fallen in's 
Land, aber Josaphat trägt ohne sein Zuthun einen glänzenden 
Sieg davon und macht uneimessliche Beute (20, IfF.), Man kann 
es ihm darnach nicht verdenken, dass er sich noch einmal mit 
Ahaba Nachfolger verbindet, zu einer gemeinschaftlich zu betrei- 
benden Schiffahrt, die von einem Hafen des Roten Meeres ans, 
wahrseheinlieh um Afrika herum, nach Tarsis (Spanien 2. Chron. 
9,21) gehen soll. Diesmal aber wird er ernstlicher gestraft: 
wie Eliezer ben Dodija geweissagt, scheitern die Schiffe. Vgl. 
dagegen 1, Reg. 22, 49. 50: „Josaphat baute Tarsisschiffe nach 
Ophir zu fahren um Gold, aber die Fahrt kam nicht zu Staude, 
denn die Schiffe zerbrachen im Hafen am Roten Meere; damals 
hatte Ahazia ben Ahab um Beteiligung seiner Knechte an der 
Fahrt gebeten, aber Josaphat es abgeschlagen". So der Original- 
bericht. Aber in der Chronik muss das Unglück moralisch be- 
gründet sein und darum Josaphat sündige Gemeinschaft mit dem 
Samarier machen, den er in Wahrheit abgewiesen bat, freilich 



Joram ben Josaphat habe es sehr schlimm getrieben, heisst 
es 2. Reg. 8, 18; die Chronik steigert seine Frevel und ergänzt 
vor Allem den verdienten Lohn (21, 4ff.). Elias, obwohl damals 
längst gen Himmel gefahren (2. Reg. 3, llff.), muss dem Sünder 
einen Brief sehreiben, dessen Drohungen Jahve dann pflicht- 
schuldig in Erfüllung gehen lässt. Nachdem zuvor die Philister 
und Araber ihn bedrängt haben, verfällt Joram in eine unheil- 
bare Krankheit der Eingeweide, die ihn Jahre lang quält und 
endlich in furchtbarster Weise sein Ende herbeiführt (21, 12fF.). 
Dem Gottesurteil beifallend versagt das Volk dem Toten die 
königlichen Ehren und begräbt ihn nicht bei seinen Väteni: 
trotz 2. Reg. 8, 24. 

Joas war nach 2. Reg. 12 ein frommer Herrseher, aber er 
hatte Unglück; den Syrer Hazael, der Jerusalem belagerte, 
musste er durch schweres Geld zum Abzüge bewegen, zuletzt 
-fiel er durch Meuchelmord. Womit er dies Schicksal verdient 
hat, weiss die Chronik. In dem Satze: ,,er that was Jahve wohl- 
geföllt alle seine Tage, weil ihn der Priester Jojada unter- 



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214 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

wiesen hatte" (2. Reg. 12, 3), verändert sie den Schluss dahin: 
alle die Tage Jojada's des Priesters (24,2). Nämlich 
nach dem Tode seines Wohlthäters ist er abgefallen und hat 
ihm an seiner Familie mit schnödestem Undank gelohnt: am 
Ende des selbigen Jahres überziehen ihn die Syrer, bei ihrem 
Abzug yerfällt er in eine schreckliche Krankheit, um die sein 
Unglück hier noch verschlimmert wird; und in der Krankheit 
wird er ermordet (24, 17 ff.). 

Amasia ward von dem samarisehen Könige Jehoas, den er 
übermütig herausgefordert hatte, geschlagen gefangen und em- 
pfindlich bestraft (2. Reg. 14, 8ff.). Warum? weil er erbeutete 
edomitische Götzen in Jerusalem aufgestellt hatte und ihnen 
diente (2. Chron. 25, 14). Erbeutete Götzen eines überwundenen 
Volkes zieht er in dem Augenblicke dem Jahve vor, als letzterer 
jene besiegt hat! Seit diesem in der That nicht genug zu strafen- 
den Abfall sollen dann auch seine Knechte sieh gegen ihn ver- 
schworen und ihn umgebracht haben (25, 27) — und doch wird 
V. 25 nach 2. Reg, 14, 17 versichert, Amasia habe seinen Gegner 
Jehoas um 15 Jahre überlebt. 

Uzzia, einer der besten Könige Juda's, ward aussätzig und 
musste die Kegentschaft seinem Sohne Jotham übergeben (2. Reg. 
15, 5). Nämlieh, fügt die Chronik hinzu, „er war sehr mächtig 
geworden und da erhub sich sein Herz zum Verderben, so dass 
er sieh an Jahve seinem Gott vergriff und in den Tempel ein- 
ging, um auf den Räucheraltar zu räuchern. Und da der 
Priester Azaria und achtzig seiner Genossen sich ihm wider- 
setzten und sprachen: es gebührt dir nicht zu räuchern, son- 
dern allein den Söhnen Aharons, die dazu geheiligt sind, so 
ward er zornig und Hess das Räucherfass nicht aus der Hand. 
Da fuhr der Aussatz aus an seiner Stirne und die Priester 
scheuchten ihn von dannen" (26, 16 — 20). Nun ist die Sache 
kein Rätsel mehr. 

Ahaz taugte wenig und half sich doch ganz leidlieh aus 
der Bedrängnis, in die er durch den Einfall der verbündeten 
Syrer und Israeliten geraten war, indem er sein Reich dem 
Assyrer Thiglathpileeer zu Lehen antrug (2. Reg. 16, 1 ff,). So 
billigen Kaufs konnte ihn die Chronik unmöglich davon kom-. 
men lassen. Hier wird er dahingegeben in die Hand der 
Feinde-, alleine die Israeliten ersehlagen 120000 Juden, darunter 



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Die rhi-onik. 215 

den Sohn des Königs und seine vornehmsten Diener, und 
schleppen 200000 Weiber und Kinder nebst anderweitiger grosser 
Beute fort nach Samarien. Auch die Edomiter und Philister 
fallen über den Ahaz her; die Assyver aber, die er zu Hülfe 
gerufen hat, misYersfehea ihn und rücken in feindlicher Absicht 
vor Jerusalem; sie erobern freilich die Stadt nicht, gewinnen 
jedoch mühelos ihre Schätze, die ihnen der König selber aus- 
liefert (28, 1—21). 

Keinen schlimmeren Herrscher kennt das Buch der Könige 
als Manasse; dennoch hat er, länger als irgend ein anderer, 
durch 55 Jahre ungestört die Regierung gefiihrt (2. Reg. 22, 
1 — 18). Diesen Stein des Anstosses muse die Chronik ans dem 
Wege schaffen, Sie erzählt Manasse sei von den Assyrern in 
Ketten nach Babel gebracht, dort aber habe er zu Jahve gefleht, 
sei von diesem wieder in sein Reich eingesetzt und habe nun 
den Götzendienst aus Juda beseitigt (33, 11—20), So entgeht 
er einerseits nicht der Strafe und andererseits erklärt sich doch 
die lange Dauer seiner Regierung. Freilich ist man neuerdings 
der Glaubwürdigkeit dieser Angaben mit einer assyrischen 
Inschrift zu Hülfe gekommen, aus der hervorgeht, dass Manasse 
dem Esarhaddou Tribut geleistet hat. Also, sagt man, ist er 
von den Assyrern vergewaltigt, und aber also ist er gefesselt 
von ihnen fortgeschleppt. Weniger gesehwinde aber vielleicht 
eben so richtig wäre die Folgerung, dass er als Tributzabler 
auf dem Thron von Juda uad nicht im Kerker zu Babylon ge- 
sessen haben müsse. In Wahrheit steht die zeitweilige Ab- 
setzung Manasse's ganz auf gleicher Linie mit Nebukadnezars 
zeitweiligem Grasfressen, Die Ungesehichtlichkeit des in seinen 
Motiven vollkommen durchsichtigen Intermezzo folgt nicht allein 
aus dem Stillsebweigeu des Buches der Könige, welches wahr- 
haftig in dieser Sache nicht leicht wiegt, sondern auch z. B. 
aus Jerem. 15, 4 Denn wenn es an letzterer Stelle beisst, um 
der Schuld Manasse's willen solle ganz Juda und Jerusalem der 
Vernichtung preis gegeben werden, so ist die Voraussetzung 
nicht, dass sie bereits von ihm selber gebüsst und gesühnt sei. 
Dem Josia wird, um zu rechtfertigen, dass er bei Megiddo 
Schlacht und Leben verlor, die Schuld angeheftet, dass er den 
Worten Necho's aus dem Miinde Gottes nicht gehorcht habe, 
der ihn vom Kampf abmahnte (35, 21. 22). Umgekehrt wird 



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216 Gcscliiclite der Tradition, Kap, G. 

dem gottlosen Jojakim die Strafe vergrösBert; er soll von dem 
Chaldäer in Ketten gesohiagen und nach Uabel geführt worden 
sein (35, 6) — freilieh war das vor der Einnahme Jeruaaleme 
nicht wohl thunlieh, die erst im dritten Monat seines Nach- 
folgers gelang. Der letzte Davidide Sedekia, weil er Schwereres 
als alle seine Vorgänger erlitt, muss halsstarrig und verstockt 
gewesen sein (36, 12. 13), Eigenschaften, auf die er nach dem 
authentischen Zeugnisse des Propheten Jeremia in Wahrheit 
am allerletzten Anspruch erheben konnte. 

Man sieht, die allereoncretesten Produkte sind aus dem 
Plan dieser Geschiehtschreibung, wie man sieh euphemistisch 
auszudrücken pflegt, hervorgegangen. Man wird darum über- 
haupt die Bestimmtheit der Angaben, mit denen die Chronik 
allein steht, nicht für einen Beweis ihrer Thatsächlicbkeit halten 
dtii"fen. Die Erzählung von dem Äthiopen Zerah (2. Chron. 
14, 7 ff.) ist ebenso apokiyph wie die von Kusan Risathaim 
(Jud. 3, 10). Schon des Vignoles hat zwar den ersteren mit dem 
Osortbon Manetho's gleichgesetzt, der als Osorkon Sohn des 
Sisat, jedoch nicht als Erneuerer des Feldzngs gegen Palästina, 
auf den ägyptischen Monumenten wiedergefunden ist; aber 
Osorkon war ein Ägypter, Zerah ein Äthiop, und die Ähnlich- 
keit ihrer Namen ist doch auch nicht allzu schlagend. Ausser- 
dem — wäre Zerah in der That eine historische Person, was 
hülfe dies zur Rettung des unhistorischen Zusammenhangs? Mit 
einer Million zieht der König der Mohren und Libyer, Ägypten 
überspringend, gegen Juda aus, Asa rückt mit 580000 Mann, 
dem Aufgebot eines Landes von ungefähr sechzig Quadratmeilen, 
den Feinden entgegen und schlägt sie auf der Ebene nördlich 
von Maresa so, dass kein einziger am Leben bleibt. Das soll, 
der genau angegebenen Lokalität wegen (wobei jedoch Maresa 
statt Gath nicht eben nach alter Quelle schmeckt) glaubhaft 
sein, wenigstens nach Abzug der Unglaublichkeiten? Vielmehr 
nach Abzug der Unglaublichkeiten ist der Kest gleich Null. Der 
Einfall des Baesa von Israel in Juda und Asa's Benehmen ihm 
gegenüber (1. Reg. 15, 17ff.) ist eine vernichtende Kritik des 
grossen Sieges, den er vorher über die Äthiopen davon getragen 
haben soll. Mit Josaphats Siege gegen die Ammoniter und 
Moabiter steht es um kein Haar besser (2. Ohron. 20), es liegt 
hier wahrscheinlich ein Echo von 2. Reg. 3 vor, wo von der 



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Dio Chronik, 217 

Beteiligung Josaphats an einem Feldzuge gegen Moab erzählt 
wird und ebenfalls der charakteristisohe Zug von der gegen- 
seitigen Aufreibung der Feinde vorkommt, so dass dem Wider- 
part nur die Arbeit des Beutemachens übrig bleibt (3, 23. 2. Chr. 
20, 23), Feinde stehen dem Chronisten immer zu Gebote, wenn 
er sie nötig hat, Araber zur Seite der Kuschiten (17, 11. 21, 16. 
22, 1. 26, 7), Meunäer (20, 1. 26, 7), Philister (17, 11. 21, 16. 
26, 6 f. 28,18)', Ammoniter (20, 1. 26,8. 27,5), dio sich zum 
Teil schon durch ihre Namen für die alte Zeit unmöglieh machen. 
Nachrichten wie die, dass die Ammoniter den Königen Uzzia 
und Jotham unterworfen gewesen seien (26, 8. 27, 5), werden, 
bei dem vollkommenen Schweigen der glaubwürdigen Quellen, 
einfach durch ihre innere Unmöglichkeit gerichtet; denn zu Ammon 
war Moab die Brücke, und dies Land war jener Zeit keinesfalls 
im judäischen Besitze, wie Übrigens auch nicht behauptet wird. 
Die Philister sind (21, 16. 28, 18) durch den Plan der Gesehieht- 
schreibung, als rachgierige Feinde benötigt; schon das flösst 
Mistrauen ein gegen die vorhergehenden Angaben (17, 11. 26, 6f.), 
dass sie von Josaphat zur Tributleistung gezwungen und von 
Uzzia niedergekämpft seien; vollends unglaublich ist es, dass 
der letztere die Mauer von Asdod (Arnos 1, 7) gebrochen und 
Festungen in Philisthäa angelegt haben soll. Nach dem Buche 
der Könige hat er Edom wieder unterworfen; Edom ist hier das 
einzige Land, worauf die Davididen Ansprüche machen und wo- 
gegen sie Kriege führen , während Moab und Philisthäa — 
letzteres jedoch mit Ausnahme der bedeutendsten Städte — 
virtuell zum Gebiete Israels gehören. 

Die Triumphe, welche die Chronik ihren Lieblingen gönnt, 
haben allesamt keine gesehichtliehe Wirkung, sondern nur die 
momentane Bedeutung den Glanz ihrer Eegierang zu steigern. 
Der Erfolg ist nämlich stets die Kehrseite des Verdienstes. Joram 
Joas Ahaz, die als verworfen geschildert werden, bauen keine 
Festungen, halten keine grossen Heere, haben nicht eine Fülle 
von Weibern und Kindern; nur bei den frommen Königen, zu 
denen ja auch ßehabeam und Abia gehören, äussert sieb in 
diesen Zeichen der Segen Gottes. Die Macht ist der Grad- 
messer der Frömmigkeit und steigt und i^Ut mit dieser. Weiter 
hat es keinen Sinn, wenn z. B. Josaphat über elf mal hundert 
tausend Soldaten hat (17, 14£f.); denn zu Kriegen werden sie 



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218 Geschichte der Tradition, Kap. 6, 

nicht gebraucht, der Sieg kommt voq Gott und von der Mnsik 
der Leviten {Kap. 20). Bei den Nachrichten tiber Festungs- 
bauten, die sieh regelmässig bei deu gnten Herrschern wieder- 
holen')) sind allgemeine Angaben, wie Hos. 8, 14, 2. Eeg. 18, 13 
in eoucreter Weise exemplifieiert, mit Benutzung einzelner tra- 
ditioneller Elemente (Lachie). Es ist eicht möglich, aber auch 
wahrhaftig nicht nötig, liberall die Erdichtung nachzuweisen; 
nach 19, 5 scheint es, als ob einfach alle einigermassen be- 
trächtlichen Städte als Festungen angesehen werden, in dem 
Verzeichnis 11, 6ff. trifft man vorzugsweise Namen, die auch in 
der nach exilischen Zeit bekannt waren. Dass Abia dem Jerobeam 
unter anderem Bethel abgenommen und dass Josaphat in die 
von seinem Vater Äsa eroberten epbraimitischen Städte Statt- 
halter gesetzt habe (13, 19. 17, 2), würde Verwunderung erregen, 
wenn es nicht in der Chronik stünde. Zur Beurteilung der 
Familiengeschichte der Davididen leistet besonders die Mittei- 
lung 13, 21 nach Form und Inhalt gute Dienste: , „und Abia 
stärkte sich und nahm sieh vierzehn Weiber und zeugte zwei- 
nndzwauzig Söhne und sechzehn Töchter". Man muss meinen, 
dies falle in das Königtum Abia's und zwar nach dem angeb- 
liehen Siege ttber Jerobeam; er regierte aber Alles in Allem 
nur drei Jahre und binnen dieser Zeit soll einer seiner Söhne 
sogar zum Manne gereift sein? In Wahrheit hat Abia nun über- 
haupt keinen Sohn gehabt, denn sein Bruder ist ihm gefolgt. 
Selbstverständlich ist doch auf die bestimmte und zweifelsohne 
quellenmässige Nachrieht, Maacha, die Frau Eehaheams, sei die 
Mutter sowohl Abia's als Asa's gewesen und letzterer habe sie 
aus ihrer Stellung am Hofe entfernt (1. Eeg. 15, 2. 10. 13), mehr 
zu geben als auf die andere verhältnismässig leicht zu erklä- 
rende, wonach der Nachfolger für des Vorgängers Sohn aus- 
gegeben wird (v. 8). Nach Josaphats Tode soll zunächst Joram 
alle seine Brüder (21,4) gemordet haben, sodann die Araber 
alle Söhne Jorams mit Ausnahme eines einzigen (22, 1): wer von 
den Davididen bleibt denn da noch für Jehu übrig, der auch 
ihrer zweiundvierzig abschlachtete (2. Keg. 10, 14)? Kurz die 
Familiengeschichte des Hauses Davids ist von dem selben histo- 
rischen Werte, wie alles Andere, was die Chronik mehr und 
), 9. 10. 27, 4. 33, 5. 



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Die Chronik. 219 

besser weiss als die älteren kanoDischen Gescbielitsbtleher. Auch 
die Namen und Zahlen können an diesem Urteil nicht irre 
machen; denn um solche Kleinigkeiten, die den Schein der 
Genauigkeit erwecken, ist der Verfasser nie verlegen. 

4. Die Grundlage des Buches der Könige schimmert auch 
in diesem das nachsalomonische Juda behandelnden Teile der 
Chronik allenthalben durch. Wo dort detailliert und ausführ- 
lich erzählt wird, da gebietet auch unser Verfasser über reicheres 
■und sachlich interessanteres Material; so bei den judäisoh-israeli- 
tisehen und bei den den Tempel betreffenden Geschichten 
(Kap. 10. 18. 23f. 25, 17—24. 33f.). Sonst ist er an die Epitome 
gebunden, die das Skelett des Buches der Könige bildet; nach. 
ihr richtet er sich sowohl in den Verdicten über den allgemeinen 
Wert der Herrscher als auch in den cbronologischen Angaben, 
jedoch seinem Plane gemäss die Synchronismen für gewöhnlich 
(13, 1. 25. 25} auslassend. Auch die positiven Data der Epitome 
über die von diesem und jenem Könige getroffenen Cultusmass- 
regeln üuden sich grösstenteils wörtlich wieder und schwimmen 
brockenweise und sofort unterscheidbar in dem Aufguss von 
Festfeiern, Predigten, Levitenchören, Gesetz und Propheten. 
Denn das ist eine wichtige Gegenprobe alles dessen, was sieh 
bisher ergeben hat: was in der Chronik nicht aus den Bttehern 
Samuelis und der Könige herrührt, gleicht sich nicht bloss in 
der inneren Art, sondern auch in der unbeholfenea und häufig 
unverständlichen Sprache, die offenbar einer Zeit angehört wo 
das Hebräische im Aussterben begriffen war, und in der mani- 
rierteu Darstellungsweise, die ganz von biblischen Reminiscenzen 
lebt. Es gehört nicht hierher, (lies nachzuweisen; vgl, aber 
Stähelin, speeielle Einleitung (1862) S. 139 f., Bertheau, S. XIVff., 
Graf S. 116. 

in. 

1. Wo die Chronik mit den älteren kanonischen Geschichts- 
büchern parallel geht, da enthält sie keine Bereicherung, son- 
dern nur eine Verfärbung der Tradition durch zeitgenössische 
Motive. In dem Gesamtbilde, welches sie malt, spiegelt sieb 
ihre eigene Gegenwart, nicht das Altertum wieder. Nicht viel 
anders verhält es sich nun aber auch mit den Geschlechtsver- 
zeichnissen, welche 1. Chron. 1 — 9 zur Einleitung vorangeschiekt 



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220 Geschichte der TraditiOD, Kap. 6. 

sind; aueli sie haben im ganzen nur fUr die Abfassungezeit Gel- 
tung, sei es für deren wirkliehe Verhältnisse oder f^r ihre Vor- 
stellungen über die Vergangenheit. 

Die Vorliehe fUr Stammbäume und Geschlechtsregister, ge- 
mischt aus genealogisch-historischen und ethnologisch-statistischen 
Elementen, ist charakteristisch für den Judaismus; mit der Sache 
ist auch das Wort jaches erst in späteren Zeiten aufgekom- 
men. Man schreibt eompendiarische Geschichte in der Form 
von Tholedoth wnd Juehasin. Der Faden ist dünn, unansehau- 
lich, nnd doch scheinbar fest und zusammenhangend; man be- 
hauptet nicht viel und hat doch Gelegenheit allerlei Inter- 
essantes anzubringen. Material findet sich ; hat man erst Anfang 
und Ende, so ist die Brücke leicht geschlagen. Eine andere 
Aensserung des selben Triebes ist die Neigung, alle Verbindun- 
gen und Beziehungen der menschlichen Gesellschaft auf einen 
genealogischen Ausdruck zu bringen, tiberall künstlich Familien 
zu schaffen und sie in Verwandtschaft zu setzen, als gehe das 
ganze öffentliche Leben in der Vetterschaft auf: bezeichnend für 
die damaligen politisch stationären Zeiten. Wir hören von den 
Geschlechtern der Sehriftgelehrten zu Jabes, der Töpfer und 
Gärtner und Byssusarbeiter , von Söhnan der Goldschmiede 
Salbenhändler und Walker, welche Corporationen ganz auf 
gleicher Linie mit wirkliehen Familien aufgeführt werden. Die 
Gliederung des Cultuspersonals ist nur die consequenteste Aus- 
bildung dieses künstliehen Natursystems, welches ebenso -auf 
alle anderen socialen Verhältnisse ausgedehnt wurde. 

Um nun näher auf den Inhalt von 1. Chron. 1 — 9 (und an- 
derer damit zusammenhängender Verzeichnisse) einzugehen, so 
liegt hier, abgesehen von dem nicht weiter berüeksichtigenswerteu 
ersten Kapitel, eine ethno- genealogische Uebersicht über die 
zwölf Stämme Israels vor, welche meist an die Data des Priester- 
eodex (Gen, 46. Num. 26) anknüpft und sie bald mehr bald 
minder beträchtlich erweitert. Nur sollen die Angaben des 
Priestercodex für die mosaische, jedoch die der Chronik zugleich 
für die folgende Zeit gelten, z. B. Sauls und Davids, Thiglath- 
pilesers und Hizkia's. Aber schon in der Eichterzeit waren in 
diesen Verhältnissen sehr bedeutende Veränderungen eingetreten. 
Während Dan mit Mühe sich hielt, lösten Simeon und Levi sich 
gänzlich auf (Gen. 49, 7); im Segen Mosis bedeutet letzterer be- 



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Die Clironik. 221 

reitB etwas ganz anderes als einen Stamm, und ersterer wird gar 
nicht erwähnt, obwohl die Aufzählung yollständig sein soll; schon 
zur Zeit Davids wav er in der Gegend, wo er einst Fuss gefasst 
hatte, von jndäisch - edomitischen Gesehleehtevn aufgesogen. 
Ostlieh vom Jordan hatte, allerdings in etwas späterer Zeit, 
Lea's Erstgeborener ein ähnliches Schicksal. Nachdem er Gen. 49 
des Primats verlustig gesprochen und Jud. 5 wegen seiner an- 
spruchsvollen Woi-te, denen keine Thaten entsprachen, verspottet 
ist, wird Deut. 33, 6 der kleinmütige hoffnungslose Wunsch ge- 
äussert; „es lebe Rüben und sterbe nicht", und König Mesa weiss 
nicht anders, als dass der Mann von Gad seit je in dem Lande 
wohnte, welches eigentlich ruhenitisches Erbe war. Aber in 
der Chronik tauchen diese verschollenen Stämme — und zwar 
nicht bloss Levi, mit dem es ja eine besondere Bewandtnis 
hat, sondern auch Simeon und Rüben, die hier vorerst allein 
in Betracht kommen — wieder auf und existieren als selbständige 
Zwölfteile Israels so gut wie Ephraim und Manasse durch die ganze 
Königszeit hindurch bis zur Zerstörung des Reichs durch die As- 
syrer'). Diametral widerspricht dies aller beglaubigten Tradition; 
denn dass es sich bloss um ein Jahrhunderte langes Fortbeatehen 
einzelner simeonitiseher und rubenitischer Geschlechter inner- 
halb anderer Stämme handle, ist eine harmonistische Verlegen- 
heitsannahme, und ebenso verbietet sieh auch jede andere Ab- 
schwäehung der Thaisache, dass jene untergegangenen und halb 
mythischen Tribus in der Chronik den übrigen ganz unterschiedslos 
an die Seite gesetzt werden. Der historische' Wert, welcher 
durch diese G-Ieiebstellung dem Ganzen genommen wird, kann 
nicht durch die scheinbar objectiveu Einzelheiten wieder her- 
gestellt werden. Oder sollen wirklich die Kriege der Simeoniten 
und Rubeniten gegen die Araber mehr zu bedeuten haben als • 
die liberall aus dem Aermel geschüttelten Kriege der jüdischen 
Könige gegen diese Wlistenvölker? wenn nur wenigstens die 
Namen nicht wären, Söhne Harns und Meunäer und Hagareuer 
(4, 40 f. 5, 10)! Was femer die Gesehleehtsregister und Stamm- 
bäume betrifft, sind sie deshalb historisch, weil ihre Elemente 

') Vergleiobe für Rüben aussei I 5 1— 10 noch 5,18 11,42. 13,37. 26,32. 
27,16, für Simeon ausser I 4 24—43 noch 12 25 II. 15,9. 34,6 und 
beacbte, dass in den beiden letzten Stellen Simeon zum Nordreich ge- 
Tecbnet wird, damit die zehn Stamme voll werden 



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222 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

für uns Undurchsichtig sind und unserer Kritik sieh entziehen? 
Die Sprache lässt keineswegs vermuten, dass man hier Excerpte 
aug uralten Dokumenten vor sich bat (4, 33. 38, 41. 5, 1 f. 7, 9 f.), 
und Eigennamen, wie z. B. Eljoenai und andere (4, 35 f.), be- 
stechen nicht durch altertümliche Originalität. 

Von den übrigen Stämmen, soweit sie zu Israel und nicht 
zu Juda geboren, kommen im Anscbluss an Rüben zunächst 
die transjordanischen an die Reihe (5, 11 — 26), Sie seien rer- 
zeichnet iu den Tagen Jothams von Juda und Jerobeams von 
Israel, wobei sieh ihre Zahl auf 44,760 Krifeger belaufen habe; 
sie seien zu Felde gezogen gegen die Hagareuer Ituräer Na- 
])hisäer und Nabatäer und haben Sieg und viele Beute gewonnen, 
„denn zu Gott schriee« sie und er liess sich von ihnen erbitten 
weil sie auf ihn trauten". Darnach aber seien sie abgefallen 
vom Gott ihrer Väter und zur Strafe durch Phul und Tiglath- 
pileser nach Armenien geschleppt an den Chabor und an den 
FluBS Gozans. Abgesehen von der spätjüdischen Sprache im 
erbaulichen Tone und von der Aufzählung Rüben Gad und hall* 
Manasse sind hier die wunderlichen und höchst dubiosen Coor- 
dinationen bezeichnend: Phul und Thiglath-pileser , Chabor und 
der FluBs Gozans sind schwerlich von einander verschieden, 
Jotham und Jerobeam dagegen ein so unmöglicher Synchronis- 
mus, dass die Advokaten der Chronik behaupten , es solle gar 
keiner sein; freilieh ohne an Hos. 1, 2 zu denken und ohne an- 
zugeben, was dann Jotham von Juda hier sonst überhaupt zu 
thun habe. Auch die Hagareuer und Ituräer, statt etwa der 
Moabiter und Ammoniter, geben zu denken, desgleichen die 
geographischen Angaben, dass Gad in Basau und Manasse am 
und im Libanon gewohnt habe. Was aber die Eigennamen der 
Geschlechter und Häupter betrifft, so entziehen sie sieh aller- 
dings unserer Beurteilung; jedoch sind die Ausdrücke des 
Sehema's, worin sie stehen (ansehe schemoth rasche l'beth abo- 
tham, migrasch, jaches) dem Pristereodex und der Chronik 
eigen, und neben alten und anderweit bezeugten Elementen 
kommen andere sehr neuen Gepräges vor, z, B. 5, 24 Eliet Azriel 
Jeremia Hoduja Jahdiei, 

Die galiläischen Stämme nehmen in der Einleitung keine 
bedeutende Stelle ein, aber in der übrigen Chronik treten sie 
■ günstig hervor, namentlich I 12, 32—34. 40 und U 30, 10. 11. 18: 



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. nie rhranik. 223 

ee liegt nahe, besonderB bei der letzfereu Stelle, an die spätere 
JudaisieruDg Galiläas zu denken. In Issaebat eoU es am- Zeit 
Davids 87,000 Mano gegeben haben (misparam rtholedotham 
l'beth abotham 7, 1—5), aus Zebuion und Naphthali sollen 
wiederum genau 87,000 Mann zu David nach Hebron gekommen 
sein, um ihn zu salben und sieh drei Tage bewirten zu lassen; 
doch heisst es vorsorglich 12, 40, sie brachten die Lebensmittei 
selber mit. — Der eigentliche Kern Israels, Ephraim und Ma- 
nasse, ist 7, 14—29 im Vergleich zu Simeon Ruhen Gad Issachar 
Äser sehr stiefmütterlich bebandelt — ein sehr verdächtiges 
Zeichen. Das Verzeichnis der manassitischen Geschlechter ist 
eine künstliche Neueomposition aus irgendwo aufgelesenen ver- 
witterten Elementen; Maacha, welche vielleicht mit Molecheth 
gleichbedeutend ist, gilt sowohl als Weib wie als Schwester 
Maehirs, gehört aber als Gileaditin (Beth-Maacha) gar nicht 
hierher, da vom cisjordanischen Manasse die Rede ist; zur Aus- 
füllung der Lücken wird kein Material verschmäht '), Bei 
Ephraim ist bloss eine lange und dünne Genealogie gegeben, 
die v. 20. 21 beginnend und v. 25 sich fortsetzend, immer die 
gleichen Namen {Thachath Thachan 1. Sam. 1, 1, Elada Ladan, 
Schuthelah Thelab) wiederholt und schliesslich ihr Ziel und Ende 
mit Josua erreicht, von dem die älteren Quellen nur den Vater 
Nun kennen '). In die Genealogie hinein hat sieh eine wunder- 
liche Nachricht über die Tötung der Söhne Ephraims durch die 
Männer von Gath (1, Sam. 4?) eingedrängt, die (wie 8, 6. 7} nach 
der herrschenden Meinung uralt sein soll. Doch soll auch die 
Notiz 4, 9 uralt sein, während sie sieh offenbar auf das Auf- 
blühen der Schriftgelehrtenschulea bezieht, welche sich nach 2, 55 
zu Jabes befanden. 

Ueberall wird vorausgesetzt, dass Israel während der ganzen 
Königszeit nach den zwölf Stämmen organisiert gewesen sei 
(Kap. 2 — 9. Kap. 12. Kap. 27); bekanntlich ist diese Voraussetzung 
grundfalsch, wie z. B. aus 1. Reg, 4 zu erkennen. Ferner wird 
die statistische Neigung des späteren Judaismus auf die ältere 
Zeit übertragen, der Aufnahmen und Zählungen aufs äusserst© 
zuwider waren. Unter David sollen trotz 2. Sam, 24 wiedei- 
und wieder Zählungen sowohl des geistliehen als der weltliehen 

. I. 



yGoQgIc 



224 Geschichte der Ti'adition, Kap. fi. 

Stämme vorgekommen sein; ebenso unter seinen Nachfolgern, 
wie teils ausdrüeklicli angegeben wird, teils aus den f 
Angaben über die kriegslahige Mannsebaft zu 
immer ergeben sich dabei die «ugeheuerliehsten und doch ur- 
kundlich und reehnungsmässig sein sollenden Ziffern. Wir haben 
es also hei den statistischen Verzeichnissen der Chronik, sofern 
sie sich auf das vorexilisehe Altertum beziehen, mit kunstlichen 
Compositionen zu thun. Es mag sein und ist mitunter nach- 
weislich, dass dabei einzelne Elemente benutzt sind, die auf 
Tradition beruhen. Sicher eben so viele sind aber auch erdichtet, 
und die Verbindung der Elemente, auf die es vor allem ankommt, 
stammt, wie Form und Inhalt zeigen, aus spätester Zeit. Wer 
hier geschichtliche Erkenntnis über altisraelitisohe Verhältnisse 
sucht, muss sich darauf legen, das Gras wachsen zu hören. 

2. Anders allerdings als mit den untergegangenen zehn 
Stämmen, von denen bisher die Rede war, steht es mit Juda 
und Benjamin und in gewisser Hinsieht mit Levi. Es lässt sich 
denken, dass hier eine lebendige ethno- genealogische Tradition 
die Gegenwart mit dem Altertum verbunden habe. Jedoch bei 
näherem Zusehen ergiebt sich, dass das Meiste, was der Chronist 
hier mitteilt, auf die naehexilische Zeit sieh bezieht, und dass 
die wenigen Fragmente, die höher hinaufweisen, einem Zusam- 
menhange eingearbeitet sind, der im Ganzen sehr jungen Datums 
ist. Am stärksten föUt es auf, dass das Verzeichnis der zu Jeru- 
salem wohnenden Häupter des Volkes 9, 4—17 einfach mit Neh. 
11, 3 — 19 .identisch ist. Man erwartet an dieser Stelle, zur Ein- 
leitung der Königsgeschiehte Kap. lOff., keineswegs über die Ver- 
hältnisse der Gemeinde des zweiten Tempels etwas zu hören; 
aber unser Verfasser glaubt dadurch auch über die Verhältnisse 
des alten Jerusalems aufzuklären; von David zu Nehemia ist für 
ihn kein Sprung, er weiss von keinem Unterschied der Zeiten. 
Auch fltr Kap. 8, wo eine ausführliche Aufzählung der benjamin. 
Familien gegeben wird mit besonderer Rücksicht auf die in der 
Hauptstadt sesshaften, hat Bertheau die naehexilische Beziehung 
nachgewiesen; interessant ist es, dass es im späteren Jerusalem 
eine ausgebreitete Familie gab, welche von Saul abstammen 
wollte und ihre Ansprüche durch einen langen Stammbaum be- 
gründete 8, 33 — 40^). Ohne Zweifel wird auf diese Weise für 

I) ^ 9, 35 — 44, was vielleicht die apälore Einschalluug voa 9, 1 — 34 beweist. 



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Die Chronik. 225 

dae hohe Älter des anderen Verzeichnisses der Benjaminiten 
(7, 6—11) kein allzugflnstiges Vorurteil erweckt; um übrigens an 
dem angeblichen Zurückgehen desselben auf verblichene Ur- 
kunden zu zweifeln, braucht man nur auf die echt jüdischen 
Termini in den Versen 7. 9. 11, auf Eigennamen wie Eljoenai 
und auf die hier nicht leicht abtrennharen, sondern sehr zur 
Sache gehörigen Zahlangaben (22,034 + 20,200 + 17,200, zu- 
sammen 59,434 Kriegsmänner) Acht zu geben. 

Am meisten historischen Wert haben die auf den Stamm 
Juda bezüglichen Register (2, 1—4, 23). Doch muas man den 
Stammbaum der Davididen Kap. 3 ausuehmen, der nur von Zeru- 
babel abwärts Interesse hat, sonst aber eine äusserst liederliche 
Zusammenstellung des auch uns noch aus den älteren kanoni- 
schen Geschichtsbüchern und aus Jeremia zugänglichen Materials 
enthält. ' Die ersten vier der in Jerusalem geborenen Söhne 
Davids sollen nach 3, 3 alle von der Bathseba stammen, die 
anderen sieben werden durch ein Textversehen , welches auch 
in der Septuagiuta zu 2. Sam. 5, 16 vorliegt, auf neun erhöht. 
Bei den Söhnen Josia's (3, 15 f.) wird Johanan d. i. Joahaz von 
Sallum (Jer. 22, 11) unterschieden und, weil er zuei-et seinem 
Vater folgte, zum Erstgeborenen gemacht, während in Wahrheit 
Jojakim älter war (2. Reg. 23, 36. 31); Sedekia, Jojakims Bruder, 
wird für den Sohn Jechonia's, des Sohnes Jojakims, ausgegeben, 
weil er der Nachfolger Jechonia's, des Nachfolgers Jojakims, 
war. Ähnliche Dinge kommen auch im Buche Daniel vor, man 
erkennt sie nicht an, weil mau in der Weise von lobs Freunden 
fttr Gott Partei nehmen zu müssen meint. Wer Augen hat zu 
sehen, kann nur den beiden grossen jüdischen Gesehlecbtslisten 
in Kap. 2 und Kap. 4 höheren Wert zugestehen. Doch Bnden sich 
auch hier die ungleichartigsten Elemente zusammengewürfelt und 
die Spreu mit dem Waizen vermischt'). 

Das 2. Kapitel ist abgesehen von der Einleitung v. 1 — 8 ein 
Verzeichnis der B'ne Hesron, einer Tribus, die zur Zeit Davids 
noch gar nicht völlig mit Juda verschmolzen war, aber schon 
damals die eigentliche Kraft dieses Stammes ausmachte und 
später völlig damit verschmolz. Aue der übrigen Umgebung tritt 
folgendes Schema hervor; „Die B'ne Hesron sind Jerahmeel 

B Dissertafioa De geutibus et fa- 
15 



■yGoosIc 



226 Geschichte der Tradition, K-Ap. G. 

und Kelubai (Kaleb) (v. 9). Und die B'ne Jerahmeel, des Erst- 
geborenen Hesrons, waren (t. 25) . . . Das waren die B'ne Jerah- 
meel {y. 33). Und die B'ne Kaleb des Bruders Jeralimeel waren 
(v. 42) . . . Das waren die B'ne Kaleb (v, 50 init.)." Was iü dieser 
Weise formell begrenzt und zusammengehalten wird {vgl. in letz- 
terer Beziehung „Jerahmeel der Erstgeborene Hesrons", „Kaleb 
der Bruder Jerahmeels"), zeichnet sieh auch inhaltlich gegenüber 
allem Anderen aus. Es ist der Kern des Ganzen und bezieht 
sich auf die vorexiüsehe Zeit, Schon das ungewöhnliche et 
fuerunt (t. 25. 33. 50) leitet darauf hin, ausserdem bei Kaleb 
die positive Thatsaehe, dass die Städte v. 42—49 alle bei Hebron 
und im Negeb Juda liegen, wo nach dem Exil die Idumäer 
wohnten, und bei Jerahmeel der negative Umstand, dass hier 
überhaupt keine Städte unter den Geschlechtern erwähnt werden, 
vielleicht mit Ausnahme von Molad (v. 29), wodurch man in den 
tiefsten Süden gewiesen würde. Dieser Kern ist nun durch eine 
Reihe nach exilischer Zusätze erweitert. Zuerst findet sich bei 
Jerahmeel ein Anbang v. 34^41, der nicht ethnologischer, son- 
dern rein genealogischer Natur ist und einen lögliedrigeu Stamm- 
baum offenbar bis nahe zur Gegenwart des Chronisten herab- 
führt, der ausserdem nur in scheinbarer Verbindung mit dem 
Vorhergehenden steht (vgl. v. 34 mit v. 31) und regelmässig die 
Hiphilform holid gebraucht, die v. 25—33 nie und v. 42—50 nur 
sporadisch vorkommt, an drei Stellen, die späterer Redaction 
verdächtig sind (vgl. namentlich v. 47). Ungleich wichtiger sind 
jedoch die Nachträge zu Kaleb, von denen sich der eine Teil 
vorgedrängt v. 18 — 24, der andere dazu gehörige aber passender 
an den Schluss gehängt bat v. 50^55 (anfangend mit; „und die 
Söhne Hurs, des Erstgeborenen der Ephrath", Kalebs zweiter Frau _ 
V. 19). Hier erseheint Kaleb nicht mehr im tiefen Süden Juda's 
und in der Nähe Jerahmeels (1. Sam. 25, 3. 27, 10. 30, 14. 29), 
wo er vor dem Exil gesessen hat, sondern seine Geschlechter, 
die allesamt von seinem Sohne Hur abstammen, bevölkern 
Bethlehem Kiriathjearim Sor'a Esthaol und andere oben im 
Norden belegene und in den Büchern Ezra und Nebemia viel 
genannte Städte. Die Kalibbäer haben also in Folge des Exils 
ihre alten Wohnsitze verlassen und nach der Rückkehr andere 
eingenommen; diese Thatsaehe wird v. 19 so ausgedrückt, dem 
Kaleb sei sein erstes Weib Azuba bath Jerioth (Deserta filia 



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Die Chronik. 227 

Nomadum) verstorben uud da habe er ein zweites genommen, 
die Ephratb, mit der er den Hur zeugte — Ephratb ist der Name 
der Landscbaft, wo Bethlehem und Kiriathjearim liegen und 
eigentlich eine blosse Nebenform von Ephraim, wie der Name 
Ephrati beweist. Ausser diesen Zusätzen zu Jeralimeel und Kaieb 
ist noch die Genealogie Davids hinzugekommen {v. 10—17). 
Das Buch Samuelis weise nur von seinem Vater Isai, während 
dagegen Sanis Geschlecht höher hinauf verfolgt wird und kein 
Gnind war dies bei David zu unterlassen, wenn die Mittel zu 
Gebote standen. Hier aber wird wie im Buche Ruth über Isai 
Obed Boaz auf Salma zurückgegangen. Salma ist der Vater 
Bethlehems (2, 5i), daher der Vater Davids. Aber Salma ist der 
Vater Bethlehems und benachbarter ganzer und halber Städte 
nach dem Exil; er gehört zu Kaleb Abi Hur'). Wenn nun 
irgend etwas gewiss ist, so ist es das, dass in der alten Zeit die 
Kalibbäer im Sttden und nicht im Norden Juda's wohnten und 
dass speeiell David durch seine Geburt nicht zu ihnen, sondeni 
vielmehr zu dem älteren Teile Juda's gehörte, der gegen das 
eigentliche Israel zu gravitiei-te und mit Benjamin in nächster 
Verbindung stand. Von den drei ersten Gliedern der Genea- 
logie sind Nahson und Amminadab die Fürsten Juda's im Prie- 
Btereodex, die passend als die Ahnen ihrer Nachfolger, ange- 
sehen werden; Kam aber ist der Erstgeborene des Erstgeborenen 
Hesrons (v. 25) und auch durch die Bedeutung seines Namens 
(der Hohe) wie Abram zum Ausgangspunkt der fürstlichen Linie 
qnalificiert. 

Während man also in Kap. 2 in der That auf einen alten 
und nothwendig auf gute Tradition zurückgehenden Kern stosst, 
der freilich nur um der späteren Zusätze willen erhalten zu 
sein scheint, so charakterisiert sieh das 4, 1 — 23 enthaltene ganz 
unabhängige und parallele Verzeichnis dui'ch viele und deut- 
liche Zeichen fUr jeden Sachverständigen als eine späte und 
auf nachexilische Verhältnisse abzweckende Composition, worin 

') Im Tharguni werden die mit Kaleb verwandten Kenit«r als Salmaner be- 
zeichnet, der Name kommt auch im Hohen Liede vor (1,5; die Zelte 
von Kedar, die Deckea von Salma), ferner bei Plinius für eine naba- 
täische Tribus. Unter den Wehem. 7, 46 — 60 anfgezählten Familien der 
Nathinäer kommen ancb die B'ne Salma vor, neben mehreren anderen 
Namen, die dentlich den nicbtisraelitisehen und ausländischen (Ezech. 44) 
Ursprung dieser Tempelsklaven erkennen lassen z. B. v. 48. .52. 55. 57. 
15' 



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228 Geschichti! der Tradition, Kap. ß. 

■ vielleicht einzelne ältere Elemente aufgenommen sein mögen, die 
aber nicht mit irgend weicher Sicherheit zu erkennen sind'). 

Am ausführlichsten wird selbstTerständlioh Levi behandelt 
(15, 27 — 6, 66. 9, 10 ff. Kap. 15 f. Kap. 23-27 u. s. w). Wir 
wissen, dass dieser geistliche Stamm ein Kunstprodukt ist und 
seine hierarchische Gliederung, wie sie im Priestereodex ausge- 
bildet vorliegt, die Folge der Centralisation des Cultus in Jeru- 
salem. Ferner ist oben nachgewiesen, dass in der Geschicbt- 
sehreibung der Chronik das Streben am auffallendsten ist, die 
Aharoniden und Leviten tiberall da, wo sie in den älteren histori- 
schen Büchern des . Kanons vermisst werden, diejenige Eolie 
spielen zu lassen, auf welche sie nach dem Priestereodex An- 
spruch haben. Wie unmittelbar an dieses Gesetz angeknüpft 
wird, wie die Chronik in gewisser Hinsicht dasselbe fortbildet, 
ersieht man z. B. daraus, dass dort Mose (Num. 4, 3 ff. 8, 23 ff.) 
den Anfang des Dienstalters der Leviten von 30 Jahren in einer 
Novelle auf 25 Jahre, hier David (1. Chron. 24, 3. 24) von 
30 Jahren noch weiter auf 20 Jahre herabsetzt; die Dinge sind 
noch einigermassen im FIuss, und die Ordnung des Tempel- 
cultus durch David setzt die Gründung des Gottesdienstes der 
Stiftshütte durch Mose fort. Sofern nun die Statistik des Klerus 
auf Wirklichkeit zurückgeht, ist diese Wirklichkeit nachexilisch. 
Es ist längst aufgefallen, wie viele der unter David und seinen 
Nachfolgern agierenden Individuen (z. B. Äsaph Heman Jeduthun) 
mit Familien oder Innungen der späteren Zeit gleichnamig sind, 
wie sogar beides beständig ineinander fliesst und man häufig 
schwankt, ob mit dem Ausdruck Haupt eine einzelne Person 
oder ein Geschlecht gemeint ist. Aber da der Chronist doch 
nicht seine eigene, sondern die alte Zeit sobildern will, so hält 
er sieh keineswegs streng an die Statistik der Gegenwart, son- 
dern lässt zugleich seiner idealisierenden Phantasie freien Raum: 
daher kommt ea, dass man trotz der zahlreichen und scheinbar 
genauen Angaben sich dennoch von der Organisation des Klerus, 

') Peres Hesrou Karmi Hur Schobal 4, t ist eine genealogische descendi- 
rende Reihe; man. muss also notwendig Kelubai leaen statt Karmi, um so 
notwendiger, da in der folgenden Ausfüllung Kelub und nicht Karmi an 
dritter Stelle erscheint; denn diese, von unten aufsteigend, handelt zu- 
nächst Ton Schobal (v. 2), sodann (v. 3—10) von Hur, der zu As-hur in 
demselben Verhältnis st«ht wie Toh zu Is-tob, zu dritt (v. 11—15) von 
Kelub oder Kaleb. . 



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Die Chronib. 229 

der Onlming der Familien «ad Geschlechter, der Verteilung der 
Ämter durchaus kein Bild machen kann, vielmehr sieh in einen 
Wirrwarr von Widersprüchen verwickelt findet. Obed-edom 
Jeduthun Saloniith Korah stehen in den verschiedensten Verbin- 
dungen, gehören bald zu dieser bald zu jener levitisohen Ab- 
teilung und bekleiden bald das bald jenes Amt. Natürlich sind 
die Ausleger sehneil bei der Hand, durch Differenzierung gleicher 
und Identifizierung ungleicher Namen auszuhelfen. 

Einige charakteristische Einzelheiten mögen hier noch ein© 
Stelle finden. Die Namen der sechs Levitenklassen Giddalthi 
V'romamthi-Ezer Joschebkaseha Mallothi Hothir Mahazioth sind 
nach 25, 4 die zerstUckten Glieder eines zusammenhängenden 
Satzes: ich habe gross [ und herrlieh gemacht ] die Hülfe dessen |, 
der in Not sass, | habe Weissagungen | geredet in Fülle. Der 
Wächter oder Sänger Obed-edom, der zur Zeit Davids und 
Amasia's fungiert haben soll, ist kein anderer als der Hauptmann, 
dem David drei Monate lang die Obhut der Lade anvertraute, 
ein Philister von Gath. In höchst durchsichtiger Weise sind die 
Stammbäume der Sänger componiert, namentlich der des Heman 
(1. Chron. 6, 7— 12=v. 18—23). Ausser Exod. 6, 16—19 sind vor- 
zugsweise dabei die Angaben über Samuels Familie (1. Sam. 
1, 1. 8, 2) benutzt, der weil ihn seine Mutter zum Dienste am 
Heiligtum weihte, natürlich levitiecher Abstammung gewesen sein 
musB. Heman ist der Sohn Joels ben Samuel b, Elkana b. Jei'o- 
ham b. Eliab b, Thahath b, Suph — nur wird nicht wie 1. Sam. 
1, 1 (Sept.) mit Ephraim geschlossen, weil ja auf Levi gekommen 
werden soll; aber Suph ist eine ephraimitische Landschaft und 
Thahath (Thohn Tboah Thahan Nahath) ein ephraimitisches 
Geschlecht (7, 20). Weiter hinauf wiederholen sich die gleichen 
Elemente vereinzelt noch öfters, Elkana im Ganzen viermal: ein- 
mal kommt er schon Exod, 6, 24 vor, ohne Zweifel auch hier 
aus 1. Sam. 1 entlehnt. Das Schönste ist, dass, entgegen der 
Absicht der 1. Chron. 6 mitgeteilten Genealogien, wodurch die 
Sängerinuungen als Leviten erwiesen werden, sich daneben (2, 6) 
die Notiz findet, Heman und Ethan stammen von Zerah b. Peres 
b. Juda ab. Die Ausleger in ihrem Bemühen, die Homonyme 
zu differenzieren, werden zwar begünstigt durch ihre Unkenntnis 
des Umstandes, dass noch z. Z. Nehemia's die Sänger nicht flir 
Leviten gelten, scheitern aber daran, dass nicht bloss die Söhne, 



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230 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

Bondern aiioh die Väter gleichnamig sind (Pa. 88, 1. 89, 1. Ewald 
in 380 f.). Histoi-iseh stammen natürlich diese Musiker des 
zweiten Tempels weder von Levi noch von den Söhnen Maehols 
(1. Reg. 5, 11) ab, aber von den letzteren haben sie in der That 
wenigstens ihre Namen hergenommen. Allenthalben finden sieh 
solche künstiiohe Namen bei den Leviten. Einer heisst Issaehar; 
man würde sieh nicht wundern, einem Naphthali Sebi oder Juda 
ben Jakob zu begegnen. Jeduthun ist eigentlich Bezeichnung 
einer Singweise (Ps. 39, 1. 62, 1. 77, 1), daher denn auch eines 
darauf eingeübten Chorea. Besonders interessant sind einige 
heidnische Namen, z. B. Henadad, Bakbuk und mehrere andere, 
die ursprünglich bei den Hierodulen (Neh. 7, 46ff.) heimisch, 
otne Zweifel aber mit diesen hinterher zu den Leviten überge- 
gangen sind. 

Mit den Priestern, deren so manche ans allen Zeiten der 
israelitischen Geschiebte namhaft gemacht werden, steht es, so- 
weit sie nicht aus den Büchern Sarauelis und der Könige ent- 
lehnt sind, nicht besser als mit den niederen Leviten. 
dere sind die 24 Priesterklassen keine Einrichtung d 
David, sondern der naehexilischen Zeit. Wenn Hitzig zu Ezech. 
8, 16 bemerkt, dass die 25 Männer, welche zwischen dem 
Tempel und dem Altar stehend ihr Gesicht gen Osten wenden 
und die Sonne anbeten, die Vorsteher der 24 Priestecklassen mit 
dem Hohenpriester an der Spitze gewesen seien (weil nämlich 
niemand anders das Recht gehabt zwischen Tempel und Altar 
im inneren Vorhof zu stehen), so ist das für ihn selber und für 
die ganze s. g. historisch -kritische Schule charakteristisch, die 
ihren Scharfsinn immer von Fall zu Fall anstrengt, aber sich 
nicht Zeit lässt über die Sachen im Zusammenhang nachKU- 
denken, vielmehr einfach die Gesanimtansehauung der Tradition 
beibehält und sieh nur zum Vergnügen eine Menge Ketzereien 
erlaubt. Es ist beinah nicht möglich anzunehmen, dass Hitzig 
als er Ezecb. 8 commentierte, die Stellen Ezech. 43, 7 f. 44, G £f. 
gelesen hatte, aus denen aufs unzweideutigste hervorgeht, dass 
der vorexiUschen Zeit die nachmalige Absperrung des Heiligen 
für die Laien völlig unbekannt war. Wie viel die Chronik über 
die vorexilisehe Priesterschaft wusste, verrät am deutlichsten 
das Verzeichnis der 22 Hohenpriester I 5, 29 — 41. Vom 9. bis 
18. Gliede lautet die Reihe: Amaria Ahitub Sadok Ahimaas 



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Die Chronik, 231 

Äzaria Johanau Azaria Amaria Ahitiib Sadok. Was die ersteu 
fdnf angellt, so war Azaria nicht der Sohn, sondern der Bruder 
des Ahimaas und letzterer dem Anschein nach nicht Priester 
(1. Beg. 4, 2); Ahitnb aber der angebliche Vater Sadoks war viel- 
mehr der Grossvater von dessen Rivalen Abiathar aus der Fa- 
milie Eli (1. Sam. 14, 3. 22, 19): die ganze altbertthmte Linie Eli 
Pinehas Ahituh Ahimeleeh Abiathar, welche seit den Tagen der 
Eiehter und noch unter David das Priestertum der Lade inne 
hatte, wird totgeschwiegen, und die erst unter Salomo (1. Keg. 
2, 35) an Stelle jeuer getretene Linie Sadok als die seit .Mose 
im Besitz des vornehmsten Priestertums befindliche dargestellt. 
Was ferner die vier letzten Namen der oben aufgezählten Liste 
betrifft, so wiederholen sie einfach die früheren. Im Buch der 
Könige kommen Azaria II Amaria Ahitub Sadok nicht vor, da- 
gegen aber gleiehzeitige andere Hohepriester, Jojada und Uria, 
die im Verzeichnis der Chronik fehlen. Gleichwohl kann das 
letztere nicht für lückenhaft erklärt werden. Denn in der jüdi- 
schen Chronologie wird die alte Geschichte in zwei 480jährige 
Perioden eingeteilt, deren eine vom Auszuge aus Ägypten bis 
zum Tempelbau und die andere von da bis zur Gründung der 
zweiten Theokratie läuft. Nun sind 480 Jahre 12 vierzigjährige 
Generationen; und 1, Chron. 5 werden 12 Hohepriester auf die 
tempellose Zeit gerechnet (v. 36 b hinter v. 35 a), von da aber 
noch 11 bis aufs Exil, d. h. inclusive des Exils 12 Generationen. 
Man kann also nicht umhin über den historischen Wert der 
Genealogie 5j 29—41 den Stab zu brechen. Wusste aber die 
Chronik von den Priesterfürsten der älteren Zeit nichts, so ist 
ihren Angaben über die gewöhnlichen Priester erst recht nicht 
zu trauen. 

3. Von einer Tradition aus vorexiliseher Zeit kann also in 
der Chronik nicht die Rede sein, weder in I. 1—9 noch in 
I. 10—11. 36. Schon im Jahre 1806 hatte dies der damals 
26jährige de Wette bündig dargethan. Aber seitdem hat sieh 
mancher theologische Sisyphus bemüht, den Stein auf halbe oder 
ganze Höhe wieder bergauf zu wälzen, mit besonderem Erfolge 
namentlich der dem uilehternen evangelischen Kritiker an Geist 
scheinbar überlegene Movers. Dieser Gelehrte verwirrte die 
Frage nach dem historischen Wert der für uns controlierbaren 
Nachrichten der Chronik mit der nach den mutmasslicheQ Quellen 



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232 Geschichte der Tradition, Kap. 6. 

ihrer Abweichungen von den älteren kanonischen Geeetichts- 
bUchern. Vergebens hatte de Wette im voraus gegen ein solchea 
Verfahren protestiert: es sei möglich und zuzugeben, dass die 
Ciironik, wo sie variiere oder widerspreche, älteren Vorgängern 
folge, aber die Frage bleibe nach wie vnv die gleiche, auf welche 
Weise sich die totale Verschiedenheit der G-esamtanschauung 
und die Menge der partiellen Differenzen erkläre; die Quellen- 
hypothese, wie sie vor Movere von Eehhorn vertreten war, helfe 
zur Entscheidung dieser Frage nichts, man mUsse eben doch bei 
der kritischen Vergleichung der beiden Kelationen und der Prü- 
fung ihres geschichtlichen Charakters sieh halten an das was 
vorliege (Beiträge I. S. 24. 29. 38). Solehe Grundsätze waren 
einer geistreichen Zeit zu simpel; Movere imponierte, zumal da 
er nicht so naiv war, sich auf authentische Urkunden wie den 
Brief Hirams und Elia's zu berufen, sondern sehr britisch ver- 
fuhr. Gegenwärtig erkennt leider auch Dillmann (Herzogs EE. 
IV S. 693. Iir S. 223) an, „dass der Chronist überall nach 
Quellen gearbeitet hat und von absichtlicher Erdichtung oder 
Entstellung der Geschichte bei ihm keine Kede sein kann". Und 
von der Höhe der Wissenschaft herab sieht der Verfasser des 
5. Teiles des biblischen Commentars über das A. T. mitleidig 
auf K. H. Graf nieder, „der so weit hinter dem gegenwärtigen 
Standpunkt der ATlichen Forschung zurückgehlieben ist, dass 
er die de Wette'sehen Ansichten zu reprietiuieren versucht hat"; 
ja um die Chronik völlig auf eigene Füsse und den Büchera 
Samuelis und der Könige gleich zu stellen, leugnet er überhaupt 
ihre Abhängigkeit von denselben und lässt sie auch da, wo sie 
wörtlich daraus abschreibt, anderweitige selbständige Quellen be- 
nutzen ; eine unnötige Übertreibung der Wissenschaftliohkeit, denn 
z. B. das Gebet Salomo's und die Epitome hat doch der Vf. des 
Buche der Könige selber gesehrieben und nicht anderswoher 
entlehnt, der Chronist kann sie also, direkt oder indirekt, nur 
aus seinem Werke haben. 

Hiegegen kann man nur wiederholen was de Wette gesagt 
hat. Es kann sein, daäs die Chronik nicht lediglich auf eigene 
Rechnung und Gefahr, sondern auf Grund schriftlieher Vorlagen 
ein von der echten Tradition in Farbe und Zeichnung so ganz 
abweichendes Bild des alten Israel entwiift. Dadurch verändert 
sieh aber ihr geschichtlicher Charakter nieht um ein Haar, sie 



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Die Chronik. 233 

teilt ihn nun bloss mit ihreu s. g. Quellen. Das 2. Makkabäer- 
bueh und eine Menge -ähnlicher Schriften haben auch Quellen 
benutzt, was hilft das zur Verbesserang des Wertes ihrer Mit- 
teilungen'? Der muss doch aus dem Inhalt derselben erkannt 
werden, welcher nicht nach den verloren gegangenen pri- 
mären, sondern nnr nach den erhaltenen sekundären literarisehen 
Produkten beurteilt werden kann. Auf die Prüfung des histo- 
rischen Gebaltes läuft mithin Alles hinaus — wir haben schon 
gesehen, zu welchen Ergebnissen diese führt. Die Änderungen 
und Supplemente der Chronik fliessen schliesslich alle aus dem 
selben Bruunen; es ist die Judaisierung der Vergangenheit, in 
welcher sonst die Epigonen ihr Ideal nicht wieder erkennen 
. konnten. Nicht weil das Gesetz und die Hierokratie, und der 
deus ex machina als einzig wirksamer Faktor der heiligen Ge- 
schichte, in der Überlieferung vorgefunden, sondern weil sie 
darin vermisst wurden, setzte man sie zu. Wenn die Aus- 
lassungen aus „dem Plane" erklärt werden, warum nicht aus 
der gleichen Rücksicht die Zuthaten? Die Entrüstung, mit der 
sich Ewald {Jahrbb. S 261) über die Ansicht äussert , dass die 
Gefangenschaft Manasse's auf jüdischer Dogmatik beruhe, „sie 
sei ein verzweifelt schlechter Gedanke und zugleich ein grosses 
Unrecht gegen die biblische Chronik", ennnert an Bernhard 
Schäfers denkwürdiges Wort über den Prediger Salomo, dass 
Gott der Herr keinen Lügner brauche, um ein kanonisches Buch 
zu sehreiben. Was sagt denn Ewald zu den Erzählungen im 
Daniel oder im Jona? Warum muss die Umdiehtung der Ge- 
schichte Manasse's anders beurteilt werden, als die der Geschichte 
des Ahaz, die eben so dreist ist, und als die übrigen S. 211 ff. 
aufgeführten analogen Beispiele? Mit welchem Rechte gilt über- 
haupt der Chronist, nachdem ihm so und so oft die Unglaub- 
würdigkeit nachgewiesen ist, in einem beliebigen Einzelfalle 
immer wieder für einen unverdächtigen Erzähler? Mindestens 
da, wo die Beziehung zum „Plane" deutlich ist, sollte man doch 
seinem Zeugnisse gegenüber mistrauisch sein; man sollte aber 
zugleich bedenken, dass solche Beziehungen viel häufiger vor- 
kommen werden als sie für uns, namentlich flir die Blinden 
unter uns, erkennbar sind. Es ist ja möglieb, dass sieh irgend 
ein gutes Korn unter der Spreu beßinde, aber gewissenbafter 
Weise muss mau von der Möglichkeit der Ausnahme abstrahieren 



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234 Gesciiichte der Tradition, Kap. fi. 

und der 'Wabrechemlichkeit der Regel die Ehre geben. Denn 
ia dem Ausheben einer gesunden Einzelheit aus einem inficierten 
Ganzen täuscht man sich gar zu leicht. Zu 2. Sam. 5, 9: und 
David wohnte in der Burg (Jehus) und nannte sie die Stadt 
Davids und baute sie rings von der Mauerbösehung nach innen 
zu — findet sieh I, Chr. 11, 8 der Zusatz: Joab aijer stellte den 
Rest der Stadt (Jerusalem) wieder her. Die Notiz sieht unver- 
dächtig aus und findet allgemeinen Glauben. Aber das Wort 
n^n statt nJ2 beweist ihre Jugend, und bei näherer Überlegung 
findet man auch, dass die Stadt Jebus z. Z. ihrer Eroberung 
durch David sieh lediglieh auf die Burg beschränkte und die 
Neustadt erst später hinzukam, mithin nicht von Joab wieder 
aufgebaut werden konnte; das Interesse für den letzteren er- 
klärt sich aus Neh. 7, 11, Vielfach pflegt man solche Angaben 
anzusehen, als aus pinem noch besseren Texte der Bücher Sa- 
muelis und der Könige geflossen, welcher der Chronik vor- 
gelegen habe; und das ist jedenfalls die zulässigste Form ihrer 
Introdueierung. Aber die Textkritiker des exegetischen Hand- 
buches sind dem Chronisten nur allzu congenial und greifen 
immer mit beiden Händen nach seinen Glasperlen und nach den 
verwandten Erscheinungen in der Septuaginta. 

Zuzugesteben ist, dass die Chronik nicht der Willkür eines 
Einzelnen, sondern einer .allgemeinen Zeitriehtung ihre Ent- 
stehung verdankt. Sie ist das notwendige Produkt der Über- 
zeugung, dass das mosaische Gesetz der Ausgangspunkt der 
israelitischen Geschichte sei und dass in ihr ein aller Analogie 
entnommenes heiliges Kräftespiel wirke; diese Ueberzeugung 
musste zu einer völligen Umgestaltung der alten Tradition führen. 
Von gleicher Voraussetzung ausgehend könnte ein Mann wie 
C. F. Keil noch heute die Chronik schreiben wenn sie nicht 
schon vorhanden wäre. In dieser Hinsieht nun, um die Chronik 
als den Typus der Geschichtsauffassung der Schriftgelehrten zu 
würdigen, ist die Frage nach ihren , Quellen" in der That wichtig 
.und interessant. Verweisungen auf anderweitige Schriften, aus 
denen man sieh des näheren unterrichten könne, folgen in der 
Kegel am Schlüsse der Kegierung jedes Königs, ausgenommen 
Joram Ahäzia Athalia Amon Joahaz Jojachin Sedekia. Die dabei 
angegebenen Titel lassen sich in zwei Gruppen bringen: a) das 
Buch der Könige von Israel und Juda oder von Juda und Israel 



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Die Cbronik. 235 

(bei Asa Aniasia Jotham Ahaz Josia und Jojakim), womit das 
Buch der Könige von Israel (Josaphat Manaese vgl. I 9, 1) iden- 
tieeh ist, da es eich ja nur um Juda handelt; b) die Worte Sa- 
muels des Sehers, Nathans des Propheten und Gada des Spähers 
(David I 29, 29 vgl. 27, 24. Sir. 46, 13. 47, 1), die Worte Nathans 
des Propheten, die Prophetie Ahia's von Silo und das Gesieht 
Iddo's des Spähers Aber Jerobeam ben Nebat (Salomo II, 9, 29), 
die Worte Semaia's des Propheten und Iddo's des Spähers (Re- /■ 
habeam 12, 15), die Worte Jehu's ben Hanani, welche in's Buch 
der Könige von Israel übertragen sind (Josaphat 20, 34), eine 
Schrift Jesaia'B des Propheten (Uzzia 26, 22), näher bezeichnet 
als das Gesiebt des Propheten Jesaia ben Arnos in dem Buche 
der Könige von Juda und Israel (Hizkia 32, 32), die Worte der 
Seher in den Geschichten der Könige Israels (Manasse 33, 18 
vgl. auch V. 19). Naeb Movers Vorgange haben Bertheau und 
Andere nachgewiesen, dass-mit diesen verschiedenartigen Citaten 
immer nur ein und dasselbe Buch bezeichnet ist, entweder nach 
seinem Gesamttitel oder nach den conventionellen Einzeltiteln 
seiner Abschnitte'). Bertheau macht darauf aufmerksam, dass 
für gewöhnlich entweder die eine oder die andere Verweisung 
vorkomme, und, wenn ausnahmsweise zwei zugleich, dann regel- 
mässig die prophetische Schrift als ein Stück aus dem Geschichts- 
bucbe der Könige bezeichnet werde (20, 34. 32, 32 und ganz all- 
gemeiu 33, 18). Die eigentümliche Benennung der einzelnen Ab- 
schnitte ') — in einer Zeit, welche keine Kapitel und Verse kennt, 
— geht davon aus, dass jede Periode der heiligen Geschichte 
ihren leitenden Propheten hat ((^Kptßvjs Ttüv jrpo^JiTÄv &iaboyr^ contra 
Apion. 1, 8), sie involviert aber wohl auch (nach 26, 22 trotz 9, 29. 
12, 15. 13, 22 I 29, 29) die Meinung, dass jeder Prophet seine 
Periode selbst beschriebeu habe. Offenbar ist dies der Grand 
des Namens prophetae priores, den die Bücher Josua Richter 
Samuelis und Könige im jüdisclien Kanon tragen, und auch der 
Gesichtspunkt, aus dem die Uebertragung von 2. Reg, 18ff- in 

') Auch in den Büchern Ezra und Nehemia hat der Chronist nicht so Tiel 
Quellen benutzt als man annimmt. Die Klagelieder 2. Chron. S."), 25 nicht 
für unsere Klagejieder Jereiniae zu haiton hat man keinen Grund; we- 
nigstens ist die falsche Beziehung derselben auf den Tod Josia's (Joseph. 
Ant. 10. 5, 1) ehrlicher Weise nicht als ein solcher anzusehen. 

') Eom. 11, 2: h 'Hkbf t( Ki^a ii TP'^'P'^i ^^^ heisst; wie steht in dem Ab- 
schnitte über Elias geschrieben? 



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236 Geseliichte der Tradition, Kap. e. 

das Buch Jeaaia's zu beurteilen ist. Bei geringen historischen 
Ansprüchen ward es leieht, für jeden Ahschnitt den nötigen 
propheta eponymus zu finden. Jehu ben Hanani, ein Nord- 
israelit aus der Zeit Baesa's, mues wie fflr Asa so noch ftir Jo- 
saphat • herhalten. Iddo der Späher, der gegen Jerobeam ben 
Nehat geweissagt bat, ist der anonyme Prophet von 1. Keg. 13 
(Jos. Ant. 8 8, 5. Hieron. zu Zachar. 1, 1); in der damaligen 
Zeit wusste man auch die Namen der Weiber Kaias und der 
UiTäter anzugeben. 

Anlangend die nähere Bestimmung des der Chronik zu 
Grunde liegenden Buches der Könige, so kann eine Zusammen- 
arbeitung der Königsreiben von Israel und Juda erst nach dem 
Absehluss beider erfolgt sein, also erst im babylonieehen Exil. 
Im habylouischen Exil ist nun das kanonische Buch der Könige 
wirklieh entstanden, und dessen Verfasser hat zum ersten njal 
die Jahrbücher von Israel und die Jahrbücher -^on Juda zusam- 
mengearbeitet; wenigstens beruft er sieh nur auf die getrennten 
Werke und kennt noch keine allere Versebmelzung derselben. 
Es läge also am nächsten, die von der Chronik gemeinte Schrift 
für unser im Titel gleichlautendes und im Inhalt entsprechendes 
kanoniscbes Buch zu halten. Aber das gebt nicht an, weil in 
jenem Dinge gestanden haben, von denen hier nichts zu finden 
ist, z, B. nach 1. Chron. 9, 1 eine Familien- und Zahlenstatistik 
des gesamten Israels in der Weise von 1, Chr. 1 — 9 — welche 
Eapitel zumeist dai-aus entnommen sein werden — und nach 
2. Chron. 33, 19 das Gebet Manasse's. Aus diesen beiden An- 
gaben some auch aus der Aii der übrigen mutmasslich gi-ossen- 
teils aus dieser Quelle geflossenen Nachrichten muss man 
schliessen, dass das von der Chronik citierte Buch der Könige 
ein der wirklichen Tradition fern stehendes und spätes Mach- 
werk ist, und sein Verhältnis zum kanonischen Buch der Kö- 
nige so erklären, dass es eine apokiyphe Aufputzung und Er- 
weiterung desselben ist, nach der Weise der Behandlung der 
heiligen Geschichte durch die Schriftgelehrten. Diesem Schlüsse 
aus dem Inhalt kommt nun ein wichtiges positives Datum zu 
Hülfe, nämlich die Anführung IL 24, 27i der Midrasch des 
Buehs der Könige und 13,22: der Midrasch des Propheten 
Iddo. Ohne Zweifel hat Ewald Recht, hierin den wahren Titel 
der sonst einfach das Bueb der Könige genannten Schrift zu 



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Richter Samuelis und Könige. 237 

erbenoen. Nun verstellt es eich zwar von selbst, dam die Aus- 
leger behaupteD, das Wort Midrasch, das .nur an diesen beiden 
Stellen in die Bibel hineinragt, beisse bier etwas ganz aaderes 
als was es sonst immer heisst — aber die wirkliebe Bedeutung 
passt ausgezeichnet und wir stehen mit der Chronik mitten im 
Zeitalter der Schriftgeiehrten inne (1. Chron. 2, 55). Der Mi- 
drasch ist die Folge der Heilighaltung der Reliquien der Ver- 
gangenheit, eine ganz eigene Wiedererweckung der toten Ge- 
heine, auf klinstliohem und zunächst auf schriftlichem Wege, 
wie die Vorliehe für Listen von Namen und Zahlen zeigt. Wie 
Efeu umgrünt derselbe den abgestorbenen Stamm mit fi-emdarti- 
gem Leben, Altes und Neues in sonderbarer Vereinigung miaebend. 
Es ist Hochsebätzung der Überlieferung, welche sich in -ihrer 
Modernisierung äussert; aber dabei wird sie aufs willkürliebste 
umgedeutet, verrenkt und mit fremdartigen Zuthaten versetzt. 
Im Zusammenhange mit dieser Widerspiegelung der Gegenwart 
im Altertum stehen sowohl Jona wie Daniel und eine Menge 
von Apokryphen {2. Macc. 2, 13); das Gebet des Manaese, das 
jetzt nur griechisch erhalten ist, seheint in der That, wie Ewald 
vermutet, direkt aus dem Buche entlehnt zu sein, welches 
2. Chron. 33, 19 angeführt wird. In dieser Sphäre , in der das 
ganze Judentum sich bewegt, ist auch die Chronik entstanden. 
Ob man Chronik sagt oder Midraseb des Buchs der Könige, 
ist dabei ziemlich gleichgiltig, sie sind Kinder desselben Sobosses 
und nach Geist und Sprache auf keine Weise zu unterscheiden, 
während dagegen die wörtlich aus dem kanonischen Buche der 
Könige beibehaltenen StUcke in beider Hinsicht sofort auffallen. 



Siebentee Kapitel. 
Richter Samuelis und Könige. 

In der an Unglücksfällen reichen Geschiebte der hebräisebeii 
Literatur ist auch ein glückliches Ereignis zu verzeichnen. Die 



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238 Geschiclite der Tradition, Kap. 7. 

Chronik hat die ihr zu Grunde liegenden Gesehichtsb [icher nicht 
verdrängt, sondern neben der jüngeren ist uns die ältere Dar- 
stellnng erhalten, Jedoch auch in den Büchern der Richter 
Samuelis und der KiÖnige liegt die Überlieferung nicht rein in 
ihrer ursprünglichen Fassung vor, sondern schon hier überwuchert 
von späteren Trieben. Neben einer älteren Relation hat sieh 
eine neue gebildet, formell unabhängig und für sich yeretänd- 
lich, manchmal freilich dennoch sieh vorhandenem Zusammen- 
hange anschmiegend. Häufiger haben die neuen Säfte nicht 
einen ganzen Stamm aus der alten Wurzel noch auch einen 
ganzen Aet am alten Stamme hervorgetrieben, sondern nur 
parasitieehe Bildungen angesetzt; kleinere unselbständige Stücke 
sind einer älteren Erzählung angewachsen. Über das ganze 
Geschiebe der Tradition ist endlich gleichförmig ein letztes Se- 
diment gelagert, welches die Gestalt der Oberfläche bedingt. 
Um dies letztere handelt es sieh uns zuvörderst; seine Art fest- 
zustellen, die zeugenden Kräfte zu erkennen, die darin wirken. 
Darnach erst können wir versuchen, auch in der dahinter lie- 
genden älteren Schichtung den Stimmungs Wechsel der Zeiten Zu 
verfolgen. 

I. 

1. Zur Beurteilung der Eichterpeiiode wird man durch 
folgendes Prooemium auf den richtigen Standpunkt gesetzt. 
„Nach dem Tode Josua's thaten die Kinder Israel was böse ist 
vor Jahve und verliesaen den Gott ihrer Väter, der sie aus 
Ägyptenland geführt hatte, und dienten den Göttern der Völker 
ringsum, den Baalen und Astarten. Und Jahve's Zorn ent- 
brannte über sie und er übergab sie in die Hand von Räubern, 
die sie ausraubten, und verkaufte sie in die Hand ihrer Feinde 
ringsum; bei all ihrem Unternehmen war Jahve's Hand gegen 
sie zum Bösen, wie er geredet und wie er ihnen geschworen 
hatte; und sie kamen sehr in die Enge. Dann erweckte ihnen 
Jahve Richter und war mit dem Richter und rettete sie ans der 
Hand ihrer Feinde alle Tage des Richters, weil er sich er- 
weichen liess durch ihr Geschrei vor ihren Drängern und Pei- 
nigern. Wenn aber der Richter starb, trieben sie es wieder 
schlimmer als ihre Väter, fremden Göttern nachzuwandeln ; sie 



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Richter Sanmelis und Kiinige. 239 

blieben nicbt zurück hinter deren Thaten und ihrem verstockten 
Wandel, so daas Jahve über Israel ergrimmte" u. s. w. Jud. 2. 

Das ist der Text, es folgen die Exempel. „Und die Kinder 
Israel thaten was böse let vor Jahve und vergassen Jahve ihren 
Gott und dienten den Baalen und Astarten, und Jaliye's Zorn 
entbrannte über Israel und er verkaufte sie in die Hand des 
Königs Kusan ßisathaims von Aram und sie dienten ihm acht 
Jahre. Und die Kinder Israel schrien zu Jahve, und Jahve er- 
weckte ihnen einen Helfer, Othniel ben Eenaz, und gab den 
König von Aram in seine Hand, und das Land hatte vierzig 
Jahie Euhe, da starb Othniel ben Kenaz," Die gleichen Ge- 
sichtspunkte und auch ziemlich wörtlich die Ausdrücke, die hei 
Othniel das ganze Cadre ausfüllen, kehren bei Ehud Debora 
Gideon Jephthah und Simson wieder, bilden hier aber nur am 
Anfange und am Ende der Erzählungen einen Rahmen, um an- 
derweitigen und reicheren Inhalt einzufassen; selten sehwellen 
sie zu ausführlicheren Betrachtungen an , wie 6, 7. 10, 6. Auf 
diese Weise entsteht das regelmässige Fachwerk von Jud. 2—16. 
Es sind jedoch bloss die sechs grossen Richter die dann unter- 
gebracht sind; die sechs kleinen stehen ausserhalb und haben 
ein besonderes Schema für sich, sie werden erst nachträglich 
hinzugefügt sein, um die Zwölfzahl voll zu machen. 

Es sind wenige und markante Züge, welche diese historische 
Methodik charakterisieren. Eine fortlaufende Chronologie reiht 
die Ruhezeiten und die Unterbrechungen an einander und sorgt 
für die Continuität der Periode. Um dieselbe richtig zu würdi- 
gen, moss man etwas über die Grenzen des Richterbuches 
hinausgehen. Der Schlüssel zu ihrem Verständnis liegt in 
1. Reg. 6, 1: „im 480 Jahre des Auszugs der Kinder Israel aus 
Agyptenland, im 4. Jahre der Regierung Salomo's baute er das 
Haus Jahve's". Wie Bertheau erkannt und Nöldeke weiter ver- 
folgt hat, entsprechen diese 480 Jahre 12 Generationen zu je 
40 Jahren. Analog werden 1. Chron. 5, 29—34 in diesem Zeit- 
raum von Aliaron bis Ahimaas 12 Hohepriester angenommen, 
nach deren Successionen man in der späteren Zeit die Ge- 
eehleehterfolge ausznmessen suchte (Num. 35, 28). Es ist nun 
allerdings nicht sofort klar, wie diese Gesamtsumme mit den 
Einzelposten in Harmonie zu bringen ist. Jedoch dass die Vierzig 
die Grundzahl der Rechnung sei, lassen auch ^ie Einzelposten 



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240 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

zur Genüge erkennen. Vierzig Jahre lang dauert der Wilstenzug, 
während des die ägyptische Generation auBstirht; je 40 Jahre 
hat das Land Ruhe unter Othniel Debora und Gideon, 80 unter 
Ehud; 40 Jahre währt die Herrschaft der Philister, ebensolange 
die Herrechaft Davide. Nach der notwendigen Annahme, dass 
die Periode der Philister (Jud. 13, 1), die das gewöhnliche Mass 
der Fremdherrschaften weit öhersehreitet , sich mit der Eli's 
(1. Sara. 4, 18) deckt und gleiehermassen die sich ergänzenden 
20 Jahre Sirasons (Jud. 16, 31) und 20 des Interregnums vor 
Samuel (1. Sam. 7, 2) umfasst, sind hiemit 8X40 Jahre unterge- 
bracht, und es bleiben noch 4x40. Davon müssen einmal die 
beiden Generationen bedacht werden, fUr die keine Zahlen an- 
gegeben sind, nämlieh die Josua's und der ihn überlebenden 
Zeitgenossen (Jud. 2, 7), und die Samuel-Sauls, vermutlich jede 
mit den normalen 40, beide zusammen sicher mit 80 Jahren. 
Von den übrigen 80 wären hauptsächlich zu bestreiten die 71 
Jahre der Interregna oder Fremdherrschaften und die 70 der 
kleinen Richter. Man sieht, diese beiden Abschnitte haben neben 
einander nicht Platz — es sind Äquivalente, die sich gegenseitig 
ausschliessen. Ich ziehe vor, die Interregna festzuhalten, weil 
gegenwärtig nur sie dem eigentlichen Schema des Richterbuches 
eingeordnet sind. Der noch verfügbare Rest von 9 oder 10 
Jahren verteilt eich auf Jephthah mit 6 und auf Salomo (bis 
zum Tempelbau) mit 3 oder 4 Jahren, resp, wenn man die 
letzteren nicht mitrechnet, auf Abimelech mit 3 Jahren. 

Aber die Hauptsache ist nicht die Chronologie, sondern die 
religiöse Verknüpfung der Begebenheiten.. Beides hängt eng 
zusammen, formell, wie aus dem Schema zu ersehen, und auch 
durch eine innerliche Beziehung. Denn es handelt sich hier wie 
dort um Zusammenfassung grosser Zeiträume, um einen fort- 
gesetzten Ueberblick über die Folge und die Verkettung der 
Geschlechter, wobei von dem näheren Inhalt der Ereignisse ab- 
gesehen wird; die geschichtlichen Faktoren, mit denen der re- 
ligiöse Pragmatismus rechnet, sind so gleichartig, dass die ein- 
zelnen Perioden in der That bloss mit Jahreszahlen ausgefüllt 
zu werden brauchen. Man wird an Satz Gegensatz und Ver- 
mittlung erinnert, wenn man sich den einförmigen Takt in's 
Ohr klingen lässt, nach dem hier die Geschichte fortschreitet 
oder sich im fireiee dreht. Abfall Drangsal Bekehrung Ruhe, 



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Richter Samueüa und Könige. 241 

Abfail Drangsal Bekehrung Ruhe. Die einzigen Subjecte aller 
Aussagen sind Jahve und Israel, ihr Verhältnis allein ist es was 
den Weltlauf in Bewegung setzt; je nachdem in entgegenge- 
setzter ßiehtung, so dass er schliesslich immer auf dem selben 
Flecke bleibt. 

„Sie thaten was böse ist Tor Jahve, sie hurten den Götzen 
nach" — das ist der durchklingende Grundton. Trotzdem die 
Monolatrie Jahpe's auch äusserlicb so wirksam sich empfiehlt, 
sehlägt sie doch keine festen Wurzeln, verwächst nicht mit dem 
Volke, sondern bleibt ihm eine transeendente Forderung. Jahr- 
zehende hindurch lassen sie sich dabei festhalten, dann aber 
macht sich ihr götzendienerischer Hang Luft, der nur durch die 
Scheu vor dem Richter bei dessen Lebzeiten, zurdckgehalten ist; 
sie mQssen Veränderung haben. Nun ist der Abfall zwar für 
die Pragmatik ganz notwendig, weil sonst überhaupt nichts ge- 
schieht; es ist die Unruhe in der Uhr, wovon alle Bewegung 
abhängt. Indessen das ist natürlich kein Mitderungsgrund, das 
Betragen des Volkes erseheint vielmehr überaus unentschuldbar. 
Die Hauptaktionen, die Thaten der Richter, sind fiir diese ge- 
schichtliehe Betrachtungsweise immer nur Beweise von Israels 
SUnde und von Jahve's beschämender Gnade. 

Dass dies alles uieht zum eigentlichen Inhalte der Tradition 
gehört, sondern eine darüber gezogene Uniform ist, wird aner- 
kannt. Numero deus impare gaudet. Man pflegt diese nach- 
trägliehe Bearbeitung deuteronomistiseh zu nennen. Das Gesetz, 
das Jahve den Vätern befohlen und dessen Bruch er schwer zu 
ahnden gedroht hat 2, 15. 21, wird zwar seiner Art nach nicht 
näher bestimmt, man kann jedoch nicht daran zweifeln, dass 
die Quintessenz davon ist, Jahve allein und keinen anderen Gott 
zu verehren. Somit kann wenigstens an den Priestereodex dabei 
nicht gedacht werden, denn hier wird jene Forderung gar nicht 
ausdrücklich geltend gemacht, sondern als selbstverständlich an- 
gesehen. Dagegen das Deuteronomium spricht in der Tbat keinen 
Satz mit grösserem Nachdruck aus als das Höre Israel, dass 
Jahre der einzige sei und fremder Dienst die Sünde aller Sünde. 
Diesen Satz haben vor allem die Zeitgenossen weit lauter daraus 
veiTiommen, als die moralisehen Gebote der Menschlichkeit und 
Milde, die auch darin eingeschärft werden, die aber nicht neu 
sind, sondern älteren Spruehsammlungen entnommen; nur naeh 



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242 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

dieser Seite, eofern es den prophetischen Monotheiainus auf dem 
Gebiete der Volksreligion in seine praktischen Consequenzen ver- 
folgt, hat das Gesetzbuch Josia's seine geschichtliehe Bedeutung 
gehabt, nach dieser Seite in Ezechiel und den Epigonen fort- 
zeugend gewirkt. Wenn demnach überhaupt die Norm des 
theokrati sehen Verhältnisees, die in der Bearbeitung des Richter- 
buches vorausgesetzt wird, in einer sehriftlichen Thora zu suchen 
ist, so kann diese allerdings nur die deuteronomische sein. Die 
endgültige Entscheidung der Frage hängt von der Vergleiehung 
des Buches der Könige ab und muss bis dahin verschoben 
werden. 

2. Was das Verhältnis dieses Daches zum Unterbau be- 
trifft, so ist es' in erheblich verschiedenem Stile aufgeführt. Die 
Bearbeitung, worin das Riehterbueh Aufnahme in den Kanon 
gefunden hat, ist ohne Frage judäischen Ursprungs; aber die 
Geschichten selber sind nicht judäiseh, ja im Liede der Debora 
wird Juda gar nicht mit zu Israel gerechnet. Der einzige 
judäische Richter ist Othniel; er ist aber keine Person, sondern 
ein Geschlecht. Was .von ihm berichtet wird, ist vollkommen 
inhaltsleer und besteht lediglich aus den schematisehen Wendungen 
des Bearbeiters, der also hier selbst an's Schaffen gegangen ist, 
damit die Reihe durch einen Judäer eröffnet werde; die Wahl 
Othniels ward durch Jud. 1, 12—15 an die Hand gegeben. Also 
eine Ausnahme, welche die Regel bestätigt. Wichtiger sind innere 
Differenzen, die hervortreten. Um mit dem Allgemeinsten an- 
zufangen, so ist die geschichtliche Continuität, auf welche das 
Schema so viel Gewicht legt, in den einzelnen Erzählungen des 
Richterbuchs mit nichts angezeigt. Ohne Rücksieht auf Zusammen- 
hang und Folge stehen dieselben lose und unverbunden neben 
einander, wie einzelne lichte Punkte, die hie und da aus dem 
Nebel der Erinnerungslosigkeit auftauchen. Einen längeren 
Zeitraum wirklich auszufüllen machen sie keinen Anspruch, für 
eine Chronologie geben sie keine Anhaltspunkte. Es ist in 
Wahrheit kaum der blasse Schein eines fortlaufenden Zusammen- 
hangs, der durch die leeren Zeitmasse des Schemas über den 
Inhalt der Tradition geworfen wird. Ferne liegt der letzteren 
überhaupt die Vorstellung einer zwischen Josua und Saul liegen- 
den Periode der Richter, in der diese über Israel geheri-seht 
und einander annähernd so regelmässig wie später die Könige 



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Richter Samnelis unii Könige, 243 

sueeediert haben. Man kann nicht zweifeln, dase Jud. 1 und 
Jud. 17. 18 das beste Recht haben zum ursprünglichen Stock 
gerechnet zu werden; von der Aufnahme in's Scbema eiod diese 
Stücke nur deshalb ausgeschlossen, weil darin von Richtern 
nichts zu lesen steht und von den allgemeinen Verhältnissen ein 
Bild entworfen wird, das sehr wenig zum Plane stimmt '). 

Der falschen Continuität liegt eine falsche Verallgemeinerung 
zu Grunde. Aus lokalem Nebeneinander entsteht ein zeitliches 
Nacheinander, indem aufs Ganze bezogen wird, was vom Teile 
gilt, indem immer die Kinder Israel in corpore auf den Schau- 
platz treten, von den Feinden bedrückt und von den Richtern 
gerichtet werden. In Wirklichkeit treten mir die einzelnen 
Stämme handelnd auf; die Richter sind Stammhelden , Ehud 
von Benjamin, Barak und Debora von Issaehar, Gideon von 
Joseph, Jephthah von Gilead, Simsou von Dan. Nur zum Kampfe 
gegen Sieera haben sieb mehrere Stämme vereinig;t, und em- 
pfangen daroh ausserordentliches Lob im Liede der Debora. Es 
heisst nirgends: zur Zeit da die Richter regierten, es heisst: zur 
Zeit da noch kein König war über Israel und jeder tbat was er 
wollte; die regelmässige Verfassung der Periode ist die patri- 
archalische Anarchie der Familien- und Geschlechterherrschaft. 
Und als die Ursache, warum es lange nicht glückte die Kanaaniter 
aus den grösseren Städten zu verdrängen, scheint in Kap. 1 nicht 
undeutlich die Zersplitterung und Vereinzelung hindurch; erst 
als Israel stark wurde, d. h. als seine Kraft durch das König- 
tum zueammengefasst wurde, da ward es anders. 

Die Einheit Israels ist nun aber die Voraussetzung fttr das 

') Die Bearbeitung erstreckt sich bekanntlich nur über 3,6—16,31 und 
schlieast 1,1 — 2,5 ebenso wie 17,1 — 21,24 aits. Aber man sieht ieicht, 
wie vorzüglich das erste Stuck als allgemeine Einleitung in die Periode 
zwischen Mose und dem Königtum an seine Stelle passt, und wie viel 
gehaltvoller und lehrreicher ea in dieser Beziehung ist als der folgende 
Leitartikel 2, 6ff. Ausserdem existiert eine formolle Beziehung zwischen 
I, 16 und 4, 11. Was ferner Kap. 17.18 betrifft, so schliesst sich diese 
Geschichte über den Aufbruch Dans nach Norden sichtlich an die nächst 
vorhergebende an," wo sich der Stamm noch „im Lager Dans" befindet, 
aber arg bedrängt wird und auch durch Simsou keine Hülfe findet. Bei 
Kap. 19—21 freilich kann es zweifelhaft sein, ob sie von der Bearbeitung 
ausgeschlossen oder noch gar nicht vorgefunden sind; indessen ist es 
beachtenswert, dass auch hier Kap. 17. 18 als vorangegangen vorausgesetzt 
werden. Der Levifvon Bothlebem Juda zeugt davon und namentlich die 
Reminiscenz 19, 1, die wie wir sehen werden in Kap. 19 — 21 gar keinen 
Boden hat. Vgl. noch 20, 18 mit l,_lf. 



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244 Geschichte der Tradition, Ka[i. 7. 

theokratische Verhältnis, für den Gegensatz von Israel und 
Jahve, wodurch nach dem Schema der Verlauf der Geschichte 
einzig und allein bedingt wird. In der echten Überlieferung 
fällt die Voraussetzung fort, und im Zusammenhange damit be- 
kommt der ganze geschichtliche Process ein wesentlich anderes 
und zwar natUrlieherea Aussehen. Das Volk wird nicht immer 
insgesamt in den gleichen inneren und äusseren Schwingungen 
hin und hergezogen, und es hängt nicht alles Gesehehen ledig- 
lich an der Attraetion und Repulsion, die Jahve ausübt. Statt 
des periodischen Schaukelspiels von absoluter Ruhe und ab- 
soluter Drangsal herrscht durch die ganze Zeit relative Unruhe; 
hier Friede, dort Kampf und Streit. Mißlingen und Gelingen 
wechseln ab, aber nicht als obligate Folgen von Bundestreue 
und Ungehorsam, Wenn der anonyme Prophet, der in dem 
Einsätze der letzten Bearbeitung 6, 7 — 10 ebenso plötzlich __ auf- 
tritt wie er abrupt versehwindet, die Midiauiterplage zu einer 
Strafpredigt ftir Israel benutzt, so wird unmittelbar darauf die 
Sache mit ganz anderen Augen angesehen. Denn auf den Gruss 
der Gotteserscheinung; „Jahve ist mit dir, du streitbarer Held", 
antwortet Gideon; „und ist Jahve mit uns, warum hat uns denn 
alles dieses betroffen? wo sind seine Wunder, von denen unsere 
Väter uns berichtet haben?" — ihm ist von einer Schuld laraeis 
nichts bewusst. Somit treten nun auch die Heldengestalten der 
Richter aus dem Zusammenhange der Sünde und des Abfalls 
heraus; sie sind der Stolz ihrer Landsleute und nicht demütigende 
Erinnerungen daran, dass Jahve uuverdientermassen immer wieder 
gut gemacht, was die Menschen verdorben haben. Wie künstlich 
endlich die nötige Sünde erzeugt wird, erhellt gelegentlich recht 
deutlich. Nachdem Gideon gestorben war, heisst es 8, 33, hurten 
die Kinder Israel den Baalen nach und machten sich Baal Berith 
zum Gott. Indessen aus dem folgenden Kapitel erhellt, dass Baal 
oder El Berith nur der Schutzgott Siehems und einiger anderer 
damals noch kanaanitischer Städte gewesen ist: der Bearbeiter 
verwandelt den kanaanitischen Lokalkult zum Götzendienst des 
ganzen Israels. In anderen Fällen verfährt er noch einfacher; 
z. B. 10, 6ff., wo die Siehenzahl der Götter der Siebenzahl der 
hinterher aufgezählten Völkerschaften entspricht. Für gewöhnlich 
begnügt er sich mit Baalen und Astarten oder Äscheven, bei denen 
schon der Plural zeigt, wie wenig Individuelles, Positives zu 



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Ricilter SamuelJs und Könige. 245 

Grunde liegt — davon zu geschweigen, daes Äscheren gar keine 
Gottbeiten sind. 

Kinz, was man so eigentlich für das Theokratisehe in der 
Gesohichte Israels ansgiebt, das ist durch die Bearbeitung hinein- 
gebi-acht. Da greifen Gnade und SUnde wie die nieehauiecbsten 
Kräfte in das Getriebe der Ereignisse ein, der Lauf der Welt 
wird methodisch der Analogie entzogen, die Wunder sind nichts 
ausserordentliches, sondern die regelmässige Fonn des Geschehens, 
verstehen sich von selbst und machen gar keinen Eindruck. 
Dieser pedantische Supranaturalismus, die heilige Geschiebte 
nach dem Recept, findet sieh in den ursprüngliehen Erzählungen 
nicht. Israel ist da ein Volk wie andere Völker, und auch sein 
Verhältnis zu Jahve wird nicht anders aufgefasst als z. B. Moabs 
Verhältnis zu Kamos (11, 20), An Erscheinungen und Zeichen der 
Gottheit fehlt es nicht; aber die Wunder sind so, dass man sich 
wirklich darüber wundert. Sie durchbrechen hin und wieder den 
irdischen Nexus, bilden jedoch kein zusammenhängendes System; 
sie sind Poesie, nicht Prosa und Dogmatik. Im Ganzen aber 
wird der geschichtliche Process, obwohl scheinbar krauser und 
verworrener, in Wirklichkeit doch viel begreiflicher, und obwohl 
scheinbar zerrissener, schreitet er in Wirklichkeit zusammen- 
hängender fort. Es geht bergauf auf das Königtum zu, nicht 
bergab von der Glanzzeit Mose's und Josua's (Jud. 1, 28. 35. 
13, 5. 18, 1). 

Nur eine Erzählung allerdings, abgesehen von der nicht zu 
rechnenden über Othniel, entspricht ganz den Anforderungen an 
die heilige Geschichte, wie sie sein mttsste, um in das Schema 
hineinzupassen. Es ist Jud. 19—21. Um sie recht zu wflrdigen, 
ist es angebracht, vorher einen Blick auf den vorhergehenden 
Bericht zu werfen, über den Wanderzug des Stammes Dan nach. 
Norden. Die Daniten, 600 Mann stark, überfallen die kanaani-- 
tische Stadt Lais, nicht weil sie innerhalb der dem Volke Gottes 
zugewiesene Grenzen belegen und ihre Eroberung Pflicht ist — 
wenn sie auch das Orakel befragen, so liegt es ihnen doch ferne 
sich auf das aus dem Buche Josua bekannte göttliche Recht zu 
berufen — , sondern weil ein friedliches und niehtsahnendes 
Völkehen darin wohnt, das gegenüber solch verzweifelten Ge- 
sellen wehrlos ist; gegen Israeliten, wie Micha, mit der selben 
Treulosigkeit zu verfahren , gilt ihnen gleich. Sie nehmen das 



yGojagle 



246 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Recht zu sein wie man ist unvevklimmert in Anspruch und 
kennen keine Rücksicht, weshalb sie sieh Zwang anthuu sollten; 
die Natürlichkeit ihres Benehmens grenzt an's Unverschämte, 
Dabei sind sie fromm auf ihre Art; wie viel ihnen Jahve wert 
ist, beweisen sie dadurch, dass sie sein Bild aus dem Gottes- 
hauee stehlen und den Priester. dazu, der es htltet. Was von 
gottesdienstlichen Bräuchen iu den beiden Kapiteln vorkommt, 
lässt es kaum an einem Greuel fehlen, den das Gesetz verbietet: 
das Privatheiligtum im Besitze des Ephraimiten Micha, der 
Enkel Mose's als Priester in dessen Dienst und Sold, Ephod 
und Theraphim als notwendige Requisiten des Jahvecultus; und 
doch wird dies Alles auch von dem Erzähler so vorgetragen, 
als ob es ganz in der Ordnung und unanstössig sei, wie er denn 
damit nicht zeitweilige Regelwidrigkeiten, sondern die Entstehung 
bleibender Einrichtungen au einem Hauptbeiügtum des alten 
Israel zu berichten beabsichtigt. Mau wird in eine andere Welt 
versetzt, wenn man von hieraus zu der folgenden Erzählung 
kommt, über die Sehandthat der Benjamiuiten und deren exempla- 
rische Bestrafung; es gibt kaum einen grösseren und lehiTeicheren 
religionsgeschichtlich en Gegensatz im Alten Testamente. In Jud. 
19—21 sind es nicht, wie sonst Überall, die einzelnen Stämme, 
welche agieren, nicht einmal das Volk Israel, sondern die Ge- 
meinde des Bundes, die auf der Einheit des Cultus basiert. Was 
sie zum Handeln veranlasst, ist eine in ihrer Mitte begangene 
Sünde, die fortgeschafft werden muss; die Heiligkeit der Theo- 
kratie bringt diese 400000 Mann in Harnisch und erfüllt sie zu- 
gleich mit Salbung und mit blutiger Energie. Dieser uniformen 
Masse sind die geistlichen Instincte ganz iu Fleisch und Blut 
übergegangen und machen sie zu einem einheitliehen Automaten, 
so dass Alles was geschieht immer von Allen zugleich gethan 
wird. Individuen treten nicht hervor, nicht mit Namen, ge- 
schweige mit Heldenthateu ; die Moral ist nichts weniger als 
heroisch. Da die gottlosen Buben von Gibea dem dort tiber- 
naehtenden Leviten an den Leib wollen, liefert er ihnen sein 
Weib aus, um sich zu reiten — uud ganz Israel findet an dieser 
empörenden Feigheit nichts auszusetzen; vermutlich ist die Mei- 



nung, der hei 

vor noch schli 
setze kommt 



Mann habe durch sein Verhalten die Frevler 
mmerer Schuld bewahrt „Vom mosaischen Ge- 
n diesen Kapiteln nichts vor, aber wer könnte es 



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ß.ichler Samuelis und Künige. 247 

verketmen , daas der Geist, welcher seinen Ausdruck im Gesetz 
gefunden bat, die so handelnde Gemeinde erfüllte! Hätten wir 
mehrere Erzählungen ähnlichen Inhalts, manches ßätsel des 
Pentateuchs würden wir lösen. Wo fänden wir unter den Kö- 
nigen ein 80 einiges kräftiges ernstes, fdr die höchsten Guter 
den schwersten Kampf so willig übernehmendes Israel!" So ur- 
teilt Bertheau, richtig empfindend, dasa diese Erzählung eine 
völlige Ausnahmestellung einnimmt und Allem widerspricht, was 
wir sonst über die Richter- und sogar noch über die Königszeit 
hören. Nur kann es nicht für einen Beweis ihres historischen 
Wertes gelten, wenn sie der anderweitigen Überlieferung in 
den Büchera der Richter Samuelis und der Könige iu's Gesicht 
schlägt und dafür dem Gesetze homogen ist. Dagegen ist es 
ein veiTäterisclier Selbstwidersprueh, wenn der Verfasser, in un- 
willkürlicher Erinnerung an die vorangehenden Kapitel, über 
die Zerfahrenheit der damaligen Zeit klagt (19, 1. 21, 25), und 
uns faktisch dann doch Israel in einer geistigen Centralisation 
vorfuhrt, wie sie im Altertum nachweislich nie bestanden hat, 
sondern erst in Folge des Exils aufgekommen ist und das Juden- 
tum kennzeichnet. 

Da diese Erzählung nicht in das deuteronomistisehe Schema 
des Richterbuches aafgenomjnen ist, so kann gefragt werden, ob 
sie bloss das deuteronomisehe oder auch das priesterliche Gesetz 
voraussetze. Die meisten s}>rachliehen Berührungen hat sie mit 
dem Deuteronomium, aber ein vorzugsweise wichtiger Ausdruck 
und Begriff, der der Gemeinde der Kinder Israel, weist eher 
auf den Priestereodex; desgleichen auch Pinehas hen Eleazar 
ben Aharon (20, 27). Indessen kommt der letztere nur einmal 
voT und zwar in einer Glosse, die sich zwischen und die Kin- 
der Israel fragten Jahve und das eng dazugehörige folgen- 
dermassen sehr störend eindrängt. Im Übrigen verdient es 
Beachtung, dass mit der Stiftshütt«, die neben Mispa keinen 
Platz hat (S. 268), das Hauptwahrzeiehen des Priestercodex fehlt. 
Derselbe bereitet sieh also nur vor, ist aber noch nicht erschie- 
nen; wir stehen noch auf dem Boden des Deuteronomiumg, aber 
der Übergang bahnt sich an. 

3. Gehen wir von der letzten Bearbeitung einen Schritt 
weiter zurück, so treffen wir auf eine weniger systematische Voi-- 
Btufe derselben in gewissen Ergänzungen und Verbesserungen, 



yGOQgIc 



248 Geschieht! dor Tradition, Kap. 1. 

die hie und da den iirsprUnglichen Erzählungen angeflickt wor- 
den sind. Sofern dieselben aus einfacher Freude an der Weite- 
rung oder am Reden entstanden sind, gehen eie uns hier nicht 
weiter an. Teilweise aber baten sie ihren Grund darin, daes 
die spätere Zeit in die religiösen Bräuehe und Vorstellungen 
der Väter sich nicht mehr schicken konnte. Von dieser Art 
kommen in der Geschichte Gideons zwei Beispiele vor. Es 
heisst 6,25 — 32, auf Jabve's Geheiss habe Gideon in der Nacht 
nach seiner Berufung den Altar Baals in seiner Vaterstadt Ophra 
nebst der dabei stehenden Aschera zerstört, dagegen dem Jahve 
einen Altar gebaut und darauf ein jähriges Rind verbrannt, mit 
dem Holz der Asehera als Feuerung. Als dann am anderen 
Morgen die Leute von Ophra empört die Auslieferung des Frev- 
lers verlangten um ihn zu töten, habe sein Vater sie verweigert 
und gesprochen: „woUt ihr für Baal streiten oder ihr ihm bei- 
stehen? wenn er Gott ist, streite Baal (hebräisch Jareb Baal) 
für sieh selber". Und in Folge dieser Äusserung sei Gideon 
Jerubbaal zubenannt. Dies collidiert mit dem Vorhergehenden. 
Da hat bereits Gideon den grossen Stein unter der Eiche von 
Ophra, wo er Jahve sitzen sah, zum Altar gemacht und darauf 
das erste Opfer gebracht, welches durch spontan herausschlagen- 
des Feuer verzehrt wird, so dass .in der Lohe die Gottheit 
selber zum Himmel fährt. Wozu die zwei Altäre uud die zwei 
Stiftungsgesehiehten dazu, um ihren Ursprung auf den Patron von 
Ophra zuriiekzuflihren? Sie vertragen sich nicht neben einander, 
aber man sieht wohl, warum die zweite der ersten nachgeschickt 
ist. Der Altar aus Einem Steine, die daraus hervorbreoheude 
Lohe, der immergrüne Baum, der schon durch seinen Namen 
Ela eine natürliche Verwandtschaft mit El anKudeuten scheint '), 
alles dies gilt den Späteren nicht mehr für correct, ja für Baala- 
werk. Aus dem Streben nun, auf Gideons Frömmigkeit keinen 
Zweifel sitzen zu lassen, ist der Nachtrag entstanden, worin er 
einen Altar Jabve's an die Stelle des bisherigen Altar Baals 

') nbn pbüf '^ Aramäisch ea der Baiiia schlechthin, im Hebräischen der 
immergrüne imd gewöhnlich der heilige Baum {Isa. 1, 29f.), meist ohne 
Unterscheidung der Arten. Nicht bloss Elche und Terebinthe, sondern 
auch Palme wird einbegriffen. Denn der n"ll3T Jl'pj! bei Bethei heisst 
anderswo -|Dn> D^bn tat seinen Namen von den 70 Palmen, und von 
rh'^H äjn Rotem Meere gilt vielleicht ein gleiches. 



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Richter Samuelis niid Konige. 249 

setzt. Wie dies Streben gelungen ist, beurteilen wir am besten 
aus dem damit zusammenhangenden Versuch, noch einen anderen 
AnstoBB zu beseitigen, der in dem Namen Jerubbaä! liegt. Auf 
Grund des oben referierten Anlasses wird derselbe erkläi-t als 
bedeute er Streitebaal. Sprachlich ist diese Erklärung an dea 
Haaren herbeigezogen, und unmöglich in jedem Betracht; nach 
einem Gott nennen sich nur Personen, die ihn verehren. Im 
hebräischen Altertum wechselt Baal unterschiedslos mit El, und 
es herrsebt kein Bedenken, bis auf den Propheten Hosea (2, 18), 
Jahve selber als den Baal, d. b. den Herrn, zu bezeichnen. 
Das bezeugen vor allem eine Reihe Eigennamen aus der Familie 
Sauls und Davids, Isbaal Meribaal Baaljada, zu denen nun auch 
der Name Jerubbaal fUr den Midianiterkämpfer hinzukommt. Wenn 
also der Baal an sieh noch in der israelitischen Königszeit keines- 
wegs schlechthin der Antipode Jahve's gewesen ist, woher denn 
der feindliehe Gegensatz zwischen den Gottheiten, den Jerubbaal 
durch sein praktisches Verhalten voraussetzt, obwohl er durch 
seinen Namen den grossen Baal preist? Auch die Meinung, dass 
die Aschera sich mit dem Jahvedienste nicht vertrage, entspriebt 
nicht dem Glauben des Altertums; nach Deut. 16, 21 müssen diese 
kunstlichen Bäume häufig genug neben den Altären Jahve's ge- 
standen haben. Merkwürdigerweise veiTät sich sogar innerhalb 
des eingelegten Abschnittes selber das Bewusstsein, dass diese 
Art Eifer für den legitimen Gottesdienst das historische Niveau 
übersehreite. Man hat den Eindruck, dass die Bewohner von 
Ophra von der Unrecbtmässigkeit ihres BaalscUltus nichts wissen, 
dass Gideon denselben auch seinerseits im guten Glauben mit- 
gemacht und dass es bisher einen Altar Jahve's überhaupt dort 
nicht gegeben hat. 

Von etwas anderer Form ist eine Con-ektur, die äich am 
Schlüsse" der Geschichte Gideons ündet (8, 22 ff.). Nach dem 
Siege über die Midiauiter habe er das ihm angetragene König- 
tum mit Rücksicht auf Jahve den alleinigen Herrscher abgelehnt, 
sich aber die goldenen Nasenringe, die man den Feinden abge- 
nommen, erbeten, daraus ein Jahvebild, ein Ephod, gemacht und 
es in Ophra zur Anbetung aufgestellt. „Und ganz Israel hurte 
dahinter her und es ward Gideon und seinem Hause zum Fall- 
strick." Aber nicht bloss ist faktisch die Handlungsweise eines 
soleben Mannes in einem solchen Augenblick völlig massgebend 



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250 Gescbichte der Tradition, Kap. 7. 

für den dermaligen Stand dee israelhiechen Gottesdieustes über- 
haupt, sondern auch dem ursprünglichen Erzähler kann es nicht 
zug:etraut werden-, dass er seinen Helden durch den unmotivier- 
testen Abfall der Gottheit habe danken, durch Götzendienst dem 
Siege hahe die Krone aufsetzen lassen. Es wird dies um so 
unmöglicher, wenn man bedenkt, dass naeli dem Zeugnisse des 
Hosea Jesaia und Micha dergleichen Bildwei'ke noch während 
der assyrischen Periode nicht bloss in Samarien sondern auch 
in Judä zum regelmässigen Zubehör der Gotteshäuser gehören. 
Hinzu kommt, dass. der Gegensatz des göttlichen gegen dae 
menschliche Königtum, wie er in diesen Versen heryortritt, auf 
späterer Abstraktion beruht; worüber demnächst mehr zu sagen 
sein wird'). Studer wird also Recht behalten mit der Behaup- 
tung, der alten Überlieferung habe es nur als ein schöner Zug 
von Uneigennüizigkeit und Frömmigkeit gelten können, dass 
Gideon das Gold nicht für sich behält, sondern Gott weiht; wir 
haben in 8,22—27 seeundäres Produkt vor «ns, worin die ur- 
sprünglichen Züge nach späterem Geschmack entstellt sind. 
Leider hat in diesem Falle die zweite Hand die Arbeit der 
ersten verdrängt. Die ältere Erzählung bricht 8, 21 mit den 
Worten ah: „Gideon nahm die Zierate am Halse der Kamele 
der Könige". Was er damit angefangen, erfahren wir nicht 
mehr; aber natürlich müssen wir annehmen, dass er aus ihnen 
das Ephod gefertigt habe. Nach dem Auswüchse, der unmittel- 
bar nach 8, 21 einsetzt, werden dazu verwandt die von ganz 
Israel erbeuteten 'goldenen Nasenringe der sämtlichen Midia- 
niter, im Gewichte von 1700 Sekeln, abgesehen vom Schmucke 
der Könige und ihrer Kamele. Ein ähnliches Verhältnis, wie 
das der 600 Daniten in Kap. 18 zu den 25700 Benjaminiten in 
Kap, 20, oder der 40000 Männer von Israel in 5, 8 zu den 
400000 in 20, 2. 

4, Gewisse Unterschiede der geistigen Haltung, die iu der 
Entwicklung der Tradition schon leise die Richtung andeuten, 
welche in der bisher charakterisierten Übei'arbeitung und Aus- 
putzung ihr Ziel gefunden hat, lassen sich endlich auch inner- 

') jDie Worte Gideons erhalten erst durch die Voraussetzung Sinn, dass 
JehoTa's Herrschaft anderweit, durch Propheten oder Priester, repräsentiert 
sei, was aber in der Richterpeiiode nicht der Fall war und wogegen die 
eigene Geschichte Gideons zeugt" — Vatke S. 263. Uebrigens ist nach 
9, lEf, Gideon in 4er That Herrscher von Ephraim uad Mauasse geweaeu, 



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EicMcr Samiielis iinti Könige. 251 

halb der originalen Erzählungen selber verfolgen, namentlich 
bei denen, die uns in doppelter Version erhalten sind. Letztere 
eind im Eiehterbuch nicht häufig, doch kommen sie vor. Als 
einen sehr einfachen derartigen Fall kann man Jud. 4 im Ver- 
hältnis zu Jud. 5 betrachten. 

Gegen die Kanaaniter, die unter ihrem Oberkönige Sisera 
wieder ihr Raupt erheben und von ihren Städten in der Ebene 
aus die Bergdörfer der neuen Ansiedler beunruhigen, vereinigt 
Debora die hebräischen Stämme zum Kampfe. Von Nord und 
Süd steigen die Kriegsscharen Jahve's vor unseren Augen gen 
Jezreel hinab, die Seherin Debora an der Spitze, der Kriegs- 
■ mann Barak ihr zur Seite. Am Bache Kison erfolgt der 7m- 
sammenstoss und endet mit der Niederlage der Könige Kanaans, 
Sisera selbst wird auf der Flucht von Ja«t, dem Weibe eines 
nomadischen Keniters, ersehlagen. Das der Inhalt des Liedes 
Jud. 5. In der voraufgeschiekten Erzählung Jud. 4 sollte man 
einen historischen Commentar dazu erwarten, man findet aber 
nur eine Reproduction, die die speziellen Züge verwischt und 
verfälscht. Aus den Königen Kanaans wird der König von Ka- 
naan, als sei Kanaan ein Reich gewesen; aus Sisera ihrem Ober- 
haupt wird ein blosser Feldhäuptmann; die Unterdrückung der 
Hebräer wird ins Unbestimmte verallgemeinert. Jael mordet 
den Sisera während er in tiefem Schlafe liegt, indem sie einen 
Zeltpflock ihm durch die Schläfe und in den Boden treibt — 
im Liede steht davon nichts, er trinkt als sie den Schlag führt 
und ist dabei stehend gedacht, denn sonst könnte er nicht vor 
ihr zusammenbrechen zu Boden stürzen und erschlagen liegen 
bleiben wo er hingesunken {5, 27). 

Im Liede wird das Unternehmen mit menschlichen Mitteln 
vorbereitet; Verhandlungen werden geführt zwischen den Stäm- 
men, bei denen unterschiede hervortreten; die Lauheit oder die 
grossen Worte der einen werden getadelt, der thatkräftige Ge- 
meinsinn und der Kriegsmut der anderen gelobt. In der Er- 
zählung ist dagegen die Befreiung rein Sache Jahve's, die israeli- 
tischen Mannen sind Statisten, denen kein Verdienet und kein 
Dank gebührt. Dafür concentriert sich das Interesse auf die That 
der Jael, die aus einer Episode zur Pointe des tranzen anschwillt. 
Als solche wird sie angekündigt, indem Debora dem Barak vor- 
aussagt, nicht sein werde der Ruhm sein, sondern eines Weihes, 



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252 Gesehicble der Tradition, Kap. 7. 

iu dessen Hand der Feind werde Terkauft werden: dev Held, 
die Meuschenkraft thut'a nicht, sondern in der Schwachheit ist 
Jahve mächtig. Hoch sonst wird gerade dem Barak sein Anteil 
am Werk verkümmert. Er wird von Debora aufgefoi'dert, nicht 
etwa in den Kampf sondern auf den heiligen Berg Thabor zu 
ziehen, wo Jahve das Weitere veraulassen werde; er macht 
aber Umstände und bedingt sich aus, dass die Prophetin auch 
selber mitziehe. Das wird deshalb als eine Laune des Un- 
glaubens angesehen, weil die Aufgabe der letzteren damit für 
erschöpft gilt, dase sie den Befehl der Gottheit an das Werk- 
zeug befördert hat; sie ist bloss dazu da, damit man aus ihrer 
Vorhersagung erkenne, wie Jahve der einzige Effieient der Ge- 
schichte sei. Im Liede ist das anders. Da wird Barak nicht 
wider seinen Willen aufgerufen, sondern er hat einen persön- 
lichen Anläse zum Losbrechen; „auf, Barak, und fange deine 
Fänger, Sohn Abinoams!" Und die Seherin hat nicht bloss zu 
prophezeien, sondern sie wirkt psychologischer; sie gehört hinein 
in den Kampf und befeuert durch ihren Gesang den Mut der 
streitenden Seharen: „auf, Debora, singe das Lied!"'). Überall 
in den Varianten der prosaischen Reproduction macht es sieh 
fühlbar, dass das bunte Getriebe des wirklichen Hergangs ver- 
blasst vor der einen allgemeinen Endursache, Jahve. Wohl 
rauscht Jahve auch durch das Lied, in dem Enthusiasmus, der 
die hebräischen Krieger eiflillt, in dem panischen Schrecken, 
der die reisige Macht der Feinde verwii'rt. Aber in der Erzäh- 
lung ist der Gottheit das Mysterium abgestreift, vermittelst 
mechanischer Prophetie gelingt es, ihren Anteil an der Ge- 
schichte fest und nUchteni umgrenzt darzulegen. Je specieller 
sie eingi-eift, desto ferner tritt sie; je bestimmter die Aussagen 
über sie lauten, desto weniger spüi-t man sie. 

Es gibt noch ein anderes Beispiel im Buche der Richter, 
wo uns der gleiche historische Stoff in zwei verschiedenen For- 
men ausgeprägt vorliegt; das ist die Geschichte von Gideon aus 
dem manassitischen Hause Abiezer. Studer hat den Einschnitt 
zwischen 8, 3 und 8, 4 erkannt, der zwei für sich zu verstehende 

') V. 12 ist eine Aufforderung den Kampf anzufangen: da kann Debora doch 
nicht das Triumphlied singen, welches den glücklichen Ausgang dessel- 
ben feiert. Aus ähnlichem Grunde ist auch die oben gegebene Über- 
setzung: ,fange deine i'änger" die natürlichere tind richtigere, 



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Richter Samuelis und Könige, 253 

Erzählungen trennt. Mit 8, 1 — 3 ist die erste abgescWossen. 
Vorher ist gesagt worden, wie Gideon, nachdem der erste Über- 
fall der Midianiter gelungen, den Heerbann Israels Kur Verfol- 
gung aufgeboten, wie dann namentlich die Ephraimiten den 
flüchtigen Nomaden die Furten des Jordans verlegt und bei der 
Gelegenheit ihre beiden Anführer in die Gewalt bekommen ha- 
ben. Nun hören wir zum Schluse (8, 1 — 3), dass die Ephraimiten 
im übermute des Erfolgs mit Gideon zu zanken anfingen; er 
aber habe ihren Zorn bescbwiehtigt und gesagt: „was habe ich 
denn jetzt gethan im Vergleich mit euch? ist nicht die Nachlese 
Ephraims besser als die Ernte Abiezers? in eure Hand hat Gott 
die Fürsten Midians gegeben und was habe ich dagegen zu 
thun vermocht!" Zu einem solchen häuslichen Zwist über den 
Anteil am Verdienst ist doch erst Zeit gewesen, nachdem das 
Verdienst selber erworben, nachdem der Streit mit den Feinden 
ausgefochteu war, wie denn auch das Bild von der Ernte und 
Nachlese voraussetzt, dass der Sieg vollständig und alle seine 
Früchte gepflückt waren. Mit 8, 1 — 3 ist die Sache abgethan; 
die folgende Erzählung ist keine Fortsetzung der vorhergehen- 
den, sondern eine zweite Version, die von ganz anderen Vor- 
aussetzungen ausgeht. Während nach 7, 23f. ein grosses Heer 
auf den Beinen ist, hat Gideon 8, 4ff. nur seine 300 Leute bei 
sieh. Während nach 8, 1—3 schon Lese und Nachlese gehalten 
und der Kampf am Ziel ist, setzt Gideon 8, 4if, unaufhaltsam 
den Feinden nach, und da er die Bürger von Sukkoth und Pe- 
nuel um ßrod für seine müde uud hungrige Mannschaft bittet, 
fragen ibn die höhnisch, ob er denn etwa schon des Erfolges 
sicher sei, so dass man Ursach habe t^r ihn Partei zu nehmen. 
Die beiden Häuptlinge, welche dort die Fürsten Zeeb und Oreb 
heissen und bereits gefangen sind, werden hier die Könige Zebah 
und Salmuna genannt und sind noch nicht gefangen. Leider ist 
der Anfang von 8, 4ff. nicht erhalten; in Folge dessen ISsst sich 
nicht ausmachen, ob der Verfolgung, auf der wir Gideon hier 
treffen, schon eine Begegnung mit den Feinden voraufgegangen 
sei. Unmöglich ist eine solche Annahme gerade nicht, doch 
läsat der weite Vorsprung der Nomaden und ihre Sorglosigkeit 
im Lager die Sachlage eher so erseheinen wie in 1. Sam. 30. 
Wie dem auch sei, das Gewicht der die beiden Versionen 
trennenden Momente bleibt sieh gleich. 



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254 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Worin liegt nun die Wurzel ctes Unterschiedes? Das lehrt 
am besten eine Vergleichung der Eingänge des einen und des 
anderen Berichfes. Wie gesagt mangelt zwar dem zweiten jetzt 
der Anfang, aber einigermassen lässt er sich aus dem weiteren 
Verlaufe ergänzen. Nach 8, 4fif. hat Gideon es ganz speziell 
auf die beiden Könige der Midianiter abgesehen, diese erscheinen 
stets als seine eigentlichen Feinde, hinter denen er her ist; die 
übrigen Midianiter sind ihm mehr oder weniger gleiehgiltig. 
Nämlich Zebah und Salmuna, erfahren wir aus 8, 18 f., hatten 
am Thabor seine leiblielien Brüder erwürgt; um dafür Baehe zu 
nehmen setzt er den Schuldigen nach und ruht nicht, bis sie in 
seiner Hand sind. Es ist die Pflicht der Blutrache, um deren 
vollen er mit seiner Hausmacht sich aufmacht, unbekümmert 
um das Misverhältnis gegen die Überzahl; es ist die Gewalt des 
Familiensiuns, die ihn iu Bewegung setzt und ihn beiläufig zum 
Ketter Israels vor den ßäubera macht. Iu dem ersten Berichte 
(6, 11—8, 3) sind diese natürlichen Motive völlig versehwunden 
'Und andere an die Stelle getreten, von ungefähr entgegen- 
gesetzter Beschaffenheit. Im Voraus, ehe noch die Midianiter 
ihren diesjährigen Einfall gemacht haben, wird der nichts ahnende 
Gideon durch eine Theophanie zum Kampf gegen sie berufen. 
Wie sie nun wirklich kommen, da ergreift ihn der Geist und 
er zieht ihnen entgegen. Was an ihm Menschliches ist, hat 
nichts mit der That zu thun; Fleisch und Blut sträuben sich da- 
gegen. Es ist der directe Einfiuss Jahve's, der ihn treibt; natür- 
lich dann auch im allgemeinen Interesse Israels, gegen die Mi- 
diauiter, nicht gegen die Person ihrer Fürsten. Im Zusammen- 
hange damit wird weiter auf alle Weise dafür gesorgt, dass der 
Mensch hinter der Gottheit in den Schatten tritt. Gideon, naeli 
dem zweiten Berichte ein vornehmer und königlicher Manu, ist 
im ersten aus unansehnlichem Hause und Gesehlechte; während 
ihn dort eine unaufhaltsame Energie kennzeichnet, erseheint er 
hier bis zum letzten Augenblick zaghaft und zögernd und 
wird durch immer neue Wunder ermutigt und gekräftigt. Die 
32000 Mann, mit denen er in's Feld räekt, muss er auf Jahve's 
Geheiss bis auf 10000 und aber bis auf 300 entlassen, „damit 
Israel sich nicht gegen mich rühme und sage, seine eigene Hand 
habe ihm geholfen!" Die Waffen, womit die Dreihundert den 
nächtlichen Überfall ausfuhren, sind Fackeln Krüge und Po- 



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Richter Sainuelis und Könige. 255 

saunen; für Schwerter haben sie dann keine Hand mehr (7, 20), 
und demgemäsg muss das feindliehe Heer sich selber auf- 
reiben (7, 22). 

Unter den Abweichungen der religiösen Version, von. der 
natiirliehen giebt es wenige undurchsichtige, wozu man nament- 
lich die rechnen kann, dass der Schauplatz diesseit des Jordans 
verlegt wird. Die meisten sind sofort erkennbar als Produkte 
einer verklärenden Beseelung der Tradition, die ihren Körper 
vei-filichtigt und sie in luftige Regionen bebt. Z, B. bilden nicht 
bloss in Kap. 8, sondern auch in Kap. 7 die 300 Mann das 
alleinige Gefolge Gideons bei der Hauptaction, beim Überfall 
des feindlichen Lagers; aber um die Bedeutsamkeit dieser ge- 
ringen Anzahl zum Eindruck zu bringen, werden sie im Kap. 7 
zum letzten Eesiduuni eines anfangs ganz ansehnlichen Heeres 
gemacht und daraus entspinnt sich eine weitläufige Erzählung. 
Auch das darf man wohl vergleichen, dass wie das 6. Kap, mit 
der Beziehung dieses Richters zum HeiUgtume seiner Vaterstadt 
anhebt, so das 8, Kap. damit schliesst : hier entdeckt er durch 
eine Theophanie, wie die Patriarchen der Genesis, die Heiligkeit 
des Altarsteines unter der Eiche; dort stiftet er, weit realistischer, 
das Ephod aus dem goldenen Schmucke der Midianiterkönige. 
Historisch kommt vorzugsweise, wenn nicht ausschliesslich, die 
natürliche Version in Betracht , die in trockenem Tone die 
Sachen reden lässt und in die Einfachheit des Hergangs nichts 
von der Bedeutung seiner Folgen einmischt. Das Verhältnis 
ist jedoch etwas anders als wie wir es zwischen Jud. 5 und 4 
gefunden haben. Kap. 6 f. basiert nicht direkt auf Kap. 8, 
sondern wohl auf selbständiger mündlicher Grundlage. Mit 
den historischen Erinnerungen, über deren Unbestimmtheit die 
lebhafte Lokaliarbung nicht täuschen darf, schalten die wuchern- 
den Triebe hier viel freier und bringen weit plastischere und 
naivere Gebilde hervor. Offenbar aber ist im Gebiete des Wunr 
ders die Poesie älter als die Prosa. 

Drängt sieh bei den Geschichten, die uns in doppelter 
Tassung aufbewahrt sind, der innere Abstand von selber auf, 
so lässt sieh ein solcher nun aueb da wahrnehmen, wo keine 
eigentlichen Parallelen verglichen werden können. Wie fühlbar 
unterscheidet sich die Erzählung über Ahimelech, etwa von der 
folgenden über Jephthah, durch den Reichtum des sachlichen 



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256 Gosehiohte der Tradition, Kap. 7. 

Gehalts, durch das objectire Interesse für die Mittel- und Neben- 
glieder in der Folge der Begebenheiten! Ohne Vergoldung durch 
llbernatttrlichen Nimbus werden die Dinge schlecht und recht 
vorgetragen, die Moral ergibt sieh aus ihrem Verlauf von seiher. 
In den Sagen von Simson hinwiederum stellen sich uns so zu 
sagen zwei Seelen in einem Köi'per vereinigt dar. So eng hier 
auch dei- derb volkstümliche Stoff und die besonders am An- 
fange uud am Eade hervortretende religiös-nationale Form ver- 
wachsen sind, so stehen sie doch in einem innerliehen Contraete, 
und sehwerlieh sind die Streiche dieses absonder liehen Gottes- 
manns ursprünglich im Geiste Jahve's eoncipiert, aus dem sie 
jetzt geboren werden. Vielmehr wird der i'eligiösen Darstellung 
eine ziemlich profane zu Grunde liegen, aber gegenwärtig kann 
mau die ältere Stufe nicht mehr von der jüngeren sondern. Es 
versteht sieh übrigens, dass in diesem Falle der Gegensatz von 
historisch und unhistoriseh nicht angewandt werden darf, der 
indessen für unsere Absicht auch nicht wesentlich ist. Nur das 
gilt allgemein: je näher die Geschiehtsehreibung ihrem Ursprung 
ist, desto profaner ist sie. In der Art der Frömmigkeit gibt 
sieh in den vordeuteronomisehen Erzählungen der Unterschied 
weniger zu erkennen als im Grade. 

II. 

1. Die umfassende Bearbeitung, die wir im Richterbuche 
wahrgenommen haben, hat auch dem Buche Samuelis ihr Siegel 
aufgedrückt. Da aber hier die Periode kurz, dagegen ihr Inhalt 
überaus reich und wirklich zusammenhängend ist, so kann sich 
das künstliche Fach- und Netzwerk nicht so sehr bemerfclieh 
machen. Doch fehlt es keineswegs, wie zunächst die Zeitangaben 
lehren, die wir schon oben in das System der Chronologie ein- 
geordnet haben. Es verdient Beachtung, wie lose dieselben in 
den Context eingefügt sind. In 1, Sam. 4, 18f.: „und da der . 
Bote die Sehreekensnacbricht erzählte, fiel Eli hinterrücks vom 
Stuhle und brach den Hals und starb, denn er war alt und un- 
beholfen und er richtete Israel vierzig Jahre; da aber 
seine Schnur, die hochschwangere Frau des Pinehas, die Kunde 
vernahm u. s. w." — ist der Satz mit dem Datum zwar bei halb- 
wegs passender Gelegenheit, aber doch eben deutlich bei Ge- 
legenheit eingeschoben. In 2. Sam. 2, 8 — 13 heisst es: „Abner 



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Richter Samuelig und Könige. 257 

der Feldhauptmann nahm den Sohn Sauls Isbaals und brachte 
ihn über den Jordan nach Mahanaim und unterwarf ihm Gilead 
und Gesur und Jezreel und Ephraim und Benjamin und ganz' 
Israel, vierzig Jahre war Isbaal als er König ward und 
zwei Jahre regierte er, nur Juda hielt es mit David, und 
die Zeit die David König war über Juda in Hebron ist 
sieben Jahr und sechs Monat, und Äbner'mit den Kriegern 
Isbaals zog aus von Mahanaim nach Gibeon und Joab mit den 
Kriegern Davids zog ihm entgegen". Es liegt auf der Hand, 
dasB die gesperrten Worte den Zusammenhang sprengen; in Be- 
zug auf die Daten über Isbaal ist ausserdem zu bemerken, dass 
er nach allen Übrigen Angaben einesteils in noch ganz unmün- 
digem Alter gestanden, andeniteils eben so lange zu Mahanaim 
wie David zu Hebron geherrscht haben muss. Die Zweizahl 
der Kegierungsjahre erklärt sich bei ihm ebenso wie bei Saul 
1. Sam. 13, 1: . . . Jahre alt war Saul als er König ward, 
und zwei Jahre herrschte er über Israel. Wie in diesem 
letzteren Verse, der der Septuaginta mangelt, die Zahl für die 
Lebensjahre noch gegenwärtig fehlt, so war ureprünglich auch 
die Zahl für die Eegierungsjahre ausgelassen; die ganz absurde 
Zwei ist aus dem folgenden Worte für Jahr herausgewachsen, 
das im Hebräischen ziemlich gleich aussieht. 

Hand in Hand mit der chronologischen Sehematik finden 
wir 1. Sam. 7, 2 — 4 die religiöse wieder. „Seitdem die Lade in 
Kiriathjearim wohnte, vergingen 20 Jahre, da sammelte sieh 
das ganze Haus Israel hinter Jahve her. Und Samuel sprach 
zum ganzen Hause Israel: wenn ihr euch von ganzem Herzen 
zu Jahve bekehrt, so schafft die fremden Götter und die Astarten 
aus eurer Mitte und richtet euer Herz auf Jahve und dient ihm 
allein, so wird er euch von den Philistern befreien. Und die 
Kinder Israel schafften die Baale und Astarten ab und dienten 
dem Jahve allein." Im Vorhergehenden wird zwar von einem 
Abfall nichts berichtet, und an Vertrauen auf Jahve haben es 
die Israeliten nach Kap. 4 in der unglücklichen Sehlacht gegen 
die Philister wahrlich nicht fehlen lassen; aber die selbstver- 
ständliche Annahme, dass das Joch der Fremdherrschaft zur 
Strafe der Sünde auferlegt sei und dass die Saude im Götzen- 
dienst bestehe, ist bezeichnend für diese Betrachtungsweise. 
Eine weitere Probe derselben haben wir in der Rede Samuels 



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258 Gescbichte der Tradition, Kap. 7. 

1. Sam. 12, die als Einleitung in die Königszeit mit Jud. 2 als 
Prooemium der Richtergeschichte z« rergleichen ist. , Stellt 
euch her, dasa ich euch vor Jahve vorhalte alle die Thaten 
Jahve's, dui'ch die er euch und euren Vätern Recht geschafft 
hat! Wie Jakob nach Ägypten gekommen war, schrieen eure 
Väter zu Jahve, und er sandte Mose und Aharon und fährte 
eure Väter aue Ägypten und gab ihnen Wohnung in diesem 
Lande, Aber sie vergassen Jahve ihren Gott, und er verkaufte 
sie in die Haud Sisera's des Feldhaiiptmanns zu Hasor und in 
die Haud der Philister und Moabiter, die stritten wider sie. 
Da schrien sie zu Jahve und sprachen: wir haben gesündigt, 
dass wir Jahve verlassen und dem Baal und der Astarte ge- 
dient habeu, nun errette uns von unsern Feinden, so wollen 
wir dir dienen. Und Jahve sandte Jerubbaal Barak Jephthah 
und Samuel und rettete euch vor euren Feinden ringsum, dass 
ihr sicher wohntet. Als ihr aber sähet, dass Nahas der Ammo- 
niterköuig gegen euch anzog, spracht ihr zu mir: nein, ein König 
muss über uns herrsehen — da doch Jahve, euer Gott, euer König 
ist. Nun siehe da ist der König, den ihr gefordert habt, siehe 
Jahve hat einen König über euch gesetzt. Wenn ihr Jahve 
fttrehtet und ihm dient und auf seine Stimme hört und seinem 
Befehle nicht widerstrebt, gutl wenn ihr aber der Stimme Jahve's 
ungehorsam seid und seinem Geheiss widerstrebt, so wird Jahve's 
Hand gegen euch sein wie gegen eure Väter," Es ist die be- 
kannte Weise: Abfall Drangsal Bekehrung Ruhe; Jahve der 
Grundton der Melodie, das erste Wort und das letzte. Am stoff- 
lichen Detail haftet der Bliek nicht, die Lücken der Tradition 
werden ebenso positiv verwertet als ihr auf so wenige Punkte 
conoentrierter Inhalt. Das Einzelne kommt nur als Moment des 
Ganzen in Betracht; in grossartiger Revue werden die Perioden 
überblickt und das Gesetz dargelegt, das sie verkettet. Dabei 
kann Samuel eine bestimmt geformte Kenntnis der biblischen 
Geschichte bei seinen Zuhörern voraussetzen, ja sogar ohne 
Bedenken über seine eigene historische Bedeutung reden; auf 
einen Zeitraum, in dessen lebendiger Bewegung sie selber mitten 
drin stehen, müssen sie zurückblicken wie auf eine tote Ver- 
gangenheit. Indem sie so zur Höhe objeetiver Betrachtung über 
sieh und ihre Väter emporgehoben werden, tritt zum Sehlusa 
das zu erwartende Resultat ein; sie werden sieh ihrer schweren 



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Richter Sanraelis und Könige. 259 

Sünde bewussf, immer haben sie der Gottheit gegenüber das 
ängstliche Gefühl, Strafe verdient zu haben. 

2. Die de utero nomietia ehe Bearbeitung macht sich zwar 
nur an diesen beiden oder besser an dieser einen Stelle geltend, 
aber dies ist eben die Hauptepoehe in unserem Buche, der Über- 
gang zum Königtum, der mit dem Namen Samuels verknUpft 
ist. Und hier tritt sie um so intensiver auf, nicht bloss als ge- 
sehmaekgebende Zuthat zur älteren Überlieferung, sondern die- 
selbe Ton Grund aus umgestaltend. Denn was wir so eben 
daraus angeführt haben, sind nur Fragmente eines bedeutenden 
geschieh tliehen Zusammenhanges, dessen erstes Stück 7, 2 — 17 
uns zunächst in Anspruch nehmen wird. Nach der Aufforderung 
zur Bekehrung 7, 2—4 beruft Samuel 7,5- eine Versammlung 
der Kinder Israel nach Mispa bei Jerusalem, um für sie um 
Abwendung der Philisterplage zu beten; die Massregel steht 
natürlich im engsten Zusammenhange mit der vorher berichteten 
Abschaffung des Götzendienstes, denn nachdem die Schuld be- 
seitigt, muss auch die Strafe aufgehoben werden. Man kommt 
zusammen, schöpft Wasser um es auszugiessen vor Jahve, fastet 
und bekennt seine Sünden zu Mispa. Als das die Philister 
hören, sind sie gleich am selbigen Tage zur Stelle und über- 
fallen die betende Gemeinde. Aber Samuel opfert ein Milch- 
lamm und schreit zu Jahve um Hülfe; und wie nun während 
dessen der- Zusamraenstoss erfolgt, da donnert Jahve gewaltig 
über die Philister und setzt sie in Verwirrung, dass sie weichen 
müssen und bis weit hin verfolgt werden. Die Philister aber, 
so lautet das Ende, wurden gedemütigt und drangen nicht wieder 
in's israelitische Land ein, und die Hand Jahve's war wider die 
Philister, so lange Samuel lebte; und die Städte, welche die 
Philister den Israeliten abgenommen hatten, wurden wiederge- 
wonnen, Ekron und Gath und ihr Gebiet entriss Israel den Phi- 
listern, und es war Friede zwischen Israel und dem Amoriter. 
Es genügt den Inhalt dieser Geschichte zu referieren, um 
ihre geistliche Mache und ihre innere Unmöglichkeit sofort zur 
Empfindung zu bringen; was drängt sieh' Alles in den Kaum 
dieses einen Tages zusammen 1 Nun aber beachte man noch 
den vollendeten Widerspruch gegen alles sonst Überlieferte. In 
der Folge finden wir die Herrschaft der Philister keineswegs 
beseitigt: nicht bloss dringen sie, noch bei Samuels Lebzeiten, 



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260 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

mehrfach über die Grenze, sondern sie sind im Besitz des 
iaraelitiselien Landes, einer ihrer Statthalter wohnt zu Gibea 
mitten in Benjamin. Der Kampf gegen sie ist recht eigentlich 
der Entstehungsgrund und die Aufgabe des Königstums, kein 
Gedanke daran, dass Samuel diesem Arbeit und Verdienst vor- 
weg genommen und sogar Ekroo und Gath , zurückerobert" habe. 
Grade zu seiuer Zeit hat vielmehr das Philisteijoch am schwer- 
sten auf Israel gelastet. 

An der ganzen Erzählung kann kein wahres Wort sein, 
Ihre Motive aber lassen sich leicht durchschauen. Samuel ist 
ein Heiliger ersten Ranges (Jer. 15, 1), einem solchen Manne ge- 
bührt in der Theokratie, d. h. in dem religiösen Gemeinwesen, 
als welches das alte Israel nach dem Muster des Judentums vor- 
gestellt wird, die Stelle an der Spitze des Ganzen. Natürlich 
muss dann sein Einfluss weit genug gereicht haben, um Götzen- 
dienst und Untreue gegen Jahve im Volke auszusch Hessen; 
im Ganzen muss der Gemeincharakter der Zeit seinem eigenen 
Vorbilde entsprochen haben. Nun aber erhebt sieh ein häss- 
lieher Anstoss. Wenn Samuels Leitung dafür bürgt, dass im 
Innern Alles war wie es sein muss, wie soll dann zugleich 
von aussen her sö grosse Not geherrscht und sogar der Existenz 
des Volkes Gefahr gedroht haben! Wenn die Menschen das 
ihrige thun, wie kann es deiln Jahve an sich fehlen lassen! 
Man hat vielmehr zu glauben, dass der inneren Gerechtigkeit 
auch die äussere ReehtschafFung entsprochen habe. Schon unter 
Samuel sind die Philister mit Gottes Hülfe zu den Grenzen hin- 
auBgetriebeu und haben sich sein Lebetag nicht wieder sehen 
lassen. Der Frömmigkeit einer betenden Versammlung hat Jahve 
einen Erfolg in den Sehoss fallen lassen, an dessen Erringung 
sieh hinterher das Schwert kriegerischer Könige lange vergeb- 
lich gemüht hat. 

Aber diese Geschiehtskorrektur steht nicht für sich und wird 
erst durch den folgenden Zusammenhang vollkommen begreiflich; 
1. Sam. 7 wird durch Kap. 8, und Kap. 8 weiter durch 10, 17 bis 
12, 25 fortgesetzt. Nachdem Samuel das Land von der Fremd- 
herrschaft befreit, führt er bis in sein Alter ein ruhiges . und 
glückliches Regiment. Da aber seine Söhne, die er sieh bei- 
geordnet hat, nicht in seinem Wege gehen, so nehmen die 
Altesten Israels das zum Anlass, sich von ihm einen König zu 



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Richter Samuelis und Könige. 261 

erbitten; es ist aber nur ein Vorwand für ihr Gelüste, die gött- 
liehe Herrschaft abzusehüttela und zu werden wie die Heiden. 
Samuel ist höchst aufgebracht aber die Undankbarkeit, wird 
aber von Jahve angewiesen, der Forderung zu willfahren. „Sie 
haben nicht deine, sondern meine Herrschaft verworfen, grade 
eo wie sie, seit ich sie aus Ägypten geflihrt, es gemacht, mich 
verlassen und anderen Göttern gedient haben, so handeln sie 
nun aneh gegen dich." Vergebens hält ihnen Samuel ein ab- 
schreckendes Verzeichnis der Keehte des Königs vor, sie gehen 
von ihrem Entschlüsse nicht ab, und so beruft er (8,22. 10,17) 
eine allgemeine Versammlung des Volkes nach Mispa. Dort 
wirdj nachdem die einleitende Strafpredigt gehalten ist, um 
den König gelost und Saul getroffen, worauf Samuel noch das 
Königsgesetz sehreibt und es vor Jahve deponiert. Dann wird 
das Volk entlassen, „und auch Saul ging nach Hause gen Gibea 
und mit ihm die Kriegsleute, denen Gott das Herz rührte, aber 
die nichtsnutzigen Buben verachteten ihn und sagten; was wird 
der uns helfen!" 

Nur de iure soll damit Saul zum König gemacht sein, de 
facto wird er es erst, nachdem er sich erprobt hat, Kap. 11. 
Nämlich etwa nach einem Monat (10, 27 Sept.) schicken die 
Bürger von Jabes, von den Aramonitern belagert und schwer 
bedrängt, Boten durch ganz Israel mit der Bitte um schleunige 
Hülfe, denn binnen sieben Tagen müssen sie sich den Feinden 
ergeben 'und sich ein jeder das rechte Auge ausstechen lassen. 
Die Boten kommen auch nach der Stadt Sauls, Gibea in Ben- 
jamin, und reden ihre Worte vor den Leuten; die heben ihre 
Stimme auf und weinen. Indem kommt Saul mit einem Joch 
Rinder vom Felde, und da er das allgemeine Weinen bemerkt, 
fragt er was geschehen sei. Man erzählt's ihm, da überfällt 
ihn der Geist Gottes und er gerät in sehr grossen Zorn; er 
zerstückt seine Rinder und schickt die Teile durch ganz Israel 
mit dem Entbieten: wer nicht ausziehe in den Kampf, des 
Rindern solle also geschehen! Und der Schrecken Jahve's 
fillU auf das Volk, sie ziehen aus wie ein Mann und entsetzen 
die belagerte Stadt. Darauf mrd dem Saul zu Giigal „das 
Königtum erneuert"; und nun erst tritt Samuel ihm die Kegie- 
rnng ab, in der laugen Rede Kap. 12, aus der oben ein grösseres 
Stüek mitgeteilt ist. 



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262 Geschichte cier Tradition, Kap. 7, 

Dass das 11. Kapitel in diese Version aufgenommen ist, er- 
hellt aus 12, 12 und ftucli aus 11, 12 — 14. Aber ursprüngüelt 
ist es nicht ftlr diesen Zusammenhang berechnet. Denn von 
den Krieg:amännern, die Saul nach 10, 26 begleiten, merkt man 
hier nichts; die Boten Ton Jabes kommen nicht i 
nach Gihea. Wie der vermeintliche König vom ] 
Hause kommt, wird nicht gethan, als gehe ihn die Botschaft 
näher an, niemand teilt sie ihm mit, er mnss sieh nach der Ur- 
sache des allgemeinen Weinens erst erkundigen. Nicht kraft 
seines Amtes als König, soodem in der Autorität des Geistes 
bietet er den Heerbann Israels auf und findet begeisterten Ge- 
horsam. Erst nachdem er seine Kraft gezeigt und die Ammo- 
niter gesehlagen hat, wird er 11, 15 vom Volke zum Könige 
gemacht: die Kenovation des Königtums 11, 14 — nach einem 
Monate — ist ein durchsichtiger Kunstgriff des Verfassers von 
Kap. 8. 10, 17 ff., womit er das anderswoher entlehnte Stück 
seiner eigenen Relation einverleibt; die Verse 11, 12 — 14 röhren 
von ihm her. 

Der Zusammenhang, worin 1. Sam. 11 ursprünglich stand, 
ist die andere Erzählung über Sauis Erhebung 9, 1 — 10, 16. 
Hier wird er uns zu Anfang vorgeftlhrt, wie er entlaufenen 
Eselinnen nachgeht. Auf mehrtägiger vergeblicher Suche bis 
gen Rama gelangt wendet er sieh auf den Rat seines Knechtes 
an einen Seher daselbst um Auskunft, eben an Samuel. Dem 
ist er schon Tags zuvor durch Jahve angemeldet: „morgen werde 
ich dir einen Mann aus Benjamin zusenden, den salbe zum Für- 
sten llber mein Volk, er soll es erretten von den Philistern" — 
er hat ihn also ei-wartet und zum voraus ein Opferfest auf der 
Bama für ihn veranstaltet. Jetzt ist Samuel, zwischen dem 
sakralen Akt und der daran sieh sehlieesenden Mahlzeit, hinab- 
gegangen zur Stadt, und wie er eben zurUck will zu den Gästen, 
trifft er im Thore den nach ihm fragenden Saul und erkennt auf 
Jahve's Zuraunung in ihm seinen Mann. Er nimmt ihn mit hin- 
auf zur Bama, und nachdem er ihn über die Eselinnen beruhigt, 
deutet er ihm auf der Stelle an, zu wie hohen Dingen er be- 
rufen sei, und gibt ihm überzeugende Beweise, dass er auf ihn 
als Ehrengast beim Opfermahle gerechnet habe. Darauf beher- 
bergt er ihn noch die folgende Nacht und begleitet ihn am an- 
dern Morgen auf den Weg. Nachdem der Knecht ein wenig 



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Richter Samuelis und Köaige. 263 

voraufgesehickt ist, bleibt Samuel stehen, salbt den Saul, 
zum Zeichen dass er von Jahve zum Könige und Helfer Israels 
ausersehen sei, und weist ihn zum Schlüsse au: wenn Gelegen- 
heit zu handeln komme, so solle er sie in dem Bewussteein 
brauchen, dass Gott mit ihm sei. Auf dem Heimwege durch 
das Eintreffen dreier ihm angekündigter Zeichen you der Zu- 
verlässigkeit des Sehers versichert und dadurch im Herzen nach 
und nach bis zum Uhersehäumen umgewandelt, kommt Saul 
nach Gibea, und obwohl durch sein seltsames Wesen den Be- 
kannten auffallend , verrät er zu Hause doch nicht einmal dem 
nächsten Freunde, was ihm Samuel gesagt, sondern wartet der 
Dinge, die da kommen sollen. 

So weit sind wir 10, 16. Dass hiemit noch kein Abschluss 
eiTeieht ist, leuchtet ein; der Same muss doch aufgehen, der 
veränderte Geist zur Wirkung kommen. Dieser Forderung ge- 
schieht aufs vollkommenste Genüge, wenn Kap. 11 als unmit- 
telbare Fortsetzung von 10, 16 betrachtet wird. Etwa nach 
einem Monate, da kommt für Saol die Gelegenheit zu handeln, 
auf die ihn Samuel verwiesen hat; während die anderen über 
die Schmach, die einer israelitischen Stadt von den Ämmonitern 
droht, weinen, überfällt ihn der Geist und der Zorn; er bat von 
jener Unterredung her den Stachel im Herzen und thut nun, 
„was seine Hand fiudet". Der Erfolg ist übeiTaschend, auf die 
natürlichste Weise von der Welt erfüllt sich das Seherwort. 

Gehört Kap. 11 ursprünglich der Relation 9, 1 — 10, 16 an, 
so ergibt sieh daraus die Abhängigkeit und Posteriorität der an- 
deren ohne weiteres. In welchem inneren Verhältnis stehen 
nun die beiden Versionen zu einander? Hie und da berühren 
sie sich in den Ideen. Dort sucht Saul die Eselinnen und findet 
die Krone, hier versteckt er sich unter den Geräten und wii-d 
als König hervorgezogen. Dort wird er vom Seher berufen, 
hier wird er durch's Los eingesetzt — beide mal wirkt die gött- 
liche Causalität. Aber wie wird der Gedanke auf der späteren 
Stufe übertrieben und wie plumj) tritt er hervor! Und weit 
stärker als diese Verwandtschaft in der Anschauungsweise ist 
auf der anderen Seite die Abweichung des Ablegers vom Original. 
Über die Richtung derselben sind wir durch das 7. Kapitel vor- 
bereitet. Samuel hat seine Landsleute von den Feinden befreit 
uad hinterher gerecht und glücklich über sie geherrscht — 



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264 Qeschiehfe der Tradition, Kap. 1. 

wamm verlangen sie also nach einer Veränderung in der Ee- 
gierungsform? Sie haben eo viel und so wenig Grund dazu wie 
zum Abfall von Jahve/der ihnen ja auch nach einer Reihe 
ruhiger Jahre periodisch zum Bedürfnis wird; es ist der Aus- 
fiuss ihres innerlich heidnischen Wesens. So nach Kap. 8 nebst 
Zubehör. Ganz anders nach Ka]». 9ff. Da befindet sich Israel 
am Ende der Richterzeit nicht auf der Höhe von Macht und 
Glück, sondern im tiefsten Stande der Erniedrigung, und gerade 
im Königtum wird da« Mittel der Rettung gesehen. Mit diesem 
Unterschiede hängt ein anderer eng zusammeu, bestehend in der 
Auffassung der Autorität Samuels. Iq -Kap. 8ff. ist er wie in 
Kap. 7 der Eeiehsverweser Jahve's, mit unbeschränkter Vollmacht. 
Er empfindet die Königsherrsehaft als seine eigene Absetzung; 
jedoch rebellieren die Israeliten nicht etwa gegeu ihn, sondern 
erbitten sich von ihm selber den König. Er hätte die Bitte ver- 
weigern, er hätte ihnen einen Hen-scher nach seinem Gutdünken 
geben können, doch als korrekter Theokrat lässt er Jahve ent- 
scheiden. Zum Schluss legt er feierlich die bisher von ihm ge- 
führte Regierung nieder und übergibt sie seinem Nachfolger, 
der nur den Titel, nicht aber die Fülle der Macht vor ihm vor- 
aus hat, eher in letzterer Beziehung, als bloss weltlicher Fürst 
(12, 23f.) hinter ihm zurücksteht Wie steht es dagegen in 
Kap. 9ff.? Hier ist Samuel dem Saul --elber weder dem Namen 
noch dem Wohnorte nach bekinnt nui der Kneeht hat von ihm 
sagen hören und in seiner Heimit '*tebt er als Seher in gi-osser 
Achtung. Was man sieh untei einem Seher von damals vorzu- 
stellen habe, wird mit eini^ei Absiebtlichkeit klar gestellt, in- 
dem Samuel nach dem Verbleib entlaufener Eselinnen gefragt 
und ihm dafür ein viertel Silberiing angt 
auch dieser Seher deutlieh über der Masse sein 
noseen, so bleibt doch sein geschichtliches Eiii 
innerhalb der Schranken des auch etwa einem Kalehas '. 
heben, und lässt von der legislativen und exekutiven Gewalt 
eines Regenten der Theokratie nicht das Mindeste merken. Er 
bringt nicht die Hülfe, er ersieht nur die Hülfe und den Helfer. 
Gerade das Ereignis, wodurch Samuel nach Kap. 8ff. von seiner 
Stellung verdrängt und in den Hintergrund geschoben wird, be- 
gründet hier einzig seine Bedeutung: das Königtum Sauls, das 
zwar nicht sein Werk, aber sein Gedanke ist. Er kündigt dem 



rd. Steht nun 
ner Standesge- 
ngreifen völlig 



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Riehter Samueiis uad Könige. 265 

BeBJaminiteü seine Bestimmung an, als Interpret von dessen 
eigenen Herzensgedanken (9, 19). Damit ist seine Aufgabe er- 
füllt, seinen Nachfolger in der Regierung zu ernennen hat er 
keinen Auftrag und keine Gewalt. Alles Weitere überläset -er 
dem Laufe der Dinge und dem Geiste Jahve's, der Saul auf ■ 
eigene Flisso stellen werde. 

Im Hintergrunde der beiden Tersehiedenen Berichte er- 
kennen wir den geistigen Abstand zweier Zeitalter. Dem vor- 
exilischen Israel ist das Königtum der Höhepunkt der Gesehiehte 
und die grösete Segnung Jahve's. Vorher ging eine Periode 
der Unruhe und BedrÄngnis, wo jeder that was er wollte und 
also die Feinde leichtes Spiel hatten. Nun wohnt mau sieher, 
geachtet von den Nachbaren, und kann im Schutze staatlicher 
Ordnung seines Feigenbaumes und seines Weinstocks froh wer- 
den. Das ist das Verdienst der beiden ersten Könige, die Israel 
von seinen Käubern befreit, ihm Macht und Ruhe gegeben haben. 
Sie werden in dieser Hinsicht nicht verschieden beurteilt, der 
eine hat das Werk angefangen, der andere es vollendet (1.9,16. 
14, 48. II. 3, 18. 19, 10). Während man früher in harter Kampfes- 
arbeit nicht zu Atem kam, ist nun Zeit auch an anderes zu 
denken. Noch das Deuteronomium , das nicht lange vor dem 
Exil geschrieben ist, betrachtet die vorkönigliehe Periode nur 
als eine vorbereitende und nicht für voll zu rechnende Über- 
gangszeit: erst muss Israel selber zu festen Sitzen gelangt und 
eine gesicherte Existenz gewonnen haben, dann wird auch Jahve 
sich einen Sitz erwählen und Ansprüche in Bezug auf den Cultus 
erheben. Nachdem aber David es dahin gebracht, dass das Volk 
Raum hat und festgewurzelt ist im Boden und nicht mehr zittert 
vor den Feinden, die es von Anfang an und alle Tage der 
Richter in Atem gehalten haben, ist dann unter seinem Naeh- 
■ folger die Zeit gekommen, den Tempel zu hauen und sieh 
höheren Aufgaben hinzugeben. Wie ferne dem hebräischen 
Altertum die Vorstellung eines feindlichen Gegensatzes zwischen 
dem himmlischen und dem irdischen Herrscher lag, ersieht man 
aus dem Namen des Gesalbten Jahve's und aus der propheti- 
schen Hoffnung, die auch für die ideale Zukunft den mensch- 
lichen König nicht entbehren kann. So lebendig wie je einem 
anderen Volke ist es den alten Israeliten im Bewusstsein ge- 
blieben, welcher Dank den Männern und der Institution gebühre, 



C.(.)ogIc 



266 Gosohichte der Tradition, Kap. 1. 

wodnrch sie aus der Anarchie und Unterdi-öckung zu einem ge- 
ordneten uud wehrfähigen Gemeinwesen emporgehoben wurden; 
die Bücher Samuelis legen davon das beredteste Zeugnis ab. '} 
' In schneidendem Gegensatz dazu nimmt die Version 1. Sam. 
■ 7. 8, 10, 17fF, 12 ihren Standpunkt ein. Da ist die Errichtung 
des Königtums nur eine tiefere Stufe des Abfalls, Einen Fort- 
schritt über das mosaieehe Ideal hinaus kann es nicht gehen; 
je weiter man sieh davon entfernt, desto grösser ist der Rück- 
schritt. Die kapitale Sünde, einen mensehliehen Herrseher auf 
Jabve's Thron zu setzen, dient sogar der Eichterzeit, die sonst 
auch grau in grau gemalt wird, zur verklärenden Folie; selbige 
erscheint wegen ihres Festhaltens an der Urform der Theokratie 
in hellerem Liebte, ja gerade zuletzt noch, nm den Contrast zu 
erhöhen, in herrlichem Glänze. Unter Samuels Regimente war 
Alles wie es sein sollte. Fragen wir nun, wie es da eigentlich 
war und was es mit der theokratischen Verfassung für eine Be- 
wandtnis hat, so erhalten wir darauf freilich keine genügende 
Antwort, Man könnte vom Haupte auf den Körper zurüek- 
sehliessen wollen, aber was für einen Begriff soll man sich von 
Samuels Stellung machen? So wie er in diesen Kapiteln er- 
scheint, ist er in den Kategorien, die etwa in Frage kommen, 
dui'chaus nicht unterzubringen; er ist kein Richter, kein Priester, 
kein Prophet, wenn wir den Worten ihre historische Bedeutung 
lassen. Ein zweiter Moses ist er — nun ja, aber das macht 
uns nicht klüger. Deutlieh ist nur, dass die Theokratie auf 
ganz anderem Fusse eingerichtet ist als die Reiche dieser Welt, 
und dass es als Abfall zum Heidentum gilt, wenn die Israeliten 
wie andere Völker einen König an ihre Spitze stellen, der Hof- 
lente und Beamte, Officiere und Soldaten, Rosse und Wagen hält, 
Sie ist demnach ein geistliches Gemeinwesen, wie denn auch 
der geistliehe Charakter des Regenten ausser Frage steht. Sa- ■ 

') In der AuaschaK Bileams über die gesegnete Zukunft Israels Nnoi. 23f. 
haftet sein Blick besonders auf dem Königtum ala einem Hauptsegen. 
Im Allgemeinen 23, 21; „Jabve sein Gott ist mit üim, und Königsjubel 
wird laut unter ihm". Mit besonderer Beziehung auf Sani 24, 7: „und 
über Agag triumphiert sein König und sein Reich steigt empor". Auf 
David 24, IT: „ich sehe ihn obwohl nicht jetzt, icb scbane ihn obwohl 
nicht nahe; aufgeht (rm) «d Stern aus Jakob und eine Rute aus Israel, 
uud zerschmettert die Schläfen Moabs und den Scheitel aller Söhne Seths, 
auch Kdom wird Erobarang". Die Thora und das Königtum sind nach 
Deut. 33, 4. 5 die beiden grössten Guadengaben Gottes. 



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Richter Samuelis und Könige. 267 

muel mahnt das Volk vom Glötzendienst m lassen, ev steht dem 
gi-oseen Buestage zu Mispa vor, der iu der heiligen Geschichte 
Epoche bildet, seinem Bitten und Schreien Termag Jahve nichts 
abzuschlagen (12, 17). „Es sei ferne von mir, sagt er noch beim 
Abschiede (12, 23), daes ich ablasse fttr euch einzutreten und euch 
auf den guten Weg zu weisen," Entsprechend haben die Bürger 
der Theokratie die Aufgabe den Jahvecultus zu pflegen und sich 
der Leitung des Stellvertreters der Gottheit nicht zu entziehen. 
Auf Mittel sich wehrfähig zu machen brauchen sie nicht zu 
denken; wenn sie fasten und beten und von ihren Sünden lassen, 
80 sehlägt Jahve die Feinde durch seinen Blitz und Donner zu- 
rück, und so lange sie fromm sind, lässt er dieselben gar nicht 
in's Land kommen. AU der Aufwand, wodurch ein Volk sonst 
seine Existenz sichert, ist dann natürlich überflüssig. Dass diese 
Vorstellung ungeschichtiich sei, versteht sich von selber; dass 
sie der echten Tradition widerspricht, haben wir gesehen. Die 
alten Israeliten haben nicht von Anfang an eine Kirche, sondern 
zuerst ein Haus zum Wohnen gebaut; und sie sind üherfroh ge- 
wesen, als sie es glücklich unter Dach hatten (11, 15), Aber noch 
das ist zum Schliiss hinzuzufügen, dass jene Vorstellung nur in 
einer Zeit entstanden sein kann, welche Israel als Volk und 
Reich nicht mehr kannte und von den realen Bedingungen, die 
dazu gehören, keine Erfahrung hatte — dass dieselbe mit an- 
deren Worten dem exilischen oder nachexilischen Judentume 
entstammt. Damals war aus der Nation eine religiöse Gemeinde 
geworden, deren Glieder sich um des willen auf die Hauptsache, 
den Gottesdienst und die Frömmigkeit, beschränken konnten, 
weil ihnen die Sorge für die weltliehen Angelegenheiten durch 
die Chaldäer oder die Perser abgenommen war. Damals 
existierte also die Theokratie, und von daher wird sie ideali- 
siert auf die Vorzeit übertragen. Aber so dass dabei der ma-. 
terielle Untergrund, worauf sie thatsächlich ruhte, nämlich die 
Fremdherrschaft, ignoriert und es hingegen den alten Israeliten 
als Heidentum angerechnet wird, dass sie selber für ihre äussere 
Existenzlähigbeit sorgen; dass sie ein Volk im vollen Sinne des 
Wortes sind und sich als solches mit den Mitteln, wie sie die 
gemeine Wirklichkeit erheischt, zu erhalten streben. Dass die 
durch das Königtum geschaffene politische Organisation und 
Centralisation die cultisehe erst begründet habe, dass ihre Kirche 



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268 Geschichte der Tradition, Kap, 7. 

nur das verklärte Überbleibsel der Nation sei, der Gedanke kam 
i)egreiflioher "Weise den Epigonen nicht — was dem Mose gut- 
geschrieben wird, wird dem Königtum entzogen. 

Nooh eins ist hervorzuheben. ■ Die Kapitel 7. 8, 10, 17ff. 12 
bekunden nicht bloss durch ihre allgemeine Haltung eine nahe 
Verwandtschaft mit Jud. 19—21, sondern auch durch einen spe- 
ciellen Beröhrungspunkt, Nur hier kommt Mispa bei Jei'usalem 
als Versammlnngsstätte Gesamtisiaels vor, sonst hören wir in 
der ganzen Richter- und Königszeit nichts von dem Orte. Erst 
nach der Zerstörung Jerusalems wird er erwähnt und zwar als 
Mittelpunkt des neuen von den Chaldäern eingerichteten jüdi- 
schen Gemeinwesens (Jen 40ff.), als Substitut der alten Haupt- 
stadt. In ähnlicher Bedeutung erscheint er noch einmal 1. Mace. 
3, 46 ff., in einer Zeit, wo der jerusalemische Tempel in den 
Händen der Syrer und den Juden unzugänglich war. Auf Crrund 
von Jer. 40ff, ist Mispa vermutlich auch in Jud. 20. 1. Sam. 7. 10 
bestimmt, die Stelle Jerusalems zu vertreten, des allein legitimen, 
damals aber noch nicht vorhandenen Heiligtums. Das ist ein 
weiterer Beweis des- nachdeuteronomisch-judischen Ursprungs 
dieser Gesehiehten, zugleich aber auch ein Merkmal dafür, dass 
1 den Priestercodex, bei aller Hinneigung zu dessen An- 
doch thatsächlieh noch nicht voraussetzen. Dort 
vollzieht sieh nämlich die Projection Jerusalems für die vor- 
satomonische Periode in ganz anderer Weise, die Stiftshütte 
macht Mispa überflüssig. Übrigens ist auch der Kitus des 
Wasserausgiessens 1. Sam. 7 dem Priestereodex fremd. 

3. Sauls Verhältnis zu Samuel, sehr geeignet zu verall- 
gemeinernder Betrachtung, hat auch sonst der Entwicklung der 
Tradition zum Anhalt gedient. Gehen wir von der Auffassung 
in 1. Sam. 7. 8. 12 als unterer Grenze aus, eo steht ihr am näch- 
sten, was 1. Sam. 13 in einer Einlage von Samuel berichtet 
wird. Nachdem Saul in Gilgal von dem Volksheere, womit er 
Jabes entsetzt hat, zum Könige gemacht ist, sucht er sich dar- 
unter Männer aus, die mit ihm und Jonathan zu Gibea und dem 
benachbarten Michmas lagern; Jonathan gibt das Signal zum 
Kampfe gegen den Erzfeind, indem er den Vogt zu Gibea er- 
schlägt. Die Philistei' rücken vor und machen nordwärts von 
Gibea Halt, nur durch ein tiefes Thal davon getrennt. Saul 
aber, heiset es nun plötzlich 13, 7 (vgl. 13, 4), war noch immer 



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Richter Samuelis und Könige. 269 

in G-ilgal und wartete sieben Tage auf Samuel gemäss der Frist, 
die ihm dieser gesetzt, aber Samuel kam uielit und die Kriegs^ 
leute zerstreuten sieh. Wie er nun eben selber das Opfer brachte, 
ohne das kein Feldzug eröffnet werden konnte, da kam Samuel 
und fuhr ihn au, Saul rechtfertigte sieh sehr triftig: das Volk 
habe sieh verlaufen und Samuel sich nicht zur bestimmten Zeit 
eingestellt, die Philister aber seien schon bis dicht vor Gibea 
vorgerückt, so habe er nicht länger warten können das Opfer zu 
bringen und ihnen entgegenzugehen. Aber Samuel hatte darauf 
nur die Antwort: „du hast gefehlt, hättest du Jahve's Gebot ge- 
balten, so hätte er dein Königtum bestätigt in Ewigkeit, nun 
wird dein Königtum nicht bestehen ; Jahve hat sich einen Mann 
nach seinem Herzen ausgesucht und ihn zum Fürsten über sein 
Volk bestimmt, denn du hast nicht gehalten, was Jahve dir be- 
fohlen hat". Sprach's und entfernte sieb, Saul aber zog mit dem 
Heere von Gilgal nach Gibea. Zu Gibea — i^hrt der folgende 
Vers (13, 16) dann fort — sassen Saul und' Jonathan und ihre 
Leute, als die Philister in Michmas sich lagerten, 

Dass der ganze Passus über die Begegnung des Königs mit 
dem Propheten in Gilgal (13, 7 — 15) von späterer Hand einge- 
setzt ist, erhellt aus dem Ortswechsel. Am Anfange der Er- 
zählung befindet sieb Saul in Gibea (13, 2. 3) und eben dort 
Buchen ihn die Philister auf, deshalb vor dem Orte Halt 
machend, weil sie hier auf die Gegenwehr treffen. Plötzlich 
wird 13, 7 Stillschweigens vorausgesetzt, Saul habe sich seit 
der Königswahl noch immer in Gilgal aufgehalten und sei 
von da gegen die Philister gezogen, die vor Gibea auf ihn war- ■ 
teten. Aber in 13, 16 hat man wieder den Eindruck, dass Saul 
mit den Seinigen längst in Gibea gestanden habe, als die 
Feinde gegenüber Lager schlugen; nur so versteht sieh der 
Gegensatz des zuständlichen Particeps (sedenies) und des inchoa- 
tiven Perfekts (castrametati sunt). Und weiterhin verrät sieh in 
der triumphierenden Fortsetzung der Erzählung, namentlich in 
Kap. 14, keine Spur, daes jene ominöse Scene in Gilgal auf Sauls, 
dw Volkes, und des Schriftstellers Seele laste. 

Mit den sieben Tagen, die Saul nach 13, 7—15 zu Gilgal 
auf Samuel warten soll, wird zurückgegriffen auf 10, 8, wo der 
Seher dem zukünftigen Könige sagt: „du sollst vor mir nach 



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270 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Cfilgal hioabzielieü und dort will ich dir nachkommen, um die 
Opfer zu bringen; sieben Tage sollst du auf mieh warten, damit 
ich dir ansage, was du z« thun hast". Diesem Verse spricht nicht 
bloss der Zusammenhang mit 13, 7—15 sein Urteil. Nach 10, 1 — 7 
handelt es sieh dem Samuel in diesem Augenblicke nur darum, 
das Mistrauen des seine Eselinnen suchenden Benjaminiten zu 
dem ihm geweissagten hohen Berufe zu überwinden, ihm Glauben 
und Zuversicht einzuflössen, aber nicht, ihm unverständliche Vor- 
schriften darüber zu gehen, was er, wenn er wirklieh König ge- 
worden sei, zunächst thun und wie lange er in Gilgal auf ihn 
warten solle. Den schulmeisterlichen Ton von 10, 8 erwai-tet 
man am wenigsten grade nach der unmittelbar vorangehenden 
Äusserung 10, 7 : wenn die drei Bürgschaften eingetroffen seien, 
so solle Saul thun was seine Hand finde, denn Gott sei mit ihm. 
Hiermit wird ihm doch die volle Freiheit des Handelns gegeben, 
und zwar deshalb, weil Gottes Geist in ihm wirkt, der bekannt- 
lich blaset wo er will und sieh von keiner Autorität drein 
reden lägst.') 

Die Einlage beruht auf einer älteren Relation über den 
Bruch zwischen Samuel und Saul 1. Sam. 15, in welcher aber 
auch das Opfer die Gelegenheit und Gilgal der Schauplatz ist: 
nur aus letzterem Umstände erklärt es sich , dass Gilgal auch 
in 13, 7— 15 'trotz aller Unmöglichkeit als der gegebene und 
notwendige Ort festgehalten wird. Jahve erteilt durch Samuel 
dem Könige Befehl, die Amalekiter zur Strafe für eine vor 
Alters gegen Israel begangene Heimtücke zu bannen und nichts 
von ihnen übrig zu lassen. Demzufolge bekriegt Saul die Amale- 
kiter und sehlägt sie, führt aber den Bann nicht ganz streng 
ans, sondern schont des besten Viehs und des gefangenen Königs 
Agag. Darüber in Gilgal, wo man den Sieg vor Jahve feiert, 
von Samuel zur Rede gestellt gibt er vor, die Beute zum Opfer 
Jahve's bestimmt zu haben. Damit macht er keinen Eindruck. 
„Siehe Gehorsam ist bester als Opfer Aufmerken mehr wert 
als Widderfett; siehe wie "W ahisageiei ist das Widerstreben 

1) Obrigeus ist es ilar dasi de \ ertasa v n 10, 8. 13, 7—15 unmöglich 
schon iE Kap. 11 den ^am ei n igal vo f,efunden habeu Itann, bevor 
er ihn m Kap. J3 dorthin kommen las t lais II, 12—14 Nachtrag ist, 
haben wir bereits ge'iehen aher auch n II 7 muss der Name Samuels 
interpoliert, sein. In der That handelt 11 15 das. Volk, d.i. das Heer, 
noch im Jetzigen Text Tollltouimen auf eigene Hand, Daraus folgt zu- 
gleich, dass 10, 8. 13, 7—15 aller ist il^ kap 7. 8. 10, 17ff. 13, 



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Richter Samuelis und Könige. 271 

und wie Bilder- und Götzendienst der Ungehorsam: weil du 
Jahve's Wort verschmäht hast, hat er dich als König yer- 
schmäht." Der König erkennt seine Schuld und will Samuel 
begütigen, der aber wendet sich erzürnt, und da ihn jener fest- 
halten will, reisst der Mantel. „Jahve hat das Reich Israel 
heute von dir gerissen und es einem Besseren gegeben, auch 
lügt der Wahrhaftige Israels nicht und ändert seinen Sinn nicht, 
denn er ist kein Mensch, dasa ihn etwas reue." Doch auf die 
Bitte Sauls ihm wenigstens nicht öffentlich vor dem Volke die 
Ehre zu versagen, nimmt Samuel am Opfer teil und eröffnet es 
selber damit, dass er den Agag vor Jahve zerhaut. Dann gehen 
sie auseinander um sieh nie wiederzusehen , Samuel aber trägt 
Leid um ihn, dass Jahve sich's hatte reuen lassen, ihn zum 
König über Israel gemacht zu haben. Mit dieser Erzählung 
hängt eine andere, durch Gegenstand und Behandlung, Ge- 
danken und Ausdruck, auf's engste zusammen; die von der 
Hexe von Endor. Als Sau! kurz vor der Schlacht, in der er 
fiel, das Heer der Feinde überblickte, befiel ihn Angst und 
Schrecken. Er fragte Jahve, erhielt aber keine Antwort, weder 
durch Träume noch durch das Ephod noch durch Propheten, 
bis er durch die Not einer dunklen Zunft in die Arme getrieben 
wurde, die er sonst verfolgt und ausgerottet hatte. Verkleidet 
suchte er Nachts mit zwei Begleitern eine TotenbeSchwörerin in 
Endor auf, und nachdem er sie Über die Todesgefahr beruhigt 
hatte, die ihr durch Aueübung ihrer Kunst drohte, hiess er sie 
den Samuel eitleren. Wie sie den Geist heraufkommen sieht, 
erkennt sie, dass derjenige, dem er zu einer Unterredung ent- 
gegengehe, der König selber sei; sie schreit laut auf, lässt sich 
aber wieder besehwichtigen und beschreibt das Aussehen des 
Toten. Saul sieht ihn nicht, er hört ihn ni\r reden. „Warum 
hast du mich in Unruhe gesetzt und mich heraufholen lassen? 
Jahve thut wie er durch mich gesagt, reisst das Keich von dir 
und gibt es einem andern, weil du seiner Stimme nicht ge- 
horcht und seinen grimmigen Zorn gegen Amalek nicht ausge- 
richtet hast: morgen wirst du mit deinen Söhnen bei mir sein 
und aneh das Heer Israels wird Jahve in der Philister Hand 
Übergeben." Bei den Worten schlägt Saul so lang wie er ist 
zu Boden, er hatte Tags vorher und auch die Nacht nichts ge- 
gessen. Mit Mühe wird. er bewogen, etwas zu sich zu nehmen; 



ft.Goagle 



272 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

darauf erhebt er sich mit geinea Knechten, seinem Geschick 
entgegen zu gehen (1. Sam. 28, 3—25). 

Vergleichen wir mit diesem Original die Copie 13, 7 — 15, 
80 fällt zuvörderst die Vorschiebung des Bruches auf. Kaum 
König geworden wird Saul sofort abgesetzt, gleich auf dem 
Fleck, zu Gilgal. Und auf was für Gründe hin? Samuel hat 
ihm ganz willkürlich eine Wartezeit gesetzt, erst nachdem sie 
verstrichen ist, trifft Saul Anstalten zum Abmarsch, zu dem die 
Not zwingt, und darum wird er verworfen! Offenbar ist jener 
von vornherein von der Stimmung gegen ihn beseelt, die der 
legitime Fürst dem Usurpator gegenüber hat; er hat es darauf 
angelegt einen Anlass zu finden, um sein Verhältnis zu ihm in's 
Klare zu bringen. Genau genommen hat er freilich den Anlass 
doch nicht gefunden, da ja die Frist eingehalten ist; aber un- 
ausgesprochen steht die Meinung im Hintergrunde, dass der König 
nicht bloss vor Ablauf der sieben Tage, sondern überhaupt nicht 
opfern dürfe; sein Opfern wird als Raub am Heiligen angesehen. 
Da taucht die autonome Theokratie vor unsem Augen auf, an 
die vor Ezeehiel niemand gedacht hat; wir werden erinnert an 
die Erzählungen der Chronik über Joas und Uzzia. Bei aller 
Ähnlichkeit des Inhalts ist doch der Geist von 1. Sam. 15, 28 
ein wesentlich anderer und älterer. Nicht mit so rasender Eile 
erfolgt hier die Verwerfung, man gewinnt nicht den Eindruck, 
dass Samuel sich freut, den König von der Hand schlenkern zu 
können. Er ehrt ihn vielmehr vor dem Volke, er trägt Leid, 
dass Jahve ihn verschmäht hat; Saul, der ihn im Leben nicht 
mehr schaut, wendet sich in der höchsten Not noch an den 
Toten: er hält ihn nicht fttr seinen bösen Feind, Während 
ferner dort der König sieh versündigt, indem er die Heiligkeit 
des Opfers und die Unnahbarkeit des Altars für den Laien nicht 
gebührend achtet, so wird ihm hier vorgeworfen, dass er dem 
Opfer einen viel zu hohen Wert beilegt. Dort handelt endlich 
die Gottheit und ihr Stellvertreter mit absoluter Willkür, stellt 
sich mit unbegreifiieheu kleinlichen Geboten schroff dem Men- 
sehen gegenüber, fordert ihn zum Widerspruch heraus; hier ist 
das Auftreten Samuels, wenn man den Bann als Volbssitte vor- 
aussetzt, motiviert, sein Wesen nicht von Geist entblösst, er be- 
ruft sich nicht auf seine Unverantwortlichkeit, sondern auf die 
Evidenz, dass Gehorsam besser sei als -Widderfett. 



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Richter Samuelis und Könige. 273 

Freilich gehören auch die Kapitel 15 und 28 nicht zum 
Stock der Überlieferung, Bei 1. Sam. 28, 3—25 ist es leicht, 
die Einschiebung aufzuzeigen, denn der Faden von 28, 1, 2, her- 
kommend von Kap. 27, wird 29, 1 fortgesetzt; nach 28, 4 sind die 
Philister schou zu Sunem in Jezreel, nach 29, 1 noch zu Äphek 
in Saron, von wo sie erst 29, 11 nach Jezreel aufbrechen. 
Um in Bezug auf 1. Sam, 15 das Gleiche zu zeigen, könnte man 
sieh dai-auf berufen, dass zwischen 14, 52 und 16, 14 direeter 
Ansehluss besteht — aber das ist etwas umständlich zu beweisen. 
Es genüge also, dase in der vorhergehenden Geschichte Sauls 
der Ämalekiterkrieg in einem ganz anderetf Lichte erscheint 
(9, 1. 10, 16. 11. 13. 14 vgl. auch Num. 24). Die Veranlassung 
dazu ist nach 14, 48 den BedUi-fnissen der Gegenwart entnommen 
und der Zweck der sehr praktische „Israel von seinen Räubern 
zu befreien"; keine Kede davon, dass der Feldzug um eines re- 
ligiösen Gebotes willen unternommen sei, um die Amalekiter für 
eine längst verjährte Schuld zu strafen, über die man nur aus 
den Geschichtsbüchern tlber die mosaische Zeit Bescheid wusste. 
Beide Erzählungen, Kap. 15 sowohl als Kap. 28, sind Vorspiele 
der folgenden Begebenheiten. Mit Kap. 16 tritt David auf den 
Schauplatz, ist sofort die Hauptperson und drängt Saul zur Seite: 
in Kap. 15 wird diese Wendung prophetisch eingeleitet. Die 
Thatsaehe war überliefert, dass Saul von Jahve zum Könige er- 
sehen war. Wie ist es denn möglich, dass seine Herrschaft 
trotzdem keinen Bestand hatte? Jahve, der sonst seinen Sinn 
nicht ändert, hat sich in ihm gein-t; Samuel, der den König be- 
rufen hat, muss zu seinem grossen Schmerz ihm nun auch das 
Urteil der Verwerfung sprechen. Die Gelegenheit, bei der er es 
thut, ist augenseheinlieh historisch, nämlich die Siegesfeier zu 
Gilgal, wobei als vornehmstes Opfer der gefangene Führer der 
Amalekiter selber dargebracht ward. Das Opfer Agags, der spä- 
teren Sitte völlig fremdartig, mag zu der Deutung Anlass gegeben 
haben, dass Saul den König geschont, Jahve aber seinen Tod 
verlangt und ihn durch Samuel am Altare habe zerhauen lassen. 
Daraus lässt sich leicht das Übrige entspinnen, näher auf das 
Wie einzugehen, ist Überflüssig. Zu Kap. 15 verhält sich weiter 
Kap, 28, wie zur ersten Stufe die zweite. Es braucht nicht nach 
gewiesen zu werden, dass hier Sauls Fall im letzten Kampf gegen 
die Philister seinen prophetischen Schatten vorauswirft. Dass er 



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274 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

sieh an' die. Hexe wendet, um den abgescbiedenen Samuel zu be- 
schwören, gibt einen höchst wirksamen Eindruck von der Gott- 
Terlassenheit, worin er sich befindet, seit jener yon ihm sich ab- 
gewandt. Die allgemeine Färbung endlieh wird dem Gegensätze 
zwischen Samuel und Saul hier verliehen durch das Verhältnis 
der Propheten zu den Königen, wie es sich besonders im Eeiehe 
Samarien (1. Reg. 14, 7) ausgebildet haben muss. Es ist klar, 
dass unsere Erzählungen in der Auffassung dieses Verhältnisses 
den prophetischen Standpunkt einnehmen, wie sie denn auch 
nach den lehrhafleu Ideen, die darin ausgesprochen werden, als 
prophetische Conceptionen angesehen werden müssen. 

4. David ist der erste judäische Held, dem wir begegnen; 
er stellt sogleich alle übrigen in den Schatten. Über seine 
Thaten besitzen wir zwei ausführliche und zusammenhängende 
Schriften, die sich gegenseitig ergänzen. In 1. Sam. 14, 52 bis 
2. Sam. 8, 18 wird zunächst umständlich erzählt, auf welche 
Weise David auf den Thron gelangt sei, sodann folgt seine 
Hauptthat als König, die Demütigung der Philister und die Grün- 
dung Jemsalems, worauf mit einer kurzen Übei-sicht Über das 
sonst noch Bemerkenswerte abgeschlossen wird. Der Bericht 
ist uns vollständig erhalten, nur nicht in seiner reinen Form, 
sondern vielfach durchbrochen und überarbeitet. Die zweite 
Schrift 2. Sam. 9 — 2. Reg. 2 ist am Anfange verstümmelt, sonst 
jedoch fast völlig intakt, wenn man 2. Sajp. 21—24 heraushebt. 
Sie erzählt vorzugsweise die Vorgänge am Hofe zu Jerusalem 
aus den späteren Jahren des Königs und verfolgt dabei mit be- 
sonderem Interesse, wie Salomo, von dessen Geburt und deren 
Umständen gleich anfangs die Rede ist, über seine vor ihm stehen- 
den Brüder Amnon Absalom Adonia hinweg auf den Thron ge- 
langt. Beide Schriften zeichnen sich aus durch ihren wesentlich 
historischen Charakter. Die Darstellung ist weit eingehender 
und nicht von fem so poetisch wie in der Geschichte Sauls 
1, Sam. 9ßf., Übertreibungen wie 14, 46 ff. kommen nicht vor. 
Den Vorzug verdient 2. Sam. 9ff. In den Hergang der Begeben- 
heiten, die natürlichen Anlässe und menschlichen Motive der 
Handlungen gewinnen wir da vielfach einen recht tiefen Einblick, 
wenngleich der Standpunkt ein beschränkt jenisalemischer ist 
und beispielsweise die eigentlichen Gründe des Aufstandes der 
Judäer unter Absalom kaum berührt werden. Die Begeisterung 



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Richter Samuelis iintl Könige. 275 

fftr David hat wohl auch hier die Feder geführt, aber seine 
Schwächen werden nicht verschwiegen, die wenig erbaulichen 
Verhältnisse seines Hofes getreu berichtet, die Palastintrigue, 
durch die Salomo auf den Thron gelangte, mit einer beinah bos- 
haft scheinenden Naivetät vorgetragen. Die erste Schrift 1, Sam. 
16—2. Sam. 8 erzählt nicht so eingehend, gibt aber den Zu- 
sammenbang nicht minder strenge und beruht auf nicht viel 
sehleehterer luformation. Der Parteistandpunkt tritt dadurch 
stärker hervor, dass David in biographischer Weise seit seinem 
ersten Auftreten zum Helden der Geschichte gemacht wird, 
während doch noch König Saul sie eigentlich beherrscht und 
bewegt. Aber zur Umdichtung der Thatsaehen hat die unver- 
meidliche judäisehe Sympathie schwerlich gefUlirt, überhaupt 
nicht anders und nicht stärker eingewirkt, als sonst das lokale 
Interesse für den Stammhelden, von dem aus ursprdngHeh immer 
erzählt worden ist. Doch gilt dies Lob von 1. Sam. 16ff. nur, 
sofern der ursprüngliche Bestand in Frage kommt. Anders steht 
es mit den grade hier sehr zahlreichen Einsätzen, welche dem 
älteren Zusammenhange sich ansebmiegen oder auch wohl eine 
Neubearbeitung an Stelle eines echten Gliedes desselben treten 
lassen. Hier hat die Idealisierung des Gründers der judäiscben 
Dynastie schöpferisch gewirkt, hier finden wir fiir die Geschichte 
der Tradition, in dem rohen Stil wie sie vor der Hand allein 
ausführbar ist, reiche Ausbeute. Vor allem den Anfang der 
ersten Schrift hat die spätere Sagenbildung überwuchert. 

David, als tapferer kluger und redegewandter Mann be- 
kannt, empfohlen zugleich dnrch sein Saitenspief, kam an des 
Königs Hof und ward sein Waffenträger (16, 14 — 23). Im Kampfe 
gegen die Philister bewährte er sieh so, dass Sau! ihn von Stufe 
zu Stufe erhob und ihm seine Tochter zum Weibe gab (18, 6ff.) 
Aber Aas Glück und der Ruhm des Judäers machten Saul eifer- 
süchtig und in einem Anfall der Manie, der er auch nach 10, 10 
ausgesetzt war, warf er nach David, der durch sein Saitenspiel 
den bösen Geist zu verscheuchen suchte, mit der Lanze (19, 8 — 10). 
Da jener im Einverständnis mit Jonathan es für geraten hielt zu 
entweichen, so bestätigte das des Königs Argwohn, dem zunächst 
die Priester von Nob zum Opfer fielen, weil ihr Oberhaupt David 
mit Brod versorgt und das Orakel für ihn befragt hatte (21, 2 — 7. 
22, 6—23). Den Flüchtigen selber bekam Saul nicht in die Hand, 



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276 GeschiiUe der Tradition, Kap. -7. 

er scharte sein Gesehleelit und andere verzweifelte Gesellen um 
sieh und wai-d ihr Anfuhrer in der Wüste Juda (22, 1—5. 23, 1—13. 
25, 2£F.). Um den sich wiederholenden Verfolgungen Sauls zu 
entgehen, trat er endlich auf das Gebiet der Philister über und 
erhielt von dem Fürsten Achis die judäisehe Stadt Siklag zu 
Lehen (27, Iff.)- 

Dies der Anfang der Geschichte Davids nach dem einfachen 
Faden der alten Erzählung. Zusatz ist zunächst die Legende 
von dem Kampfe des Hirtenknaben gegen Goliath 17, 1—18, 5, 
welche gleiehmässig nach vorn und hinten anstösst. Denn nach 
16, 14—23 war David, als er mit Saul in Berührung kam, nicht 
ein des Waffenhandwerks unkundiger Fant, sondern, „ein streit- 
barer Kriegsheld, verständiger Rede, und von stattlichem Au- 
sehen", und nach 18, G sangen die Weiher bei der siegreichen 
Heimkehr des Heeres; Saul hat des Philisters Tausende ge- 
schlagen und David seine Myriaden — letzterer war also neben 
dem Könige der Führer Israels, ein erprobter und bekannter 
Mann. Augenscheinlich muss zwischen 16, 23 und 18, 6 ur- 
sprfinglich etwas ganz Anderes gestanden haben. Mit der Ge- 
schichte von Goliath 17, 1—18, 5 fällt nun aber aus ähnliehen 
Gründen auch die von der Salbung Davids 16, 1—13, die von 
jeuer abhängig (16, 12. 17, 42) ist; und auf diese Weise entsteht, 
da wir Kap. 15 bereits als seeundäres Erzeugnis kennen gelernt 
haben, der nötige Anschluss von 14, 52 mit 16, 14. In 18, &&., 
wo über die Entstehung äet Eifersucht Saula gehandelt wird, 
fehlen mehrere der störendsteu Erweiterungen noch der Septua- 
ginta, namentlich der erste Speerwurf (18,9 — 11) und die Ver- 
lobung mit Merab (18, 17—19). Am buntesten kreuzen sich die 
Einschläge in dem Bericht über den Ausbruch der Feindschaft 
Sauls und über Davids Flucht, Kap. 19. 20. Das Stück 19, 1-7, 
sehr unmotiviertes Machwerk, verrät durch die Bekanntschaft mit 
Kap. 17 seinen späteren Ursprung; erst mit 19, 8 beginnt die Fort- 
setzung von 18, 29' (Sept.). Nach Sauls Speerwurf 19, 8—10 ent- 
flieht David zum ersten mal, ist aber v. 11 doch noch zu Hause 
und entflieht mit Hülfe weiblicher List v. 12 zum zweiten male, 
zu Samuel gen Rama, um indessen in Kap. 20 nach wie vor in 
Gibea zu erscheinen. Es fällt dem Könige auf, dass er nicht 
zur Tafel kommt; Jonathan versichert ihn der Gewogenheit 
seines Vaters, an der David allerdings zweifelt ohne jedoch 



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Richter Samufilis natl Konige. 277 

vom Gegenteil deutliche Beweise zu hahea. Nachdem der töt- 
liche Hass des Königs eonstatiert, macht David nun endlich Ernst 
mit der Flucht; iu Kap. 21f. finden wir ihn auf dem Wege über 
Nob nach Juda, doch weicht er 21, 11 noch einmal von frischem 
von dem Angesichte Sauls, Es versteht sieh von selbst, dass in 
der Wirklichkeit und in der ursprunglichen Erzählung die Flucht 
nur einmal geschehen und gleich von vornherein nach der Zu- 
flucht, d. b. nach Juda, gerichtet gewesen sein muss. Das ge- 
nügt, um über 19, 11-- 24 den Stab "zu brechen; das 20. Kapitel 
ist wenigstens in seiner jetzigen Gestalt im Zusammenhang uu- 
möglich; in Kap. 21 sind v. 8 — 10 und v. 11—16 auszuscheiden. 
Auch in dem Abschnitte über Davids Freibeuterleben Kap. 23—27 
finden sich bedeutende Nachträge; nämlich ausser 27, 7 — 12 be- 
sonders die Begegnungen Davids mit seinen Verfolgern, in zwei 
Versionen, von denen die eine 26, 1^ — 25 wegen v. 19 vor Kap. 27 
eingesetzt ist, die andere 23, 14—24, 23 vor Kap. 25, um eine zu 
nahe Collisioa zu vermeiden. Da beide vielerwärts wörtlich 
übereinstimmen, so wird man Recht haben, die kürzere und 
motiviertere Fassung Kap. 26 für die Grundlage anzusehen. Dass 
aber auch Kap. 26 nicht dem echten Stocke angehört, ergibt schla- 
gend die Folge 26, 25. 27, 1. Die Einschiebung der Zusätze ist 
abrigens natürlich nicht ohne allerlei Kedaktionsänderungen im 
älteren Stoffe abgegangen; vgl. z. B. 16, 14. 

Obwohl von der selben Wurzel ausgehend, sind diese Wuche- 
rungen doch keineswegs gleichartig und gleichstufig. Zum Teil 
sind es volkstümliche Sagen und unabsichtliche Dichtungen. So 
die Geschichte von der Miebal, die es gegen ihren Vater mit 
ihrem Manne hält, ihn Abeiids am Seil durchs Fenster lässt 
und die Häscher eine Weile hinhält, indem sie vorgibt, David 
sei bettlägerig, und ihnen den Hausgott vorweist, den sie aufs 
Lager gepackt und unter die Decke gesteckt hat {19, 11—17). 
Von etwas anderer Farbe sind die Begegnungsscenen zwischen 
Saul und David; doch thut die Überzeugung, dass letzterer. der 
König der Zukunft sei, der Anerkennung des ersteren als des 
wirklichen Königs und Gesalbten Jahve's keinen Eintrag; auch 
erscheint Saul nicht bösartig, sondern verblendet. In der seeun- 
dären Version 23, 14ff. kommt, abgesehen von der ganz post- 
humen Einschaltung zwischen 23, 15 «nd 23, 19, zu den rühren- 
den Motiven ein gutmütiger Scherz hinzu, wie nämlich die beiden 



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278 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

um einen Berg herum HaBchen spielen, der davon den Naraeu 
hat. ÄIb religionsgescliichtliclies Keunzeiehen für das Älter dieser 
Erzählungen kommt einerseits die unbefangene Erwähnung des 
Gottesbildes im Hause Davids in Betracht, andererseits die Äusse- 
rung 26, 19: „wenn Jahve dich gegen mich reizt, so möge er 
Opfer riechen, wenn es aber Menschen sind, so seien sie ver- 
flucht vor Jahve, dass sie mich jetzt vertrieben haben aus der 
Gemeinsebaft im Lande Jahve's und mich zwingen, fremden 
Göttern zu dienen." Es ist vielleicht nicht zufällig, dass letztere 
Äusserung in dem Parallelberieht fehlt, und dafür eine förm- 
liche Huldigung hinzugekommen ist, die Saul zum Schlüsse 
seinem destinierten Nachfolger darbringt. Was die Erzählung 
von Goliath anlangt, so ist sie zwar auch harmlos, aber von 
einer viel spezifischeren religiösen Färbung. Bezeichnend in 
dieser Hinsiebt ist die Rede, mit der David dem Riesen ent- 
gegen geht 17, 45£f.: „du kommst zu mir mit Schwert und Speer, 
ich komme zu dir im Namen Jahve's der Heerscharen, den du 
gesehmäht; heute wird er dich in meine Hand übergeben, dass 
alle Welt erfahre dass Israel einen Gott hat und dass diese Ver- 
sammlung (bnpn = Israel) wisse, dass nicht durch Schwert und 
Speer Jahve hilft, denn sein ist der Streit." Das nähert sich der 
geistliehen Sprache der naehdeuteronomisehen Zeit. Nach 2. Sani. 
21, 19 ist Goliath von Gatb, dessen Speersehaft dick war vpie ein 
Webebaum'), nicht in den Philisterkriegeu Sauls, sondern seines 
Nachfolgers aufgetreten und nicht von einem Hirtenknaben, son- 
dern von einem Krieger aus läethlehem, namens Elhanan, erlegt 
worden. 

Das Thema David und Jonathan hat ohne Zweifel geschicht- 
lichen Grund, findet sich jetzt aber nur in secundären Ausfüh- 
rungen behandelt. Ata solche hat man auch die Erzählung über 
den Abschied Kap. 20 anzusehen. Jedoch scheint dieselbe auf 
eine ältere Grundlage zurückzugehen, welche wohl dem Zu- 
sammenhange der ursprUnglieheu Schrift augehört haben könnte. 
Nämlich der Pfeilschuss hat nur dann Bedeutung, wenn eine 
Unterredung zwischen den beiden Freunden nicht stattfinden 

') Dieser Ausdruck komiDt 1. Sam. 17 wieder vor vuä beweist die Abhängig- 
keit dieser Legende Toa 2. Sam. 21. 23, einer Zusammenstellung von 
HeldeLanekdoten aus den Philisterkriegen Davids im echten kurzen volks- 
tüiöücben Ton. Vgl. zu 1. Chron. 12 oben S. 180, 



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Richter Saoiiielis ucd Könige. 279 

kann. Da sie ja aber zasammenkommeii und frei heraussagen 
was sie auf dem Herzen haben, so ist jenes stumme Zeichen 
nicht bloss übeifliiesig, sondern auch unrerständlich und sinnlos. 
Wenn aber grade der am meisten charakteristische Zug niebt 
in die gegenwärtige Physiognomie der Erzählung passt, so 
heisst das mit anderen Worten, dass sie nicht in der wahren 
Form erhalten ist. Urspriinglieh hat Jonathan lediglich den 
Pfeil abgeschossen und seinem Knaben zugerufen, wo er liege; 
und David, in der Nähe des Sehiessplatzes versteckt, hat aus 
dem Zuruf das verabredete Signal entnommen. Mit dem Zuruf, 
der Pfeil liege näher nach ihm zu oder weiter von ihm weg, 
forderte Jonathan scheinbar den Knaben, in Wahrheit den 
Freund auf, entweder zu ihm heranzukommen oder von ihm 
weg zu gehen. Zum Zwiegespräch sind die beiden in dem 
zweiten Fall, der bekanntlich in Wirklichkeit eintrat, nicht ge- 
kommen; der thvänenreiebe Abschied iallt also fort und mit 
ihm auch vorher die im gleichen Stil gehaltenen sentimentalen 
Reden , in denen Jonatlian seinem Vater thatsäeblich Recht 
gibt, doch aber auf's entschiedenste Partei nimmt filr David, 
dessen nicht achtend, dass dieser ihn selber vom Erbe ver- 
drängen wird.') 

Tendenziös im schlimmen Sinne ist Kap. 18, 6ff., auch abge- 
sehen von den Zusätzen des masorothisohen Textes. Hier wird 
die Feindschaft Sauls gegen David gleich in die ei^sten Anfänge 
ihres Verhältnisses zurückgetragen und die Freundschaft selber 
als heimlicher Haas dargestellt. Alle die Ehren, womit der 
König seinen Waffenträger überschüttet, werden als Mittel den- 

') Nur ia einer Hinsicht legt er seiner Selbst\erlciignimg 'ichranlion an er 
tässt sich ton dem liüuftigeu Könige feierlich terlurgen dass er seiner 
Familie schonen werde. Hier liegt ein Interesse aus der Uegenwart dua 
Erzählers zu Grunde. Die orientalische Sitte, dass der neue Begeut die 
vorhergehende Dynastie ausmordet, hat DoMd nicht '.ystematisch befolgt 
und insonderheit zu Gunsten eines bint«rlassenen '*<o!ines des Jonathan 
eine Ausnahme gemacht. oMein gajizes Geschlecht — sagt Merjbaal 11 
19, 29 — war meinem Herrn Konige zu Tode \erfa!len du aber hast 
mich an deinen Tisch gesetzt, was habe ich also für ein Recht, mich 
(auch über Ungerechtigkeiten) zu beklagen'" Dieser Sohn Jonathans aber 
ist der Ahn einer Jerusalem; gehen Familie geworden, die bis nber das 
Exil hinaus geblüht hat. — Ältere Züge in 1 Sam 20 sind die Wichtig 
keit des Neumondes, das Familienopfer zu Bethlehem, vielleicht der Stern 
bUN lDt*i "^'t •ä*'" 6^ keine ganz legitime Bewandtnis zu haben scheint, 
da der Name zweimal so sonderbar cornimpiert ist 



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280 GeachicbCo der Tradition, Kap. 7, 

selben zu beseitigen gedeutet; zu seinem Eidam soll er ihn nur 
deshalb gemacht haben, um durch den verlangten Preia fltr 
seine Tochter, die hundert Vorhäute der Philister, ihn tötlicher 
Gefahr auszusetzen. Für den Zusammenhang ist 18, 6ff, nicht 
zu entbehren, aber zugleich steht fest, daas die giftige Betrach- 
tungsweise Zeichen späterer Bearbeitung ist. Denn Saul begeht 
hier seine Ferfidien im Einverständnis mit seinen Knechten, 
denen also dadurch seine Gesinnung gegen David bekannt ge- 
worden sein musste, aber der alte Erzähler nimmt im Gegenteil 
au, dass der Hass plötzlich zu Tage gekommen sei und dass bis 
dahin David bei Allen für den beliebtesten der Diener des Königs 
gegolten habe. Vgl. 21, 2. 22, 14f., um von Kap. 20 abzusehen. 
Nur dies entspricht auch der Natur Sauls, wie sie sonst überall 
geschildert wird. 

Auf der tiefsten Stufe der CoiTuption steht die Überlieferung 
charakteristischer Weise in den beiden eingesetzten Erzählungen, 
in denen Samuel in das Lehen Davids hineinragt. Nach 19, 
18—24 flieht David zu dem Alten gen Kama in die Propheten- 
sehnle, Saul sendet ihm Häscher nach, aber wie diese in die 
Nähe Samuels kommen und ihn einen Haufen ekstatischer En- 
thusiasten commandiereu sehen, werden sie auch von der Käserei 
ergriffen, und den zweiten und dritten Boten, die Saul absendet, 
ergeht es nicht besser. Saul muss endlich selber kommen, aber 
auch er wird in den Wirbel gezogen, wiift die Kleider von sieh 
und tanzt vor Samuel und David, die allein ndehtern der bacchan- 
tischen Geeellecbaft zuschauen, bis er umfällt und nackt wie er 
ist einen ganzen Tag und eine ganze Nacht liegen bleibt — 
daher das Sprichwort: „ist auch Saul unter den Propheten?" 
Aber dass David, wenn er floh, auch gleich im Ernst nach Juda 
und nicht erst zum Spass gen Norden nach Bama floh, liegt 
ebenso auf der Hand, wie dass es ein starker Misbraueh ist, den 
Geist der Prophetie fremden Zwecken dienstbar zu machen und 
ihn so bloss zum persönlichen Schutze Davids aufzubieten, der 
gar nicht nötig gehabt hätte, in Rama auf Saul zu warten und 
ihm dort ein Schnippchen zu schlagen. Unsere Erzählung, 
welche dem Verfasser von 15, 35 noch unbekannt ist, geht 
zurück auf das angeführte Sprichwort, dieses wird aber anderswo 
(10, 12) in einem weit edtereu Sinne erklärt, und man kann sich 
des Verdachtes, hier mit einer frommen Karikatur zu thun zu 



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Richter Samuelis und Könige. 281 

haben, um so weniger ei-wehren, da ja die Pointe jedenfalls die 
. ist , dass Samuel und David steh an der Schande des nackten 
Königs weiden. Für die allgemeine Geschichte der Tradition 
ist der Umstand am interessantesten, dass Samuel hier zum 
Haupt einer Prophetensehule geworden ist, deren Übungen er 
leitet. Nach der ursprünglichen Vorstellung (Kap. 9. 10) tritt 
er einzeln für sieh auf und hat mit den Banden- der Ekstatiker, 
der Nebiim nichts zu thun. Er ist Eoe, Seher, kein Nabi, 
Prophet. Zwar wird in der Glosse 9, 9 behauptet, beides laufe 
auf eins heraus, was gegenwärtig Nabi heisse, sei ehedem Eoe 
genannt. Aber das ist nicht ganz richtig. Der Verfasser von 
Kap. 9.10 kennt auch den .Namen Nabi sehr wohl, aber er 
gebraucht denselben nie für Samuel, sondern nur pluraliseh iUr 
die Haufen jahvetruukener Derwische; in einer ganz anderen 
•Bedeutung wie E&e und auch in ganz anderer Bedeutung als 
wie Jesaia und Jeremia den Titel Nabi fuhren.') Man kann 
nicht daran zweifeln, dass diese Unterschiede historisch be- 
gründet und erst hinterher alimählich zusammengeflossen sind, 
dass also Samuel als Seher nicht zu einem der Flagellanten 
zu erniedrigen ist. 

Da Davids Flucht zu Samuel eine frühere Beziehung zu 
ihm voraussetzt, so seheint 19, 18flf, auf 16, 1 — 13 zurückzu- 
sehen. In diesem Stück fängt David seine Laufhahn gleich 
damit an, dass er als Hirtenknabe, der in der Familie noch gar 
nicht mitgerechnet wird, von Jahve's wegen an Sauls statt zum 
Könige gesalbt wird. Aber nachher ist davon keinem etwas 
bekannt, selbst in der Erzählung von Goliath, die sonst noch 
am ehesten mit 16, 1 — 13 auf gemeinsamem Boden steht, wissen 
die älteren Brüder — hier drei, nicht sieben — nichts von der 
Salbung des Jüngsten, obwohl sie dabei gewesen und selbst in 
Frage gekommen sein sollen (17, 28). Ebenso ist in den Ver- 
folgungsgeschichten Kap. 24. 26 nur Sau! die geheiligte Persön- 
lichkeit, der Gesalbte Jaiive's, nicht David; der Glaube, dass 
letzterer von Jahve zu hohen Dingen ersehen sei, ist etwas 
anderes als die Thatsaehe seiner bereits vollzogenen Salbung. 
Wenn endlich die Folge bedingt ist von der Ursache, so zieht 
sich Samuel nach 15, 35 nicht bloss bis an seinen Tod von 

') Dieae miissten allerdingä nach dem Sprachgebraucbe von 1. Sam. 9f. eher 
Eoe beissen, un^l darin liegt die Üereelitigimg der Glosse 9,9. 



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282 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

Saul zurück, soDdern er trägt auoh Leid um ihn bis au seinen 
Tod. Es ist eiu harter Übergang, wenn es 15, 35 heisgt: 
„Samuel sah Saul nie wieder bis an seinen Tod, weil er über 
ihn trauerte", und dann 16, 1 fortgefahren wird: „und Jahve 
sprach gu ihm: wie lange willst du über Saul trauern, da ich 
ihn doch rerworfen habe". Deutlich aber erhellt, dass die Ein- 
setzung des Nachfolgers eine ergänzende Consequenz der Ab- 
setzung des Vorgängers ist. 

Zugleich ist die Salbung Davids durch Samuel das Gegen- 
stüek zur Salbung Sauls durch Samuel, wie das besonders der 
Vergleich yon 10, 6. 11, 6 „und der Geist Gottes sprang auf 
Saul" und 16,13. 14* „und Jahve's Geist sprang auf David und 
von Saul wich er" lehrt. Dort nun ist die Theopneustie ein 
momentanes Überschäumen, hier (trotz des Springens) eine 
ruhende Eigenschaft; schon allein dieser Unterschied lässt keinen ■ 
Zweifel darüber, wo das Original und wo die Imitation zu suchen 
ist. Auf eine göttliche, d. h. üben-aschende und ideale Weise 
ist nach der alten Tradition bloss Saul Konig geworden, David 
auf einem reebt langsamen menschlichen Wege und durch viele 
Zwischenstufen. Bloss von Saul erzählte man ursprünglich, dass 
der plötzliche Ausbruch des Geistes, wodurch er, unberufen wie 
er war, den Heerbann Israels aufbot, sich an die Spitze stellte, 
die Ammoniter schlug und König wurde, im Stillen vorbereitet 
sei durch einen alten Seher, der seine grosse Bestimmung deutete 
und ihm Zuversicht zu sieh selber einflösste, indem er ihn 
heimlich im Namen Jahve's salbte. Von David wusste man 
nur, wie er sich durch eigene Kraft vom Kriegsmann zum Ban- 
denftthrer, vom Bandenfiihrer zum philisthäisehen Lehnsfürsten 
von Siklag und Juda, vom Lehnsfürsten zum unabhängigen und 
mächtigen Könige Israels aufgeschwungen habe: gesalbt ward 
auch er, aber uicht zum voraus von Gott, sondern hinterdrein 
von den Altesten von Juda und Israel. Diesen seinen mensch- 
lichen Ursprung, seinen Abstand grade in Bezug auf göttliche 
Weibe von dem Vorgänger , dessen Reich Jahve hinterdrein 
faktisch doch nicht bestätigt hatte, konnte eine spätere Zeit 
nicht auf ihm sitzen lassen; er musste mindestens eben so gut 
wie jeuer die Salbung von Samuel empfangen haben. Dies ist 
denn also durch die Legende IG, 1 — 13 nachgeholt worden. 
Ein Schritt weiter auf der abschüssigen Bahn ist es, dass in 



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Richl^r Samuelis und Könige. 283 

der judaistischen Vemon 10, 16 ff. von Sauls Salbung stillge- 
schwiegen wird. 

Wir kommen auf Samuel zurUck, von dem das Buch Sa- 
mueÜB den Namen hat und der in der That zwar nicht für die 
Geschichte selber, wohl aber für die Geschichte der Tradition 
von solcher Bedeutung ist, dass seine Gestalt als Gradmesser 
flir den Stand derselben benutzt werden kann. Vier Stufen 
lassen sich in seiner Auffassung unterscheiden. Ursprünglich 
(9, 1 — 10, 16) ist er ein einfacher Seher, jedoch zugleich ein 
patriotischer Israelit, dem die Not seines Volkes zu Herzen geht 
und der seine Autorität als Seher benutzt, um einem Manne, 
den er als geeignet erkennt, in's Ohr und in den Sinn zu setzen, 
er sei zum Helfer und Führer Israels bestimmt. Diese Beziehung 
zwischen Seher und Krieger ist, wenn überhaupt Samuel irgend 
etwas bedeuten soll, notwendig als historisch festzuhalten; ähn- 
liche Beispiele hat man in Debora und Barak aus älterer, in 
Elisa und Hazael und namentlich in Elisa und Jehu aus späterer 
Zeit. Samuels Grösse ist, dass er den erweckt hat, der nach 
ihm kommt und grösser ist als er; er verlischt nachdem er das 
Licht entzündet, welches nun in hellem Glänze brennt. Sein 
meteorisches Auftauchen und Verschwinden hat aber Verwun- 
derung erregt und früh zu einer Jugendgeschichte geführt, wo 
er schon als Knabe den Zusammenbruch des Torkönigliehen 
Israels vosausverkündet (1. Sam. 1 — 3). Nachdem er das ge- 
than, schlägt jedoch das Dunkel wieder über ihm zusammen; 
schon in Kap, 4 ff. verlieren wir ihn völlig aus den Augen und 
erst als Greis treffen wir ihn wieder. Auf der anderen Seite 
hat der Umstand, dass wir auch nach der Begegnung mit 
Saul nichts mehr von dem Seher hören, der Meinung Vorschub 
geleistet, dass es sehr bald zu einem Bruch zwischen den beiden 



Dieser Meinung begegnen wir auf der zweiten Stufe, welche 
durch die prophetischen Erzählungen Kap. 15. 28 repräsentiert 
wird. Erzeugt ist sie aus dem Widerspruch, dass Jahve den, den 
er zum Könige ersehen, doch hinterher in seinem Königtume 
nicht bestätigt und seine Dynastie stürzt. Also muss Samuel, 
der Saul gesalbt bat, zu seinem Kummer ihn hinterher ver- 
werfen. Er erscheint dabei schon nicht mehr als der einfache 
Seher, sondern als ein Prophet im Stile Elia's und Elisa's, der 



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284 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

den Gesalbten Jahve's als seiner Hände Werk betrachtet und 
ihm herrische Befehle gibt (15, 1), während er ihn dagegen 
nach 10, 7 ausdrücklich seiner eigenen Inspiration tlberlässf. 
Von der zweiten Stufe ist der Schritt aar dritten nicht gross. 
Hier überträgt Samuel die Salbung, gleich nachdem er sie Saul 
entzogen, auf David und setzt ihn als den nunmehrigen König 
von Gottes Gnaden dem verwoi-fenen Vorgänger entgegen. Sein 
Ansehen hat sich inzwischen noch gesteigert ; wie er nach Ueth- 
lehem kommt, zittern ihm die Altesten entgegen {16, Iff.); in 
19, 18 ff. hat er zauberisebe Gewalt über die Mensehen. Noch 
immer aber gilt er bisher als der intellektuelle Urheber des 
Königtums. Erst der letzten exilisehen oder naehexilischen 
Stufe in der Entwicklung der Tradition ist es vorbehalten, ihn 
umgekehrt als denjenigen dai-zustellen , der dem Verlangen des 
Volkes einen König zu haben, so viel an ihm ist, widerstrebt. 
Hier ist das vorkönigliche Israel zur Theokratie und Samuel 
zum Haupt der Theokratie emporgertlckt; daher erklären sich 
seine Empfindungen. 

Das moderne Urteil wird durch Samuels Fluch zu Gunsten 
Sauls und durch Samuels Segen zu Ungunsten Davids einge- 
nommen, das Bild des einen hat unter der Verdunkelung nicht 
gelitten, wohl aber das Bild des anderen unter der Verklärung'). 
Gewisse -in Vorurteil wie in Sachkenntnis gleich unbefangene 
Kritiker verehren in Saul den Bekämpfer und verabscheuen in 
David die Kreatur der geistlichen Herrschsucht, die sie in Sa- 
muel verkörpert sehen. Dem letzteren gibt man dabei eine 
Machtstellung dem Königtum gegenüber, die er nicht besessen 
haben kann, ohne breiten Grund unter den Füssen und einen 
organisierten Eiufluss in weiten Kreisen zu haben. Soll er sich 
nun etwa auf die Nebiim gestützt haben? Aber diese entstanden 

') Am übelsten hat übrigens das verherrlichende Streben der Späteren dem 
DsTid mitgespielt in dem Testamente 1. Reg. 2, 1 — 12. Schon diu'oh die 
Sprache »errät es sich (v. 2— 4) als nachdeuteronomiacher Einsatz, der 
Inhalt ist der nachfolgendei) Erzählung entnoramon. Aber in dieser wird 
Salomo bei seinem Verfahren gegen Adonia Abiathar Joab und Simei 
keineswegs durch jenes Testament geleitet, sondern durch andere Grunde; 
und die ausgesprochene Absicht des Erzählers ist die, zu zeigen, wie Sa- 
lomo's Thron durch Beseitigung der ihn geföhrdenden Elemente befestigt 
wurde. Zudem passt die raffinierte Überlegung gar nicht zu dem Ein- 
druck, den mau sonst aus L Reg. 1. 2 von dem ätersscb wachen Könige 
gewinnt. 



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Richter Samuelis iind Könige. 285 

damals eben erst aus einer fonnloBen Begeisterung, die sich noch 
nicht auf sehulmässig abgeschlossene Kreise beschränkte; ausser- 
dem stand uaeh der alten Überlieferung wohl der König, aber 
nicht der Seher mit ihnen iu näherer Verbindung — der Glaube, 
dass letzterer Gründer und Vorstand ihrer Gilde gewesen sei, 
gründet sich auf die wertlose anachronistische Anekdote 1, Sam. 
19, 18ff. Oder eonspirierte Samnel mit den Priestern zusammen 
gegen Saul? Daflir beruft man sich auf 1. Samuel 21. 22, wo 
Ahimelech von Nob den flüebtigen David mit Brot versieht und 
zur Strafe dafUr samt dem ganzen GeseUlechte Eli's den Tod 
erleidet. Aber erstens stehen diese Priester mit Samuel in 
keinem Connex, . zweitens lägst es sich mit nichts wahrschein- 
lich machen, dass sie mit David im Einverständnis waren und 
von dessen, ehrgeizigen Plänen ^ angenommen er habe sie 
schon damals gehabt — etwas wussten, drittens steht das um- 
gekehrt fest, dass sie dem Könige gegenüber gar keine Macht 
repräsentierten, vielmehr auf Gnade und Ungnade von ihm ab- 
hingen und auf einen leisen Verdacht hin sämtlich hingerichtet 
wurden ohne dass Hund und Hahn darnach krähten. Jene frei- 
sinnige Auffassung von Samuels Verhältnis zu Saul und David 
leidet an dem Fehler, dass sie dem Samuel die Hierokratie 
als Basis seines Auftretens gegen das Königtum unterlegt. Wer 
aber die Hierokratie in diese Zeiten zurückträgt, der hat zu 
einem historischen Verständnis des hebräischen Altertums noch 
nicht den Anfang gemacht. 

III. 

1. Am breitesten macht sich die letzte Bearbeitung im 
Buche der Könige. Chronologische und religiöse Elemente ver-- 
binden sich auch hier zum Aufbau des Fachwerks; wir beginnen 
damit, die ersteren auf ihren systematischen Zusammenhang zu 
untersuchen. 

Vom Auszuge aus Ägypten bis zum Anfange des Tempel- 
baues sind 480 Jahre vei"flossen, von da an bis zur Zerstörung 
Jerasalems, nach den Zahlen der Könige von Juda, 430, ein- 
schliesslich des Exils wiederum 480 Jahre. In der Chronik fol- 
gen sieh von Azaria ben Ähimaas, der nach richtiger Lesart 
zuerst im salomonischen Tempel amtete, bis auf Josadak, der 
in die Gefangenschaft geführt wurde, 11 Hohepriester, ein^ 



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286 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

sehlieBalich des Exils also wiederum 12 Generationen zu je 
40 Jaliren. Die Einzelposten, aus denen sieh die Gesamtsumme 
zusammensetzt, sind hier krauser, teilweise gewiss aus dem 
Grunde weil sieh gegebene Daten darunter befinden. Doch tritt 
auch hier, in den Regierungsjahren der Könige Juda's die Vierzig 
als Grundelement hervor, denn von der Spaltung des Reichs 
bis aur Zerstörung Samaviens im 6. Hizkia's haben Rehabeam 
Abia 20, Äsa41, Josaphat. Joram Ähazia Athalia 40, Joas 40, 
Amasia Uzzia 81, Jotham Ahaz Hizkia 38 ; von der Zerstörung 
Samariens bis zum letzten Datum unseres Buches (II. 25, 27) 
haben Hizkia Manasse Ämon 80, Josia Joahaz Jojakim Jeehonia 
^9'/^ Jahre; dass die Posten 41-f81-f38 sich dnrch Zufall zu 
40 -f 80 +40 ergänzen, glaube wer mag. 

Die israelitische Königsreihe ist in Absicht auf -die Chrono- 
logie von der judäisehen abhängig. !Naeh den judäischen Zahlen 
sind seit der Spaltung des Reichs bis zur babylonischen Ver- 
bannung 393 Jahre Terflossen; nimmt man nun mit Ezechiel (4, 4) 
an, dass Samarien 150 Jahre früher als Juda untergegangen ist, 
so bleiben 243 Jahre für die Dauer des nördlichen Künigtumes 
— auf 242 beläuft sich in der That die Summe der angegebenen 
Posten. Freilich schiessen dann die von der Zerstörung Sama- 
riens bis zur Zerstörung Jerusalems angenommenen 150 israeli- 
tischen Jahre um 17 über die Summe der parallelen judäisehen 
hinaus, und um etwa ebenso viel bleiben die israelitischen Jahre 
vom 1. Jerobeam bis 9. Hosea hinter dem judäisehen vom 1. Re- 
habeam bis 6. Hizkia zurUek: synchronistische Rücksieht zwischen 
den einzelnen Regierungen aus beiden Reihen ist also ursprüng- 
lich nicht genommen. Die 242 Jahre des Nordreiehs werden, 
durch die mit 1. Jehu gemachte Epoche, in 98 + 144 zerlegt; 
rundet man sie auf 240, d. h. auf die Hälfte von 480, ab, so 
musB man die 98 in 96 verwandeln, die dann den gleichzeitigen 
96 judäisehen Jahren entsprechen, und zwar musa man den Ab- 
zug bei der Regierung Baesa's machen. Denn dann entsteht 
folgendes Spiel: Jerobeam 22, Nadab 2, Baesa 22, Ela 2, Omri 12, 
Abab 22, Abazia 2, Joram 12. Das heisst: die acht Könige zu- 
sammen haben 96, die ersten vier und die letzten vier je 48 Jahre, 
zwei den Durchschnitt von 12; bei den übrigen sechs teilen sich 
drei Paare von Vater und Sohn so in die ihnen zukommen- 
den 2 X 12 Jahre, dass der Vater 12 + 10, der Sohn 12-10 



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Rkliter Samualis und Könige. 287 

bekommt — offenbar weil der Vater für viel wichtiger gilt als 
der Sohn.') 

Def grosse iu dieser Weise abgesteckte und nach Mass und 
Zabl künstlich gegliederte Zeitraum wird bei allen bedeutenden 
Epochen iu predigtartigen Beiraehtungen überblickt und gewür- 
digt, die im Buche der Könige weit häufiger sind als in den 
Büeberü der Richter und Samuelis. Es macht keinen Unter- 
schied, ob der Schriftsteller dabei selbst das Wort führt oder 
einen anderen reden lässt; jenes thut er beim Rttekbliek auf die 
Vergangenheit II 17, dieses bei der Voraussehau auf die Zu- 
kunft I. 8. 9. Einige Proben sind unerlässlich , um eine An- 
schauung zu geben. 

Bei der Hauptepoche, dem Tempelbau, hält König Salomo 
eine grosse Weihrede, worin er Jahve bittet das Gebet derer 
die ihn an dieser Stätte aufsuchen vom Himmel aus zu er- 
hören, und sehliesst dieselbe wie folgt. ,,Wenn sie an dir sün- 
digen — denn niemand ist der nicht sündigt — und du auf sie 
zürnst und sie in Feindes Land nah oder fem gefangen führen 
lässt, wenn sie dann in sich gehen und zu dir beten: wir haben 
gefehlt gesündigt sind schuldig, und wenn sie sieh ron ganzem 

I) Zahlen der Konige Juda's vom i.Salomo's anr 37+I7-|-8-f-41-|-35-|-8 
-|-l + 6-|-40H-29-|-52-(-l6-f-29-f55-|-2-|-3I-|-U-FU = 430 Jahre. Dabei 
sind Joahaz und Jecbonia nicht mitgerechnet, bringt man sie mit I Jahre 
in Anschlag, so muss man für Salomo 36 ansetzen. Zahlen der Könige 
Israels von 1. Jerobeam: 224-3-|-24-|-24-12-f-22+2+12-)-38-|-I7 + lG 
+41 + 1-1-10 + 2-1-30-1-9. Die künstlichen ZaUenverh&ltnisse, wie sie 
oben dargelegt sind, hat Ernst Krey mir mitgeteilt. Darüber dasa die 



Synchronismen ursprünglich nicht dazu gehören, vgl. Jahrbb. für Deutsche 
Theol. 1875 S. 607fr. Über Eiecb. 4 hat zuerst Bernhard Duhm (die 



gibt, ist unmöglich. Denn Ezechtel kann nicht meinen, äasa sie bereits 
Eeit 350 Jahren in der Fremde sich befinden, andererseits aber die Straf- 
zeit, die sie noch vor sich haben, nicht höher anschlagen als auf 40 Jahre, 
denn so lange dauert das Exil der Judäer nach seiner Rechnung, und die 
Restitution erfolgt bei ihm gleichzeitig für Israel und Juda, ja selbst für 
Ägypten. (29, 1 1^16) — offenbar weil bewirkt durch die gleiche Ursache, 
den nach 40 Jahren au erwartenden Sturz der Chaldäer. Die Zahl 390 
ist in V. 5 falsch eingedrungen aus v. 7, wo es sich um etwas ganz an- 
deres handelt, nicht um die Jabre des Exils, sondern um die Tage der 
letzten Belagerung JorusaSems; auf einer ähnlichen Confusion beruht die 
Glosse V. 13. Richtig gibt die Septuaginta für das israelitische Exil die 
Jahrsumme 150 resp. 190 an, excliiaive resp. inclusive der letzten 40 
gemeinschaftlich mit Juda abzubüssende Strafjahre. Bemerkenswert ist, 
dass 390 = 240 + 150. Vgl. noch Robertson Smith, im Journal of 
Philology, Vol. X p. 209-213. 



y Goag Ic 



288 Gesehichtp der Tradition, Kap 7. 

Herzen und von ganzer Seele zu dir bekehren im Lande ihrer 
Feinde wohin sie geschleppt sind, und zu dir beten in der Rich- 
tung auf ihr Land zu das du ihren Vätern gegeben hast, auf 
die Stadt die du erwählt und das Haus das du deinem Namen 
gebaut hast, so höre im Himmel ihr Gebet und Flehen und 
nimm dich ihrer Hache an und vergib deinem Vollte seine Un- 
treue und lass sie Mitleid finden bei ihren Gewalthabern, daas 
sie sich ihrer erbarmen. Denn sie sind dein Volk und Erbe, 
da du sie aus Ägypten, aus dem Schmelzofen, herausgeführt und 
sie dir au3 allen Völkern der Erde auMgesondert hast, wie du 
durch deinen Knecht Mose geredet." Was Jahve darauf geant- 
wortet habe, vernehmen wir in Kap. 9. „Ich habe dein Gebet und 
Flehen vor mir gehört, ich habe das Haus geheiligt, meinem 
Namen dort eine ewige Statt zu geben, dass mein Auge und 
mein Herz allezeit dort seien. Wenn du nun vor mir wandeist 
wie dein Vater David aufrichtig und ehrlich, alles zu thun was 
ich dir befohlen habe, und meine Gesetze und Rechte hältst, so 
will ich den Thron deiner Herrschaft über Israel in Ewigkeit 
bestätigen, wie ioh zu David gesagt habe; es soll dir nie fehlen 
an einem Nachfolger auf dem Throne Israels. Wenn ihr und 
eure Söhne aber von mir abweicht und meine Gesetze und 
Rechte die ich euch geschrieben nicht haltet, und andere Götter 
verehrt, so vertilge ich Israel aus dem Lande das ich ihm ver- 
liehen habe, und das Haus welches ich meinem Namen geheiligt 
habe schlage ich mir aus dem Gesicht; Israel wird zu Spott und 
Schanden unter allen Völkern und dies Haus zu Triimmem. Und 
fragt mau dann: warum hat Jahve diesem Lande und diesem 
Hause solches angethan? — so wird es heissen: weil sie Jahve 
ihren Gott, der ihre Väter aus Ägyptenland geführt, verlassen 
und sich an andere Götter gehängt und ihnen gehuldigt und ge- 
dient haben." 

Das gleichfalls sehr einsehneidende Ereignis der Reichsspal- 
tung wird durch eine Prophetie Ahia's an den ersten Jerobeam 
eingeleitet. „Siehe ich reisse das Reich von Salomo und gebe 
dir die zehn Stämme, nur ein Stamm soll ihm bleiben wegen 
meines Knechtes David und wegen der Stadt Jerusalem, die 
ieh erwählt habe; weil er mich verlassen und die Astarte von 
Sidon und den Kamos von Moab und den Milkom von Ammon 
angebetet bat und nicht gewandelt ist in meinen Wegen, zu 



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Richter SatDuehs und Kömgp 289 

thun was mir gefällt, meine Rechte und Gebote, wie sein Vater 
David. Und wenn du hörst was ich dir befehle und in meinen 
Wegen gehst und thust was mir gefällt, meine Rechte und Ge- 
bote, wie mein Knecht David that, so will ich mit dir sein und 
dir ein festes Haus bauen wie dem David und dir Israel geben. 
Und den Samen Davids will ich demütigen wie gesagt, doch 
nicht fiir alle Zeit." 

Eine Reihe regelmässig bei den Thronumwälzungen des 
Nordreiches eingefügter Prophetien ähnliohen Stiles übergehe 
ich und setze nur noch das Sehlusswort her, womit der Sturz 
des Zehnstämmereiehs (2. Reg. 17} begleitet wird. Derselbe sei 
erfolgt, „weil die Kinder Israel an Jahve ihrem Gott, der sie 
aus Agyptenland befreit hatte, sündigten and andere Götter 
fürchteten und wandelten in den Satzungen der von ihnen ver- 
triebenen Völker und in den Neuerungen der Könige Israels; 
und weil die Kinder Israel Dinge, die nicht so sind, ihrem Gott 
Jahve andichteten und sich Höhen bauten in all ihren Orten 
vom Wachtturm an bis zur ummauerten Stadt, und sich Mal- 
steine und Holzsäulen aufrichteten auf jedem hohen Hügel und 
unter jedem grüneu Baume und dort auf allen Höhen opferten, 
wie die Völker die Jahve vor ihnen vertrieben hatte, und böse 
Dinge verübten um Jahve zu reizen, und den Greueln dienten 
die Jahve verboten hatte. Zwar bezeugte Jahve ihnen durch 
alle Propheten und Seher: kehrt um von euren bösen Wegen 
und haltet meine Gebote und Satzungen nach all der Thora, 
die ich euren Vätern befohlen und durch meine Knechte, die 
Propheten, entboten habe; aber sie hörten nicht, sondern ver- 
härteten ihren Nacken wie ihre Väter, weil sie Jahve ihrem 
Gott nicht glaubten, und sie verschmähten seine Satzungen und 
seinen Bund den er mit ihren Vätern geschlossen und seine 
Zeugnisse die er ihnen eingeschärft, und folgten dem Nichts 
und wurden zu nicht und wandelten den Völkern ringsum nach, 
denen es gteichzuthun ihnen Jahve verboten hatte. Und sie ver- 
liessen alle Gebote ihres Gottes und machten sich Gussbilder 
und Holzsäulen und beteten das ganze Himmelsheer an und 
dienten dem Baal und Hessen ihre Kinder durch's Feuer gehen 
und trieben Zauber und Wahrsagerei und waren versessen zu 
thun was böse ist vor Jahve, ihn zu reizen. Und Jahve zürnte 
sehr auf Israel und trieb sie fort von sich; nur der Mann von Juda 



Vj.O*ü^lt 



290 Gesohiebte der Tradition, Kap. 7. 

allein blieb übrig. Aber aneh die tob Juda hielten die Gebote 
ihres Gottes nicht und wandelten in der Weise Israels; so ver- 
warf Jahve .daa ganze Geschlecht Israel und demütigte sie und 
gab sie in die Hand ron Räubern, bis er sie fortgeworfen hatte 
ron seinem Angesicht. " Für Juda fehlt eine besondere Schluss- 
betrachtung, aber die für Israel gilt auch fttr Juda mit. Man 
erkennt das nicht bloss aus den letzten angeführten Worten, 
sondern auch daraus, dass zwei sehr charakteristische Greuel 
in dem obigen Verzeichnis, die Anbetung des Himmeigheeres und 
das Kinderopfer, nach dem allein massgebenden Zeugnisse der 
Propheten noch nicht im achten, sondern erst im siebenten Jahr- 
hundert, unter Manasse, eingerissen sind und also nicht Israel 
sondern Juda zur Last fallen. 

Von solchen Sammelpunkten aus, wo sich, bei den wichtigeren 
Epochen, das Wasser gleichsam staut, verzweigt sich das Geäder 
nach allen Seiten '). Wie sich die Herrscher zum reinen Gottes- 
dienst geteilt, ob sie was recht oder was böse ist in den Augen 
Jahve's gethan haben, ist die Frage die immer zuerst aufgeworfen 
und auch bei solchen die nur acht Tage regiert haben beant- 
wortet wird. Gewöhnlieh muss constatiert werden, dass sie das 
. Böse gethan haben; TtapeJ Aaul8 xal "ECexiou xal 'Itusioo ravce? T:\r,\).' 
[j.ii^i«v lic)>i](j,|iEJ.T5(iav, sagt Jesus Sirach (49, 4,} nicht ganz genau 
allerdings, aber doch insofern mit Recht als auch an den from- 
men Königen immer noch etwas auszusetzen ist. Die Sünde 
aber ist hier nicht mehr, wenigstens nicht hauptsäcUlieb , der 
Dienst fremder Götter, sondern der verkehrte Dienst Jahve's. 
Es wird jetzt ein specieüer und darum strengerer Massstab an- 
gelegt — den Grund davon kennen wir: seit an dem Orte den 
Jahve sieh erwählt bat der Tempel erbaut ist, hört die bis- 
herige Gemütlichkeit auf (Deut. 12, 8) und vor allem tritt nun 
das Veibot der Bamotb in Kraft (1 Beg 3, 2) Dass dieselben 

') Znsatie wie mn' niSD ' R^S i% 18 (LXS nchtig niiT ohoe mitO' 
"innS DIJI (LXX riihtig -]i3ty ohne ni"l2) rart weitiauflgere hii> 
1 Reg 18, 31 32« 2 Sam e, 2b (iji j(-|pj iB-f*) bnnge ich nicht in 
Anrechnung, weil sie aiis ■verschiedenen Zeiten stamtnen, grö^tenteiK 
junger sind als die deuteronomische Bearbeitung und weniger der literan 
sehen als der Textkritik anfcehoren An sich ist es freilich sehr wuchtig, 
diese Retonchen anfzudei.ken und zu beseitigen Die ganze alte Über 
heferung ist damit überzogen nie mit einem judaistischen Verdauungs 
scbleiiD 



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Bi hter Samueh' und E nige 291 

trotzdem torthestanden, ist die eiga»tliehe allgemeine und duioh 
gehende SUnde der Zeit Ver'tohlimmert wird sie noch da 
durch, diBi mit den Bamoth sieh aucii illerlei ungesetzliehei 
UnfUp im Jahyedien&te einnistete, Ma^-beben und Äscheren und 
immergiUne Bäume und die Bmei und Huien Speciell fili 
leiael, welches beständig mit Juda reiglichen wird, kommt als 
zweite Hauptkunde hinzu die SUnde Jeiobeams, d h die gol 
denen Ktlber zu Bethel und zu Dan Mit den chionologisehen 
Daten veibindet sich die leligiose Würdigung zu jenem Schema, 
welches g]eichm.(«8ig jede einzelne Regieiung dei Konige von 
Israel und Juda emtasst, und zwar häufig mit reicheiem Inhalt 
getlillt, nicht selten abei auch fast leer ist an hiatoiisehem &toff 
Am nacktesten tritt das'.elbe hervoi m Kapiteln nie I 15 Ib 
II 13. 14. 15. 

DasB diese Bearbeitung unseres Buchs mit derjenigen der 
beiden vorangehenden Geschichtsbücher im Wesentliclien gleich- 
artig ist, bedarf keines Nachweises. Nur hat sie hier einen 
wärmeren, lebhafteren Ton und ein weit näheres Verhältnis zu 
den Sachen. Es hängt damit zusammen, dass sie auch viel deut- 
licher dpa Staudpunkt erkennen lässt, von dem sie ausgeht. 
Schon daraus dass der historische Stoff sich bis zur Zerstörung 
Jei-usalem», ja bis zum Tode des gefangenen Königs Jechonia 
ausdehnt, ergibt sich, dass mit der Abfassungszeit bis in'« 
babylonische Exil, bis in dessen zweite Hälfte hinabgegangen 
werden muss; die Chronologie, sofern sie das Exil selber mit 
50 Jahren in die 48Ujährige Periode einrechnet, führt uns noch 
etwas tiefer; doch ist es nicht unmöglieh, hier eine nachträgliehe 
Modifieierung anzunehmen, die den Gesaramtcharakter nicht weiter 
verändert hat. ') Vom Ende aus wird hier auf die Königsperiode 

') Krey Termutet. dass da? letzte erwähnte Datum, die Befreiimir Jeohnnia's 
aus dem Kerker im 37. Jahre nach aemer Thronbesteigung, die ursprüng- 
lich beabsichügte untere Grenze der Chronologie gewesen sei, zumal die 
iOiahrigen Perioden, worin sieh wie oben gezeigt die judaischen Posl«n 
einteilen, gerade auf dies Datum auslaufen. Wenn dem so ist, so kann 
aber nicht das 4. oder 5. Salomo's als die Antangsepoche angesehen wer- 
den; denn die 37 oder 36 daraus resultierenden Jahre lassen sich, mit 
Absicht auf das 37. Jechonia's als Ziel, nicht unterbringen. Jene Epoche 
ist nun auch durchaus unnatürlich, Salomo's 40 Jahre dürfen nicht so 
zerrissen werden, und wenn man in jener Zeit überhaupt einen Ein- 
schnitt öaohen will, so mtiss man es bei der Spaltung des Reiches thun 
als dem gegebenen Ausgangspunkt der Reihen i'on Israel und Ton Juda 
Beachtenswert ist,_ dass die 37 Jahre Jechonia's am bohluss der älteren 



, GoG^Ic 



292 flcschicMe der Tiadition, Kip 7 

zuräckgeschaut wie anf ein^wbgeachlossene Vergangenheit, über 
welche das Urteil gesproelien ist. Schon bei der Einweihung 
des Tempels läast eich der Gedanke an seine Zerstörang nicht 
zurückhalten, auch sonst steht überall die Vernichtung der Na- 
tion und ihrer beiden Reiche im Hintergrunde. Das gibt dem 
Ganzen die Belenchtung: es wird gezeigt, warum es so kommen 
musste. Wegen der Untreue gegen Jahve, wegen der grund- 
verkehrten Eichtung, an der man trotz der Thora Jahve'B und 
seiner Propheten beharrlich festgehalten habe. Die Darstellung 
wird gewisaermassen zu einem grosaeu Stlndenbekenntnis der 
exilirten Nation über ihre Vergangenheit, Es ist die Art, nicht 
bloss das gegenwärtige Geschlecht sondern die gesamte bis- 
herige geschichtliche Entwicklung zu verurteilen, die wir zuerst 
bei Jeremia (2, 1 flf. 4, 3) antreffen, der sich auch schon die Frage 
nach den Gründen des Endes vorzulegen hatte.') Ezcchiel hat 
diese negative Betrachtungsweise, mit besonderer Rücksicht auf 
die Greuel des älteren Cultus, weiter verfolgt (Kap. 16. 20. 23), 
man findet sie gleichfalls in Isa. 40—66 (42, 24. 43, 27), obwohl 
ihr hier eine positive und weit gehaltvollere ergänzend zur Seite 
tritt, ferner in Deut. 28—30 und Lev. 26. Die gauzg Vorzeit 
gilt als eine ungeheure Schuld, die im Exil abgebüsst wird (Jer. 
32, 29. Ezeeh. 18, 2. 33, 10. Isa. 40, 1); es wird sogar die Dauer 
der Strafe nach dei Dauei dei Sünde berechnet (Lev 26, 34) 

ReclmungSMeibe d e Tielleicht nur 40j&hrige Oeuerationen ^leUeuht 
aber auch eine 500jahnge Peno ie von Da-nd an (4U-h40-^2O+41+4O-|- 
40-1-81 +38+80-1-79 /,) herau zul nngen suchte den 07 JaJiren Salomo s 
am Anfang der jetzt durch gefahrlen ent preohen — Dass man auch 
spateihin an der Chronologie noch allerlei änderte und besserte ergiLt 
sich aus den nacheetiagenen Synchroni men der Kon ge Israels und Juda s 
ans den ■'chwankenden und nebene nander hergehenden Angaben im 
Buch der Richter (z B Interregna und kleine Riehter die dreifache 
■Verrechnung der Phih terzeit) ja sogar noch au? den Virianten der 
Septuagmta 
') Der Sturz Samarien hat schon die altereu Propheten m Bezug a if d 
Nordreich z i ähnlichen Betrachtungen o-tfuhrt lie al er do h in der 
Rege! (Am 5 Isa '*) lange nicht so ralihal ind so weil hergeholt sind 
Nur Hoaea verfolgt aUer lings die Schuld der Gegenwart 1 inauf bis m 
den Anfang — aber er exerej Meiert (wie Mich 6) vorzugsweise an de 
Urgescli hte Jakobs und Mose 3 in der eigenthch geschichtlichen Zeit 
/ steckt er doch noch zu sehr dann um sie von ao hohem Standpunkte aus 
IM überschauen Auch dann ist er der \ orlaufer der =%pateren dass er 
das menschliche Königtum fir einen Hauptschaden Israels ansieht e 
hatte dazu in den \ erbaltn ssen «einer Gegenwart illerding»i sehr drit 
gende Veranlassung 



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Richter feamiiehs und Kiinige 293 

Auch nach der Befreiung schleppt sich diese Stimmung gegen- 
über dem Altertum noch fort (Zaeh. 7, 8 ff. Esdr. 9, 7 ff. Neh. 
9, 7 ff.). 

Die BearbeituDg steht naturgemäss auf judaistischem Stand- 
punkte. Ausserhalb Jerusalems ist der Jahvedienst ketzerisch, 
so dass der politische Abfall der Nordisraeliten zugleich als 
kirchlicher erseheint. Doch werden sie darum nicht wie in der 
Chronik von der Gemeinschaft des Volkes Gottes ausgeBchlossen, 
so völlig sind doch die alten Traditionen noch nicht über Bord 
geworfen: erst naeh der assyrischen Zerstörung Samariens setzt 
Juda allein die Geschichte fort. Nahezu die gleiche Verehrung 
wie der Stadt und dem Tempel Jahve's wird dem David und 
seinem Hause dargebracht. Das letztere hat die Verheissung 
ewigen Bestandes, welche besonders gern mit den Worten Jere- 
mia 33, 17 ausgedrückt zu werden pflegt. Es ist ohne Zweifel , 
kein Zufall, dass mit der Befreiung des Davididen Jeehonia aus 
dem Kerker geschlossen wird; sie ist das Angeld des Grösseren, 
was zu erwarten steht. Auch in den Worten Ahia's an Jero- 
beam, dass die Demütigung des Hauses David und die Ab- 
reissung der zehn Stämme doch nicht für alle Zeit dauern solle, 
blitzt die messianisehe Hoffnung auf, die grade in und naeh dem 
Exil in den Gemütern sehr lebendig gewesen ist, wie wir aus 
Haggai und Zacharia ersehen. 

Lässt sieh bei den Büeheni der Richter und Samuelis viel- 
leicht nicht mit völliger Bestimmtheit entscheiden, welches die 
Norm sei, wonach der letzte Verfasser die Vergangenheit beur- 
teilt, so ist beim Buche der Könige kein Zweifel möglich. Hier 
wird nicht bloss in unbestimmten Andeutungen von dem Willen 
Jahve's geredet, dem Israel gehorchen soll und widerstrebt, son- 
dern auch hin und wieder (I 2, 3. H 14, 6. 17, 37) von der ge- 
schriebenen Thora, worin seine Rechte und Satzungen enthalten 
sind — eine Unterscheidung, worin sieb immerhin ein geschicht- 
liches Gefühl auespricht. Das Gesetzbuch aber, das als Massstab 
zu Grunde gelegt wird, ist dasjenige, von dessen Auffindung 
unter Josia in 2. Reg. 22. 23 so ausführlich erzählt wird, das 
Deuteronomium. Darauf führt, wie allseitig anerkannt wird, 
sowohl die Phraseologie des Bearbeiters, als der Geist, in dem 
er richtet und insbesondere diejenigen Volkssünden vei-dammt, 
gegen welche das Deuteronomium und die Beformatiou des Ed- 



1.. 





294 fTesciiuhl. der Tradition, Kap. 7. 

nigs Joaia gerichtet sind. Auch dae einzige wörtliche Citat aus 
dem Buche der Thora, welches vorkommt, ist eben dem Deu- 
teronomium entnommen, 2. Reg. 14, 6. Deut. 24, 16. Dahingegen 
finden sich yon der Unbekanntsohaft mit dem Priestercodex sehr 
deutliche Anzeichen in der Bearbeitung. Nirgend wird zwischen 
Leviten und Priestern ein Unterschied gemacht; von den Aha- 
roniden ist keine Rede. Desgleichen wird durch 1. Reg. 3, 2 
die Vorstellung eines vorsalomonischen Centralheiligtums ausge- 
schlossen. Nur in einem Abschnitt, der im hohen Grade aller- 
hand Correkturen und Interpolationen ausgesetzt gewesen ist, 
in der Beschreibung des Tempels uud der Tempelweihe I 6—8, 
finden eich Spuren der Einwirkung auch des Priestercodex, na- 
mentlich im masorethisehen Texte, weniger in der Septuaginta. 
Was es damit für eine Bewandtnis hat, ist an dem wichtigsten 
Beispiel bereits oben S. 45. 46 dargelegt worden. 

Wenn man darnach in vollem Masse berechtigt ist, die Be- 
arbeitung deuteronopiistiseh zu nennen, so darf man damit doch 
keinen anderen Sinn verbinden als den, dass dieselbe unter dem 
Einfluss des Deuteronomiums entstanden ist, unter dem das ganze 
Jahrhundert des Exils steht. Zwischen deuteronomistisch und 
deuterono misch ist ein nicht bloss zeitlicher sondern auch inhalt- 
licher Unterschied'); das Deuteronomium selber sieht im Cultus 
noch nicht so die Hauptaufgabe Israels und steht noch weit mehr 
innerhalb des Realismus eines wirklichen Volkslebens. Eine be- 
sonders greifbare einzelne Differenz liegt in der Datierungsweise, 
Statt mit ihren althebräischen Namen Ziv Bul Ethanim bezeichnet 
der letzte Verfasser die Monate mit Zahlen, die vom Frühling 
als Jahresanfang ausgehen. Dadurch unterscheidet er sich nicht 
nur von seinen älteren Quellen (16, 37 f. 8,2), sondern auch 
vom Deuteronomium. 

2. Es versteht sieh , dass diese Bearbeitung dem über- 
heferten Stoffe fremd ist und ihm Gewalt anthut. Insbesondere 
ist derselbe durch eine sehr einseitige Auswahl alteriert worden, 
welche von spezifisch religiösen Gesichtspunkten ausgeht. Das 
Interesse für die Propheten mischt sieh darin mit dem Interesse 
fdr den Cultus. Es ist freilich nicht gesagt, dass diese Auswahl 
erst vom letzten Verfasser herrühre, so gut sie auch zu seinem 

') Nach deuteronomi seh, aber i 
2 Sam 7, Iff. 2. Reg. 18, 13 



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Richter Samuehs und KüßiKe 395 

Geschmacke paaet; es war ihm wahrseheinlich in dieser Rieh- 
tung sehou vorgearbeitet. Aber fttr uds ist es weder möglich 
noch wichtig, in dem Sichtungsprocess , den die Überlieferung 
über die Königszeit durchzumachen gehabt hat, verschiedene 
Pliaaen zu unterscheiden. 

An der Spitze des ganzen Buches steht der Tempelbau, fast 
alles WEB von Salomo erzählt wird steht dazu in Beziehung. 
Damit ist zugleich der Gesichtspunkt angegeben, der auch die 
übrige judäische Geschichte beherrscht; sie ist mehr eine Ge- 
schichte des Tempels als des Kelches. Die Geschicke des Heilig- 
tums und seiner Schätze, die den Cultus betreffenden Einrich- 
tungen und Maasregelu der Könige sind' so ziemlich das Einzige, 
worüber wir immer auf dem Laufenden gehalten werden. Auch 
die wenigen ausgeführten Erzählungen {II 11 f. 16. 22 f.) spielen 
im Tempel und drehen sich um den Tempel; nur in II 18f. wiegt 
das prophetische Interesse vor. 

In Bezug auf das Eeich Israel sind die Angaben über den 
Cultus sehr mager und meist ziemlich vage; hier treten die pro- 
phetischen Erzählungen in den Vordergrund, in der Regel solche 
die vom prophetischen Standpunkte aus erzählt sind, oder doch 
solche in denen die Propheten handelnd auftreten. Hie und da 
wird aueb über Berührungen des Nordreiches mit Juda näher 
benohtet: darin äussert sich das judäisebe Interesse der Aus- 
wahl. Das einfach Geschichtliche, das bloss Weltgeschichtliche 
so zu sagen, wird im allerdürftigsten Masse mitgeteilt, häufig 
nur die Aufeinanderfolge der Königsnameni Über König Omri, 
den Gründer der Stadt Samarien und Neubegrltnder des Reichs, 
■ der auch Juda in eine Art freundschaftlicher Abhängigkeit ge- 
bracht zu haben scheint, erfahren wir fast nichts, über Jero- 
beam II, den letzten grossen Herrscher, nicht mehr; in ein paar 
nichtssagenden Versen wird der Zusammenstoss mit den Assyrern 
und der Tall Samariens abgemacht. Zuweilen unterbricht ein 
blitzendes Juwel (II 9. 10) die umgebende Nacht, aber hinterher 
tappen wir wieder im Dunkeln. Die alte Überlieferung ist uns 
nur, s'oweit sie den Späteren von religiösem Werte schien, auf- 
bewahrt worden, sie hat ihren angeborenen Schwerpunkt ver- 
loren und nunmehr eine Haltung angenommen, die sie ursprung- 
lich gewiss nicht hatte. In Juda mag in der That der Tempel 
grösser« Bedeutung gehabt haben als das Reich, aber die Ge- 



1^ 



296 Gegchicbte der Tradition, Kap. 7. 

Bcbichte Israels ist ohne Zweifel nicht bloss und nicht- vorzugs- 
weise Geschichte der Prophetie gewesen. Von den Verlusten, 
die wir zu beklagen haben, muss am stärksten die i 
Überlieferung betrotfen sein. 

Nicht so unersetzlich ist der Schaden, den die Bearbeitung 
durch, ihr positives Eingreifen in den quellenmässigen Stoff ge- 
stiftet bat; doch ist er auch nicht unerheblich. Am besten lässt 
sieh die Veriarbung charakterisieren an den weittragenden Be- 
merkungen, womit die Königsreihe von Israel eröffnet wird. 
„Jerobeam sprach in seinem Herzen: nun wird das Eeieh wieder 
an David fallen; wenn dies Volk hinaufzieht Opfer zu bringen 
im Hause Jahve's zu Jerusalem, so werden die Leute sich im 
Heraen zu ihrem rechten Herrn zurückwenden und mich töten 
und wieder dem Eehabeam von Juda unterthan werden. Da 
beriet sich der König und machte zwei goldene Kälber und 
sprach zu ihnen: hört nun auf nach Jerusalem zu ziehen; siehe 
da deine Götter, Israel, die dich aus Ägypteuland geftlhrt habejt 
Und er stellte eins in Bethel und das andere in Dan auf. Und 
dies gei-iet zur Sünde und das Volk ging wie ein Mann sogar 
bis Dan. Und er machte Höhentempel und nahm Priester mitten 
aus dem Volk, die nicht aus den Söhnen Levi's waren: wen er 
wollte, den stellte er an zum Höhenpriester" (1 12, 26—30. 13, 33). 
Nicht ganz so verkehrt wie in der Chronik, aber doch auch 
anachronistisch genug ist hier zunächst die Anschauungsweise, 
die in den Erwägungen Jerobeams durchschimmert, als sei das 
ephraimitische Königtum sich seines illegitimen Ursprungs be- 
wusst und nur künstlich in seiner Sonderexistenz zu erhalten 
gewesen. Wie man in Wahrheit in dieser Hinsieht in Nord- ' 
Israel gedacht hat, bezeugt der Segen Jakobs und der Segen 
Mosis. Dort heisst Jogeph der Gekrönte seiner Brüder, hier 
wird von ihm gesagt: „sein erstgeborner Stier voll Majestät 
(= dei König) hat Büffelhörner, mit denen er die Völker nieder- 
stösst, d^ sind die Myriaden Ephraims und die Tausende Ma- 
uasse's". Woher auch sonst der Zauber des Namens Ephraim 
als weil er dei Königsstamm (Gen. 37, 8. 9) und der vornehmste 
Repräsentant des stolzen Namens Israel ist! Von Juda aber 
heisst es ebendaselbst: „Höre Jahve die Stimme Juda's und 
bringe ihn zurück zu seinem Volke". Über das Volk, zu dem 
Juda gehört, kann man nicht im Zweifel sein; man wird Graf 



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und Könige, 297 

daiin Recht geben müssen, dass dieser Stamm hier als das ent- 
fremdete Glied angesehen und seine Wiederrereinigung mit dem 
grösseren Keiche sogar als sein eigener Wunsch betrachtet wird 
— was nicht so sonderbar ist, wenn man bedenkt, dass der 
Teil zum Ganzen und nicht das Ganze zum Teile strebt. Erst 
durch lange Erfahrung lernte Juda den Segen einer festen 
Dynastie und Ephraim den Fluch der ewigen Thronwechsel 
kennen. 

Da die Anziehungskraft Juda's für die Bewohner des Nord- 
reichö in dem Cultua des salomonischen Temjrels gesehen wird, 
eo soll Jerobeam ihr vorgebeugt haben, indem er neue Heilig- 
tümer, eine neue Form Jahve zu verehren, und eine neue Art 
des Priestertums geschaffen habe. Das wodurch sieh der alte 
samarische Gottesdienst von dem judäischen Muster unterschied, 
wird fllr absichtliche Neuerung des ersten Königs ausgegeben, 
an dessen Sünde dann die Folgezeit festgehalten habe. Aber 
indem Jerobeam Bethel und Dan zu Eeiebstempeln erhob — 
dass er die Höheuhäuser Überhaupt eingerichtet habe, verdient 
keine Berücksichtigung — , that er weiter nichts als was Salomo 
vor ihm gethan hatte. Nur hatte er dabei festeren Boden unter 
den Füssen als jener, denn Bethel und Dan waren alte Heilig- 
tümer, Jerusalem nicht. Die goldeueii Stierbilder ferner, die er 
aufstellte, unterschieden sich wohl durch ihr Gold aber nicht 
durch ihren Zweck von den Ephoden und anderweitigen Idolen, 
die überall in den Gotteshäusern wohnten, z. B. von der ehernen 
Schlange zu Jerusalem '), Mit Fug und Recht hat schon Eich- 
horn erinnert, dass wenn Elias und Elisa gegen den einge- 
drungenen Dienst des lyrischen Baal eiferten, sie positiv für den 
Jahve von Bethel und Dan eintraten und nicht daran dachten 
gegen dessen bildliehe Darstellung zu protestieren: noeb Arnos _ 
thuLM -flicht, erst Hosea. Was endlich die nichtlevitisehen 
Priester betrifft, die der König angestellt haben soll, so ist dar- 
über schon oben (S. 138 ff.) das Nötige gesagt. 

') „Wenngleich Jerobeam sich in Ägypten aufgehalten hatte, so darf man 
ebensowenig von ihm sagen, dass er den Tierdien't von dorther mitge- 
bfacht, als man Aharons goldenes Kalb für Nachbildung des Apis aus- 
geben darf. Denn das Eigentümliche des ägyptischen Tierdienstes über- 
haupt und Stierdienstes im Besonderen bestand ja dann, dass man 
lebendige Tiere für heilig hielt." Vatke S. 398 Ägyptische Gotter 
können nicht gegen Ägypten helfen Esod. 32, 4. I. Reg 12, 28 



L, 



298 Gesciiiclite der TradKion, Kap 7 

Eine merkwürdige Kritik dieses Urteils über den i 
sehen Gottesdienst wird durch das bald darauf folgende Zuge- 
ständnis geliefert, dass der judäische damals auch nicht anders, 
jedenfalls nicht besser gewesen sei. In dem Berichte über Re- 
habeams Regierung heisst es (I14,22f.): „auch die Judäer er- 
richteten sich Höhen und Malsteine auf jedem hohen Hüget und 
unter jedem grünen Baume, und auch Burerei an geweihter 
Stätte ward getrieben im Lande" — damit wird ein Zustand 
beschrieben, der mit einigen Schwankungen bis gegen das Exil 
hin fortdauerte. -Wenn nun die Norm, nach der Samarien ge- 
richtet wird, auch nicht in Juda Realität besessen hat, so ist 
sie überhaupt im alten Israel nicht zu finden gewesen. Wir 
wissen, es ist das Gesetzbuch Josia's; wir sehen aber, wie die 
'l'hatsaehen darnach nicht bloss beurteilt, sondern auch ge- 
modelt werden. 

Noch ein einzelnes Beispiel ist in dieser Hinsicht erwähnens- 
wert. König Salomo, heisst es, hatte ausser der Tochter Pharao's 
noch yiele ausländische Weiber, aus Moab Amraon und anderen 
Völkern, deren Töchter zu eheliehen Jahve verboten hatte (Deut. 
17, 17}. Und da er alt ward, verführten sie iba zum Dienst 
ihrer Götter, und er baute auf dem Ölberge bei Jerusalem Höhen 
für Kamos von Moab und für Milkom von Ämmon und für die 
Götter der übrigen Weiber. Zur Strafe dafür kündigte ihm Jahve 
an, dass sein Reich nach seinem Tode von ihm gerissen und 
seinem Knechte verliehen werden solle, und weiter erweckte 
er ihm Widersacher in dem Edomiteu Hadad, der Edom befreite, 
und in dem Syrer Rezon ben Eljada, der Damaskus unabhängig 
machte. Zum künftigen Könige der zehn Stämme aber Hess er 
durch den Propheten Ähia von Silo den Ephraimiten Jerobeam 
designieren, der damals die Fronarbeiten des Hauses Josephs bei 
dei Befestigung der Burg Davids beaufsichtigte. So wird 1. Reg. 
11, 1 ff. berichtet Nun hat sieh aber Edom und wie es scheint 
anch Damaskus gleich beim Thronwechsel vom Reiche Davids 
losgerissen (11, 21 f. 25); die Befestigung der Burg, wobei Jero- 
beam durch Ahm zum Aufstand angereizt wurde, föllt zwar später, 
aber auch noch m die erste Hälfte von Salomo's Regierung, da 
sie mit den übrigen Bauten zusammenhängt (9, 15. 24). Da nun 
Salomo All eine Schuld, die er erst im Alter auf sich lud, nicht 
schon in seiner Jugend zum Voraus gestraft worden sein kann. 



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Richter Samnelia und Kümge 299 

80 wideispiicht dieser moraÜBche Pragmatismus der Zeitfolge 
und kann unmöglich dem ursprünglichen Eraähler zugeschrieben 
werden. In der That verrät sieh die deuteronomistische Bearbei- 
tung in 11, 1—13 an jedem Wort. Zur echten Überlieferung gebort 
nur die Erwähnung der vielen Weiber, jedoch ohne den daran 
geknöpften Tadel, und die Angabe über den Bau der Altäre des 
Kamos und Milkom und vielleicht der Astarte aiif dem Olberge, 
wo sie bis auf Josia standen (II 23, 13). Die ursächliche Ver- 
knüpfung beider Thatsachen aber gehört ebenso dem letzen Ver- 
fasser an wie die Verallgemeinerung, dass der König für alle 
unter seinen Weibern vertretenen Nationalitäten Altäre ihrer 
Crötter errichtet habe. 

Freilich wird die Überlieferung im Buche der Könige nicht 
in der Weise in's Gesetzliehe umgediehtet, wie es in der Chronik 
geschiebt. Was noch am meisten an die Chronik erinnert, ist, 
dass von Zeit zu Zeit ein Prophet eingelegt wird, der sieh im 
Geiste des Deuteronomiums und in der Sprache Jeremia's und 
Ezeehiels äussert und dann verseh windet. ') Dadurch wird das 
Gesetz lebendig in die Geschiebte eingeführt, die Propheten er- 
halten es wirksam und wenden es an, nach dem auf Jerem. 7, 25. 
Dent. 18,18 beruhenden Grundsatz 1117,13: „Jahve bezeugte 
ihnen durch alle Propheten und Seber: kehrt um von euren 
bösen Wegen und haltet meine Gebote und Satzungen nach all 
der Thora , die ich euren Vätern befohlen und durch meine 
Knechte, die Propheten, entboten habe". Das krasseste Bei- 
spiel dieser Art, an historischem Unwert mit Jud. 19 — 21 oder 
1. Sam. 7 ff. zu vergleichen aber noch eine Stufe niedriger stehend, 
ist 1. Reg. 13. Ein Mann Gottes aus Juda bedroht hier den 
Altar von Bethel, vor dem gerade König Jerobeam opfert, also: 
Altar Altar, siebe ein Sohn wird dem Hause Davids geboren, 

') \gl kuinen de Profelen (Leiden 1R75) H S 143 Emi, dieser deiitero 
nomi'.tisihen Weissagungen ist oben h 2fe8f mitgeteilt Zum Teil sind 
nie anonym z. B 11 10, 30ff 21, lUff z T alten Namen m den Mund 
gelegt 7 B I 16 1 ff Manchmal hat der Bearbeiter wohl in 'einen 
Quellen Anßnge YOrgefunden, die er dann m seiner Weise ausgefuhrt 
hat so 114, 7ff 21 21 ff 11^ 7ff In diesen Stellen treten iwar die 
deuterOQomisti sehen Gedanken und die jeremianisch ezechiehschen Wen 
düngen (nV"l {v'3D ^JJH) deutlich hervor, aber einzelne Ausdrucke ongi 
nalen Gepräges linden sich eingestrent die dann freilich immer wieder 
kehren, z B JltJJl "il^J? Auch Namen wie Jehu ben Hunam sind gt 
wies eicht fingiert so weit sind wir noch nicht wie in der Chronik —• 
\gl 1. Sam. 2, 27ff 2 Sam 7,1fr 




300 Geschichte der Tradition, Kap. 7, 

mit Namen Josia, der wird die Hohenpriester auf dir opfern, 
die auf dir räuchern, und wird Menschengebeiue auf dir ver- 
brennen. Und zur Gewähr der Richtigkeit dieser, erst nach 
drei Jahrhunderten sich erfüllenden Weissagung gibt er das 
Zeichen, dasa der Altar zerbersten und die Opferasche sieh 
verschütten werde — welches denn auch auf der Stelle ein- 
trifft. Diese Legende gehört indessen nicht eigentlich dem 
Deuteron misten an, sondern ist ein noch späterer Zusatz, wie 
man leicht daraus erkennt, dass der jenem angehörige Satz 
12, 31 erst 13, 33" vollendet wird. Es verdient Beachtung, dass 
in den beiden das 13. Kapitel einleitenden Versen 12, 32 f. das 
LanbhHttenfest dem Piiestercodex gemäss auf den 15. des I.Monats 
fixiert ist. 

3. In den verarbeiteten Quellen lassen sich liier ebenfalls 
noch bedeutende Abstufungen und Schattierungen wahrnehmen. 
Im Buche der Könige begegnen wir zum ersten mal fortlaufenden 
kurze» Daten, die durch ihren streng faktischen Inhalt und ihre 
knappe Form sofort in der Umgebung auffallen und den An- 
sehein gleichzeitiger Aufzeichnungen erwecken. Trotz ihrer 
losen Aufreihung sind sie es eigentlich, worauf unser zusammen- 
hängendes Wissen über die Pei-iode beruht; sie sind auch der 
regelmässige Inhalt des religiös -chronologischen Schema's (z. ß. 
I 14— IQ), wegen ihier lockeren Fügung und neutralen Haltung 
vorzüglich zur Beaiheitung geeignet, die denn auch genugsam 
mit ihren Zuthaten eingegiiffen hat '). Schon bei Salomo be- 
ginnen diese weltvollen Notizen, hier freilich sind sie gegen- 
wärtig staik mit anekdotenhailer Spreu untermischt. Hinterher 
finden sie sich vorzugsweise, ja fast ausschliesslich in der judäi- 
Bchen Eeihe Mehieie bestimmte Zeitangaben lassen auf anna- 
listische Natur schbessen °), man könnte damit auch das charak- 

') Die oben besprochene Stelle 1. Reg. 11, Itf. gibt davon ein gutes Beispiel; 
man erienut sofort ^äen nackten Satz ijl rUD^ IN ans der übrigen in- 
haltlosen TVeitsihneifigkeit heraus Sonst vgl II 16, 3f 18, i 

ä) 5 Rehabearas (I 14, 5), 23 Joas (il 12, 7), U Hizkia's (II 18 13), 18 Jo 
sia'8 (II 22, 3), 4 n U Salomo's (I 6, 37 38) Allerdings kommen diese 
Dat«n zum Teil in ausgeführten judaischen Erzählungen \ot, dio abei im 
nächsten Verhältnis zn den kurzen Notiieii stehen und auf ihnen zu be- 
ruhen scheinen Es läaat sich denken, dass solche bestimmte Zahlen, 
ernst in noch reicherer Fülle vorhanden, die Anhaltspunkte gehefert 
haben fnr eine nngeführe Schätzung der Summen, aus wekhen die sysi« 
matische Chronologie aufgebaut ist Jedenfalls stehen diese Euizeldst^n 



t .„.Lioogic 



Richfer Samueliä und K5mge 301. 

terifitische dazumal in Verbindung bringen, welches häufig 
die kurzen Sätze einleitet und im jetzigen Zusammenhang meist 
beziehungslos iat. In -welchen Kreisen diese Aufzeiohnungeu ge- 
macht sind, läset sich kaum mutmassen. Wenn man sieher 
wäre, dass die heiTOrragende BevlicliBiehtigung des judäischen 
Keichstempels nicht bloss auf späterer Auswahl, sondern auf 
einem ursprünglichen Interesse beruhte, so läge es nahe an die 
jemsalemische Priesterschaft zu denken. Der gut königliche, 
vollkommen oflicielle Ton würde sich damit sehr gut vertragen, 
denn die Sohne Sadoks waren bis auf Josia nichts weiter als 
die gehorsamen Diener der Nachkommen Davids und betrach- 
teten das unbedingte Verfügungsreeht der letzteren über ihr 
Heiligtum als selbstverständlich (11 16, 10 f.. Kap. 12. 22 f.). In- 
dessen wie wir sie haben sind diese Notizen nicht aus den Akten 
selber geschöpft, sondern aus einer sekundären Zusammenstellung, 
vielleicht aus den jedesmal am Sehluss einer Regieiung eitirten 
beiden Chroniken dei Könige von Israel und von Juda, aus 
denen jedenfalls die Reihenfolge der Herrscher entnommen zu 
sein scheint, Dass diese Chroniken nicht mit den urkundlichen 
Anualen gleichgesetzt werden dürfen, leuchtet ein; das Buch 
der Dibre-hajamim muss von den Dibre-hajamim selber unter- 
schieden werden. Ob die Chronik ton Isiael — aus welcher 
beinah nichts mitgefeilt wird — viel fiulier abgefasst ist als 
die (wie es scheint mit Jojakim abschliessende) Chronik von 
Juda, und ob sie und die Chronik .Salomo's (I 11, 41} ein ganz 
selbständiges Werk ist, möchte ich in Zweifel ziehen. 

Die Excerpte aus den Annalen werden unterbrochen durch 
grössere Äusführuugen, die damit zusammengearbeitet und eben- 
falls in das deuteronomistische .Schema aufgenommen sind. 
Unter ihnen sind die judäischen in der Minderzahl, die eamari- 
sehen überwiegen, drängen sieh indessen auf einen ganz kleiqen 
Zeitraum zusammen. Als Beispiel, um die Stimmung und den 
Wechsel der Stimmung auch hier nachzuweisen, wähle ich die 
wundervolle Geschichte Elia's. 

Der Prophet Elias, aus Thisbe in Gilead, tritt vor König 

selber ausserhalb des Systems. Das Gleiche gilt übrigens Toa den Älters- 
angaben der judäischen Kiinige beim Regierungsantritt, die vielleicht auch 
auf die „Annalen" ziimck gehen. Das t« findet sich I 3, 16. 8, 1 12, 
9, 11. II, 7. 16, 21. 22, 50. U 8, 22. 12, 18. 14, 8. 15, 16. 16, 5. 



302 . Goachichte rtei Tradition, Kap 7 

Ahab von Samarien und sprielit: beim Leben Jahve'e des Gottee 
Israels, dem ich diene, es soll diese Jabre nioht tauen noch 
regnen ausser auf mein Wort. Der Anfang der Erzählung ist 
abgebrochen; wir müßsen wissen, dass Ahab auf der Königin 
Izebel Betreiben die Verehrung des tyrischen Baals in Israel 
verbreitet und die Propheten Jahve's zu Hunderten getötet hat 
(18, 13. 22), und dass darum ihn und das Land die Strafe trifft. 
Plötzlich wie er aufgetaucht ist Elias verschwunden. Wir finden 
ihn wieder am Bache Krith der in den Jordan fliesst, dann im 
Lande dee Baal zu Sarepta bei einer Witwe: indem sein Lebens- 
lauf verfolgt wird, kommt zugleich auf einfache und schöne 
Weise die Schwere der Hungersnot zur Empfindung. Inzwischen 
hatte Ahah seine Häscher nach ihm ausgesandt und allen Reichen, 
wohin die vergebliche Suche ging, einen Eid abgenommen, dase 
er nicht zu finden sei. Nun jedoch zwang ihn. die Not an andere 
Dinge zu denken, er seihst mit seinem Reichsverweser musste 
ausziehen um Futter zu suchen für die noch (ihrigen Kriegsrosse 
(Am. 7, 1). In dieser demütigenden Situation ward er von dem 
Geächteten überrascht — er traute seinen Augen nicht. „Bist 
du es, Aufrührer Israels!" „Ich rühre Israel nicht auf, sondern 
du, König, und deines Vaters Haus!" Nach dieser Begrüasung 
forderte Elias den König auf, einen Zweikampf zwischen den 
450 Propheten Baals und ihm, dem einzigen noch übrigen Pro- 
pheten Jahve's, zu veranstalten. Eine Opferprobe vor allem 
Volk fand auf dem Karmel statt; beide Parteien sollten einen 
Stier zubereitet auf den Altar legen, ohne das Holz anzustecken; 
welcher Gott mit Feuer antworten werde, der sei der rechte. 
IKe Baalspropheten, die zuerst an die Keihe kamen, suchten auf 
ihre Weise ihren Gott zu erweichen. Sie schrien und sprangen 
angeberdig, verwundeten sich mit Schwertern und Lanzen bis 
sie mit Blut Übergossen waren, lasten ekstatisch vom Morgen 
Über Mittag bis gegen Abend. Derweil schaute Elias ihnen zu 
und spottete ruft recht laut, denn ei ist ein Gott, er ist wohl 
im Gespiäch oder hat ein Geschalt, oder vielleicht schläft er', 
dasB er aufwache 1 Endlich ging auch er an's Werk, stellte den 
zerstörten Altar Jahve's her, schichtete darauf die Opferstücke 
und liess sie um d^ Wundei zu erhohen zwei drei mal mit 
Wasser übergiessen Dann betete er zu Jah^e — und Feuer 
fiel vom Himmel und verzehrte das Opfer. Das Volk, bis dahin 



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Richter Samuelis und Könige, 303 

geteilten Herzens, trat nun auf die Seite des Eiferers, griff die 
Propheten Baals und schlachtete sie unten am Baßhe. Alsbald 
tränkte ein überraschender Platzregen das Land. 

Dieser Triumph des Elias war nur ein Vorspiel. Wie Izebel 
eH'ohr was geschehen, schwur sie ihm Rache, und er flüchtete 
um sein Leben nach dem judäischen Beerseba, dem Heiligtume 
Isaak». Todmüde setzte er sieh dort unter einem Ginsterbusch 
in der Wüste nieder, und mit der Bitte: es ist genug, nimm 
Jahve meine Seele! schlief er ein. Da ward er von einem 
himmlischen Boten mit wunderbarer Speise gestärkt und auf 
den Berg Gottes Horeb besehieden. Wie er dort nach langer 
Reise angelangt in eine Höhle sich zurückgezogen hat, rausebt 
es an ihm vorüber: Sturm und Beben und Blitze sind Jahye's 
Vorreiter, darnach kommt er selbst im leisen Säuseln hinter 
dem Gewitter. Verhüllten Hauptes tritt Elias aus der Höhle 
und hört eine Stimme fragen was ihm sei. Nachdem er sein 
Herz ausgescbüttet , wird ihm der göttliche Trost zu teil, dass 
seine Sache mit niebten verloren sei, dass die grimmigste Rache, 
deren Vollstrecker er seihst zu berufen habe, über alle Verehrer 
Baals ergeben solle, und dass diejenigen Siebentausend in Israel 
das Feld behaupten werden , die ihre Kniee dem Abgotte nicht 
gebeugt. „Du sollst Hazaet zum Könige über Damaskus salben 
und Jehu ben Nimsi zum Könige über Israel und Elisa ben Sa- 
phat zum Propheten an deiner statt, und wer dem Sehwerte 
Hazaels entrinnt, den wird Jehu, und wer dem Schwerte Jehu's 
entrinnt, den \vird Elisa töten." Der Berieht, wie Elias diese 
Befehle ausgerichtet habe , ist gegenwärtig ausgelassen ; wir 
werden bald sehen aus welchem Grunde, Nur dass er den Elisa 
vom Pfluge weg aufgerufen habe ihm nachzufolgen, wird zum 
Schluss von Kap. 19 gemeldet. Auch von der Erfüllung des Ge- 
richtes über die BaaUverebrer haben wii, in diesei Eizahlungs- 
gruppe, nur die Einleitung Kap 21 Ähab wollte gern einen 
Weinberg haben, der in seiner Lieblingsiesidenz Jezreel neben 
wfem Palaste gelegen war, aber Kabotb, der Besitzer, fand sieh 
nicht beieit ihn zu verkaufen oder zu vertauschen Ärgerlich 
glaubte der König dabei nichts weitei thun zu können, jedoch 
Izebel, die Tynerin, hatte andere Begriffe von Macht und Recht 
und sagte du willst die Herrschaft spielen m Isiael? sei gutes 
Muts, ich veiscbafie dir den Wembergl Sie ßchneb einen Brief 



304 &■ schichte dei Ttadition, Kap 7 

an die- Häupter der Stadt und Hess den Naboth durch feile 
Richter aus dem Wege schaffen. Wie nun Ahab eben hinging 
den verfalleneD. Weinberg in Besitz zu nehmen, stiess der Feind 
auf ihn. Der Prophet Elias , immer im richtigen Moment zur 
Stelle, schleuderte ihm das Wort entgegen: „hast du gemordöt 
und dich auch in Besitz gesetzt? fürwahr an dem Orte, wo die 
Hunde Naboths Blut geleckt haben, werden sie auch deines 
lecken". Damit bricht dieser Bericht ab; was folgt, ist nicht 
die wahre Fortsetzung. 

Zugleich ist hier überhaupt der Faden der Erzählung yon 
Kap. 17 — 19. 21 abgeschnitten, ohne zu dem richtigen Ende ge- 
langt zu sein. Es fehlt der Sieg Jahve's über den Baal, des 
Propheten über den König; -die Gesehiehte Naboths wie gesagt 
leitet denselben nur ein. Der Sache nach sind wir zwar ge- 
nügend darüber unterrichtet, aber der Form nach entsprechen 
die Berichte nicht der Ankündigung in Kap. 19 und 21; sie sind 
anderen Quellen entlehnt. Die Syrerkriege sollen nach 19, 17 
zur Rache an den Baalsverelirern, d. h. vor allem an dem götzen- 
dienerischen Königshauae, bestimmt sein; aber gar nicht nach 
diesem Gesichtspunkte werden sie in Kap. 20. 22. II 7. 9 erzählt. 
Vielmehr behaupteten sieh darnach Ahab und Joram mannhaft 
und ehrenvoll gegen die Übermacht von Damaskus, erst nach 
dei Ausrottung des Baalsdienstes unter Jebu begann die 
unglückliche Wendung; Hazael, der sie herbeifahrte, ward nicht 
schon von Elias, sondern erst von Elisa gesalbt (118, 7 9".)'). 
Auch das Blutbad zu Jezreel, worauf die Drohung I 21, 19 geht, 
muss, um den hteiarisehen Äbschluss zur Geschichte Naboths zu 
bilden, in andeier Weise erzählt sein als es II 9. 10 geschieht. 
Nach 21, 19 soll Ahabs Blut zu Jezreel fliessen, nach II 9, 25 
floss dort seines Sohnes Blut zur Rache für Naboth. Zwar 
wird 21,27^29 die Bemerkung angehängt, da der König auf 
Elia's Drohung m sieh gegangen sei, so habe Jahve nachträg- 
lich dem Piopheten mitgeteilt, er werde dieselbe erst nach seinem 
Tode an seinem Hause ei-füllen — aber wer merkt hier niclff 
die HarmoListikl^) Noch eine Reihe untergeordneter Differenzen 

') Ebenso auth Jehu 119, 1 ff. Dies der Gnmd der oben bemerkten Aus- 
lassung hinter I 19, 18; vgl. Thonius' Commentar. 

*) Trotz 21, 27—29 ist in 22, 38 ein Versuch gemacht die Erfüllung von 
21, 19 an Ahab selber nachzuweisen. Nachdem vorher berichtet, dass 



^i-fe -.'JisKiic.-t < j. , 



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Richter Sanmelis und Könige. 305 

kommen hiu/.u, die beweisen, dase in II 9, 10 nicht auf die Re- 
lation über den Mord Naboths zurückgesellen wird, wie sie I 21 
lautet. Nach II 9, 25. 26 handelt es sich nicht um den Wein- 
berg, sondern um den Ackev Naboths, der eine Strecke vor der 
Stadt lag; mit ihm wurde auch seine Familie hingerichtet; am 
folgenden Tage, als Ahah in Begleitung Jehu's und Ben 
Dekers hinausritt um den Acker einzuziehen, traf ihn das (nicht 
so speciell auf seine Person gemünzte) Wort des Propheten; „für- 
wahr das Blut Naboths und seiner Kinder habe ich gesehen, 
gestern Abend, und zahle dir's beim auf diesem Acker!*' 

Mit Hülfe dieser anderweitigen Berichte, unter denen sieb 
namentlich eine grössere gleichartige Gruppe volkstümlicher Er- 
zählungen (I 20. 22. H 3. 6, 24— 7, 20. 9, 1—10, 27) vorteilhaft 
auszeichnet, lässt sich nun an der Geschichte Elia's eine Kritik' 
üben, welche das für den Entwicklungsgang der Tradition lehr- 
reiclie Ergebnis liefert, dass der Einfluss des gewaltigen Pro- 
pheten auf seine Gegenwart doch viel zu hoch angeschlagen ist. 
Das negative Fundament seiner Bedeutung ist die Verbreitung 
des Baalseultus in Israel: diese zunächst ist nicht wenig über- 
trieben. Von einer Unterdrückung des nationalen Gottesdienstes 
in damaliger Zeit kann keine Rede sein, es ist nichts mit der 
Angabe, dass die Propheten Jalive's damals sämtlich ausgerottet 
seien und Elias allein übrig geblieben. Die Prophetenvereine 
zu, Bethel Jericho und Gilgal haben ungestört fortbestanden, in 
den Syrerkriegen stehen Jabvepropheten dem Ahab zur Seite, 
vor seinem letzten Feldzuge sind ihrer vierhundert in der Haupt- 
stadt versammelt, von denen wenigstens der eine dem Könige 
längst als UnglUcksseher bekannt, aber weder früher erwürgt 
war noch jetzt erwürgt wurde, trotzdem er bei seiner misliebigen 
Art verharrte. Ahab nannte von den Söhnen, die ihm Izebel 
gebar, den einen Ahazjahu Jabve hält und den anderen Jeboram 

die Knechte des in seinem Wagen erächossenen Königs seine Leiche von 
ßamath Oilead nach Samarien gebracht haben um sie dort beizusetzen, 
heisst es 22,38: und sie spalten den Wagen am Teiche von 
Samarien und die Hunde leckten sein Blut und dieHuren ba- 
deten darin, nach dem Worte Jahve's. Auf diese Weise erklärt 
sicb's, wie die Hunde zu Samarien das seit der Schlacht natürlich längst 
eingetrocknete Blut haben lecken können' Leider ist dabei nbersehen, 
dass nach dem Worte Jahve's 21, l't die Hunde nicht zu Samarien, son 
dem zuJezreel, dem Orte Naboths, das Blut Ahabi lecken sollen Der 
Vers 22, 3S ist eme Interpolation, die jndischem bcbtrfsinne Ehre macht 



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306 Geschichte der Tradition, Kap. 7, 

Jahve ist erhaben: er hielt an JaLve ak dem Gotte Israels 
fest, trotzdem er seiner Gemahlin zu lieb der tyrisehen Gottheit 
in Samarien einen Tempel und einen Gottesdienst stiftete. — 
Ist dem nun so, so kann auch EÜa's Kampf gegen den Baal 
damals nicht die Wichtigkeit gehabt haben, die ihm im Lichte 
eines späteren Standpunktes beigelegt wurde. Wirklich merkt 
man in der oben bezeichneten Gruppe volkstümlicher Erzäh- 
lungen nichts von einer religiösen Bewegung, die Israel im 
Inneren zerrissen hätte; das Volk wird ganz durch die Syrer- 
kriege in Anspruch genommen. Die Augen sind auf die Könige 
gerichtet, die ihre Pflicht und Schuldigkeit im Kampfe thun, 
Elias steht im Hintergründe. Ohne viele Worte verrät sieh 
mehrfach die Hochachtung, die Ahab bei Freund und Feind ge- 
"niesst {20, 31. 22, 32. 34 f.); auch Joram und selbst Izebel werden 
durchaus nicht unsympathisch geschildert (II 6, 30. 9, 31), Von 
Jehu dagegen, dem von den Propheten angestifteten Mörder 
des Hauses Ahab, kann man schwerlieh das Gleiche behaupten 
{II 9. 10). 

Thatsache ist allerdings, dass es dem Baalsbass der Pro- 
pheten am Ende gelungen ist die Dynastie Omri's zu stürzen. 
Aber auf welche Weise! Während König Joram durch eine 
Wunde von seinem im Felde stehenden Heere fern gehalten 
ward, ging ein Abgesandter Elisa's in's Lager, rief den Fetd- 
hauptmann von einem Gelage, bei dem er ihn antraf, zu einer 
heimlichen Unterredung ab und salbte ihn zum Könige. Als 
Jehu zu den trinkenden Kameraden zurückkam, fragten ihn die, 
was jener Verrückte gewollt habe, und da er mit ausweichenden 
Antworten nicht auskam, sagte er ihnen die Wahrheit. Sofort 
erhoben sie ihn auf einen improvisierten Thron und liessen ihn 
als König ausposaunen: die Sache leuchtete ihnen ein, um 
, jenen Verrückten" scherten sie sich nicht. Mit einer unerhörten 
Meisterschaft in Verrat und Blutvergiessen rechtfertigte Jehu 
ihr Vertrauen, aber er verliess sieh dabei lediglieh auf die 
Hülfsmittel seines eigenen Mordgenies. Von einer allgemeineren 
Bewegung gegen die Dynastie ward er nicht getragen, das 
Volk, das er misachtete (10,9), stand starr und entsetzt vor 
den Schlag auf Schlag sich folgenden Greueln; noch nach hun- 
dert Jahren war der Schauder über die Blutthat von Jezreel 
lebendig (Hos. 1, 4). Nachdem nun die Krone gewonnen war, 



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Richter Samnelis und Könige, 307 

erwies- der verwegene Spieler den Faratikera seinen Dank und 

schickte den Priestern Jahve's , die er zusammen mit dem 
ganzen königlichen Anhange hingeschlachtet hatte (10, 11), die 
Priester and Verehrer Baals nach. Aus der Weise, wie er sie 
in die Falle lockte (10, 18 ff.), geht hervor, dass niemand bisher 
daran gedacht hatte in ihm den Vorkämpfer Jahve's zu er- 
blicken; offenbar war auch jetzt der Eifer nur ostensibel (10, 15 ff.), 
er kämpfte nicht ftlr eine Idee. Also, das sieht man, der Baal 
ist es niebt gewesen, der das Haus Ahab zu Fall gebracht 
hat, sondern gemeiner Verrat; die Eiferer haben ein recht un- 
heiliges Werkzeug zu ihren Zwecken aufgeboten, von dem sie 
dann selbst als heiliges Mittel zu seinen Zwecken benutzt 
wurden; das Volk zum Sturm gegen den Baal mit fortzureissen 
ist ihnen mit nichten gelungen. Grössere Entrüstung scheint 
die Hinrichtung Naboths hervorgerufen zu haben, ein mora- 
lischer, kein religiöser Frevel. In der Geschichte Elia's selber 
wird augestanden, dass sein Kampf gegen den Baal trotz des 
Opfersieges auf dem Karmel reeultatlos verlaufen und dass erst 
mit jenem Justizmorde eine andere Wendung eingetreten sei. 
Aber nach II 9, 25 ist derselbe doch nicht etwa durch eine all- 
gemeine Erregung, die er hervorrief, so verhängnisvoll ge- 
worden, sondern vielmehr durch den zufälligen Umstand, dass 
Jehu Zeuge des unvergesslichen Auftritts zwischen Ahab und 
Elias war und darum den Propheten zum Vollstrecker der Drohung 
geeignet schien. 

Gewiss ist es richtig, dass diese grandiose Gestalt des Elias 
nicht hätte gezeichnet werden können ohne aus einem ent- 
sprechenden Eindrucke der Wirklichkeit coneipiert zu sein.') Aber 
sie ist zu sehr aus dem historischen Ensemble herausgerissen 
und dadurch io's Kolossale vergrössert. Überhaupt sind in dieser 
Gattung von Erzählungen die Propheten zu stark in den Vorder- 
grund gerückt, als wären sie schon in ihrer Gegenwart die Haupt- 

') Auch ist der üeitliche Abstand des Erzählers von den Sachen, nii-ht allzn- 
grogs. Er ist Nordisraelit, wie sich aus min^b 12 Ü 13, 3 ergibt und 
aus 19, 8 Tgl. mit Deut. I, 2; ein Judäer konnte sich in dei Entfernung 
nicht so leicht und nicht so stark Tergreifen wenn man freilich auch be- 
denken muss, dass der Horeb für diesen Erzähler schwerlich da lag, wo 
wir seine Lage anzunehmen seit Alters gewohnt sind Em Zeichen das 
Alters ist ferner die Unbefangenheit, womit Elias in Israel Baal bekämpft 
und doch im aidonischon Lande auf's freundschaftlichste mit den Baals- 
Verehrern verkehrt (Luk. 4, 25f.). 

30" 



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308 Geschichte der Tradition, Kap. 7. 

macht der israeiitiBchen G-eeehiehte gewesen, als hätte das was 
sie bewegte auch ihre Zeit beherrscht iind ausgefüllt. Das war 
nicht der Fall, für die Zeitgenossen traten sie vor den Königen 
völlig in den Schatten, erst den Späteren wurden sie die Haupt- 
personen, Ihre ideale Bedeutung, wodureb sie mehr auf die Zu- 
kunft als auf die Gegenwart eingewirkt baben, ist ins Reale 
übersetzt worden. In der Zeit Ahabs und Jehu's genossen die 
Nebiim, die sieh damals sehr weit ausgebreitet und in eigenen 
Orden organisiert hatten, keiner grossen Ächtung; durchschnittlich 
waren es armselige Gesellen , die dem Könige aus der Hand 
assen und in leitenden Kreisen wegwerfend behandelt wurden; 
Arnos von Thekoa, der allerdings einer jüngeren Generation an- 
gehörte, fühlte sieb beleidigt mit ihnen zusammengestellt zu wer- 
den, Elias und Elisa ragten nun zwar über ihren Stand hervor; 
aber der erstere, dessen Hände rein geblieben sind, hat wohl 
gelegentlieb durch sein kühnes Wort imponiert, thatsächlich aber 
nichts gegen den König ausgerichtet und auch das Volk keines- 
wegs auf seine Seite gezogen; Elisa dagegen hat wohl etwas 
ausgerichtet, jedoch mit lichtscheuen Mitteln, die eher die Schwäche 
als die Macht des Prophetentums in Israel bezeugen. 

4, Fassen wir zum Sehluss zusammen, was wir auf un- 
serer eklektiseben Wanderung durch die historischen Bücher 
gelernt haben. Was der gewöhnlichen Vorstellung als der spe- 
zifische Charakter der israelitischen Geschichte erscheint und der- 
selben vorzugsweise den Namen der heiligen Geschichte einge- 
tragen hat, beruht zumeist auf nachträglicher Übermaiung des 
ursprünglichen Bildes. Schon früh beginnen die vei'farbenden 
Einflüsse, Dazu rechne ich nicht das Eindringen sagenhafter 
Elemente, die schon in den ersten Anfängen zu denen wir die 
Tradition zurückverfolgen können nicbt fehlen, auch nicht den 
unvermeidlichen Lokalton der mit Tendenz nichts gemein hat. 
Ick denke nur an das gleichförmige Gepräge, welches eine prin- 
cipielle Betrachtungsweise der Gescbichte der Überlieferung auf- 
drückt. Da lässt sieh nun zuvörderst ein religiöser Einfluss 
wahrnehmen, der sieh in den Büchern Samuelis und der Könige 
näher als prophetischer herausstellt. Die Meinung scheint mir 
irrig, dass die Propheten dem hebräischen Volk seine Historie 
überhaupt gegeben haben. Das Lied Jud. 5, allerdings vielleicht 
dae älteste geschichtliche Denkmal im Alten Testament, lässt sich 



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Richter Samueüä und Könige. ' 309 

■ anführen ; denn selbst wenn es wiiklich von Debom 
: wäre, so steht doch die Sehei'in in keinem Zusammen- 
hange mit den Propheten. Am wenigsten werden die Collegien 
der B'ne Nebiim zu Gilgal und an anderen Orten als Pflanz- 
sohulen der Tradition zu betrachten sein; die Produkte, die aus 
diesen Kreisen stammen, verraten einen ziemlich beschränkten 
Gesichtskreis (2. Keg. 2, 1-25. 4, 1—6, 23). Die Propheten 
haben die Überlieferung nicht zuerst geformt, sondern sind mit 
ihrer eigentümlichen Beleuchtung hinterdrein gekommen. Ihr 
Interesse ftlr den geschichtlichen Stoff war nicht so gross dass 
sie sich gedrungen fühlten ihn aufzuzeichnen; sie hauchten ihm 
nur nachträglich ihren Geist ein. 

Aber systematisch überprägt ist die Überlieferung erst, seit- 
dem man einen festeren Stempel hatte als die freien Ideen der 
Propheten, seitdem der Wille Gottes schriftlich formuliert war. 
Da ward man allgemein des Wideretreits inne, welcher zwischen 
dem idealen Anfang, den man jetzt herzustellen strebte wie er 
im Buche stand, und der nachfolgenden Entwickelung klaffte. 
Die alten Volksbücher, die harmlos an den verwerflichsten 
Sitten und Einrichtungen vorübergingen, bedurften einer gründ- 
lichen Aptierung nach der mosaischen Form, um sie für die teue 
Zeit verwertbar, verdaulich und erbaulich zu machen. Nicht 
erst durch die Chronik, im Anfange der griechischen Herrschaft, 
wurden sie demgemäss zusammenhängend überarbeitet, sondera, 
wie wir in diesem Kapitel gesehen haben, schon im babylonischen 
Exil, Aber in einer etwas anderen Weise. In der Chronik wird 
die Vergangenheit auf Grund des Gesetzes umgedichtet; jeweilige 
Übertretungen kommen vor, aber als Ausnahmen von der Regel. 
In den Büchern der Kichter Samuelis und der Könige wird 
die Thatsache des radikalen Abstandes der alten Praxis vom 
Gesetz im ganzeu nicht in Abiede gestellt. In einzelnen Fällen 
zwar wird die Vergangenheit auch hier auf Grund des Ideals 
umgedichtet, in der Kegel aber doch nur verurteilt. Das ist der 
eine Untersehiedi ein anderer kommt hinzu, der ungleich wich- 
tiger ist. In der Chronik ist es der Pentateueh, d, h. vor Allem 
der Priestercodex, nach dessen Muster die Geschichte des 
alten Israels dargestellt wird. In der Quelle der Chronik, in 
■den älteren historischen Büchern, geht die Bearbeitung nicht 
vom Priesteroodex aus, der ihr vielmehr vollkommen unbekannt. 



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310 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

ist, sondern vom Deiiteronoraium. Die Geschichte der Tia- 
dition führt also, was die Iteihenfolge der beiden grossen Ge- 
setzeskörper betrifft, zu dem gleichen Ergebnis wie die Geschichte 
des Cultus. 



Achtes Kapitel. 
Die Erzählung des Hexateuclis. 

In den geschichtlichen BUeheni ist die Foi-m , in der die 
Tradition weiter gebildet worden ist, die Ergänzung und Über- 
arbeitung; doppelte Relationen kommen zwar hier und da yor, 
aber nicht grosse parallele Zusammenhänge neben einander. Im 
Hexateuch haben zwar auch Ergänzungen und Nachtragungen im 
umfangreichsten Masse atattgefanden , aber vorzugsweise bedeu- 
tend ist hier, dass fortlaufende Erzählungsfaden, die für sich selbst 
verstanden werden können und müssen, zu einer doppelten und 
dreifachen Schnur zusammengeflochten sind. Man ist nun wenn 
auch niclit grundsätzlich so doch thatsäehlich geneigt, die for- 
melle Selbständigkeit dieser s. g. Quellenschriften des Hexateuchs 
so zu deuten, als seien dieselben auch materiell unabhängig und 
beziehungslos gegen einander. Dies ist nun von vornherein sehr 
unwahrscheinlich. Wenn selbst bei den Propheten, die doch ihr 
Wort von dem Herrn empfangen hatten, der Nachfolger den 
Vorgänger kennt und auf ihm fusst, wie viel mehr muss dies 
bei Erzählern der Fall sein, die es ausdrücklich mit der Über- 
lieferung zu thun liaben. Mit der mechanischen Zerlegung hat 
die Kritik ihr Werk nicht gethan, sie muss darauf hinaus, die 
ermittelten Einzelschriften in gegenseitige Beziehung zu setzen, sie 
als Phasen eines lebendigen Processes begreiflich und auf diese 
Weise eine stufenmässige Entwiekelung der Tradition verfolgbar 
zu machen. 

Um so dringender liegt diese Aufgabe vor, je auffallender 
.die Einzelechriften nicht bloss im Stoffe, sondern auch in der 



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Die Erzählung des Hexateuchs. gH 

Anordnung der Erzählungen übereinstimmen. Keine Ureage hat 
bekanntlich einen so gesehlosBenen Zusammenhang wie die 
hiblische, so dass es in der That kein Wunder ist, dass sie der 
Kabmen für viele anderen wurde und sie verfärbte. Dieser Zu- 
sammenhang aber ist in allen Hauptzligeü den Quellen gemein- 
sam. Der Prieetercodex läuft in seinem historischen Faden dem 
jehovistisehen GeBchiehtsbuche durchaus parallel. Nur dadurch 
ist es möglich gewesen, diese beiden Schriften so ineinander zu 
schieben, wie sie uns gegenwärtig im Pentateuche vorliegen. 
Dass es dabei nicht ohne alle Eingriffe abgegangen ist, ist we- 
niger üu verwundern, als dass sich dieselben in so engen Grenzen 
haltea und insbesondere die Anlage der beiden Schriften fast 
ganz unangetastet lassen. Das begreift sieb nur aus der weit- 
gehenden Uebereinstimmung derselben in diesem Punkte. Wo 
es sich nun nicht um Geschichte, sondern um Sagen über die 
Vorgeschichte handelt, da kann die Anordnung des Stoffes nicht' 
mit dem Stoffe selber gegeben sein, sondern muss auf dem Plane 
eines Darstellers beruhen; haftet ja doch selbst die Architek- 
tonik der Geschlechterfolge , welche das Gerüst der Genesis 
bildet, nicht etwa an den verwendeten Elementen. Aus dem 
Volksmunde stammen bloss die losen und nur ganz ungefähr auf 
einander bezogenen Erzählungen; ihre Verbindung zu einer festen 
Einheit ist das Werk dichterischer oder schriftstellerischer For- 
mung, Die Übereinstimmung der Quellen im Plane der Erzäh- 
lung ist also nicht selbstverständlich, sondern höchst auffallend 
und nur aus literarischer Abhängigkeit zu erklären. Die Frage, 
wie das Abhängigkeitsverhältnis zu bestimmen ist, drängt sich 
darum weit stärker auf, als wie man gemeiniglich annimmt. *) 

') Uie Übereinstimmung erstreckt sich auch weiter in's Einaelne, bis auf 
die Ausdrüclto. Von mabbul (Snndflut) und theba (Arche) sehe ich 
ab, aber folgende Beispiele haben mich frappiert. In Q Gen. 6, 9 heisst 
Noah gerecht in seinen Geschlechtern, in JE 7, 1 gerecht in 
seinem Geachlechte ^ keine gewohnliehe Redeweise, die den Rabbi- 
nern und Hieronymua Tie! Kopfzerbrechens verursacht. Ebenso Q Gen. 
17,21: der Sohn den dir Sara gebiert um diese Frist im künf- 
tigen Jahr und JE 18, 14; zur selben Frist will ich nächstes 
Jahr wieder zu dir kommen und dann hat Sara einen Sobn. 
Desgleichen Q Exod. 6, 12. 7. 1: (Mose) ich bin nnbeschnittener 
Lippen, (Jahve) siehe ich mache dich zum Gott für Pharao 
und dein Bruder Aharon soll dein Prophet sein verglichen mit 
JE 4, 10, 16: (Mose) ich bin schweren Mondes und schwerer 
Zunge, (Jahve) Aharon soll dir als Mund dienen und du sollst 
ihm für Gott sein. Vgl. Gen. 27, 46 mit 25,22. 



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312 Geschichte rfer Tradition, Kap. 8, 

Es ist indeggen hiev nicht der Ort, eine Geschichte devEilt- 
wickelung der israelitischen Sage zu versuchen. Es soll viel- 
mehr nur der Grund dazu gelegt werden durch eine Vergleiehnng 
der Erzählung des Priestercodex mit der j eh ovisti sehen, wohei 
sich herausstellen wird, dasa Buttmann (Mythologus I S. 122 iF.) 
gegen de Wette (Beiträge II) Recht hat mit der Behauptung, 
dass die jehovistische Gestalt der Sage die ursprünglichere 
sei. ') 

I. 

1. Mit dem Berichte des Priestercodex über die Welt- 
schöpfung beginnt die Bibel. Im Anfang ist das Chaos; Dunkel, 
Wasser, brütender Geist, der lebenzeugend die tote Masse be- 
fruchtet. Der Urstoif enthält unterschiedslos alle Einzelwesen 
in sich, aus ihm geht stufenweise die geordnete Welt heiTOr, 
und zwar durch Entmischung, durch Ausscheidung zunächst dei' 
grossen Elemente. Das chaotische Urdunkel weicht dem Gegen- 
satze von Licht und Finsternis, das Urwasser wird durch das 
Himmelsgewölbe geteilt in das himmlische, woraus die unseren 
Blicken entzogene Welt jenseit des Firmaments eoncresciert, und 
in das irdische; dies letztere endlich wird aus schlammiger 
Mischung zu Meer und Land geschieden, worauf alsbald das 
Land sein grünes Kleid anzieht. Die so entstandenen Elemente, 
Licht Himmel Wasser Land, werden darauf, etwa in der Ordnung 
wie sie geschaffen sind, mit Einzelwesen belebt; dem Licht ent- 
sprechen die Leuchten der Gestirne, dem Wasser die Fische, dem 
Himmel die Vögel des Himmels, dem Lande die übrigen Tiere, 
Der letzte Schöpfungsakt wird bedeutungsvoll hervorgehoben. 
„Und Gott sprach: lasset uns Mensehen machen nach unserem 
Ebenbild, dass sie herrsehen über die Fische des Meeres und 
die Vögel des Himmels und über das Vieh und alles Getier der 
Erde und alles Gekreueh, das auf Erden kriecht. Da schuf 
Gott den Menschen nach seinem Bilde, nach Gottes Bilde schuf 
er ihn, und er schuf sie männlich und weiblich. Und Gott seg- 
nete sie und sprach: seid fruchtbar und mehret euch und füllet 
die Erde und machet sie euch unterthan, und herrschet über die 
Fische des Meeres und die Vö"-el des Himmels und alles Getier 

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DiG Eriäliiung des Hexateuciis. 313 

das auf Erden wimmelt. Und Gott sprach; siehe ich gebe ench 
alle samentragenden Gräser auf der ganzen Erde und alle Bäume 
mit Samenfrüchten, dass sie euch zur Nahrung dienen; allen 
Tieren der Erde aber und allen Vögeln des Himmels und allem 
Gekreuch auf Erden, worin eine lebendige Seele ist, gebe ich 
das grüne Kraut zur Nahrung." So ward Himmel und Erde ge- 
schaffen und all ihr Heer, und Gott Tollendete sein Werk am 
siebenten Tage und segnete den siebenten Tag und heiligte ihn 
(Gen. 1, 1-2, 4-). 

Es geht die Rede, diese Erzählung verfolge nur fromme 
Zwecke. Gewiss verleugnet sich der Israelit darin nicht; der 
religiöse Geist womit sie durchdrungen ist tritt sogar gelegent- 
lich in Widerspruch zu der Natur ihres Stoffs. Das Chaos ist 
seinem Begriffe nach die unerschaffene Materie, es ist ein merk- 
würdiger Gedanke, dass es hier im Anfang von Gott geschaffen 
wird. Vom Geist bebrütet ist es ferner angelegt auf Entwieke- 
lung aus sieh heraus, und darin dass die Schöpfung Überall als 
Scheidung des im Chaos schon gemischt Vorhandenen dargestellt 
wird, verrät sich noch jetzt die ursprüngliche Anlage; doch in 
der hebräischen Erzählung ist der immanente Geist dem ti^ans- 
cendenten Gott gewichen und das Evolutionsprincip zurückge- 
drängt durch das befehlende SehÖpferwort. Dennoch ist das 
Interesse des Erzählers nicht hauptsächlich ein religiöses. Hätte 
er bloss sagen wollen, Gott habe die Welt aus Nichts geschaffen 
und er habe sie gut geschaffen, so hätte er das einfacher aus- 
drucken können und zugleich deutlicher. Er will ohne Zweifel 
den thatsächlieheu Hergang der Entstehung der Welt naturgetreu 
schildern, er will eine kosmogonische Theorie geben. Wer das 
leugnet, verwechselt den Wert der Geschichte für uns und die 
Absicht des Schriftstellers, Während unsere religiösen Vor- 
stellungen den seinigen conform sind oder conform zu sein 
scheinen, haben wir über das Werden der Welt andere Begriffe, 
weil wir über die Welt selber andere Begriffe haben, im Himmel 
kein Gewölbe, in den Sternen keine Leuchten und in der Erde 
nicht das Fundament des Alls erblicken. Aber das darf uns 
nicht abhalten, das theoretische Streben des Verfassers von 
Gen, 1 anzuerkennen. Er sucht die Dinge so wie sie jetzt sind 
aus einander abzuleiten; er fragt sich, wie sie wohl allmählich 
aus dem Urstoff heiTOrgegangen sein mögen, und hat dabei 



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314 Geschieht« der Tradition, Kap. 8. 

ttberall nicht eine mythische Welt, sondern die gegenwärtige 
gewöhnliche vor Augen. 

Die blasse Farbe, welche ähnliehen Erzeugnissen der ältesten 
nicht mythischen Naturerklärung eigen zu sein pflegt, ist auch 
für Gen. 1 charakteristisch. Zwar ist man gewohnt, dies erste 
Blatt der Bibel in all dem Zauber zu sehen, den die Vereini- 
gung hohen Altertums gediegenen Inhalts und kindlicher Form 
zu geben vermag. Es wäre yergeblioh, die erhabene Ruhe und 
die einförmige Grösse zu leugnen, die der Erzählung ihren Typus 
gibt. Unvergleichlich vor allem ist der Anfang: „die Welt w.ar 
ein wüster Wirrwarr und FinsterniB lag auf der Flut und der 
Geist Gottes brütete auf dem Wasser, da sprach Gott: werde 
Licht! und es ward Licht". Nimmt man aber das Chaos als 
gegeben, so ist von hier aus das Ganze entsponnen; alles Fol- 
gende ist Reflexion, systematische Construetion, der man mit 
leichter Mühe nachrechnen kann. Es sind sehr einfache Erwä- 
gungen, welche dazu führen, erst das Grosse und dann das 
Kleine, erst das Fundament und dann das darauf Befindliche 
entstehen zu lassen, das Wasser ror den Fischen, den Himmel 
vor den Vögeln des Himmels, das Land und die Pflanzen vor 
den Tieren. Die Anordnung der zu erklärenden Dinge gilt hier 
für die Erklärung selbst, über eine vom Einfachen zum Ent- 
wickelten fortschreitende Keihenfolge kommt es nicht hinaus, 
kein Versuch der Phantasie, den Hergang näher zu hesohreiben, 
überall bedächtige Überlegung, die sich scheut über das Allge- 
meinste hinauszugehen. Es wird eigentlich bloss das Facbwerk 
der Schöpfung gegeben, das aber unausgefüllt bleibt. Daber 
auch die Form des Ganzen, die durch ein Referat nicht wieder- 
zugeben ist; das Schema überwuchert den Inhalt, statt anschau- 
licher Schilderungen bekommen wir logische Definitionen zu 
hören. Es ist die stufenmässige Ordnung in der Ausscheidung der 
Einzeldinge aus dem Chaos, womit hier das Erwachen einer „natür- 
lichen" Betrachtung der Natur und eines verständigen Nachden- 
kens über sie sieh ankündigt, ebenso wie in den Versuchen des 
'ITiales und seiner Nachfolger, die auch als Anfänge der Theorie 
und eines objectiven Interesses für die Dinge der Aussenwelt 
merkwürdig sind, sonst aber nicht eben Begeisterung erregen. ') 

') pEa ist eigentlieli gar niehta da das den Nameii der Ei-findung verdiente 
, als die Zeitfolge der einzelnen Schöpfungen." Buttmann a. 0. S. 133. 



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Die Erzälilung des Hexafeuchs. 315 

Deu ersten Satz des jehovistischen Berichtes über den An- 
fang der Weltgeschichte hat der Redaktor abgeschnitten. [Es 
war Alles trockene Wüste], als Jahve die Erde bildete, es gab 
noch kein Gewächs auf dem Felde und nirgends spross das 
Grün, denn Jahve hatte noch nicht regnen lassen auf die Erde 
und kein Mensch war da den Acker zu bauen. Ein Nebel (?) 
aber entstieg dem Boden, der tränkte die Fläche des Ackers. 
Und Jahve bildete den Menschen aus Staube vom Acker und 
hauchte ihm Lebensodem in die Nase. Dann pflanzte er einen 
Garten im Lande Eden fern im Osten, an der Stelle, wo die 
vier Hauptflusse der Erde ans gemeinsamem Ursprünge sich 
teilen; da wachsen unter anderen schönen Bäumen der Baum 
des Lebens und der Erkenntnis, In diesen Garten setzte Jahve 
den Menschen, ihn zu hauen und zu pflegen und zu essen von 
allen Bäumen: nur die Frucht des Baumes der Erkenntnis ver- 
bot er ihm. Mutterseelenallein aber ist der Mensch in seinem 
Garten, er muss Gesellschaft haben die für ihn passt. Also 
bildet Jahve jetzt erst die Tiere, ob der Mensch vielleiebt mit 
ihnen verkehren und sich befreunden könne. Er führt sie ihm 
nach einander vor, zu sehen, welchen Eindruck sie machen, wie 
der Mensch sie nennen würde. Er nennt sie beim rechten Na- 
men, Ochs Esel Bär, gibt also der Empfindung Ausdruck, dass 
er nichts Verwandtes finde, und Jahve muss anderen Rat schaffen. 
Da bildet er das Weib aus der Kippe des schlafenden Mannes 
und lässt ihn erwachen. Der vergeblichen Experimente mit den 
Tieren wie überdrüssig ruft der Mensch nun entzückt beim An- 
blick des Weibes aus: das ist doch einmal Fleisch von meinem 
Fleisch und Bein von meinem Bein, die kann man Männin 
heissen. — Damit ist der Schauplatz gemalt, die auftretenden 
Personen eingeführt, eine Handlung insgeheim vorbereitet: nun 
spielt sich die Tragödie ab, die mit der Vertreibung des Men- 
schen aus dem Garten endigt. Von der Schlange verführt streckt 
der Mensch die Hand aus nach dem verbotenen Gute um zu 
werden wie Gott, und isst vom Baume der Erkenntnis. Der 
Anfang der Bekleidung, die erste Stufe der Civilisation, ist die 
nächste Folge davon; traurigere schliessen sich alsbald an. Am 
Abend hören der Mensch und sein Weib Jahve im Garten sich 
ergehen, sie verstecken sich vor ihm und verraten sich eben da- 
durch. An Leugnung der That ist nicht mehr zu denken, und . 



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316 Geschithtö dpr Tradilmii, Kap 8 

indem jeder die Schuld auf den anderen wälzt, geben sich die 
Beteiligten nach einander seiher an. Der Eiehtersprach be- 
Bchlieset die Untersueliung. Die Schlange soll auf dem Bauche 
kriechen, Stauh fressen, und im ungleleheD Kampfe mit dem 
Mensehen zu Grunde gehen. Das Weib soll mit Schmerzen viele 
Kinder gebären und nach dem Manne sieh sehnen, der doch ihr 
Tyrann sein wird. Der Hauptflueh trifft den Mensehen d. h. den 
Mann. „Verflucht sei der Aeker um deinetwillen, mit Qual sollst 
du dich davon nähren dein Lebetag. Dorn und Distel wird er 
dir tragen und sollst das Gras des Feldes essen, bis du zum 
Aeker zurückkehrst, davon du hergenommen bist; denn Staub 
bist du und Staub wirst du wieder," Nachdem so das Urteil 
gesprochen, bereitet Jahve die Mensehen für ihre künftigen Le- 
bensverhältnisse dadurch vor, dass er ihnen Röcke aus Fellen 
macht .und anzieht. „Siebe — wendet er sich dann aii seine 
himmlische Umgebung — , siehe der Mensch ist geworden wie 
unser ein zu erkennen Gut und Böse: nun dass er seine Hand 
nicht ausstrecke und nehme auch vom Baume des Lebens und 
esse und lebe ewiglich." Mit diesen Worten vertreibt er den 
Mensohen aus dem Paradiese und lagert davor die Cherube und 
das flammende Wandelsehwert, zu bewahren den Weg zum Baum 
des Lebens (Gen. 2, 4"— 3, 24). 

Die schwermütigste Betrachtung des Lehens, wie es gegen- 
wärtig ist, liegt dieser Erzählung ku Grunde. Eitel Not und Ar- 
beit, ein Frondienst sind des Mensehen Tage, aussichtsloser Fron- 
dienst, denn der Lohn ist, dass man wieder zur Erde wird, davon 
man hergenommen. An ein Leben nach dem Tode kein Gedanke; 
als eine verscherzte Möglichkeit gilt das Leben ohne Tod — 
jetzt wehrt der Cherub den Zugang zum Baume des Lebens, 
von dem der Mensch im Paradies hätte essen können aber nicht 
gegessen hat. Dies gegenwältige r>de Erdenlos ist das eigent- 
liche Problem der Erzählung. Es wird empfunden als klafi'en- 
der Widerspruch gegen unsere wahre Bestimmung, es kann nicht 
das Ursprüngliche sein. Es ist vielmehr Verkehrung des Ur- 
sprünglichen, die Htrafe einer uralten Schuld lastet darin auf uns 
allen. Zuerst fUhrte der Mensch im vertrauten Umgange mit Jahve 
ein glückliches und menschenwürdiges Dasein im Paradiese: 
das verbotene Streben nach der Erkenntnis von Gut und Böse 
bat ihn daraus vertrieben und all das Elend ttber ihn gebracht. 



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Die Erzählung des Hexateucha. 317 

Was ist die Erkenntnis ron Gut und Böse? Die Ausleger 
sagen, es sei das Vermögen der sittlichen Unterscheidung, also 
das Gewissen. Demgemäss nehmen sie an, der Mensch im Para- 
diese sei moralisch indifferent gewesen, in einem Zustande, der 
ein bewusstes Handeln ausschloss und weder gut noch böse zu 
nennen war. Da nun ein solcher Zustand kein Ideal ist, so 
finden die einen, durch den Sflndenfall sei mehr gewonnen als 
verloren, und die anderen gestehen, es könne nicht die göttliche 
Absicht gewesen sein, den Mensehen immer auf dieser Stufe kind- 
licher Unzuveehnungeßhigkeit zurückzuhalten, und auch der Er- 
zähler könne das nicht meinen. 

Aber es ist deutlich, der Erzäbler redet nicht von relativem 
sondern von absolutem Verbot der Erkenntnis; er meint sie stehe 
nur Gott zu, und wenn der Mensch die Hand darnach ausstrecke, 
so überschreite er seine Sehranken und wolle werden wie Gott, 
Auf der anderen Seite kann er allerdings nicht meinen, das Ge- 
wissen sei ein sehr zweifelhaftes Gut, dessen Besitz zu beklagen, 
sei etwas, was Gott dem Mensehen eigentlich versagt und nur 
sich selber vorbehalten habe. Die Erkenntnis kann nicht die 
sittliche sein. Was soll es heissen, dass Gott allein den Unter- 
schied zwischen Gut und Böse kennen und den Mensehen dies 
Wissen versagen will? Dttrfte man doch meinen, das Gewissen 
sei eher etwas spezifisch Menschliches. Was soll es ferner 
heissen, dass Adam und Eva so neugierig sind zu erfahren was 
Sünde und Tugend sei? Darauf ist niemand neugierig und nie 
entsteht die Sünde auf dem Wege des ethischen Experiments, 
dadurch, dass man gerne wissen möchte was sie eigentlich sei. 
Offenbar wird ^oeh auch vorausgesetzt, dass die Menschen im 
Paradiese wussten, dass der Gehorsam gegen Jahre gut, der 
Ungehorsam böse sei. Es widerspiicht endlich der gemeinsamen 
Tradition aller Völker, sich den eisten Menschen als eine Art 
Tier vorzustellen; nur hinsichtlich der äusseren Cultur wird er 
unentwickelt gedacht. Vielmehr die Erkenntnis, die hier ver- 
boten ist, ist die eigentliche, die allgemeine Erkenntnis, das 
Klugwerden wie es hinterdrein genannt wird. Das ist's, was 
nach des Verfassers Meinung über die Schranken unserer Natur 
hinausgeht; das Geheimnis der Dinge, das Geheimnis der Welt 
zu ergründen, Gott gleichsam in die Karten zu gucken, wie er 
es bei seinem lebendigen Wirken anfängt, um es etwa ihm ab- 



Gut^lc 



318 GesKhichle der Tradition, Kap. 8. 

zuBehen und uaehzumacheu. Denn Wissen ist der alten Welt 
zugleieb auch Können, keine blosse Metaphysik, Dieses Er- 
kennen im höchsten Sinne steht nur Gott zu, der im seliöpfe- 
rischen Mittelpunkt der Dinge stehend das Ganze durchdringt 
und überschaut, und ist dem Mensehen, der sich am Einzelnen 
abquält, verschlossen. Und dennoch hat das verbotene Gut den 
gröesten Reiz für ihn, er brennt darauf es zu erlangen, und statt 
in Vertrauen und Ehrfurcht zu resignieren, versucht er das ihm 
neidisch vorenthaltene 'Kleinod zu rauben und dadurch Gott 
gleich zu werden — sich zum Sehaden. 

Diese Erklärung ist nicht neu, es ist die alte und populäre, 
darum auch von Goethe im Faust befolgte. Ein Einwand freiüeh 
erhebt sich dagegen: es steht doch da nicht bloss die Erkenntnis, 
sondeiTi die Erkenntnis von Gut und Böse? Aber im Hebräischen 
bedeutet Gut und Böse zunächst immer nur heilsam und schädlich; 
auf Tugend und Sftnde werden die Ausdrücke nur übertragen, so- 
fern deren Wirkung frommt oder schadet. Mit Gut und Böse, wie 
es in Gen. 2. 3 gemeint ist, ist keine Entgegensetzung der Hand- 
lungen nach ihren sittlichen unterschieden beabsichtigt, sondern 
eine Zusammenfassung der Dinge nach ihren zwei polaren Eigen- 
schaften, wonach sie den Menschen interessieren , ihm nützen 
oder schaden: denn, wie gesagt, nicht was die Dinge metaphy- 
sisch sind, sondern wozu sie gut sind, will er wissen. ') Neben 
dem ausführlichen Ausdruck kommt übrigens auch der einfache 
vor, Erkenntnis schlechthin (3, 6), und zu beachten ist noch das, 
dass es nicht heisst: erkennen das Gute und das Böse, sondern: 
erkennen Gutes und Böses. 

Wir müssen nun aber weiter diese Erkenntnis nicht indivi- 
duell, sondern geschichtlich auffassen', es ist das gemeint, was 
wir Kultur zu nennen pflegen. Wie das Menschengeschlecht in 
der Kultur vorwärts schreitet, schreitet es in der Gottesfurcht 
rückwärts. Die erste Stufe der Civilisation ist die Bekleidung; 
hier ist sie die nächste Folge des Sündenfalls. Unsere Erzählung 
setzt sieh fort in Kap. 4: Adams Söhne fangen an Städte zu 
gi-ünden, Jubal ist der erste Musiker, Kain erfindet die älteste 
und die wichtigste Kunst( das Schmieden — das Sehwert ent- 
steht dadurch und die blutige Rache. Weiter schiiesst sich in 

00- Hamasa 292, 8. 9- 



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Die Erzählung des Heiateuths. 319 

der gleichen EichtuDg die Geschichte von der Stadt und dem 
Turme zu Bahel an, worin die Gründung der grossen Weltreiche 
und Weltstädte vorgeführt wird, die die Menschenkraft zusammen- 
fassen und damit bis zum Himmel vordringen wollen. In dem 
allen entwickelt sieh die Emaneipation des Mensehen weiter, mit 
der steigenden Civilisation steigt die Entfremdung von dem höch- 
sten Gute; und ^ das ist offenbar die stillschweigende Mei- 
nung — zum Ziel gelangt der unruhige Forfsehritt doch nicht, 
es ist eine Sisyphusarbeit, der ewig unvollendete babylonieche 
Turm ist das richtige Symbol dafür. Es ist das sehnsüeUtige 
Lied, das durch alle Völker geht. Zu gesehichtlieher Kultur 
gelangt empfinden sie den Wert der Güter, die sie dagegen auf- 
geopfert. ') 

Es war nötig so ausführlich den Begriff der Erkenntnis zu 
erörtern, weil das Misverständnis def Philosophen und Theo- 
logen einen Schein des Modernen über unsere Gesehiehte ge- 
worfen hat, welcher auf das Urteil über ihr relatives Alter nicht 
ohne Einfluss gewesen ist. Nachdem zunächst dieser Schein be- 
seitigt ist, wenden wir uns denjenigen Zügen von Gen. 2. 3 zu, 
welche positiv bei der Bestimmung des Verhältnisses zu Gen. 1 
in die Wagschale fallen. 

Was man von Gen. 1 mit Unrecht behauptet hat, das 
ist wahr von Gen. 2. 3; die jehovistisehe Erzählung glänzt in 
der That durch das Abwesen jegliches rationellen Erklärungs- 
strehens, durch die Verachtung jeglicher kosmologischen Spe- 
kulation. Die Erde wird zu Anfang nicht feucht und bildsam, 
sondern (wie lob. 38, 8} hart und trocken gedacht; es muss erst 
regnen, damit die Wüste in eine grüne Wiese verwandelt wird, 
wie noch jetzt alle Jahr durch die Frühlingssehauer; der Acker be- 
darf obendrein der Bestellung durch den Menschen ^ damit die 
Saat spriesst. Auf eine natürliche Eeihenfolge der Akte wird 
gar nicht Bedacht genommen; das bedürftigste Wesen, der Mann, 
entsteht zuerst und sieht sich auf die kahle Welt angewiesen, 
ohne Baum und Strauch, ohne Tiere, ohne das Weib. Unver- 
holen ist der Mensch der ausschliessliche Gegenstand des Inter- 
esses, die übrigen Wesen werden erklärt durch ihre Bedeutung 
für ihn, als ob sie nur darin ihr Existenzrecht hesässen. Die 
Idee erklärt den Stoff, nach der mechanischen Möglichkeit wird 
') Dillmann findet diesen Gedanken schal, Genesis (1882) S. 44. 



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320 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

man nicht versucht zu fragen. Es ist der Abgrund der Ge- 
scUinacklosigkeit, wenn dieser oder jener Gelehrte wegen Gen. 
2, 21 seine Bippen nachzählt, oder auch sehlieest, der m-sprüng- 
liche Mensch sei Mann und Weib zusammen gewesen. 

Stehen wir bei dem ersten Bericht in den Anfängen nüch- 
ternen Nachdenkens über die Natur, so hei dem zweiten auf 
dem wunderbaren Boden des Mythus. Woher zu jenem der 
Stoff kam, fragen wir nicht; die allgemeine Betrachtung der 
Dinge selber hat ihn geliefert. Aber zu diesem hat nicht die 
Reflexion den Stoff gegeben — wenigstens so weit die Natur- 
ansicht in Frage kommt, um die es sieh uns hier zunächst han- 
delt — sondern die farbenreiche Überlieferung der alten v.order- 
asiatischen Welt. Wir befinden uns hier in dem Zaubergarten 
der Vorstellungen des echten Altertums, der frische antike Erd- 
geruch weht uns entgegen. Die Hebräer atmeten in der Luft 
die sie umgab; was sie sich am Jordan erzählten vom Lande 
Eden und vom Sündenfall, ■ das erzählte man sich ganz ähnlich 
am Euphrat und Tigris, am Oxus und Arius. Das wahre Land 
der Erde, wo die Gottheit wohnt, das ist Eden. Es ist nicht 
etwa nach dem Siindenfall entvUckt, sondern noch heute vor- 
handen; warum wären sonst die Cheruhe nötig den Eingang zu 
wahren? Es sind wirkliche Flüsse, die von dort ausgehen, dem 
Erzähler nach den Ländera, durch die sie fliessen, nach den Pro- 
dukten, die von dort kommen, sämtlich wohlbekannt, drei 
davon auch uns nicht fi-erad, der Nil der Euphrat und der 
Tigris. Wüssten wir, wie der Verfasser sich den Lauf der vier 
Flüsse denkt, so wäre es leicht zu sagen, wo ihr gemeinschaft- 
lieher Ursprung ist, wo also das Paradies liegt. Ahnlich be- 
stimmen andere alte Völker die Lage ihres heiligen Landes; die 
Ströme heissen bei ihnen anders, aber die Namen thun nichts 
zur Sache. Auch an die beiden Wunderbäume im Garten zu 
Eden finden sich vielfache Anklänge, bis hinein in die germa- 
nische Mythologie. Eheoso ist der Glaube au die Cheruhe die 
das Paradies baten, weit verbreitet. Krub ist vielleicht der 
selbe Name und gewiss die selbe Vorstellung wie Gryp im Grie- 
chischen und Greif im Deutschen; überall sind diese wunderbar 
aus Löwe Adler und Mensch zusammengesetzten Wesen Wächter 
des Göttlichen und des Heiligen, dann auch des Goldes und der 
Sehätze. Ein wenig von seiner ursprünglieheu Farbe scheint 



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Die ErzihluJjg des Hexatencbs. 321 

allerdings dev Stoff unserer Erzählung unter dem Einfiues des 
Monotheismus eingebüsst zu haben. Das hebräische Volk er- 
zählte wohl nicht bloss vom Baume des Lebens, sondern nach 
der Ortsbestimmung in der Mitte des Gartens scheint es, er 
habe am Ausgangspunkt der vier Ströme geständen, an der 
Quelle des Lebens, die im Glauben des Orients so grosse Be- 
deutung hatte und die zu suchen Alexander auezog. Gewiss 
war ferner das Paradies ursprünglich nicht für den Menschen 
gepflanzt, sondern es war die Wohnung der Gottheit selbst. 
Spuren davon sind noch erkennbar. Jahve fährt hier nicht vom 
Himmel hernieder, sondern lustwandelt Abends im Garten als 
ob er da zu Hause wäre: im Ganzen ist aber doch der Gottes- 
gavten etwas naturalisiert. Eine ähnliche Absehwächung des 
Mythischen hat bei der Schlange stattgefunden ; man merkt nicht 
mehr recht, dass sie ein Dämon ist. Doch ist durch die Ab- 
streifung des Fremdartigen an Gehalt nichts verloren, an edler 
Einfalt nur gewonnen. Der mythische Hintergrund gibt der Er- 
zählung ihren leuchtenden Schimmer, wir fühlen uns in der gol- 
denen Zeit, wo noch der Himmel auf Erden war: dabei ist doch 
der unverständliche Zauber gemieden und nirgends die Grenze 
eines keuschen Helldunkels überschritten. 

Bekanntlich hat das Sechatagewerk grundlegende Bedeutung 
flir die Entwickelung der Kosmologie und der Geologie gehabt. 
Es ist kein Zufall, dass die Naturwissenschaft nicht an Gen. 2. 
und 3 angeknüpft hat: Natur gibt es da kaum. Aber die Poesie hat 
es zu allen Zeiten mit der Geschichte vom Paradiese gehalten. 
Ob nun in der Betrachtung der Welt die mythische Poesie oder 
die verständige Prosa älter sei, braucht nicht mehr gefragt und 
nicht mehr entschieden zu werden. 

Mit den aufgeklärten Vorstellungen über die Natur, die wir 
in Gen, 1 antreffen, hängt der „geläuterte" Gottesbegriff eng zu- 
sammen. Das Wichtigste ist, dass es hier ein eigenes Wort 
gibt, um lediglich die göttliche Sehöpferthätigkeit zu bezeichnen 
und sie dadurch aus der Ähnlichkeit menschlichen Thuns und 
Bildens herauszuheben, ein Wort, das in so exclusiver Bedeutung 
weder im Griechischen, noch im Lateinischen oder im Deutschen 
wiederzugeben ist. In einem jugendliehen Volke ist eine solche 
theologische Abstraction unerhört, wir finden denn auch hei den 
Hebräern Wort und Begriff erst seit dem babylonischen Exil 



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322 Gescbichfe der Tradition, Kap. 8, 

mehr und mehr gebräuchlich werden: parallel mit der Hervor- 
hebung der Schöpferallmaeht Jahve's in Bezug auf die Natur, 
die beinah plötzlich in der exilischen Literatur auftritt, im Buche 
lob einen grossen Raum einnimmt und in Isa. 40—66 vielfach 
in lyrischen Intermezzi eingestreut wird. In Gen. 2. 3 ist nicht 
die Natur, sondern der Mensch der Anfang der Welt und der 
Geschichte; ob da überhaupt eine Schöpfung aus Nichts ange- 
nommen wird, ist eine Frage, deren Bejahung nur wegen der 
Verstümmelung des Anfangs (vor 2, 4'') nicht ganz unmöglich 
ist. Jedenfalls regt hier nicht der Befehl des Schöpfers die Dinge 
an, dass sie sich aus dem allgemeinen Chaos zu besonderen 
Arten entwickeln, sondern Jahve legt überall selber Hand an 
und setzt dabei das Bestehen der Welt im grossen und ganzen 
voraus. Er pflanzt und wässert den Garten, er formt den Men- 
schen und haucht ihm den Atem in die Nase, er baut das Weib 
aus des Mannes Rippe, nachdem er vorher in dem Streben ihm 
Gesellseliaft zu verschaffen nicht das Rechte getroffen : die Tiere 
sind lebendige Zeugen seiner mislungenen Experimente. Auch 
sonst veifäbrt er wie ein Mensch. Er geht Abends wie es kühl 
wird im Garten spazieren, dabei entdeckt er zufällig die Über- 
tretung und führt eine Untersuchung, in welcher er von seiner 
Allwissenheit nicht den mindesten Gehrauch macht. Uud wenn 
er sagt: „siehe der Mensch ist geworden wie unser ein zu er- , 
kennen Gut uud Böse: und nun — dass er seine Hand nicht 
ausstrecke und nehme auch vom Baume des Lebens und esse 
und lebe ewiglich", so ist das eben so wenig Ironie als wenn 
er in Anlass des Baues von Babel äussert: „siehe ein Volk und 
alle haben sie eine Sprache, und dies ist nur der Anfang ihres 
Tbuns, und nun — es wird ihnen nichts zu schwer sein was sie 
sieh unterfangen; auf lasst uns hei-niederfahreu und ihre Sprache 
verwirren!" Dass mit alle dem gleichwohl der Majestät Jabve's 
nichts vergeben wird, ist das Geheimnis des Geistes. Wie würde 
sieb der blasse Gott der Abatractiou hier ausnehmen! 

Was endlich den Mikrokosmus betritft, so spiegelt sich in 
dessen Auffassung der allgemeine Unterschied wider. In Kap. 1 
wird dem Menschen von Anfang an der Boden zugewiesen auf 
dem ei sieh noch gegenwärtig bewegt: „füllet die Erde und 
machet sie euch unterthan" — die Aufgabe ist eine völlig na- 
türliche In Kap 2. 3 wird er in's Paradies gesetzt und hat 



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Die Erzählung des Hexateuchs. 323 

darin, vom Muttersehoss der Gottheit gleichsam noch umfangen, 
einen sehr beschränkten Wirkungskreis — seine gegenwärtigen 
Lebensyerhältnisse, die Feldarbeit des Mannes, das Kindergebären 
des Weibes, entsprechen nicht seiner ursprünglichen Bestimmung, 
sind kein Segen, sondern ein Flueh. In der jehovistisehen Er- 
zählung ist der Mensch sieh selbst so wunderbar wie die Aussen- 
welt, in der anderen ist er sieh selbst so alltäglich wie jene. ■ 
Dort sieht er staunenswerte Geheimnisse in der Geschleehtsver- 
sehiedenheit, in der Ehe, in der Geburt (4, 1); hier sind das 
physiologische Thatsachen, die nichts zu fragen und zu denken 
geben: „er schuf sie männlich und weiblich und sprach: seid 
fmchtbar und mehret euch!" Dort steht er den Tieren vertraut 
und doch befangen gegenüber, er weiss nicht recht was er aua 
ihnen machen soll, sie sind ihm verwandt und passen doch nicht 
recht in seine Gesellschaft — hier sind sie neutrale Wesen, über 
die er herrscht. Der Hauptpunkt, worin der Gegensatz zusam- 
menläuft und sich zuspitzt, ist folgender. In Gen. 2. 3 ist es 
dem Menschen eigentlich verboten, den Schleier der Dinge ab- 
zuheben und die Welt, repräsentiert im Baume des Wissens, zu 
erkennen; in Gen. 1 ist dies die ihm von Anfang an gestellte 
Aufgabe, zu hen-schen über die ganze Erde: Herrschaft und Wissen 
bedeutet gleichviel, bedeutet Civiiisation. Dort ist ihm die Natur 
.ein geweihtes Mysterium, hier ist sie ihm Sache, Objeet: er steht 
ihr nicht mehr befangen, sondern frei und überlegen gegenüber. 
Dort gilt es fdr einen Raub des Mensehen Gott gleich sein zu 
wollen, hier hat Gott ihn von vornherein in seinem Bilde und- 
nach seiner Ähnliebkeit geschaffen und ihn zu seinem Stellver- 
treter im Weitreiche bestimmt. Es kann nioht für zuföllig gelten, 
dass Gen. 1 in diesem Punkte das Gegenteil von Gen. 2. 3 be- 
hauptet; die mit solchem Nachdruck ausgesprochenen und wieder- 
holten Worte 1, 27. 5, 1. 9, 6 klingen geradezu wie ein Protest 
gegen die Grundanschauung von Gen. 2. 3, ein Protest, der teil- 
weise zusammenhängt mit der entwickelten religiösen und mo- 
ralischen Bildung, teilweise aber wohl auch mit dem krampfhaffen 
Streben des späteren Judentums, die sicherste aller geschicht- 
lichen Erfahningen zu leugnen, nämlich dass die Söhne, büssen 
müssen für die Sünden der Väter. ^) 

') Ein gröberes Gegenstück zu Gen. 2, 3, auch eine Art Sündenfall, ist 
Gen. 6, 1—4; die Verrückung der Grenze zwischen göttlicheiü und menach- 



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324 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Was man als Vorzüge von Gen. 1 gegen Gen. 2. 3 anza- 
führen pflegt, das sind sielier Anzeichen eines Fortschrittes der 
äusseren Cultur. Die geistige Individualität der beiden Erzähler, 
des Systematikers und des Genins, darf man nicht vergleichen, 
denn die gibt keinen Massstab der Zeiten ab; was aber die all- 
gemeinen Vorstellungen über Gott Natur und Mensch betrifft, so 
■ steht darin der erste auf einer höheren, jedenfalls auf einer spä- 
teren Stufe. Dieselben sind, für unseren Standpunkt, verstän- 
diger einfacher natürlicher. Freilich hat man sie gerade darum 
für älter gehalten. Man hat da einerseits die Begriffe natür- 
lich und ursprünglich gleichgesetzt — das iat bekanntlieh 
eine arge Verwechselung. Andererseits hat man an die vorge- 
schichtliche Tradition einen Massstab gelegt, der nur für die ge- 
schichtliche berechtigt ist — der letzteren gereicht das Fehlen 
des Wunders und des Mythus zur Empfehlung, aber nicht der 
erstereu. Die geheime Wurzel aber der sichtlichen Vorliebe, 
welche die historisch-kritische Theologie weiland für Gen. 1 ge- 
hegt hat, scheint da zu liegen, dass man sieb selber für das 
was die Bibel sagt, verantwortlieh fühlt und sich darum freut, 
wenn sie möglichst wenig behauptet, was mit der allgemeinen 
Bildung eoUidiert.'} 

lichem Geschlecht. In Q vird die Kluft zwischen Geist als guttlicher uud 
Fleisch als menschlicher Substanz durch die F.benbildlichkeit des Meii- ■ 
sehen mit Gott überbriickt. 
■ ') Ich behaupte nur die Priorität von Gen. 2. 3 vor Gen. 1, glanbe aber 
nicht, dass die Erzählung vom Paradiese und vom Snndenfalle bei den 
Israeliten sehr alt ist. Damach sieht ea nicht aus, dass der Mensch und 
das Weib an der Spitze der Genealogie des Menschengeschlechtes stehen; 
man sollte an dieser Stelle viel eher die (nach ursprünglichem semiti- 
schen Glauben keineswegs widergöttliche) Schlange vermuten, wie im 
Chrouicon Edessenum nnd in der ahessjnischen Sage, und -vielleicht hat 
sich davon in dem Namen der Heva eine Spur erhalten, wie Nöldeie 
meint: sicher ist, dass dieser Name bei Philo (de agric. Noe § 31) nnd 
im Midrasch Eabba zu Gen, S, 20 als Schlange gedeutet wird (DMZ 1877 
S. 239. 826). Ferner war der echt hebräische Gottessitz der Berg Sinai, 
der echt hebräische Lebensberuf der nomadische der Patriarchen, nicht 
der Garten- und der Ackerbau, Endlich ist nicht zu glauben, dass sieb 
• Barbaren über Segen und Unsegen der Civilisation Gedanken sollten ge- 
macht haben. Vor Salomo ist der StoiT von Gen. 2. 3 schwerlich einge- 
wandert. Woher er stammt, lässt sich kaum raten; am nächsten läge 
es, an die Phönicier oder die Kanaaniter überhaupt zu denken, was auch 
durch Gen. 4 empfohlen wird. Da jedoch in JE Babel als die letzte 
Urheimat des Menschengeschlechtes gilt, nach Eden und Nod, so werdeu 
die Hebräer die Ursage letzEch wohl von dorther bekommen haben. Auf 
etwaige Gleichungen der Aasjriologen soll darum aber kein Gewicht ge- 
legt werden. 



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Die Erzähiung des Hexateuchs. 325 

2. Auf den Anfang der Weltgeschichte folgt in Gen. 1 — 11 
sowohl im Priestereodex alg.im Jehovisten zunäehst der Ueber- 
gang von Adam auf Noah (Kap. 4, 5), sodann die Sündflut 
(Kap. 6 — 9), endlieh der Übergang yon Noah auf Abraham 
(Kap. XO. 11), 

In den trockenen Namen, die in Gen. 5 und in Gen. 4 an 
einander gereiht werden, hat Buttmann Reste eines aus uralten 
Erzählungen einst gewebten geschichtlichen Zusammenhanges 
erkannt. Zerstört ist der ursprüngliche Gehalt dieser augen- 
scheinlieh mythologischen Elemente sowohl in Gen. 5 (Q) als 
in Gen. 4 (JE), aber nur die jehovistisehe Liste macht uoch den 
Eindrucli der Ruine, während dagegen in. der anderen die 
Trümmer zu einem künstlichen Neubau benutzt worden sind, in 
welchem sie sieh nun eben nicht mehr wie Trümmer ausnehmen. 
Sie dienen hier nämlich zu Trägem einer Chronologie, die von 
Adam bis auf Mose hei'abgeht und den zwischenliegenden Zeit- 
raum auf 2666 Jahre berechnet. Diese 2666 Jahre entsprechen 
26V3 Generationen zu je hundert Jahren, nämlich 1—20 Adam 
bis Abraham, 21 Isaak, 22 Jakob, 23 Levi, 24 Kehath, 25 Am- 
ram, 26 Aharon; das letzte unvollständige Glied ist Eleazar, der 
beim Auszuge schon ein gereifter Mann war.') Es versteht sich, 
dass eine solche Zeitrechnung zu der Einfalt der Sage passt 
wie die Faust aufs Auge. ') Es versteht sich fenier, dass wenn 
die systematische Chronologie sogar bei den historischen Büchei-n 
erst aus der Zeit des Exils stammt, sie beim Pentateueh noch 
späteren Ursprungs sein muss. Denn für die geschichtliche Zeit 
hat sie wirkliche Anhaltspunkte gehabt; sie kann nicht von den 
Pati-iarcben auf die Könige, sondern nur von den Königen auf 
die Patriarehen Übertragen, sie' muss von unten ausgegangen 
sein, wo sie allein ein Fundament hat. Der Glaube an das 
hohe Alter der Urmenschen ist zwar gewiss alt, aber die ge- 
schlossene Zeitrechnung, die sich auf die Zeugungsjahre stützt, 
ist eine Künstelei, wodurch die gelehrte Behandlung, wie sie 
sich für die Historie der späteren Zeit auszubilden anfing, nun 

I) So Nüldekp in dnn Jahrlib für protest Theol 1875. S. 344. Dass die 
Generation in dieser Periode zu 100 Jahnen gerechnet wird, wird Gen. 15, 
13 — IG ausdrücklioll angegeben 

") „Die genauen chronologischen Angaben Sind das sichere Gepräge späterer 
Ausfiihninj; alter poetischer Sagen", Buttmaun I S 183. 



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326 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

sogar auf die Uraage übertragen wurde. Nur nachdem der 
lebendige Gehalt der Sage völlig entwichen war, konnte ihr 
Skelett als Gerüst der Chronologie benutzt werden, 

Buttmann hat ebenfalls erwiesen, dase die Elemente der 
zehngliedrigen Genealogie von Q (Gen. 5) und der sieben- 
gliedrigen von JE (Gen. 4) gleich sind. In Q ist am Schlüsse 
Noah noch hinter liamech getreten und am Anfange hat sich 
Adam Kain verdoppelt ku Adam Seth Euos Kainan. Da Adam 
und Enos sieh decken, so läuft das hinaus auf Adam Seth 
Adam Kainan; d, b. Adam Seth ist vorgesetzt, und mit Enos 
Kainan fängt die Reihe von vorne an und zwar ebenso wie in 
JE. Der grösseren Ursprünglichkeit der jehovistisehen Genea- 
logie stellt der Priestercodex selber ein merkwürdiges Zeugnis 
aus, dadurch dass er dem Lameeh, der nach ihm der neunte 
in der Keihe ist, ein Alter von 777 Jahren gibt. Das erklärt 
sich nur aus JE, wo er der siebente in der Reihe ist und 
ausserdem seine besondere Beziehung zur Siebenzahl noch durch 
die Äusserung hervorhebt : sieben mal rächt sich Kain und 
Lameoh siebenundsiebenzig mal. Auch darin zeigt sich die 
Posteriorität von Q, dass hier der erste Mensch nicht wie in 
JE baAdam, sondern stets Adam ohne Artikel heisst (5, 1—5), 
ein Unterschied, den Kuenen treffend mit ö y^piaröq und Xpiaiög 
vergleicht. Nun ist aber gerade nach den Voraussetzungen von 
Q (Gen. 1) der erste Mensch bis jetzt nur der Gattungsmenseh ; 
wenn er trotzdem 5, 1 einfach Adam genannt wird, als sei dies 
sein Eigenname, so kann das nur aus Reminiscenz an Gen. 2. 3 
erklärt werden, obwohl sich hier die Personificierung noch nicht 
auf den Namen erstreckt. 

Wir kommen zur Evzähluflg von der Sündflut Gen. 6 — 9. 
In JE ist die Sündflut wohl vorbereitet; in Q würden wir ver- 
wundert fragen , woher denn die Erde auf einmal so verderbt 
sein soll, nachdem bisher Alles in bester Ordnung gewesen, 
wenn wir es nicht eben aus JE wlissten. Mit dem Sündenfalle, 
dem Brudermorde Kains, dem Schwertliede Lamechs, der Ver- 
mischung der Gottessöhne mit den Mensehentöehtern, überhaupt 
mit der ganzen bestimmten und zwar düsteren Färbung der 
Urgeschichte der Mensebbeit in JE ist im Priestercodex auch 
. die Motivierung der Sündflut fortgefallen; dieselbe erscheint hier 
nun völlig unvorbereitet und abrupt. Im Stoffe der Erzählung 



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Die Erzählung des Uexateucbs. 327 

ßtimmt die priestevliche Version hier in aussergewöhnlichem 
Masse mit der jehovistischen ttberein; sie unterscheidet sich von 
ihr haapisächlteh durch die künstliche, technisch -mathematische 
Regulierung der Form. Die Flut dauert 12 Monat und 10 Tage, 
d. h. genau ein Sonnenjahr; im Jahr 600 Noah's am 17. des 
2. Monats tritt sie ein, 150 Tage steigt sie, seit dem 17. des 
7. Monats föllt sie wieder, am 1. des 10. werden die Spitzen 
der Berge sichtbar, im Jahr 601 am 1. des 1. Monats hat sieh 
das Wasser verlaufen, am 27. des 2, ist die Erde trocken- Zum 
Bau der Arche gibt Gott, ebenso wie zur Stiftshütte, selber die 
Anweisung und die Masse: dreistöckig soll sie werden, und in 
lauter kleine Fächer abgeteilt, 300 Ellen lang, 50 Ellen breit, 
30 Ellen hoch ; und genau nach der Elle soll Noah sie machen. 
Beim höchsten Wasserstande, am 17. des 2. Monats, steht die 
Flut 15 Ellen hoch über den höchsten Bergen: bei all seiner 
Angst hat Noah augenscheinlich doch nicht vergessen, das Senk- 
blei auszuwerfen und sich das Datum im Kalender anzumerken. 
Es ist klar, 'dass durch dieses altkluge Ausmessen und Nach- 
rechnen nicht die Anschaulichkeit der Erzählung erhöht, sondern 
nur die Illusion zerstört wird. Überall wird der Sage das Idyl- 
lische und Naive nach Kräften abgestreift. Wie die Dauer der 
Flut von 40 Tagen (JE) auf ein ganzes Jahr erhöht wird, so 
wird auch ihre Ausdehnung unermesslich gesteigert. Mit be- 
sonderem Nachdrucke betont es der Priestercodex , dass sie 
ganz allgemein gewesen und über alle die höchsten "Berge ge- 
gangen sei — wozu er freilich durch die Annahme gezwungen 
ist, dass das Menschengeschlecht von vornherein über die ganze 
Erde sieh ausgebreitet habe. Züge wie die von den ausge- 
sandten Vögeln und dem abgebrochenen Olivenblatt werden Über- 
gangen; die dichterische Sage wird zur historischen Prosa ab- 
geflacht, Grade auf solchen kleinen Zügen beruht nun aber 
der Wert und Reiz der Erzählung, eie sind nicht Nebensache, 
sondern fttr die Poesie Hauptsache. Gerade sie kehren denn 
auch ganz ähnlich in der babylonischen Version der Sündfiut- 
geschichte wieder; wenn der Jehovist sich mit dieser weit näher 
berührt als der Priestercodex, so ist das ein Zeichen davon, 
dass sich bei ihm der internationale Charakter dieser Ursageu 
noch treuer erhalten hat. Am stärksten schimmert derselbe bei 
ihln durch in der Motivierung der Sündflut durch die Verrückung 



stfeb.GaQgIc 



328 Geschichfe der Tradition, Kap. 8. 

der Grenzen zwischen Geist und Fleisch, durch die Vermischung 
der Gottessöhne mit den Menschentöehtem ; hier haben wir in 
JE noch ein ziemlieh unverfälschtes Stack mythischen Heiden- 
tume, welches in Q ganz undenkbar wäre. 

Den Regenbogen hat allerdings der Priestereodex gegen- 
wärtig vor dem Jehovisten voraus. Es ist aber zu bedenken, 
dass uns in Gen. 6—9 der jehovistische Bericht nur verstümmelt, 
der priesterliche dagegen vollständig erhalten ist. Wenn der 
Regenbogen sowohl in JE als in Q vorkam, so musste er not- 
wendig einmal gestrichen werden und zwar in JE, gemäss dem 
sonst befolgten Veifahren des Redaktors. Es ist also leicht 
möglich, dasß er ursprünglich auch in JE nicht gefehlt hat; er 
passt sogar hesser zu dem simplen Regen, der hier die Flut 
herbeiführt, als zu den geöffneten Schleusen des Himmels und 
Brunnen der Tiefe, welche sie in Q bewirken, und er hat hinter 
8, 21. 22 eine weit schicklichere Stelle als hinter 9, 1 — T. Im 
Priestercodex ist zudem die Bedeutung des Regenbogens halb 
verwischt, teilweise durch ungeschickte Vergeschiefitlichung, wo- 
durch man den Eindruck bekommt, als sei er entweder nur 
diesmal, nach der Sündflut, am Himmel erschienen, oder als 
stehe er seitdem beständig da; teilweise durch seine Verwen- 
dung als Zeichen des Bundes zwischen Elohim und Noah, wobei 
man nach dem sonstigen Sprachgebrauch und nach der Analogie 
von Gen. 17 an den Bund denkt, dessen Inhalt in 9, 1 — 7 dar- 
gelegt wir'd; der Regenbogen würde dann zum Gegenstücke der 
Besehneidung. ') Der Bund d. b. das Gesetz 9, 1 — 7, eine Mo- 
dification der ersten, dem Adam gegebenen Ordnung (1, 29. 30) 
für die nachsündflutliche , noch gegenwärtig fortdauernde Welt- 
periode, ist für den Priestereodex der krönende Schluss und die 

') Der Himmelsbogen ist ursprünglich das Werkzeug des pfeilschiesseiiden 
Gottes uBd darum Symbol seiner Feindschaft; er legt iba aber aus der 
Hand zum Zeichen des abgelegten Zornes, der nunmehrigen Versöhnung 
und Huld. Wenn es gewettert hat, dass man vor einer abermaligen 
Snndflut in Angst sein könnte, erscheint der Regenbogen dann am Him- 
mel, wenn die Sonne und die Gnade wieder durchbricht. Den Begriff 
der blossen Wölbung hat pfp i"" A. T. nicht, es bedeutet stets den 
Kriegsbogen. Und was vor allem wichtig ist, auch die Araber fassen die 
Iris durchaus als Kriegsbogen Gottes auf: Kusah schiesst Pfeile von sei- 
nem Bogen und hängt ihn dann in den Wolken auf (DMZ 1849 S, 200f.)- 
Bei Juden und Judengenossen hat der Regenbogen bis tief in christliche 
Zeiten hinein eine merkwürdig nahe Beziehung zur Gottheit behaltjn. 
Seltsam ist der edomitiache Gottesname Eaus neben Kuzab. 



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Die Erzählung des Hexateuchs. 329 

Hauptsache der ganzes Erzählung, wie denn überhaupt bei ihm 

das Interesse am Gesetz das einfache Interesse am Stoffe gäuz- 
)ieb absorbiert. Sehr merkwttrdig ist dabei, dass die Rache für 
das vergossene Blut nicht Sache der Verwandten, sondern Sache 
Gottes ist, und dass sie gefordert wird für den Menschen 
schlechthin, sei er Herr oder Knecht, mit Ausschluss der Geld- 
sfihne. So einfach und ernst die Worte lauten: „wer Menschen- 
blut vergiesst, des Blut soll durch Menschen vergossen werden, 
denn nach seinem Bilde hat Gott den Menschen gemacbt", so 
ist doch der religiöse Begriff des Menschentums, der zu 
Grunde liegt, auch bei den Hebräern nicht alt; man vergleiche 
als Gegensatz Gen. 4, 15. 24 und Exod. 21, 20f. ') 

Die Arche landet nach Q auf dem Gebirge von Ararat. In 
JE ist gegenwärtig überhaupt kein Landungsplatz angegeben. 
Das ist indessen um so weniger ursprünglich, als sonst die my- 
tbische Geographie überall jehovistisches Characteristieum ist. 
In Q wird die Urgeschichte nirgend lokalisiert, gleich von An- 
fang an wird die ganze Erde den Mensehen zur Wohnung an- 
gewiesen. In JE dagegen wohnen sie zuerst im Lande Eden, 
weit im Osten und wohl auch hoch im Norden; von da ver- 
trieben kommen sie ins Land Nod, wo Kain die Stadt Hanoch 
■ haut ; und von dieser ebenfalls noch sehr östlichen Gegend auf- 
brecheud lassen sie sich im Lande Sinear nieder, an der Mün- 
dung des Euphrat und Tigris, wo sie die Stadt Babel bauen. 
Sinear ist der Ausgangspunkt der nicht mehr bloss mythischen 
Weltgesehiohte, die Heimat der gegenwärtigen Menschheit: in 
diesem Punkte namentticb springt der Gegensatz der lokalen 
Bestimmtheit der jehovistisehen Sage, die ihr den Charakter 
des Idyllischen verleiht, gegen die vage Allgemeinheit der 
anderen ins Auge. In Sinear sind nach JE Gen. 11, l'--9 noch 
alle Mensehen beisammen und wollen dort auch beisammen 
bleiben. Um nicht zerstreut zu werden, bauen sie sicli eine 
grosse Stadt die sie alle umfassen soll, und um sich einen Namen 
zu machen, fügen sie einen hohen Turm hinzu der an den 
Himmel reichen soll: Jahve, aus solchen Anföngen die Gefahr 
eines weiteren Fortschrittes in dieser Richtung erkennend, i^brt 
hernieder ihre Sprache zu verwirren und führt dadurch, auf 
gewaltsamem Wege, die Zerstreuung der ihm in ihrer Einheit 
') De Wette, Beiträge il S. 57. Alt ist der rel. Begriff dea Volkes. 



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330 Geschichte der Tradition, Kap, 8. 

furchtbaren Menschheit herbei. In Q versteht es sich von selbst, 
dass sich die Menschen auf der ganzen Erde zerstreuen; sie 
werden nie als an einem Punkte wohnhaft vorgestellt — weshalb 
denn auch die Sttndflut hier mit Absicht und Naehdruek als 
ganz allgemein beschrieben wird. Die Zerteilung der Völker 
geht einfach auf genealogischem Wege vor sieh und hat die 
Zerteilung der Sprachen nicht zur Ursache, sondern zur Folge. 
Als begleitende Erscheinung finden wir wiederum den merk- 
würdigen Unterschied der geistigen Stimmung: was in JE als 
Unnatur, als nur begreiflich aus gewaltsamer Verkehrung des 
Ursprünglichen empfunden wird, das ist in Q das natürlichste 
von der Welt. 

Den Zeitraum zwischen der Sündflut und Abraham füllt in 
Q noch einmal eine zehngliedrige Genealogie aus, die in JE, 
wo sie nicht gefehlt haben kann, nach Analogie von Gen. 4 
wahrscheinlich siebengliedrig war, indem sie von Sem gleich 
auf Eber überging und den Grossvater Nahor ausliese (10, 21. 
24. 24, 15. 29, 5): der letztere unterscheidet sich in der That 
von seinem gleichnamigen Enkel noch weniger als Adam von 
Enos. Der ursprüngliche Wohnort der Therahiden ist nach Q 
nicht wie in JE (12, 1. 24, 4) das mesopotamisehe Haran (Carrhae), 
sondern Uv Easdim , was nichts anderes bedeuten kann als Ur " 
der Chaldäer. Von da soll Tberah, der Vater Abrahams Nahors 
und Harans, mit Abraham und mit Lot, dem Sohne des bereits 
verstorbenen Haran, ausgewandert sein. Nahor müsste dann in 
Ur Kasdim geblieben und Haran daselbst gestorben sein. Beides 
ist vollkommen gegen die Meinung der Sachen, Es ist trotz 
der verschiedenen Aspirata schwerlich sachgemäss den Mann 
Haran von der Stadt Haran zu scheiden und ihn wo anders 
sterben zu lassen. Es ist ebenso unmöglich, Ur in Ghatdäa {Im- 
den Wohnsitz Nahors — einerlei ob des Grossvaters oder des 
gleichnamigen Enkels — anzusehen; es ist ofi'enbar auf Ver- 
hältnisse der Wirklichkeit gegründet, dass der jedenfalls syrische 
Ort, wo die Nahoriden Laban und Rebekka wohnen, in J die 
Stadt Nahors und in E Haran heisst; in Q selber wohnen Laban 
und Rebekka, trotzdem dass Nahor in Ur bleibt, nicht in Chaldäa, 
sondern in Paddan Aram, d. h, im mesopotamischen Syrien. 
Zum Beweise, dass Ur Kasdim nicht in die. ursprüngliche Ge- 
Btalt der Tradition hineingehört, kommt noch hinzu, dass wir 



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Die Erzählung des Hexateuehs. 331 

bereits mit Serug, dem Vater Nahora, weit von Babylon weg 
nach Westen gerückt sind. Serug ist der Name einer nördlich 
aA Haran grenzenden Landschaft; wie soll nun der Sohn Sem^ 
plötzlich nach Ur Kasdim zurückspringen! Welche Gründe dazu 
bewogen haben, Babylonien zum Ausgangspunkte Abrahams zu 
machen, sei dahin gestellt; nachdem er aber mit Therah von 
Ur Kasdim aufgebrochen ist, kommt er seltsam genug 'doch vor- 
erst nur bis Haran und bleibt dort bis zu seines Vaters Tode; 
nach Palästina wandert er auch in Q erst von Baran aus ein. 
.Wenn diese Verdoppelung des Ausgangspunktes nicht aus der 
Absieht den Ansehluss an JE zu erreichen entsprungen ist, so 
gibt 68 überhaupt keine Harmoniatik. 

3. Mehr und mehr gewinnt jetzt glücklicherweise die An- 
sicht Boden, dass in der mythischen Universalgeschichte der 
Menschheit Gen. 1—11 die jehovistisebe Version altertümlicher 
sei als die priesterliche. Zu dieser Ansieht wird man in der 
That genötigt, wenn man einsieht, dass der Stoff hier nicht 
israelitischen, sondern allgemein ethnischen Ursprunges ist. Von 
diesem Ursprünge hat der Jehovist die Spuren weit deutlicher 
bewahrt, darum hat sich auch die vergleichende Mythologie 
unwillkürlich vorzugsweise an seine Berichte gehalten. Verän- 
derungen hat die Urgeschichte allerdings auch bei ihm erlitten; 
der mythische Charakter ist stark vermischt, allerlei israelitische 
Elemente sind eingedrungen. Schon der Brudermord Eains, mit 
dem Hintergrunde des Gegensatzes zwieehen dem friedlichen 
Leben der Hebräer im Lande Kanaan und dem unrnhigen 
Schweifen der Kainiten iu der angrenzenden Wüste, fällt ganz 
aus dem allgemeinen geschichtlichen und geographischen Rah- 
men heraas. Noch mehr die Verfluchung Kanaans; hier ist der 
augenscheinlich alte Zug, dass Noah den Weinbau eingeführt 
hat, zu einem nebensächlichen Ingrediens einer ausgesprochen 
national-israelitischen Erzählung geworden. Aber im Jehovisten 
ist doch die Entleerung der Ursage von ihrem eigentlichen Sinn 
und Gebalt bei weitem nicht so weit vorgesehritten wie im 
Priester CO des, wo es geradezu auffällt, wenn noch einmal etwas 
Mythisches durchschimmert, wie bei Henoch und hei dem Regen- 
bogen. 

Der mythische Stoff der ältesten Weltgeschichte ist beim 
Jehovisten mit einem eigenartigen, düsteren Ernste erlülit. Ea 



H^-.i^jb^GoOglc 



332 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

steckt eine Art antiker Geschichtsphilosophie iJarin, die nahe 
an FeBsimismuB streift; als seufzte die Menschheit unter einem 
ungelieuren Druck, nicht sowohl der Sünde, als der KreatftrlicTi- 
keit (6, 1 — 4). Es herrseht eine scheue, heidnische Stimmung; das 
gelegentliche Rasseln an den Ketten yerechlimmert nur die Ge- 
bundenheit der menschlichen Natur, die entfremdende Kluft 
zwischen Mensch und Gottheit lässt sieh nicht ausfüllen. Jahve 
steht nicht hoch genug, fühlt sieh nicht sicher genug, um den 
Erdbewohnern ■ eine allzugrosse Annäherung zu verstatten; der 
Gedanke vom Neide der Gottheit wird gestreift. Wenn auch 
schon vielfach gemildert liegt diese Stimmung dennoch erkenn- 
bar genug in Gen. 2. 3, in 6, 1 — 4 und 11, 1—9 zu Grunde. Im 
Priestereodex ist sie vollkommen versehwunden; hier fühlt sich 
der Mensch nicht mehr unter geheimem Bann, sondern gottver- 
wandt und frei, als Herr der Natur. Wohl erkennt auch der 
Priestereodex , wie wir in dem Kapitel über die Opfer gesehen 
haben, die Macht der Sünde in seiner Weise an; aber die Sünde, 
als erklärende und ausroftbare Wurzel des Verderbens, steht im 
Gegensatz zu dem dumpfen unabwendbaren Verhängnis; die 
Sündeuknechtschaft und die Freiheit der Kinder Gottes sind 
im Evangelium Correlata. Mit der Zerstörung der mythischen 
Anschauungsweise durch die Autonomie der Moral hängt enge 
zusammen die verständige Naturbetrachtung, deren Anfönge wir 
im Priestercodex finden; ihre Voraussetzung ist, dass der Mensch 
sieh selber als Person über und ausser die Natur stellt und die 
letztere schlechtweg als Sache betrachtet. Man darf vielleicht 
behaupten, dass ohne diesen Dualismus des Judentums die 
mechanische Naturwissenschaft nicht vorhanden wäre. 

Die Entfärbung der Mythen ist gleichbedeutend mit Hebrai- 
sierung. Scheinbar hebraisiert der Priestereodex weniger als 
der Jehovist; er hütet sieh grundsätzlich vor Vermischung der 
Zeiten und Sitten. In Wahrheit hebraisiert er viel stärker, in- 
dem er den ganzen Stoff nach dem Masse zusehneidet, dass er 
als Vorstufe der mosaischen Gesetzgebung dienen kann. Schon 
der Jehovist hat allerdings diese ethnischen Sagen an die 
Schwelle seiner heiligen Sage gesetzt und sie vielleicht unter 
dem Gesichtspunkte, dass sie als Einleitung dazu passen, aus- 
gewählt; denn sie sind durchweg ethischen und geschichtlichen 
Inhalte, sie betreffen die Probleme der Menschenwelt, nicht die 



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Die Erzählung des Hexateiichs. 333 

der Natur '), Aber beim Jehovisten kommt doch die Individualität 
der einzelneu Gescbichten noch eiuigei-massen zu ihrem Rechte; 
im Priestercodex ist dieselbe durch den Zweck des Ganzen nicht 
bloss modiflciert, sondern vollkommen zerstört. Der auf die 
Thora Mose's abzielende Zusammenhang ist Alles; die einzelnen 
Glieder bedeuten nichts mehr. Natürlich wird dadurch auch der 
Zusammenhang selber vollkommen leer; er besteht abgesehen 
von den Bundschliessungen nur in Genealogie und Chronologie. 
De Wette findet das Alles schön, weil symmetrisch, durchsichtig 
und zweckvoll coustruiert. Indessen ist das nicht jedermanns 
Geschmack; es gibt auch eine ungemaelite Poesie des Stoffs, 
und sie verdient auf diesem Gebiet den Vorzug. 

Wie lose im Jehovisten die Erzählungen der Urgeschichte 
noch neben einander stehen, zeigt namentlich die Sündflutperi- 
kope. Sie stösst sich gleichmässig mit dem, was voraufgeht, 
und mit dem was nachfolgt. Die Genealogie Gen. 4, 16 — 24 
läuft nicht auf Noah, sondern auf Lamecb aus; statt Sem Ham 
Japhet, der Söhne Noahs, haben wir Jabal Jubal Thubal, die 
Söhne Lamechs, als Anfänger der zweiten Periode. Dabei die 
charakteristische Verschiedenheit, dass Sem Ham Japhet eine 
Eintheilung der Menschen nach Völkern ist, Jabal Jubal Thubal 
eine Eintheilung nach Ständen, notwendigerweise des selben 
Volkes; denn kein Volk besteht aus lauter Musikern oder 
Schmieden. Und unstreitig ist in Kap, 4, 16if. die Absieht, die 
Entstehung der gegenwärtigen Cultur zu erzählen, nicht der 
verschollenen, der durch die Siindflut ein Ende gemacht wurde. 
Thubalkain ist der Vater der gegenwärtigen Sehmiede, nicht der 
Torsttndflutlichen, Jubal der der gegenwärtigen Musiker, Jabal 
der gegenwärtigen Hirten; darum stehen sie auch am Ende der 
Genealogie und eröffnen die zweite Periode. Ebensowenig aber 
wie Gen. 4, 16^24 auf die Sündflut vorsehaut, schaut hinterher 
Gen. 11, 1 — 9 (Turmbau zu Babel) auf sie zurttek, Dass dies 
Stück nicht die Fortsetzung von Kap, 10 ist, liegt auf der Hand. 
Dort sind wir schon so weit gekommen, dass die Erde von sehr 
verschiedenen Völkern und Zungen eingenommen wird; nun 
werden wir hier (11, 1) plötzlich in eine Zeit zurückversetzt, 

') Möglich indes, dSss ilrnj die Auswahl nicht schwer wurde, indem kösmo- 
logische Mythen eben nicht YoUfstüm liehe Erzählungen, sondern priester- 
liche Theoreme waren, die er gar nicht kannte. 



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334 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

WO alle Welt Eine Sprache und Eine Zunge war. War das 
etwa die Zeit, als Noahs Familie noeh die einzige Bevölkerung 
der Erde ausmachte? mit anderen Worten, geht 11, 1 — 9 hinter , 
Kap, 10 zurück und schlieest an Kap. 6 — 9? Offenbar nicht, 
alle Welt (11,1) ist nicht Sem Ham and Japhet, nnd die 
Menschenmenge, die sich dnrch kiinstliohe Mittel concentrieren 
will und dann in verschiedene Völker gespalten wird, besteht 
aus mehr als einer Familie. Es liegt eine ganz andere An- 
schauungsweise vor, als sich aus den Prämissen von Kap. 6 — 9 
ergeben würde; der Erzähler weiss nichts von der Sllndflut, die 
von aller Welt nur die Familie Noahs übrig gelassen hat. 
Es würde auch nichts helfen, wollte man 11, 1 an einen so 
weit nach der Flut fallenden Zeitpunkt setzen, dass inzwischen 
aus der Familie wieder ein grosses Volk erwachsen wäre; An- 
schluss an die Vorstellung von Noali und seinen drei Söhnen 
würde dadurch doch nicht erreicht. Denn wenn die letzteren 
sich hinterdrein zu einer Familie vereinigen und daraus weiter 
ein einheitliches Volk entsteht, Welches dann durch höhere Gre- 
walt plötzlich in mehrere Sprachen gekluftat wird, so ist die 
ganze Bedeutung von Sem Ham und Japbet als Theilungs- 
prinoipes der Vßlkerwelt anfgehoben. 

Die Sache ist einfach die, dass der ganze Abschnitt von 
der SHndSut (Gen. 6—9) in dem anderweitigen Zusammenhange 
des Jehovisten isoliert steht. Ein ganz wundersamer erratischer 
Block ist ferner die Vermischung der Gottessöhne mit den Men- 
Bchentöehtem (Gen.6, 1-4). Die Verbindung, in welcbeiiieses Stück 
mit der folgenden Flutgeschichte gesetzt ist, ist äusserst locker; 
mit der voraufgehenden jehovistisehen Erzählung aber collidiert 
es vollkommen, indem es nämüch einen zweiten Sündenfall be- 
i-ichtet, der wegen seiner sehr andersartigen geistigen Haltung 
auf keine Weise als Ergänzung oder als Fortsetzung des ersten 
betrachtet werden kann: in Gen. 6, 1 — 4 hat die Moral mit der 
Schuld gar nichts zu thun. Weitere Beispiele, an denen der 
brüchige Charakter des gegenwärtigen Bestandes der jehovisti- 
sehen Urgeschichte zu sehen ist, sind die Erzählungen vom 
Brudermorde Kains und von der Verfluchung Kanaans, die 
freilich eigentlich gar nicht hierher, sondern erst in die Patriar- 



Zum Schlüsse mögen hier noch die beherzigenswerten Worte 



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Die Enäblung des Hexateuchs. 335 

eine Stelle flndeu, in denen Buttmann (1208 ff.) seinen Gegen- 
satz zu de Wette hinaichtlieh der Behandlung der biblischen 
Ursage darlegt „GrUndlieh gelehrt in den Altertümern des 
Stammes, in dessen heiligen Schriften diese Denkmäler eich uns 
erhalten haben, erkennt und verfolgt de Wette den National- 
geist desselben bis in diese ältesten Urkunden hinauf. Auf 
diesem Wege entdeckt sieh ihm, mitten unter diesen Trümmern, 
die Spur eines alten Zusammenhanges, einer Art Epos, dessen 
schon in der Urgeschichte des Menschengeschlechts vorspielen- 
der Zweck die VerheiMiehung des Volkes Israel ist. Vor dieser 
Ansicht, welelje für seinen Hauptzweck, die wahre Kritik diesei- 
Bücher, so wichtig ist, müssen notwendig andere Beziehungen 
für den Augenblick in den Hintergnind treten. Mein Zweck ist 
durchaus nur, in den Sagen der verschiedenen Nationen das 
Allgemeine, und ganz besonders in den Mythen einzelner Zweige 
der grossen Völkerverwandtschaft, wozu die Hebräer gehören 
und die Griechen und wir, das Gemeinsame aufzufinden. So 
entdeckt sich mir also jeder Mythos nur als ein für sich be- 
stehender, in sich begründeter und vollendeter, den ich als einen 
Bolchen bewähre, wenn ich ihn auch bei anderen Nationen nach- 
weise. Hieraus entsteht zwischen de Wette und. mir eine Ab- 
weichung in der Betrachtung einzelner Mythen. Ihm erscheinen 
diese gewöhnlich als willkürliche Erdichtungen einzelner Men- 
schen zu ihrem Zwecke; zwar nicht in dem une'delen Sinne, 
welchen eine gemeine Ansicht in die religiösen Dichtungen der 
Völker bringt, sondern als willkürliche aber doch völlig truglose 
Erdichtungen. Ich hingegen gebe in diesen ältesten Teilen 
durchaus keine Erdichtung zu. Ein achter Mythos ist nie er- 
dicbtet, sondern überliefert. Er ist nicht wahr, aber wahrhaftig. 
Aus kleinen Elementen, die die Phantasie als wahr darbot, ent- 
standen und erwuchsen jene Mythen, bhne dass irgend einer, 
der dazu beitrug, seiner Willkür sich bewusst gewesen wäre. 
Nur auf die , welche die ältesten reinen Mythen durch Hinzu- 
fUgung einzelner Züge in den grossen Zusammenhang brachten 
mit ihrer Nationalgesehicbte, nnr auf diese fallt Absichtlichkeit; 
obgleich immer noch jene ganz schuldlose, die de Wette schil- 
dert. Die HauptBpuren jener Einheit oder jenes alten National- 
epos, das sich durch die mosaische Geschichte windet, entdeckt 
nun de Wette in der Elohimurkunde. Seinem kritischen Zwecke 



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336 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

ist also diese notwendig die wichtigste, und ihr hauptsächlich 
geht er nach. Ich, dem es nur auf die innere Vollendung des 
Einzelnen ankommen dai-f, die mich in den Jehovafragmenten 
am deutlichsten anspricht, musste also auch dieser in meiner 
obigen Behandlung den Vorzug geben. Gelingen uns beiden 
unsere Zwecke, so treffen sie aufs beste zusammen.* 

Wir dürfen hinzufligen, dass der Prieatereodes gerade wegen 
der geschlossenen Einheit seiner Erzählung, die ihm den Namen 
der Gruodschrift angetragen hat, uns die vorgeschrittenere Be- 
arbeitung der Sage bietet, und dass der Jehovist gerade wegen 
des formell mangelhaften Zusammenhangs seiner^ , Fragmente", 
wegen deren man ihn lange Zeit als einen blossen Ergänzer der 
Grundsehrift betrachtet hat, dem Urquell der Sage näher steht. 

II. 
1. Auch in der Patriarehengeschichte ist der Grundriss der 
gleiche in Q und JE: Abrahams Einwanderung in Kanaan mit 
Sara und Lot, seine Trennung von Lot, Ismaels Geburt von 
der Hagar, Erscheinung Gottes zur Verheissung Isaaks, Isaaks 
Geburt, Tot Sara's und Abrahams, Ismael, Isaaks Heirat mit 
Bebekka, Jakob und Esau, Jakobs Reise nach Mesopotamien 
und seine Familiengründuiig daselbst, seine Heimkehr, Esau, 
Joseph in Ägypten, Jakob in Ägypten, Jakobs Segen über 
Joseph und seine übrigen Söhne, sein Tod und sein Begräbnis. 
Der Stoff ist hier nicht mythisch, sondern national; darum durch- 
sichtiger und in gewissem Sinne historischer. Freilich über die 
Patriarehen ist hier kein historisches Wissen zu gewinnen, son- 
dern nur über die Zeit, in welcher die Erzählungen über sie im 
israelitischen Volke entstanden; diese spätere Zeit wird hier, 
nach ihren inneren und äusseren GrundzUgen, absichtslos ins 
graue Altertum projieiert und spiegelt sich darin wie ein ver- 
klärtes Luftbild ab. Das Knochengerüst der Erzvätersage bildet 
bekanntlieh die ethnographische Genealogie. Die Leastämme 
werden mit den Rahelstämmen unter dem gemeinsamen Vater 
Jakob-Israel zusammeugefasst, demnächst das ganze Israel mit 
dem Volke Edom unter dem alten Namen Isaak (Amos 7, 9. 
16), weiter Isaak mit Lot, dem Vater von Moab und Ammon, 
unter Abraham; zusammen werden diese nah verwandten und 
einst eng verbundenen hebräischen Völkerschaften in enge Be- 



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Die Erzählung des Hexateuohg 33'^ 

Ziehung gesetzt zu den" Bewohnern der meBopo*»mi8chen Wüste 
und in scharfen Gegensatz zu den Kanaaniten, in deren Lande 
sie wohnten. Das historische Nacheinander und Nebeneinander 
ist logische oder statistische Subordination und Coordination ; 
in Wirklichkeit sind gewöhnlich die Elemente älter als die 
Gruppen und die kleineren Gruppen älter als die grösseren. Die 
etwaigen Wanderungen der Völker und Stämme sind notwendige 
Folgen des angenommenen Verwandtschaftsverhältnisses. Ganz 
ähnlich liesse sich noeU jetzt in jedem Augenblick die Statistik 
eines beliebigen Volkes in der Form einer genealogischen Urge- 
schichte darstellen. Eine unmittelbare Wiedergabe der bestehen- 
den Verhältnisse ist allerdings die Genealogie nicht. Ob ein 
Stamm der Vetter oder der Bruder oder der Zwillingsbrnder 
eines anderen, ob er überhaupt mit ihm verwandt oder nicht 
verwandt ist, lässt sich nicht so objektiv feststellen; die Ver- 
wandtschaft kann verschieden aufgefasst und gedeutet. werden 
die Gruppierung hängt immer etwas ab von dem Standpunkte 
des Genealogen, sogar von seinen Zuneigungen und Abneigun- 
gen. Die nahe Beziehung, in welche die Aramäer zu den 
Israeliten gesetzt werden, wird sieh wohl daraus erklären, dass 
die Patriarehensage im mittleren und nördlichen Israel ihren 
eigentlichen Boden hat, wie das aus der ausgesprochenen Vor- 
liebe für Rahel und Joseph klar -erhellt. Wäre sie judäisohen 
Ursprungs , so würden wahrscheinlich die jetzt ungebührlich in 
den Hintergrund gedrängten kainitisehen Tiibus der Sinaihalh- 
insel viel stärker hervortreten, da sie zweifelsohne ffir die 
älteste Geschichte Israels keine geringe Bedeutung gehabt haben. 
Auch an scheinbaren Widersprüchen mangelt es in der ethno- 
graphischen Genealogie nicht; Ismael, Edom, und die eben er- 
wähnten kainitisehen Tribua stossen sieh mehrfach miteinander: das 
erklärt sich ganz natürlich aus verschiedener Auffassung und 
Gliederung der Verwandtschaftsverhältnisse. Hinzuzufügen ist 
endlich noch, dass die Form der Genealogie an sich sehr bunten 
Inhalt aufzunehmen verträgt. In der Patriarehensage wiegt 
jedoch das ethnographische Element durchaus vor. Nur Abraham 
ist gewies kein Volksname wie Isaak und Lot; er ist überhaupt 
ziemlich undurchsichtig. Natürlich wird man ihn in diesem 
Zusammenhange darum doch nicht für eine geschichtliche Person 
halten dürfen; eher noch könnte er eine freie Schöpfting unwill- 




338 Geschichte der Tradition, Kap 8 

kfirheher Dichtung seio Ei ist wohl die jUng&te Figur in dieser 
Gesellsehaft und wahrscheinlich erst verhältnismissig spat sei 
nem feohüe Isaak vorgesetzt ') 

Dieses Genppe der ethnographisehen Genealogie findet sich 
nnn beim Jehovisten Überall mit Fleisch und Blut belebt 
Die Erzvater Abraham Isaak und Jikoh sind nicht bbihse Na 
men, sondern lebendige Gestalten, ideale Prototype des rechten 
Israehteis Alle sind sie friedliebende Hirten, 7U ruhigem Woh 
neu bei den Zelten geneigt, bemüht dem Stieit und Zank aus 
dem Wege zu gehen, untei keinen Umstanden beieit Gewalt 
gegen Gewalt zu setzen und Unrecht mit dem Sehweite abzu 
weisen Mutig und mannhaft bind sie nicht, abei gute Haus- 
wirte, ein wenig untei dei Herrschaft ihiet mit mehr Tempe 
rament auegestatteten Ehefiauen bie dienen dem Jahve wesent 
lieh in der selben "fteif-e wie in hi'^tonschen Zeiten ihre Nach 
kommen, ihre Fi(pmmii<keit besteht nicht blos«« m Opfern, sondeni 
in rechtschaffenem Wandel und m gRubigei Ei gebung m Gottes 
Fügung Jakob ist realistischer gezeichnet als die beiden an 

') Die Erzählungen nber Ahraham und uher Isaak Sind sich so ähnlich 
dass an gegenseilij^e Unabhängigkeit nicht /u denken ist die über hiak 
aUr Smif ursprünglicher, wie das besonders schlagend aus einem Ver 
gleich von Gen 20, 2— IG mit 26, 6—12 sich ergibt die knrze und pro 
faue \ersioii worin Isaak der. Held ist, ist die lebendigere und moti 
Yiertere, die lange uni erbauliche, wo Abraham an seint btelle tritt 
steigert die mögliche Gefahr zur wirklichen macht dadurch das Eingreifen 
der Gottheit notwendig und erreicht auf diese Weise eine Verherrlichung 
des Patnarchen, die er sehr wenig verdient hat Freilich finden samt 
hebe Commentatoien der Genesis in Kap 20 das Original von Kap 36, 
aber sie stutzen ihr Drteil nicht auf die Vergleicbung der Parallelen, 
sondern weil der \ater alter ist als der Sohn, halten sie auch die ErzSh 
lungen nber den Vater für alter als die entsprechenden über den Sohn 
und sehen überhaupt m Isaak lediglich einen Abklatsch Abrahams be- 
gen diesen bemah zu nahe liegenden Gnindsilz erhebt sich jedoch das 
Bedenken dass sich m der spateren Entwicke'ung der ''age deutlieh die 
Richtung »erfolgen lasst, Abraham zum Erzvater par exeellence zu machen 
und die anderen zu \erduiikeln In der aiferen Literatur dagegen kommt 
Isaak schon bei Arnos Abraham aber zuerst bei dem Verfesser von Isa 40bi= 
(,6 vor — Micha 7, 2ü ist exilisch und m Isa 39 23 sind die Worte 
der Abraham erlöste unecht, sie haben keine mf gliche Stelle im Satze 
und die Vorstellung von der Erljsung Abrahams (aus dem Feuer der 
Chaldier) tommt erst sehr spat vor Es föllt mir übrigens nicht ein zu 
behaupten, dass zur Zeit des Amos Abraham noch unbekannt gewesen 
wäre, nur stand er schwerlich schon mit Isaak und Jakob auf gleicher 
Stufe Als Heiliger von Hebron konnte er kalibbaischen Ursprunges sein 
und mit Ram (I Chron 2) zusammenhängen Abram für Abiram ist 
ebenso wie Atner für Abiner und Ähab für Ahiab Der Name Abu Ru 
harn kommt in Hadith Yor als nomen proprium vin 



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Die Erzählang des Heiateuchs 339 

deren; ihn zeichnet eine starke Dosis yon List and GewinnsuehJ 
aus, und diese. Eigenschaften führen ihn Bchliessliöh immer zum 
Ziele. Aus jeder Fährlichkeit und seliwierigen Lage kommt 
er nicht bloss heil, sondern mit Gewinn davon; Jahve hilft ihm, 
aber vor Allem hilft er sich doch selber, ohne in seinen Mitteln 
nach unserem Geschmacke sehr wählerisch zu sein. Die Erzäh- 
lungen über ihn maßhen am wenigsten ein moralisches Gesicht, 
im Grunde leuchtet aus ihnen nur die helle Freude über alle 
gelungenen Künste und Gritfe des Erzschelms, Unter den Neben- 
figuren ist besonders Esan mit Vorliebe gezeichnet, dann Laban 
und der gebrechliche Heilige Lot; lemael wird als das Urbild 
des Beduinen geschildert, als eiii Waldesel von Mensch, dessen 
Hand gegen jedermann und jedermanns Hand gegen ihn, und 
der allen seinen BrUdern auf der Nase sitzt. Auffallend ist es, 
dass die Helden der israelitischen Sage so wenig kriegerisch sieh 
zeigen, insofern scheinen sie nicht gerade die geschichtliche Art 
des israelitischen Volkes zu reflektieren. Indessen ist es doch 
nicht so unbegreiflich, dass ein Volk, welchem in der Gegenwart ■ 
ewiger Krieg aufgezwungen wurde, nicht bloss von einem ewigen 
Frieden der Zukunft träumte, sondern auch seines Herzens 
WünBche in diesen friedlichen Gestalten der goldenen Vorzeit 
verkörperte. Daneben muss man bedenken, dass das friedliche 
Hirtenleten der Patiiai eben durch die idyllische Form der Vor 
geschichte des Volkes vetanlasst ist, Kiiege tonnen nur Volker 
oder Stämme flihien, abei nicht einzelne Männer') Daraus 
wird man es erklaren müssen, dass im persönlichen Charakter 
der Patriarchen das histoiische Selbstbewusstsein der Nation so 
wenig zum Ausdiuck kommt Dasselbe macht sich nur Luft in 
den eingelegten Weissagungen über die Zukunft, hier spüren wir 
den nationalen Stolz, der die Frucht \on Davids Thaten ge 
Wesen ist, aber immer schon verklart zu religiöser Gehobenheit 
Viel lebhafter als m den persönlichen Chaiakterzügen der 
Patriarchen, in denen sie webentlich nur den einzelnen Israeliten 
nach seinem Wesen und nach seinen Wünschen repräsentieren, 

') Diese ErwägTing ist allerdings wenigtr durchs klagend als die voran 
gehende. Nicht bloss der idjUischen Form wegen ist latob em tned 
licher Hirt, sondern ei lat es seinem innersten Wesen nach, im auage 
sprochenen Gegensatz zm einem Bruder Esau der trotz der idyllischen 
Form kriegerisch ist Ausnahmen wie Oen li und 48 23 (Kap 34) be- 
Bt&tigen nnr die Begel 

22* 




340 Geschichte der Tradition, Kap 8 

zeigen- sich die historiseh-iiationaleii Bezüge in den Verhältnissen 
derselben zu'ihren Brüdern Vettern und übrigen Verwandten. 
Da blickt überall der Hintergi-und, bricht überall die Stimmung 
der israelitischen KSnigszeit durch. Am deutlichsten geschieht 
das vielleicht in der Erzählung über Jakob und Esau. Schon 
im Mutterleibe stossen sich die Zwillinge, schon bei der Geburt 
will der jüngere dem älteren nicht den Vortritt lassen und ver- 
sucht ihn an der Ferse zurückzuhalten. Das wird der besorgten 
Mutter von dem Orakel zu Beerseba also erklärt: zwei Nationen 
sind in deinem Leibe und zwei Völker scheiden sieh aus deinem 
Schosse, das eine wird das andere überflügeln und das ältere 
dem jüngeren dienen. Die Knaben entwickeln sich sehr ver- 
schieden, Esau sehweift als rauher und gebräunter Jägersmann 
in der Wildnis und lebt unbekümmert in den Tag hinein; Jakob, 
ein frommer glatter Mann, bleibt daheim bei den Zelten und 
versteht den Wert der Dinge, die sein argloser Bruder nicht 
achtet. Jener ist der Liebling seines Vaters, des Autoehthonen 
■ Isaak, dieser wird von seiner Mutter, der Aramäerin Rebekka 
bevorzugt; jener bleibt in der Heimat und nimmt sieh seine 
Weiber aus der Urbevölkerung des südlichen Kanaans und der 
Sinai halbiu sei, dieser wandert aus und holt sie sich aus Mesopo- 
tamien, Deutlich wird damit der Gegensatz der späteren 'Völker- 
typen vorgespielt, des rohen urwüchsigen im Boden wurzelnden 
Edom, und des glatteren civilisierteren den Weltmächten näher 
stehenden Israel. Durch Trug und List gelingt es dem jüngeren 
Bruder, den älteren um den Segen des Vaters und um das 
Reebt der Erstgeburt zu bringen; in Folge dessen nimmt sieh 
dieser vor, ihn zu töten und ihr Verhältnis wird sehr gespannt. 
Edom war früher als Israel ein Volk und Reich geworden, wurde 
aber dann von Israel überflügelt und sehlieselich durch David 
auch Unterwolfen, in Folge dessen entstand der wüthende Hftss 
zwischen den Brudervölkera, von dem Arnos redet. Dass dies 
die geschichtliehe Grundlage der Sage ist und als solche empfun- 
den wird , erheilt ganz klar aus dem Wortlaut des Segens 
Isaak, hier wird sogar schon Bezug genommen auf öftere wieder- 
holte Versuche der Edomiter, das israelitische Joch abzuschütteln, 
und diesen Versuchen wird schliesslich öin glücklicher Erfolg 
veibeissen. Voi David können sieh also die Erzählungen Über 
Jakob nnd Esau nicht einmal in ihren Grnndzttgen gebildet 



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Die Eri^hlung des Heiateuch^ 341 

habea; m ihrei jetzigen Geetalt (Gen 27,40) blicken eie sogar 
noch auf weit spätere Zeiten voraus Bei diesem Wuraeln der 
Sage in der späteren Geschichte, das im Jehoviiten so unver 
holen zu Tage tritt, ist es denn auch nur eine scheinbare Spren 
gung des historischen Eahinens, wenn gelegentlich ein Ver 
zeichnis der edomitischen Könige bis auf David heigesetzt wird, 
mit eingestreuten chronistischen Bemerkungen wie / B , dass 
Hadad ben Bedad (etwa gleichzeitig mit Gideon) die Midianiter 
geschlagen habe auf dem Felde Moabs Em weifeies Beispiel, 
wo der zeitgenössische Hintergrund recht klar durch die Patri 
archengeschiehte hindurehschiramert , bietet die Erzählung von 
Jakob und Laban dar. Dem von Mesopotamien nach dem 
Jordanlande auswandernden, halb' flüchtigen Hebräer folgt der 
aramäische Schwiegervater auf dem Fusse und eieilt ihn m 
Gilead: dort vertragen sie sieh mit einandei und türmen einen 
Wall auf, welcher die Grenze zwischen ihnen bilden soll, die 
zu respektieren und nicht feindlich überschreiten zu wollen 
sie sich gegenseitig verpflichten. Das entspiicht dem wirkhchen 
Sachverhalte, dass der hebräischen Einwanderung m Kanaan 
die aramäische folgte und sie zu überfluten drohte, da^s Gilead 
das Grenzland zwischen den beiden Völkern war und lange Zeit 
der Schauplatz der grimmigsten Kämpfe zwischen ihnen Auf 
die Syrerkriege wird auch im Segen Jakobs, in dem Spiuche 
über Joseph, Bezug genommen; die Pfeilschützen , die Joseph 
arg bedrängen, ihn aber nicht zu überwältigen vermögen, können 
nur die Aramäer von Damaskus sein, deren Angriffen er em 
Jahrhundert lang ausgesetzt war; Joseph erscheint hier durch- 
aus als der Träger des nordisraelitischen Königtums, als der 
Diademträger unter seinen Brüdern, wozu er ja auch schon duich 
seine frühesten Träume bestimmt wird Sonst scheinen allei 
diugs der Erzählung Über Joseph, soweit sie überhaupt duich- 
sichtig und nicht Produkt freier Poesie ist, weit ältere geschieht 
liehe Thatsachen zu Grande zu liegen , aus einer Zeit wo sich 
die Vereinigung der beiden Hälften des nachmaligen Volkes 
Israel gerade erst vollzog, wenngleich m der Eifersucht der 
Brüder auf ihn ein späteres Motiv eingemischt sein mag ') 

') Es Yerdient Beachtung, dass Joseph ursprünglich allein m Ägypten ist 
und seine Brüder erst nach sich zieht. \ ermutlich zog die Übertragung 
des Begriffes Gesamfisrael in' die Urzeit die Folge nach sich, dass man 



342 



Geschichle der Tradition, Kap 8 



Ebenso sind auch die gesehiettlichen Beziehungen, die den Er- 
zählungen Ton den übrigen Söhnen Jakobs zu Grunde liegen, 
verhältnismäBsig sehr alt; sie liefern uns beinah die einzigen 
Naehriehten über die grosse Veränderung, welche bald nach 
Mose in dem Bunde der Stämme vor eich gegangen sein muss. 
Diese Veränderung hat besonders die zusammengehörige Gruppe 
der vier alten Leastämme betroffen. Rüben bat sich zu früh 
die Rechte des Vaters angeraaest und verliert den Primat. Si- 
meon und Levi unteniehmen eigenmächtig einen treulosen Über- 
fall gegen die Kanaaniter, Geeamtisrael lässt sie die Folgen 
allein tragen, sie erliegen der Rache ihrer Feinde und lösen 
sich als Stämme auf. Dadurch geht die Erstgeburt auf Juda 
über. Zwar wird auch Juda, ohne Zweifel in den Kämpfen, 
weiche die Ansiedl'ung im Lande Kanaan begleitet haben, arg 
mitgenommen und auf einen kleinen Teil seines alten Bestandes 
herabgemindert, aber hier wird die Lücke ausgefüllt durch 
frischen Zuwachs von dem Mutterboden der Leastämme her, 
durch die Verbindung von Peres und Zerah , d. i. von Kaleb 
Kenaz Kain Jerahmeel, mit dem Reste des alten Juda, Sicher 
liegen den jehovistiscbeu Erzählungen über Ruhen Simeon Leri 
Juda Thatsachen aus der Zeit der Eroberung des heiligen Lan- 
des zu Grunde; es ist indessen hier nicht der Ort die geschicht- 
liche Interpretation noch weiter auszufllhren. ') Ausdrücklich 
aber möge -noch bemerkt werden, dase auch da, wo die histori- 
schen Motive ganz unzweideutig in der Patriarchensage sieh ver- 
raten, doch nicht einfach die Wirklichkeit darin transcribiert ist. 
In Wirklichkeit hat Edom seinen Zorn gegen Jakob immerdar 
bewahrt und sein Veiwandtschaftegefühl erstickt {Arnos 1, 11), 



I 



die faestbiLke des Teils mtht lon den Ireschicken de« Ganzen liennen 
konnte, ähnlich iit es, dass wenn Rahel eine Aramäenn ist, auch Lea 
eine Bein ihusb Vielleicht lat die Verbindung von Rahel und Lea iU 
einer nationalen Einheit erst durch Mose zu Stande gekitmmen Mose 
kam von der Smaihalbinael (Lea) herbei, um die Hebräer \on Gnsen 
(Joseph) dorthin überzuführen, die Bezeichnung Levi konnte er nicht in 
Lea, sondern nur m Joseph erhallen 
') Vgl den Artikel Israel m der EncyLlopaodia Bnt (1881) p 400aq Eme 
ähnliche Stanrngeschithte ist Gen 4, 1 — 15 Per alte Stamm Kam, dessen 
Name auf AngisSigkeit und Cultur hinweist, scheint in sehr fruhei 
Zeit zerschmettert und in alle Winde (Jud 5, 24) gestoben zu sein — 
ähnlich wie Levi, mit dem er auch das Pnestertum geteilt zu haben 
scheint Dass Gen 4, 1—15 nur durch Interpolation in die Ursage ge- 
kommen ist, ist bereits gesagt 



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Die ErziUilui^ des HesateucbB 343 

m der Genesis kommt er dem von Mesopotamien zurückkehien 
den Bruder, dei in grusstei Angst voi ihm ist, mit rührender 
Veisohnhchkeit eotgegen es ifit ein Zug dei den alten Israeliten 
nicht geringe Ehie macht Daneben ist auch ein Fall von 
offenhaier Grehassigkeit zu veizeichneD, nämlieh fieü 19, 30—38, 
wo insbesondere die aufiallende Namenlosigkeit der Tochter Lots 
beweist, dass sie lediglich zum Zweck dei Blutschande zwischen 
Lot und fceme Sohne Moab und Ammon eingeschoben smd^ 
Sympathien und Antipathien mischen sieh Überall ein, dabei 
wird durchgehend der nordisraelitische Standpunkt angenommen, 
wie sich besonders klar daraus ergibt, dass Rahel die schöne 
und geliebte Frau Jakobs ist, die er eigentlich allein haben 
wollte, Lea die hässliche und zurückgesetzte, die ihm nur unter- 
geschoben ist.') Im Ganzen werden die Gegensatze der Wirk- 
lichkeit in dieser poetischen Verklärung eher ausgeglichen als 
verschärft, die verbindenden Momente treten stärker uud ab- 
sichtlicher hervor als die trennenden. Von eigentlichen Anspie- 
lungen detaillierter und persönlicher Art, z. B. auf die unsaube- 
ren Vorgänge am Hofe Davids, ist nichts zu bemerken, so wenig 
wie von gemachter und versteckter Tendenz, 

Diese Geschichten würden nun aber in der Luft sehweben, 
wenn nicht noch andere Elemente hinzukämen, durch die es 
bewirkt wird, dass sie an emei bestimmten Örthchkeit haften 
Vorzugsweise kommt es in diesei Hinsicht in Betracht, dass die 
Patriarchen als die Begründer des volkstümlichen Cultus zu 
bichem, Bethel, Beeiseba und Hebum angesehen werden, wie 
wii bereits oben S 31ff gesehen haben. Eine ganze Reihe von 
Erzählungen über sie sind Oultubmythen sie entdecken dann 
durch eine Theophanie, dass ein bestimmter Fleck Landes hei- 
ligei Boden sei, ernchten doit einen Altar und nennen ihn nach 
dem Numen des Oites Sie wohnen anssehliesslieh an Stätten, 
die späterhin als malte Heiligtümer galten, und inaugurieren 
den Opfeidienst daselbst Die Bedeutung dieser Eizählungen 
hängt ganz und gar von dem Lokal ab, Interesse haben sie nur 
für diejenigen, die noch immei an dem selben Altaie wie einet 
Abraham dem Jah\e opfein, unter dei selten heiligen Eiche More 

') Ea jst daraus aber nur zu sohliesseft, daaa diese Sagen ursprünglich in 
Ephraim eulatandeii nicht dass sie dort auch m ihrer uns vorliegenden 
Gestalt niedergeschrieben sind 



L. 




344 Geschichte der Tradition Kap h 

oder Mamre. ÄhiiHeh finden oder graben die Patriarchen die 
Grabhöhlen, die Quellen oder Brunnen, pflanzen sie die Bäume, 
die ihre Nachkommen noch nach Jahrtausenden beilig oder doch 
in Ehren halten. Es kommt auch vor, daae auflallende oder 
bedeutungsvoll scheinende Formationen der Landschaft durch 
einen Vorgang aus der Patriarchenzeit legendarisch erklärt wer- 
den. Wäre das Tote Meev nicht, so würden Sodom und Go- 
morrha nicht untergegangen sein; wäre nicht die kleine flache 
Landzunge, welche von Südosten her in den Sumpf sieh vor- 
streckt, so würde Lot alsbald auf die Berge seiner Söhne Moab 
und Ammon geflohen sein und nicht erst den Umweg Über Soar 
gemacht haben, welcher bloss den Zweck hat zu erklären, 
warum dieser Zipfel vom „Einstürze" ausgenommen ist, zu dessen 
Gebiet er doch eigentlich gehört. Die Salzsäule, zu der Lots 
Weib versteinert worden war, wurde noch zur Zeit des Josephus 
gezeigt; vielleicht hat auch der Ofenrauch, den Abraham am 
Morgen nach der Katastrophe vom judäischen Ufer aus auf- 
steigen sah, eine Beziehung zu einer dort gelegenen gleichna- 
migen Stadt,') Die Entstehung des Gebirges Gilead wird durch 
seine historische Bedeutung erklärt; es ist ein ungeheurer Wall, 
der einst von Laban und Jakob aufgetürmt wurde, um als 
Grenze zwischen Aram und Israel zu dienen. Manchmal haben 
die Namen der Orte Anlass zur Entstehung einer Legende ge- 
geben, die nicht immer den wahren Grund der Benennung trifft. 
Letzteres ist zum Beispiel der Fall bei der Quelle von Lahai 
Roi, durch deren Entdeckung Hagar und Ismael vor dem Ver- 
schmachten gerettet werden. „Hagar nannte den Namen Jahve's, 
der mit ihr redete, El Roi (Gott des Schauens), denn sie sprach : 
habe ich die Gottheit geschaut und bin am Leben erhalten nach 
meinem Schauen' Darum nennt man den Brunnen Beer Lahai 
Koi (lebendig ist wer mich schaut), er liegt zwischen Kades und 
Berdan." Nach Jud. 15, 18—20, 2. 8am. 23, 11 wird Lahai Eoi 
richtiger zu erklären sein: Kinnlade der Antilope — so heisst 
nach dem Aussehen eine Reihe neben einander stehgnder Fels- 
zähne. ') 

') Itf^jn Jos lÖ, 62 heisst wohl richtiger W^'DÜ, da der Name wegen des 
vorgesetzten Artikels eine klare Bedeutnng erkennen lassen nrnss. 

*) Vgl Onngnathos und die Kamelskinnlade bei Vakidi a. 0, S. 298 Änm. 2, 
Jakut IV 353, 9ff. ■.«-! ist ein verschollener Tieraame. Statt Q^n 



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Die Erzählung des Heiateuchs. 345 

Der hiemiit aufgezeigte reale Kern der Sage erscheint nun 
aber weiter im Jehovisten überall und immer tiberkleidet von 
dem bunten Gewebe der Phantaeie. Je länger eine Erzählung 
durch den Mund des Volkes gegangen ist, desto mehr igt ihre 
Wnrzel verdeckt von den wuchernden Trieben; man wird zum 
Beispiel annehmen dürfen, dase die Geschiobte Josephs, eben 
deshalb weil sie fast zum Romane geworden ist, ihrer letzten 
Entstehung nach in hohes Alfertom hinaufreicht. Die volkstüm- 
liche Phantasie spielt nun wohl wie sie will; doch macht sie 
nicht solche Sprttnge, dass man ihr nicht nachgeben könnte. 
Wunder, Engel, Gotteserscheinungen, Träume fehlen nie auf der 
Palette. Ganz gewöhnlicher Aberglaube liegt zu Grunde, wenn 
Rahel durch den Genuss der ihr von Lea abgetretenen Alraunen, 
die ßuben gefunden hat, fruchtbar und mit Joseph schwanger 
wird. Eeht Mythisches findet sieh vereinzelt in dem Ringen 
Jakobs mit der Gottheit an der Jabbokfurt. Sehr beliebt sind. 
Etymologie und Spruch als Ausgangspunkte von oft sehr leben- 
digen bunten Erzählungen. Äueh liinter dem, was man für in- 
dividuelles Kunstproduet halten möchte, stecken dennoch oft 
alte stilvolle Motive. Ganz und gar aus solelien zusammenge- 
setzt ist zum Beispiel die Geschichte Jakobs und Labans. Die 
Brautwerbung am Brunnen wiederholt sich ganz ähnlich noch 
zweimal ; dass der Schwiegervater die älteetö Tochter zuerst los 
werden will und sie dem Eidam nach dem Hochzeitsgelage 
unterschiebt, ist ebenfalls schwerlich Erfindung eines Einzelnen; 
die HirteukunststUcke, wodurch Jakob die Schafe beliebig färbt, 
zeigen ganz die Art des Volksschwankes. Eine sehr beträcht 
liehe Stelle nimmt gehaltene oder verletzte Gastfreundschaft in 
der jehovistischen Genesis ein ; dass unerkannt die Gottheit 
selber von Lot bewirtet, von den Sodomiten freventlich ange 
tastet wird, ist ein bekannter überall wieder auftauchender Zug. 
. Psychologische Ausschmückung, eigentliche Mache ist sehr We- 
niges; das Meiste beruht auf der ineinandergreifenden nnwiU 
kUrlichen Arbeit , Unzähliger. Wie bildsam und lebendig dei 
Stoff noch im neunten oder achten Jahrhundert gewesen sein 
muss, zeigen die vielfachen Varianteii und Dubletten, die gleich 
wohl den Grundcharakter des Themas kaum verändern. 

Gen. 16, 15 ist Q'n^N ^Q 'eae» (■"&'• i- Sam. 3, 13) und ror t-in« «'*» 
*nK7 e" ''"'' — 



346 Geschichte der Tradition, Kap 8 

Noch einen Zug zur Charakteristik des Jehovisten muss ieh 
hiiiKufllgeii. Seine Erzählungen sind jede fUr sich und einzeln 
zu verstellen; die Genealogie dient nur dazu sie aufzureihen, 
ihr Interesse . und ihre Bedeutung bekommen eie aber keines- 
wegs erst aus dem Zusammenhang, Die lokale Färbung eo 
vieler unter ihnen beweist lokalen Ursprung, und wie manche 
stOBsen sich im Grunde genommen und stehen nur gezwungen 
bei einander! In dem ganzen literarischen Charakter, in der 
lockeren Fügung der jehovistiechen Patriarcheugesehiehte zeigt 
sieh wie allmählich die Elemente zusammengebracht, wie wenig 
sie schon mit einander verwachsen sind. In diesem Punkt steht 
die Patriarch engeschichte der Ursage des Jehovisten, bei der 
wir das selbe- constatiert haben, ganz gleich. 

2. Die jehovistische Gestalt der Erzväterlegenden beherrscht 
durchaus den Eindruck , den wir überhaupt davon haben. So 
lernen sie die Kinder in der Schule und so können sie sie be- 
halten. Um die Parallele des Priestereodex damit zu ver- 
gleichen, ist es unumgänglich dieselbe zunächst herzusetzen; 
denn Wenige kennen den Eindruck, den sie maehi 

„Und Abram war 5 Jahr und 10 Jahr als er aus Harran 
auszog. Und Abram nahm Sarai sein Weib und Lot seines 
Bruders Sohn und all ihren Erwerb, den sie erworben, und die 
Seelen, die sie erzielt hatten, und sie zogen aus zu gehen in's 
Land Xanaan und kamen in's Land Kanaan (12, i^. 5). Und 
das Land ertrug sie nicht beisammen zu wohnen, denn ihr Be- 
sitz war gross, und sie konnten nicht beisammen wohnen. Und 
sie trennten sich von einander, Abram wohnte im Lande Kanaan 
und Lot wohnte in den Städten des Kikkar. ') Und da Gott 
die Städte des Kikkar verderbte, gedachte Gott an Abram und 
liees Lot heraus aus dem Umsturz, als er die Städte umstürzte, 

in denen Lot wohnte (13, 6. ll^ 12«'''' 19, 29). Und Sarai 

war unfruchtbar, hatte kein Kind. Da nahm Sarai, Abrams 
Weib, die Ägypterin Hagar, ihre Magd, nach 10 Jahren des 
Aufenthalts Abiams im Lande Kanaan, und gab sie Abram, 
ihrem Manne, ihm zum Weibe, und Hagar gebar dem Abram 
einen Sohn, und Abram nannte den Namen des Sohnes, den 
Hagar geboren hatte, Ismael; und Abram war 80 Jahr und 
6Jahi, da Hagar den Ismael dem Abram gebar (11,30. 16,3. 
') wo spater das Tote Meer war. 



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Die ErzähluDg des Eezateuchs. 347 

15. 16)." Folgt die BundschlieBsung Gottes mit Abram, dessen 
Namen er jetzt in Abraham verwandelt, und die Anordnung der 
BeBOhneidung als Zeichen der Bundeszugehörigkeit; ferner die 
Ankündigung der Geburt Isaaks von der 90jährig6n Sarai, die 
hinfort Sara heisaen soll, und dessen Einsetzung zum Erben des 
Bundes an Ismaels Stelle (Kap. 17). „Und Sara gebar dem 
Abi-aham einen Sohn zu der Frist, die ihm Gott gesagt hatte. 
Und Abraham nannte den Namen seines Sohnes, der ihm ge- 
boren war, den ihm Sara geboren hatte, Isaak. Und Abraham 
besohnitt seinen Sohn Isaak nach aoht Tagen, wie Gott ihm 
geboten hatte. Und Abraham war 100 Jahr alt, als ihm sein 
Sohn Isaak geboren wurde (21, 2—5). Und es war das Leben 
der Sara 100 Jahr und 20 Jahr und 7 Jahr, die Lebensjahre der 
Sara. Und Sara starb in Kiriath Arba, das ist Hebron im 
Lande Kanaan". Daran schliesst sieh die juristisch genau auf- 
genommene Verhandlung Abrahams mit dem- Hethiter Ephron, 
von dem er die Höhle von Makpela gegenüber Mamre zum Erb- 
begi'äbnis erwirbt (Kap. 23). „Und dies sind die Tage des Le- 
bens Abrahams, die er lebte, 100 Jahr und 70 Jahr und 50 Jahr, 
Und Abraham verschied und starb in gutem Greisenalter, hoch- 
betagt und lebenssatt, und ging ein zu seiner Verwandtschaft. 
Und Isaak und lemael, seine Söhne begruben ihn in der Höhle 
Makpela auf dem Felde Ephrons ben Sohar des Hethiters gegen- 
über Mamre; das Feld, das Abraham von den Kindern Hetb ge- 
kauft hatte, da ward Abraham begraben und sein Weib Sara. 
Und nachdem Abraham tot war, segnete Gott seinen Sohn 
Isaak (25, 7—11'}." Folgen die Tholedoth (generationes) Ismaels, 
gemäss der regelmässigen Sitte, zuerst die Nebenlinien zu erle- 
digen (25, 12—17). „Dies sind die Tholedoth Isaaks des Sohnes 
Abrahams. Abraham zeugte Isaak .... and Isaak war 40 Jahr 
alt, da er die Kebekka, die Tochter Bethuels des Äramäers aus 
Paddan Aram, die Schwester Labans des Äramäers sich zum 
Weibe nahm .... und Isaak war 60 Jahr alt, da sie geboren 
wui-den (25, 19. 20. 26<). Und'Esau war 40 Jahr alt, da nahm 
er ein Weib, Judith, die Tochter Beeri's des Hethiters, und Bos- 
math, die Tochter Elons des Hethiters, und sie waren ein Her- 
zenskummer für Isaak und Kebekka. Und Kebekka sagte zu 
Isaak: mich verdriMst zu leben wegen der Töchter Heths; wenn 
Jakob auch solche Weiber von den Töchtern Hetbs, roa den 



i--. 



348 Geschichle der Tradition, Kap. 8. 

Töchtern des Landes, nimmt, was soll mir das Leben! Da rief 
Isaak den Jakob und segnete ihn und befahl ihm und sprach 
zu ihm: du sollst dir kein Weib nehmen von den Töchtern Ka- 
naans; aufgehe nach Paddan Aram zum Hause Bethuels, des 
Vaters deiner Mutter, und hole dir von dort ein Weib von den 
Töchtei-n Labans, des Bruders deinei» Mutter, und E! Schaddai 
wird dieb segnen, dich mehren und ausbreiten, und er wird dir 
den Segeu Abrahams geben, dir und deinem Samen mit dir, 
dass du das Land, wo du fremd bist, erbest, das Gott dem 
Abraham gegeben. Und Isaak entsandte Jakob, und er ging 
nach Paddau Aram zu Laban ben Bethuel dem Aramäer, dem 
Bruder der Kebekka, der Mutter Jakobs und Esau's. Und Esau 
sah, dass Isaak den Jakob segnete und ihn nach Paddan Aram 
sandte, um sich von dort ein Weib zu uebm"en, indem er ihn 
segnete und ihm befahl: du sollst kein Weib von den Töchtern 
Kanaans nehmen. Jakob nun hörte auf seinen Vater und ging 
na,ch Paddan Aram. Esau aber sah, dass die Töchter Kanaans 
seinem Vater Isaak misfielen, und Esau ging hin zu Ismael und 
nahm die Mahalath, die Schwester Nebajoths, zu seinen Wei- 
bern hinzu sich zum Weibe (26, 34f. 27, 46. 28, 1-9) ... und 
Laban gab ihr seine Magd Zilpa, seiner Tochter Lea zur Magd 
.... Und er gab ihm seine Tochter Rahel ihm zum Weibe, 
und Laban gab seiner Tochter Eahel seine Magd Bilha ihr zur 
Magd {29, 24. 28^. 29). Und die Söhne Jakobs waren zwölf. 
Die Söhne Lea's: der Erstgeborene Jakobs Rüben, Simeon, Levi, 
Juda, Issachar, Zebuion. Die Söhne ßahels: Joseph und Ben- 
jamin. Die Söhne Bilha's Raheis Magd: Dan und Naphthali. 
Die Söhne Zilpa'e Lea's Magd: Gad und Äser. Das sind die 
Söhne Jakobs, die ihm geboren wurden in Paddan Aram (35, 
23—26) , . . [Und Jakob nahm] all seinen Erwerb, den er er- 
worben, die Habe seines Besitzes, den er in Paddan Aram er- 
worben, heimzugehen zu seinem Vater Isaak in's Land Kanaan 
(31, 18). Und Gott erschien dejn Jakob als er heimkam aus 
Paddan Aram, und segnete ihn, und Gott sprach zu ihm: dein 
Name ist Jakob, dein Name soll nicht mehr Jakob heissen, son- 
dern Israel soll dein Name sein. Und Gott sprach zu ihm: 
ich bin El Schaddai, wachse und bjeiite dich aus, ein Volk und 
ein Haufe von VOlkern soll aus dir kommen und Könige sollen 
aus deinen Lenden hervorgehen; und das Land, das ich Abraham 



C.ooglc 



Die Erzählung des Hexateuchs 349 

und Isaak gegeben habe, dir will ieb's geben, und deinem Sa- 
men nach dir will ich das Land geben. Und Gott fuhr auf Yon 
ihm an dem Orte wo er mit ihm geredet hatte. Und Jakob 
nannte den Namen des Ortes, wo Gott mit ihm geredet hatte, Bethel 
(35, 9—13. 15). Und sie brachen auf von Bethel, und da es noch 
eine kurze Strecke bis nach Ephrath war, starb Rahel und ward 
begraben am Wege nach Epbrath d. i. Bethlehem (35, 16«, 19; 
vgl. 48, 7. 49, 31). Und Jakob kam zu seinem Vater Isaak 
nach Mamre bei Kiriath Arba d. i. Hebron , wo Abraham und 
Isaak als Fremde wohnten. Und es waren die Tage Isaaks 
100 Jahr und 80 Jahr. Und Isaak verschied und starb und ging 
ein zu seiner Verwandtschaft, hochbetagt und lebenssatt, und 
seine Söhne Esau und Jakob begruben ihn (35, 27—29)." Fol- 
gen die Tholedoth Esau's in Kap. 36'). „Und Esau nahm seine 
Weiber und seine Söhne und seine Töchter und alle Seelen seines 
Hauses und seine Habe und all sein Vieh und all seinen Besitz, 
den er erworben im Lande Kanaan, und ging in's Land Seir 
wegen seines Bruders Jakob. Denn ihr Besitz war zu gross um 
beisammen zu wohnen, und das Land ihres Aufenthalts ver- 
mochte nicht sie zu ertragen wegen ihres Besitzes. Und Esau 
wohnte auf dem Gebirge Seir, Esau das ist Edom, Und Jakob 
wohnte im Lande des Aufenthalts seines Vaters, im Lande Ka- 
naan (36, 6—8. 37, 1). Dies sind die Tholedoth Jakobs 

(37,2). Und sie nahmen ihr Vieh und ihren Erwerb, den sie' 
erworben im Lande Kanaan und kamen nach Ägypten, Jakob 
und all sein Same mit ihm; seine Söhne und sehier Söhne Söhne 
und all seinen Samen brachte er mit sich naeh Ägypten (46, 6. 
7). Folgt die Aufzählung der 70 Seelen, welche damals seinen 
Samen ausmachten. „Und Jakob und seine Söhne kamen nach 
Ägypten zu Joseph, und Pharao, der König von Ägypten, hörte 
es. Und Pharao sagte zu Joseph : dein Vater und deine Brüder 
sind zu dir gekommen, siehe das Land Ägypten steht dir offen, 
im bebten Teile des Landes lass deinen Vater und deine BrQder 
wohnen. Und Joseph brachte seinen Vater Jakob und stellte 
ihn vor Pharao, und Jakob segnete Pharao. Und Pharao sprach 
zu Jakob : wie viel sind die Tage deiner Lebensjahre? und Jakob 
sprach zu Pharao: die Tage der Jahre meines Aufenthalts in 

') welches Kapitel jedoch nur teilweise dem Prieateroodex angehört 



S^Sis^ar r^i/ V 



350 Geschieht« der Tradition, Kap 8 

der Fremde sind 130 Jahre, wenig und böee Bind die Tage 
meinee Lebens gewesen und haben nicht erreicht die Tage der 
Jahre meiner Väter zur Zeit ihres Aufenthalts. Und Ja^ob 
segnete den Pharao und ging fort von Pharao. Und Joseph 
liesB seinen Vater und seine Brüder wohnen und gab ihnen 
Grupdbesitz im Lande Ägypten, im besten Teile des Landes, 
im Lande Kameses, wie ilim Pharao geboten hatte {47, 5>>. 6. Sept.; 
47, 7—11). Und sie siedelten sich dort an und wuchsen und 
mehrten sich sehr. Und Jakob lebte im Lande Ägypten 17 Jahr, 
und es waren die Tage Jakobs, seine Lebensjahre, 7 Jahr und 
140 Jahr {47, 27^ 28) . . . Und Jakob sprach zu Joseph: El 
Sehaddai erschien mir zu Luz im Lande Kanaan und segnete 
mich und sprach zu mir: siehe ich ireite dich aus und mehre 
dich und mache dieli zu einem Haufen von Völkeni und gebe 
dieses Land deinem Samen nach dir zu ewigem Besitz. Und 
nun, deine beiden Söhne, die dir im Lande Ägypten gehören 
sind, ehe ich zu dir kam nach Ägypten, sind mein; Ephraim und 
Manasse sollen mein sein wie Ruhen und Simeon. Und die 
Kinder, die du nach ihnen gezeugt hast, sollen dein sein; nach 
dem Namen ihrer Brüder sollen sie heissen in deren Erbe. Und 
als ich von Paddan kam, starb mir Babel im Lande Kanaan 
unterwegs als es noch eine kurze Strecke bis nach Ephrath war, 
und ich begrub sie am Wege nach Ephrath, das ist Bethlehem 
• (48, 3—7, zu V. 7 vgl. 49, 31) ... . [und auch die übrigen Söhne] 
segnete er und befahl ihnen und sprach zu ihnen: ich gehe ein 
zu meiner Verw^d tschaft, begrabt mich bei meinen Vätern in 
der Höhle des Feldes Makpela gegenüber Mamre im Lande Ka- 
naan, welches Feld Abraham von Ephron dem Hethiter zum 
Erbbegräbnis gekauft hat — dort haben sie Abraham begiaben 
und Sara sein Weib, dort haben sie Isaak begraben und Rebekka 
sein Weib und dort habe ich Lea begraben — den Besitz des 
Feldes und der Höhle darauf von den Kindern Heth. Und Jakob 
hörte auf seinen Söhnen zu befehlen und zog seine Füssi 
sammen auf dem Lager und verschied und ging ein zu seinei 
Verwandteohaft (49, 28"— 33). Und seine Söhne brachten ihn 
in's Land Kanaan und begruben ihn dort in der Höhle des Fel- 
des Makpela, welches Feld Abraham gekauft hatte zum Erbbe- 
gräbnis, von Ephron dem Hethiter, gegenüber Mamre (50,12. 
13). Und äies sind die Namen der Kinder Israel, die nach 



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Die Erzählung des Hesateuchs. 351 

Ägypten kamen, mit Jakob kamen sie, jeder mit seinem Hause: 
Euben Simeon Levi Juda Issachar Zebuion Benjamin Dan Naph- 
thali Gad Äser. Und die Summe der Seelen, die aus Jakobs 
Lenden hervorgegangen waren, war 70 Seelen, und Joseph war 
in Ägypten. Und die Kinder Israel wuchsen und wucherten gar 
sehr, und das Land ward voll von ihnen, und die Ägypter 
knechteten die Kinder Israel mit Härte, zu aller Arbeit, welche 
sie durch sie arbeiteten mit Härte, und verbitterten ihnen das 
Leben mit schwerer Arbeit (Exod. 1, 7. 13. 14). Und die Kinder 
, Israel stöhnten wegen der Arbeit und schrien, und ihre Klage 
wegen der Arbeit drang zu Gott, und Gott hörte ihr Geschrei 
und Gott gedachte an seinen Bund mit Abraham Isaak und 
Jakob und Gott hatte ein Einsehen (2, 23—25). Und Gott re- 
dete zu Mose und sprach zu ihm: leb bin Jahve. Dem Abraham 
Isaak und Jakob bin ich erschienen als El Sohaddai, mit meinem 
Namen Jahve habe ich mich ihnen nicht kundgegeben, und ich 
habe einen liund mit ihnen gemacht, ihnen das Land Kanaan 
zu geben, das Land ihres Aufenthalts, wo sie Fremdlinge waren. 
Und ich habe auch das Geschrei der Kinder Israel gehört, dass 
die Ägypter sie knechten, und habe meines Bundes gedacht 
u. s. w. (6, 2fFA'' 

Das ist ^8 Ganze. Im Allgemeinen beschränkt sich die 
Darstellung darauf, bloss die Gliederung und Verkettung des 
Stoffes wiederzugeben. Es ist als ob Q der rothe Faden sei, 
an dem die Perlen von JE aufgereiht werden. Statt des noch 
ziemlich lockeren Gefllges des Jehovisten zeigt die Erzählung 
des Priestercodex eine fest geschlossene literarische Form, ein 
sehr merkwürdiges Zeichen davon sind die regelmässigen Über- 
schriften an der Spitze der einzelnen Abschnitte, die stehend mit 
den Worten n^^h^r\ rhu (hae sunt generationes) , beginnen, von 
denen die Genesis den Namen hat') — m der übiigen histori 
sehen Literatur des Alten Testamentes findet sieh dergleitshen 
noch nicht. Dabei ist charakteristisch, dass jedesmal nach einer 
solchen Überschrift, die einen neuen Abschnitt eröffnet, zuerst 
ganz kurz der Inhalt des vorigen rekapituliert wird, um das 
Glied der Kette einzureihen. 

I) AB-iT] Jj ßfßXo« ytiheoK 2, 4 Sept. Daher Ewalds Name fnr den Pnester- 
codex, der für die Genesis oder vielleicht überhaupt für das Vierbundes- 
biioh (Q) sehr passend ist; Bnch der Ursprünge hber ongtniim 




352 Geschichte der Tradition, Kap 8 

Auf den Inhalt der einzelüen Erzählungen geht der Priester- 
eodex so wenig wie möglieh ein. Die Prädikate werden so weit 
es geht abgestreift und darnach die Subjekte ordentlich in ein 
Register, mit verbindendem Texte, zusammengestellt. Fast 
schrumpft die Darstellung auf diese Weise zusammen zu einer 
Art räsonniereuder Genealogie; die Genealogie bildet jedenfalls 
den hauptsächlichen Inhalt der Geschichte und tritt hier so breit 
und systematisch auf wie nirgend sonst. Man hat nun wohl 
eben hierin einen Beweis gefunden, dass Q einem älteren Ent- 
wicklungsstadium der hebräischen Geschichtsehreibung angehöre 
als JE; denn dass sich die älteste hebräische _und überhaupt 
morgenländische Geschichtscbreibung aus den den Stammes- 
und Gesehleehtsverzeichnissen eingefügten histoi-ischen Notizen 
und Überlieferungen berausgestaltet habe, könne doch wohl 
keinem Zweifel unterliegen '). Indessen wissen wir genau, dass 
in den Büchern der Richter Samuelig and der Könige von ge- 
nealogischer Statistik nichts vorkommt, während die Chronik 
samt Zubehör voll daron ist; wir wissen ferner, dass Lieder wie 
Jos. 10, 12. 13. Jud. 5. 2. Sam. 1, 19£F. 3, 33f. die ältesten histo- 
rischen Denkmäler sind, und' dass sieh davon in JE eine Anzahl 
finden, in Q kein einziges. Die Herdersche Theorie von der 
Entwicklung der Geschichte aus der Genealogie hÄ nicht stich'); 
ausserdem aber haben wir es hier überhaupt nicht mit eigent- 
licher Geschichte zu thuu, sondern mit Volkssage. 

Wohl liegt die Genealogie auch im Jehovisteu als Skelett 
zu Grunde. Sie ist das naturgemässe Band, um die Sagen auf- 
zureihen. Auch in der Zeit, wo diese letzteren nur erst einzeln 
und mUndlich umliefen, ist sie dem Volke nicht unbekannt ge> 
wesen. Aber sie hat nur als sii lisch weigende Voraussetzung zu 
Grunde gelegen. Wenn von Isaak und Ismael und Lot und Esau 
erzahlt wuide, so wusste man ohne weiteres, was man sieh unter 
diesen Personen vorzustellen hatte, in welcher Beziehung sie zu 
Israel und zu einander standen. Das war nur das selbstver- 
ständliche Substrat, aber keineswegs das eigentliche Interesse 
der ursprünglichen Erzählungen. Dieses hängt vielmehr eben an 

') Riehm, die s g Gmadschrift des Pentateuchs, in den Studien und Kri- 
tiken 1872 S 296. 

i besonders Sprenger gegen Caussin de 
osgeführt hat. 




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Die Ertählimg des Hesateuchs, 353 

den Zügen, die im Piiestereodex fortgefallen sind. Die Charak- 
teristik der Völker nach ihrem wirklichen historischen Verhält- 
nisse zu einander, nicht nach dem leeren embryologischen, nach 
ihrer Gesinnung gegen einander, nicht nach ihrer Verwandt- 
schaft, ist das eigentlich Fesselnde dieser Art von Sagen; auf 
ihrer unbewussten Transparenz, auf dem Durchscheinen der ge- 
schichtlichen Stimmung ihrer Entetehungszeit beruht ihr Reiz 
und ihr Leben. Je mehr wir dabei von Liehe und Hass und 
Eifersucht und Schadenfreude spüren, desto näher stehen wir 
den treibenden Kräften der Überlieferung über die Vorzeit. Im 
Priestereodex fehlen alle jene Geschichten, an denen man etwa 
einen moralischen Anstoss nehmen könnte, z. B. von der durch 
die Feigheit der Erzväter bewirkten Gefährdung der Ehre ihrer 
Weiber, von der grausamen Eifersucht der Sara auf die Hagar, 
von dem hässlicheu Wettkampfe Lea's und Raheis um Mann 
und Kinder, von der Blutschande der Töchter Lots, von der 
Schändung Dina's, Aller Hass und Streit und Betrug in der 
Erz Väterfamilie fällt fort: Lot und Abraham, Isaak und Ismael, 
Jakob und Esau gehen schiedlich friedlich auseinander; von dem 
bösen Spiele Labans und Jakobs gegen einander, von der Treu- 
losigkeit Simeons und Levi's gegen Siehem, von der Feind- 
schaft der Bröder gegen Joseph ist nichts im Priestereodex zu 
lesen. Hiemit bleiben nun aber nicht bloss „psychologische 
Ausschmückungen", wie man es genannt hat, weg, sondern es 
wird den Sachen das Herz ausgeschnitten. Dass Moab und Am- 
mon und Ismael und Edom hebräische Völkerschaften sind, 
sämtlich näher oder entfernter den Israeliten verwandt, dass 
auch die Aramäer zu den Hebräern in naher Beziehung stehen 
und mit ihnen vielfach verschwägert sind, dass die einen in . 
diesem, die anderen in jenem Nachbarlande Falästina's wohnen 
— das durch eine trockene ethno- und geographische Statistik 
in genealogischer Form darzustellen, worin von nichts als von 
Heiraten und Geburten und Scheidungen der Ahnherren in die 
verschiedenen Wohnsitze ihrer Völker die Rede ist, hat die 
Volkssage unmöglich im Sinne gehabt zu einer Zeit, wo alle 
diese Verhältnisse, noch lebendig und jedem Kinde vertraut und 
geläufig waren. Ebenso wie die historische ist auch die lokale 
Färbung der Erzvätersage im Priestercodex abgestreift; sie wer- 
den von all den Orten fei-ngehalten , deren Heiligkeit sie im 



«tr;eoy,Goa^Jc 



354 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Jehovisten begründen '). Zum Verständnisse der Erzählung des 
Priestercodex in der Genesis hat man keine historische Geographie 
nötig; das bedeutet aber, dass dieselbe dem Boden, woraus die 
mündliche Tradition erwächst, ganz fern steht. Imgleichen ist 
das Absehen von der Etymologie, vom Spruche und vom Liede, 
das Fehlen der Wunder Theophauien und Träume und weiter 
des ganzen bunten Zaubers der Poesie, mit dem die jehovisti- 
sehen Erzählungen geschmückt sind , nicht etwa ursprüngliche 
Simplicität, sondern Verziebtleistung auf die Quelladem und auf 
die wesentiicben Züge der Sage'), Was übrig bleibt, ist mit 
nicbten die historische Objectiyität, sondern das Schema. 

') Einen wunderlichen Ausdruck hat Hupfeld dieser Beobachtung gegeben, 
indem er sagt, Abraham Isaah und Jatob äiedelen im Priestercodex weit 
fester. Es ist ja doch diese Schrift, welche geflissentlich so oft die 
Pilgerschaft, die Nichtans&ssigteit der Patriarchen hervorhebt; aie redet 
immer nur davon, dass Abraham im Lande Kanaan geweilt habe, und 
nennt selbst für die Gotteserscb einung Eap. 17 keinen bestimmten Ort; erst 
als es sich darum handelt Sarä und Abraham zu begraben, wird, aus 
diesem zwingenden Grunde, das Feld Makpela bei Hebron (wohl gemäss 
dem verloren gegangenen Berichte von JE) zum Grundbesitz der Erz- 
vateriamilio erworben, wo sie nun weiterbin sich dauernd niederlässt. Das 
Wohnenbleiben Isaaks und Jakobs am Grabe Abrahams hat mehr nega- 
tive als positive Bedeutung; und umgekehrt sollen die Kreuz- und Quer- 
zi3ge der Patriarchen in JE sie nicht als schweifende Nomaden darstellen, 
sondern sie mit all den heiligen Orten in Berührung bringen, zu denen 
sie eine besondere Beziehung hatten. 

*) Riehm (a. 0. S. 302f.) hält es freilich für constatiert, dass die leligiöse 
Überlieferung des höheren Altertums sich durch ihre „nüchterne Einfach- 
.heit" und ihre „dem erhabenen Gegenstande angemessene Haltung" aus- 
zeichne, dass sie erst im Laufe der Zeit „von der Phantasie des Volkes", 
die aber nicht so Jeicbt in die ernste Literatur Eingang finde (I), mit 
allerlei Wunderbarem und Geheimnisvollem ausgeschmückt werde. Er be- 
ruft sich darauf, dass die Engelvorstellung, obwohl gewiss beim Volke 
längst ausgebildet, bei den älteren Propheten doch nur vereinzelt vor- 
komme, häufiger dagegen bei den jüngeren, wie Ezechiel Zacharia Da- 
niel, Es ist schwer Wahrheit und Irrtum aus diesem Gemisch zu schei- 
den. Im Prieatercodes finden sich allerdings keine Engel, dagegen aber 
Azaze! und Seirim (2. Chron. 11, 15. Isa. 13, 21. 34, U vgl. oben S. 53); 
denn wo die Götter nicht sind, da walten Gespenster. In der einen 
iehovistischen Hauptqnelie (J) kommt vorzugsweise der Mal'ak Jahve (die 
Botschaft Jahve's) vor, das ist Jahve selber, sofern er erscheint und sich 
offenbart, sei es in einem Naturvorgange, sei es in Menschengestalt. Etwas 
anderes sind die B'ne Elohim, Wesen von göttlicher Substanz, an welche 
man vielleicht bei der 1. Pluralis im Munde Jahve's (Gen. 3, 22. 11, T) zu 
denken hat. Beides ist ohne Zweifel sehr alt. In der anderen Haupt- 
quelle (E) scheint eine Vermischung eingetreten zusein; die himmlischen 
Scharen sind nicht bloss die Kinder und Begleiter der Gottheit (32,-2. 3), 
sondern auch deren Boten, Vermittler des Verkehrs, zwischen Himmel ucid 
Erde (28, 12): hier haben wir die Mal'akim- neben Gott und im Plural. 
Dass auch dies nicht gerade jung ist, erheilt aus der Vision Micha's 



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Die Erzählung des Hexateucbs. 355 

Was von der Ursage gilt, gilt auch von der Patriarchen- 
Sage: die Individualität der einzelnen Erzählung ist das Wesent- 
liche und das UrepriingÜche, der Zusammenhang ist Nebensache 
und erst durch die Sammlung und echriftliehe Aufzeichnung 
hineingebracht. Die Individualität der einzelnen Erzählung ist 
nun aber im Priestercodex durch die einseitige Hervorhebung 
des Zusammenhangs geradezu vernichtet. Was hat ee für einen 
Sinn , dass Jakob plötzlich Israel d, i. Kämpfegott heissen soll 
(35, 10), wenn sein Ringkampf mit El, der Grund der Um- 
nennung, verschwiegen wird? Kommt die Geschichte von Joseph 
im Priestercodex auch nur im entferntesten zu ihrem Eeehte? 
Kann das ursprüngliche Kürze sein, wenn die Zerstörung So- 
doms und Gomorrha's in einem Nebensatze abgemacht wird, wie 
es 19, 29 geschieht? Man hat das bemerkenswerte Zugeständnis 
gemacht '), es sei der summarischen Berichterstattung des Priester- 
codex anzumerken, dass der Verfasser viel ausführlicher hätte 
erzählen können, wenn dies im Plane seines Werkes gelegen 
hätte, und dies setze allerdings eine ausführlichere Kunde vor- 
aus. Indessen die vorausgesetzte ausflJhrlichere Kunde sei 
keineswegs notwendig eine schriftlich verzeichnete und am we- 
nigsten die uns vorliegende jehovistische ; vielmehr erkläre sich 
der Sachverhalt am hefriedigendeten durch die Annahme, dass 
der Verfasser eine ausführliche Erzählung nicht für erforderlich ■ 
gehalten habe, weil die im Volke lebendige mündliche Über- 
lieferung die Grundlinien seiner chronikartigen Notizen noch 
tiberall zu lebensvollen farbenreichen Bildern auszumalen im 

(I. Reg. 22, 19ff.). Was versteht Riehm unter höherem Altertum? ein© 
Periode, aus. der uus gar keiue Denkmäler erhalten sind? Warum zieht 
er gerade die prophetische Literatur in Betracht? Da er einräumt, dass 
die Engelvorstellung ,in d«r Phantasie des Volkes" früh vorhanden ge- 
wesen sei, sollte er sich doch auch zu dem weiteren Zugeständnis ent- 
schliessen, da£s die Aufzeichuer der Volkssage sich etwas anders zum 
Volksglauben verhalten haben als die prophetischen Bussprediger. 
Nicht einmal die historischen Bücher können in diesem Punkte mit dem 
gleichen Masse gemessen werden wie die vorgeschichtliche Oberlieferung. 
Was ist übrigens ursprünglicher, dass die Engel sich einer Leiter be- 
dienen, wie in der Genesis, oder dass sie Flügel haben wie bei Jesaia? 
BetrefTend endlich die Verweisung auf Eiechiel (?) Zacharia und 
Daniel, SO scheint mir der Unterschied zwischen der systematischen, 
überall mit Zahlen und Namen operierenden Angelologie und dem kind- 
lichen Engelglauben ziemlich klar zu sein. Jene rückt Gott in die Ferne, 



dieser bringt ihn nahe. 
') Riehm a. 0. S. 292. 



23* 



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356 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Staude gewesen sei. Dies iet indessen lediglieh ein Versuch, 

der unvermeidlichen bestimmten Vergleiehnng zwischen Priester- 
codex nnd Jehovisteu aus dem Wege zu gehen. Die Frage ist, 
welche der beiden Schriften dem Ausgangspunkte am nächsten 
steht. Ist es diejenige, welche zur Hauptsache macht, was dem 
Wesen der mündlichen Überlieferung eigentlich fremd ist, was 
erst durch literarische Composition hineinkommt? Es wäre doch 
seitsam, wenn der Anfang zur Aufzeichnung der Sage damit ge- 
macht wäre, das aufzuzeichnen, was die Sage nicht enthielt. 
Was uns im Priestercodex geboten wird, ist die Quintessenz 
nicht der mündlichen, sondern der bereits schriftlich gewordenen 
Überlieferung, Und zwar ist die acbriftliehe Fixierung der Vor- 
geschichte, welche benutzt wird, das jehovistische Erzählungs- 
bucb. Die Anordnung, welche die volkstümlichen Legenden dort 
gefunden haben, ist hier zum Kern der Erzählung gemacht; der 
dort noch hinter der Ausführung versteckte Plan tritt hier scharf 
und markiert, freilich durchweg übereinstimmend, als die Haupt- 
sache des Ganzen hervor. 

3. Dem Geiste der Sage, in dem der Jehovist noch lebt, 
ist der Priestereodex entfremdet; er thut ihr Zwang an, indem 
er sie von seinem Standpunkte aus behandelt, der ein ganz an- 
derer geworden ist als der ihrige. Die sittliche und geistige 
Bildung ist fortgeschritten. Daher die Beseitigung von wirk- 
lichen oder anscheinenden Verstössen gegen die Moral, von 
allzu kindlichen, abergläubischen oder gar mythischen religiösen 
Vorstellungen. Wenn die Gottheit auftritt , so darf sie doch 
nicht in die Sinne fallen, wenigstens nicht in irgend einer Form 
gesehen werden. Jahve redet mit Jakob, aber nicht im Traume 
von der Himmelsleiter, er offenbart sieh dem Mose, aber nicht 
im feurigen Busch ; der Begriff der Offenbarung wird festgehalten, 
aber die Ergänzungen, die hinzukommen müssen um aus dem 
Abstracium ein Coneretum zu machen, werden abgestreift. Unter 
welchen Formen, durch welche Medien ein Mensch Offenbarung 
empfangt, ist gleicbgiltig, wenn nur die Thatsache feststeht; 
mit anderen Worten ist die Offenbarung nicht mehr lebendige 
Realität in der Gegenwart, sondern totes Dogma für die Ver- 
gangenheit. Vor allem Anderen zeigt sich der Fortschritt der 
Bildung beim Priestereodex in der gelehrt historischen Behand- 
lung, die er der Sage angedeihen lässt. Da ist zunächst die 



vGooqIc 



Die Erzäbluag' des Hexateiiobs. 357 

Chronologie, der wir schon bei der Ursage begegnet sind und 
die natürlich bei der Patriarchensage fortgeht. Gerade bei der 
Patriarchensage zeigt sieh recht deutlich, wie fi-emd die gelehrte 
Eeehnung dem poetiseben Stoffe ist; in einigen Beispielen, in 
denen die Sachen zu einer ganz anderen Vorstellung führen als 
die Zahlen. Folgt man den Zahlen des Pi-iestercodex, so kann 
man mit den Rabbinern Sem und Eber als die greisen Häupter 
der Judeiisehule ansehen, bei denen der kleine Jakob die Buch- 
staben und die Thora lernte. Jakobs Aufenthalt in Mesopota- 
mien dauert dann etwa 80 Jahr; während dieser Zeit liegt 
Isaak beständig auf dem Sterbebett; nachdem er für uns längst 
tot ist, taucht er unversehens noch einmal auf, fi'eilich nur um 
zu sterben. Mit dfer Chronologie Hand in Hand geht die allge- 
meine Vorliebe des Priestercodex für Zahlen und Namen, die 
sieh schon in der Genesis, freilich noch weit stärker in den 
späteren Büchern des Pentateuchs äussert. Die mündliche Volks- 
sage kann wohl runde Zahlen enthalten, wie die 12 Söhne und 
die 70 Seelen der Familie Jakobs, die 12 Brunnen und die 70 
Palmen zu Elim, die 70 Altesten und die 12 Kundschafter; aber 
ein chronologisches System, ganze Listen genauer und grosser 
Zahlen, nackte Verzeichnisse völlig bedeutungsloser Personen- 
namen, Datierungen und Messungen wie sie der SUndiiutsberieht 
des Priestereodex gibt, setzen schon zu ihrer Entstehung, ge- 
schweige zu ihrer Überlieferung die Schrift voraus. Diese Kun^t- 
produkte der Pedanterie treten an Stelle des lebendigen poeti- 
schen Details der jehovistischen Erzählung; denn das episodische 
Element muss dem Ernste der trockenen Historie weichen. Histo- 
rische Gelehrsamkeit ist es auch, wenn die Vermischung der 
Patriarchenzeit mit einer späteren Periode als anachronistiseli 
vermieden wird. Der Jehovist lässt überall die Gegenwart durch- 
schauen und verhehlt in keiner Weise sein eigenes Zeitalter; 
wir eifahren, dass Babylon die grosse Weltstadt ist, dass das 
assyrische Reich besteht, mit den Städten Nineve und Kelah 
und Resen, dass die Kanaaniter einst in Palästina wohnten, 
jetzt aber längst unter den Israeliten aufgegangen sind ; vor alle 
dem hütet sich der Verfasser des Priestercodex sorgtaltig. ') Er 
_ putzt die Sage nach den Regeln der Kunst zur Historie auf, 

') Daher auch die Archaismen wie Kiriath-Arba, Liik, Eplirath. Vgl, die 
antiquarische Gelehrsamkeit ia Deut. 1 — 4 und in Gen. 14, 



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358 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

tötet sie dadurch als Sage und beraubt sie auch des wirklichen 
Wertes, den sie zwar nicht für die Urzeit, wohl aber för die 
Königszeit besitzt. 

Die Geschichte der Urmenschen und der Erzväter verläuft 
nach dem Priestercodex in drei Perioden, deren jede durch 
einen Bund eröffnet wird. Der. Bund mit Adam (Gen. 1,28 — 
2, 4) ist der einfachste; er wird noch nicht Bund genannt, doch 
ist er die Grundlage des zweiten Bundes mit Noah (9, 1—17), 
der ihn in wichtigen Punkten modifieiert und dem gegenwärti- 
gen Weltalter näher bringt. Der Bund mit Abraham {Gen, 17), 
welcher den folgenden Erzvätern lediglich bestätig! wird, gilt 
nicht mehr für die ganze Menschheit, sondera nur für die 
Abrahamiden und speeiell für Israel. Das erste Bundeszeichen 
ist der Sabbatb (Gen. 2, 3 vgl. Exod. 31, 12. Ezeeh. 20, 12. 20), 
das zweite der Regenbogen (Gen. 9, 12), das dritte die Beschne)- 
dung (17, 10). Der Urvater der Menschheit wird lediglich auf 
Pflanzennahrung angewiesen, der Vater der nachsüudflutlichen 
Menschheit erhält Erlaubnis auch Tiere zu schlachten, wobei 
ihm jedoch eingeschärft wird, das Fleisch nicht im Blute zu 
essen und ausserdem kein Menschenbiut zu vergiessen. Was 
dem Noah gesagt ist, bleibt noch für Abraham in Kraft; diesem 
aber verspricht Gott für seine Nachkommen von Sara den Besitz 
des Landes Kanaan, der weiterhin verbürgt wird durch den in 
aller Form Rechtens, unter den weitläufigsten Verhandlungen, 
abgeschlossenen Kauf der Höhle Makpela zum Erbbegräbnis; 
ausserdem gibt er sieb ihm näher zu erkennen als El Scbaddai. 
Unter diesem Namen offenbart er sieh auch dem Isaak (28, 3) 
und Jakob (35, 11) und wiederholt ihnen die Verheissung des 
Landbesitzes. Es wird Nachdruck darauf gelegt, dass Gott mit 
seinem israelitischen Namen der vormosaischen Zeit unbekannt 
gewesen sei, daes er sich den Erzvätern nur als El Schaddai 
kund gethan habe, als Jahve aber erst dem Mose (Exod. 6, 2. 3). 
Ebenso wird mit deutlicher Absicht die Patriarebenzeit auch von 
den Uhrigen mosaischen Formen des Gottesdienstes noch frei 
gehalten, daher hier noch keine Opfer und Altäre, kein Unter- 
schied reiner und unreiner Tiere und dergleichen. Bis vor 
kurzem ist man nun sehr geneigt gewesen, ~ gegenwärtig will 
es allerdings keiner mehr gewesen sein — die Keuschheit und 
Treue des Priestercodex zu bewundern, die sich in dieser Inne- 



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Die Erzählung des Beiateuchs. 359 

haltung des Unterschiedes der Eeligionsatufen kund gebe. In 
Wahrheit kann man an diesen Vorzügen nur Geschmaek finden, 
wenn man glaubt, die Religion sei anfangs naturalistisch gewesen, 
dann sprungweise ein Stück positiver, und endlich im Jahre 
1500 vor Christus ganz positiv geworden*. Wie ist es möglieh 
darin histoiisehe Treue zu erblicken, dass die Erzväter zwar 
wohl haben schlachten, aber nicht haben opfern dürfen, dass 
erst der Sabbath, dann der Regenbogen, dann die Eeschneidung 
und zuletzt unter Mose der Opferdieast eingeführt sei! Natür- 
lich ist es, dass Jakob zu Bethel den Zehnten gibt von Allem 
was er erwirbt, unnatürlich dass der Heros Eponymus gerade 
im Gottesdienst den Seinen nicht mit gutem Beispiel vorangehen 
darf. Was ist es anders als Theorie, dass der Name Jahve erst 
dem Mose und durch ihn den Israeliten offenbart wird und 
vorher ganz unbekannt bleibt? eine Theorie, die ohne Zweifel 
nicht stichhält — denn Mose hätte nichts widersinnigeres thun 
können als für den Gott der Väter auf den er sein Volk ver- 
wies einen neuen Namen einführen — , die aber wegen der 
Correlation zwischen Jahve dem Gotte Israels und Israel deip 
Volke Jahve's sehr nahe liegt und auch dem Verfasser des 
Priesteroodex nicht ganz eigentümlich ist. ') Er hat eine Vor- 
lage gehabt, deren andeutende Linien er mit systematischer 
Schärfe nachzieht; darin so weit gehend, dass er sogar da wo 
er selber erzählt den Namen Jahve in der vormosaischen Zeit 
vermeidet, dass er auch in seiner eigenen Rede bis auf Exod, 6 
nur Elohin sagt, nicht Jahve. 

Die drei Perioden und die entsprechenden drei Bünde der 
Vorzeit sind Vorstufen zur vierten Periode und zum vierten 
Bunde Auf das mosaische Gesetz ist überall dis Absehen des 



I) Exod 6 2 3 (Q) = 'S IS 14 (JE) Dass die Pnontit der Theopbanie 
auf Seiten des Jeliovi<:ten lat ergibt sich schOD aus dem feurigen Buacb 
wahrend ihr ira Pnestercode^ eifrentlich der ganze Charakter der 
Theophanie abffesfre ft ist namentlich aber ergibt es sich aus der \er 
gleichung von Eiod 7 1 (y) mit 4 16 (Ih) Der Au druck T, 1 „siehe 
ich mache dich zum Qott für 1 baran und dem Bruder Äharon eoll lein 
Prophet sein" ibt eine Versi.li!eohterung des entsprechenden 4 IS „Abaron 
soll iir als Mund d enen lud du sollst ihm für Gott sein" Denn wenn 
Aharott der Prophet oder der Mund Mose s ist so ist na''h der Ursprung 
iichen weil illein sachgemlssen Conception Mose der (iott eben für 
AharOQ und nioht der Qott für Pharao — Beilautig hat die Ähnlichkeit 
zwischen SenJ und isinai etwas zu bedeuten/ 



,Gogiglc 



360 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Erzählers gerichtet, nach dieser Ettcksieht entwirft er den bei 
ihm so stark heryortrefenden Plan seiner Darstellung der Ur- 
sprünge. Die Höheopunkte derselben bilden die Haupt- und 
Staatsactionen Elohims mit den Erzvätern. In diesen Haupt- 
und Staatsactionen wird nichts erzählt, sondern nur geredet und 
verhandelt; es werden darin die präliminarischen Gesetze ge- 
geben , welche stufenweise fortschreitend das Hauptgesetz vor- 
bereiten, nämlich das mosaische. Das Cultusgesetz ist an die 
Stelle der Cultussage getreten. In der Cultussage entstehen die 
heiligen Sitten und Bräuche so zu sagen unwillkürlich, bei irgend 
einer motivierenden Gelegenheit die in die heilige Vorzeit ver- 
legt wird. Jahve stellt nicht statutarisch fest, dass die Hüft- 
sehne nicht gegessen werden darf, sondern er ringt mit Israel 
und verletzt ihm dabei die Hüftsehne, und aus diesem Grunde 
pflegen die Kinder Israel die Hüftsehne nicht zu essen. Wie es 
gekommen ist, dass die jungen Knaben von den Israeliten be- 
schnitten werden, wird folgendermassen erzählt (Exod. 4, 25f.): 
als Mose auf seiner Rückkehr von Midian nach Gosen unter- 
wegs übernachtete, Überfiel ihn Jahve in der Absicht ihn zu 
töten; sein Weib Sippora aber nahm einen Feuerstein und 
schnitt die Vorhaut ihres Sohnes ab und berührte damit die 
Scham Mose's und sprach; du bist mir ein Blutbräutigam; da 
Hess Jahve von ihm ab. Sippora beschneidet also ihren Sohn 
statt ihres Mannes, macht den letzteren dadurch symbolisch 
zum Blutbräutigam und löst ihn von dem Zorne Jahve's, dem 
er verfallen ist, weil er eigentlich kein Blutbräutigam ist, d. h. 
weil er nicht die Beschneidung vor der Hochzeit an sich hat 
vollziehen lassen. Mit anderen Worten wird die Beschneidung 
der Kuäblein hier geschichtlich erklärt als ein gemildertes Äqui- 
valent für die ursprüngliche Beschneidung der jungen Männer 
vof der Hochzeit.') Damit vergleiche man die Art und Weise, 
wie der Priestercodex in Gen- 17 'die Beschneidung der männ- 
lichen Kinder am achten Tage nach der Geburt statutarisch ver- 

') Dass dies in der That die ursprüngliche Sitte ist, geht aus dem Worte 
inn hervor, welches sowohl die Beschneiduag als den Bräutigam (resp. 
arabisch den Schwiegersohn) bedeutet, worauf iu Esod- 4, 25 der Sinu 
von nim inn (Blutbräutigam) beruht. Noch gegenwärtig herrscht die 
ursprüngliche Sitte bei einigen arabischea Stämmen, ebenso wie auch 
Sichern in Oen. 34 sich vor der Heirat beschneiden muss. 



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Die Erzählung des Hexateucha. 361 

ordnet und durch die Verordnung die Erzählung, die ihr zum 
Anlass gedient hat, vollkommen in den Schatten stellt und ver- 
dirbt, nämlich die Erzählung von der Verheissung der Geburt 
Isaaks zum Lohn fUr die Gastfreundeehaft, welche Abraham dem 
Jahve zu Hebron erwiesen hat. Es besteht aber nicht bloss ein 
formeller Uutersehied, sondern auch ein materieller Gegensatz 
zwischen der jehovistischen Cultussage und dem priesterliehen 
Cuitusgesetz. Die Cultussage wird von dem Cultusgesetz puri- 
fieiert, das heisst in allen ihren GrundzUgen und Trieben negiert. 
Wie wir bereits im ersten Kapitel gesehen haben, ist es be- 
wusste Polemik, dass Abraham Isaak und Jakob im Eriester- 
eodex keine Altäre errichten und keine gottesdienatliehen Ge- 
bräuche auKüben, dass sie gelöst werden von den heiligen Orten 
mit denen sie in JE unzertrennlich verbunden sind. Das Volks- 
religionsbueh , welches uns in der jehovistischen Genesis noch 
so ziemlieh wenngleich auch nicht ganz uncorrigtert erhalten 
ist, erzählt, wie die Ahnen und Repräsentanten Israels die alte 
volkstUmliehe Praxis des Cultus, an den Hauptorten wo derselbe 
gefeiert wurde, begrändet haben. Das Gesetz des legitimen 
Cultus von Jerusalem, wie es uns im Priestercodex vorliegt, 
reformiert und zerstört den alten volkstümlichen Gottesdienst auf 
Grund mosaischer d. i. prophetischer Ideen. Die Stiftshtitte 
verträgt sich nicht mit den Heiligtlimern von Hebron Beerseba 
Sichern Kades Mahanaim Lahai-Koi Bethel; die Patriarchen wohnen 
iu Hebron nur um sich dort begraben zu lassen, nicht um die 
Gottheit unter der Eiche Mamre zu bewirten und dort den Altar 
zu bauen. Die ketzerischen Malsteine Bäume und Brunnen 
verschwinden und mit ihnen die anstössigen Bräuehe; dasa Gott 
den Abraham sollte aufgefordert haben ihm seinen einzigen Sohn 
zu opfern, wäre im Priestercodex ein unmöglicher Gedanke. Der 
ganze Stoff der Sage ist legislativen Zwecken untergeordnet, 
tiberall tritt der umändernde Eiufluss des Gesetzes auf die Er- 
zählung hervor. 

Im Ganzen stellt sich der Judaismus negativ zu der alten 
Sage, einiges Positive aber hat er doch neu hineingebracht. 
Während die Patriarchen nicht opfern, sondern nur schlachten 
dürfen, haben sie dagegen den Sabbath ') und die Beschneidung. 

') Der Sabbath ist nach dem Priestercodex keine mosaische Verordnung, 
aondem wird schon Exod. 16 vorausgesetzt, und besteht nach Oen. 2, 3 



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362 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Sie gleichen darin den Juden in Babylonien, denen die fehlende 
Cultiisfeier durch diese beiden vom jeruealemisehen Tempel un- 
abhängigen Verbindungs- und Erkennungszeichen der Religion 
ersetzt wurde. Im Exil, nach dem Aufhören des Altardienstes, 
haben der Sabbath und die Besehneidung die Bedeutung erlangt, 
die ihnen als Symbolen — in der eigentlichen alten Bedeutung 
des griechischen Wortes — und zwar ala praktischen Symbolen 
des Judentumes bis auf die Gegenwart geblieben ist. Merkwürdig 
ist es, mit welchem Nachdruck stets im Priestercodex hervor- 
gehoben wird, dass die Patriarehen ein Leben' in der Fremde 
geführt haben, dass sie Gerim gewesen seien. Nimmt man 
hinzu, dass Abraham von Ur, aus Chaldäa, nach Palästina ein- 
gewandert sein soll, sq ist in der That der Gedanke nicht ab- 
zuweisen, dass auf die priesterliehe Gestaltung der Erzvätersage 
die Verhältnisse des babylonischen Exils eingewirkt haben. 
Trotz allem historischen Bestreben und allem archaistischen 
Schein würde dann dennoch die Gegenwart des Erzählers auch 
positiv in der Schildemng der Patriarehenzeit zum Ausdrucke 



ni. 

1. In dem jebovistisehen Geschicbtsbuche ist die Genesis 
eine grosse Hauptsache und nimmt mindestens die Hälfte vom 
Ganzen ein, im Priestereodex verschwindet sie völlig gegen die 
späteren Bücher, Er kommt erst mit der mosaischen Geaete- 
gebung in sein eigentliches Fahrwasser und erdrückt alsbald die 
Erzählung durch die Last des legislativen Stoffes. In seinem 
dünnen historischen Faden läuft er zwar auch hier dem Jeho- 
visten parallel, aber wir verlieren denselben bei ihm stets aus 
den Augen wegen der immer wiederkehrenden Unterbrechungen 
durch umfangreiche Ritualgesetze und statistische Aufnahmen. 

„Durch eine höchst traurige, unbegveifliehe Redaction wer- 
den diese vier letzten Bücher Mose's gauz ungepiessbar. Den 
Gang der Geschichte sehen wir überall gehemmt durch einge- 
schaltete zahllose Gesetze, von deren grösstem Teile man nicht 
einsehen kann, warum sie ^hier angeführt und eingeschaltet 

^ seit Anfang der Weit, Bei den alten Israeliten trat der Sabbath an 
, gottesdienstlicher Bedentimg vfflig zurück hinter den Festen, im Juden- 

tum war es umgekehrt. 



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Die Erzählung des Heiateuchs. 363 

werden." Dieee Sprengung der Glieder der Erzählung durch 
die ungeheuren AuswUehee gesetzliehen Inhalts, die indessen 
nicht wie Goethe meint erst Schuld der Redaction, sondern schon 
des unredigierten Priestercodes selber ist, ist in der That un- 
erträglich; sie kann auch, rein formell und literarisch betrachtet, 
nichts Ursprüngliches sein. Es läset sich, noch verfolgen, wie 
der gesetzliche Stoff in die Erzählung eindringt und sich dort 
.allmäblieh immer breiter macht. Im JehoTisten seheint noch 
eine Form der Überlieferung durch, in weicher die Israeliten 
sofort nach dem Durchgänge durchs Schilfmeer auf Kades zogen 
und nicht erst den Absteeher zum Sinai machten. Während wir 
erst mit Exod. 19 zum Sinai gelangen, befinden wir uns eehoa 
in Exod. IT zu Massa und Meriba, d. h. auf dem Boden von 
Kades. Doi-t spielt der Vorgang, wie Mose mit seinem Stabe 
Wasser aus dem Felsen sehlägt; dort der Kampf mit den Ama- 
lekitern, die eben hier und nicht am Sinai wohnten; dort 
Jethro's Besuch, der eine von seiner Heimat (am Sinai) ziemlieh 
entfernte örtlichkeit voraussetzt, wo nicht bloss ein vorüber- 
gehendes Wanderlager sondern die dauernde Gerichtsstätte ') 
des Volkes sieh befand. Darum kehren auch die Erzählungen, 
die vor der Ankunft am Sinai berichtet werden, nach dem Auf- 
bruch von dort noch einmal wieder, weil das Lokal vorher und 
nachher das gleiche ist, nämlich die Wflste von Kades, der 
wahre Schauplatz der mosaischen Geschichte. Mit der Einsetzung 
von Richtern und Altesten wird vor dem grossen Sinaiabschnitte 
abgeschlossen und nachher wieder angefangen (Exod. 18 Num, 11); 
die Erzählung vom Manna und von den Wachteln begegnet nicht 
nur Exod. 16, sondern auch Num. 11; ebenso die von dem durch 
Mose hervorgelockten Felsenquett zu Massa und Meriba nicht 
bloss Exod. 17, sondern auch Num. 20. Das besagt mit anderen 
Worten, dass die Israeliten nicht erst nach der Digression zum 
Sinai, sondern sofort nach dem Auszuge, in Kades, dem ursprüng- 
lichen Ziel ihrer Wanderung, anlangen und dort die vierzig 
Jahre ihres Aufenthaltes in der Wüste verbleiben. Kades ist 
dann auch der ursprüngliche Ort der Gesetzgebung. „Dort setzte 
er ihnen Recht und Gericht, und dort versuchte er sie", helsst ■ 
es vor der Sinaiperikope in einem poetischen Fragmente (Exod. 

') Kades heisat auch Meriba, die Gericbtsslätte, oder Meribat Kades, die 
Gericlitsatätte am heiligen Quell. Ueriba (dem Sinne nach) e= Midian. 



«»jGoc^lc 



364 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

15,25), welches jetzt in die Erzählung Tori der Heilung des 
Brunnens zu Mara eingesetzt ist, dort aber ganz verloren und 
ohne Beziehung steht: die eigentilmliehe Verbindung von Gericht 
und Versuchung weist mit Entschiedenheit auf Massa und Meriba 
(d. i. Gerichts- und Versuehungsstätte) , also auf Kades als den 
eigentlich gemeinten ■ Ort. Die Gesetzgebung an der Gerichts- 
stätte Ton Kades wird jedoeh nicht vorgestellt als ein einmali- 
ger Akt, wodurch Mose den Israeliten ein fUr alle mal ein all- 
gemeines umfassendes Gesetz verkündet, sondern sie dauert 
vierzig Jahre und besteht in der Eechtspreehung am Heiligtum, 
die er beginnt und die nach seinem vorbildlichen Anfange die 
Priester und Richter nach ihm fortsetzen. So ist die Voretellung 
in der überaus lehrreichen Erzählung Exod, 18, wetelie zu Kades 
spielt. Und in dieser Weise gehört die Thora hinein in die 
Geschieh tsdarstelluDg, nicht nach ihrem Stoff als Inhalt irgend 
eines Codex, sondern nach ihrer Form als das berufsmässige 
Thun Mose's, nicht nach ihrem Ergebnis als Summe der iu 
Israel gültigen Gesetze und Bräuche, sondern nach ihrer Ent- 
stehung als begründender Anfang der noch immer in Israel fort- 
wirkenden und lebendigen Institution der Thora. 

Die wahre und alte Bedeutung des Sinai ist ganz unab- 
hängig von der Gesetzgebung. Er war der Sitz der Gottheit, 
der heilige Berg, ohne Zweifel nicht bloss für die Israeliten, 
sondern allgemein für alle hebräischen und kainitischen Stämme 
der Umgegend. Von dem dortigen Priestertum wurde das 
Priestertum Mose's und seine Nachfolger abgeleitet; dort war 
Jahve ihm im brennenden Dornbusch erschienen, als er die 
Schafe des Priesters von Midian hütete; von dort hatte er ihn 
nach Ägypten entsandt. Dort blieb Jahve auch für die Israeliten 
noch wohnen, lange nachdem sie selber sich in Palästina nieder- 
gelassen hatten; im Liede der Dehora muss er vom Sinai her- 
kommen um seinem bedrängten Volke zu helfen und sich an 
die Spitze seiner Krieger zu stellen. Nach der Meinung des 
Dichters von Deut, 33 haben sich nicht die Israeliten zu Jahve 
nach dem Sinai begeben, sondern umgekehrt ist dieser vom 
Sinai zu ihnen nach Kades gekommen: „Jahve kam vom Sinai 
und erglänzte von Seir, blitzte auf vom Berge Pharans und kam 
nach Meribath Kades".') Es erklärt sich aber leicht genug, 
') Wo der Sinai gelegen hat, wissen wir nicht und die Bibel ist sich 



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Die Erzählung des Hexateuchs. " 365 

dass es für passender gehalten wurde, sich die Israeliten zu 
Jahve bemühen zu lassen. Das geschah zunächst nur in der 
Form, dasa sie dort vor Jahve's Antlitz erscheinen um ihm zu 
huldigen und zu opfern (tisod, 3, 12), und dass wie beim Ab- 
schiede die Lade erhalten zum Ersätze ftlr Jahve selber, der auf 
dem Sinai wohnen bleibt (Exod. 33): denn die Lade ist die Re- 
präsentation Jabve's, darin besteht ihre Bedeutung und nicht in 
den Gesetzestafeln, die ui'sprünglich gar nicht darin liegen. Erst 
ein weiterer Schritt führte dazu, den Sinai zum Schauplatz der 
feierlichen Eröffnung des geschichtlichen Verhältnisses zwischen 
Jahve und Israel zu machen. Es waltete das poetische Be- 
dürfnis, die Constituierung des Volkes Jahve's zu einem drama- 
tischen Akte auf erhabener Bühne zuzuspitzen. Was nach der 
■ älteren Überlieferung auf stille und langsame Weise vor sich 
ging, den Inhalt der gesamten Periode Mose's ausmachte, und 
ebenso begann wie es sich noch immer fortsetzte, das wurde 
nun der Feierlichkeit und Anschaulichkeit wegen in. einen ecla- 
lanten Anfang zusammengedrängt. Dann aber musste der Bund 
zwischen Jahve und Isi'ael auch irgendwie positiv charakterisiert 
werden, das heisst, Jahve musste die Grundlagen und Bedingun- 
gen desselben dem Volke ankündigen. So entstand die Not- 
wendigkeit, die Grundgesetze ihrem Inhalte nach hier mitzu- 
theilen, so fand der legislative Stoff Eingang in die geschicht- 
liche Darstellung, Dass er jedoch urspiilnglich hier keine 
Stelle hatte, merkt man an dem WiiTwarr, der auch innerhalb 
der jehovistischen Siuaiperikope (Exod, 19—24 32—34) herrseht. 
Die kleinen Gesetzescorpora, die hier mitgeteilt werden, mögen 
an sich alt genug sein; aber in die Erzählung sind sie hinein- 
gezwungen. Nur von dem relativ jüngsten Corpus, dem Dekalog 
(in E), kann man das nicht sagen. 

Wie der Jehovist ursprünglich ein reines Geschichtsbuch, so 
war das Deuteronomium, als es zuerst aufgefunden wurde, ein 
reines Gesetzbuch.') Diese beiden Schriften, die geschichtliehe 

si-hwerlah einig darüber; das Streitea über die Frage ist bezeichnend 
für die Dilettanten Den besten Anhalt gibt Midinn Exod. 2, denn das 
ist doch wahrscheinlich Hadian an der arabischen Küste des Roten Meeres. 
Nach unserer Stelle scheint der Sinai südöstlich von Edom zu liegen; 
der Weg vom Sinai nach Kades geht über Seii und Pharan. 
') Kip 12—27 Die beiden historieehen Einleitungen Kap. 1—4. Kap. 5 — II 
sind erst spater hinzugekommen, ebenso die Anhänge Kap 28 ff. 



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366 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

und die gesetzliehe,, waren anfange ganz unabhängig ron ein- 
ander; erat hinterdrein wurden sie verbunden, vielleicht weil 
das neue Gesetz die Popularität des alten Volksbuches teilen 
und dasselbe zugleich mit seinem Geiste durchdringen sollte. 
Eine bequeme Handhabe dazu bot der ümsland, dass, wie wir 
eben gesehen haben , schon ein gesetzliohes Stück in das jeho- 
vistieehe Geschichtsbuch aufgenommen war. Dem Dekaloge, 
am Anfang der vierzigjährigen Periode, wurde nun das Deute- 
ronomiura, am Sehluss derselben, hinzugefügt. Die Situation — 
von der das Gesetz selber nichts weiss — ist sehr gut gewählt, 
nicht bloss weil Mose in seinem Testamente das Recht hat 
weissagend vorzugreifen und ein Gesetz für die Zukunft zu ge- 
ben, sondern auch weil dadurch, dass das Gesetz an den Sehluss 
seines Lehens zu stehen kommt, der Erzäblungsfaden nicht weiter 
unterbrochen, sondern nur ein Einschnitt zwischen dem Penta- 
teuch und dem Buche Josua gemacht wird. Durch diese Zu- 
samnjenarbeituug des Deuteronomiums mit dem Jehovisten ist 
nun zuerst die Verbindung von Erzählung und Gesetz entstan- 
den; und nur weil dem Priestercodex dieses Muster vorgelegen 
hat, erklärt es sieh, dass er, obwohl seine Absicht lediglieh auf 
die Tliora geht, doch gleich von vornherein darauf angelegt ist 
auch die Geschichte von der Weltschöpfung an zu umfassen, als 
wenn die auch zur Thora gehörte. In der Natur der Sache liegt 
diese Art der Darstellung der Thora in Form eines Geschichts- 
buches ganz und gar nicht, sie bringt im Gegenteil die grössten 
Un zuträglich keiten mit sieh. Sie lässt sieh nur auf die oben 
angegebene Weise begreifen, durch die Vermittlung eines vor- 
ausgegangenen literargeschichtliehen Processes. ') 

Wie vom literarischen Gesichtspunkt aus, so erscheint auch 
vom historischeu der Mose des Jehovisten ursprllnglicher als der 
Mose des Priestercodex. Dies zu beweisen ist nun allerdings 
eigentlich die Aufgabe des ganzen vorliegenden Buehes; doch 
wird es deshalb nicht als ungehörig gelten können, wenn wir 
an dieser besonders geeigneten Stelle den Gegensatz der histo- 
rischen Anschauung über Mose und sein Werk in den beiden 

') Da88 dem Priestercodex die Sinaigesetzgebung des Jehovisten und das 
Deuterono mium bereits vereint vorlagen, leigt sich auch darin, dass er 
sowolil eine Gesetzgebung am Berge Sinai, als auch eine Gesetzgebung 
in den Arboth Moab hat und dazwischen noch eine in der Wüste des 
Sinai. 



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Die Erzählung des Hexatenchs, 367 

Haiiptquellen des Pentateuchs kurz darlegen und beurteilen. 
Nach dem Priestercodex ist Mose Eeligionsstifter und Gesetz- 
geber, so wie wir ihn uns gewöhnlich vorstellen. Er empfangt 
und verofiFentlieht die Thora'), vielleicht nioht als Buch — ob- 
wohl man sieh die Sache sehliesslieh doch kaum anders vor- 
stellen kann — , wohl aber fix und fertig als weitläufiges, fein 
ausgebildetes System, welches die heilige Constitution der Ge- 
meinde für alle Zeiten enthält. In dem Botendienste, den Mose 
als Mittler des Gesetzes leistet, besteht seine ganze Bedeutung; 
was er sonst noch thut, tritt zurück. Dass das Gesetz eiu 
fUr alle mal gegeben wird, das ist das grosse Ereignis der Zeit, 
nicht, dass das Volk Israel anfängt auf die Weltbühne zu treten; 
das Volk ist des Gesetzes wegen da und nicht das Gesetz um 
des Volkes willen. Nach dem Jehovisten dagegen besteht 
Mose's Werk darin, dass er seiu Volk rettet vor den Ägyptern 
und in der Wüste in jeder Weise für es Sorge trägt; in dem 
Präludium aus seiner Jugend, wo er den Ägypter erschlägt und 
den Streit seiner Brüder zu schlichten sucht (Exod. 2, llfF.}; i^* 
seine Geschichte vorgezeichnet. Zu seiner Fürsorge für die 
Israeliten gehört es ebenso wohl, dass er ihnen Unterhalt ver- 
schalft als dass er Friede und Ordnung unter ihnen stiftet und 
erhält {Num. 11). Die Thora ist nur ein Teil seiner Thätigkeit 
und fliesst aus dem allgemeineren Beruf, dass er der Wärter 
des jungen Volkes ist und dasselbe gewissermassen auf die Beine 
setzen muse (Num. 11, 12). Sie ist nach Exod. 18 nichts anderes 
als ein Ratschaffen, ein Expedieren aus de« thatsächlieh einge- 
tretenen Verwicklungen und Verlegenheiten ; indem er den 
Leuten in den bestimmten Fällen die sie vor ihn bringen Kecht 
spricht oder Bescheid erteilt, lehrt er sie den Weg den sie gehen 
sollen. So wird er der Aufanger der nach ihm in Priestern und 
Propheten fortlebenden Unterweisung Jahve's. Hier ist Alles 
lebendig und im Fluss; wie Jahve selber, so arbeitet auch der 
Mann Gottes im lebendigen Stoff, praktisch, in keiner Weise 
theoretisch; geschichtlich, nicht literarisch. Es läset sieh wohl 
von seinem Thun und Wirken erzählen, aber der Inhalt 
desselben ist mehr als ein System und lässt sieh nicht in ein 
Gompendium bringen; er ist nicht abgeschlossen, sondern nur 

') Das Gesetz konnte darnach Mose heissen, so gut wie der Psalter bei den 
Äthiopen Davi^l. 



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368 Geschichte der Tradition, Kap: 8. 

der Anfang einer Reihe unendlicher Wirkungen, Im Priester- 
codex hat man das Werk Mose's reinlich und abgegi'enzt vor 
sich liegen; wer tausend Jabre später lebt, kennt es so gut als 
wer dabei gewesen ist. Es hat sich losgelöst von seinem Urheber 
und von seiner Zeit; selber unlebendig bat es das Leben auch 
aus Mose und aus dem Volke, ja aus der Gottheit selber aus- 
getrieben; das Residuum der Geschiebte, indem es als Ge- 
setz an den Anfang der Geschichte tritt, erdrückt und tötet die 
Geschichte selber. Welche von den beiden Ansebauungsweisen 
die historischere ist, ist darnach nicht schwer zu entscheiden. 
Es kommt hinzu, dass in der alleren hebräischen Literatur 
immer die Volksgrlindung und nicht die Gesetzgebung als die 
theokratische Sehöpferthat Jahve's angesehen wird. Es fehlt 
überhaupt der Begriff des Gesetzes; man kennt nur Verträge, 
wodurch die Vertreter des Volkes sieh gegenseitig die feierliche 
Verpflichtung auferlegen, dies und jenes allgemein zu thun oder 
zu lassen, 

Noch ein Unterschied muss hier hervorgehoben werden, der 
freilich uns schon öfters beschäftigt hat. Was im Priestercodex 
der Inhalt der Thora Moses ist, nämlich die Einrichtung des 
Cultus, das geht nach dem Jehovisten zurück auf die Praxis der 
Patriarchen — eine weitere Consequenz des Gegensatzes zwi- 
schen Cultusgesetz und Cultussage. Nicht bloss der Zukunft 
greift der Mose des Priestercodex vor, sondern auch der Ver- 
gangenheit; er coUidiert mit der Geschichte auf allen Seiten. 
Offenbar ist die Vorstellung die einzig natürliche, wonach der 
Cultus nichts specifisch israelitisches, nichts zufolge plötzlichen 
. Befehles der Gottheit vou Mose, eingeflihrtes , sondern uraltes 
Herkommen ist. Zur Zeit der Abfassung des Priestercodex 
machte der Cultus allerdings das eonstituierende Wesen der 
Israeliten aus. An die Stelle des Volkes tritt bei ihm schon in 
der mosaischen Zeit die Kirche, die einheitliche Cultusgemeinde 
— der Geschichte zum Trotz , aber bezeichnend für seinen 
Standpunkt. 

Autoritäten wie Bleek Hupfeld und Knobel haben sich nun 
fi'eilieh durch den Schein des Historischen täuschen lassen, den 
der Priestercodex hier wie in der Patriarchengeschiebte mittelst 
gelehrter Kunst zu erwecken sucht; sie haben die vielen Zahlen 
und Namen, die genauen technischen Beschreibungen, das strenge 



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Die Erzählung des Hexateuchs. 369 

EiDhalten der Seenerie des Lagerlebens als Zeichen urfeund- 
licher Ofcjektivität angeselien, Nöldeke hat dieser Kritik für 
immer ein Ende gemacht, eigentlich aber gebührt Colensö das 
Verdienst zuerst das Gespinnst zerrissen zu haben,') Die 
Dreistigkeit der Zahlen und Namen, die Genauigkeit der Mit- 
teilungen über gleiehgiltige Äusserlichkeiten bürgt nicht für ihre 
Zuverlässigkeit ; sie stammen nicht aus gleichzeitigen Aufnahmen, 
sondern lediglich aus der spätjüdischen Phantasie, einer Phan- 
tasie, die bekanntlich nicht malt und bildet, eondem rechnet 
und eonstruiert und weiter nichts als öde Schemata zu Wege 
bringt. Wenn man die Beschreibung der Stiftshütte (Exod. 25ff.) 
nicht wörtlich wiederholen will, so ist es schwer von ihrer Um- 
ständlichkeit einen Begriff zu geben; man muss sich an der Quelle 
tiberzeugen, was dieser „Erzähler" darin leistet. Man sollte 
denken, er liefere Caleulatoren das Material zu' einem Kosten- 
anschläge oder schreibe für Weber und Zimmerleute; aber die 
würden sich auch nicht daraus vernehmen, denn die unglaubliche 
Nüchternheit ist dennoch Phantasie, wie in Kap. 1 gezeigt ist. 
Die Beschreibung der Stiftshütte wird im Buche Numeri durch 
die des Lagers ergänzt; ist jene das Centrum, so ist dieses 
der Kreis dazu, der in einen äusseren Ring, die zwölf weltliehen 
Stämme, in einen mittleren, die Leviten, und in einen innersten, 
die Aharoniden, zerfällt: eine mathematische Darstellung der 
Theokratie in der Wüste. Die beiden ersten Kapitel enthatten 
die Zählung der zwölf Stämme und ihre Gliederung in vier 
Quartiere, lauter Namen und Zahlen. Zu dieser ersten Zählung 
kommt in Kap. 34 noch eine andere am Schiuss der 40 Jahre 
hinzu, mit ganz verschiedenen Einzelposten aber nahezu der 
gleichen Gesamtsumme, Diese Gesamtsumme, 600000 Krieger, 
stammt aus der älteren Überlieferung; ihre Wertlosigkeit erhellt 
daraus, dass in einem wirklieh authentischen Dokument der 
israelitische Heerbann zur Zeit Debora's auf die Stärke von 
40000 Mann geschätzt wird. Dem Priestereodex bleibt das Ver- 
dienst, die Gesamtsumme ein bischen weniger rund gemacht 
und sie in künstliche Einzelposten zerlegt zu haben. An die 
Musterung des Volkes schliesst sieh in Num. 3, 4 die Weihung 
des Stammes Levi an das Heiligtum, zum Ersatz ^r die bis 
dahin nicht geopferten und auch nicht gelösten männlichen Erst- 
') Kuenen in der Theol. Tijdachrift 1870 S. 398—401, 

W«llli«oi«n,Proiflgom8n4. 24 



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370 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

geborenen der Israeliteo. Es sind 22273 männliche Erstgeborene 
und 22000 männliche Leviten über einen Monat alt vorhanden; 
die übersehiessenden 273 Erstgeborenen werden mit fünf Sekel 
fUr den Kopf noch besonders gelöst. Wie genau! Aber was soll 
man dazu sagen, dass auf ein Volk von mindestens zwei Millionen 
nur 22273 männliche, also vielleicht 50000 männliche und weib- 
liehe Erstgeburten gekommen sein sollen? Dann entfallen ja 
durchschnittlich vierzig Kinder auf jedes Weib, denn Erstgeburt 
im Sinne des Gesetzes ist, was zum ersten die Mutter bricht. 
Die Fortsetzung zu Num. 3. 4 liefert Kap. 8. Da die Leviten 
eine Abgabe an das Heiligtum von selten des Volkes sind, 
welche jedoch nicht geopfert sondern den Priestern abgetreten 
werden soll, so wird auch der charakteristische Ritus dieser Art 
Abgaben mit ihnen vorgenommen, nämlich das scheinbare Werfen 
in die Altarflamme (Äristeas 31, 5) — man denke sich Abaron 
und Mose die 22000 Mensehen schwingen! Ein nicht minder 
starkes Beispiel dieser eigentümlichen Poesie ist die Geschichte 
Num. 31. Zwölftausend Israeliten, je tausend aus einem Stamme, 
ziehen gegen die Midianiter zu Felde, tilgen ohne Kampf — 
wenigstens ist von dieser Hauptsache nirgend die Rede — das 
ganze Volk aus, indem sie alle Männer und einen Teil der 
Weiber erwürgen und die unverhei rateten Mädchen gefangen 
führen, und erleiden dabei selber keinen Verlust. Das Letztere 
wird nicht bloss im Allgemeinen behauptet. ,,Die Hauptleute 
Über Tausend und über Hundert traten zu Mose und sprachen 
zu ihm: deine Knechte haben die Summe der Kriegsleute, die 
uns untergeben gewesen sind, aufgenommen, und es fehlt nicht 
einer." Von der unermesslichen Beute an Menschen und Vieh 
bestimmt Jahre die eine Hälfte denen, die in's Feld gezogen 
sind und die Schlacht geliefert haben, die andere Hälfte der 
Gemeinde; jene sollen den öOOsten Teil an die Priester, diese 
soll den ÖOsten Teil an die Leviten abgeben. Die Ausführung 
dieser Verordnung wird in folgender speciellen Weise berichtet. 
„Es war die vorhandene Beute, die das Kriegsvolk geraubt 
hatte, 675000 Schafe, 72000 Rinder, 61000 Esel, und 32000 
Weiber, die nicht beim Manne gelegen hatten. Und die Hälfte, 
welche den in's Feld Gezogenen zufiel, war 337500 Schafe, da- 
von Steuer an Jahve 675; 36000 Rinder, davon Steuer an Jahve 
72; 30500 Esel, davon Steuer an Jahve 61; 16000 Mensehen- 



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Die Erz&bluD^ des Hexafenchs. 371 

seeleta, davon Steuer an Jahve 32; und Mose gab die Abgabe 
an Jahve dem Priester Eleazar. Aber die andere Hälfte, die 
Mose den Kindern Israel zuteilte, die der Gemeinde zuständige 
Hälfte, war 337500 Schafe, 36000 Rinder, 30500 Esel, 16000 
Meneehenseelen; und Mose nahm von dieser Hälfte der Kinder 
Israel je ein Stück von fünfzig und gab ee den Leviten." Mit 
der Berechnung der Abgabe an Jahve hat es Moee insofeni be- 
quem, als der 500 ste von der Hälfte ebenso viel ist wie der 
lOOOste vom Ganzen; er braucht also von den Hauptsummen 
bloss die Tausende weg zu lassen. Zum Schlüsse bringen noch 
die Hauptleute dem Jahve Geschenke von goldenen Geräten, 
Ketten Gesebmeiden Ringen und Spangen, zusammen 16750 
Sebel im Gewicht, zur Sübne ihrer Seelen. „Das war aber nur, 
was die Hauptteute an Gold erbeutet hatten, denn die. Kriegs- 
männer hatten geraubet ein jeglicher für sich." Man darf sich 
vielleicht die Frage erlauben, in welchem Verhältnis diese 16750 
Sekel, welche bier allein die Hauptleute von dem Gold- 
schmucke der Midianiter an die Stiftsbütte spenden, zu den 
1700 Sekeln stehen, welche in Jud. 8 das ganze Volk von dem 
Goldsehmuck der Midianiter zur Errichtung eines Gottes- 
bildes in Ophra weiht? 

Weniger leicht als Verhältnisse und Zahlen scheinen sich 
die zahlreichen, oft registerweise zusammengestellten Namen aus 
blosser Fictiou zu erklären. Darüber wird allerdings kein 
Zweifel walten können, dass die vierzig Orte, welche in der 
Liste der Stationen der Wüsten Wanderung (Num. 33) aufgeführt 
werden, wirklich in der Gegend, durch welche die Israeliten 
ihren Weg genommen haben sollen, vorbanden gewesen sind. 
Wer sich das zum Beweise, dass wir hier ein uraltes historisches 
Dokument vor uns haben, genügen lässt, dem wird keine Kritik 
die Freude stören. War es aber so schwer, für die vierzig 
Jahre des WUstenzuges vierzig bestimmte Stationen in der Wüste 
auszusuchen? Wenn die Elemente nicht ängiert sind, so folgt 
daraus noch lange nicht, dass auch die Composition nicht fin- 
giert sei. Bei den Verzeichnissen der Personennamen sind 
übrigens auch die Elemente vielfach von überaus zweifelhafter 
Beschaffenheit, und man thut hier am besten, sich an den Grund- 
satz Vatke's (a. 0. 8. 675) zu halten, nämlich Subjekten ohne 
Prädikaten kein Vertrauen zu schenken und nicht an die Wirk- 



372 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

lichkeit von Personen zu glauben, die gar nichts zu Wirken 
haben. Die Dutzeodnamen in Num. 1. 8. 14 sind fast alle nach 
der selben Schablone gemacht und haben gar keine Ähnlichkeit 
mit den echten alten Eigennamen. Dass der Name Jahve nicht 
in ihrer Compoeition vorkommt, beweist nur, das» der Com- 
poniet seiner religionagesehichtlichen Theorie wohl einge- 
denk war. 

Durch diese Vorliebe für unfruchtbare Hamen und Zahlen 
und technische Beschreibungen kommt der Priestercodex auf 
eine Linie zu stehen mit der Chronik und der ühngen Literatur 
des Judentums, welche mit der künstlichen Wiederbelebung det 
alten Tradition sich abgibt (S. 187f. 223f. 236). Nah verwandt 
mit dieser Vorliebe ist eine unheecbveibliche Pedanterie, die das 
innerste Wesen des Verfassers des Priestercodex bildet. Für 
das Classificieren und Schematisieren hat er eine wahre Leiden- 
schaft; wenn er einmal ein Genus in verschiedene Species zer- 
legt hat, so müssen wir uns jedesmal alle Species einzeln wieder 
vorführen lassen, so oft vom Genus die Rede ist; der subsumie- 
rende Gehrauch der Präpositionen Lamed und Beth ist für ihn 
bezeichnend. Wo er kann, bevorzugt er den weitläufigen Aus- 
druck, das Selbstverständliche zum hundertsten male ausführlich 
zu wiederholen wird er nicht müde (Nim. 8), er hasst die Pro- 
nomina und alle abkürzenden Substitute. Das Interessante wird 
übergangen, das Gleichgiltige genau beschrieheu, vor lauter er- 
schöpfender Deutlichkeit weiss man oft bei einer ohnehin deut- 
lichen Sache mit den vielen Bestimmungen nicht aus noch ein. 
Dies ist es, was man ehedem im historisch-kritischen Sprachge- 
brauch als epische Breite zu bezeichnen pflegte.') 

2. Nachdem wir so deii allgemeinen Gegensatz des Priester- 
codex und des Jehovisten für die mosaische Periode darzustellen 
versucht haben, bleibt uns jetzt noch übrig, die einzelnen Er- 
zählungen zu vergleichen. Als Anfang der israelitischen Ge- 
schichte wird überall der Auszug aus Ägypten betrachtet. Im 

') Riehm a. 0. S. 292: „Die Darstellung ist ruhig, einfach, frei von allem 
rednerischen und dichterischen Schmuck, und die Ausdrucks weise bei 
gteicbflirtigen Objekten von epischer Gleichförmigkeit. So aittdruekavoU 
manche Stücke gerade in ihrer schlichten Einfachheit und objektiven Hal- 
tung sind, so bemerkt man doch nirgends ein Sireben, durch die Mittel 
schriftstellerischer Kunst Effekt zu machen und das Interesse des Lesers 
zn spauneu." Vgl. dagegen Lichtenberg, Werke II 162. 



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Die Erzählung d«s Hexateuchs. 373 

PrieBtereodex ist derselbe zur Epoche einer Ära gemaclit (Exod. 
12, 2), nach welcher künftighin datiert wird, und zwar nicht 
bloss in Jahren, sondern in Monaten und Tagen. Dass diese 
genaue Datierungsweise erst sehr spät unter den Hebräern auf- 
gekommen ist, steht fest. In den historischen Büchern haben 
wir aus vorexilieeher Zeit nur eine einzige Monatsangabe {1. Reg. 
6, 38), aber ohne Hiuzufligung des Tages. Eine gewisse Wich- 
tigkeit hatte die Zeitbestimmung für die prophetischen Schrift- 
steller, und da lässt sieb die Entwicklung der Sitte einiger- 
massen verfolgen, Arnos ist aufgetreten „zwei Jahre yor dem 
Erdbeben".') Bei Jesaia' ist die bestimmteste Angabe ,,daB 
Todesjahr des Königs TJzzia". Jahreszahlen finden sieb zuerst 
bei Jeremia, „das 13. Jahr des Königs Josia" und wenige an-, 
dere. Plötzlich aber tritt ein Umsehwung ein; die im babylo- 
niseben Exil aufgewachsenen Propheten Haggai und Zaeharia 
datieren fortwährend und geben dabei nicht bloss das Jahr und 
nicht bloss den Monat, sondern auch den Monatstag an. Im 
Priestercodex wird diese Genauigkeit, welche die Juden offen- 
bar von den Chald^ern gelernt haben, seit der Zeit Mose's an- 
gewandt. 

Im Jehovisten ist der ostensible Anlass des Auszuges ein 
Fest, welches die Kinder Israel ihrem Gotte in der Wüste feiern 
wollen. Im Priestercodex fällt dieser Anlass weg, weil es keine 
Tormosaischen Feste geben darf. Damit M.\t aber zugleich der 
Grund weg, weshalb Jabve die Erstgeburten der Ägypter tötet: 
er thut es deshalb, weil ihm der Ägypterkönig die Erstgeburten 
der Israeliten vorenthält, welche ihm zum Feste dargebracht 
werden sollen; denn das Fest ist das Opferfest der Erstlinge des 
Viehs im Frühling. In der älteren Überlieferung ist das Fest 
das Prius, die Erklärung fiir die Umstände und die Jahreszeit 
des Auszugs; in der jüngeren hat sich das Verhältnis umge- 
kehrt: die Tötung der Erstgeburten der Ägypter ist der Anlass 
der Opferung der israelitischen Erstgeburten, der Auszug im 
Früblinge hat das Fest im Frühlinge zur Folge. Auf Grund 

') Agh. XV 11,17: als alValid b. alMughira gestorben war, datiertea die 
Araber nach seinem Tode bis zum Jahr des Elefanten, welches sie dar- 
nach zur Epoche machten. Nach Anderen rechneten sie neun Jabre nach 
dem Tode Hischams b. alUughira, bis sie die Kaaba bauten und nun- 
mehr nach dem Bau der Kaaba datierten- Vgl. Agh. I 34, 1. 



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374 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

dieser jüngeren Überlieferung entfernt sieh der Priestercodex 
am allerweitesten Tom Ursprön glichen dadurch, dass nach ihm 
das Passah, dessen Zusammenhang mit dem Erstgeburtsopfer er 
ganz verwischt, nicht zum Danke dafür, daas Jahve die Erstge- 
burt Ägyptens geschlagen hat, gefeiert, sondern im Momente des 
Auszuges gestiftet wird, damit er die Erstgeburt Israels ver- 
schone. Wie dies Alles zu verstehen und zu beurteilen sei, ist 
im Kapitel über die Feste (S. 90f. 104. 106) ausführlicher darge- 
legt worden. 

Ueber die Darstellung des Durchgangs durchs Schilfmeer 
in den beiden Quellen lässt sich niir das sagen, dass dieselbe 
im Jehovisten (J) complicierter ist. Nach ihm kommen auch 
die Ägypter zunächst durch das von einem starken Winde trocken 
gelegte Meer hindurch und stossen dann Nachts am östlichen 
Ufer mit den Hebräern zusammen. ^Aber gegen die Morgen- 
wache kehrte sieh Jahve, in der Feuer- und Wolkensäule, gegen 
des Ägypters Heer und bestürzte des Ägypters Heer und hemmte 
das Rad seiner Wagen und liess ihn ins Unwegsame gerathen. 
Da sprach der Ägypter: ich will fliehen vor'Israel, denn Jabve 
streitet fllr sie gegen Ägypten. Aber das Meer kehrte zurück 
gegen Morgen zu seinem gewöhnlieben Stande, und die Ägypter 
flohen ihm entgegen, und Jahve schüttelte sie mitten ins Meer" 
(Exod. 14, 24. 25. 27). Nach dem Priestercodex') stürzen die Wellen 
über den Verfolgern zusammen, ehe sie noch ans jenseitige Ufer 
gelangen: die Vorstellung ist viel einfacher, aber ärmer an zu- 
ßllligen Zügen. 

Das Wunder des Manna (Exod. 16) wird im Priestercodex 
als ein 'sehr zweckmässiges Mittel benutzt, die strenge Sabbaths- 
heiligung dem Volke einzuschärfen : am siebenten Wochentage föUt 
keiuB, aber das am sechsten gesammelte hält sich zwei Tage, 
während es sonst nur ganz fHsch gegessen werden kann. Dass 
dies gesetzliche Interesse die Erzählung verdirbt und ihren eigent- 
lichen Sinn zurückdrängt, liegt auf der Hand. Ebensowenig ur- 
sprünglieb ist es, vielmehr ein Zeichen von Greisenhaftigkeit, 
wenn im Priestercodes das Manna nicht roh, sondern gekocht 
und gebacken genossen wird, 

') und überhaupt uach der jüngeren Überlieferung; auch nach dem Liede 

Exod. 15, welches abgesehen von dem allen Anfange ein Psalm in der 

Weise der Psalmen ist und keine Ähnlichkeit hat mit den historischen 

Liedern Jud. 5. 2- Sam. 1. Num 2L 



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Die Erzlhlnng des Hexateuchs. 375 

Auf dem Berge Sinai erhält Mose nach dem Priestercodex 
die Offenbarung — des Modells der Stiftshtttte, nach dessen ihm 
vorsebwebenden Muster er dann unten die wirkliehe Stiftshutte 
bauen lässt. Alle inhaltliche Offenbarung erfolgt sohon zur Zeit 
■ Mose's 80 weit als möglich in der Stiftshtttte, Exod. 25, 22. Denn 
auch der Sinai darf dem einzig legitimen Gottessitze nicht länger, 
als es unumgänglich nötig ist, zur Seite treten.') Die Gesetzes- 
tafeln werden, wie es seheint, stillschweigend vorausgesetzt, ohne 
vorher eingeführt zu sein; natürlich auf Grund der Annahme, 
dasB die Sache den Lesern, nach der älteren Überlieferung, 
bekannt sein werde. Dafür wird dann aber das Äussere der 
Lade aufs verschwenderischste ausgestattet, mit einer Pracht, an 
welche die anderweitigen Nachrichten über den Akazienholz- 
kasten nicht denken lassen, wie denn auch sonst die Lade im 
Priestercodes andei-s aussieht, als sie nach 1. Reg. 7, 23ff. aus- 
gesehen bat. An die Haggada erinnert die Decke, welche Mose 
über sein vom Widerschein der Herrlichkeit Jahve's strahlendes 
Antlitz legen muss , um die Leute nicht zu blenden {Esod. 34, 
29 — 35), und die Verfertigung des ehernen Handfasses aus den 
Spiegeln der Tempelweiber (38, 1 vgl. Num. 17, Iff.): diese 
Zltge gehören zwar nicht zum ursprünglichen Bestände des 
P riestere ödes, fallen aber dennoch in seine Sphäre. 

Vom Sinai gelangen wir nach der alten Überlieferung über 
diese und jene namentlich aufgeführten Stationen alsbald nach 
Eades, um hier die längste Zeit des vierzigjährigen Wüsten- 
aufenthalts zu verbleiben: hier spielen, wie bereits gesagt, eigent^ 
lieh alle Geschichten, die Überhaupt von Mose erzählt werden. 
Im Priestercodex kommen wir auch hier, gerade wie in der 
Patriarchensage, nicht an bestimmte Orte, sondern treiben in 
der Wüste des Sinai, in der Wüste Pharan, in der Wüste Sin 
um. Mit offenbarer Absicht wird namentlich Kades möglichst 
in den Hintergrund gedrängt, jedenfalls wegen der grossen Hei- 
ligkeit, welche dieser Ort als langjähriges Standlager der Israe- 
liten unter Mose ursprünglich gehabt hat. 

Von Kades gehen nach dem Jehovisten die Kundschafter 
aus, nach dem Priestereodex von der Wüste Pharao. Nach 
jenem gelangen sie bis nach Hebron, bringen ron dort die 

') Vgl, indessen Jahjbb. für Deutsche Theologie 1877. S. 153 Anm, 1. 



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376 Geachichte der Tradition, Kap, 8. 

schönen Trauben mit, finden aber das Land, wo sie wachsen, 
uneinnehmbar; nach diesem gelangen sie ohne weitpres gleich 
durch ganz Palästina hindurch bis zum Libanon, haben aber 
nichts mitzubringen und raten deshalb vom Augriff auf das 
Land ab, weil eie es nicht besonders begehrenswert finden; ge- 
rade als ob nur dem Glauben die Vorzüge desselben zugänglieh, 
für ungläubige Augen aber nicht zu entdecken seien, wie es zur 
Zeit Haggai's und Zaebaria's und zur Zeit Ezra's und Nehemia's 
wirklich der Fall war, während dem alten eebten Israeliten die 
Herrlichkeit seiner geliebten Heimat kein blosser Glaubenssatz war, 
an dem er hätte auch zweifeln können. Dort wird (nach Dt. 1, 23) 
nur die Zahl der Kundschafter angegeben sein, hier werden sie 
alle zwölf mit Namen benannt. Dort macht alleine Kaleb die 
gute Ausnahme, hier Kaleb und Josua. Ursprünglich gehörten 
wohl beide nicht in diese Erzählung, aber Kaleb als Ausnahme 
zu nennen lag nahe, weil er in der That gerade die Gegend Ton 
Kades bis Hebron eroberte, welche die Kundschafter als unein- 
nehmbar geschildert und die durch sie eingeschüchterten Israe- 
liten nicht anzugreifen gewagt hatten. Josua dagegen ist hin- 
zugefügt worden von der Erwägung aus, dass nach dem Num, 14, 
23. 24 vom Jehovisten ausgesprochenen Grundsätze auch er das 
Verdienst Kalebs geteilt haben müsse, da er gleichen ausnahms- 
weisen Lohnes teilhaft geworden sei. 

Auftraggeber der Kundschafter, zu dem sie ihre Meldung 
zurückbringen, ist nacTi dem Jehovisten Mose allein, nach dem 
Priestereodex Mose und Aharon. In der ältesten Quelle des 
Jehovisten (J) kommt Aharon überhaupt noch nicht vor, im 
Priestercodex darf Mose öffentlich nichts ohne ihnthun. ') Mose 
ist zwar auch hier die Seele, aber Aharon der Repräsentant der 
Theokratie; und es wird streng darauf gehalten, dass derselbe 
nirgend fehle, wo es auf diese Repräsentation, der Gemeinde 
gegenüber, ankommt. Die auffallendsten Frltchte hat der Trieb, 
den Vertreter der Hierokratie und damit überhaupt die Hiero- 
kratie in die mosaische Geschichte einzuführen, getragen in der 
sogenannten Erzählung vom Aufruhr der Rotte Korah. Nach 
der jehovistischen Überlieferung sind es die Eubeniten Dathau 
und Abiram, vornehme Männer des erstgeborenen Stammes in 

') Ebenso handelt dort Josua allein, hier immer nur zur Seit« des 
Eleszar Vgl oben die Asmerkuag auf S 147 148. 



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Die Erzählung des Hexateuchs. 377 

Israel, yon denen der Aufrnbr ausgeht, und derselbe richtet sieh 
gegen Mose als Führer und Eichter des Volkes. Nach 
der Version der Grundschrift des Piiestercodex (Q) ist ein judäi- 
Bcher Stammfiirst mit Namen Korah der Rädelsführer, und er 
empört sieh nicht gegen Mose allein, sondern gegen Mose 
und Aharon als Vertreter des Priestertums, In einem 
späteren Nachtrage, welcher seiner Art nach ebenfalls zum 
Priestereodex, aber nicht zu dessen ursprünglichem Bestände ge- 
hört, erseheint der Levit Korah an der Spitze eines Aufstandes 
der Leviten gegen Abaron als Oberpriester und verlangt 
die Gleichstellung des niederen Klerus mit dem höheren. Neh- 
men wir die jehovistisehe Version, als deren geschichtliche 
Grundlage das Herabsinken Rubens von seiner alten Stellung 
an der Spitze der Brüderstämme durchschimmert, zum Ausgangs- 
punkte, so lässt sich mit Händen greifen, wie die zweite damus 
entstanden ist. Nachdem das Volk der Gemeinde, d. h. der 
Kirche, Platz gemacht hat, treten_statt des volkstümlichen Füh- 
rers Mose die geistliehen Spitzen Mose und Aharon ein, und die 
Eifersucht der weltlichen Grossen richtet sich nun gegen den 
Stand der Erbpriester, statt gegen den ausserordentlichen Eia- 
fluss eines gottgesandten Heroen aaf das Gemeinwesen; alle 
diese Veränderungen ergeben sich naturgemäss aus der Über- 
tragung der Hierokvatie in die mosaische Zeit. Vom Boden der 
zweiten Version lässt sich nun ferner die Entstehung der dritten 
begreifen. Nachdem zunächst dort die ursprünglich rubenitischen 
Stammfürsten zeitgemäss einem judäischen gewichen sind, ist 
hier, gemäss dem weiteren Fortschritte der Zeit, ■ an die Stelle 
des judäischen Stammfürsten Korah der gleichnamige EponymuB 
einer naehexilischen Levitenfamilie getreten, und der Streit zwi- 
schen Klerus und Adel hat sich in einen häuslichen Streit zwi- 
schen höherem und niederem Klerus verwandelt, der ohne Zweifel 
in der Gegenwart des Erzählers brennender war. So entwickeln 
sich die drei Versionen, deren Zusammensehweissung unter je- 
dem anderen Gesichtspunkte als ein reines Rätsel erscheint, 
in geradliniger Descendenz auseinander; unter dem Einäuss uns 
vollkommen bekannter, grosser historischer Wendungen haben 
sich die Metamorphosen vollzogen und im Lichte der jndäisehen 
Geschichte seit Josia sind sie uns durchaus nicht unverständlich. ') 
') Die nähere BegröntJuBg' findet man. in den Jahrbüchern för Deatücbe 



^.uu^lc 



378 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Eb folgt der Aufbruch der Israeliten ins Ostjordanland. Nach 
dftm JehoTieten legen ihneU die NachbaiTÖlker dabei Schwierig- 
keiten in den Weg, und das Land, wo sie sieh ansiedeln wollen, 
müssen sie sieh mit dem Schwerte erobern. Der Prieetercodex 
berichtet davon so wenig wie früher vom Amalekiterkriege; 
nach ihm sieht es so aus,- als ob die Israeliten geradeswegs auf 
ihr Ziel losgesteuert wären und eichs dort bequem gemacht 
hätten; der Besitz des herrenlosen Landes wird (Num. 32) von 
Mose und Eleazar den beiden Stämmen Rüben und Gad zuge- 
standen. Damit es aber nicht gänzlich an einem Kriege unter 
Mose fehle, wird hinterher der Krieg mit den Midianitern, tiber 
den wir bereits referiert haben, erzählt (Num. 31); erzählt wird 
freilieh dabei uicht viel, sondern nur gezählt und verordnet; in 
dem Verse 31, 27 seheint 1. Sam. 30, 24 als Grundlage des 
Ganzen durchzuschimmern. Für die Anschauung vom Kriegs- 
wesen, wie sie die ganz kriegsentwöhnten Juden der späteren 
Zeit hatten, ist der Berieht äusserst bezeichnend. Sehr merk- 
würdig ist auch der Anlass des Krieges: nicht etwa um Land 
zu erwerben oder aus irgend welcher anderen praktischen Ur- 
saebe wird er begonnen, sondern bloss zur Rache dafür, dass 
die Midianiter einzelne Israeliten zum Huren verführt haben. 

Die Ältesten von Midian sind nämlich hingegangen zum 
Wahrsager Biteam, um sich bei ihm Rats zu erholen, was gegen 
die israelitischen Eindringlinge zu macheu sei. Er hat ein Mittel 
angegeben, der Gefahr die Spitze abzubrechen: die Midianiten 
sollen den Israeliten ihre Töchter zu Weibern geben und so 
das heilige Volk seiner Stärke berauben, deren Geheimnis seine 
Absonderung ist. Die Midianiten sind Bileams Rathe gefolgt, 
es ist ihnen gelungen, manche Israeliten durch die Reize ihrer 
Weiber zu bestricken, eine schwere Plage ist in Folge dessen 
von Jahve über das untreue Volk verhängt. Bis so weit lässt 
eich die Erzählung des Priestercodex uur aus Num. 31, 8. 16, 
Jos. 13, 22 und aus den Prämissen der Fortsetzung erraten; 
erst an diesem Punkte setzt das uns erhaltene StUek (Num. 25, 
6 ff.) ein und zwar mit dem Bericht, auf welche Weise der Plage 
endlich Einhalt gethan worden sei. Ein Mann bringt ganz dreist 



Theologie 1876. S. 572ff. 1877 S. 45i Änm. und i» der Leidener Theo!. 
fijdschrift 1878 S. 139ff. 



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Die Erzählung des Heiateaehs. 379 

eine Midianitin ins Lager, vor den Augen Mose's und der wei- 
nenden Kinder Israel; da nimmt der jugendliche Erbpriestev 
Phinehas einen Speer, durchsticht das gottlose Paar, und wendet 
durch diesen seinen Eifer den Zorn Jahve's ab. Diese Erzäh- 
lung gründet sich auf die uns gleichfalls nur fragmentarisch er- 
haltene jehovistisohe (Num. 25, 1 — 5), Über den Abfall der Israe- 
liten im Lager zu Sittim zum Dienste des Baal Peor, wozu sie 
eich veiflihren lassen durch die Töchter Moabs: der Götzendienst 
. ist im Priestereodex, bis auf einige unwülkUrliehe Eeminiscenzen, 
ganz fjrtgefallen und statt dessen die Hurerei, die ursprünglich 
nur den Aulass zu der eigentlichen Hauptschuld bildet, aus- 
schlieeslich hervorgehoben, offenbar in dem Gedanken, dass das 
Heiraten fremder Frauen schon aii sich ein Abfall von Jahve, 
ein Bundesbruch sei. Diese Abwandlung war für das exilische 
und nachexiiische Judentum höchst zeitgemäss, denn damals lag 
die Gefahr groben Götzendienstes nicht nahe, wohl aber kostete 
es grosse Mühe, dem drohenden Eindringen des Heidentums in 
die Gemeinde unter der freundlichen Form der Mischehen ent- 
gegenzutreten, welche schon nach dem Deuteronomium verboten 
und gar keine rechtmässigen Ehen waren. Zu der jehovistisehen 
Erzählung von Baal Peor ist nun aber in der Version des Priester- 
codex noch die Figur des Bileam hinzugekommen, die gleiehfalis 
dem Jehovisten entlehnt, aber freilich ganz umgestaltet ist. So 
wie er in der alten Geschichte erscheint, verstösst er gegen alle 
Begriffe des Priestercodex. Ein aramäischer Seher, der fUr Geld 
gedungen wird und allerhand heidnische Vorbereitungen trifft 
um zu weissagen, aber dabei doch kein Betrüger ist sondern 
ein wahrer Prophet so gut wie irgend ein israelitischer, ja mit 
Jahve in den vertrautesten Beziehungen steht trotzdem er eigent- 
lich die Absicht hat Jahve's Volk zu verfluchen — das ist dem 
exelusiven Judentum zu stark Die Correctur wird einfach da 
durch bewiikt, dass Bileam mit der folgenden Penkope in Ver 
bmdung gebracht und zum mtelleotuellen Urheber der Teufelei 
der midiamtiRchen Weiber gemacht wird in dieser N^usohöpfung 
des Pnestercodei. lebt er dann m der Haggada foit Unklar 
bleibt es, warum die Moabitei in Midianiter umgesetzt werden, 
es steht jedoch fest, dass die Midianiter nie in jener G«gend 
gewohnt haben 

Mehr und mehr nehmen im Buche Numen auch die erzäh- 



^^OU^M 



380 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

leoden Partieen, welche im Übrigen die Art und Farbe des 
Priestercodex an sieb tragen, den Charakter blosser Ergänzungen 
und redaktioneller Nachträge zu einem bereits vorhandenen an- 
derweitigen Zusammenhange an; die selbständige Grundscbrift 
des Priestercodex, das Vierbundesbuch oder das Buch der Ur- 
sprünge (Q), tritt immer stärker gegen die jüngeren Zusätze zu- 
rück und hört wie es scheint mit dem Tode Mose's ganz auf. 
Wenigstens lässt sie sieh in der ersten Hälfte des Buches Josua 
nirgend verspüren, und dann kann man auch die ausführlichen 
dem Priestereodex angebörigen Stücke der zweiten Rälfte, die 
von der Verteilung des Landes handeln, nicht zu ihr rechnen, 
da dieselben ohne vorhergehende Ei'zählung über die Eroberung 
des Landes in der Luft sehweben und keinen eigenen Zusammen- 
hang mehr darstellen, sondern das jehovistisch -deuteronomi- 
stische Werk voraussetzen. Bei aller Abneigung gegen Krieg 
und Kriegsberichte (1. Chron. 22, 8. 28, 3) hätte doch ein selb- 
ständiges Werk wie das Vierbundesbuch die Kämpfe Josua's 
unmöglich übergehen können. 

Eine Vergleiehung der Versionen über die Weise, wie die 
israelitischen Stämme von dem eroberten Lande Besitz ergriffen 
haben, möge den Reigen besehliessen. Der Priestercodex lässt, 
in Einklang mit der deuterouomistischen Bearbeitung, ganz Ka- 
naan zur tabula rasa machen und es dann herrenlos und menschen- 
leer der Verlosung unterbreiten. Zuerst fällt dem Stamme Juda 
sein Los, sodann Manasse und Ephraim, darauf den beiden 
Stämmen, die sieh an Ephraim und Juda anschmiegten, Benja- 
min und Simeon, endlieh den flinf nördlichen Stämmen Zebuion 
Issachar Äser Naphthali Dan. „Das sind die Stammländer, 
welche Eleazar der Priester und Josua ben Nun und die Stamm- 
häupter der Kinder Israel zuteilten nach dem Lose zu Silo vor 
Jahve vor der Stiftshütte." 

Nach dem Jehovisten scheinen Juda und Joseph ihr Gebiet 
Bohon zu Gilgal (14, 6j, und zwar nicht durchs Los, zugeteilt 
erhalten und es von dort aus in Besitz genommen zu haben. 
Geraume Zeit später wird das übrigbleibende Land unter die 
säumigen sieben kleinen Stämme verlost, von Silo oder vielleicht 
ursprünglich von Sichern aus (18,2 — 10); Josua alleine wirft 
das Los und weist an, Eleazat der Priester nicht mit ihm. Schon 
hier wird die unterBchiedslose Allgemeinheit der Anechauungs- 



fe'- ■ HcstccbyGoOt^Ic 






Die Erzählung des Hexateuchs. 381 

weise des Priestercodex etw^ eingeschränkt, viel stärker aber 
widerspricht derselben das wichtige Kapitel Jud. 1. 

Dasselbe ist in Wahrheit keine Fortsetzung des Buches 
Josua, sondern eine Parallele dazu, die wohl die Eroberung des 
ostjordauisehen, aber nicht die des westjordanischen Landes vor- 
aussetzt, diese yielmehr erst selber erzählt und zwar erbebticb 
abweichend. Von Gilgal, wo der Mal'ak Jahye zuerst sein Lager 
aufgeschlagen bat, ziehen die Stämme einzeln aus um sieh ihr 
„Los" zu erkämpfen, zuerst Juda, danu Joseph. Bloss Ton 
diesen wird eigentlich erzählt, indessen von Joseph auch nur 
der erste Anfang der Eroberung seines Landes. Von Josua ist 
keine Rede; als Befehlshaber Israels passt er auch nicht in 
die Gesamtanschauung , während es sich wohl damit vertragen 
würde ihn als Führer seines Stammes anzusehen, ßückhaltslos 
wird die Unvollständigkeit der -Eroberung zugestanden, dass die 
Kanaaniter in den Städten der Ebene ruhig fortgewohnt haben 
und erst in der Königszeit, als Israel stark geworden, unter- 
worfen und zinsbar gemacht seien. Dass dies Kapitel, sowie 
überhaupt der Stock des Eichterbuebs , der jehovistischen Tra- 
ditionsschicht entspricht, zu der auch die gleichlautenden oder 
ähnlichen Stellen im Josua (15, 13 — 19 u. a.) unbestritten ge- 
rechnet werden, lehrt schon der Mal'ak Jahve. Die Verschieden- 
heit von der jehovistischen Hauptversiou im Buche Josua er- 
klärt sich gi-össten Teils daraus, dass diese ephraimitischen Ur- 
sprungs ist und in Folge dessen dem Helden Ephraims oder 
Josephs die Eroberung des ganzen Landes zueehreibt, während 
Jud. 1 den Stamm Juda mehr berücksiohtigt. Es findet sieh 
übrigens im Buohe Josua selber der Rest einer Version (9, 4 — 7, 
12—14), worin ebenso wie in Jud. 1 ,der israelitische Mann" 
handelt und „den Mund Jahve's befragen" muss, während sonst 
Josua altein zu sagen hat und als Nachfolger Mose's die Ent- 
scheidung lediglich der Vollmacht seines eigenen Geistes ent- 
nimmt. Endlich ist auf Exod. 23, 20ff. aufmerksam zu machen, 
wo gleichfalls die ÜbereiDetimmung mit Jud. 1 darin hervortritt, 
dass nicht Josua, sondern der Mal'ak Jahve's (Jud, 5, 23) Israels 
Führer ist, und dass das gelobte Land nicht auf einmal, sondern 
sehr allmählich im Laufe der Zeit erobert wird. 

Die Anachronismen und Anekdoten in Jud. 1 hindern nicht 
anzuerkennen, dass die zu Grunde liegende Gesamtanschauung 



.>.-o>G«Ä^le 



382 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

Ton dem Hergänge der Eroberung, nach dem was wir von der 
Folgezeit wissen, eine ungleich histoii&cheie ist als die im Buche 
Josua herrschende, wonach Alles mit systematischer Gründlich- 
keit zugegangen, das ganze Land eiRt entvölkert, sodano unter 
die einzelnen Stämme ausgelost sein soll. Sofero die letztere 
Vorstellung, welche einerseits ermöglicht wird durch die wört^ 
liehe Deutung des von den Familienackem auf das Stammge- 
biet Übertragenen Ausdruckes Los (Jud. 18, 1), andererseits durch 
die übliche Zusammendrängung einer langen Entwicklung in den 
ersten Hauptakt, am consequentesten im Priestercodex ausge- 
bildet ist, so steht dieser dem Ursprünge der Tradition am fern- 
sten. ') Das Gleiche zeigt sieh auch darin, dasa der Stamm 
Joseph nie erwähnt wird, sondern statt seiner immer nur die 
beiden Stämme Ephraim und Manasse, und dass diese beiden 
Stämme fast ganz gegen Juda verschwinden, obwohl trotzdem 
der Führer Ephraims, Josua, als Führer Gesamtisraels aus der 
alten, ursprünglich ephi-aimitisehen, Tradition beibehalten wird. 

Es ist kein Widerspruch, bei der Vergleichung der Uberlie- 
ferungsschichten "den geschichtlichen Masssfab für die Ursage und 
die Patriarchen legen de abzulehnen und ihn für die epische Zeit 
Mose's und Josua's in gewissen Grenzen anzuwenden. Die 
epische Überlieferung enthält doch Elemente, die sieh nicht an- 
ders erklären lassen als dadurch dass geschichtliche Facta zu 
Grunde gelegen haben müssen; sie geht doch von der Zeit aus 
von der sie handelt, während die Patriarchenlegende mit der 
Zeit der Patriarchen in durchaus keiner" Verbindung steht.') 
Darin liegt das Recht der verschiedenen Behandlung. Das letzte 
Ergebnis ist das gleiehe; sowohl mit dem Masse der Poesie als 

') In der deuteronomistisclien Bearbeitung (Jos. 21, 43—45) zeigt sich doch 
noch ein Schwanien, ein gewisses Unvermögen sich losiureissen vom 
Alten (Deut. 7, 23. Jud. 3, 1. 2) , ausserdem sind hier die Motive der 
Neuenmg weit deutlicher: die Kanaaniten werden ausgerottet um die An- 
steckimg der neuen Ansiedler mit ihrem Götzendienst zu verhüten. 

') Bei vereinzelten Angaben Issst sich wohl auch hier der historische Mass- 
stab anlegen. Man kann es eine richtigere Vorstellung nennen, dass Hebron 
zur Zeit Abrahams von den Eanaanitern und Pherezitern, als dass es 
von den Hethitern bewohnt gewesen sei, die letzteren wohnten nach 
2. Sam. 24, 6 (Bleek* S. 228. 597) in Coelesyrien und nach 2, Reg. 7, 6 
in der Nähe der Aramäer von Damaskus. Die Angabe, dass die Israeliten 
als Hirten von Pharao das Weideland Gosen an der Nordostgrenze Ägyp- 
tens erhalten und dort für sich gewohnt haben, verdient den Vorzug vor 
der, daaa sie unter den Ägyptern im besten Teile des Landes angesie- 
delt seien. 



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Die Erzählung des Heiateucbs. 383 

mit dem Maoee der Historie gemoBsen steht der Priestereodex 
nach Wert und nach Zeit beträchtlich unter dem JehoviBten. 

3. Ich habe in groben Zügen den GegeuBatz zwischen 
den Endpunkten der Übeilieferung dei Hexateuchs zur An- 
schauung zu bringen gesucht. Es wäre nicht unmöglich, der 
inneren Entwickelung der Überlieferung durch die Mittelglieder 
naohzugehen, unter Benutzung der feineren ErgebnisBe der 
Quellenseheidung und mit Heranziehung der nicht gerade zahl- 
reichen aber wichtigen Anspielungen, die im Deuteronomium, in 
den historiBchen und in den prophetischen BUchem, namentlich bei 
Hosea, vorkommen. Es würde sich herausstellen, dase die Sage 
ihrer Natur nach dazu auffordert sie zu variieren, dase sie sieh 
objektiv gar nicht darstellen lässt. Schon bei der ersten Auf- 
zeichnung spielen die verfärbenden EinflÖBse ein, ohne dase 
darum doch dem einwohnenden Sinne des Stoffes Gewalt ge- 
schähe. Nachweisbar ist zuerst die Einwirkung jenes speoifl- 
schen Prophetismus, den wir von Anios ab verfolgen können. 
Am wenigsten lässt er sich in der alten Hauptquelle des Jeho- 
visten, in J, merken, doch ist es auffallend, dass die Äscheren 
im Patriarchencultus nirgend vorkommen. Weit stärker prophe- 
tisch angehaucht ist die zweite jehovistisehe Quelle, E; sie lässt 
eine fortgeschrittenere und grundsätzlichere Religiosität erkennen. 
Bedeutsam in dieser Hinsicht ist die Einführung Abrahams als 
Nabi, das Vergraben der Theraphim durch Jakob, die Auffassung 
der Masseba bei Sichern (Jos. 24, 27), vor allen Dingen die Ge- 
schichte vom goldenen Kalbe. Die Gottheit wird weniger ur- 
wüchsig vorgestellt als in J, sie tritt nicht leibhaftig zum Men- 
sehen hin, sondern ruft vom Himmel oder offenbart sieh im 
Traume. Indem sich das religiöse Element verfeinert hat, ist es 
zugleich energischer geworden und hat auch das Heterogene 
durchdrungen, gelegentlich so wunderliehe Mischungen erzeugend 
wie in Gen. 31, 10 — 13. Dann tritt das Gesetz ein und durch- 
säuert die jehovistisehe Erzählung, zuerst das deuteronomische, 
schon in der Genesis, dann sehr stark im Exodus und im Josua. 
Zuletzt wird im Priestercodex, unter dem Einfluss der Gesetz- 
gebung der nachexilischen Bestauration, eine völlige Umgestaltung 
der alten Tradition bewirkt. Das Gesetz ist der Schlüssel zum 
Verständnis auch der Erzählung des Priestercodex. Mit der 
Einwirkung des Gesetzes hängen alle unterscheidenden Eigen- 



.L^aaglc 



384 Geschichte der Tradition, Kap. 8. 

tUmlichkeiten dereelben zusammen; Überall macht eieh die Theorie, 
die Segel, das Urteil geltend. Was oben vom Cultus gesagt ist, 
läBst sieh wörtlich von der Sage wiederholen: in der alten Zeit 
ist eie dem grünen Baume zu vergleichen, der aus dem Boden 
wächst wie er will und kann, hinterher ist sie dürres Holz, das 
mit Zirkel und Winkelmass regelrecht zubehauen wird. Es ist 
ein wunderlicher Einwurf zu sagen, die nachexilische Zeit habe 
zu Pr.oductionen , wie die Stiftshütte oder die Chronologie es 
sind, nicht das Zeug gehabt. Originell war sie freilieh nicht, 
aber der Stoff war ja schriftlich gegeben und brauchte nicht 
mehr erfanden zu werden. Was gehörte denn gross dazu, um 
den Tempel in ein tragbares Zelt zu verwandeln? Was ist das 
für eine Schöpferkraft, die lauter Zahlen und Namen hervor- 
bringt! Von Jugendfrische wenigstens kann da nicht die Rede 
sein. Mit ungleich grösserem Eechte wird sich behaupten lassen, 
dass die theoretische Modelung und Aptierung der Sage, wie sie 
im Priestereodex geUbt wird, erst hat eintreten können, nach- 
dem dieselbe aus dem Gedächtnis und dem Herzen des Volks 
herausgerissen und in ihren Wurzeln abgestorben war. 

Die Geschichte der vorhistorischen und der epischen Tradition 
hat also ganz dieselben Phasen durchlaufen wie die der histo- 
rischen; und der Priestercodes entspricht in dieser Parallele in 
all und jeder Hinsieht der Chronik. Das Mittelglied aber zwi- 
schen Alt und Neu, zwischen Israel und dem Judentum, ist 
überall das Deuteronomium. 

Der Antar-roman sagt von sieh selber, er habe ein Alter 
von 670 Jahren erreicht und davon 400 Jahre im Zeitalter der 
Unwissenheit (d. h. des altarabischen Heidentums), die übrigen 
270 im Islam verlebt. Etwas Ähnliches könnten die biblischen 
Geschichtsbücher von sich aussagen, wenn sie, personificiert, ihr 
Leben begönnen mit der Aufzeichnung des ältesten Kernes und 
es abschlössen mit der letzten grossen Umarbeitung. Die Zeit 
der Unwissenheit würde dauern bis zum Erscheinen ,des Buchs", 
welches allerdings im Alten Testament nicht so auf einmal wie 
der Koran, sondern während einer längeren Periode und in 
mehreren Phasen herniedergekommen ist. 



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Israel und das Judentum. 



Daa Gesetz ist zwiachenein getreten. 

Vatke S, 183. 



Wellhauaen, ProlsgoniBBI 



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Neuntes Kapitel. 
Abschluss der Kritik des Geaetzea. 

Gegen die allgemeine Art der Begründung der Graf'schen 
Hypothese ist Einspruch erhoben worden. Es soll eine uner- 
laubte Argumentation ex BÜentio gein, wenn darauB, dase die 
prie steril che Gesetzgebung noch bei Ezechiel latent ist wo eie 
wirksam, unbekannt wo sie bekannt sein sollte, gescblossen wird, 
dasB sie damals noch nicht vorhanden gewesen sei. Was ver- 
langt man denn aber? Soll die Nichtexistenz des Nichtvorhan- 
denen etwa auch noch vorher bezeugt werden? Ist es verstän- 
diger, ex silentio positiv den Beweis der Existenz zu erbringen? 
zu sagen: in der Richter- und Königszeit gibt es keine Spuren 
der Bierokratie, also stammt sie aus dem höehstßn Altertum, 
von Mose her? Das Problem bliebe dann dasselbe, nämlich zu 
erklären, wie es kommt, dass mit und nach dem Exil die Hiero- 
kratie des Priestercodex praktiseb zu werden beginnt. Was die 
Gegner der Graf'sehen Hypothese Argumentation es silentio nen- 
nen, ist weiter nichts als die allenthalben gültige Methode histo- 
rischer Forschung. 

Ein etwas anderes Aussehen gewinnt der Protest gegen die 
Argumentation es silentio, wenn darauf hingewiesen wird, daea 
Gesetze manchmal Theorien sind und dass es kein Beweis gegen 
die Existenz einer Theorie ist, wenn sie in der Praxis nicht 



durchdringt. Wer wird zum Bei 
ronomium während der vorexili 
blieb, schliessen wollen, es 



daraus, dass das Deute- 
ischen Zeit wesentlich Theorie 
cht vorhanden gewesen? Wenn 



Gesetze nicht gehalten werden, so sind sie darum doch da - 
vorausgesetzt nämlich, dass man dafür anderweitig genügende 



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388 Israe! und das Judentum, Kap. 9. 

Beweise hat. Aber diese Beweise woüeu sich eben für den 
Priestercodex ganz und gar nicht finden lassen. Ausserdem ist 
selten Alles bei einem Gesetze Theorie; die Mögliehkeit, dass 
etwas Theorie sein kann, darf nicht allgemein, sondern immer 
nur im einzelnen Falle geltend gemacht werden. Und nicht 
Alles, was in der That Theorie ist, entzieht sich darum der 
gesehichtliehen Ansetzung. Auch die gesetzliche Phantasie geht 
immer von irgend welchen gegebenen Voraussetzungen aus; eben 
an diese Voraussetzungen, nicht an die Gesetze selber, hat sich 
dife gesebichtliche Kritik zu halten/} 

Gerade umgekehrt pocht man nun freilich auch darauf, dass 
die Gesetze des Priestereodex sich doch überall in der Praxis 
der historischeu Zeit bezeugen, dass es immer Opfer und Feste 
und Priester und Keinigungsbräuche und was dergleichen mehr 
ist im alten Israel gegeben habe. Dem liegt wo möglich die 
Meinung zu Grunde, dass nach der Graf'schen Hypothese der 
ganze Cultus erat durch den Priestereodex erfunden und erst 
nach dem Exil eingefilhrt worden wäre. Die Vertreter der 
Graf'schen Hypothese glauben wirklich nicht, dass der israeli- 
tische Cultus plötzlich in die Welt getreten sei, so wenig durch 
EzecBiel oder durch Ezra als durch Mose — wozu würden sie 
auch sonst von Zöekler und Delitzsch des Darwinismus bezich- 
tigt?') Sie finden nur, dass des Gesetzes Werke vor dem Ge- 
setze geschehen sind, dass ein Unterschied besteht zwischen her- 
gebrachtem Brauehe und formuliertem Ge8et7.e, und dass dieser 
Unterschied auch da, wo er bloss formell scheint, doch einen 
materiellen Hintergrund hat, indem er zusammenhängt mit der 
Centralis! erung des Gottesdienstes und der darauf gegründeten 
Hierokratie. Es kommt auch hier nicht bloss auf den Stoff an, 
sondern auf den Geist, der dahinter steckt und sich überall als 
Zeitgeist charakterisiert'). 

") Vgl. S. 52. 155f. 167f. 26ef. Darum ist auch die Vergleichung der Tra- 
ditiongschieliten ebenso wichtige al3 die der Öesetzesschichten. 

') The Christian Church II (London 1882) p. 3G8: WeUhausen's speculations 
were spoken of by Delitzsch as merely applications of Darwinism to 
thfl sphere of theology and criticism. Damnant omnes DarwinistaB: die 
EliketHerung- der Ketzereien, in der es namentlich ZÖckler so weit ge- 
bracht hat, ist die halbe, ja die ganze Widerlegung. Doch mnsa wegen 
de Wette und Eeuss hinzugefügt werden: sive ante sive post Darwinum. 
•) Vgl. 8. 79ff. I07£ 



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AbschluES der Enhk des Oeaetzea $g9 

InzwiBohen leiden alle diese Einwürfe an dem Fehler, dasB 
sie ausser Acht laisen, um was es sith eigentlich handelt Es 
handelt eich nicht daium zu ei weisen, dass das mosaische Ge 
setz in der voiexiliseheu Zeit nicht bestanden habe ts gibt 
drei Gesetzes- und Traditionsschichten im Penfiteuch , und die 
Aufgabe ist, diese Schichten in historische Folge zu bringen. 
Beim Jehovisten und beijp Deuteronomium hat diese Aufgabe 
eine Lösung gefunden, die als allgemein anerkannt gelten kann; 
es handelt sich nun bloss darum, das Verfahren, wodurch die 
Eeihenfolge und die Zeit dieser beiden Schriften ermittelt worden 
ist, auch auf den Priestereodex anzuwenden, nämlich die innere 
Vergleichung der Schieliten untereinander und die historische 
Vergleiehung derselben mit den sicher überlieferten Thatsachen 
der iaraeiitisehen Geschichte.') Man sollte nicht denken,- dass 
hiegegeo Widerspruch erhoben werden könnte. Aber dies ist 
dennoch der Fall; das. selbe Verfahren, welches auf das Deute- 
ronomium angewandt historisch -kritische Methode heisst, heisst 
auf den Priestereodex übertragen Gesohichtsconstruetion. Con- 
struieren muss man bekanntlich die Geschichte immer; die Reihe 
Priestereodex Jehovist Deuteronomium ist auch nichts durch 
die Überlieferung oder durch die Natur der Dinge Gegebenes, 
sondern eine nur wenige Decennieu alte Hypothese, yon der 
man jedoch die freilich etwas unfassbaren Gründe vergessen 
hat und die dadurch in den Augen ihrer Anhänger den Schein 
des Objeetiven, d. h, den Charakter des Dogmas, bekommt. Der 
Unterschied ist nur, ob man gut oder schlecht construiert. Graf 
Baudissin glaubt hier besonders vor. einer Gefahr warnen zu 
müssen, nämlich vor der übertriebenen Anwendung der Logik; 
die logische Auseinanderfolge der Gesetze brauche darum doch 
nicht die historische Aufeinanderfolge derselben zu sein. Um 
des logischen Fortschritts willen geschieht es aber in der That 
nicht, wenn wir die von den Propheten ausgebende Entwicke- 
lung schliesslich auf das Gultusgesetz auslaufen lassen; von dem 
gesunden Menschenverstände ausgehend bat man gewöhnlich der 
Geschichte, trotz des Widerstrebens ihrer auf uns gelangten 
Spuren, den um^gekehrten Gang aufgedrängt, ") Wenn wir von 

') Die MeÜiode ist in der Einleitung (S. Iff,) angegeben; ich habe mich be 
sonders im ersten Kapitel, über den Ort des Gotteadienstes, bemuht, sie 
deutlich hervortreten zu lassea. 

*} Wunderbar wäre es darum auch nicht, bei dem ganzen Charakter der 



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390 Israel und das Judentum, Eap. 9. 

der iaraelitiHßhea Cultusgeschiclite nach mUhsam geeatnmeltea 
Daten der histonseben und prophetischen Bücher einen Aufriss 
machen, darnach den Pentateuch damit verj^leichen, |und auf diese 
Weise bestimmte Beziehungen der einen Schicht des Pentateuebs 
mit dieser historischen Phase, der anderen mit jener erkennen, 
so beisBt das nicht die Logik' an Stelle der historischen Unter- 
suchung setzen. So weit soll doe!^ gewiss die neue Lehre 
von der Unverntlnftigkeit der Wirklichen nicht getrieben wer- 
den, dass man die CoiTespondenz zwischen Gesetzesschicht und 
betreffender Geschiebtsphase als Grund ansieht, beides mög- 
lichst weit auseinander zu reissen. Wenigstens mlisste man dann 
diesen Grundsatz auch auf den Jehovisten und das Denterono- 
mium anwenden, nicht bloss auf den Priestercodex. Denn was 
dem einen recht ist, ist dem anderen billig; ein bischen Logik 
ist eben leider beinah ganz unvermeidlich. 

Dass nicht Alles, was ich in der Geschichte des Cultus und 
der Tradition vorgebracht habe, Beweis der Hypothese, vielmehr 
gar Manches nur Erklärung auf Grund der Hypothese ist, die 
nicht dazu dienen kann sie selber zu stützen, das versteht sieh 
von selbst. Im Gegensatz zu Graf bin ich absichtlich so ver- 
fahren. Graf hat seine Argumente ziemlich unverbunden vorge- 
tragen und nicht versucht, die historische Gesamtbetraehtung 
der Geschichte Israels zu ändern. Eben darum hat er keinen 
Eindruck bei der Mehrzahl seiner Fachgenosseri gemacht; sie 
sahen nicht hinein in die Wurzel der Sache, konnten das System 
für unerschUttert halten und darum die einzelnen Anstösse ftir 
untergeordnete Kleinigkeiten ansehen. Mein Unterschied von 
Graf besteht zunächst darin, dass ich immer auf die Centrali- 
sierung des Cultus zurückgehe und daraus die einzelnen Diffe- 
renzen ableite. Meine ganze Position ist im ersten Kapitel ent- 
halten; dort ist namentlich auch der historisch sehr wichtige 
Anteil der prophetischen Partei an der grossen Metamorphose 
des Cultuswesens klar gelegt, die sieh keineswegs bloss spontan 
vollzog. Weiter lege ich weit mehr als Graf entscheidendes 
Gewicht auf den Wechsel der herrschenden Ideen, der mit der 
Änderung in den Einrichtungen und Biäuchen des Cultus pa- 

Polemik gegen die Grafsche Hypothese, wenn ihr demnächst gerade der 
entgegengesetzte Einwurf gemacht würde, nämlich dass aie nicht im 
Staude sei, die Geschichte zu conutruieFen. 



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Abscbluss der Kritik des Gesetzes. 391 

rallel läuft, wie das beBonders der zweite Teil des vorliegenden 
Buches aufweist. Fast wichtiger als die Erscheinungen selber 
Bind mir die dahinter liegenden Voraussetzungen. 

Wenn "nicht Alles, was bisher zur Sprache gekommeti ist, 
Beweis für die Graf'sche Hypothese ist noch sein soll, so gibt 
es andererseits auch Beweismaterial genug, welches noch nicht 
berücksichtigt ist. Dasselbe ausfilhrlieh zu erörtern, würde aber- 
mals ein Buch eifordern^ es kann hier nur in Auswahl und in 
andeutender Kürze yorgeführt werden, wenn die Grenzen nicht 
tiberschritten werden sollen, welche der wesentlich historische 
Charakter dieser Prolegomena steckt. Grösstenteils wird sich 
dabei das Pro an die Widerlegung des Contra anschliessen. 

I. 

1. Eberhard Schrader erwähnt zwar in seinem Lehrbuch 
der Einleitung (1869, S. 266), dass Graf die Gesetzgebung der 
mittleren Bücher des Pentateuehs der nacbexilischen Zeit zu- 
weise, gibt jedoch nicht den mindesten Begriff von der Begrün- 
dung dieser T-hesig, sondern weist sie kurzer Hand damit ab, 
dass dagegen „schon die kritische Analyse ihr Veto" einlege. 
Schon die kritische Analyse! Wie fängt sie das an? Wie kann 
sie beweisen, dass die nach allen Seiten ausgebildete Cultus- 
einheit, die Denaturalisierung der Opfer und der Feste, der Unter- 
schied von Priestern und Leviten, die autonome Hierarchie älter 
seien als die denteronomische Reform? Schrader meint vielleicht, 
dass die aus der cultusgeschicbtiichen Vergleichung der Quellen 
entnommenen Merkmale, wonach Jebovist Deuteronomium 
Priestercodex, in dieser Ordnung, auf einander folgen, durch an- 
dere mehr formale und literarische aufgewogen werden, wonach 
■ der Priestercodex an die Spitze oder doch nicht ans Ende der 
Reihe gehört. Dann stünde gleich gegen gleich, und die Frage 
milsste in der Schwebe bleiben. Dieser ungünstige Fall würde 
jedoch nur dann eintreten, wenn die literarischen Gegeninstanzen 
den mehr realistischen Gründen für die Grafsehe Hypothese 
wirklich das Gleichgewicht hielten. In der Untersuchung über 
die Composition des Hexateuchs ') habe ich nach dem Vorgange 
Anderer gezeigt, wie wenig dies der Fall ist: die Hauptpunkte 
will ich der Vollständigkeit halber hier wiederholen. 
I) s. oben S. 8 Änm. 3. 



p.=,Goswle 



392 Israel und das Jadentam, Kap. 9. 

2. Man sagt, das Deutei'ODomium gründe seine historischeu 
Änsehaaungeti nicht bloss auf die jehovistische, sondern auch 
auf die priesterliche Erzählung. Das eigentliche Deuteronomium 
(Kap. 12—26) enthält zwar kaum historischen Stoff, aher bevor 
Mose zur Sache kommt, schickt er zwei Einleitungen voraus 
Kap. 5 — 11. Kap. 1 — 4, und klärt uns darin über die Situation 
auf, worin er kurz vor seinem Tode „diese Thora" veröffent- 
licht. Wir befinden uns in dem zuerst eroberten Amoriterreieh 
östlich vom Jordan, am Ende der vierzigjährigen Wanderung; 
der Übergang ins Land Kanaan, für welches diese Gesetzgebung 
berechnet ist, steht nahe bevor. Bisher, heisst es nun in Kap. 5. 
9. 10, ist nur das unter allen Verhältnissen gültige und darum 
von Gott selbst am Eoreb verkündigte Grundgesetz der zehn 
Worte gegeben worden. Damals verbat eich das Volk weitere 
direkte Offenbarung von Jahve und beauftragte Mose mit der 
Vermittelung, der sich demgemäss auf den heiligen Berg begab, 
dort vierzig Tage und Nächte verweilte und die zwei Tafeln des 
Dekalogs empfing, ausserdem aber die Satzungen und Rechte, 
welche er erst jetzt nach vierzig Jahren zu publrcieren im Be- 
griff steht, da sie erst mit der Ansiedelung praktisch werden. 
Naichdem inzwischen unten das goldene Kalb gegossen worden, 
stieg Mose vom Berge herab, zerschmetterte im Zorn die Tafeln 
und zerstörte das Idol. Darauf begab er sieh zum zweiten mal 
wiederum vierzig Tage und vierzig Nächte auf den Berg, bat um 
Gnade für das Volk und für Aharon, und nachdem er nach gött- 
lichem Geheiss zwei neue Tafeln und eine hölzerne Lade fUr sie 
gemacht hatte, schrieb Jahve den Wortlaut der zerbrochenen 
noch einmal auf. Bei jener Gelegenheit, wird 10, 8f, bemerkt, 
wurden auch die Leviten zu Priesteni bestellt. 

Dass dies eine Reproduktion des jebovistischen Berichtes 
Exod. 19. 20. 24. 32—34 ist, liegt auf der Hand: Hingegen wird 
der Priestercodex vollkommen ignoriert. Nur zwei Gesetze kennt 
das Deuteronomium, den Dekalog, den das Volk, die Satzungen 
und Rechte, die Mose am Horeb empfing; beide sind zu gleicher 
Zeit unmittelbar hinter einander offenbart, aber nur der Dekalog 
bisher publiciert. Wo bleibt die gesamte Wüstengesetzgebung 
TOU der Stiftshütte aus? ist es doch geradezu eine Negation 
ihres Begriffs, wenn Mose die Thora erst verkündet beim Über- 
gang ins heilige Land, weil sie eben nur für das Land, nicht 



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Abschluss der Kritik des Geaetzes 393 

für die Wüste passt und Geltung hat. Kann der Deuteronomiker, 
ganz abgesehen davon dass ihm nach Kap. 12 von einem mosai 

scheu Centralheiügtum nichts bekannt gewesen ist, zwischen 
Exod. 24 und 32 das gefunden haben, was wii dort jetzt lesen? 
überschlägt er doch alles, was aus dem Priest ei codex eingehetzt 
ist. Freilich findet Noldeke ') eine llemiuiscenz an denselben m 
der Lade aus Akazienholz (Deut. 10, 1). Aber die Lade kommt 
Jiier in einem Zusammenhange vor, der dem jehovistisehen 
(Exod. 32. 33) genau entspricht und dem priesteriichen (Exod. 25ff.) 
widerspricht. Sie wird erst nach der Aufrichtung des gol^ 
denen Kalbes gestiftet, nicht gleich zu Anfang der göttlichen 
Offenbarung als der Grundstein der Theokratie. Es ist wahr, 
wir finden gegenwärtig in JE Exod. 38 die Lade nicht erwähnt, 
aber in dem nächsten jehoYistisehen Stücke (Num. 10, 33) ist sie 
plötzlich da, und es musste doch ursprünglich gesagt sein, woher? 
. Wie die Herriehtung des Zeltes, welches 33, 7 gleichfalls unvor- 
bereitet vorhanden ist, muss auch die der Lade einst zwischen 
33, 6 und 7 erzählt und dann vom Redaktor des gegenwärtigen 
Pentateuchs wegen der notwendigen Rücksicht auf Q Exod. 25 
ausgelassen worden sein: dafür sprechen noch eine Reihe wei- 
terer Gründe. ') Dass der denteronomisehe Erzähler JE vor der 
Verarbeitung mit Q noch vollständiger vorgefunden hat als diese 
Schrift uns nach der Verarbeitung vorliegt, ist doch keine so 
schwierige Annahme, dass man um sie zu vermeiden lieber zu 
den allerunmöglichsten zu greifen hätte. Nach Nöldeke näm- 
lich hat der Verfasser von Deut. 5 — 11 entweder den jetzigen 
Pentateuch vor sich gehabt und es dann rätselhaft gut veratau- 
den JE heraus zu schälen, oder er hat zwar JE als selbständige 
Schrift benutzt, aber doch auch Q gelesen, so aber dass seine 
Gesamtanschaunng nicht im mindesten von der priesterliehen 
beeiuflusst ist, sondern derselben total und doch uubewusst wider- 
spricht, da sie für eine ausser dem Dekalog erfolgte Cultusge- 
setzgebung, d. h. für den ganzen wesentlichen Inhalt von Q, 

') Jahrbb. für prot. Tlieologie 1875, S. 350. 

') Ohne die Lade hat das Zelt keinen Zweck und der in Exoii 33 so wich- 
tige Gegensatz von Repräsentation (Mal'ak) Jahve's und Jalive selber 
keinen Sifin. Dnici das Gusswerk, das sie sich gemacht, haben die 
Israeliten den Beweis gegeben, dass sie ohne eine sinnlirhe Vergegen- 
wärtigung der Gottheit nicht auskommen, darum gibt ihnen Jahve die 
Lade statt des Kalbes. 



1, wCoä^le 



394 Israel und das Jndentnm, Kaß. D. 

keinen Platz offen lässt. Zu dieBem Dilemma sollte man sieh 
dpshalb Terstehen, weil ein oder der andere Zug der deuterono- 
miscben Dai'etellung in der gegenwäi-tigen Gestalt von JE nicht 
nachweisbar, dagegen in Q erhalten ist? ist denn, unter sothanen 
Umständen, damit bewiesen, dass er dorther stamme? muss man 
nicht billigerweise einige Kücksieht auf das Ensemble nehmen ? 

Übrigens hat Vatke richtig bemerkt, dass die hölzerne Lade 
Dent. 10, 1 gar nicht so sehr an die von Exod. 25 erinnere, die 
nach Analogie des goldenen lasches und Altars viel eher eine 
goldene zu nennen war. Noch mehr guter Wille gehört dazu, 
die Angabe über Aharous Tod und Begräbnis in Mosera und 
über Eleazars Einsetzung an seiner statt (Deut. 10, 6, 7) für eine 
Reminiscenz an Q (Num. 20, 22ff.) anzusehen, wo Aharon auf 
dem Berge Hör stirbt und begraben wird. Aharon und Eleazar 
stehen auch in JE als Priester zur Seite Mose's und Josua's; 
Tgl. Jos. 24, 33. Allerdings ist in JE jetzt der Tod und dae Be- 
gräbnis Aharons nicht erhalten; aber man kann doch vom Re- 
daktor des Pentateuehs nicht verlangen, dass er eine Person 
zweimal sterben lässt; einmal nach Q und einmal nach JE, 
Noch dazu ist Deut. 10, 6. V eine Interpolation, denn die folgen- 
den Verse 10, 8ff-, in denen nicht bloss Aharon und Eleazar, 
sondern alle Leviten das Priestertum besitzen, schliessen sieh au 
10,5 und beruhen auf Exod. 32: wir befinden uns noch am 
Boreb, nicht schon in. Mosera. 

Der historische Faden, der in Deut. 5. 9. 10 angesponnen 
wird, lässt sich in Kap. 1—4 weiter verfolgen. Vom Horeb auf- 
brechend kommen die Israeliten direet nach Kades Barnea und 
schicken von hier, bevor sie den befohlenen Einfall in das ju- 
däische Bergland wagen, aus eigener Vorsicht, die aber von Mose 
gebilligt wird, zwölf Kundschafter zur Recognoscierung aus, unter 
ihnen Kaleb, aber nicht Josua. Nachdem diese bis zum Bache 
Eskol vorgedrungen sind, kehren sie zurück, und obwohl sie die 
Güte des Landes preisen, wird doch das Volk durch ihren Be- 
rieht so entmutigt, daes es murrt und nicht angreifen mag. Zor- 
nig darüber heisst sie Jahve wieder umkehren in die Wüste, da 
sollen sie sieh so lange umhertreiben, bis die alte Generation 
ausgestorben und eme neue herangewachsen sei Als sie nun 
doch aus lalscher Scham naehtiagheh vordringen, weiden sie 
mit blutigen Köpfen heimge^hickt Nunmehr wenden sie sich 



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ÄbschlusB der Kritik des Gesetaes. 395 

zurtiek zur Wüste, wo sie lange Jahre in der Gegend des Ge- 
birges Seir hin und her ziehen, bis sie endlieh, aelitunddreissig 
Jahre nach dem Aufbruch von Kades, Befehl erhalten nach 
Norden vorzugehen, jedoch der verwandten Völker Moab und 
Amnion zu schonen. Sie erobern das Land der Amoriterkönige 
Sihon von Hesbon und Og von Basan, Mose gibt es den Stäm- 
men Ruhen Gad und Halbmanasse, unter der Bedingung, daps 
ihr Heerbann noch femer am Kriege teilnehmen mügee. Mit det 
Deeignation JoBua's zum künftigen Fühfer des Volks wird der 
fortlaufende Bericht abgeschlossen. 

Man kann denselben, wenn man die hie und da im Deu- 
teronomium zerstreuten Einzelheiten hinzunimmt'), geradezu als 
Leitfaden zur Ermittelung von JE benutzen. Was dagegen der 
Priestereodex Eigentümliches hat, wird mit tiefem Stillschweigen 
tibergangen und von Exod. 34 direct auf Num. 10 übergesprun- 
gen. Während nicht wenige Geschichten, auf die im Deuterono- 
mium zurückgekommen oder angespielt wird, sich bloss in JE 
und nicht in Q finden, kommt der umgekehrte Fall nicht vor. 
Und bei den Erzählungen, welche sowohl in JE als auch in Q 
vorhanden sind, befolgt das Deuteronomium in allen Fällen, wo 
man eine deutliehe Differenz constatieren kann, immer die Ver- 
sion von JE. Die Kundschafter gehen von Kades aus, nicht 
von der Wüste Pharan, sie gelängen bis nach Hebron, nicht bis 
beinah nach Hamath, Kaleb gehöi-t zu ihnen, nicht aber Josua. 
Die Meuterer von Num. 16 sind die Ruheniten Dathan und Abi- 
ram, nicht Korah und die Leviten. Nach der Niederlassung im 
Ostjordanlande hat das Volk es mit Moab und Ammon zu thun, 
nicht mit Midian; mit jenen und nicht mit diesem steht Bileam 
in Beziehung und ebenso auch Baal Peor, Deut. 4, 3 stimmt mit 
JE {Num. 25, 1—5), nicht mit Q (Num. 25, 6 ff.). Da die Sachen 
so stehen so kann man nicht mit Nöldeke in der Zwölfzahl der 
Eundschaf e (De 1 23) e ne he e Spu des E nflus es von 
Q Num IS ) sehen Ha e de Ve fasse die E zäh ung so ge 

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396 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

lesen, wie sie uns jetzt Num. 13. 14 yorliegt, so wäre es unver- 
Btändlieb, dass, wie wir eben gesehen haben, nur die jehovistiscbe 
Version auf ihn Eindruck gemacht hat. Er mtlsste also Q als 
beeondere Schrift gekannt haben, aber es ist doch überhaupt 
höchst bedenktieh, aus einer solchen Einzelheit auf die Benutzung 
einer Quelle zu schtiessen, deren Einflusslosigkeit und Unbekannt- 
heit übrigens eine rollständige ist, zumal die Priorität dieser 
Quelle keineswegs an sich fest steht, sondern erst aus dieser 
Benutzung erwiesen wird, Wäre eine Differenz zwischen JE 
und Q in diesem Funkte nachweisbar , könnte man sagen , nur 
Q lässt zwölf, JE dagegen drei Männer aussenden, so stünde es 
schon anders; aber der Anfang des Berichts von JE ist Num. 13 
durch den von Q verdrängt und uns also unbekannt, man weiss 
nicht, ob und wie die Zahl angegeben worden ist. In diesem 
Falle ist es doch das einzig Rationelle, aus d^m Deuteronomium, 
welches sonst lediglich dem Jehoyisten folgt, das Verlorene in 
JE zu ergänzen und zu schliessen, dass auch hier der Kund- 
schafter zwölf gewesen. — Mit dem. meisten Eechte lässt sieh 
noch die Bekanntschaft des Deuteronomiums mit der Erzählung 
des Priestercodex aus 10, 22 beweisen. Denn die siebzig Seelen, 
die den Bestand Israels bei der Einwanderung in Ägypten aus- 
machen, werden in JE nicht erwähnt, und eine Lücke in dieser 
Beziehung macht sich in der jehoTistischen Tradition nicht fühl- 
bar. Aber sie widersprechen ihr doch auch keineswegs, und 
wenn man Deut. 10, 22 nicht für einen Beweis halten will, dass 
sie ursprünglich auch in dieser einen Platz hatten, so muss man 
mindestens zugehen, dass jene Stelle entfernt nicht ausreicht 
die Evidenz zu entkiäften, dass die priesterliche Gesetzgebung 
von der deuteronomisehen ausgeht ') 

') Nuldeke Yörwertet solche Zahlea wie 12 und 10 manchmal ao als kdmea 
sie ausschliesslich lu Q vor Dem ilt nicht so A^Vie Q im Anfang der 
Genesis nach der Zehn, ao gruppiert JE nach der Sieben, die Zwölf und 
die Vierzig kommen lu JE ebenso oft vor wie in Q, die Siebzig nichl 
minder Es ist darum wunderlich, die Erzählung von den 13 Wasser 
quellen und 70 Pilmbaumen zu Elim bloss wegen 12 und 70 «u Q zu 
rechnen Nicht einmal die Angaben nber das Alter der Patriarchen — 
soweit sie mcht dem chronoSogiscben System dienen — sind ein sicheres 
Herkmai von Q, vgl Gen 31,18 37,2 41,26 50,36 Deut 34,7 Jos 
24,29 — Nur die Namen der 70 Seelen und der 12 Kundschafter sind 
uoWechtbares Eigentum des Prieetercodex es b^lt aber auch nicht 
schwer (namentlich bei Gen 46,8 — 27) nachzuweisen, dats sie weit wo 
niger ursprünglich sind als die 'mummen, die als runde eigentlich gar 
nicht eine selche Herzahlung der einzelnen Posten vertiagen 



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Abschlusg rter Kritik des Gesetzes. 397 

3. Gegen die Grafsebe Hypothese wird feiner die deuterono- 
mistieehe Eedaktion des Hexateuehs eingewandt, die am klarsten 
in den Teilen hervortritt, welche auf die deuterononiiaehe Thora 
folgen und zurücksehen. Man hat als selbstverständlich ange- 
nommen , das9 dieselbe sich ebenso wie über die jehovistischen 
auch über die priesterlichen Stücke erstrecke; seit man Ursaeh 
hatte genauer zuzusehen, zeigte sich, dass dies nicht der Fall , 
ist. Denn die Spuren, die Nöldeke a. 0. zusammengebracht hat, 
sind geringfügig und bestehen zudem die Probe nicht. Er sagt, 
der deuteronomistisehe Bericht über den Tod Mose's (Deut. 32, 
48ff. 34, Iff.) sei nicht anders aufzufassen wie als eine Erweite- 
rung des fast noch im genauen Wortlaute erhaltenen Berichtes 
der Grundschrift (Q); aber Deut. 34, 1". — 7 enthält nichts von 
Q, und 32, 48 — 52 ist nicht denteronomistiseh überarbeitet: Er 
verweist ferner auf Jos. 9, 27 : „ Josna machte die Gibeoaiten 
damals zu Holzhauern und Wasserschöpfem für die Gemeinde, 
und für den Altar Jahve's bis auf diesen Tag an dem Orte den 
er erwählen würde." Die zweite Hälfte des Satzes sei hier ein 
denteronomistiseher Zusatz zu der ersten, welche der Grund- 
schrift angehöre. Aber, wie Nöldeke selber zugibt, sind die 
denteronomistiseh überarbeiteten Verse 9, 22ff. nicht die Fort- 
setzung der priesterlichen Version lö^. 17—21, sondern der jeho- 
vistischen IB'-". 16; es fehlt zwischen v. 16 und 22 nur die Nach- 
richt, auf die v. 26 sich bezieht. Den 27. Vers von v. 22—26 
zu trennen, dazu berechtigt der Ausdruck Holzhauer und 
Wasserschöpfer an sieh nicht, da er nicht bloss in v. 21, 
sondern auch in JE V. 23 vorkommt. Dem Zusatz für die Ge- 
meinde aber, der allerdings auf dfen Priestercodex zurückweist, 
hält der folgende für den Altar Jahve's, welcher der jeho- 
vistischen Anschauung folgt, das Gleichgewicht. Das Ursprüng- 
liche ist nun jedenfalls, daes die Gibeoniter dem Altare oder ' 
deta Hause Jahve's zugewiesen weiden. Aber nach £z. 44 
sollten die Hierodulendienste im Tempel nicht mehr durch Aus- 
länder besorgt werden, sondern durch Leviten — aus diesem 
Grunde sind im Priestercodex aus Knechten des Altares Knechte 
der Gemeinde geworden. Es erhellt daraus, dass )m]h in 
v. 27 gegen n2'\Db den kürzei-en zieht und eine nachträgliche 
Correktur ist. Als solche aber beweist sie, dass die letzte Be- 
daktiou des Hexateucbs vom Priestereodex und nicht vom Deu- 



.Go^Ie 



393 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

teronomium ausgeht. Über Jos. 18, 3 — 10, worin Nöldeke eben- 
falls einen deuteronomislischen Zusatz zum Berichte der Grund- 
schrift über die Landverteilung erblickt, habe ich meine Ansicht 
oben S. 380f. angedeotet; es ist ein jehovistisehes Stück, und 
wenn die Meinung, daes Josua zuerst Juda und Ephraim und 
dann nach geraumer Zeit den übrigen sieben Stämmen ihr Ge- 
biet zugewiesen habe, überhaupt die Meinung des Priestereodes 
wäre, 80 wäre sie dort ein Erbteil von JE, wo sie allein ihre 
Wurzeln hat. ') Wenn sehliesslich Nöldeke ganz besonders 
Job. 22 für seine Meinung entscheidend findet, so ist zu be- 
merken, dass in der Erzählung des Priestercodex 22, 9 — 34, zu 
der die Verse 1—8 nicht gehören, Ton deuteronomistischer Über- 
arbeitung nichts zu finden ist.") 

liine ernstere Schwierigkeit entsteht bloss bei dem kurzen 
Kapitel Jos. 20, welches dem Kerne nach zum Priestereodex ge- 
hört, jedoch allerhand Zusätze enthält, welche stark an die 
deuteronomietisehe Bearbeitung erinnern, Kayser hat diese un- 
bequemen Zusätze für ganz späte Glossen erklärt. Das scheint 
die reine Tendenzkritik zu sein, aber es ft1gt sich, dass ihre Er- 
gebnisse durch die Septuaginta bestätigt werden, welche die 
sämtlichen angeblich deuteronomistischen Ergänzungen an dieser 
Stelle noch nicht vorgefunden hat. ') 

Gesetzt übrigens, es Hessen sich wirklich einige probable 
Spuren deuteronomistischer Bearbeitung im Priestercodex auf- 
weisen, so muBs doch erkläi-t werden, warum sie so uoverhältnis- 
mässig viel mehr in JE vorkommen — warum z. B. überhaupt 
nicht in der Gesetzesmaase der mittleren Bücher des Hexateuchs. 
Diese sichere und durchgehende Erscheinung muss gegen ein- 
zelne Gegeninstanzen von vornherein mistrauisch machen, um 
so mehr, da Jos. 20 zeigt, dass die späteren Eetouohen des ka- 
■ nonischen Textes manchmal den Ton des Deuteronomisten nach- 
abmen. 

II. 

1. Ich habe vorbin in 1 mvb Jos 9, 27 den Zusatz einer 
priesterlichen Endredaktion gesehen. Eine solche muss natUr- 

I) Jahrbb für Deutsche Theol 1876 S 596 f 
") Job Hollenberg m den Stud und Knt 1874 S 4G2ff. 
') Aug Kayser, dag TOreiilisebe Buch der Urgeschichte Israels (Strasab. 
1874} S ]47f. — Joh Hollenberg, der Charakter der alex. Übersetzung 
des B Josua (Programm des Gymn zu Möra 1876) S. 15. 



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Abschluss der Kritik des Gesetzes. 399 

lieh angenommen werden, wenn der Priestercodex jttnger als 
das Deuteronomium ist. Aber nicht bloss auf Deduktion beruht 
die Annahme; Kuenen hat sie auf induktiYem Wege begi-ündet, 
noch ehe er ein Anhänger der Grafsehen Hypothese geworden 
war.') Zur Demonstration eignen sich am besten die Eapitel 
Lev, 17—26. Sie sind gegenwärtig dem Priestercodex einver- 
leibt, durch eine entsprechende Bearbeitung, die an manchen 
Stellen nur Weniges, an anderen Bedeutendes zugefügt bat. Ur- 
sprünglich aber bilden sie ein eigenes und abgeschlossenes Ganzes, 
durchzogen von einem ziemlich manirierten religiös-paränetischen 
Tone, der nur wenig mit dem Priestercodex stimmt. Der Ver- 
fasser hat vielfach nach älteren Vorlagen gearbeitet, wodurch 
sieh z. B. die Nebeneinanderstellung von Kap. 18 und Kap. 20 
erklärt. Für die Erkenntnis der literarischen Verhältnisse ist 
Lev. 17—26 imvergleicblich lehrreich, ein wahres Compendium 
der Literaturgeschichte des Pentateuchs. ^) 

Wie dem Deuteronomium, so merkt man es dieser Gesetz- 
gebung noch deutlich an, daas sie zuletzt in der jehovistiseben 
vom Sinai (Exod. 20 — 23) wurzelt. Sie soll gleichfalls auf dem 
Berge Sinai gegeben sein 25, 1. 26, 46. Sie ergeht an das Volk 
und ist auch dem Inhalte nach volkstümlich, zum gi-ossen Teile 
bürgerlich und moralisch. Sie will nur für das Land und das 
ansässige Leben, nicht auch für die Wüste gelten. Die Feste, 
drei an der Zahl, haben ihren Charakter als Erntefeste noch nicht 
ganz eiugebUsst; unter den Opfern fehlen die Sund- und Sohuld- 
opfer. Der Cultus tritt zwar schon unverhältnismässig stark als 
Gegenstand der Legislation hervor, aber die Verordnungen dar- 

') Histonsch kritisch Onderzoek I (Leiden 1861) S 165 der Redaktor des 
Peatateuchs mugs in den seihen Kreisen gesucht werden, wo das Bach 
der Ursprange (Q) entstand und aümahlich erweitert und modiflciert 
wurde d h unter den lerusalemi scheu Priestern S 194 nach der ge 
wohnhcheu Meinung ist der Deuteconomist Redaktor des i,anZBu B Josu», 
aber seine Hand zeigt sich nicht überall, z B nicht lu den prieeterlichen 
ßtuckeu der letzte Hedaktor ist lom Deuteronomisten zu unterscheiden 
Sehr umfangreichen Zuisätzeu der letzten Redaktion ist Kueuen m ge 
wissen Erzählungen von tiumen und Sonaa. auf die Spur gekummeu, es 
wäre sehr dnngend zu wünschen, dass die Ergebnisse seiner Unteräuchung 
endlich im 1 Halbband der 2 Ausg seine»* isagogischen Hauptwerks yer 
offenthcht wurden 

') Vgl die Jahrbb tur Deutsche Theol 1877 S 422—444, namentlich über 
die Ausscheidung der Redaktion'. lusatze, von deneu ich in der folgenden 
Erörterung zunächst absehen muss Ich ziehe t B bei Kap 23 nur 
Y 9—22 89—44 in Betracht, bei Kap 24 nur t 15—22 



Go«^Ie 



400 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

über gehen doch noch niclit m das eigentlich Teehnieclie ein 
und richten sich noch durchaus an das Volk: selbst in den die 
Priester betreffenden wird das Volk angeredet, während von 
jenen in dritter Person gehandelt wird. Es fehlt auch nicht an 
greifbareren Berührungen. Man kann Lev. 19, 2 — 8. 9 — 18 als 
Analogon zur ersten und zweiten Tafel des Dekalogs betrachten. 
Der Spruch „du sollst nicht Partei nehmen für den Armen und 
dich nicht scheuen vor dem Grossen" 19, 15 ist eine Fortbildung 
der Regel Exod, 23, 3, eine Reihe anderer Sprüche in Lev. 19 
könnten ebenso gut in Exod. 22, 17 fl'. stehen. Die Verordnun- 
gen Lev. 22, 27 — 29 lehnen sich an Exod. 22,29. 23,18.19. 
Ebenso fussen die von Lev. 24, 15 — 22 nach Inhalt und Form 
auf Exod. 21, 12;') bei 24,22 merkt man die polemische Be- 
ziehung auf Exod. 21, 20f. 26^. In 25, 1—7 wiederholen sich die 
sämtlichen Ausdi-ücke von Exod. 23, 10. 11. In 20, 24 findet 
sich die jehovistische Phrase „ein Land fliessend von Milch und 
Honig". 

Jedoch nimmt Lev. 17—26 nur den Ausgang von der jeho- 
vistischen Gesetzgebung, modificiert sie aber sehr bedeutend und 
zwar etwa in der Weise des Deuteronomiums. Sowohl in den 
Ideen als in den Ausdrücken lässt sieh die Verwandtschaft des 
Abschnittes mit dem Deuteronomium constatieren. Beiden ge- 
meinsam ist die Sorge für die Armen und Rechtlosen, beiden 
ist die Humanität ein Hauptzweck der Gesetzgebung. „Wenn 
ein Fremdling in eurem Lande bei euch wohnt, sollt ihr ihn 
nicht bedrücken: er soll euch sein wie ein Eingeborener von 
euch, und du sollet ihn lieb haben wie dich selber, denn ihr 
selbst seid Fremdlinge gewesen im Lande Ägypten" (19, 34). 
Auf die örtliche Einheit des Opferdienstes wird auch in Lev. 17 ff. 
starkes Gewicht gelegt. Sie wird noch gefordert, nicht voraus- 
gesetzt (17, 8f. 19, 30. 26, 2); ihr Motiv, die Abwehr heidnischer 
Einflüsse und die Durchführung des , bildlosen Monotheismus^} 
leuchtet noch erkennbar durch: wichtige Punkte der Berührung 
mit dem Deuteronomium. Dergleichen lassen sich ferner nach- 
weisen in dem Trauerverbot (19, 27f.), in der Zählung der 



>) 17,7 (v^,l 2 thron H 15) 18 21 19 4 19 26. 29. 31. 20,3ff. 6. 36. 
30 Für die Datierung ist besondeis wichtig das scharfe Verbot i 
Molochdienstea Über Lev 17 Tgl eben S 52 53. 



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Abschiuss der Kritik des Gesetzes, 401 

PentekoBte Tom Anfange des Gerstenschnittea (23, 15), in der 
siebentägigen Dauer des Laubhüttenfestes und in den fi-öhliuhen 
Mahlopfern , womit dasselbe begangen werden soll {23, 40f.). 
Hinzukommt eine nicht unbeträchtliche Ahnliebkeit in der Farbe 
der Rede, z. B. in 18, 1-5. 24—30. 19, 33—37. 20, 22ff. 25, 35ff. 
Von einzelnen Wendungen sind hervorzuheben; „wenn ihr in 
das Land kommt, das ich euch geben werde", „ihr sollt euch 
freuen vor Jahve", „Jahve der ich eueb aus Agyptenland ge- 
führt habe", „ihr sollt meine Gebote Satzungen und Rechte halten 
und thun." 

Aber auch über die deuteronomistieche Stufe ist hier die Ge- 
setzgebung hinaus. Schon überwiegt bei den Festen das Gesamte 
opfer der Gemeinde (23, 9 — 22), Priester sind nicht die Leviten, 
sondern die Söhne oder Brüder Aharons, ihr Einkommen hat 
beträchtlich zugenommen, ihre abgesonderte Heiligkeit sich ge- 
steigert. Auch an die leibliche Heiligkeit der Laien werden 
strengere Anforderungen gestellt, namentlich binsiehtlieh der Ent- 
haltung von Fleischessünden . und von der Verwandtenheivat 
(Lev, 18. 20). Demgemäss wird die Schwagerehe verboten 
(18, 14. 20, 20), die im Deuteronomium noch zu Rechte besteht. 
In eine Zeit, wo man mit dem Exil gar wohl vertraut war, 
fuhrt 18, 25ff.: „gebet acht, meine Satzungen und Rechte zu thun 
und solche Gieuel zu vermeiden, denn die Leute, welche vor 
euch im Lande wohnten, haben dergleichen getban und das 
Land hat sie ausgespieen — hütet euch, dasa das Land nicht 
auch euch ausspeie, wie es das Volk vor euch ausgespieen hat". 
Ahnlich 20, 23f.; in der Gesetzgebung will so etwas mehr be- 
sagen als in der Prophetie. In dem Grade nun, wie sich unser 
Abschnitt vom Deuteronomium entfernt, nähert er sieh dem Pro- 
pheten Ezechiel. Diese Verwandtschaft ist die nächste, sie ist 
auch am meisten aufgefallen. Sie zeigt sich in der eigentüm- 
lichen Durchdringung von Cultus und Moral, in der ziemlich 
materialistisch gefassten Heiligkeit als Grundforderung der 
Religion, in der Begründung dieser Forderung auf das Wohnen 
beim Heiligtum und im heiligen Lande. ') Noch bemerklieher 
macht sie sich indessen in der Sprache, viele seltsame Rede- 
weisen, ja ganze Sätze aus Ezechiel wiederholen sich in Lev, 
i und Volksreligion (Berlin 



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402 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

17ff. ')" Am 10. des 7. Monats ist Ler. 25, 9 Neujahr wie bei 
JGzeohiel (40,1), nicht grosser Versöhnungatag wie im Priester- 
codex. Graf hat danim jenen exilischen Propheten selber fUr 
den Verfasser dieser Gesetzsammlung des Leviticus angesehen, 
Colenso und Kayser sind ihm darin gefolgt. Daran ist indessen 
nicht zu denken ; trotz der vielen sprachlichen und sachlichen 
Berührungen ist doch die Übereinstimmung keine vollständige. 
Ezeehiel kennt keinen Samen Aharons und keinen Wein beim 
Opfer (Ler. 23, 13), seine Festgesetzgebung weicht erheblich ab 
und steht im Geiste der des Priestercodex näher. Er wUrde 
ausserdem über die Stellung, die den Leviten und dem Fürsten 
im CuUus gebühre, etwas haben sagen müssen. 

Von Ezeehiel neigt sieh unser Corpus, welchem Klostermann 
den nicht unpassenden Kamen des Heiligkeitsgesetzes gegeben 
hat, dem Priestercodex zu; bei Stücken wie Kap. 17. 21. 22 be- 
darf 68 einiger Aufmerksamkeit um der {in der That freilieh 
nicht unbeträebtliehen) Differenzen von jenem inne zu werden. 
Es steht zwischen beiden; allerdings dem Ezeehiel etwas näher. 
Wie ist diese Thatsache zu verstehen? Jehovist Deuteronomium 
Ezeehiel sind eine historische Reihenfolge; Ezeehiel Heiligkeits- 
gesetz Priestercodex müssen gleichfalls als historische Stufen 
begriffen werden, und zwar so dass dabei zugleich die Abhängig- 
keit des Heiligkeitsgesetzes vom Jehovisten und vom Deutero- 
nomium ihre Erklärung findet. Durch die Annahme, dass Ezecbiel 
eine besondere Vorliebe gerade für dieses Stock des ihm übrigens 
im selben Umfange wie uns bekannten Pentateuchs gehabt und 
es sich fUr die Bildung seiner Denk- und Schreibweise zum 
Muster genommen habe, kann man sich der Forderung historischer 
Anordnung nicht entziehen und den Ezeehiel aus der anzuord- 
nenden Reihe nicht herausbringen; ein solcher Zufall muss über- 
haupt ausser Rechnung bleiben. Die Antwort nun auf die Frage, 
ob das Heiligkeitsgesetz vom Priestercodex auf Ezeehiel überleite 
öder von Ezeehiel auf den Pnestercodex, wird sehr bündig dar 
durch gegeben, dass dasselbe einer letzten Redaktion unterworfen 
ist, welche nicht von Ezeehiel, sondern vom Priestereodex aus- 
geht und wodurch es in den Priestercodex aufgenommen wird. 



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Absohluss der Kritik des Gesetzes. 403 

Nicht liberiill hat die Bearbeitung gleich stark eiEgegviffeii, zum 
Teil siüd ihre Supplemente und Correcturen höebetr- umfangreich 
z. B. 23, 1—8. 23—38. 24, 1—14. 23, zum Teil nur geringfügig, 
z. B. die Eintragung des Ohel Moed (für das Mikdaseh oder das 
Mischkan) 17,4 6.9. 19, 21 f., des SehuMopfers 19, 21f., des 
Kodeach Kodaschim 21, 22. Die Ausscheidung äev Zusätze ge- 
lingt nur in 25, 8ff. nicht voUetändig. Die Thatsache aber, dase 
die letzte Redaktion des Heiligkeitsgesetzes vom Priestercodex 
ausgeht, wird allgemein erkanut, Ihre iiterargeschichtliche Be- 
deutung kann nicht hoch genug augeschlagen werden. ') 

2, Eine besondere Beachtung verdient die Schluserede 
Lev. 26, 3 — 46. Das Stück, dessen Zugehörigkeit zu Lev. 17, 
1—26, 2 vorher Stillschweigens angenommen worden ist, wird 
von manchen Forsehern, z, B. von Nöldeke, als eine fremdartige 
Interpolation im Levitiens betrachtet. Jedenfalls ist diese Rede 
mit specieller Absieht auf das Nächstvorhergehende gesehrieben. 
Faest man sie nicht als Schlussrede auf, wie Exod,-23, 20 — 33. 
Deut. 28, so ist ihre Stellung, an einem beliebigen Orte des 
Priestereodex , ganz unbegreiflich, Sie knüpft denn auch sicht- 
lich an die Gesetze Kap. 17—25 an. Das Land und der Acker- 
hau haben hier die selbe Bedeutung für die Religion wie in 
Kap. 19. 23. 25, die Drohung des Ausspeiens (18, 25 ff. 20,22) 
wird hier ausführlicher wiederholt, das einzige namhaft gemachte 
Gebot ist die Brache des siebenten Jahres (26, 34. 25, 1 — 7}. 
Mit der für den Verfasser von Kap. 17ff. so charakteristischen 
Wendung „wenn ihr in meinen Satzungen wandelt und meine 
Gebote haltet" hegiunt das Stück, etwas abgewandelt kehrt die- 
selbe in T. 15. 43 wieder. Der Sehluss (26,46) lautet: „dies 
sind die Satzungen Rechte und Weisungen, welche Jahve zur 
Regelung des Verhältnisses zwischen sieh und Israel gab, auf 
dem Berge Sinai, durch Mose," Das ist augenscheinlich die 
Unterschrift zu einem vorhergegangenen Corpus von „Satzungen 

') L. Horst hat in seiner Abhandlung über Lev. 17—26 und Hesekiel (Col- 
mar 1881) zwar schlagend erwiesen, dass die mechanische Kritik, in 
welcher IJillmann seinen Vorgänger Knebel noch nberbietet, dem literari- 
schen Problem, welches das Heiligkeitageseti stellt, in keiner Weise ge- 
wachsen ist, aber mit dem Versuch, die alte Strassburger These, dass 
Bzechiel der Verfasser sei, durch eine Modificiorung zu retten, scheitert 
er an Lev. 2G, wie Kuenon richtig bemerkt (Leidener Th. Tijdschr, 
1882 S. 64G); vgl. S. 408 Anm. 1. 



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404 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

und Rechten", wie es in Kap. 17, 1 — 26, 2 vorliegt. Der Berg 
Sinai wird auch 25, 1 als die Offenbarungsstätte genannt. 

Wenn die Absieht von Lev. 26, zu Kap. 17—25 den Schluss 
zu bilden, unbestreitbar ist, so liegt es am nächsten, den Ver- 
fasser jener Sammlung auch für den Verfasser der Rede anzu- 
sehen. Nun meint aber Nöldeke, die Sprache weiche zu sehr 
von Kap. 17—25 ab. Jedoch muss er gelber mehrere und zwar 
gewichtige Ähnlichkeiten zugeben, einige Differenzen, die er an- 
führt (Bamoth, Gillulim, Hammanim 26,30), sind gleichfalls in 
Wahrheit eher Berlihrußgeo. Seltene und originelle Worte lassen 
sich auch bei den früheren Kapiteln zusammenstellen. In Kap. 26 
mögen sie verhältnismässig häufiger vorkommen ; doch ist es 
irrig, darnach die Sprache überhaupt für sehr originell zu hal- 
ten, die sich vielmehr überall an Reminiscenzen anlehnt. Was 
wirklich von sprachlichen Unterschieden bleibt, erklärt sich ge- 
nügend aus der Verschiedenheit des Stoffs; bisher Gesetze in 
sachgemäss -trockener, jetzt Prophetie in poetisch - pathetischer 
Rede. Dort tritt die Subjectivität des Verfassers meistens hinter 
dem Objekt zurück, das er öfters sogar geformt vorgefunden 
hat; hier kann sie sich frei äussern. Es ist billig, das nicht zu 



Die Gegengründe, welche Nöldeke gegen die Wahrschein- 
lichkeit, dass Lev. 26 nicht bloss an Kap. 17—25 angeleimt ist, 
sondern dazu gehört, vorgebracht hat, verschwinden vollkommen 
bei näherer Vergleiehung des beiderseitigen literarischen Cha- 
rakters. Aufs stärkste werden wir zunächst durch Kap, 26 an 
die Denk- und Redeweise Ezechiels erinnert. Die signifikanteste 
Stelle ist Lev. 26, 39. Nachdem vorher gedroht worden ist, 
dass Israel a!s Volk werde vernichtet und der dem mörderi- 
schen Schwert der Feinde entgangene Rest ins Exil gefllhrt 
werden, um unter dem Druck des vergangenen Unglücks und 
der gegenwärtigen Leiden zu versehmachten, wird in diesem 
Zusammenhange fortgefahren mit den Worten; „und die Übrigen 
von euch verfiulen m ihrer Sündenschuld in den Ländern 
eurer Feinde und auch in dei Sündenschuld ihrer Väter ver- 
faulen sie — dann gestehen sie ihre und ihrer Väter Sünde 
ein " Bei Ezeehiel erfolgt dies Eingest mdnis wirklieh von sei 
ten seiner Mitverbannten, sie spiechen (33, 10): „unsere Misse- 
thaten und SUnden listen auf uns und wir verfaulen darin 



^ HcstccbyGoOt^Ic 



Abschluss der Kritik des Gesetzes. 405 

und können nicht aufleben". Ahnlich sagt der Prophet {24, 23), 
er werde in seiner dumpfen Trauer über den Tod seines Weibes 
das Vorbild des Volkes sein: „ilir werdet nicht weinen und 
klagen, ihr werdet verfaulen in eurer Sündeneeliuld". ' 

Auch die begleitenden Erscheinungen, die wir neben der 
ezeehielisehen Färbung bei den vorhergebenden Gesetzen eon- 
statiert haben, fehlen in unserer Rede nicht. Wenn sieh von 
einem Eiufluss der jehovistisehen Gesetzgebung {abgesehen davon, 
dass Exod. 23, 20ff. das Muster wie zu Deut. 28 so zu Lev. 26 
gewesen ist) natürlich hier nichts spüren lässt, so wird dies da- 
durch compensiert, dass der Einfluss der Propheten um so deut- 
licher ist, auch der älteren, wie des Arnos (v. 31). So wenig 
wie das Buch Ezeehiels, ist unser Kapitel denkbar ohne die 
Grundlage der vorhergehenden prophetischen Literatur. 

Was das Verhältnis zum Deuteronomium betrifft, so ist die 
. Ähnlichkeit von Lev. 26 mit Deut. 28 sehr gross, nicht bloss im 
Stoff, sondern auch in der Anlage. Lexikalische Berührungen 
gibt es zwar nicht viele, aber die wenigen sind gewichtig. Die 
Ausdrücke 26, 16 kehren im Alten Testamente nur Deut. 28, 22. 
65 wieder, ebenso auch C^lfNI v. 46 in dieser Bedeutung nur 
Deut. 19, 14 und in der späteren Literatur (Isa. 61, 4). Der 
Tropus vom unbesehnittenen Hei-zen (v. 41) kommt im Gesetz 
gleichfalls nur an einer Stelle des Deuteronomiums noch einmal 
vor, ausserdem in der gleichzeitigen oder etwas späteren pro- 
phetischen Literatur (Jerem. 4, 4. 9, 24. 25. Ezech. 44, 7. 9). An- 
kläuge'an Jeremia finden sich noch mehrere, meist jedoch un- 
bestimmtere. Hervorzuhe!)en ist die Beziehung von Jer. 16, 18 
einerseits zu v. 30, andererseits zu v. 18 unseres Kapitels. Hier 
wird die Sünde siebenfach, bei Jeremia wird sie doppelt bestraft. 
So auch bei Isa, 40, 2. 61, 7: mit diesem Propheten hat Lev. 26 
femer den auffallenden Gebrauch von HBI (mit Sünde oder 
Schuld als Objekt) gemeinsam. Stünde unser Kapitel nicht im 
Leviticus, so würde man es ohne Zweifel für eine Reproduktion 
zum geringsten Teil der älteren, zum grössten Teil der jeremia- 
nisch-ezeehielisehen Weissagungen halten, wie denn Lev. 26, 34 
wirklich in 2. Chron. 36, 22 als ein Wort des Propheten Jeremia 
angefllhrt wird. 

Mit dem Priestereodex endlich berührt sich Lev. 26 in nit 
DDIIi nna W^n, minn. i^K (nie ''D3«), in der übertriebenen Aq- 



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406 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

wenduiig der Akkusativpartikel und Vermeiduag der Verbalsuftixe, 
in der Vorliebe für das farblose in] statt Bpeeiellerer Verba. 

Das Motiv, Lev. 26 von Kap. 17—25 zu trennen, ist nur 
der. Umstand, dasa der exilisehe oder naehexiliscbe Ursprung 
dieser Mahn- und Drohrede mit Händen zu greifen ist. FUr 
uns ist dieser Umstand nur ein Beweis der Zugehörigkeit zu 
Kap. 17— 25 und eine wertvolle Bestätigung des Urteils, das 
uns ohnehin über die Entstehungszeit dieser Gesetze feststeht. 
„Wenn ihr trotzdem mir nicht gehorcht, sondern in Feindschaft 
gegen mich angeht, so gehe ich in bitterer Feiodseliaft gegen eueli 
an und ziiehtige euch siebenfach filr eure SUnden. Ihr solit das 
Fleisch eurer Söhne und Töchter essen, und ich zerstöre eure 
Höhen und fälle eure Sonnensäulen und werfe eure Rümpfe über 
die Rumpfe eurer Götzen, und meine Seele wird sich euer ekeln. 
Und ich mache eure Städte zu Trümmerhaufen und verwüste 
eure Heiligtümer und rieche nicht an euren Opferduft. Und ich , 
verwüste das Land, dass eure Feinde die sich darin ansiedeln 
darob erstai-ren, und euch streue ich unter die Völker und zücke 
das Schwert hinter euch her, und euer Land soll Einöde und 
eure Städte sollen TrQmmeihaufeii werden. Dann wird das 
Land seine Sabbathe bezahlen all die Jahre der Verödung 
wo ihr im Lande eurer Feinde seid, dann wird das Land 
feiern und seine Sabbathe bezahlen; alle Jahre der Verödung 
wird es die Sabbathe nachfeiern die es nicht gefeiert hat so 
lange ihr darin wohntet. Die aber von euch übrig bleiben, in 
deren Herz bringe ich Verzagen in dem Lande ihrer 'Feinde, 
das Rauschen eines verwehenden Blattes wird sie scheuchen, 
dass sie fliehen wie vor dem Schwerte und fallen ohne dass sie 
jemand verfolgt; sie werden Übereinander straucheln wie in 
der Furcht vor dem Schwerte und ist doch niemand der sie ver- 
folgt, und es wird euch kein Haltens sein auf der Flucht vor 
euren Feinden. Und ihr werdet euch verlieren unter den Völ- 
kern und das Land eurer Feinde wird euch fressen. Und die 
von euch übrig bleiben, verfaulen in ihrer Schuld in den Län- 
dern eurer Feinde, und auch in der Schuld ihrer Väter verfaulen 
sie. Und sie werden ihre und ihrer Väter Schuld eingestehen, in 
Betreff der Untreue die sie an mir begangen, und dass weil sie 
gegen mich angegangen sind, ich auch gegen sie angehe und 
sie ins Land ihrer Feinde bringe. Dann beugt sich ihr unbe- 



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r Kritik des Gesetzes. 407 

schnittenes Herz uud dann bezahleu sie ihre Schuld, und ich 
gedeuke au meineu Buud mit Jakob, uud au meiuen Bund mit 
Isaak uud au meinen Rund mit Abraham gedenke ich und des 
Landes gedeuke ich. Und das Land, von ihueu verlassen, be- 
zahlt seiue Sahbathe, indem es bewohnerlos uud öde daliegt, 
und sie selbst bezahlen ihre Schuld, sintemal uud alldieweil sie 
meine Rechte verworfen und meine Satzungen versehmäht La- 
ben. Doch bei alledem, wenn sie auch im Laude ihrer Feinde 
sind, habe ich sie nicht verworfen und verschmäht, sie gänzlich 
zu vernichten uud meinen Bund mit ihnen zu brechen, denn ich 
bin Jahve ihr Gott. Uud ich gedeuke ihnen an den Bund mit 
den Vorfahren, welche ich vor den Augen der Völker heraus- 
geführt habe aus dem Lande Ägypten, um ihnen Gott zu sein, 
ich Jahve." (26, 27—45.) 

Dass so nicht vor dem babylonischen Exil geschrieben wor- 
den ist, unterliegt keinem Zweifel. Man hofft freilieh mit der 
assyrischen Gefangenschaft auszukommen, aber wo steckt die 
Verwandtschaft unserer Rede mit dem alten echten Jesaia? Wäh- 
rend zu Ezechiels Zeit uaehweislieh solche Gedanken Gefühle 
und Ausdrücke herrschten, wie sie hier vorliegen, wird es schwie- 
rig sein zu zeigen, dass Samarieus Fall diese Art von Depression 
in Jerusalem hervorgebracht habe -— denn ausserhalb Jerusalems 
ist Lev. 26 nicht gesehriebeu, da die Einheit des Cultus voraus- 
gesetzt wird. Wie in Deut. 29. 30 werden auch hier die Ju- 
däer angeredet, und sie hatten kein so lebhaftes Bewusstsein 
von ihrer Solidarität mit den fortgeschleppten Israeliten, dass 
sie bei solchen Drohungen an diese denken konnten. Mir scheint 
es sogar gewiss, dass unser Verfasser entweder gegen Ende des 
babylonischen Exils oder nach demselben lebte, weil er nämlich 
zum Sehluss die Restitution in Aussieht nimmt. Bei Propheten 
wie Jeremia und Ezechiel hat eine solche Ausschau in die fröh- 
liche Zukunft Sinn, hier aber widerspricht sie der historischen 
Einkleidung ebenso wie dem Zwecke der Drohung und scheint 
am natürlichsten durch den Zufall, d, L. durch die Wirklichkeit 
sich zu erklären. Dass im Vergleich mit Jeremia und Ezechiel 
die Priorität uicht auf Seiten von Lev. 26 ist, zeigt sich darin, 
dass das unbesehnittene Herz seine Genesis bei Jeremia hat 
(4, 4. 9, 24f.) , hier aber als fertiger uud bekannter Terminus 
übernommen ist, uud darin, dass die Phrase verfaulen in der 



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408 Israel und das Judentum, Kap. 0. 

bUndenschuld ^on Ezechiel aus dei Leute Mund wiederholt, 
also bei ihm hteiarisch uibprUnghch uud hier entlehnt ist. ') 

Die Kritik von Lev, 17ff. führt zu dem Ergebnis, dass eine 
selbst erst im Exil entstandene Gesetzsammlung im Priestercodex 
recipiert und verjüngt worden ist. Vor Sehraders Drohung mit der 
„kritischen Analyse" braucht uns also nicht zu grauen, die Graf- 
sehe Hypothese fällt davon nicht um. 

3. Noch zwei oder drei andere wichtige Spuren der priester- 
lichen Schlussbearbeitung des Hexateuehs mögen hier Erwähnung 
finden. In der Erzählung von der Sündfiut sind die Verse 7, 6—9 
ein redaktioneller Einsatz, der sieh mit der Beseitigung eines 
Widerspruchs zwischen JE und Q beschäftigt; derselbe teilt die 
Vorstellungen und redet die Sprache des Priestercodex. In der 
Überschrift des Deuteronomiums gehört der Vers „es geschah 
im vierzigsten Jahre, im elften {'»nK'JJ) Monat, am ersten des 
Monate, redete Mose zu den Kindern Israel gemäss allem was 
ihm Jahve an sie aufgetragen hatte" (Deut. 1, 3) nach den un- 
zweideutigsten Merkmalen dem Priestercodex an und hat den 
Zweck, das Deuteronomium in denselben aufzunehmen.' Dass 
im Buche Josua der Priestereodex weiter nichts ist als Ergän- 
zung der jehovistiseh-deuteronomistischen Erzählung, ist bereits 
früher nachgewiesen. 

Dass der Priestercodex aus zweierlei Elementen bes 
erstens aus einem selbständigen Kern, dem Vierbundesbuehe (Q), 
zweitens aus zahllosen Nachträgen und Ergänzungen, die 
vorzugsweise dem Vierbundesbuehe, aber nicht diesem allein, 
sondern dem ganzen Hexateuehe sich anschmiegen — diese Be- 
hauptung hat autfallenderweise nicht den Widerspruch erfahren, 
der zu erwarten gewesen wäre, Eyssel hat sogar in der zwie- 
schläehtigen Natur des Priestereodex das Mittel gefunden, das 
Vierbundesbueh vor der Exilierung zu retten, indem er es näm- 
lich von den Ergänzungen, welche er preisgibt, durch einen be- 
liebig Jangen Zeitraum trennt. Die sehr enge Verwandtschaft 

') Horst's Versuch, die ßede Lev. 26 in den letzten Jahren des Königs Se- 
dekia unterzubringen (a. 0. S. GS. 66) ist bloss die Consequenz seiner 
Annahme, dass der jugendliche Ezechiel der Autor sei — einer Annahme, 
die eben dnrch diese Consequenz gerichtet wird. Dass ich aus Ezech. 
33,10 herauslese, was darin steht, scheint Delitzsch' für eine grosse 
' Dreistigkeit zu halten (Ztsch. f. kirchl. WisB. 1880 5. 619). Über Deut. 
10, 16, 30,6 und überhaupt über den color Hieremianus des Deutero- 
nomiums vgl. Jahrbb. für D. Th. 1877. S. 464. 



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409 

beider Teile mit einander hält er dadurch für erklärt, dass sie 
aus dem selben Kreise stammen, aus dem Kreise der Priester- 
schaft von Jerusalem. Wenn der Tempel von Jerusalem zur 
Zeit Salomo's ebenso autonom und einzig legitim gewesen wäre, 
wie zur Zeit der Fremdherrschaft, wenn die Priester unter Ahaz 
und Hizkla und Josia ebensoviel zu sagen gehabt hätten, wie 
nach dem Exil, wenn es erlaubt wäre, sie sieh zu denken, wie 
68 einem gerade passt und nicht wie sie historisch bezeugt sind, 
kurz wenn es überhaupt keine israelitische Geschichte gäbe, so 
könnte eine solche Erklärung hingehen. Sie wäre freilich auch 
dann Willkür und weiter nichts als Willkür. Der seeundäre 
Teil des Priestercodex zieht mit Notwendigkeit den primären 
zu sieh herab. Die formelle und materielle G-leiehartigkeit, die 
völlige Übereinstimmung in Tendenzen und Vorstellungen, in 
Manieren und Ausdrücken zwingen dazu, das Ganze, wenngleich 
es keine literarische Einheit ist, dennoch als eine geschiehtUehe 
Einheit zu betrachten. 

III. 

1. Als unüberwindliches Bollwerk wird neuerdings den 
Umsturzversuchen der Tendenzkritik die Sprache des Priester- 
codex entgegengesetzt. Leider wird das Veto der Sprache von 
Kiehm Delitzsch und Dillmann so wenig näher begründet wie 
das Veto der kritischen Analyse von Schrader, und einer nicht 
begründeten Behauptung mit Gründen zu begegnen, ist nicht er- 
forderlich. Aber ich benutze den Änlass, um einige zers'treute 
Beobachtungen mitzuteilen, die sich mir zuerst, wie ich vielleicht 
bemerken darf, gar nicht im Zusammenhange mit der Unter- 
suchung des Pentateuchs, sondern hei ganz anderer Gelegenheit 
ergeben haben. An der Stelle 2. Sam. 6, 12 befremdete mich 
nDu"? auf's äueserste. nicht weniger n~\2 an den beiden Stellen 
Isa. 4, 5, Am. 4, 13; und indem ich- der sprachlichen Verbreitung 
dieser beiden Worte nachgiog, kam ich auch analogen Erschei- 
nungen auf die Spur. 

Der Sprache der vorexiiiscben Geschichtsbücher ist im All- 
gemeinen die der jehovistischen Schrift nahe verwandt, dagegen 
die des Priestercodex vollkommen fremdartig. Man kann dies, 
nach bewährter Praxis, so deuten, dass letzterer einer früheren 
Periode entstamme. Aber abgesehen davon, dass er dann gar 



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410 Israel und das Judentum, Kap. 9. 

keinen EinÜuss ausgeübt hätte, atimmt es daau schlecht, dass 
wenn man auf die ältesten Dokumente, die uns ans der histo- 
rischen Literatur der Hebräer erhalten sind, zurückgeht, der 
Abstand eher grösser als geringer wird. Mit Jud. 5 und 2. Sam. 1 
können wohl die poetischen Stücke in JE verglichen werden, in 
Q fin.det sieh nichts Ähnliches. Umgekehrt aber lassen die sehr 
spät eingeschobenen Erzählungen Jud. 19—21. 1, Sam. 7, 8. 10, 
17ff. 12. 1. Eeg. IB und die apokryphen Zusätze iu 1. Keg. 6-8 
noch am ehesten eine sprachliche Hinneigung zum Prieatercodex 
erkennen. Gerade so wie bei der historischen, stellt sich das 
Verhältnis auch bei der prophetischen Literatur. Die Redeweise 
von Arnos Jesaia Micha ist im Ganzen der des Jehovisten ent- 
sprechend, nicht der des priesterlichen Schriftstellers. 

In einzelnen wichtigen Ausdrücken stimmt zuerst das Deu- 
teronomium und das Buch Jeremia mit dem Priestercodex, in 
weit zahlreicheren sodann der Prophet Ezechiel, und zwar keines- 
wegs bloss mit Lev. 17—26. ') Bei den folgenden nachexilischen 
Propheten bis auf Maleaehi beschränken sich die Berührungs- 
punkte auf Einzelheiten , hören aber nicht auf; ebenso finden 
sie sich in den Psalmen und im Prediger. Reminiscenzen an 
den Priestercodex kommen einzig und allein in der Chronik und 
in einigen Psalmen vor. Denn dass Am, 4, 11 aus Gen. 19, 29 
entlehnt sei, ist gerade so klar, wie dass zu. Am. 1, 2 das Ori- 
ginal in Jo. 4, 19 gesucht werden müsse. 

Seine sprachliche Absonderlichkeit behauptet der Priester- 
codex: auch gegenüber der späteren Literatur. Dieselbe beruht 
teils auf den vielen technischen Worten, teils auf der steten 
Wiederholung derselben Formeln, auf der grossen Spracharmut. 
Rechnet man aber die starr -ausgeprägte Individualität des Schrift^ 
steliers ab, so steht das fest, dass eine ganze Reihe sehr charak- 
teristischer Ausdrücke, die er anwendet, sich vor dem Exil nicht 
finden, erst seit, dem Exil allmählich anftauehen und gebräuch- 
lich werden. Die Thataaehe wird auch nicht geleugnet, man 
geht nur um sie herum. Damit sie mehr Eindruck mache, möge 

') Bemerkenswortb ist namentlich niöT 3J3 UND bei Ezechiel und im 
. Priestercodex. In der letz genannten Schrift wird Negeb, selbst wenn es 
ant den wirklichen Negeb sieh bezieht, dennoch in der Bedeutung Sü- 
den gebraucht (Num.M, 3. Jos. 26,2-4), d.h. es hat seinen eigentli- 
chen Sinn völlig yerioren. 



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■ Abschluss der Kritik des Gesetzes. 411 

hier eiue iiurze Statistik des sprachgeeehiehtlieb interessanten 
Matei-iais yon Gen. 1 einen Platz fiuilen. 

Gen. 1, 1 iT'E'NI beisst im älteren Hebräisch nicht der An- 
fang eines zeitausftillendeu Geschehens, sondern der erste (und 
gewöhnlich der beste) Teil einer Sache. In der Bedeutung 
des zeitliehen Anfangs, als Gegensatz zu n^hnx findet es sieh 
zuerst in einer Stelle des Deuteronomiums 11, 12, ferner in den 
Überschriften des Buches Jeremia 26, 1. 27, 1. 28, 1. 49, 34 und 
in Isa. 46, 10, endlich in den Hagiograpben lob, 8, 7. 42, 12. 
Prov. 17, 14. Eceles. 1, 8. In Gen, 10, 10 ist inD^OD nitysi ganz 
etwas andei'S wie in Jer. 26, 1 , nämlich dort der erste Teil des 
Reichs, hier der Beginn der Regierung. Für im Anfang sagt 
mau in der früheren Zeit absolut nJE'N^D nbnPQ, relativ nbpina 

n'?nn. ') 

Über das wegen seiner specifisch theologischen Bedeutung 
so merkwürdige Wort H~\2 ist schon oben (S. 321 f.) gehandelt 
worden. Abgesehen von Am. 4, 13 und Isa. 4, 5 findet es sieh 
ausserhalb des Priestereodex zuerst beim Deuteronomisten Exod. 
34, 10. Num. 16, 30 (?) Deut. 4, 32 und im Buche Jeremia 31, 22, 
ferner in Ezeeh. 21, 35. 28,. 13. 15. Mal. 2, 10, in Ps. 51, 12. 89, 
13,48. 102,19. 104,30. 148,5. Eoel. 12, 1 — am häufigsten 
aber, zwanzig mal, in Isa. 40 — 66, auffallenderweise gar nicht im 
lob, wo man es erwarten sollte. Mit N~13 (abholzen) und N''"I3 
(fett) hat es nichts zu thun.^) 

Gen, 1, 2 IHDl inn kommt noch vor Jer. 4, 23. Isa. 34, 11 ; 
inn allein findet sieh häufiger, jedoch abgesehen von Isa. 29, 21 
ebenfalls nur in der späteren Literatur Deut. 32, 10. 1, Sam. 12, 
21. Isa, 24, 10. 40, 17. 23, 41, 29. 44, 9. 45, 18f. 49, 4. 59, 4. lob 

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412 ' Israel und das Judentum, Kap. 9. 

6, 18. 12, 24. 26, 7. Ps. 107, 40. - Das Verbum ^m (briiteu), 
welches im Aramäischen gewöhDÜch ist, begegnet im Alten 
Testament nur an einer einzigen und zwar späten Stelle Deut. 
32, 11; indessen muss man die Möglichkeit einräumen, dass zu 
häufigerer Anwendung desselben keine Gelegenheit gewesen sei. 
Gen. 1, 4 T13n und 7n33 (scheiden und sich scheiden), im 
Priestercodex gewöhnlich, wird zuerst gebraucht vom Deutero- 
nomiker und Deuteronomisten (Deut. 4, 41. 10, 8. 19, 7. 29, 10. 
1. ßeg. 8, 53), dann von Ezeehiel (22, 26. 39, 14. 42, 10) und dem 
Verfasser von Isa. 40ff. (56, 3. 59, 2), am meisten vom Chronisten 
(1. Chr. 12, 8. 23, 13. 25, 1. 2. Chr. 25, 10. Esdr. 6, 21. 8, 24. 9, 1. 
10, 8. 11. 16. Neh. 10, 2. 29. 13, 3). — Über MiüD)'' Gen. 1, 5 
vgl. Josephus Antiq, 1 1, 1: „das wäre nun der erste Tag, Mose 
aber sagt ein Tag; die Ursache könnte ich wohl hier angeben, 
da ich aber (in der Einleitung) versprochen habe eine Gesamt- 
erklärung in einem besonderen Buche zu geben , schiebe ich's 
bis dahin auf. Auch die Rabbinen in der Genesis Rabba neh- 
men Anstoss an dem Ausdruck, der übrigens seines gleichen hat 
an dem späterer Redeweise angehörigen U^irh in«. Im Syri- 
schen sagt man regelmässig «3d in, daher im Neuen Testa- 
mente [iia dnß^ctTiüv für den ersten Tag der Woche. 

Gen. 1, 6 V^pl (Firmament) findet sich ausserhalb des Prie- 
stercodex nur hei Ezeehiel (1, 22—26. 10, 1) und bei noch spä- 
teren Schriftstellern Ps. 19, 2. 150, 1. Dan. 12, 3 vgl. lob. 37, 18. ') 
— Gen. 1, 10 CD^ (das Meer sing., vgl. 1, 22. Lev. 11, 9. 10) ist 
in älterer Zeit selten und hochpoetisch, gewöhnlich dagegen bei 
Ezeehiel (zehn mal) und in den Psalmen (sieben mal), ferner 
lob. 6, 3. Neh, 9, 6. Jon. 2, 4. Dan. 11, 45. — Gen. 1, 11 J'D (Art), 
ein namentlich in der Form leminehu se' 



)Eli tniht ff hlih ff mm wird, das Dunngeschlagene, 

Ägktl t ddH 1 nirgend als Blech Torge- 

tUt wt kmtd blffdBl hing nur dem Fiel zu, und 
d d bgltt&bta Itt yn^ Das Kai, womit yipt zu- 

amra hn g t fi d t hl 42 44, 34. Ps. 136, G. Es wird 

g m inigl h b t brstt,h t khe Berechtigung. Parallel 
dmt tht ID i pi3 ( gl P 24, 3 m t 136,6); die Septuaginta 
überträgt es an allen drei Stellen mit aTEpeoÜv und gibt darnach J?>p"i mit 
orepfioua (firmamentum) wieder. Diese allein überliefert« und sehr pas- 
sende Bedeutung wird bestätigt durch das Syrische, wo das Verbum jlp"! 
gebräuchlich ist im Sinne von befestigen. 



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Abschluss der Kritik des Gesetzes. 413 

Wort, findet sich abgesehen von Gen. 1. Lev. 14. Gen. 6, 20. 
7, 14 nur noch Deut. 14 und Ezech. 47, 10. 

Gen. 1, 26 moi (Ähnlichkeit 5, 1. 3) kommt in der älteren 
Literatur nicht vor. Es erseheint zuerst 2. Reg, 16, 10, in einer 
nach deuteronomi sehen Stelle, denn der Schriftsteller ist der von 
Kap. llf. 21fF. Sodann bei Ezechiel (15 mal), Isa. 13, 4. 40, 18. 
2. Chr. 4, 3. Pb. 58, 5. Es ist ein aramäisches Lehnwort; auch 
das entsprechende Verbum wird erst in der Zeit, wo das Ara- 
mäische einzudringen beginnt, gebräueblieb. 

Gen. 1,27 npl (männlich) heisst in der früheren Zeit lOl; 
denn wenn diese Vokaiisation Exod. 23, 17. 34, 23. Deut. 16, 16. 
20, 13 im Rechte ist — und daran lägst sich nicht zweifeln — , 
so wird man sie auch Exod. 34, 19. Deut, 15, 19. 1. Reg. 11, 15f. 
durchführen müssen. Im Priestereodex findet eich 131 ungemein 
häufig, sonst aber nur in der späteren Literatur Deut. 4, 16. Jei". 
20, 15. 30, 6. Ezech. 16, 17. Isa. 66, 7. Mal. 1, 14. Jiid. 21, 11. 12. 
2. Chr. 31, 16. Esdr. 8. Noch ungünstiger steht die Sache für 
ilDpJ (weiblich), ausserhalb des Priestercodex findet es sieh nur 
im Buch Jeremia (31, 22) und beim Deuteronomisten {4, 16). 
Der Jebovist sagt bekanntlich immer B*""« HE'Nl, auch von Tieren; 
wohingegen der Redaktor des Hexateuehs dem Sprachgebrauch 
des Priesteroodex folgt. 

Gen. 1,28 nCD^n HTI fällt auf dadurch dass der Artikel 
beim Substantiv ausgelassen und bloss dem folgenden Adjeetiv 
präfigirt ist, als wollte mau im Gnechischen sagen dvrip ö dya&öc 
für dvYjp 6 (ä^aöo;. Ebenso 1, 31 ^WWn Dl' und 2, 3 ■'yDB'n C1\ 
Das hat zwar im Arabischen vielfache Analogien, führt aber 
fürs Hebräische herunter in jene Periode, wo man nbnan PDJS 
zu sagen pflegte. — tt'SD und mi sind Aramaismen. In nwss 
erscheint in Gen. 1 das einzige Vevbalsuffix, übrigens immer die 
Formen IHN DH« ; ähnlich ist das Verhältnis auch sonst im 
Priestercodex. In der jehovistischen Hauptschrift, in J, werden 
diese Substitute mit nt< nur zuweilen und aus besonderen Grün- 
den gesetzt; man kann allgemein behaupten, dass dieselben je 
später je heliebter werden. Dem geht parallel der Gebrauch 
von 'DJN inj, von iJN im Priestereodex; die letztere Form wird 
in der späteren Zeit immer häufiger. 

Diese Bemerkungen greifen schon über Gen. 1 hinaus; für 
den Priestereodex im Allgemeinen kann ich jetzt auf F. Giese- 



<;,GoQglc 



414 Israel tind das Judentum, Kap. i>. 

breehts AbhandluQg zur Hexateuchkritik Yerweiseii, Wörter wie 
pnp, CSJJ, nzvb, TIB'JJ fallen jedes einzelne für sieh schwer in 
die Wage für die ÄDnahme einer späten Abfassuagszeit des 
Priestercodex. Man kann nicht glauben, dasa so alltägliche 
Wörter bis aufs Exil in der übrigen Literatur nicht sollten zur 
Anwendung gekommen sein, wenn sie vorhanden waren. Man 
kann sie auch nicht zu den technischen Terminis rechnen; ]D"lp 
im Hebräischen flir,0|)fer und Gaben gesagt ist nicht anders 
als pri6re im Deutschen statt Gebet gesetzt. Im Übrigen ist bei 
der Vergleichung des Lexikons immer zu bedenken, dass erstens 
die allenthalben eingi'cifende Überarbeitung und Redaktion der 
biblischen Bücher, zweitens die Willkür der Sebreiber (bei schein- 
baren Kleinigkeiten wie ^D3N und Ott, besonders aiieserhalb des 
Pentateuchs) den ursiirüngliehen Thatbestand so zerrüttet haben, 
dass man sieh im Allgemeinen nur an Proportionen halten kann 
und sich bei dorn Nachweise begnügen muss, dass eii^ Wort in 
der älteren Literatur dreimal, in der jüngeren siebenundzwanzig- 
mal auf gleichem Baume vorkommt.') 

2, Die sprach geschichtliche Forschung steht im Hebräischen 
noch sehr in den Anfängen. Auf lexikalischem Gebiete mässte 
sie auch auf die Eigennamen ausgedehnt werden; es würde sich 
wohl herausstellen, dass nicht bloss Pharnak (Num. 34, 25), 
sondern auch Compositionen wie Peda-sur Peda-el Nathana-el 
Pag'i-el Eli-asaph weniger auf die mosaische, als auf die per- 
sische Zeit hinweisen und in der Chronik ihre Analoga haben. 
Andererseits müssten auch die Präpositionen und Partikeln in 
die Untersuchung gezogen werden; der Gehrauch der Präposi- 
tionen Beth und Lamed im Priestereodex ist sehr eigenthiimlich. 
Das würde weiter hinüberführen auf die Syntax oder besser die 
Rhetorik und Stilistik — ein sehr schwieriges und wenig ange- 
bautes, aber ungemein wichtiges und für vergleichende Behand- 
lung sehr wobl geeignetes Gebiet. Am allerweitesten gelangt 
man mit der Vergleichung solcher Parallelen, die in unzweifel- 

') Auf Aramaisraeii darf man nicht zu iie\ Gewicht lejjen; selbst wenn sie sich 
constatieren lassen, haben sie wenig Beweiskraft so !ang-e sie vereinzelt 
bleiben. Man findet schon früh auffallende Erscheinungen, wie ~nj statt 
113 (woher iiiJ = vovens), "mj statt mj (Arnos 1, 1 1 -lU^ statt mci?); 
Tgl. arabisch lata für laisa Sar. 38, 2. Hndh. 84, 1. Ein Aramaismus 
wie nnjtf na Num. 15, 27 oder auch nur wie pip'ist aber doch sehr 
merkwürdig. 



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Die mündliche und die sehriftliche Tliora. 415' 

hafter, direktei: Beziehung zu einander stehen. Schlagender 
kann die Abhängigkeit des Priestercodex vom Jehovisten nieUt 
erwiesen werden, als durch sein ITiIlD pHü Gen. 6, 9 im Ver- 
gleich zu mn in: pns Gen. 7, l (JE). Der Plural mi steht 
ganz mit den c^''^ und den ^"INH '•12]} der Rabbiner und mit den 
n-KTEpitata von Gal. 3, 15 auf gleicber Linie; denn er bedeutet 
nicht die successiven Geschlechter, sondern die Zeitgenossen, 
die gleiehzeiligen Individuen eines und des selben Geschlechtes. 
Von den Worten wird man dadurch wieder auf die Sachen 
gebracht werden, dass in manchen Fällen das Alter der Worte 
abhängt von der Einführung der Sache. Der Name 103 im 
Hohenliede z. B. setzt den Anbau des Malobathron iu Syrien 
und Palästina voraus. Der Priestercodex führt Farben, Gewebe, 
Goldarbeiten, Edelsteinarten ^uf , die in der älteren Literatur 
nirgend vorkommen; er bildet zusammen mit Ezechiel die Haupt- 
fundgrube im Alten Testament für die Geschichte der technischen 
Cultur, und das wird um so weniger Zufall sein, da sie auch 
in ilirem geographischen Horizonte sieh decken. Eine Berührung 
findet ebenfalls, wenngleich in geringerem Masse, in dieser Hin- 
sicht statt zwischen dem Priestercodex und Isa. 40—66; sie muss 
also ohne Zweifel historisch, durch das babylonische Zeitalter, 
erklärt werden.') 



Zehntes Kapitel. 

Die raündliche und die schriftliche Thora. 

Welche Bedeutung bei den Juden die Schrift, das Bue'h des 
Gesetzes hatte, wissen wir alle aus dem Neuen Testamente. 
Vom alten Israel dagegen heisst es im Eingangegedicht des 

') Zum Hohenliede vgl.. Schürer's Theol. LZ 1879 S. 31 ; es ist durch seine 
Pflaazeiiuarüen und Ähnliches ebenfalls eine wichtige Quelle der äusseren 
Culturgoschichte. In Isa. 54, 11 lies mit der Septuaginla ?]0J statt des 



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416 Israel nnd das J^udentum, Kap. 9. 

W es tu et liehen Divaii, dass das Wort 80 wichtig dort war, weil 
es ein gesprochen Wort war. Der Gegensatz, den Goethe offen- 
bar, empfunden hat, ist wirklieh eharakteristiseh und einer 
eingehenderen Würdigung wert, 

I. 

1. Wenngleich das Deuteron omium und der Priestereodex 
erst in sehr später Zeit aufgezeichnet worden sind, so bleibt 
doch noch die jehovistisehe Gesetzgebung (Exod. 20—23 Kap. 34), 
die als schriftlicber Ausgangspunkt der israelitischen Religiona- 
geschichte betrachtet werden könnte. Dieselbe wird in der That 
so verwertet, freilieh gewöhnlich nicht im ganzen Umfange. 
Denn yon dem sinaitiscben Bundesbuche (Exod. 20, 22 — 23, 19) 
pflegt man einzusehen, dass es Hnem seeshaften und in den 
Ackerbau yollkommen eingelebten Volke gegeben ist, welches 
auch in der Geldwirtschaft schon ziemlich weit über die ersten 
Anfilnge hinaus war.') Als mosaisch im eigentlichen Sinne wird 
in der Regel nur der Dekalog festgehalten. Und zwar haupt- 
sächlich aus dem Grunde, weil bezeugt wird, er sei auf den 
zwei Steintafeln der heiligen Lade yerzeicbnet gewesen. Indessen 
auch vom Deuteronomium wird bezeugt, einerseits es sei auf 
zwölf Steinen eingeschrieben, andererseits es sei in die heilige 
Lade gelegt worden (Deut. 31, 26). Unbedingter Verlass ist also 
nicht auf solche Angaben. Die über den Dekalog scheint nun 
freilieh gestützt zu werden durch 1. Reg. 8, 9. Aber das Gewicht 
dieser Aussage wird dadurch abgeschwächt, dass sie in einem 
deuteronomistisch bearbeiteten nnd ausserdem noch interpolierten 
Zusammenhange steht. Um so grössere Bedeutung wird man 
demgegenüber dem Umstände beizumessen haben, dass der Name 
„die Lade des Bundes" (d, h, der Kasten des Gesetzes)') den 
späteren Schriftstellern eigen ist , und wo er in älteren Erzäh- 
lungen vorkommt, sich durch sein sporadisches Aufti'eten sowie 
durch 'die Vergleichung der Septuaginta mit dem massorethischen 

') Exod. 21, 35; vgl. 21, 33 mit Jud. 9, 4. 

>) Vgl. 1. Reg. 8, 21 „die Lade worin der Bund Jahye's lag" 8, 9 „es waren 
in dor Lade nur die beiden Steintafeln, die Mose am Horeb hineingelegt 
halte, die Tafeln dei Bundes, den Jahve mit den Kindern Israel gemacht 
hatte" Mit dem deuter Ausdruck , Tafeln des Bundes" wechselt im 
Pnestercodes der Ausdruck „Tafeln des Zeugnisses", d.h. ebeufalls des 
Gesetzes Für nnjin 2 Reg. 11, 12 lies nnjJSn nach 2. Sam. 1, 10. 



h^- ^ • Hcstesbi-Goot^Ic 



Die mündliche und die schriftliche Thora. 417 

Texte als Correctur erweist. In alter Zeit war die Lade kein ■ 
blosser Behälter des Gesetzes, sondern als „Lade Jahve's" hatte 
sie ihre Bedeutung fUr sich, wie man aus 1. Sam. 4 — 6 klar ge- 
nug erkennen kann. Gleichwie die zwölf Masseboth, welche den 
Altar auf dem heiligen Berge von Sichern umgaben, erst nach- 
träglieh zu Gesetzesmonunaenten geworden sind, so wird auch 
die Lade des Bundes erst durch Umdeutung aus dem alten Idol 
entstanden sein. Wenn tlberhaupt Steine darin lagen, so dienten 
sie schwerlich als Schreibmaterial, zumal sie ja dann nicht als 
Mysterium im Dunkel des Heiligtums hätten verborgen sondern 
öffentlich ausgestellt werden müssen. Es kommt hinzu, dass 
über den Inhalt der zehn Worte, die auf den zwei Tafeln ge- 
standen haben sollen, die Tradition mit sieh selbst in Zwiespalt 
ist, indem zwei ganz verschiedene Dekaloge, Esod. 20 und 
Exod. 34, überliefert werden. Daraus folgt, dass es ein wirk- 
liches und festes Wissen darüber, was auf den Tafeln gestanden 
habe, nicht gegeben hat, und weiter, dass wenn solche Steine 
— was wohl wahrscheinlich ist — überhaupt in der Lade ge- 
legen haben, nichts darauf geschrieben gewesen ist. Zu ent- 
scheiden, welcher der beiden Versionen die Priorität zukomme, 
gehört nicht hierher; für unsern Zweck genügt das negative Re- 
suüat, das wir gewonnen haben. 

2. Wohl fehlte es auch im alten Israel nicht an gottgege- 
benen Grundlagen für die Ordnung des meusehüchen Lebens, 
nur waren sie nicht schriftlich fixiert. Im weiten Umfang wurden 
Brauch und Herkommen als Stiftung der Gottheit angesehen. 
So zum Beispiel die Weise und Kegel des Ackerbaus. Jahve 
hat den Landmanu unterwiesen und ihm das ßechte gelehrt.') 

') Isa. 28, 23—29; ^Merkt auf und htiret meine Stimme, gebt Acht und höret 
meine Rede ! Pflügt der PHüger allezeit das Saatland, furcht und eggt er 
den Äcker immerfort? Nein wenn er die Fläche geebnet hat, so streut 
er Dill und säet Kümmel und pflanzt Weizen Gerste und Spelz auf sein 
Stuck — es wies ihm das Rechte, lehrte ihn (imin) a«in Gott. 
So wird der Dill nicht mit der Dreschwaho gedroschen, nicht das Wagen- 
rad getrieben über den Kümmel, sondern mit dem Stock iiird der Dill 
geklopft und der Kümmel mit dem Stabe, Wird das Korn zermalmt? 
Nein, nicht immerdar drischt er es und treibt das Wt^nrad und die " 
Pferde (?) darüber, er zermalmt es nicht. Auch das geht Ton Jahre 
Sebaoth aus, wunderbare Weisheit zeigt er, grosse Einsicht." In v. 25 
ist zweimal vor der Correctur das Corrigendum stehen geblieben: 
miB' = mVIf, und ]DDD> Terschrieben aus |CDD = HÜDD- Am 
Schluss ist inbDJ (sein Grundstück) der zweite Akkusativ zu qb'i. 

WHIhsTi.en.rtolegomf,«. 27 



'vjOO^^lC 



418 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Er ist es namentlich, dessen Autorität den ungeschriebenen Ge- 
setzen der Sitte die verpflichtende Kraft gibt. „So pflegt man 
nicht zu thun in Israel", „das ist eine Thorheit in Israel" und 
dergleichen Äusserungen des verletzten Volksgewissen s kehren 
häufig wieder und bezeugen die Macht der Sitte; als das Motiv 
sieh ihr zu fügen erseheint die Gottesfurcht. „Gewiss ist keine 
Gottesfurcht an diesem Orte und man wird mich töten wegen 
meines Weibes", denkt Abraham in Gerar. „Wie sollte ich so 
grosses Unrecht thun und wider Gott sündigen", sagt Joseph 
zur Ägypterin. „Die Leute von Sodom waren böse und sün- 
digten schwer gegen Jahve", heisst es Gen. 13, 13. Desgleichen 
Deut. 25, 18: „die Amalekiter griffen Israel auf dem Marsch an 
und mordeten die Nachzügler, die nicht recht weiter konnten, 
und fürchteten Gott nicht". Man sieht, dass die Forderungen 
der Gottheit nicht bloss den Israeliten, sondern aller Welt be- 
kannt sind und gelten, also nicht auf besondere Gebote zurück- 
gehen — wie denn auch schon lange, vor Mose die Erzväter 
ihnen nachkommen. „Ich kenne Abraham — sagt Jahve 18, 19 
— darin dass er seinen Nachkommen befehlen wird den Weg 
Jahve's einzuhalten, Recht und Gerechtigkeit zu üben." 

Viel grösseres Gewicht wird auf die besondere Thora Jahve's 
gelegt, die nicht allgemein gütige Gesetze des Handelns aufstellt, 
sondern dem Menschen in bestimmten schwieligen Fällen, wo 
er selbst sich nicht Rat weiss, den Weg zeigt. Sie gehört zur 
eigentümlichen Begabung Israels (Deut, 33, 4) und zwar ist sie 
den Priestern anvertraut, deren Einfluss sich, während der he- 
bräischen Königszeit, von der wir hier reden, viel mehr auf 
diesen Besitz als au£ das OpfeiprivÜeg gründete. Das Verbum, 
von dem Thora hergeleitet ist, bedeutet in der ältesten Anwen- 
dung Bescheid, Entscheid geben. Das Pai'ticipium heisst der 
Orakelerteiler in den beiden Beispielen gibeath more und allon 
more, der letztere Ausdruck wird durch einen alternierenden 
erklärt als ,, Eiche der Weissager". Da wir nun wissen, dass 
die Priester in den Tagen Sauls und Davids durch das Ephod 
-und die damit verbundenen Lose, die auf eine bestimmt gestellte 
Doppelfrage so oder so entschieden, Gottessprüche erteilten, so 
wird sieh hieraus ihre Thora entwickelt haben. ') Die Urim und 

') 1 Sam 14 Kap 2i Kap. 30. Dass das Verbum, dessen Äbstraotum 
Tbora ist, uTspruDglicb das Werfen der Lospfeile bedeute^ habe ich zn 






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Die mündliche und die schriftliche Thora. 419 

Thummim gelten nach Deut. 33, 8 als das wahre und allgemeine 
lusigne des Priesterstandes ; das Ephod wird in den historischen 
Büchern zum letzten mal 1. Reg. 2, 26 erwähnt'), scheint sich 
aber noch bis auf Jesaia's Zeit in Gebrauch erhalten zu haben 
{Hos. 3, 4. Isa. 30, 22). Mit der Zeit befreite sich, dem allge- 
meinen Zuge des Geistes folgend, die Thora von solchen heid- 
nischen Medien und Vehikeln (Hab. 2,'19). Aber sie blieb ein 
mtindliehes Entscheiden und Bescheiden. Als Ganzes ist sie 
immer nur Potenz und zwar Gottes, beziehungsweise der Priester 
— von diesem Subjekt kann nicht abstrahiert werden, die Lehre 
ist nur als Aktion des Lehrers gedacht. Es gibt keine Thora, 
als fertiges, ohne den Urheber bestehendes, jedem zugängliches 
System; aktuell wird sie bloss in den einzelnen Sprüchen, die 
natürlich allmählich eine feste Tradition begränden. „Sie be- 
wahren dein Wort und hüten dein Gesetz, sie lehren Jakoh 
deine Rechte und Israel deine Weisungen." 

Die Thora der Priester scheint zuvörderst einen rechtlichen 
Charakter gehabt zu haben. In Fällen, wo es eine zuständige 
Gewalt nicht gab oder die für menschliche Entscheidung zu 
schwierig waren , ward , die Sache in letzter Instanz vor Gott, 
d. h. vor das Heiligtum oder vor die Priester gebracht {Exod. 
18, 25f.). Die Priester bildeten also eine Art höchster Gerichts- 
barkeit, die jedoch rein auf freiwilliger Anerkennung ihrer mo- 
ralischen Autorität beruhte uud nicht im Stande war den Sprüchen 
durch Zwang Nachdruck zu geben: „wenn ein Mensch gegen 
den andern fehlt, so ist Gott Schiedsrichter", heisst es 1. Sam. 
2, 25 sehr uubestimmt. Auch gewisse besonders feierliche Rechts- 
geschäfte werden vor Gott vollzogen (E'^od 21, 6) Je mehr nun 
aber mit dem Königtum die bUigeiUche Justiz erstarkte, desto 
mehr musste das Fas das Jus aus semem Schlo'ise entlassen 
Die Gotteskenntnis, welche Hobea (Kap 4) als den Inhalt der 
Thora betrachtet, hängt zwar noch immer näher mit der Juris- 

1. Sam. 31, 3 Termutet; wgl. athiop Mare mit More, dagegen asayr Terfu 
lieber mit syr. Terta. Die Thummim hat Ireytag und unabhängig von 
ihm Lagarde (Proph. Chald. p. XLVII) ausserordentlich glücklich mit den 
arabischen Tamäim verglichen, welche nicht bloits Kmderamnlette bedeuten, 
sondern überhaupt (z. B. sehr oft tm Divan Hudhail) Zaubermittel Ürim 
hängt wohl mit -)-)[< zusammen (Tgl Iliad 1, 11 nnd Num 22 23) die 
beiden Worte der Formel scheinea sich gpgen8^t^^leh zu erganzen 
■) Bleeks Einl. in das A. T. 1878. S 642 

27* 



. Gootle 



420 ' Israel und das Judeatuni, Kap. 10. 

prudeiiz als mit der Theologie zuBammen; aber da eie darauf 
hinausläuft, das« Gott von den Mensehen G-ereehtigkeit und Ti-eue 
und Wohlwollen verlangt, so ist sie doch im Grunde Moral, wenn- 
gleich die Moral zu jener Zeit ihre Forderungen weniger an das 
Gewissen als an die Gesellschaft stellt. Natürlieh hat eich auch 
eine rituale Tradition schon vor dem Exil ausgehildet (2. Eeg. 
17, 27. 28). Aber nur diejenigen Riten werden unter Thora mit 
einbegriffen, welche die Priester andere zu lehren haben, nicht 
die, welche sie selber ausüben; selbst im Levitieus lässt dieser 
unterschied sich noch spüren, wo vorzugsweise die Anweisungen 
über essbare und nicht essbare Tiere, über reine und unreine 
Zustände, über den Aussatz und seine Kennzeichen als Thoroth 
bezeichnet weiden; vgl. Deut. 24, 8. 

So war es in Israel, wofür bis dahin die Zeugnisse beige- 
bracht worden sind; so war es auch in Juda. Das Sprichwort: 
„die Thora wird dem Pi-iester nicht ausgehen noch der Rat dem 
Ältesten noch das Wort dem Propheten", weiches zur Zeit Je- 
remia's und Ezeclnels gäng und gäbe war, wird nicht erst da- 
mals entstanden sein und jedenfalls thatsäehlich auch auf die 
frühere Zeit passen. Nicht sofern sie opfern, sondern sofern sie 
weisen , erscheinen hier die Priester als Grundpfeiler der gei- 
stigen Ordnung der Dinge; und zwar ist ihre Thora lebendige 
Kraft, die dem Anlass entspricht und nicht versagt. Von Micha 
J.jj ■'. I - wird ihnen vorgeworfen, dass sie für Geld bescheiden (3, 11), 
was gleichfalls bezeugt, dass ihre Weisheit auf einer nur ihnen 
zugänglichen Tradition beruhte; das selbe folgt aus einigen 
Äusserungen des Deuteronomiums (17, lOf. 24, 8). Wie das Ge- 
genstück zu dem oben angeführten Spruche {Jer. 18, 18. Ezech. 
7, 26) lautet die Klage (Lam. 2, 9): „Jerusalem ist zerstört, König 
und Fürsten unter den Heiden, die Thora ist dahin, die Pro- 
pheten erlangen kein Gesicht von Jahve"; nachdem das Heilig- 
tum und die Priester zu Grunde gegangen, gibt es auch keine 
Thora mehr, und damit ist dem Volksleben die Axt an die 
Wurzel gelegt. Bei den nachexilischen Propheten bekommt die 
Thora, die noch im Deuteronomium (17, 11) wesentlich recht- 
lichen Inhalts ist, einen stark ritualen Beigeschmack, den man 
früher nicht verspürt; doch ist sie selbst hier noch ein münd- 
liches Lehren der Priester (Hagg. 2, 11). 

Die Priester leiteten ihre Thora von Mose ab, sie wollten 



cb,Goo<^Ic 



Die mündliche und die schriftliclie Tbora. 421 

nur bewahren und behüten, was Mose hinterlassen hatte (Deut. 
33, 4. 9 f.). Er galt als ihr Ahnherr (33, 8. Jud. 18, 30), sein 
Schwäher ist der Priester von Midian am Sinai, sowie auch 
Jahve gewissermassen von dem älteren Gott des Sinai abstammt. 
Aber zugleich galt Mose als der unTeigleiehliche Anfänger der 
Prophetie (Num. 12, 6ff. Deut. 34, 10. Hos. 12, 14), wie denn 
sein Bruder Aharon gleichfalls nicht bloss Levit (Ex. 4, 14), son- 
dern auch Prophet ist (4, 15. Num. 12, 2). Es besteht also eine 
nahe Beziehung zwischen Priestera und Propheten d. b. Sehern; 
wie bei anderen Völkern (1. Sam. 6, 2. 1. ßeg. 18, 19 vgl. mit 
2. Reg. 10, 19) , so auch bei den Hebräern. Nicht die Technik 
des Cultus kennen, die noch sehr einfach und unausgebidet ist, 
sondern ein Mann Gottes sein, mit Gott auf vertrautem Fusse 
stehen, das ist es, was in ältester Zeit den Priester macht, d. b. 
den Mann, der für andere den Verkehr mit dem Himmel be- 
sorgt; der Seher ist vor anderen dazu befähigt (1. Reg. 18, 30ff.). 
Der Unterschied ist in der frühesten Zeit fliessend, noch Sa- 
muel wird 1. Sam. 1—3 als angehender Priester, 1. Sam, 9. 10 
als Seher angesehen. 

Auch als sich später die Priester und Propheten sonderten 
und abschlössen, blieben sie doch in Zusammenhang, sowohl im 
Reiche Israel (Hos. 4, 5), als auch namentlich im Reiche Juda 
(2. Reg. 23, 2. Jer. 26, 7f. 5, 31. Deut. 18, 1-^. 9-22. Zach. 7, 3). 
Was sie verband, war die Offenbarung Jahve's, -die durch sie 
beide fortging und lebendig erhalten wurde. Jahve ist es, von 
'dem die Thora der Priester und das Wort der Propheten aus- 
geht; er ist der eigentliche Weiser, wie ihn Jesaia in der 
Stelle 30, 20f. nennt, wo er von der messianischen Zeit zum 
Volke sagt: „nicht mehr verhüllt sieh dann dein Weiser C^mö), 
sondern deine Äugen sehen deinen Weiser und deine Ohren 
hören die Worte eines der hinter dir ruft; dies ist der Weg, 
hier gehet! — wenn ihr links oder rechts abweichen wollt". 
Thora und Wort sind verwandte Begriffe, die sich vertauschen 
lassen {Deut. 33, 9. Isa. 1, 10. 2, 3. 5, 24. 8, 16. 20). Daher er- 
klärt es sich auch, dass Priester und Propheten gemeinsame 
Ansprüche erhoben auf Mose; als Begründer des Cultus ward 
derselbe nicht angesehen. 

Den Unterschied kann man, in der Periode wo er sieh voll- 
kommen auegebildet hatte, so bezeichnen, dass die Thora der 



i-.*,Qai^le 



422 " Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Priester einer stetig fortlanfenden, die der Propheten einer inter- 
mittierenden Quelle gleicht, die aber wenn eie sich öffnet um so 
gewaltiger sprudelt. Die Priester gehen deu Propheten voran, 
wenn sie zusammen genannt werden; sie haben sich ■ offenbar 
früher und fester consolidiert. Ihnen ist der Stand und die inner- 
halb des Standes sieh fortpflanzende Tradition wesentlich; sie 
bewahren und hüten die Thora (Deut. 33, 9). Eben deshalb, 
weil sie sieh so ganü auf die Tradition stützen und von ihr ab- 
hängen, ist ihr Anspruch auf Mose als ihren Vater, als den An- 
fänger und GrUnder ihrer Tradition, in sieh berechtigter,') wie 
denn auch im gewöhnlichen Sprachgebrauch unter Thqra überall 
zunächst und hauptsächlich die priesterliehe Thora verstanden 
wird. Die Propheten haben bekanntlich keinen Vater (1 , Sam. 
10, 12), ihre Bedeutung beruht auf den Individuen; es ist be- 
zeichnend, daes uns nur von ihnen Namen und Lebensbilder er- 
halten sind. Dem Zuge der Zeit folgend gliedern sie sich zwar 
auch zu Corporationen, aber eigentlich heben sie dadurch ihr 
Wesen auf; die Koiyphäen stehen immer einzeln, auf sich selber. 
Der Überlieferung eines Standes, welche den Anlässen des ge- 
wöhnliehen Lebens genügt, tritt hier die Inspiration einzelner 
Erweckter gegenüber, angeregt durch ausserordentliche Anlässe. 
Nachdem der Geist der ältesten Männer Gottes, Mose's an der 
Spitze, in Institutionen gewissermassen gebannt war, suchte und 
fand er ein neues Ventil in den Propheten; das alte Feuer brach 
vulkanisch hindurch durch die Schichten, die einst auch flüssig 
aus der Tiefe gestiegen, nun aber erstarrt und abgelagert waren. 
Das Lebenselement der Propheten ist der Sturm der Welt- 
geschichte, der die Ordnungen der Menschen hinwe^egt, in dem 
der Schutt der Geschleohtei mitsamt den Hdusein darauf ins 
Wanken geiät und nur ein Grund fest bleibt, der selbst kemei 
Begründung bedaif "Wenn die Erde m Beben \eigeht, dann 
tnumphieien sie, dass Jahre allein hoch bleibe Sie piedigen 

') Er 19t auch hialonach Ipgrandeter denn wenn Mose irgend etwas ee 
than hat, so hat er das HeiUetum zu Kades und die Thora daselb t bo 
gründet, welche die Priester der Lade nach ihm fortsetzten — dann den 
laden der Geschichte Israels fortspinneml, der durch das KLOigtum kräftig 
wieder aufgenomraeu wurle Die Propheten sind erst zur Zeit Samuele 
hei den Hebräern anfgekommen die Seher aber waren ilter ala Mose und 
standen schwerheb seiner Tradition so nahe wit die Pnester am Heilia: 
tum der Lade JahTe's 



&- ■- ■ H 1 1 Google 



Die mändliche und die schriftliche Thora. • 423 

nicht über gegebene Texte, sie reden aus dem Greist, der alles 
richtet und von niemand gerichtet wird. Wo stützen sie sieh 
jemals auf eine andere Autorität als die Evidenz, wo auf ein 
anderes Fundament als ihre eigene Gewissheit? Das gehört zum 
Begriffe der prophetischen, der echten Offenbarung, dass Jahre, 
über alle ordnungsmässige Vermittelung hiuweg, sieh dem In- 
dividuum mitteilt, dem Berufenen, in welchem der geheimnis- 
volle und unzergliederbare Rapport energisch wird, worin die 
Gottheit mit dem Menschen steht. Losgetrennt vom Propheten, 
in abstracto, gibt es keine Offenbarung; sie lebt in seinem gott- 
meoschliehea Ich. Eine Synthese scheinbarer Widerspruche ent- 
steht dadurch: das Subjective im höchsten Sinn, erhaben über 
alle Satzungen, ist das in Wahrheit Objeetive, das Göttliche. 
Es bewährt sich als solches durch die Zustimmung des allge- 
meinen Gewissens, worauf die Propheten, gerade wie Jesus im 
Evangelium Johannis, bei all ihrer Polemik gegen den herge- 
brachten Gottesdienst rechnen: sie wollen nichts Neuesj nur alte 
Wahrheit verkündigen. In der schöpferischsten Aktion haben 
sie das Gefühl vollkommener Passivität; das homo tantum et 
audaeia, welches man mit vollem Recht auf Mensehen wie Elias 
Amos Jesaia anwenden könnte, bedeutet bei ihnen das selbe 
wie deus tantum et servitus. Aber ihr Credo steht in keinem 
Buche. Es ist eine Barbarei, einer solchen Erscheinung mit dem 
Gesetz die Physiognomie zu verderben, 

3. Es ist ein leerer Wahn, dass die Propheten das Gesetz 
erklärt und angewandt haben sollen. Maleachi (± 450) sagt 
allerdings 3,22: j,gedenket der Thora Mose's meines Knechtes", 
aber wo fände sich sonst ein Analogen dazu! Viel richtiger als 
die Neueren urteilen die Männer, die am Ausgange der vor- 
exilisehen Geschichte zurückschauten auf ihre bewegenden Kräfte, 
die göttlichen sowohl als die ungöttlieheu. Ihnen erscheinen die 
Propheten nicht als die Ausleger, sondern als die ebenbürtigen 
Fortsetzer Mose's; das Gotteswort ist in ihrem Munde nicht ge- 
ringer als .im Munde Mose's; sie sind so gut wie er die Organe 
des Geistes Jahve's, durch den er in Israel gegenwärtig ist. Die 
unmittelbare Offenbaruug au das Volk, heisat es Deut. 18, hat 
mit den zehn Geboten aufgehört; fortab bedient biet Jahre der 
■ Piopheten als seines Mundes, „einen Propheten wie dich", sagt 
er zu Mose, „werde ich ihnen erwecken aus ihren Brüdern und 



424 ' Israo! und das Judentum, Kap. 10. 

meine Worte in seinen Mund legen, dass er zu ihnen rede was 
ieh ihm auftrage, und wer auf meine Worte, die er in meinem 
Namen redet, nicht hört, an dem werde ieb's ahnden". Ahnlich 

■ nimmt bei Jeremia die stets rechtzeitig' erschallende Stimme der 
Propheten die gleiche Steile ein, die nach der herrschenden 
Meinung dem Gesetz zukommen milsste; nur dies lebendige Be- 
fehlen Jahve's kennt er, kein ein für alle mal gegebenes Testa- 
ment. „Ich habe euren Vätern, als ieh sie ans Ägypten führte, 
nur das befohlen: hört auf meine Stimme und wandelt in den 
Wegen, die ich euch immer weisen werde. Von dem Tage an, 
wo eure Väter aus Ägypten gezogen sind, habe ieh alle meine 
Knechte, die Propheten, zu euch gesandt, immer frühzeitig sie 
entbietend, aber ihr hörtet nicht." Noch nach dem Exil bei 
Zacharia (520 v. Chr.) begegnen wir dieser Anschauung über 
die Bedeutung der Propheten. „So sprach Jahve Sebaoth (vor 
dem Exil zu den Vätern); sprecht wahrhaftiges Eecht und übt 
'anter einander Güte und Barmherzigkeit, Waisen und Witwen 
und Fremdlinge und Arme bedrücket nicht, und sinnet im Her- 
zen nichts Arges gegen irgend welchen Bruder! Aber sie wollten 
nicht Acht geben und rüttelten mit der Schulter und machten 
ihre Ohren taub und ihre Herzen kieselhart, so dass sie nicht 
hörten die Thora und die Worte, welche Jahve Sebaoth durch 
seinen Geist durch die alten Propheten sagen Hess, und es kam 

. ein grosser Zora von Jahve Sebaoth. Und wie er sie rief und 
sie nicht hörten, so sollen nun auch sie, sprach er, rufen uud 
ich will nicht hören, und ich will sie verwehen unter die Völ- 
ker So spricht Jahve Sebaoth (nach dem Exil zu der 

Gegenwart): wie ieh beschlossen hatte euch erbarmungslos zu 
strafen, weil mich eure Väter erzürnt hatten, so habe ich wie- 
der in diesen Tagen beschlossen dem Hause Juda wohl zu thun, 
fürchtet euch niehtt Dies ist's was ihr thun sollt: redet unter 
einander die Wahrheit, Wahrheit und heilsames Eecht sprecht 
auf euren Gerichtsstätten; und sinnet nichts arges gegen einan- 
der und lasset die Lügenschwüre; denn all so etwas hasse ieh, 
spricht Jahve" (Zach. 7, 9-14. 8,14—16). Sowohl der Inhalt 
der Thora, auf deren Befolgung hier die Theokratie gegründet 
wird, gibt zu denken, als auch ihre Herleitung von den „alten" 
d. h. vorexilischea Propheten. Selbst Ezra kann noch sagen 
(9,10,11): „wir haben deine Gebote vergessen, die du durch 



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Die mnndliche und die schriftliche Thora. 425 

deine Knechte die Propheten befohlen hast und gesprochen: das 
Land wohin ihr kommt es einzunehmen ist ein durch die Ekel 
der einheimischen Völker beflecktes Land, das sie von Rand zu 
Eand mit ihrer Unreinigkeit angefüllt haben". Er hat das 
Deuteronomium, Ezeehiel, Ler. 17—26 im Auge. 

Unter denen, die vom Ende aus über den Sinn der abge- 
laufenen Entwiekelung reflektieren, nimmt der Verfasser von Isa. 
40fi'. die erste Stelle ein. Die Thora, die er auch das Misch- 
pat (das Recht d. h. die Wahrheit) nennt, erseheint ihm als das 
Göttliche und Uiiyergängliehe in Israel. Sie ist ihm aber un- 
zertrennlich von ihrem Vevkündiger , dem Knechte Jahve's (42, 
1_4. 49, 1—6. 50, 4—9. 52, 13—53, 12). Der Name bezeichnet 
den Propheten, hier wird darunter Israel verstanden, ein Pro- 
phet im grossen Stil. Der Beruf Israels ist nicht der der Welt- 
reiche, Aufsehen und Lärm zu machen auf den Gassen (42, 1—4), 
soudeiTi der stille, die Thora zu verkündigen und zur Anerken- 
nung zu briugen. Und zwar sowohl ia Israel selbst als auch 
unter den Heiden. Prophet ist ja Israel nicht nach seiner eigenen 
inneren Qualität, sondern durch sein Verhältnis zu Jahve, nach 
seinem Beruf als Träger der göttlichen Wahrheit; darum ist es 
kein Widerspruch, dass der Knecht bei Israel selbst die Arbeit 
anfängt. ') Bisher hat er sieh nur innerhalb des eigenen Volkes 
abgemüht, das immer geneigt ist, von Jahve und von sich selber 
abzufallen; der Schmach und der Leiden nicht achtend hat er 
unermüdlich den Aufträgen seines Meisters sieh unterzogen und 
dessen Wort verkündigt. Aber vergeblieh. Er hat es nicht ver- 
mocht, den Sieg des Heidentums in Israel abzuwenden, dem nun 
auch sein Sieg über Israel gefolgt ist. Jetzt im Exil hat Jahve 
das Verhältnis zu seinem Volke abgebrochen; die einzelnen He- 
bräer leben noch, der Knecht, das Volk Jahve's ist tot. Aber 
die Thora würde ja mit ihm sterben, die Wahrheit selber der 
Lage, dem Heidentum unterliegen. Das kann nieht'sein, die 
Wahrheit muss zu Rechte, muss an's Licht kommen. Wie dem 
Apostel Paulus der Geist die Bürgschaft der Auferstehung des 
Wiedergeborenen ist, so unserem Autor die Thora da* Unter- 

') Älinlich konnte man sich ausdrücken, dass noch viei fehle, hia wir 
Evangelischen evangelisch geworden seien. Die Unterscheidung, wie sie 
in Isa. iOB. durchgeführt ist, ist freilich darum doch sehr merkwürdig 
und bekundet einen aufiallenden Grad von tiefsinniger Meditotioi^ 



Ct-JS^Ie 



426 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

pfand der Auferstehung Israels, der Rechtfertigung des Knechtes 
Jahve's. Der eudiiehe Triumph der Sache, die Gottes Sache ist, 
wird alle Erwartungen übertreffen. Nicht bloss in Israel selbst 
wird die Thora, wird der Kneebt Jahve's durchdringen und die 
Neugeburt des Volkes bewirken, sondern die Wahrheit wird nun 
von Israel aus leuchten in alle Welt und unter allen Heiden 
zum Siege kommen (49, 6), Daun ergibt sich, dass die Arbeit 
des Kneehtes, so vergeblieh sie bis zum Exil geschienen hat, 
doch nicht umsonst gewesen ist. 

Ich brauche wohl nicht noch auseinanderzusetzen, wie un- 
gemein lebendig, ich möchte sagen wie ungemein geschichtlieh 
hier der Begriff der Thora gefaest ist, wie gänzlich incompatibel 
er ist mit dem „der Thora Mose's". Sie wäre am ersten zu ver- 
gleichen mit dem Logos des johanneisehen Prologs, wenn man 
denselben nach Job. 10, 35, eiuer sicherlich authentischen Äusse- 
rung, und nicht nach Philo Tersteht. Wie Jesus die Mensch 
gewordene, so ist der Knecht Jahve's die Volk gewordene 
Offenbarung Gottes. Die Ähnlichkeit ihres Wesens und ihrer 
Bedeutung bringt die Ähnlichkeit ibres Wirkens und Leidens 
mit sich, so dass in der That die meseianische Deutung von 
Isa. 52, 13—53, 12 nahe genug liegt.'} 

IL 

1. Im 18. Jahre des Königs Josia (621 v. Chr.) ward das 
Deuteronomium gefunden und veröffentlicht. Es wird nun in 
dem Fundberichte 2. Eeg. 22. 23 immer das Buch der Thora 
schlechthin genannt: es war also das erste und seiner Zeit das 
einzige Schon tiühei tieilich hatten nicht bloss die Piopheten 
ihre Reden, sondern wohl auch die Piiester manche von ihien 



') Wenn, übrigens auch für die an dieser Stelle weiter a,h sonst getriebene 
Personifikation die Farben der Schilderung YOn einem beatimmten Bei 
spiele emee prophetischen Martjrers entlehnt sein mögen, so ist es de ob 
unmöglich dass hitr etwas anderes unter dem Ebed Jah^e lollte Kerstan 
den Sem nie überall sonst Man beachte, dass Leiden und Tod des 
Knechtes Vergangenheit, die Verherrlichung Zukunft ist, zwischen beidem 
aber m der Gegenwart eine lange Pause liegt An eine Auferstehung 
des Individuums hat der Verfasser von Isa 40ff noch nicht denken können, 
auch paast dazu die nähere Beschreibung 53, I2f durchaus niL.ht Zu 
dem ist es klar, dass Kap 54, 1—56,8 gewissermas'eu eme Predigt über 
den lexf 52, 13 — 53, 12 ist da ^ber wjrd die Weissagung über die Ver- 
herrlichung des Knechtes auf Siou bezogen Vgl Vatke ä 528ff 



H tri b, Google 



Die müniitiche «niJ die schriftliche Thora. 427 

Sprüchen aufgezeichnet; es scheint in der That, wie Vaike ver- 
mutet, das» wir z, B. in dem siuaitischen Bundesbuche ein Denk- 
mal ihres Geistes besitzen. Das Deuteronomium aber, welches 
eolebe ältere Aufsätze voraussetzt und vielfach das Material dar- 
aus entnimmt, unterscheidet sieh von ihnen nicht bloss durch 
seinen weit grosseren Umfang, sondern auch durch seine weit 
höheren Ansprüche. Es ist mit der deutlichen Absicht verfasst, 
nicht Privatauf Zeichnung zu bleiben, sondern als Buch öffent- 
liche Geltung zu erlangen. Der Gedanke, eine bestimmt for- 
mi'.lirte schriftliche Thora zum Eeicbsgesetz zu machen, ist das 
Wichtige; ') es war ein erster Versuch und er gelang zunächst 
über alles Erwarten. Freilich trat dann wieder eine Reaktion 
ein , aber das babylonische Exil vollendete den Sieg des Ge- 
setzes, Einer ungeheuren Aufregung war damals die tiefste 
Depression gefolgt (Am. 8, llif,). In einer solchen Zeit klam- 
merten sich die, welche an der Zukunft nicht verzagten, an den 
geistigen Erwerb der Vergangenheit- Zur rechten Zeit war der- 
selbe, mit Riieksicht auf die praktische Anwendung im bürger- 
lichen und religiösen Leben des Volkes, im Deuteronomium ge- 
bucht worden. In dem allgemeinen Euiu ging das Buch der 
Thora nicht unter, sondern blieb bestehen und ward der Com- 
pass für die, die auf ein neues Isiael hinsteuerten. Wie sehr 
man es als Norm zu benutzen entschlossen war, zeigt die im 
Exil unternommene Bearbeitung des Hexateuchs und der histo- 
rischen Bücher. 

Mit dem Erscheinen des Gesetzes hörte die alte Freiheit 
auf, nicht bloss auf dem Gebiete des Cultus, der nun auf Jeru- 
salem beschränkt wurde, sondern auch auf dem Gebiete des 
religiösen Geistes." Es war jetzt eine höchste objektive Autorität 
vorhanden: das war der Tod der Prophetie. Denn für diese 
war es notwendig, dass das Unkraut neben dem Weizen auf- 
wachsen durfte. Mögen auch die Merkmale, welche das Deu- 
teronomium aufstellt um den wahren Propheten vom falschen zu 
unterscheiden, recht allgemein und recht unpraktisch sein, so 
spricht sich die Tendenz der Controlierung und Uniformierung 
doch klar darin aus, und sie ist das epochemachende.') Es 

') Duhm a. 0. S. -201. 

') Man küimte den Untersciiieii von Deut. 18, 22 und 1. Reg. 22, 19—23 
cbarakteristisch finden. Dort beisst es, neuii ein Prophet im Name» 



JS^glc 



428 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

war freilich aieht die Absieht des Gesetzgebers, die mündliche 
Thora oder das freie Wort zu beeintiächtigen. Aber die Con- 
sequenz, durch die äusseren Umstände begünstigt, war nicht zu 
. vermeiden, die Empfindung, daes es mit den Propheten aus sei, 
hat nicht erst in den makkabäisohen "Kriegen begonnen. Wir 
hören im Exil die Klage, dass die Weisung der Priester und 
das Wort der Propheten verstumme (Lam. 2, 9); es wird gefragt, 
wo der geblieben sei der in der Vorzeit seinen Geist in Israel 
hineingelegt habe (Isa. 63, 11); in der Zeit Nehemia's wird eine 
zweifelhafte Frage wenigstens theoretisch in der Schwebe ge- 
lassen, bis „der Priester mit Urim und Thummim" d. h. ein mit 
zuverlässiger Weissagung Betrauter erscheine (Neb. 7, 69). Man 
darf Jeremia den letzten der Propheten nennen;') die nach ihm 
kamen, waren es nur dem Namen nach. Ezechiel hatte ein 
Euch verschlungen (3,1—3) und gab es wieder von sieh. Wie 
Zachaiia so nennt auch er schon die vorexiliseben Propheten, 
im Bewusstsein seines Epigonentums, die alten Propheten; er 
sinnt über ihre Worte nach wie Daniel und commentiert sie 
durch seine eigene Weissagung (38, 17 39, 8) Viel eher ver- 
dient der Veifassei von Isa 40S ein Prophet zu heissen, abei 
er will kemei sein, seine offenbir beabsichtigte Anonvmitit lisst 
daiüber nicht in Zweifel Er ist m dei That mehr Theologe, 

JahT* s etwas ansage was nicht eintreffe 'o sei es. ein Worf Belche-> 
JahvB nicbt gerodet habe Ilitr dagegen halt Miiba bon Jimla diu Vi eis 
aagung der Jahvepropheteu, die dem Konige von Israel einen glücklichen 
Ansgang des Feldzuges gegen die Syrer verheitsen zwar für das Gegen 
teil der Wahrheit, darum aber nicht minder fui eingegeben vom Geiste 
der Prophetie Tahve habe «einen Ceist zum Lugengeist gemacht im 
Mnnde aller seiner Propheten E« mag sich immerhin der Abstand der 
Zeiten hier abspiegeln im ganzen scheuit die Betrachtungsneise des Micha 
dO(h eher eine Auskunft, die auch späterhin noch moghch gewesen wäre 
Im siebenten Jahrhundert dehnte man das Gebot ,.al!e Erstgeburt ist mein' 
auch auf die menschliche Iratgeburt aus nnd sah die Opferung derselben 
als Forderung Jahve s an, wie aus dem Protesi Jeremia s hervorgeht ich 
habe «le nicht geboten es ist mir nicht eingefallen" 7, 31 19, 5 Mit 
Beziehung darauf sagt Ezeihiel da die Israeliten die heilsamen Gebote 
Jahve « verschmäht haben so habe er ihnen Gebott gegeben, die nicht 
gut und Satzungen, durch welche sie nicht mochten leben Das ist eine 
ganz ähnliche Auskunft in der Verlegenheit, ohne tiefere Bedeutung 'Vgl 
umgekehrt Sur 2, 174 
') Jeremia der in seinen jungen Tabren an 'emem Teile beigetragen hatte 
zur Einführung des Gesetzes zeigt siih spater über dessen Wirkung 
wenig erbaut zur Lu^e habe geschrieben der Lugengriffel der Sihreiber 
Die Leute verschmähten das prophetische Wort, da sie die Thora schwarz 



^% 



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Die mnndlicliB und die srhrifUicte Tbora. 429 

ei" reflektiert vorzugsweise über die Resultate der vorhergegan- 
• genen Entwickelung, deren Sauerteig die Prophetie wai-, wie 
über gewonnene feste Güter, er heimst die Ernte ein. Was die 
nachexilischeu Propheten betriflTt, so haben wir schon gesehen, 
dass Zacharia von den alten Propheten als von einer abge- 
schlossenen Reihe redet, zu der er sich selbst und seinesgleichen 
nicht rechnet. In der seinem Buche angehängten Schrift eines 
anonymen Zeitgenossen findet sich folgende merkwürdige Äusse- 
rung: „in jener (erhofften) Zeit, spricht Jahve, tilge ich die Na- 
men der Götzen aus dem Lande, dass sie nicht mehr erwähnt 
werden, und auch die Propheten und den unreinen Geist lasse 
ich aufhören; und wenn ein Mensch noch weissagen will, so 
werden seine Eltern zu ihm sagen: du bist des Todes weil du 
Lljge redest im Namen Jahve's, und seine Eltern werden ihn 
durchbohren, wenn er weissagt". 

2. Das Deuteronomium indessen war ein Programm für 
eine Eeformation, nicht fifi' eine Restauration. Es setzte das 
Bestehen des Cultus voraus und corrigierte ihn nur in gewissen 
allgemeinen Punkten. Aber nun war der Tempel zerstört und 
der Gottesdienst unterbrochen, die Praxis von ehemals musste 
aufgezeichnet werden wenn sie nicht untergehen sollte. So kam 
es, dass im Exil das Cultusverfahren Gegenstand der Tbora 
wurde, wobei natürlich neben dem restaurierenden der reforma- 
torische Gesichtspunkt fortwirkte. Wir haben 'gesehen (S,-62}, 
dass Ezecliiel der erste war, der diesen durch die Umstände ia- 
dicierten Schritt tliat. In dem letzten Teile seiner Schrift hat 
er den Anfang gemacht mit der Aufzeichnung des im Tempel 
von Jerusalem üblich gewesenen Rituals. Andere Priester 
schlössen sich ihm an (Lev. 17 — 26), und so entstand aus diesem 
Stande im Exil eine Art Schule von Leuten, die was sie früher 
praktisch betrieben hatten, jetzt auf Schrift und in ein System 
brachten. Nachdem der Tempel wieder hergestellt war, hielt 
sich doch der theoretische Eifer und bildete in Wechselwirkung 
mit der erneuerten Praxis das Kitual noch weiter aus; die in 
Babylon verbliebenen Priester nahmen aus der Feme nicht we- 
niger Anteil am heiligen Dienste als ihre mit der Ausübung 
desselben beschäftigten Brüder zu Jerusalem, die unter widrigen 
Umständen lebend es mit der peinliehen Befolgung der festge- 
stellten Observanzen nicht so genau gehalten zu haben scheinen. 



t^^lile 



430 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Dae letzte Resultat dieser langjährigen Acbeit ist der Prieeter- 
codex. Man hat zwar gesagt, die Schöpfung eines eolehen ■ 
Werkes könne einer Zeit nicht zugetraut werden, die nur zu 
repristinieren suche. Zugegeben, dass das letztere Urteil richtig 
wäre — zum künstlichen Systematisieren .Torliandenen Materials 
ist gerade eine solche Zeit durchaus geeignet, und wesentlich 
darin besteht die Originalität des Priestercodex.') 

Der Priestercodex, eingearbeitet in den Pentateueh als dessen 
massgebender legislativer Bestandteil, wurde das definitive „mo- 
saische Gesetz". Als solches ward er publieiert und eingeführt 
A. 444 vor Chr., hundert Jahre nach dem Exil. In der Zwi- 
schenzeit, deren Dauer oft unterschätzt wird, war als schriftliche 
Thora noch immer nur das Deuteronominm bekannt und aner- 
kannt, wenn auch faktisch der Einfluss der Aufsätze Ezechiels 
und seiner Nachfolger auf die leitenden Kreise nicht unbedeutend 
Böin mochte. Deyenige, welcher den Pentateueh zur Constitution 
des Judentums gemacht hat, ist der babylonische ,, Priester und 
Gelehrte" Ezra. Schon A. 458 , im siebenten Jahre des Arla- 
xerxes Longimanus, war er an der Spitze einer grösseren Schar 
eifriger Juden aus Babylonien nach Jerusalem gekommen; wie 
es heisst, von dem Perserkönige mit Vollmacht versehen, die 
Gemeinde des Tempels, die sich noch immer nicht recht inner- 
lich befestigen und gegen aussen abschliessen konnte, zu refor- 
mieren nach dem Gesetz. „Vom Könige und seinen sieben Räten 
bist du gesandt, Untersuchung zu führen über Juda und Jeru- 
salem nach dem Gesetz deines Gottes in deiner Hand 

Du aber, Ezra, nach der Weisheit deines Gottes 

in deiner Hand, bestelle Vorsteher und Richter, die alles Volk 
jenseit des Euphrat richten, diejenigen welche die Gesetze deines 
Gottes anerkennen, und wer sie nicht kennt, dem sollt ihr sie 

') DiUmann findet, es sei die natirlielistB Annahme ^on der Welt und aus 
ACDC) noch zu erweisen, dass die Pnestersohaft das Ceutralheihgtumes 
schon in alter Zeit ihre Tboroth aufschneb, d'iso man erst im Exil und 
lu Babjlomen, wo man gar keinen Gottesdienst h'Me, die pnesterlichen 
und gottesdienstiichen Gesetze aufgeschrieben oder sogar erst gemacht 
habe, sei ividerainnig Widersinnig immerhin, wenn nur wahr Ein 
Fortscbritt ist es niohf, gleiihwohl ein Faktum, dass auf die Koniffe die 
Hohenpriester folgten und auf die Propheten die Rabbiner Es soll 
■übrigens doch öfter vorkommen, dass die traditionelle Praxis erst aufge 
scbneben wird, wenn sie auszusterben dioht, und dass ein Buch so lu 
sagen Beyenani eines »bgesciiiedenen Lebens isl - 



Google 



Die mündliche und die schriftliehe Thora. 431 

bekannt machen. Wer aber das Gesetz deines Gottes und das 
Gesetz des Königs nicht thun will , dem soll dei- Proeeas ge- 
macht werden." So heiest es in dem Sehreiben des Perser- 
königs an Ezra 7, 12—26, das, wenn es auch unecht sein sollte, 
doch jedenfalls die 'Meinung der Zeitgenossen wieder gibt; wie 
denn daran nach der aus Ezra's eigenem Memoire entnommenen 
Äusserung 7, 27 kein Zweifel sein kann/dass er von Artaxerses 
in seinen Zwecken unterstützt worden ist.') 

In Judäa angekommen hat nun aber Ezra nicht, wie man 
erwarten sollte, das Gesetz alsbald eingeführt. Im Einverständnis 
mit den Obersten des Volkes hat er, auf Grund der vorhandenen, 
nämlich der deuteronomischen Thora, eine strenge Absonderung 
der heimgekehrten Exulanten von den heidnischen und halb- 
heidnischen Landeebewohnern in's Werk gesetzt und rücksichtslos 
durchgeführt, wenige Monate nach seiner Ankunft in Jerusalem. 
Sehr lange aber, mindestens vierzehn Jahre, dauerte es, bis er 
endlich mit dem Gesetze herausrückte, das er selber mitgebracht 
hatte. Warum er so lange zögerte, lässt sich höchstens ver- 
mutungsweise sagen, da uns Nachiichten darüber, was er in der 
Zwischenzeit gethan, nicht erhalten sind; zwischen dem sieben- 
ten und dem zwanzigsten Jahre des Artaxerxes (458 und 445 
V. Chr.) klafft in der Berichterstattung der Bücher Esdra und 
Nehemia eine grosse Lücke, Die äusseren Verhältnisse der 
jungen Gemeinde, die sich, wohl in Folge der schroffen Stellung 
die man zu den Nachbarvölkern einnahm, sehr mislich gestal- 
teten, mochten eine legislative Neuerung vorerst unratsam 
machen; auch hat vielleicht Ezra den oorrigierenden EinÖuss 
der jerusalemischen Praxis auf das Produkt der babylonischen 
Gelehrsamkeit abwarten und ausserdem Gehülfen des Werks 
sich erziehen wollen. Die Hauptsache scheint jedoch gewesen 
zu sein, dass es ihm trotz dem Wohlwollen des Königs an einer 

) H n ichfli h SB ne'i \ erh Ifn se^ zum Gpseti kommen n ch f Inende äe 
gaben □ Betracht er war ein ( elehrter ("nsiD = 1 terafusj bewan iert 
n der Thora Mose s 7 d ,er hatte seinen ** nn ^enflitet zu studieren 
die Thora Jahve s und zu thun und zu lehren in Israel Recht nnd 
'iatz ng 7 10 „der Priester Ezra der Heisler des Ge eties des Gottes 
vom H mmel 7 21 Am wicht ff ten ble bt n les en der Ausdruck dias 
das Ce etz (die 1^ e she t) seines Gottes m seiner Hand gewesen sei es 
aar also sein Pri atbes tz wenn es au h bell ng f r giuz Israel bean 
apruchte Dazu st mnien i e Angaben nber ien Zweck der Mission des 
gelehrten Priesters. 



Coj^le 



432 Israel und das JudeotuDi, Kap. 10. 

energischen Unterstützung der persischen Behörden an Ort und 
Stelle feblte, deren es bedurfte, um einem neuen Gesetze Gel- 
tung und Anerkennung zu verschaffen. 

Da gelang es im J, 445 einem Juden und Gesinnungsge- 
nossen Ezra's, Nehemia ben Hakkeleja, dem Muodscheuken und 
GOnstling des Artaxersea, als persischer Landpfleger nach Judäa 
zu kommen. Nachdem er mit redlichem Eifer und grossem Er- 
folge die Gemeinde zuerst yon dem äusseren Druck befreit und 
aus ihrer trübseligen Lage emporgehoben hatte, war nun auch 
der Augenblick gekommen um mit der Einfübrung des Penta- 
teuchs vorzugehen; Ezra und Nehemia waren dabei oifenbar im 
Einverständnis. Am L Tage des 7. Monats — das Jahr, das 
wir leider nicht wissen, ist frühestens 444 vor Chr. gewesen — 
versammelte sich alles Volk wie ein Mann auf dem Markt vor 
dem Wasserthore, und Ezra ward aufgefordert das Buch des Ge- 
setzes Mose's vorzubringen, das Jahve Israel geboten. Der 
Schriftgelehrte bestieg eine hölzerne Kanzel, je sieben Priester 
traten ihm rechts und links zur Seite, Wie er das Buch auf- 
schlug, erhoben sich die Anwesenden, Männer und Weiber; mit 
lautem Amen stimmten sie in den Eingangssegeu ein, erhüben 
die Hände und warfen sich zu Boden. Darauf las er vor, vom 
frühen Morgen bis zum Mittag, in kleinen Absätzen, welche von 
einer Anzahl unter der Menge zersti-euter Leviten wiederholt 
und erklärt wurden. Die Wirkung war, dass ein allgemeines 
Weinen sich erhob, wi#l man sieh bewusst war bis dahin die 
Gebote Gottes nicht befolgt zu haben; Nehemia und Ezra und 
die Leviten mussten die Aufregung dämpfen und sprachen; der 
heutige Tag ist Jahve eurem Gott geweiht, trauert nicht und 
weint nicht, geht hin, esst was fett ist und ti-inkt was süss ist, 
und gebt denen ab die nichts mitgebracht haben! Da zerstreuten 
sich die .Versammelten und veranstalteten „eine grosse Freude", 
weil sie die Worte verstanden hatten, die ihnen mitgeteilt wa- 
ren. Am anderen Tage ward die Verlesung fortgesetzt, aber 
bloss vor den Familienbäuptern, und zwar kam ein zeitge- 
mässes Stück an die Reihe, nämlich die Verordnungen über die 
Feste , insbesondere über das unter grünen Zweiglauben zu 
feiernde Hüttenfest am 15. Tage des 7. Monats, desjenigen, in 
dessen Anfang man gerade stand. Mit grossem Eifer ging man 
daran, die seit den Tagen Josua's ben Nun nicht rite begangene 



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Die mündliche und die schriftliolie Thora. 433 

Feier nun nach der Vorschrift des Gesetzes Lev. 23 zu rüsten, 
und mit allgemeiner freudiger Beteiligung beging man sie vom 
15.— 22, des Monats.^) Am 24. aber ward in Sack und Asche 
ein grosser Busstag gehalten. Mit der Gesetzeslektion ward 
auch jetzt begonnen, darauf folgte ein Sündenbekeuntnis , das 
im Namen des Volkes von den Leviten g«8proehen wurde und 
mit der Bitte um Gnade und Erbarmen sehloss. Das war die 
Vorbereitung zu dem Haupt- und Schlussakte, worin die welt- 
liehen und geistlichen Beamten und Altesten der Gemeinde, 
fllnfundachtzig an der Zahl, sieh schriftlich auf das durch Ezra 
veröffentlichte Gesetzbuch verpflichteten, alle Übrigen aber sich_ 
mit Eid und Fluch rerbindlich machten zu wandeln in der Thora 
Gottes, gegeben durch seinen Diener Mose uud zu halten alle 
Gebote Jahve's und seine Satzungen und Rechte, Besonders 
zur Nachachtung hervorgehoben wurden die Bestimmungen des 
Pentateuohs, welche direkte Bedeutung für das Volk hatten — 
der grösste Teil bezieht sich ja auf das Eitual der Priester — 
und darunter namentlich diejenigen, welche die Abgaben der 
Laien an die Pi-iester betrafen, auf denen die Existenz der Hie- 
rokratie ruhte.') 

Mit Eecht hat es Lagarde's Verwunderung erregt, dass dieser 
merkwürdigen Erzählung von den Alttestamentliehen Kritikern 
so wenig Wichtigkeit beigelegt zu werden pflegt: nur Kuenen 
hatte sie allerdings nach ihrem vollen Wert gewürdigt.') Es 
liegt auf der Hand, dass wir in Neh. 8—10 eine genaue Parallele 
zu 2. Reg. 22. 23 haben. Insbesondere zu 23, 1 — 3: Josia Hess 
alle Altesten von Juda und Jerusalem zusammenkommen und 
zog mit den Männern Juda's und den Bewohnern Jerusalems, 
mit den Priestern und Propheten und allem Volke hoch und 
niedrig, hinauf zum Hause Jahve's; dort las er der Versammlung 
alle Worte des Gesetzbuchs vor und verpflichtete sich mit allem 

- ') Acht Tage lang, nach Lev. 23, 39 gegen Deut. 16, 13—15. 
") Neb. 8, I— 10, 40. Die innere Glaubwürdigkeit der Eriählun^ bezeugt 
sich selber auf das entschiedenste. Dass der Chronist sie nicht selber 
vei-fasst, sondern aus seiner Hauptqnelle entlehnt hat, aus der auch die 
Fragmente der Memoiren Ezra's und Nehemia's mitgeteilt sind, ergibt 
sich daraus, dass er, indem er in Esdra 2 das Kap. Neb. T abscbreibt, 
unwillkürlich auch noch den Aafang Ton Neh. 8 (^Esdr. 3, 1) hinzu-, 
nimmt. Also fand er schon Neh. 7 und 8 in der jotaigen Verbindung 
vor und schrieb nicht etwa die Eap. 8£f. erst selber. 
') Güttinger Gel. Anzeigen 1870 S. 15S7f. Kuenen, Godsdienst n Hoofd3t.8. 



Guot^lc 



434 Israel und das Judentum, Kap. 10. 

Volke' vor Jahre, zu halten alle Worte dieses Buches. Gleich- 
wie bezeugt wird, dass das Deuteronomium im Jahre 621 be- 
kannt geworden, bis dahin unbekannt gewesen ist, geradeso 
wird bezeugt, dass die anderweitige Thora des Pentateuehe — 
denn dass das Gesetz Ezra's der ganze Pentateuch gewesen ist, 
unterliegt keinem Zweifel — im Jahre 444 bekannt geworden, 
bis dahin unbekannt gewesen ist. Es erhellt zunächst unwider. 
spreclilach, dase das Deuteronomium die ei-ste, die priesterliche 
Thora die zweite Stufe der Gesetzgebung ist. Weiter aber wird 
man den selben Schluss, den man für die Abfassungszeit des 
Deuteronomiums aus der Publicierung und Einführung durch 
Joeia zu ziehen pflegt, fQr die Abfassungszeit des Priestercodex 
aus der Publicierung und Einführung durch Ezra und Neheoiia 
zu ziehen haben. Es bedarf sehr gewichtiger innerer Gründe, 
um die auf einer höchst positiTen Nachricht beruhenden Wahr- 
scheinlichkeit zu entkräften, dass die Codificierung des Rituals 
erst in der nachexilischen Periode vor sieh gegangen ist. Wie 
es mit solchen inneren Gründen beschaffen ist, haben wir ge- 
sehen. ') 

3, Ezra und Nehemia, und die fünfundachtzig Männer der 
Grossen Versammlung (Neh. 8ff.), die als Unterzeichner des Hun- 
des genannt werden, gelten der späteren Tradition als die Be- 
gründer des Kahons. Nicht mit Unrecht, nur müsste mit noch 
grösserem Rechte der König Josia dafür angesehen werden. Die 
Einführung des Gesetzes, zunächst des Deuteronomiums, sodann 
des ganzen Pentateuehs, war in der That der entscheidende 
Sehritt, wodurch die Schrift an Stelle der Rede trat und das 
Volk des Wortes ein Volk des Buches wurde. Dem Buche 
haben sich die Bücher mit der Zeit angeschlossen; jenes ward, 
in zwei auf einander folgenden Akten, förmlich und feierlich 
, eingeführt, diese gewannen unter der Hand eine ähnliche öffent- 
liche Geltung für die jüdische Gemeinde. Der Begriff des Ka- 

') Es ist übrigens nicht nütig und schwerlich richtig, Eira för mehr ais 
für den Redaktor, den eigentlichen und hauptsächlichen Redaktor des 
Pentateuehs xa halten; insbesondere wird er nicht der Verfasser Ton Q 
gewesea sein. Es soll andererseits auch nicht ausgeschlossen werden, 
dass manche Noyellen uni Änderungen noch nach Ezra hinzu gekommen 
sind. Das Material der Bräuche i"t schwer zu fixieren und zu eracböpfen. 
Über den nervus ischiadicia , die Barfossigkeit der Priester, das Ein- 
sperren vor Jahve (1 Sam 21 ygl Jerem 3b, '^), die Steinigung der Ehe- 
brecher Termisseu wir Bestimmungen 



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Die Diättdliclie nnd die schriftliche Thora. 435 

nons geht durchaus von dem der schriftlicheil Thora aus; auch 
die Propheten und Hagiographen heissen bei den Juden Thora, 
wenn auch nicht Thora Mosia, 

Über die Entstehung des Kanons, welche Dank der beiden 
Erzählungen 2. Reg. 22. 23. Neh. 8—10 vollständig im Licht der 
Geaehiehte liegt, ist sich die herkömmliche Einleitun^wissen- 
schaft höchst unklar. Josia, pflegt man sich etwa Torzustellen, 
hat zwar das Gesetz aber nicht den Kanon eingeführt, Ezra um- 
gekehrt zwar den Kanon aber nicht das Gesetz. Eine Analogie, 
die Ton dem sekundären Teil des Kanons, von Propheten und 
Hagiographen, hergenommen ist, überträgt man ohne Besinnen 
auf den primären, auf die Thora Mose's. Wie die historischen 
und prophetischen Bücher zum Teil lange existiert haben ehe 
sie kanonisch wurden, so, glaubt man, werde es auch mit dem 
Gesetze gegangen sein. Indessen beim Gesetze liegt die Sache 
weeentlieb anders. Das Gesetz will gesetzliche Geltung haben, 
will Gemeindebiicb sein: ein Unterschied «wischen Gesetz und 
Kanon ist nicht yorhanden. Es ist darum leicht zu begreifen, 
dasB die Thora, obwohl als sehriftstellerisehes Produkt jünger 
als die geschichtliehen und prophetischen Bücher, dennoch als 
Gesetz äiter ist als jene Schriften, die ja ui-sprünglieh und ihrem 
Wesen nach gar keinen gesetzliehen Charakter tragen, sondern 
denselben gewissermassen nur metaphorisch erlangt haben, im 
Ansehluss an ein vorhandenes eigentliches Gesetz. 

Erkennt man an, dass der Kanon das Judentum vom alten 
Israel unterscheidet, so erkennt man auch an, dass die schrift- 
liche Thora das Judentum vom alten Israel unterscheidet. Das 
Wasser, das in der Vergangenheit gequollen war, fassten die 
Epigonen in Cisternen. 



Elftes Kapitel. 

Die Theokratie ala Idee und als Anstalt. 

Mit den Ausdrücken Theokratie und theokratiseh spielen 
die Neueren, ohne über ihren Sinn und die Berechtigung ihrer 



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436 Israel unä das Judentum, Kap, 11. 

Anwendung eieli Eechenseliaft zu geben. Man weiss aber, dass 
erst Josephus das Wort &soxpaxt'a gebildet hat,') und es ist be- 
kannt, dass diesem Schriftsteller, wenn er von der mosaischen 
Verfassung redet, das heilige Gemeiowesen seiner Zeit vor Äugen 
sehwebt, wie es bis zum Jahre 70 nach Chr. beschaffen gewesen 
ist. Im alten Israel hat in der That eine Theokratie als Ver- 
fassungsform nie bestanden. Die Herrschaft Jahve's ist hier 
eine ideale Vorstellung; erst seit dem Exil werden Versuche 
gemacht, sie als Herrschaft des Heiligen mit äusserlichen Mitteln 
zu realisieren. Es ist vielleicht das Hauptverdienst von Vatke's 
Biblischer Theologie, die Entstehung der Theokratie und die 
Metamorphose der Idee ku einer Anstalt durch die Jahrhunderte 
verfolgt zu haben. 

I. 

1. Dass Mose den Pentateueh geschrieben habe, wird von 
den Vertretern der herrsehenden Meinung geleugnet, desto be- 
stimmter aber festgehalten, dass er die Gemeinde der StiftshUtte 
in der Weise organisiert habe, wie es im Priestercodex besehrie- 
ben ist. Es seheint dabei die Ansicht zu Grunde zu liegen, 
dass er ja sonst überhaupt keine Bedeutung gehabt habe: als 
ob es nicht auch etwas wäre, einen Samen in den Acker der 
Zeit zu streuen , den das daraus entspringende Spiel der Wir- 
kungen und Gegenwirkungen in einer Ewigkeit zur Reife bringt 
(Marc. 4, 26ff,). In Wahrheit ist Mose etwa in dem gleichen 
Sinne der Urheber der „mosaischen Verfassung", wie Petrus der 
Stifter der Römischen Hierarchie. Von der angeblich uralten 
heiligen Organisation ist in der Zeit der Richter und der Könige 
nichts zu merken, Sie soll eine Art pädagogischer Zwangs- 
jacke gewesen sein, um den ungebändigten Eigenwillen der 
Hebräer zu brechen und sie vor schlechten Einflüssen von aussen 
her zu bewahren. Wollte man aber auch zugeben, dass eine 
Verfassung des Altertums so ausser allem Verhältnis zu dem 

') Otxoüv änsipoi |tiv ai xard [x£po( tcüv iOüv xal ti5v vöjaüiv itnpd taU Sitasiv 
dv8pii)5toi( Biatpopat" ot (liv ynp [xovapx'oiii oi' 8e Tait i\(fiav Buvcioxefan, 
dXXor hi xols tiX^öesiv iKiiff^ec/ tJjv ä£ouo(av -rtüv itoXiraujiciTtov. 'ü 5'JjiJ.e- 
Tepo« vono&ittj^ sU fiiv toutbjv oiS' 6noüv iizilisv, (ue B'äv Tis tE«oi 

. ^madnEvoc Täv \6jtf^, ötoitpaTiav ditiJeige t4 noX(TEUfi.a, 9t^ 
TJj'j tip^V %a\ t4 npcfTO« dvnÖEfs (contra Apion. 2, 16). Vgl, übrigens t\i 
diesem ganzen Kapitel Die Pharisäer und die Sadducäer, Greifswald 1874. 



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Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 437 

eigenen inneren Leben dea Volks entstanden sein könne, so 
tiitt doch an der Geschichte des alten Israels nichts mehr hervor 
als die ungemeine Frische und Natürlichkeit ihrer Triebe. Die 
handelnden Personen treten durchweg reit so einem Muss ihrer 
Natur auf, die Männer Gottes nicht minder wie die Mörder und 
Ehebrecher; es sind Gestalten, die nur in freier Luft geraten. 
Das Judentum, welches die mosaische Verfassung verwirklicht 
und consequent fortgebildet hatte, Hess flir die Individualität 
keinen Spielraum: im alten Israel war das göttliche Recht nicht 
bei der Institution, sondern bei dem Creator Spiritus, bei den 
Individuen, Sie redeten nicht bloss wie die Propheten, son- 
dern sie handelten auch wie die Richter und Könige; aus 
freier Initiative, nicht nach einer äusseren Norm, und dennoch 
und gerade darum im Geiste Jahve's. Höchst charakteristisch 
zeigt sieh der Unterschied der Zeiten in der Auffassung Sauls 
nach den beiden, oben (S. 261 ff.) gesonderten und verglichenen 
Versionen. 

2. Es ist eine einfache aber sehr wichtige Bemerkung 
Vatke's, dass die im Priestercodes so weitläufig besehriebfine 
heilige Verfassung der Gemeinde durchaus unvollständig sei und 
dasjenige voraussetze, was zu gründen zur Zeit Mose's die 
Hauptsache gewesen wäre, nämlich den Staat, ohne den doch 
auch die Kirche nicht bestehen kann. Um einen reichen und 
kostspieligen Cultus und einen ungeheuren Schwärm von Kle- 
rikern zu unterhalten, waren erhebliebe Steuern und Abgaben - 
nötig; lim selbige einzutreiben, uin feruer das Ansehen der hei- 
ligen Personen und Einrichtungen, um namentlich die strenge 
Centralisierung und üuiformierung des legitimen Gottesdienstes 
bei einem immerhin rohen Volke aufrecht zu erhalten, dazu be- 
duifte es einer executiven Gewalt, die das ganze Volk umspannte 
und in der Macht hatte. Wo aber ist diese einheitliche Gewalt 
in der Rieht erperiode? Die Haupthefugnisse wohnten damals 
den kleinsten Kreisen bei, den Familien und Geschlechtern; sie 
waren wenig beschränkt, wie es scheint, durch die übergeord- 
nete Macht des Stammes, und der Begriff des Staates oder 
Keicbes existierte überhaupt noch nicht. Zuweilen vereinigten 
sich die verwandten Geschlechter, wohl auch die benachbarten 
Stämme zu gemeinschaftlichen Unternehmungen; aber nicht auf 
Grund irgend welcher verfasBungamässigen Ordnung, sondern in 



le 



438 Israel und das Judentum, Kap. 11. 

der Not, in dem Falle dass ein hervorragender Mann sieh fand, 
der an die Spitze trat und ein erfolgreiches Aufgebot erliess. 
Diese vorübergehenden Verbindungen unter Herzögen waren die 
Vorstufe einer dauernden Vereinigung unter einem Könige; 
schon zur Zeit des Midianiterkriegs scheint ein Ansatz dazu ge- 
macht worden zu sein, der aber nicht recht einschlug. In dem 
schweren und langwierigen Kampf gegen die Philister trat das 
Bedürfnis nach einer festen Einigung der Stämme unabweisüch 
hervor, und es fand sieh auch der Mann fltr die Zeit. Saul, 
ein vornehmer Benjaminit aus Gibea, ward vom Zorn überwäl- 
tigt wegen der höhnischen Herausforderung, welche sieh damals 
sogar die Ammoniter den Hebräern gegenüber erlaubten; nicht 
durch irgend ein Amt, nur durch den eigenen Drang berechtigt 
rief er seine Landsleute zum Kampfe auf; sein Enthusiasmus 
wirkte ansteckend, Scheu erregend. Ganz wie einer der früheren 
Eichter begann er seine Laufbahn, aber als er zum Siege ge- 
führt hatte, da ward er nicht wieder los gelassen. Der Gesuchte, 
der König war gefunden. 

Aus so natürlichen Anfängen entstand damals der Staat, 
ohne jede Anlehnung an die Form der „mosaischen Theokratie" ; 
er trägt alle Merkmale einer neuen Schöpfung an sich. Saul 
und David haben aus den hebräischen Stämmen erst ein wirk- 
liches Volk im politischen Sinne gemacht (Deut. 33, 5). David 
blieb auch den Späteren unzertrennlich von der Idee Israels, er 
■ war der König schlechthin; Saul ward verdunkelt, aber beide 
zusammen sind die Gründer des Reichs und haben insofern eine 
viel allgemeinere Bedeutung als alle ihre Nachfolger. Sie sind 
es gewesen, die dem öffentlichen Leben Mittelpunkt und Inhalt 
gegeben haben, ihnen verdankt die Nation ihr geschichtliches 
Selbstbewusstsein. Auf dem Königtum gründet alle weitere 
Ordnung, auf diesem Boden wachsen die übrigen Institutionen 
hervor. In der Richterzeit, heisst es, that jeder was er wollte, 
nicht weil damals die mosaische Verfassung nicht in Kraft, son- 
dern weil kein König im Lande war. Auch auf religiösem Ge- 
biete sind die Folgen sehr wichtig gewesen, sofern durch den 
politischen Aufschwung des Volkes auch das historisch-nationale 
Wesen Jahve's wieder in den Vordergrund trat, nachdem der 
alte Gott der Wüste, durch die während der Richterzeit ei-fol- 
gende (übrigens völlig notwendige) Übemahme des kanaanitischen 



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Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 439 

Festcuttus in seinen Dienst, eine Zeit lang in Gefahr geschwebt 
hatte ein Gott des Ackerbaus und der Viehzuebt zu werden wie 
Baal-Di onysus. Der Festeultua blieb zwar noch lange die Quelle 
des Heidentums, wurde aber doch immer mehr seines Natur- 
charaklers entkleidet und musste schliesslich eine Beziehung zur 
Nation und ihrer Geschichte annehmen , um sieh überhaupt zu 
hatten. Die Beziehung Jahve's zu Volk und Eeieh stand felsen- 
fest; auch dem schlimmsten Götzendiener war er der Gott 
Israels; im Kriege fiel es keinem ein, von einem anderen als 
Jahve Sieg und Heil zu erwarten. Das war die Frucht davon 
dass Israel ein Reich geworden war; das Königtum Jahve's, in 
der politischen Bestimmtheit wie es gedacht wird, ist der reli- 
giöse Ausdruck der Staatsgriindung durch Saul und David. Die 
Theokratie war eben der Staat selber; den bürgerlichen Staat 
sahen die alten Israeliten als ein Wunder oder, wie sie sich aus- 
drückten, als eine Hülfe Gottes an. ') Die späteren Juden setzten 
bei ihrer Anschauung von Theokratie den Staat immer schon 
als bestehend voraus und konnten darum die Theokratie als ein 
besonderes geistliches Wesen darüber zimmern — etwa so wie 
die Moderneu das Göttliche der Rechtsinstitute, z. B. der Ehe, 
nicht in ihrem eigenen Wesen, sondern in der kirchlichen Weihe 
erblicken. 

3. Das Reich Sauls und Davids hielt sich nicht lange auf 
seiner Höhe, Schon mit der Spaltung begann der Verfall; seit 
die Assyrer ans Thor klopften, brach er unaufhaltsam herein. 
Aber um so lebhafter hielt man die Zeit der Blüte und Macht 
in Erinnerung, man hoffte auf ihre Wiederkehr. Durch den 
Contrast der trüben Gegenwart gegen die glänzende Vergangen- 
heit entstand das Bild des Staates wie er sein sollte; dem Zu- 
stande innerer Anarchie und äusserer Zertrümmerung, worin er 
damals sieh befand, setzten die Propheten das Muster der Theo- 
kratie entgegen. Die Theokratie, wie die Propheten sie sich 
Toretellen, ist nicht artversehieden von dem politischen Gemein- 
wesen, etwa wie eine geistliche von einer weltlichen Grösse; 
sie beruht vielmehr auf den selben Grundlagen wie jenes und 
ist eben aur die Idee desselben. Ihre klassische Ausbildung hat 

in, den Hebräern 



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440 Israel und das Judeatuni, Kap 11 

Jesaia . dieser Idee gegeben, in den Zukunftsbildern, die man 
messianisehe Weissagungen zu nennen sich gewohnt bat. Es 
werden hier nämlich nicht zufallige Dinge vorausverkündet, son- 
dern Ziele aufgestellt, deren Verwirklichung zwar erst von der 
Zukunft erwartet wird, die aber schon in der Gegenwart Geltung 
haben oder haben sollten, zu denen das Gemeinwesen seiner 
wahren Natur nach hinstrebt. 

Die Austreibung der Aesyrer ist der Zug, mit dem die 
mei^iaiiischeii Schilderungen beginnen; aber der Hauptnachdruck 
wird gelegt auf die Herstellung der inneren Grundlagen des 
Staates, deren Morschheit auch die äussere Krisis herbeigeführt 
und notwendig gemacht hat. Die Zerrüttung des Regiments, 
das Darniederliegen des Gerichtes, die Ausbeutung der Schwa- 
chen durch die Mächtigen sind die Schäden, die repariert wer- 
den müssen. „Wie ist die ehrbare Stadt zur Hure geworden, 
sie war voller Gerieht, Gerechtigkeit wohnte in ihr — und nun 
Mörder! Deine Fürsten sind Schurken und Diebesgesellen, alle 
lieben sie Geschenk und jagen nach Bestechung, der Waise 
schaffen sie nicht Recht, und einer Witwe Sache kommt nicht 
vor sie. Darum spricht der Herr: o ich will mich letzen an 
meinen Widersaehem und an meinen Feinden mich rächen I und 
will meine Hand gegen dich kehren, Sion, und wie mit Lauge 
aussehmelzen deine Sehlacken, und will deine Richter machen 
wie zuerst und deine Ratsleute wie zu Anfang; darnach wird 
man dich eine gerechte ehrbare Stadt nennen. Sion wird durch 
Gerieht erlöst werden und ihre Einwohner durch Gerechtigkeit" 
(1, 21 — 27). Immer hat der Prophet das vorhandene natürliche, 
nie ein durch absonderliche Heiligkeit seiner Organisation aus- 
gezeichnetes Gemeinwesen vor Augen. Das Reich Jahve's ist 
ihm tollkommen identisch mit dem Reiche Davids; die Aufgaben, 
die er an dasselbe stellt, sind politischer Natur, etwa solche wie 
man sie gegenwärtige an das Türkenreich stellen müsste. Von 
Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Recht ist ihm 
nichts bewusst; das Recht an sich, das eigentliche juristische 
Recht , ist göttlich , die Autorität des Heiligen Israels steht 
dahinter. „Jenes Tages wird Jahve Sebaoth eine we^te Krone 
und ein henliches Diadem sein für den Rest seines Volkes, und 
ein Geist des Rechtes dem dei da sitzet zu Gericht, und ein 
Geist der Stärke denen die den Krieg über die Marken zurüek- 



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Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 441 

treiben" (28, 5. 6). Jahve ist ein wirklicher voller König, Öarum 
Gerechtigkeit seine Haupteigen schaft und seine Hauptforderung, 
Und diese Gerechtigkeit ist lediglich ein forenaer oder socialer 
Begriff; die Gerechtigkeit der Bergpredigt kann erst an die 
Reihe kommen, wenn die bürgerliche Eeehtsordnung selbstver- 
ständlich ist — was damals durchaus nicht der- Fall war, 

- Der Verweser Jahve's ist der meuschtiche König. Dem 
himmlischen Herrscher steht der irdische so wenig im Wege, 
dass er auch für das herrliche Reich der Zukunft nicht entbehrt 
werden kann. „Dann herrsehet nach dem Recht der König und 
die Fürsten regieren nach Gerechtigkeit; jeder wird wie ein 
Obdach vor dem Sturm, wie ein Schirm vor dem Wetter sein; 
gleich Wasserhächen in der Düri'e, wie Schatten eines wuchtigen 
Felsen im lechzenden Lande" (32, 1. 2). Da der vorhandene 
König gemeiniglich nicht gentlgt, so hofft Jesaia auf einen neuen, 
der dem Vorbilde des alten David entspreche, den Messias. 
„Dann spriesst ein Reis aus Isai's Stumpfe und ein Keim er- 
wächst aus seiner Wurzel, auf den wird Jahve's Geist sieh 
senken, ein Geist der Weisheit und Einsieht, ein Geist des Rats 
und des Kriegsmutes, ein Geist der Furcht und Kenntnis Gottes: 
sein Atmen geschieht in Jahve's Furcht. Nicht nach dem Schein 
der Augen wird er richten und nicht nach Hörensagen ent- 
scheiden; er wird mit Gerechtigkeit die Geringen richten und 
mit Billigkeit bescheiden die Niederen im Lande, aber den 
Frevler trifft er mit der Rute seines Mundes und mit dem Hauch 
seiner Lippen tötet er den Schuldigen, so dass Gerechtigkeit 
der Gurt seiner Lenden und Verlässigkeit der Gort seiner Hüften 
ist. Dann kehrt der Wolf beim Lamme ein und der Pardel la- 
gert beim Böcklein, Kalb und Löwenkatze fressen zusammen, 
ein kleiner Knabe hütet sie. Dann weidet Kuh und Bärin, ') 
bei einander lagera ihre Jungen, und der Löwe frisst Stroh wie 
das Rind; der Säugling streichelt der Natter Fühlhorn und nach 
des Basilisken Leuchte streckt ein Entwöhnter die Hand: kein 
Frevel geschieht und kein Unrecht auf meinem ganzen heiligen 
Berge". 11, 1—9. Man glaubt gewöhnlich, es sei hier ein all- 
gemeines goldenes Zeitalter auf Erden geweissagt, aber Jesaia 
redet bloss von dem heiligen Berge als Schauplatz, worunter er 

') Lftgarde's Emendation wird durch Isa, 65, 35 widerlegt. 



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442 Israel und das Judentum, Kap. IL 

die gaDze Stadt Davids als Mittelpunkt seines Reiches versteht. 
In Folge des gerechten und strengen Beginients des Davididen 
küssen sich Gerechtigkeit und Treue, kein Mächtiger wagt den 
Schwächeren zu beleidigen. Die Scheu vor der Strenge des 
Rechts bewirkt allgemeines Vertrauen, das Lamm fürchtet sieb 
nicht vor dem Wolfe, Der Gegensatz zu diesem Ideal ist die 
innere Rechtlosigkeit und Anarchie, nicht der äussere Krieg; 
die Hoffnung richtet sich nicht auf internationalen Frieden, wie 
sowohl aus V. 1 — 5 als auch aus v. 9 erhellt. Einfache Regenten- 
tugenden sind es, die den Messias schmücken; das ist wiederum 
bezeichnend iTir die Natur des Reiches, an dessen Spitze er 
steht, für den Begriff der Theokratie. 

Die anderen Propheten dieser Periode stimmen mit Jesaia 
überein (Lament, 4, 20), nur Hosea bewährt auch hier seine 
Eigentümlichkeit. Er scheint das Königtum als solches für ein 
Übel anzusehen, in mehr als einer Äusserung setzt er es in 
Gegensatz zur Herrschaft Jabve's. Aber man beachte, dass er 
sein Urteil durchaus auf geschichtliche Erfahrung gründet. Im 
Zehn stämmereich ward die oberste Gewalt immer wieder von 
Usurpatoren angemasst; statt der Hort der Ordnung und des 
Rechtes zu sein ward sie ein Spielball der Parteien, die Ursache 
einer ewigen Aufregung. Eben dies nordisraelitische Königtum 
hat Hosea vor Augen; und er bricht den Stab darüber aus keinem 
anderen Grunde als weil es sich in den dreihundert Jahren sei- 
nes Bestehens nicht erprobt hat und auch in der gegenwärtigen 
Not sich nicht erprobt. Von einer apriorischen Theorie geht er 
nicht aus, ein vor aller geschiehtliehen Entwickelung gegebenes 
Muster der theokratischen Verfassung legt er nicht als Mass an. 
Ohne Zweifel hat auch er noch keine Ahnung davon, dass die 
gottgewollte Form des Gemeinwesens am Sinai offenbart sei, 
nicht nach den Umständen sieh richte. ') 

4. Auch in der späterhin so sehr belieht gewordenen Form 
des Bundes hat die Theokratie nicht seit Mose existiert. Das 
Verhältnis Jabve's zu Israel war von Haus aus ein natürliches; 
kein zum Nachdenken geeignetes Zwischen trennte ihn von sei- 
nem Volke. Erst seitdem durch Syrer und Assyrer die Existenz 
Israels bedroht wurde, hoben Propheten wie Elias und Amos 
die Gottheit hoch über das Volk hinaus, zerschnitten das natUr- 
') Über Dayid und das jüdisclie Reich spricht er sogar günstig, aber ich 



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Die Tbcokratie iils Idee und als Anstalt. 443 

liebe BaDd zwieehen ihnen und setzten ein bedingtes und zwar 
sittlich bedingtes Verhältnis an die Stelle. Zu oberet war ihnen 
Jahve der Gott der Gerechtigkeit, Gott Israels erst in zweiter 
Linie und nur insofern, als Israel seinen Gereehtigkeitsansprüohen 
entsprach die er ihm aus Gnade offenbart hatte: sie drehten die 
hergebrachte, Anordnung dieser beiden Enndamentalartikel des 
Glaubens um. „Wenn eure Sünden wie Scharlach sind, sollen 
sie dann fUr weiss gelten wie Schnee? wenn sie sich röten wie 
Purpur, sollen sie dann wie Wolle sein? Wenn ihr folgt und 
gehorcht, so werdet ihr das Gute des Landes geuiessen; wenn 
ihr euch aber weigert und widerstrebt, so mlisst ihr das Schwert 
fressen,') denn der Mund Jahve's hat es gesagt." Dadurch nun 
trat die Natur und der Inhalt der Bedingungen, die Jahve an 
das Volk zu stellen hatte, in den Vordergrund der Betrachtung; 
die Thora Jahve's, die ursprünglich wie all sein Thun uuter den 
Begriff des Helfens, nämlieh des Keehtschaffens, des Weg- 
zeigens, der Lösung verwickelter Fragen, gefallen war, wurde 
jetzt aufgefasst als der Inbegriff seiner Forderungen, von deren 
Erfüllung seine Beziehung zu Israel alleine ahhing. Sachlich . 
entstand auf diese Weise, aus nahe liegenden Voraussetzungen, 
aber doch völlig neu, der Begriff des Bundes, d. i. des Vertrages. 
Der Name Berith aber findet sich bei den alten Propheten noch 
nicht, selbst nicht bei Hosea, der im Übrigen der Sache den 
schärfsten Ausdruck verleiht, durch sein Bild von der Ehe 
(Isa. 1, 21), Seine Unbekanntschaft mit dem technischen Sinne 
von Berith wird durch 2, 20 und 6, 7 so schlagend dargethan, 
dass sich darnach auch das Urteil über die (wahrscheinlich inter- 
polierte) Stelle 8, 1 wird richten müssen. 

Der Name Berith hat wahrscheinlich einen ganz anderen 
Ausgangspunkt. Die alten Hebräer hatten fUr Gesetz keine an- 
dere Vorstellung und keine andere Bezeichnung als die des 
Vertrages. Ein Gesetz wurde nur dadurch rechtskräftig, dass 
diejenigen denen es galt sich verpflichteten es zu halten. So 
geschieht es Exod. 24, 3—8, so 2. Reg. 23, 1—3, so noch Jer. 
34, 8ff. — merkwürdigerweise gerade so bei den Mekkanern 
zur Zeit Muhammeds (Ibn Hiseham S. 230ff.). Daher auch die 

halte alle solche Bezugnatmen bei Hosea (wie bei Arnos) für Interpola- 
tionen. In 1, 7 wird an die Rettung Jerusalems unter Hizkia gedacht, 
') Ibn Hiseham 409, 17. 



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444 Israel imd das Judentum, Kap. H. 

Bezeiebnung Sepher Berith sowohl für das jehoTistische als auch 
flir das deuteronomische Gfesetzbuch. 

Dieser Sprachgebrauch, Berith (d.i. Vertrag) fdv Gesetz, 
lies» sieh 'nun sehr bequem der prophetischen Grundidee an- 
passen und nach derselben deuten, wonach das Verhältnis 
Jahve's zu Israel bedingt war duröh die Forderungen seiner 
Gerechtigkeit, deren Inhalt durch sein Wort und seine Weisung 
explieiert wurde. Zufolge dessen wurden nun Jahve und Israel 
die Contrahenten des Bundes, dareh den ursprünglich die yer- 
schiedenen Vertreter des Volkes unter einander sieh verpflichtet 
hatten zur Haltung z. B. des deuteronomischen Gesetzes.') Seit 
dem feierlichen und folgenschweren Akte , durch den Josia 
dies Gesetz einführte, scheint die Idee der Bundsehliessung 
zwischen Jahve und Israel in den Mittelpunkt der religiösen 
Reflexion gerückt zu sein; sie herrecht im Deuteronomium, bei 
Jeremia, Ezeehiel, in Isa. 40—66, Lev. 17—26, und am meisten 
im Vierbundesbuehe. Ohne Zweifel hat das babylonische Exil, 
ebenso wie einst das assyrische, auch seinerseits 3azu beige- 
tragen, dass man sich mit dem Gedanken der Bedingtbeit umi 
der mögtiehen Lösung des Verhältnisses vertraut machte. 

II. 
1. Die Hütte Davids verfiel vollends, kein König ward ge- 
boren, der sie wieder aufrichtete. Für das Reich kam keine 
Krisis, sondern der Untergang. Das hatte die Wirkung, dass 
die religiösen Hoffnungen, sofern sie festgehalten wurden, sieh 
nicht mehr in den Grenzen gegebener Grundlagen hielten, son- 
dern nun einen freieren Flug nahmen und zumeist in's Unge- 
messene schwärmten. Früher war es stets ein bereits im Hinter- 
grunde drohender Feind, eine wirklieh heranriickehde Gefahr 
gewesen, wodurch die Erwartung eines grossen, durch reiehhche 
Ansammlung von Zündstoff im laueren längst vorbereiteten Bran- 
des erregt wurde — - seit dem Exil ward von einer allgemeinen 
Vereinigung Gott weiss welcher Völker gegen das Nene Jeru- 
salem [ihantasiert, zu der in Wirklichkeit durchaus kein Anlass 

') Diese Variation geschah um 'o leichter, als Berith z. B. auch von der 
Kapitulation steht , deren Bedingungen der Stärkere auferlegt ; eine 
Gleichberechtigung der contrahiereadfin Teile lag durchaus nicht im Be- 
griff der Berith. Vgl. die schwankende Vorstellung Jer. 34, 13. 18, 



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Die Theokratie als Idee nnd als Anstalt. 445 

vorhanden war. ') Sonst war der nationale Staat, wie er unter 
David bestanden hatte, das Ziel aller "Wilnaehe; jetzt ward eine 
universale WeltheiTschaft in Gedanken aufgerichtet, welche über 
den Trümmern der heidnischen Reiche sieh in Jerusalem erheben 
sollte. Die Prophetie verlor ihre geschichtliche Gebundenheit 
und ihren geschichtlichen Halt. 

Aber den excentrischen Hoffnungen, die man auf Jahve 
setzte, ward auf der anderen Seite dureb nüchterne und realisier- 
bare Ziele, die im Zusammenhange damit den Mensehen gestellt 
wurden, die Wage gehalten. Denen die auf den Trost Israels 
warteten, stellte damals die Situation praktische Aufgaben. Die 
alten Propheten begnügten sieh mit dem Aussprechen ihrer Ideen, 
mit der Kritik der bestehenden Schäden; thatsächlich hatten sie 
nichts zu sagen, die wirkliche Leitung des Volkes war iu an- 
deren Händen. Nachdem nun aber mit dem alten Gemeinwesen 
auch seine Häupter gestürzt waren, konnten und mussten sich 
die Frommen au die Spitze des neu zu schaffenden Israel stellen, 
das sie seit lange erstrebten und woran sie auch jetzt noch den 
Glauben festhielten. Ehedem war das Volk nicht so ernsthaft 
bedroht gewesen, dass nicht sein Fortleben, trotz der durchzu- 
machenden gefährlichen Krisis, als eine natttrliehe und selbst- 
verständliche Sache hätte betrachtet werden können. Jetzt aber 
war das nicht mehr selbstverständlich, die Gefahr lag sehr nahe, 
dass die judäischen Exulanten, ebenso wie vor ihnen die sama- 
rischen, absorbiert würden von den Heiden unter denen sie 
lebten. Damit würden auch die messianisohen Hoffnungen ihren 
Ansatzpunkt verloren haben, denn mochte ihre Verwirklichung 
noch 80 sehr Sache Jahve's sein, so mussten doch die Menschen 
da-bleiben, an denen sie erfüllt werden sollten. Es kam also 
alles darauf an, jetzt den heiligen Rest hinüberzuretten , ihn so 
fest zu organisieren , dass er als Träger der Verheissung die 
Stürme der Zwischenzeit überdauern konnte. 

Aber das alte Gemeinwesen, sowie es früher gewesen war, 
stand bei denen' die bei der Restauration massgebend waren, in 
keinem guten Andenken, da sie ja dem verwerfenden Urteile 
Jahve's, das er durch den Mund seiner Knechte und durch die 
Geschichte ausgesprochen hatte, Kecht geben mussten. Man 

') Ezecli. 38. 39. !sa. 66, 18—24. Jo. 4. Zach. 12. 14. "in Isa. 5, 2G dagegen 
iat äelbstveratäEdlich ilJ statt Qi^ zu lesen, der Singular statt des Plurals. 



446 Israel und lias Judentum, Kap. 1!. 

beherzigte die ÄusBeningen der PropbeteT), dase Festungen und 
Rosse und Kriegsieute, dass Könige und Flireten niclit hülfen, 
und machte praktische Grundsätze daraus; man wollte Ernst 
machen mit der alleinigen Herrschaft Jahve's. Dabei ward man 
Ton den Umständen begünstigt: und das war die Hauptsache. 
Denn nach Lage der Dinge war damals an die Wiedereinrich- 
tung eines wirklichen Staates nicht zu denken; die Fremdherr- 
Bchaft lieee eine solche nicht zu (Esdr. 4, 19ff.). Woran sollte 
man sieh nun halten, woher die Mittel nehmen zu dem Notbau? 
Die prophetischen Ideen langten nicht als Bausteine, ihnen ging 
die praktische Verwendbarkeit ab. Da zeigte sieh die Wichtig- 
keit der Institutionen, der traditionellen Formen, für die Conser- 
vierung auch des geistigen Gehalts der Eeligion. 

Der judäisehe Reichstempei hatte früh die übrigen Heilig- 
tümer überflügelt und ihnen im Lauf des siebenten Jahrhunderts 
ToUends die Luft geraubt. Unter dem Schatten des Königtumes 
waren die Priester von Jerusalem gross geworden und hatten 
zuletzt ihren Standesgenossen gegenüber eine ausscbliesslieh be- 
rechtigte Stellung erlangt. Je schwächer der Staat wurde, je 
tiefer er seit Josia's Falle sank, desto höher stieg das Ansehen 
des Tempels beim Volke, desto bedeutender und selbständiger 
ward die Macht seiner zahlreichen Priestersehaft: wie viel fühl- 
barer macht sie sich zu Jeremia's als zu Jesaia's Zeiten! Dem 
entspricht ein unverkennbarer Aufschwung, den der Cultus im 
siebenten Jahrhundert genommen hat, gefördert eher als ge- 
hemmt durch die so übel beleumdete lange Regierung Manasse's. 
Derselbe zeigt eich nieht bloss in der Einführung luxuriöseren 
Materials, z. B. des Weihrauchs, sondern noch mehr in der Be- 
vorzugung schwerer und bedeutsamer Leistungen, z. B, der 
Kinder- und der Sühnopfer. Auch als die wüsten Greuel be- 
seitigt wurden, blieb doch der blutige Ernst, mit dem man jetzt 
die Ausübung des Gottesdienstes nahm. 

So eng war der jerusalemisebe Cultus mit dem Bewussteein 
des jüdischen Volkes verwachsen, so fest hatt'e der Stand der 
Priester sich consolidiert , dass nachdem das Reich zusammen- 
gebrochen war, hier die Elemente sieh erhielten zur Neubildung 
einer „Gemeinde", wie sie den Umständen und den Bedürfnissen 
entsprach. An dem in Tvümmeni liegenden Heiligtum richtete 
sieh die Gemeinde wieder auf (1. Reg. 8. Hagg. If, Zach. Iff.). 



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Die Tbeotratie als Idee und als Anstalt. 447 

Die Bräuehe und Ordnungen wurden, wenn auch im Einzelnen 
überall umgebildet, so doch im Ganzen nicht neu geschaffen; 

das Schöpferische lag darin,. dass sie zu einem System verbun- 
den und als Mittel zur Herstellung einer Organisation „des 
Restes" verwandt wurden, 

Ezeehiel hat auerst den Weg eingesehlagen, auf den die 
Zeit wies. Er ist das Mittelglied zwischen Prophetie und Gesetz. 
Er will Prophet sein, er geht in der That von prophetischen Ge- 
danken aus: aber es sind nicht seine eigenen, sondern die seiner 
Vorgänger, die er dogmatisiert. Von Natur ist er ein Priester, 
und sein eigenstes Verdienst ist, dass er die Seele der Prophetie . 
eingeschlossen hat in den Körper eines auf den Tempel und den , 
Cultus begründeten, unpolitischen Gemeinwesens. Die Kapitel 
40 — 48 sind die wichtigsten seines Biiehes, welches von J, Orth 
nicht unrichtig als der SehlSssel des Alten Testaments bezeichnet 
worden ist. 

Es entstand jenes künstliche Produkt, die heilige Verfassung 
des Judentums. Ihr ausgeführtes Bild haben wir im Priester- 
codex. ') Der Unterschied, den man zwischen der mosaischen 
Theokratie und der uachesilisehen Hierokratie zu machen sieh 
anstrengt, ist zu fein. Theokratie als Verfassung ist Hierokratie. 
Hat Mose eine solche Verfassung gestiftet, so hat er es als Pro- 
phet gethan, im Hinblick auf Verhältnisse wie sie tausend Jahre 
nach ihm eintraten (S. ITOf. 284f.). Das alte Israel war noch 
nicht üusammengeschrumpft auf eine religiöse Gemeinde; das 
öffentliche Leben ging nicht auf im Dienste des Heiligen, der 
Hohepriester und die Wohnung Jahve's war nicht das Centrum 
um das sich alles drehte (S. 177—237). Das ist erst anders ge- 
worden durch die Vernichtung der politischen Existenz zuerst 
Samariens, dann Juda's. Dadurch ward das Volk „ein Reich 
von Priestern und ein heiliges Volk", wie Exod. 19,6 in einem 
deuteronomistischen Stücke gesagt wird. Wenn früher die 
Gotteshei-rechaft ein Glaube war, an dem die natürlichen Ord- 
nungen der menschlichen Gesellschaft ihren Halt hatten, so ward 

') Die Hierokratie beruht keineswegs auf dem Priestercodex, er ward erst 
eingeführt, nachdem jene faktisch schon bestand. Zunächst wird er ge- 



1 ihrer weitereu Befestigung und Legalisierung beigetragen h 
Nachträglich hat das schriftliche Gesetz die Herrschaft der Priester 
untergraben und das Heft den Schriftgelehrtea und Pharisäern in die 
Hände gespielt. — Vgl. übrigens die Parsi's, die Sabier, und S. 157 ')■ 



Goi,>t|c 



448 Israel und das Judentum, Kap. 1 1. 

eie jetzt als Gottesstaat sielitbarlich dargestellt, in einer ihr 
eigentiimliehen kilustliehen Sphäre, die das gewöhnliche Volks- 
leben Überstieg. Die Idee, die früher den natürlichen Körper 
durchdrungen hatte, sollte jetzt, um recht eigentlich realisiert 
7,u werden, ihren eigenen heiligen Körper bähen. Ein materieller, 
äusserlicher Gegensatz von Heilig und Profan entstand und er- 
fttllte die Geister; mau war bestrebt die Grenzen aufs schärfste 
zu ziehen und das Naturgebiet immer weiter zurückzudrängen. 
Die Heiligkeit ist bei Ezechiel, in Lev. 17—26, und im Priester- 
codex das herrschende Ideal. Es ist ein in sieh ziemlieh leerer, 
hauptsächlich antithetischer Begriff; ursprflnglieh gleichbedeu- 
, tend mit göttlich wird er jetzt vorzugsweise im Sinne von geist- 
lich, priesterlich angewandt, als sei das Göttliche dem Welt- 
liehen, Natürlichen durch äusserliche Merkmale entgegengesetzt. 
Die mosaische Theokratie, das Residuum eines untergegan- 
genen Staates, ist seihst kein Staat, sondern ein unter ungün- 
stigen Bedingungen durch eine ewig merkwürdige Energie ge- 
schaffenes, unpolitisches Kunstprodukt; sie hat die Fremdherr- 
schaft zur notwendigen Ergänzung. Sie ist ihrem Wesen nach 
der altkathoiisehen Kirche näehstrerwandt, deren Mutter sie in 
der That gewesen ist. Ästhetisch anstössig mag es sein wenn 
man von der jüdischen Kirche redet, historisch unrichtig ist es 
nicht, und insofern wäre es am Ende vorzuziehen, als hinter dem 
Namen Theokratie sich die Oonfusion verbergen kann. 

2. In der mosaischen Theokratie scheint sich ein gewaltiger 
Rückschritt vollzogen zu haben. Jahve's Gesetz bedeutet die 
Eigentümlichkeit seines Volkes gegenüber den Heiden. Diese 
lag nun in Wahrheit nicht im Cultus; es wäre vergebliehe Mühe, 
diese und jene Nuance der hebräischen und der griechischen 
Riten zu einer principiellen Differenz aufzubausehen. Der Cultus 
ist das heidnische Element in der israelitischen Religion — wo- 
bei heidnisch durchaus nicht in einem unedlen und schlechten 
Sinne genommen werden soll. Wenn er nun im Priestercodex 
zur Hauptsache gemacht wird, so scheint das einem systema- 
tischen Rückfall in das Heidentum gleichzukommen, welches die 
Propheten unausgesetzt bekämpften und doch nicht entwurzeln 
konnten. Man wird zugestelien können, dass bei der Con- 
stituierung des Neuen Jerusalem die prophetischen Antriebe 
durch eine vorhandene natürliche Richtung der Masse, auf die 



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Die Theokratie als Idee und als Anstalt. 449 

sie wirkten, umgebogen wurden. Aber überall spiivt man doch 
in dem gesetzlichen Gottesdienste auf das entseliiedenste ihren 
Einfluss. "Wir haben gesehen, wie sehr derselbe überall die Ein- 
wirkung der Centralisation erkennen lässt. Diese wird zwar 
im Priestercodex nicht in Verbindung gesetzt mit der Bekämpfung 
ungehörigen oder fremden Gottesdienstes, aber sie ist doch nur 
als polemische Massregel zu begreifen ; und wenn sie als natur- 
notwendiges Axiom betrachtet wird, so bedeutet das den voll- 
kommensten Sieg prophetischer Forderungen auf einem Felde, 
wo ihnen die schwersten Hindernisse entgegenstanden. Die 
exelusive Monolatrie ist auf keine Weise dem Cultus angeboren, 
sie lässt sich nur ableiten aus Rücksichten die seiner Natur 
fremd sind, sie ist das Gegenbild des strengen Monotheismus. 
Auch die bildlose Verehrung der Gottheit wird zwar nicht be- 
sonders eingeschärft wie im Deuteronomium, ist aber ron ganz 
selbstverständlicher Geltung und ihrer selbst so sicher, dass sie 
auch zweifelhafte und widerstrebende Elemente ohne Gefahr in 
sich aufnimmt und assimiliert. Das goldene Ephod, gegen das 
Jesaia eifert, ist zu einem bedeutungslosen Sebmuek des Hohen- 
priesters geworden ; Talismane , die noch Ezechiel verbietet, 
werden erlaubt (Num. 15, 37—41), aber sie dienen dazu, „dass 
mau sich erinnere aller Gebote Jahve's und sie thue und nicht 
nachsehweife seinem Herzen und seinen Äugen, deren GelUsten 
man ehedem nachgehurt hat". Der krasse Götzendienst, von 
dem sonst immer der Ausdruck n:i gebraucht wird, steht schon 
aaseer Frage; das eigene Herz und sein ungebundenes Streben 
ist der fremde Gott dessen Dienst verboten wird, 

Man kann weiter gehen und sagen, dass der Cultus durch 
die Cultusgesetzgebung seinem eigenen Wesen entfremdet, in 
sich selber überwunden "wurde. Bei den Festen zeigt sich das 
am sichtbarlichsten. Sie haben ihre Beziehung zur Ernte und 
zur Viehzucht verloren und sind zu historieeben Erinueriings- 
feiern geworden; sie verleugnen ihre Herkunft aus der Natur 
und feiern die Stiftung der übernatürlichen Religion und der 
darauf bezüglichen Gnadenthaten Jahve's, Das allgemein Meneeh- 
liebe, das Freiwüchsige geht davon, sie bekommen einen statu- 
tarischen Charakter und eine specifisch israelitische Bedeutung. 
Bei den Opfern steht es nicht anders. Sie ziehen nicht mehr 
die Gottheit, bei allen wichtigen Anlässen, hinein ins irdische 



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450 Israel und das Judentum, Kap. 11, 

Leben, dass sie teilnehme an dessen Freuden und Nöten; es 
sind iieine menschlichen Versuche mit naiven Mitteln ihr 
etwas zu gut zu thuu und sie geneigt zu stimmen, Sie sind 
der natürlichen Sphäre entrUckt und zu göttlichen Gnaden- 
mitteln geworden, die Jahve in Israel, als Sakramente der 
Theokratie, eingesetzt hat. Man glaubt ihm nicht mit dem In- 
halt der Gabe eine Freude und einen Genuas zu bereiten; was 
ihm wohlgefällt und was Wirkung hat, ist nur die strikte Aus- 
führung des Ritus. Genau nach Vorschrift müssen die Opfer 
dargebracht werden, am richtigen Orte, zur richtigen Zeit, von 
den richtigen Personen, in der richtigen Weise. Sie gründen 
sich nicht auf den inneren Wert der Sache, auf den Antrieb 
frischer Anlässe, sondern auf den positiven, alle Einzelheiten 
ordnenden Befehl eines objektiven, unmotivierten Willens. Das 
Band zwischen Cultus und Sinuliohkeit ist zerschnitten; die Ge- 
fahr der Einmischung unlauterer, unsittlicher Elemente, die im 
hebräischen Altertum stets vorhanden war, kann gar nicht mehr 
aufkommen. Aus innerem Trieb erwächst der Cultus nicht mehr, 
er ist eine Übung der Gottseligkeit geworden. Er hat keine 
natürliche, sondern eine transcendente , unvergleichliche und 
unangebhare Bedeutung; seine Hauptwirkung, die auch immer 
sicher hervorgebracht wird, ist die Sühne. Denn seit dem Exil 
ward das Sündenbewuestsein, welches durch die Verwerfung des 
Volkes von Jahve's Angesicht hervorgebracht war, gewisser- 
massen permanent; auch als der Frondienst erfüllt und der Zorn 
eigentlich verraucht war, wollte es nicht weichen. 

Wenn nun das Wertvolle hei den heiligen Darbringungen 
nicht in ihnen selber, sondern in dem Gehorsam gegen Gottes 
Vorschriften lag, so ward der Schwerpunkt des Cultus aus ihm 
selber heraus und in ein fremdes Gebiet, das der Moral, hinein 
verlegt. Die Folge war, dass die Opfer uud Gaben zurücktraten 
hinter ascetischen Leistungen, die mit der Moral in noch 
engerer und einfacherer Verbindung standen. Vorschriften, die 
ursprünglich grösstenteils behufs der Heiligung der Priester zu 
ihren gottes dien st liehen Funktionen gegeben waren, wurden auf 
die Laien ausgedehnt; die Beobachtung dieser Gebote der leib- 
liehen Keinigkeit war von weit durchgreifenderer Wichtigkeit 
im Judentum als der grosse öffentliche Cultus und führte auf 
dem geradesten Wege dem theokrati sehen Ideal der Heiligkeit 



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Die Theokratie ah Idee und aXs Anstalt. 451 

und des allgemeinen Priestertumes zu. Das ganze Leben ward 
in eine gewiesene heilige Bahn eingeengt, iodem man dadurch, 

dasa es stets ein göttliches Gebot zu erfüllen gab, abgehalten 
wurde seinen eigenen Herzensgedaiiken und -gehlsten nachzu- 
sehweifen. Auf der anderen Seite wurde durch diesen kleinen, 
immerdar in Anspruch nehmenden Privateultus das Siindengefühl 
des Einzelnen wach und rege gehalten. 

Der grosse Patholog des Judentumes hat ganz Recht: in 
der mosaischen Theokratie ist der Cultus zu einem pädagogischen 
Zuchtmittel geworden. Dem Herzen ist er entfremdet; wäre 
er nicht alte Sitte geweseu, so würde er aus sieh selber nie 
mehr emporgeblUht sein. Er wurzelt nicht mehr in dem naiven 
Sinn; ef ist ein totes Werk, trotz aller Wichtigkeit, ja gerade 
wegen der Peinlichkeit und Gewissenhaftigkeit, womit er ge- 
nommen wurde. Bei der Restauration des Judentums sind die 
alten Bräuehe zusammengeflickt zu einem neuen System, weiches 
aber nur als Form diente zur Aufbewahrung eines edlereu In- 
halts, der anders als in einer so engen, alle fremden Einflüsse 
schroff abhaltenden Schale nicht hätte gerettet werden können. 
Das Heidentum in Israel, gegen welches die Propheten verge- 
bens protestierten, ist auf seinem eigenen Gebiete vom Gesetz 
innerlich überwunden, und der ^^ultus, nachdem die Natur darin 
ertötet worden, zu einem Panzer des supranaturalistischen Mono- 
theismus gemacht. 



Inhaltsübersicht 



nl tng ItdaG t Äusgan pu tt fn die Gesühiehte dos alten 

i i Jdtmi'Ltt Mlhkt wird durch die Geachichte 

n II ht n nh n abg hn tt a (. imde sie in Erwägung zu 

D W tt Cj g ■Vaik E f (, 1). Die drei Schichten des 

h D Ute n n n P e te od x J ho t (S. 6). Um den Priester- 

ud n g h htl h St 1) ha d It ich. Metiode der ünter- 



A. beschichte des Caltns. 

Kap. 1, Der Ort des Gottesdienstes. I. Die hi stör, und proph. Bücher 
ergeben für das hebr. Altertum keine Spur Yon einem ausschliesslich berech- 
tigten Heiligtume (S. 17). Die Polemik der Propheten gegen die Cultusstätten. 
Der Fall Samariens. Josia's Reformation (S. ä3). Einfluss des babyl Exils 
(S. 28). II. Der JehoTiat (JE) sanktioniert die Vielheit der Altäre (S. 29). Daa 
Denteronomium (D) fordert die lokale Einheit des Gottesdienstes (S. 33). Der 
Priestercodex (RQ) setzt sie voraus und überträgt sie mittelst der Stiftshütte 
in die Urzeit (S. 35). HI. Die Stiftshätte als Oentralheiligtum und Obdach der 
Lade ist in der historischen Überlieferung nirgend aufzufinden (S. 40). Unhalt^ 
barkeit der Ansicht Nöldeke's (S. 47). 

Kap. 2. Die Opfer. I. Das Ritual ist nach EQ Hauptgegenstand der 
mosaischen Gesetzgebung, nach JE Tormosaischer Gebrauch; nach EQ kommt 
es auf das Wie, nach JE und D auf das Wem an (S. 54). Mit JE stimmen 
die histor. Bücher, gegen RQ zeugen die Propheten (S. 58) bis auf Ezechiel 
(S. G2). II. Matorielle Neuerungen von RQ. Vorbemerkungen über Begri^ 
Inhalt, Applicierung, sühnende Wirkung der Opfer (S. 63). Materielle und 
geistige Verfeinerung der Opfergaben in BQ (S. 66). Das Mahlopfer tritt zurück 
hinter dem Holokaustum (S. 72J. Ausbildung der Sühnopfar (S. 75). III. Durch 
die Centralisierung des Cultus in Jerusalem ist die Verbindung des Opfers mit 
den natürlichen Anlässen des Lebens zerstört und es hat seinen ursprünglichen 
Charakier verloren (S. 79). 

Kap. 3. Die Feste. I. In JE und D herrscht ein Turnus von drei 
Festen; Ostern und Pfingsten feiern den Anfang und das Ende des Saaten: 
Schnitts, daa Herbstfest die Lese und daa Einheimsen des Korns von der Tenne. 



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Inhaltsübersicht. 453 

Mit dem Fest dps Beginns der Mahd (Maasoth) ist be& iideis in F das le t 
der Offening der männlichen Erstgeburten des Viehs (Pesal ) \erbundea. (S 85) 
Die Feste basieren auf der Darbnngunff der Apavchen von den Fruchten des 
teldes und der Heerde Bedeutung des Landes unl des Ackerbaues für die 
Religion (S 9i) II In ien historischen und piopheti chen Buchern lat nur 
das Herhstfest deutlich lezeugt das auch in 3h ind D das wichtigste ist von 
den ubngen finden sich nur schwache ''puren (b 96) Aber die Natur der 
Feste ist die gleiche nie in JE und D (& 99) III In RQ haben die Feste 
ihre Beziehung, zur Ernte md zu den Aparchen vo'loren unl ind dadirrh im 
Wesen umgewandelt (S 102) Die MelamorjihOsL ist dlir h die Centralisation 
des GuHus bewirkt und lässt sich über Deuteron" miuni ini bzechiel zu HQ 
hmab verfolgen (S 108) Zu den drei Festen knmmt m RtJ 1er grosse Ver 
sohnungbtag bin^u entslanden au den Festtagen de'i £xils Änderung des 
Jahresanfangs unl ler Monatsbezei hnung in RQ (S 112) 1\ Der Sabbath, 
zusammenhilngen 1 mit dem Neumond ist urapranglii-h ein lunariai,her Feier 
tag Uber^pai niing ier Ruhef ir lerunff in RQ ("i llß) Sabbath und Jobel 
Jahr CS 121) 

Kap 4 Die Priester md Le\iten I hach Ez 44 sollen im Neuen 
Jerusalem nur he Levilen tou Jerusalem die S tne Sadoks Pne ter I leihen 
die ubngen Leviten aber zu ihren Dienern degridiort und ihres Pnestetrechts 
entkleidet werden hach RQ haben die Leviten nie Pneslenecht gehabt son 
dem immer nur die Sohne Aharons (S 125) wekhe den S hnen Sadoks ent 
sprechen {& 129) U in der ältesten Periode der Ge thichle Isr'ieh findet 
sah die Scheidung ron Klerus und Laien nicht Schlachten und opfern darf 
leder Beruf spriee ter fungieren nur an grisseren Heiligtiiiiiem Priesterfamihen 
zu bilo Uüd zu Dan Keine Absonderung des Heiligen z B der Lade (S HI) 
Die Reiohstempol der Koni(,e Priester daian ils konigl Beamte (1 BG) Be 
deutung der nordisraelitisehen Pnesterschatt m der Koni^szeit (S 16S) Die 
Familie badok zu Jerusalem (S 143) III In dem ältesten Teile von JE kern 
meu keine Prie'ster vor kein AUron neben Mo e (S 1451 In D sinl die Le 
Titen Priester Als solche kommen sie ihgoseben VDn lud I8f orst in der 
exihschen Literatur lor Ihre Abst'immung von Mose odei Aharon Der geist 
lithe Stamm Levi unl der weltliche Stamm Levi Schwierigkeit sie zusammen 
zubnngen (& 146) Confolidierung des geisll rhen Stammes in BQ Scheidung 
der Leviten und der Priester Fortentwi kelung des nach^-^iliscben Kien a 
Der Hohepnester ah das Haupt der Theokratie (S l'il) 

Kap 5 Die Ausstattung dts Klern= I Die Optergefälle werden in 
RQ gesteigert (8 159), die Apirchen werden Abgaben an die Priester und 
dabei noch verdoppelt (S 161) II Levitenstadte (S 165) Die historische 
"Mtuation welche den Priesteranspruch en in RQ zu Grunde hegt (S 171) 

B. Geschichte der Tradition 

Kap 6 Die Lhronik I DaviJ mrd ohne sein Zuthun der Nachfolger 
=!auls ganz Israel ist von vornherein auf seiner ^eito namentlich die Priester 
und Leviten Entstellung des urspr Berichtes aber die Überfuhrung der Lade 



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454 Inhalts Übersicht. 

nach JomsKlera. Auslassung der nicht erbaulichen Züge im Leben Davidg 
(S. 178). Vorbereitung des Tempelbaues. Schwelgen des Erzählers in Zahlen 
und Namen, in geistlichen Zuthaten. Widerspruch gegen 1. Beg. 1. 2. Das 
Bild Davids in der Chronik {S. 185), Salomo's Opfer bei der Stittshütte zu 
Gibeon. Der Tempelbau. Eetouchierung des Originalberichtes (S. 189). 
II. Beurteilung des Verhältnisses tou Juda und Israel; die Israeliten gehören 
nicht zum Tempel und also nicht zur Theokrafie (S. 195). r.evitische Ideali- 
sierung Juda's, Auffassung der im Buche der Könige getadelten und der ge- 
lobten Massnahmen der Herrscher im Tempelcultus. Conflikte mit der Erzäh- 
lung der Quelle, Eintragung der Priester und Leviten (S. 198). Der göttliche 
Pragmatismus der heiligen Geschichte und seine Ausgeburten (S. 211). Durch- 
schimmern des Buches der Könige (S, 219). III. Die genealogischen Verzeich- 
nisse von 1. Chr. 1—9. Die zehn Stämme (S. 219). Juda und Levi (S. 234). 
Die Chronik hat für die vorexil. Zeit keine anderen Quellen zu benutzen ge- 
habt als die auch uns im Kanon erhaltenen historischen Bücher, Die Ver 
schiedenheit der historischen Gesamtanschauung erilärt sich aus dem Einfiuss 
des Gesetzes, bes. des Priestercodes. Der Midrasch (S. 231). 

Kap. 7. Richter Samuelis und Könige. I. Schematische Bearbeitung 
des Richi«rbuchs, chronologischer und religiöser Natur (S. 238), Verhältnis 
derselben zum Stock der Ob erlief erung. Jud. 19—21 (S. 242). OelegentJiche 
Zusätze zu den nrsprängl. Erzählungen (S. 247). Geistige Abstufung der lezte- 
ron (8. 250). II. Die chronologische und reiigiöse Schematik im Buche Sa- 
muelis (S. 256). Durchgreifende Umgestaltung der Geschichten über die Ent- 
stehung Ües Königtums, über die Erhebung Saula (S. 259). Sauls Verhältnis 
m Samuel (S. 2G8). Davids Jngendgeschichte. Samuels Auffassung ist der 
Gradmesser für den Stand der Geschichte der Tradition. Saul und David 
(S. 274). III. Die letzte religiös-chronologische Bearbeitung des Buches der 
Könige, Ihre Gleichartigkeit mit der der beiden früheren Bücher. Ihr 
judäischer und zwar dcuterono mistisch er Standpunkt. Ihr Verhältnis zu dem 
überlieferten Stoff (S. 285. 294). Unterschiede in der Haltung der Quellen 
(S. 300), In der Chronik wird die Geschichte des alten Israel nach Massgabe 
des Priestercodes umgedichtet, in den älteren historischen Büchern wird sie 
nach der Norm des Deuteronomiums verurteilt 8. 308). 

Kap. 8. Die Erzählung des Hexateucbs. L Geneais 1 und Gen. 2. 
3 CS. 312). Gen. 4—11 <S. 325). Die Urgeschichte in JE und in in Q (S. 331). 
n. Die Patriarchengeschichte in JE (S. 336) und in Q (8. 346. 356). III. Die 
mosaische Geschichte in JE und Q (S. 362). Vergleichnng der einzelnen Er- 
zählungen (S. 372). Schluss (S. 383). 

G. Israel und das Judentam. 

Kap. 9. Abschluss der Kritik des Gesetzes. I. Das \elo der kn 
tischen Analyse (S. 391). Die historischeu Voraussetzungen des Deuteronoroiuma 
(S. 392). Die deuteronomistische Redaktion erstreckt sich mcht über den 
Priestercodex (S, 397). II, Die Endredaktion des Hesateuehs geht vom Priester 
codex ans, irie aus Lev. 17ff. erhellt (S. 398). Untersuchung von Lev. 26 



vGooqIc 



Inhaltsübersicht, 455 

(S. 403}. R lässt sieh historisch nicht Ton RQ trennen (S. 408). III. Die 
Sprache des Prieatercodex (S. 409). 

K^p in Die mündliche und die schriftliche Thora I. Kein 
geschriehenes (Teaftz im alten, Israel Über ien Dekalop' und das Cj ethe'sche 
Zw tafeicesetz (fa 41f) Dip Thori Jabves im Minde der Priesle und der 
Propheten (S 417) Aufla uns; der Offenbarung I ei leremia Zacharia, dem 
Verfasser von Jes 40— br (S 423) II I'as Leuteronomium war das erste 
eigentliche (jcßetz Sem Durchdnngen. im EtiI Ende der Prophetie (S. 42G). 
Ergänzung der reformierenden durch die restaurierende Gesetzgebung Codi- 
fikatinn uni faystematisierung der C iltusbrauche durch Ezecliel und seine 
Nachfolger Der Priestercodei Eingefahrt durch Ezra (S 429) Die Thora 
die Grundlage des Kanons Erweiterung les uriprunElich an der Tho -a haften- 
deü Begriffes auf andere BuLher (S 434) 

Kap 11 Die Theokratie als Idee und als Anstalt. I, Frische und 
Naturlifhlteit der alten israel Ge''chichte {S 4SG) Entstehung des Staates, 
Beziehung der Rehgion und der Gottheit auf dai Leben de' Staates und der 
Nation (b 437) Die messianische Theokratie der älteren Propheten ^erlasst 
mcht die m dem wirklichen Gemeinwesen der Gegenwart gegebenen Grund 
lagen {^ 4^9) Die Idee des Bundes [S 443) II Die Gründung der theokra 
tischen Verfassung unter der Fremdhen schaff i.^ 444) Ttis Gesetz und die 
Propheten (S. 448). 



Berichtigungen, 

3,20: über Saul statt TOn Sauf. 3,28: der übrigen Literatur statt der 
Literatur. 30,34: das mittlere Vau in dem hebräischen Worte del. 49,20: 
2, Reg. 18, 22 statt 2. Reg. 22. 70, 19: in 2. Marc, 2, 5 fehlt der goldene Tisch, 
in Ant. XIV 4,4 der goldene Altar, 96,37: nicht dem heidnischen statt nicht 
in dem heidnischen, 154,43; Vau statt Jod [Leyi). 305,23: verwischt statt 
vermischt. 836,9: eingetragen statt angetragen. 336,18; Tod statt Tot. 
343,10; eingenommen statt angenommen. 364, 2G; seiner statt seine. 365,39. 
40: Kap. 12— 26 statt 12^27, nnd Kap. 27 ff. statt 28fF. 390,8: des Wirk- 
lichen, statt der Wirklichen. 413,20: die beiden hehr. Worte sind umzustellen. 
4l9,30: Schoosse statt Schlosse, 419,33; vorausgesetzt dass Märe Fremdwort 
ist. 444,27; es ist natürlich kein Widerspruch hiegegen, dass nachdem das 
Reich Jahve's zerstört und sein Land verwüstet war, der Bund das Band 
wurde, woran das Volk sich hielt, nachdem der bisherige Grund unter seinen 
Füssen gewichen war. 



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