Google
This ıs a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before ıt was carefully scanned by Google as part of a project
to make the world’s books discoverable online.
It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover.
Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear ın this file - a reminder of this book’s long journey from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google ıs proud to partner with lıbraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text ıs helpful, please contact us. We encourage the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users ın other
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance ın Google Book Search means it can be used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe.
About Google Book Search
Google’s mission is to organıze the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web
atihttp: //books.gooqle.com/
Google
Über dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen ın den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google ım
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun Öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ıst. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die ım Originalband enthalten sind, finden sich auch ın dieser Datei — eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nutzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ıst, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sıe das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer ın anderen Ländern Öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es ın jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie ım Internet unter|lhttp: //books.google.comldurchsuchen.
Didkized by Google
2
Digitized by Google
Digitized by Google
Digitized by Google
Hiſtoriſche
philologiſche Vorträge,
an der Univerſität zu Bonn gehalten
von
B. G. Niebuhr.
Zweite Abcheilung:
Alte Geſchichie nach alte & Folge mit Ausſchluß
der roͤmiſchen Geſchichte.
Berlin.
Druck und Verlag von G. Reimer.
1848.
Vorträge
über
alte Geſchichte,
an der Univerſität zu Bonn gehalten
von
B. G. Niebuhr.
Herausgegeben
von
M. Rich hr.- ee,
“ .os
eo 00? “oo. U)
- Pa
PweT Tr) E] *
Zweiter Band:
Griechenland bis zur Niederlage des Agis bei Megalopolis. Sicilien’s
Primordien. Der Orient bis zum Tode Alexander's bes Großen.
Hhilipp und Alexander von Makedonien.
Berlin
Drud und Berlag von ©. Reimer.
1848,
Vorwort.
Die Berzögerung in ber Herausgabe dieſes Bandes ber
Borträge Niebuhr's ift bereits in der Vorrede zum erſten
Baude erklärt und entſchuldigt.
Auch bei diefem Bande hat ber Heransgcher dem
Hrn. Fr. Spirs für wirkfame Hülfe zu danken. Der-
felbe. hat die Collation der Hefte für die Vorlefungen von
1825 unb von 1829/30 gemacht; feine gewiffenhafte
Arbeit. Bat dem Herausgeber weſentlichen Ruben geleiftet.
Kine gleiche Hülfe gewährt derfelbe auch für den Dritten
Band. Die Redaction bat der Herausgeber für dieſen
Band ohne Hülfe ausführen können, und wird Dies auch
für. deu dritten Band zu Teiften im Stande fein.
Manche Mängel der Arbeit wird nur Der dem
Herausgeber verzeihen, der felbft einmal in Rom ges
arbeitet hat,
Ueber die Benugung der Vorleſungen von 1825 ift
bier noch ein Wort zu fagen. Sie gehen theilweife fehr
in Einzelnheiten ein, - mid die Darftellung in denfelben
trägt weniger den Charakter einer allgemem menfchlichen
Auffaffung als die der Vorlefungen von 18236 und 1829/30,
Es konnte daher die Furcht entſtehen durch Aufnahme der⸗
VI Vorwort.
felben in den Text der Vorträge von 1829/30 den Cha⸗
vafter der letzteren zu flören und der griechifchen Gefchichte
eine unverhältnigmägige Specialität zu geben, es Tonnute
fraglich werben ob nicht Alles, was aus jenen Borlefun-
gen zu benugen war, in Noten und Anhängen zu geben
ſei. Indeſſen glaubt der Herausgeber dadurch genug ge⸗
than zu haben, daß er alle Unterfuchungen über einzelne
Puncte, fo wie alles Epifodenartige und mande einzelne
zu fpectelle Erzählung in die Anmerkungen gebracht hat.
N. bat 1829/30 durchaus nicht dahin geſtrebt Specia⸗
litäten zu vermeiden, namentlich nicht in der griechiſchen
Geſchichte, und find nım in dem hier hergeſtellien Texte
einige mehr eingefchaltet als er 1829/30 zu erzählen für
gut befunden hat, fo fchien das dem Charakter der Iepte-
zen Borlefungen feinen Eintrag zu thun. Das Werk
mußte aber an Lesbarkeit durch Aufnahme in Den Tert
fehr gewinnen.
Rom auf dem Capitol im Februar 1848,
Marcus Niebuhr.
Drucdfehbler.
©. 37 iR die Capitelüberſchrift irrthümlich als Ueberſchrift eines größeren
Abfchnittes gebrudt.
S. 80 3. 4». x. l. propius fl. proprium.
©. 49 3.18 v. o. I. Cabinet fl. Convent.
©. 110 3. 8 v. u. I. nnauflöslih ſt. unaufhoͤrlich.
©. 161 Ueberſchr. T. Lage ſt. Tage.
cn Sn —
Inpaltsy erzeichniß.
Seite
Die Zeit des Perikles und bes peloponnefifchen Krieges.
Erſte Feindſeligkelten zwifchen Athen und Sparta. . . 1
41. B. Jug der Spartaner gegen Pholis. » . — 2
Schlacht bei Tanagra... ir ae R 2
Unterwerfung Boeotlen'ſss. 2 0 0. — 2
Herrſchaft der Athener auf dem feſten Lande. - . . . 4
Oftrakiomus Kimon's. en 5
. Ing na Cypern und kimoniſcher Frieden.. 5
Aufſtand und Befreiung der Boeoter. Schlacht bei Koronea. 8
Anffand Megara's und Krieg mit Sparta. Dreißigjähri-
ger Waffenflillftand. -. - - 0 0 . 9
Kriege Athen's mit empörten Bundesgenoflen. —— 1
Perikles und feine Zeit. . . . Be a ei 12
Jugend nnd. Erziehung des. Beritiee. ea ee, 13
Berikle®’ Staatöverwaltun. - - «0...» 14
42. 3. Geiflige Cutwicklung Athen’s in no. Zeitalter, Sitte:
ratur und Lunfl.. . oo. . 15
Hoͤchſte Dlüthe und Glũck Athen’s. . . . ae 72
43. V. Auflöfung der Berfaflung Athen's durch Berities. > ae 2
Triobolie, Ueberfällung der Bolföverfanmlung, der Volks⸗
gerichte. ee. ... 32
Dppofition des Thukybides, Abflerben jedes ariflofratifchen
Elemente. . - 2 2 0 2 0 2 2. 34
Urſachen und Bolgen bes peloponnefiföen Kriegen.
GSHriftlellen. > 2 2 0 Er en. 87
Berfchievene Urfachen de Krieges, Auflöfung ber —
ſchen Verfaſſungen. 37
Uebervoͤlkernng Griechenland's, geiſtige Aufregung... 88
Viu
Inhalteverzeichniß.
Erbitterung zwiſchen Athen und dem Peloponnes...
44. V. Vernichtung ver Blüthe Griechenland's durch ven Krieg. .
Schriftſteller, Thukydides, run wen —
Die Anfänge des Krieget. . . » Ba air a 2
Aufreizung Korinth's zum Kriege. a ar a ee
Nächte Beranlaffung, Krieg zwifchen Korinth und Goran
Athen's Einmifhung. » - - 2 2 2 0°. ——
Rache Korinth's, Abfall vom Botidaea. . . » 2 2. .
Drobende Forderungen der Peloponnefler an Athen. . .
Motive Athen’s zum Kriege, perfönliche Motive des Berifles.
DOppofition gegen Beriie. . . »
Nothwendigkeit bes Krieges für A, ——
Der archidamiſche Krieg... . -» . es
47.8.
49. V.
Ueberfall Plataege's durch bie ———
Ausbruch des Krieges, Einfall der Peloponneſier in Attita,
Noth und Kleinmuth ber Athener, BP. - » » . e
Berlangen der Atbener nach Frieden. - » 0.0.
Derfolgang des Berillee. . . .
Aufathmen der Athener, Aufſtand und unteroerfung von
21, Pr u er
Beſtrafung ber .Lesbier, Baches’ Schietfal, Barbaridpe Arieg-
führung ber Spartane. . - » .
Belagerung Blataene's, ſchreckliches Vericht über Die Blatacer.
DOppofition in Athen gegen ben Krieg. Komiker. . . .
Wiederfehrenvder Muth ber Athener, Befferung ihrer Bage.
Neue Pläne nach Außen, erfier Zug nah Stellen. . .
Parteifämpfe in Corcyra. Sieg der athenifchen Bartel. .
Demoſthenes. Seine Unternehmung gegen Pylos..
Einfchließung ber Spartaner auf Sphafteria, vergebliche
Sriedensunterhbandlungen. - - 2 0 2 0 0 2 2.
Deflerung der Lage der Eingefchlofenen. . . .
Kampf der Demagogen und Optimaten in Athen, gifias
und Kleon.. . 0.0.
Kleon fept die Gefangennehmung * —2 Era:
taner durch. . » » . A . e
Brafidas ſtellt Sparta’s Sit —— Ser. age der Sedo:
ten. Krieg in Thralien. 00000
Miederlage der Athener bei Dellum. . . . 2...
Die Athener entſchließen ich zum Frieden.
Der Frieden des Nikias, Alktibiades..
Der Frieden von den Spartanern ohne ihre Bundeögenofien
geſchloſſenn.
Bedingungen des Friedens. .
Mißtrauen der Bundesgenoſſen gegen Sparte.
IF aaa
U uf
- Berwidiungen zwilchen Athen und Sparte, Miltanzirackat.
In halt ovorzeicheriß
zwiſchen Ather und Sparta. 0 0 2 02.“
.Argiviſcher Bund.. ..4 Sa
. Mene Beinpfeligkelten zwiſchen ann — Sparta. Ei
. Alliblades. ... vn 2 0:2. ;
Etleg zwilchen, Spusta, Yrgos und Kine und Anflöfung
bes..arginifchen Bünbnifles. .
Aelteſte Geſchichte von Stcilten... ..
50. V.
. Sikfeler.. u. — een re
Geſchichtſchreiber ber . Sikelioten. Autlodans, Philiſtus,
Bimaem:. re ie ee
Sikauer. . ee EEE Er EEE er er eo 0 0...
. Bunifche Nieverfaflangen. er ;
. Griechiſche Niederlaffungen, Dorler.und Chalkidier..
. NAufblähen: der griechiſchen Staͤdte, Berfaflung, Handel, Be:
51.2.
völferung. - - - =» . ——
Saure Kampfe in den griechichen. Städten, EEE A
Gelon und Iheron ala Könige, feriagifiher Ing. - « .
Hiero,. Thrafybul, Repnelif in ‚Syrofus. Denketius..
Zuftanb der ‚grieihiiegen Staͤdte, Kämpfe ber Silelioten un:
. ser einander. . . .. a RT a ae ee
. Einmifchung ‚Athene... Erfter Sue. a N ae
. Beranlaffung. zum zweiten Zuge, Bigmer. . - 2. 2...
Der — Zug nach Sicilien.
Innere Gründefſür die Unternehmung, Akibladen' Einfuß.
Andfiäten anf Erfolg. ». > oe 0 a 2 2 6
Politik, des Altibiadee, > » 0 Ha on 0 02 0 ee
. Die Unternehmung. wird beſchloſſen, Aſebie des Allibiades.
Sermoßopivenprash, -: >» .a 2 0 vr. 0 200
. Rüfungen and: Abfahrt der Empenilien. - >. 0.4
Brfe Operationen... « 2 nn nn nn.‘
. Dem Wlibiapes.wird der Vroceß gemacht, Seine Flucht.
. Operationen der Alhener Im. Sichien, —— von
ESyxrakns, Hermokrateg...... —
Wederausbruch des Krieges gwifchen Aigen au Speta,
Alkibiades Lundesfeind. - . » .
Aalnuft des Gyligpus in Syrafus, Wertung bes Süd
gegen die Athene. . . 2. . :
Berluft der Gpipolae, Niederlage und Einſchließang ber
atheniſchen Slot. - . . .
Ankunft athenifcher Berärfungen, —— Stuem anf
die. Epipooe - 2 a a2 a a nn nen
Letzte Kämpfe im Hafen. 2 an nee.
Aufbruch und Bernichtung der Athene, - oo. 0.
Die Helden des. Kımpfes, Gylippus und Hermokrates..
189
: 15%
267
157
158
x
Der dekeleiſche Kiled. - > 2 2 0 un.
36 8.
. Alfibiades. wendet ſich Athen wieder u. -
55. 2.
Iapeltiorgeichuif,
Schredlihe Lage und Rüfungen Athen's..
Abfall Sonien’s buch Allibiabes. . » - »
Allianz Gparia’s mit Brfen . . . «
Leitende Mänuer, Antiphou, Theramenes, —* hry⸗
MB ei ——— oe. 0.
. Einleitung nnd Ausbruch der Revolntin. . . -» -» .
Be nu be
Revolution des Heeres zu Samos und. Rüdternfung bes
Alllbiabeee ee ee a
Gegenmevolutin. - > 2 0 m 0 0 000.
- Zolgen der Revolution, änferfie Shwädung Atten's.
Unterwerfung und WBicderbefreinng Athen's. Knecht⸗
Krieg am Hefllespont. = el
— in Jonien und neue — des eillibares.
Krieg bei Lesbos... Se a a ———
Zepter Feldzug am Sellespent, Schlagt bei Aegoopotami.
fhaft-Brichenlaund’. 2: 2 0 ler —6
.2.
- Zug bes Thraſybul anf Big ı . . -
Amneflie. Verbannung der Dreißig. En ä 2
"Belagerung Nthen’s. — —
- Unterwerfung der Stadt. — —
- Ginfepung der Drei. » 2: 2 0 0 0.
Tyrannei der Duell. . - 2 2 02 0.
Uutergang bes Theramenes..
Steigende Graͤuel. Flucht der Patrloten. . . . .
- Mnfnahme der Flüchtlinge in Theben gegen Sparta's *
* “ ® m. “. “ [
und den Piraceus. .
Tod des Kritias. Ginfehung ber Schn. . . .
König Banfanias vermittelt bie ge ber
bannien.: . x 0.» ars
... 8. -
et
Würdigung der athenifchen Parteien. . .
Untergang ber Dreißig. - »
Supanı N unter Sparta’ v Obecherric·it.
Gele
161
161
162
163
164
167
171
185
177
178
179
183
187
188
193
198
288
197
1088
199
81
203
208
206
207
208
200
211
211
213
218
Sinten Griechenland's und Perſien's. Erhebung Makedonien's.
Chaͤeronea.
Perſiſche Geſchichte von Darins bis zum Wlederanss
bruch des griehifhen Krieges durch dem Ing bes
Gyr us. eo L ® v ® v — e o ® . o ® .
58. V.
Xerres. “ o — — ® @
Gecchichtsquollen. xp de Xerxes. Artabanus...
Artarerres I. U “ “ ® . . ® [ ® 0
216
216
217
218
Sehalätyegeihiuiß, X
Gelte
. Kerres.IE Sogn, 2 m me ee. 219
Darius Notbus. . [RL 1 y ı.ı ı 0° 9» 220
Zwiſt in feiner Familie. oo. Fe a re 233
- Srtarerre® UI. Aufſſtandsplaͤue bes Gyrne. en ea 324
Tod des Alfiblades. EL 8 8 v8 tt ı ı 2. 325
Sparta unterüpt Eymb. - 2 0 0 one 0 002. DB
Die Schntaufend. Zenophen’s Aunabaft. „» - ı vs . 287
Schlacht bei Kunara. . 00 82 8 08 O— — 238
3. 8. Rückzug der Zehntauſeud.. 2... 0.229
Krieg Spartas mit Perſien. Srhebnug Theben⸗ —
Sparta. Schwanken der ſpartaniſchen Oberherr⸗
ſchaft in Griechenland und Wiederherſtellung darch
0 a
Ausbruch des Krieges zwiſchen Sparta und Perlen. . . 234
Thimbron und Dertyllidae, . . nee. ZU
Agefllaus erhält ben Oberbefehl. Gharalierifit des Ageſtlans. 235
Sein Krieg in Aflen.- . i ee. rer. 208
Auftreten. Konon's. Auebruch bes Serotifigen Se» . 239
Athen schließt ſich heben an. . - oe 2 0 0 cu 0. 24
Schlacht bei Saliartul. . » 0 2 02 0 0 0 nn 0. 248
Agefilaus. nach Europa zuräcdbernfen. Schlacht bei Karenea. 243
Niederlage der Spartaner bei Knidus.. 0 = 2. 248
&. 2. Kouon flellt die Manern nad bie Flotte Hiben’e ber -. 4
Die Juſeln ſchließen ſich Aigen wieher an. Reaction gegen
Dielen Anfhlnt. . - » RE a 248
- Das Berälinig zwifchen Deren uud — wirh mit
- +Bafl. - Konm’s Tor . » — . 24
Thraſybul's Tod. - - 2 2 2 0 0. 7 |
Verſtaͤudniß Sparte’ 6 mit -Berfien. Korintäifeger Sci . 3249
Bereinigung der Heineren Staaten zu größeren Malle. . 250
Taktik: des Sphllratee, © oe 0 2 0 0 0 0 0 2. 38
61. B. Vertilgang einer ſpartaniſchen Mora uud Cinnahme ww
Reha, ı 2 0 LE 64
Rage Athen's im Klee - > 2 0 2 ne.
Frieden des Antallibas, - - o 0 0 0 0 0.
Menue Obermacht Sparta’s unter yerfifhem Einfinffe.
— Sheoben. 2 0 0 0 0 0 0...
Allgemeine Knechtſchaft — in Folge des Friedens.
Serflörung Mautinea's. » » ae ta
Krieg Sparta’s mit Olmib, » oo 0 0 ev ee.
Verraͤtheriſche Befegung ber Kabmea. © o 0...»
Herrſchaft der fpurtauifchen action in Theben. . . .
Die- Spartaner unterwerfen Bhlne -
Epaminondad. - - 2 0 2 En 1 1 en 2.
@. B. Belopivae. . ı 2 2 ce. ee aan
7
3322326838
Zaitenergehljeiß.
Sturz der fparlanifchen Jaction In Theben.
—
J
Einnahme der Kamean.
Regie Kämpfe Sparta's um bie —— Schlacht bei
Legnktra. ı dd... .. . Hr 8 8 18 4 oe
Broemonie Thebens . »
. Aigen entfäpeibet fh für. Theben. A
Erſolgloſor Krieg in Boeotlen. Er
Seekrleg. Schlacht bei Name. - . - :
Abfall ver Infeln gu Athen. Bunbesverfammlung. ..
Billigleit-dex Athener, ihre Büheer. - . . - r
Zweiter Frieben auter perfifcher ee heben
tritt nit bel. . . —
.Schreckucher Ian Griechenlan's a neſen Frieden. i
Neuner Kampf Athen’e und Sparta's um Gersyee. . . »
Iwirfpalt Athen's uns Theben >: 0 2 0 00.
Dritter Frieden. unter: porfifcher Vermittlung. . - . .
Zug der Sparteuer gegen Theben unter Kleombrotnö..
Schlacht bei. Leuftza. . . 0 0 90 .. 0 . ee .. ..0 “
Aufreibang der Spyartinie. » - 0 0 00“
Die Borster. dringen in ven Belcponnes 1} er
. pen verbindet ſich mit Spatta..
Gyaminondas zieht vor Sparta und ftellt Mefenien —
Folgen ber Herſtellung Neſſenien's. .. .
Cintguug Arkabien's and Grndung von Begalopciie.
Bortfeguug bes. Krieges.. Derhältniß Aihens. . .
eltern. dritter Bug des Cpaminondas nach bem Pelorenes.
Partieller Frieden .mit den en 5 Bee
Zerſtörung von Orchomenod. - - + .« ———
Kriege Theben's mit Theffallen. Jaſen von Pherae.
Tob des Pelopibas. Streben Theben'e nach ber Gecherrfchaft.
Mieberausbrach. des Krieges im Pelopomnet. . . » . .
Biester Zug des Cpaminondas nad dem a Ans
:geiff anf. Sparta... 2 2 0 00.“
Schlacht bei .Mantinea. Tod bes Gyaminendat.. Stieben.
Fortdauer der Fehde zwifchen Sparta und Meſſent. Archi⸗
j danms deo Sfofretes. ° .. “00 tt 2 9 0 '°
Allgemeine Nuflöfung des Peloponnet. a
Keltere Geſchichte Mekedonien's. 0 02 0.
8. 8,
Mationalität. bez Maledonier. . - » . » »
Entſtehnug des mafedonifchen Königreichs. Rönigegeichleiit.
Ausbreitung in Miedermaledonien. » « . 0. «
Amyntas I. Anfang der mesorenifcdhen Gefchichle, » . .
. Bee Berührung mit Grisheniand unter Perbilfee.
Berſuche .griechifcher Elviliſatien durch Arche . - -
. Amyntas. IL Der Staat der Illyriee. ne.
Zuhalisverzelchuiß.
Ueberwaͤltigung Makedonlen's durch bie Illhrier. .
Aufgeloͤſter Juſtand nad) Amyntae’ u. Tode. & ar Narr
Auftreten Philipp's..
Gründung der Macht ne ——— in Gries
henland. .o 0. . 81 Id) ee 8 8 2 8 0 0
6. V.
Nachbarflaaten Rafevonien’s. b —
Zuſtand Athen's um biefe Jeit. 0 0.
- Duellen der Sefhichte Philipph. ne
Charakter Bhilipp’d. - .- .- ir
Philipp ſichert feine Serrfchaft, zieht — — und
Sfigeier nnd bildet fein Hher. 2 ne.
Beſtegt die Illyrier, erobert Amphlpolie. . : » »
Krieg Athen's mit den Bundesgenoſſen. . »
Philipp's Inttiguen In Olynth. Pe
Ausbruch des phofifchen Krieges.
Urfachen des Krieges. Merurtheifung ber — as
Phoker durch die Amphiltyonen.. . 2. ne.
Die Phoker beſetzen Delphi. . - . —
GErecution. Beraubung ber Tempe Sinnen der
Phoker in Theffalien. ß
Die Phoker werden in Thefalien von Philipp
Philipp conflituirt Theſſallen unter ſeinem Shape. - -
—— im Kampfe gegen Philipp. Chaeronea..
Seindfeligfeiten Phillpp's gegen Athen...
Krieg gegen Olynth. Die Olynthier ſuchen uthen'⸗ *
Demoftbenet. . - —
Leitende Maͤnner in Athen. neben. Demoſtheneo. Demofibe,
nes’ Einflug auf Griedtenlund. 0 0 00.
Zufand des athenifchen Bold. - - 2 0 2.
Demofihenes beftimmt die Athener Hälfe au Olynth zu fenden.
Fall Olynth's.... — —
Behandlung der griechiſchen "Städte *— Beil. . —
Frieden zwiſchen Athen und Philipp. Phefis wird Breis
‚gegeben. EEE,
Zuflände von Bhofli. . . a re
Philipp dringt in Weiecheniaud die ESchredich⸗ Behand:
-Iung der Pholer... io.
Bhilipp ſett ich in Cpirus und in Thralien feſ
Wendet fich gegen den Bosporus. Belagerung. Berinth's.
' Steigender Einfluß des Demofthenes. Anftvengungen Atheu's.
Stimmungen nnd Zuftände im übrigen Griechenland. .
. BhHilipp erfcheint von Neuem in Sriechenland. . . -
Konfoeberation der Griechen gegen Bhilipn . - . «
Chronologie, Rüfungen, Bölferaufgebot m Brhentam.
‚Schlacht .bei Chaereonen. 0 20.
xıv
Aheltorerzeichniß.
Auekdoten über Demoſthenes Plutarch.
Bhllipp’s Auftreten gegen Theben und Athen.
Strände der Schonung Athen's. Philipp's Bläne gegen Afien.
Räfung Athen's zum Widerſtande. Frieden mit Philipp.
Philipp Heerführer der Griechen gegen Berfien. Allgemei⸗
ner Trieben und Bund ber Griechen.. 0.»
Philipp Bermittier im Peloponnes. 0 00°
Beltipp's Ende. L 2 ® ® ® 2 ® ®. ® ® « ® * ® “ ® “
Rüfungen gegen Allen. . . — a Has na
Zwik in Phllipp's Hanfe. Jeladſhaft Boll mit Olym⸗
pias nnd Aleranter. Haß der Malebonier gegen fie.
Bermählung. Philipp's mit Kleopatra. - © «2 00.
Flucht des Alerander und der Olympias, Berföbunng. -
Dermählung. Alerander's von Cpirns mit Kleopatra von
Makedonien, Feſte in Megane » 0 0 00 0.
Ermordung des Bhliyp - » 00 een.
Letzte Zeiten bes perfifhen Reihe. - 0 0 00.
70. 2.
71. B.
Artarxerres IL Plutarch's Biographien. -. « . 4
Ontfeplichleiten des orientalifchen Despotiomne,. - » » .
Anföfung des perfifchen Reichs. Selöffländige Stämme im
Innern des Reihe. . . 0. [1 80 08 0 8 8 8° 0
Unabhängigleit Hegnptene. . . » R 2
Unglacklicher Feldzug des Artarerxes — Acgypien.. —
Empoͤrungen der Satrapen in Vorderafien.
Guagoras, andere Empoͤrer in er Erna ie
Erblihe Sutrapien. . . » Er a —————
Tod des Artaxerres... BE ee ae
Ochnus, Charalteriſtik feiner ———— Baßgoas, Veherr
ſcher des Reichs... Bean ze
Bezwingung ber fleinaflatifhen Impörer. — AD Bar» Areals a
Mentor und Memnon. - . . DE
Auffland ber Bioenicler. Iufland Vhoenielen Bi; 1
Ausfichten der Phoenicier, Umfände ver Empörung. . .
Materwerfung Bhosnicien’s.. . . - . Be
Felbzug gegen Aegypten. Bezwingung des eaures. F
Mentor and Bagoas theilen das Relch.
Ermordung des Ochns, Arſes, Darins Godomannnt.
Berhältuig Griechenland's zn Berfien. Auſicht der 2*
ren. Wirkliche Lage der Sage. .» . .»
Erſte Feindfeligkeiten der Mafebonier gegen Werfen —
Philipp.
Geiſtiges Leben der Stiegen der. fräßern Zeit und dies
fer Seit... . 2 2 020. —— —
RD...
Allmähliges iloſchen bes Poetiſchen feit Beritiet, F
Aunsbildung ber Khetorik. Khetorenſchulen..
288 — D — — — R 33233 388 3332 EEE
Jahalioverzelchniß.
Antiphon. Luflas. Iſaens. Audolides. .. .
Demoſthenes und feine Zeitgenoſſen. - —
Neue Geſtalt der Philoſophie. Ausbildung — exacten 8
ſenſchaften. Hiſtoriker. Inder @efchichte Rhetoriku. Kritik.
Entwidlung der Runfl., - - . » da et
Untergang bes Uebrrlieferten im Staats: und Bolfsleben.
Unfähigleit Nenes zn bilden. - « 2.00.“ —
Verwilderung. Herrſchaft der Factionen..
Alexander von Mafebonien. |
Alexander's Charakter. Onellen — Geſchichte.
74. V.
Erziehung Alexander's.... Be ie Ah ia
Berühmtheit Alexander's.. 0. —
Beurtheilung feines Charakters.. 0 00°
Auszeichnende Cigenſchaften. .. > Sure B
Quellen feiner Sefchihte. - .. - - ...
Romane über Mlerander. . . . a
Erfe Rämpfe Aleranders in Eu ——
75. 2.
Groberung bes verfifhen Reihe. . . . »
76. 2.
Zuftand des mafebonifchen Reichs bei dem Tode Philwp 6.
Gaͤhrnng in Griechenland und im übrigen Reiche..
Aleranter beruhigt Theſſalien.
MWirr in Griechenland’ als Hegemon anerlannt. . . . »
Lage Athen’s gegemüber von Alexander. . . —
Griechiſcher Bund nuter Alexander's Protectorat....
Ing Alexander's nach Thrakien und Illyrien. . . .
Bewegungen in Griechenland. Auffland Theben’s. . . .
Rückkehr Alerandere. 0 0 0 er en
Rettungsiofigielt Griechenland. . 2 2 0.
Ginnahme Thebens.. © - “2 2 2 0.
Sufände im Pelopounee. - « 2 2 0 0
Die TIhebaner finden keine Hülfe . . . »
Serförung der Stadt Theben. 2...
Alexander gegen Athen. Unterhandluugen..
Die zehn Reiner. . . . . ;
Phokion. Würdigung feines Charallero.
Frieden mit Mlezaude 2 0 2 0
Lage Athen's nach dem Srieven. - « x 2...
Lage der Friegführenden Parteien. Memnon.
Schlacht am Granuikus. 0 0 0. :
Menmon beherricht die See. - - - 2 2 0 0 0 0.
Alexander nuterwirft Lydien und Karien. Belagerung von
Salllamf. oo 2 0 0 0 0 2 2 0 2 1...
Memnon’s Operationen, Derbindaung mit Agie. Tod, .
. [} . . .
.
®
REIN
ESS
457
m
78. V.
Inhaltsvergeichniß.
Alexander dringt In Kleinaflen vor. Gnihuflasmns ber
Griechen für Ihn. Winterquartiere. 0 0°
Hlerander in Elliin. - oe 0 0 0 ern e.
Schlacht bei Mint. . © 2 0 02 2 0 er en.
Unterwerfung Bhoenidend. x» 0 0 een.
Unterwerfung Aegypten's. Gründung von Nleranbrien. .
Ing Alexander's nach Mefopotamien. Schlacht vom Arbela.
Unterwerfung von Babylon und Perfis. Serförung von
Berfepolie. . . . A —
Zug durch Medien nach Maͤſanderan. Flucht des Darins u. zo.
Alerander verfolgt Befins, durchzieht das nordoͤſtliche Perſien.
Niederlage des Sophricn - 2 2 0 een
Ereigniſſe im Abentlande Agis und Alerander von
Gpirue: .-. . Pe a Oo
Rüftungen bes gie. Taenarus. Zug nah Kreta..
Lage Griechenland's nach dem Tode des Memnon. Bläne
des Demoſthenes. . . i i
Agis beginnt ten Krieg. Bebrängaiß ber Batebonier. e
Argus und Megalopolis feindlih gegen Mais. - . . .
Aurüden des Antipater. Nieterlage und Tod des Agis..
Unterwerfung bes Peloponnes und Ruhe — 6..
Verhaͤltniſſe Alerander's vn Epirus.
Tarent nimmt ihn in Dienſte gegen die Lufaner. . »
GEhrgeizige Pläne Alerander's. Zerwürfniß mit Tarent. .
Tod Alerander's von Gpirus. . . Ä
RE Zug nach Inbien. —— mit Den Matedo:
niern. Unte. ...
70. V.
Rage Alexander's als ‚Eroberer, en .
Seine Pläne zur Verfchmelzung der Nationen. Grbitterung
der Mafedonier. Feindliches en zu den alten
Geldherren. : . 00“ . RS
Himichtung des Philotas und des ——— —
Steigende Verbitterung Alerauder's. Klitus. . .
Kalliſthenes. - . EB ar ya ie
Antipater und Dlympias. BE Bu te N ng
Sug nah Indien. . . . A
NRüdfehr. Jug durch Veludſchifan. Seide ves ——
Triumphzug Alexander's. Fratzenhaftigleit feines Weſens.
Steigende Neigung zu den Perſern. Völlige es
Yon den Makedonien. . . - . 5
Graͤuel. Wüſtheit. Plaͤne zur Groberung des Weilene.
Geſandtſchaften ans dem- Weſten. Römifche Geſaudtſchaft.
Alerander in Babylon. To... eo 0) ee 1 2. 2.0
Golgen feiner Broberung- für De Well. . . 2 2...
e “ [7
Die Zeit des Periftes und bes
peloponnefifchen Krieges.
Erfte Feinpfeligfeiten zwiſchen Athen und
Sparta,
"Der Sriedenszuftand zwifchen Athen und Sparta war nad 41. 8.
dem Anfange des dritten mefjenifchen Krieges nur ein fünftlicher
unb bei ber erften Veranlaſſung mußte der Krieg ausbrechen.’
Unter diefen Umftänden erhielt ein Ereignig Wichtigfeit, das
an fih einflußlos geblieben fein würbe,
Die Lakedaemonier betrachteten noch immer bie Dorier in
den vier Städten als ihre Metropolis mit einer gewiffen Pietät,
Die Phoker hatten dieſe bebrängt, und als fie in einem Zuge
gegen bie Dorier einen biefer Orte erobert hatten, nahmen bie
Spartaner das als Berpflichtung den Doriern Hülfe zu leiſten.
Sie gingen daher mit einem Heere über den Triffaeifchen Meer⸗
buſen gegen bie Phoker und zwangen biefe ihre Eroberung her⸗
auszugeben.
Inzwiſchen war eine atbhenifche Flotte hinter ihnen in ben
Golf von Lepanfo (den kriſſaeiſchen Meerbufen) eingelaufen, und
ein Landheer unterflüßte ihre Operationen. Es hatte Megara
und die geraneifchen Gebirge befegt, Die in mehrfacher Kette fich
an ben Hauptzug vom Heliton herab gegen ben zu an⸗
Niebuhr Vortr. ab. d. A. G. IL
2 -Schlacht bei Tanagra. Unterwerfung Boeotiens.
ſchließen ), Gebirge die hoͤchſt unwegſam find. So ſchien ben
Spartanern ber Ruͤckweg abgeſchnitten, und leicht konnte es den
DI.80, 4.
Ol.80, 4.
Athenern dann gelingen fih den Weg über den Iſthmus zu
bahnen. Die Athener drangen nun in Boeotien mit einem be⸗
deutenden Heere unter Anführung des Tolmibes ein, der feinen
Namen mit Reht trug, der Tühnfte ber damaligen athenifchen
Heerführer, und fih nicht fcheuete den Spartanern und SPelo-
ponnefiern, die überlegen waren, eine Schlacht anzubieten, aber
zu feinem DBerberben. Die Atbener wurben. bei Tanagra ges
fhlagen, fo heftig fie auch fochten, bie Peloponnefier ſchlugen
ſich mit verzweifelter Tapferkeit durch das athenifche Heer durch,
und bahnten fi) den Weg über den Iſthmus nah Haufe, da
fein Heer ihnen auf dem Fuße folgen Tonnte, Diefe Niederlage
war ben Athenern höchft empfindlich, weil das Blut vieler aus⸗
gezeichneten Bürger von Athen vergoffen wurbe; fonft war fie
an fich Feine fehr fchwere Niederlage und in ihren Folgen nicht
bedeutend.
Die Athener fammelten fi bald wieber und fetten fich
in Beſitz ber Oberherrfhaft von Boeotien. Die Boeoter und
Thebaner waren in biefer Zeit zerfallen. Die Thebaner ſtauden
gegen bie Boeoter ungefähr in dem Verhälmiß, wie Rom in
perfchiedenen Zeiten zu Latium fand. Theben war die eine
Hälfte des Staats, Boeotien bie andere, Es mag eine Zeit
gegeben haben, wo Delphi gegen die Phofer auf diefelbe Weife
in ähnlichem Berhältnifie war. Wie Rom zur Zeit bes Ser-
vius Tullius gegen Latium fo fand, daß 30 latiniſche Stäbte
auf der einen, die 30 römifhen Tribus auf ber andern Seite
waren, was ſich durch den Frieden bes Spurius Caffius her⸗
1) Nur ein Heft Hat diefen Satz und zwar in folgender Geftalt: „... war
im Beſitz von Gebirgen vom Helikon hinab gegen Pinbus, in mehr:
facher Kette ih an den Hauptzug auſchlleßend,“ was anf das geraneis
ſche Gebirge, das N. nach andern Heften (nach einem unter dem Nas
men „megarifches”) der Erzählung bes m. gemäß, ge—
naunt hat, durchaus wicht paßt.
Unteswerfung Boeotiens. 3
ſtellt, fo ſſanden auch die Thebaner gegen Boeotien. Zu einer Zeit
erwählten bie Thebaner und Die Boeoter, fo fcheint ed, Die Boeotar⸗
hen zufammen, fo daß Theben vielleicht mehrere Boeotarchen er-
nannte, wodurch abwechfelnd Die Suprematie bei Beiden befand, zu
einer anderen Zeithatten bie Thebaner entfchieben biefelbe Supre⸗
matie über Boeotien, wie die Römer über Latium zur Zeit bes
Servius. Diefe Suprematie war fohwanfend, befonders war
fie aufgelöft durch den mebifchen Krieg, und jetzt wandten ſich
daher die Thebaner an Sparta um ihre Hoheit burch beffen
Hülfe wieder berzuftellen. Dies Streben der Thebaner nad
Herrſchaft über Boeotien führte zu dem Zuge des Myronibes.
Die Berhältniffe biefes Krieges find ungemein dunfel, und wie
ip fie bier erkläre, werben Sie fie nirgenb bargeflellt finden,
Ich bin aber von der Richtigkeit vollflommen überzeugt.
Thulydides ift über dieſe Begebenheiten ſehr kurz, und bei ſol⸗
her Kürze kann es ſich leicht ereignen, daß ein entſcheidender Umftand
übergangen wird. So ift hier bei Thukydides nicht unterfchies
den, wie dad Verhaltniß ber Athener zu Boeotien im Gegenfage
gegen bie Thebaner war, und wie bie Berhältniffe der Theba⸗
ner zum gefammten Boeotien fanden. Thukydides' Gefchichte
war blos avauımars, fein Zwed war nicht eine Geſchichte die⸗
fer Zeit zu ſchreiben, fondern er wollte nur Erflärungen geben,
fo viel als nöthig war um ben peloponnefifchen Krieg zu ver⸗
Reben, und fo beftimmt als möglich an biefe befannten Ereig-
niſſe erinnern. Die Gefchichten bes Dioborus Siculus fo gänz-
lich urtheilslos und ſchlecht fie an fich find, enthalten doch über
griechiſche Gefchichte ganz unfchägbare Angaben — natürlich nicht
son ihm — und find unendlich reich an Sachen bie nod gar
nicht für die Gefchichte benutzt find; Alle die unter ben Neuern
griechifche Geſchichte gefchrieben Haben verfäumen ihn gar zu
fehr, fo weit andere Schriftfieller für die Zeit vorhanden find,
Für diefe Zeiten Tann man annehmen baß ex im Ganzen bie
Darſtellung des Ephorus hat, weil nun aber Ephorus nicht chro⸗
1*
4 Herrſchaft der Athener auf dem ſeſten Lande.
nologifch verfahren if, wohl aber Dioborus, fo mußte biefer
fi ſelbſt helfen, und daher kommen feine entfeglichen, ungehen⸗
ren chronologifchen Fehler, indem er bie Begebenheiten [ ganz
willkuͤrlich] auf Jahre zurüdweift wo Ephorus feine Jahre hatte,
Diodor fagt uns nun daß die Athener damals nad der Schlacht
von Denophyta ganz Boeotien mit Ausnahme von Theben
fih unterworfen hätten. Thufybibes dagegen berichtet, Boeotien
fei den Athenern unterworfen geweien, ohne daß er Theben
ausnimmt: Bowwrla ift aber in demfelben Sinne zu verftehen
[wie bei Diodor], und feine Lefer verflanden ſtillſchweigend
den Gegenfag. Für die Leſer unter feinen Zeitgenofien mochte
ber Unterſchied zwiſchen Onßaios und Borwroi ganz Har fein,
und daß er es für ben Lefer nach zweitaufend Jahren nicht iſt,
das kann Thukydides ſich nicht vorwerfen.
Mir ift es alfo Har daß bie Athener von einem Theile
der Boeoter, die ihre Unabhängigkeit gegen Theben behaupten
wollten, zur Hülfe berbeigerufen find, unb nach ber Schlacht
von Denophyta unterwarf fi ihnen ganz Boeotien, Theben,
Orchomenos und Chaeronea ausgenommen. Hier ift fo zu ver⸗
fieben: Theben und Boeotien befämpften fih, Boeotien bis auf
Orchomenos und Chaeronea unterwarf fich ben Athenern.
’Die Athener dehnten damals auf eine unbefonnene Weiſe
ihre Macht über das fehle Land aus, wofür fie Feine Baſis
hatten. Sie nahmen bie Oberherrfchaft über Diegara, Boeotien,
Lofris, Phokis an’: Achaia begab fi unter ihren Schug und
ein paar Drie in der Akte von Argolis. ’Freilih war ihnen
biefe Macht vom Schidfale angeboten worden, aber die Athe⸗
ner hätten alle ihre Aufmerkfamfeit auf die See richten, nicht
eine Hegemonie über Bölfer von ganz verfchiebenen Stäm-
men auf dem feflen Lande gründen follen, ober fie hätten fie
burch Fünftlihe Kombinationen behaupten muͤſſen. Sole hät-
ten allerdings wohl gemacht werden koͤnnen: hätten fie unter
ben Bunbesgenoffen eine Municipalverfaffung eingeführt, mit
Oftralismus Kimons. Zug m. Cypern. Kimoniſcher Frieden. 5
der Moͤglichkeit atheniſche Bürger zu werben, fo würbe ſich
eine Partei für Athen feſtgeſetzt haben, felbft in ben ihnen feind-
lichen oligarchiſchen Staaten, Allein folder Hugen Combina-
tionen ift eine bemofratifche Herrfchaft, die nad dem Gefühl
handelt, nicht fähig: wohl Rom, nicht Athen; und deshalb
Sonnten den Athenern biefe Befigungen nur zum Derberben
gereichen.’
Um bie Zeit der Schlacht von Tanagra war Kimon exo⸗
Rrakifirt, und zwar war bas nicht wie gemöhnlich zur blo⸗
Ben Entfernung gefchehen, ſondern wegen eines fpeciellen per⸗
fönlihen Verdachts, wegen bes Verdachts einer verrätherifchen
Berbindung mit den Spartanern. Bon dieſem befreite ihn
die Aufopferung feiner Tiebften Freunde, bie fih in eben bie-
fer Schlacht auszeichneten und tapfer Tämpfend fielen, und
fo wurde er zurüdberufen und fein Berhältnig mit dem Staate
hergeſtellt '). |
Bald nachher warb er wieder mit einer Flotte von 200
Galeeren ausgefandt um bie Unterwerfung von Cypern zu
vollenden. Ueber diefem Zuge ruht in ber Geſchichte großes
Dunkel; nad einigen Erzählungen Hätte er geraume Zeit ge=
dauert und es wäre Damals ber berühmte Frieden bes Kimon
gefehloffen worden. Nah andern wäre Kimon bald nad bem
Anfange bes Kriegs bei der Belagerung von Kitium geftorben, DL.82, 4.
und zu gleidher Zeit wären bie Athener durch Hunger ober
Seuche (Aruös ober Aoıuos, was in ben Handfchriften immer
verwechfelt wird), mir wahrfcheinlicher burch Aouuös, gend
thigt worden ben Krieg aufzugeben.
Hier fommen wir auf ben fimonifchen Frieden. Leber bie-
fen fprechen ſchon die Redner der philippifchen Zeit fehr oft,
namentlich Sfokrates in ber Rebe von ber Demüthigung ber
9 Wahrfcheinlich hat N. Hier die Mitwirkung Kimon's zum Abſchluß des
fünfjäyrigen Waffenſtillſftands erwähnt oder fie erwähnen wollen. Spä-
ter nennt er biefen geradezu dem kimoniſchen Frieden. A. d. H.
6 Atlmeniſcher Frieden.
Barbaren, wo auch die Details angegeben werden ). Wie
oft iſt Die Rede von biefem glorreichen Frieden, durch ben bie
Barbaren fih anheifhig gemacht hätten zur See nidt and
dem fchwarzen Deere und nicht jenſeits Phaſelis herauszuge⸗
ben, und mit feinem bewaffneten Schiffe weſtlich von den cheli⸗
bonifchen Felfen zu erfcheinen, zu Rande aber ber Küfte mit
einem Heere ſich nicht auf eine ober drei Tagereifen zu nähern.
Verſchieden find darüber die Angaben, ob fie fih der Küfle auf
einen ober auf drei Tagemärfche nicht nähern durften. Dies
wird gerechnet zu bem glänzenden Ruhme Griedhenland’s.
Einige ſetzen diefe Degebenheit in die Zeit gleih nad der
Schlacht am Eurymedon. Aber diefe Angabe if verworfen wor⸗
ben, denn babei ift die Schwierigkeit bag, wenn bie Griechen
damals mit ben Perfern einen folchen Frieden gefchloffen hät⸗
ten, nachher dieſer Friede ja auf die ſchmählichſte Weile gebro=
hen worden wäre, indem bie Athener fpäter mehrere Expedi⸗
tionen nach Cypern und nach Aegypten fandbten (benn nad ber
großen aegpptifchen ſchickten fie noch eine Erpebition, bie aber
unbedeutend war, dem Ampyrtaeus zu Hülfe.) Daher hat man
fhon im fpäteren Alterthume biefen Frieden befirittien. Die
befte Unterfuchung barüber iſt die von Dahlmann in ben For⸗
fhungen, woraus das Refultat hervorgeht bag bie Erzählun-
gen über ben Frieden, deren man fo viele bat, daß 3. B. ber
ältere Kallias nach Perfien gefchidt fei um den Frieden zu
fließen, fein Gehalt haben, und daß ein ſolcher förmlicher
Frieden gar nicht abgefchloffen worden iſt; ber Krieg hat aller⸗
dings aufgehört, er ift aber in Vergeſſenheit gerathen. Das
Tann bei ben Aftaten nicht Wunder nehmen; fie waren bes
Kriegs überdrüffig, und wenn bie Griechen ruhten, ruhten bie
Barbaren gerne. Ein einziger Umftand macht mid) jedoch da⸗
gegen bedenklich, und es würbe mich gar nicht wundern, wenn
biefer auch noch beutiged Tages Gewicht hätte, nämlich ber,
) Isocr. Panathen. p. 244. R. \
Kimoniſcher Frieben. 7
daß Kraterns der Makedonier, jener Geſchichtſchreiber ber die
PYſephismata in Athen von Stanbfehriften und Tafeln gefammelt
Yat, in feinem Werke ein Prngıoue über biefen Frieden hatte,
worin bie förmliche Ratification beffelben enthalten war. Die-
fer Umftand if zu unerflärlih, wenn man ben Frieden ne=
girt, und ich wäßte nicht dagegen einzuwenden, baß es ein
Falfum ſei; Kraterus Hat nicht verfälfcht, ihn der Verfaͤlſchung
zu zeihen Tönnte Keinem einfallen. Wenn alfo auf ber Afro=
polis wirklich eine Stele mit bem Frieden bes Kimon fland,
fo tönnte dies nur ein Falfum ans Eitelfeit fein, bag bie Athe⸗
ner fpäter zu irgend einem Zwede ben Betrug gemacht und bie
Säule aufgeftellt hätten, und bieß ift eine Sache bie viel weni-
ger unmöglich ift als baß Kraterus einen foldhen Betrug ge⸗
macht hat.
Aber warum Tönnen wir nicht bie Sache anders neh—
men? ich fehe die Schwierigkeit nicht ein, wenn wir bie
Berhältniffie nehmen wie fie möglich find, nämlich wenn wir
überhaupt feinen Frieden annehmen fondern einen Waffen-
ſtillſand und zwar einen folhen, ben auf feine eigene Hanb
einer ber Satrayen von Vorder⸗ Aſien geſchloſſen bat, viel-
leicht nach dem Siege am Eurpmebon und eben zu ber Zeit
als Athen den Zug gegen Aegypten unternahm, Wir müffen
uns nur bie perfiichen Satrapen fo unabhängig vom Reiche den⸗
ten wie fie es jegt noch im Orient find: wie ja gegenwärtig
der Paſcha von Aegypten während bes Krieges ben fein Sultan
führt in ganz andern Berhältniffen zu den europäifchen Maͤch⸗
ten ſteht ale fein Herr. Mich würde es nicht wundern, wenn
die Satrapen in Borber-Afien, von Lydien 2c, einen folchen Se-
paratfrieben mit den Griechen geſchloſſen hätten, bamit fie fich
lieber nach andern Gegenden hinwenden follten, und fidh ver-
pflichtet hätten, baß fie mit ihrer Reiterei ber Küfte bis auf einen
ober mehrere Tagemärfche nicht nahe kommen, und daß fie feine
bewaffneten Schiffe innerhalb der Kyaneen, des Bosporus und
8 Kimonifcher Frieden. Aufſtaub.
weſtlich von den Chelidonen Halten würden. Ganz; aͤhnliche
Verhaͤltniſſe haben wir ja fpäter in ben Verträgen die Pharna⸗
bazus und Tiffaphernes mit den fpartanifchen Befehlehabern ſchloſ⸗
fen, mit Thimbron und Derkyllidas bis auf Agefilaus. Tiſſapher⸗
nes war Satrap in Lybien, Pharnabazus in Phrygien, beibe
waren perfönliche Feinde, und ein Jeder warf bem Anbern bie
Invaſion der Feinde auf den Hals; fie ſchloſſen Waffenſtillſtand
mit ben feindlichen Kelbherren und gaben ihnen Gelb, damit
fie in das Gebiet des Nebenbuhlers einfielen, das ihrige ver⸗
ſchonten: fo groß war bie Auflöfung des perſiſchen Reihe.
So wäre alfo ber kimoniſche Frieden ein Separatfrieben
geweien, und ich halte ihn nur in der Art für falfh, infofern
er als Frieden zwifchen König Artarerred und Athen und als
förmlicher Frieden erſcheint. Aber als Waffenſtillſtand für jene
Zeit erflärt er gerabe am Beſten, wie bie Athener ihre ganze
Macht gegen Aegypten wenden konnten, ohne daß bie Befehls⸗
baber in Klein»Afien diefe Zeit gegen Griechenland benusten.
Nach der Schlaht von Tanagra ') waren bie Athener eine
Zeit lang gebemäthigt: das hinderte fie aber nicht an dem Un⸗
ternehmen ihre Flotte immer mehr zu vergrößern und unauf-
hörfich zu vüften und zu üben. Bald wurben fie auch wieber
zu anderen Kriegen auf bem feften Lande gerufen. Die Yartei
ber Boeoter welche bie Athener herbeigerufen hatte war nicht über⸗
wiegend, wohl im Ganzen aber nicht in allen einzelnen Städten.
Auch war ſchon damals bie tabellofe Zeit ber athenifchen
Herrſchaft verfhwunden, bie Athener erlaubten fich bereits viele
Ungerechtigfeiten und Bebrüdungen. Damals trachteien fie ihre
Bundeögenoffen alle zinspflichtig zu machen, und dergleichen mag
bei den Bveotern auch vorgefommen fein. Dazu kam bei ben
Boeotern das Verhaͤltniß, daß fie aAAogvioı waren, fehr flarf
in Betracht. Dies Verhältnig war bei ben Griechen fehr wichtig
) „Schlacht von Tanagra“ dient wohl nur zur Bezeichnung bes ganzen
Krieges, A. d. ©
Befreiung der Boeoter. Schlacht bei Koronea. Aufſtand Megaras. 9
und bildete eine Scheldewand deren Stärfe nur anfchanlich wird,
wenn man ben ererbten Widerwillen gegen bie Einmifchung von
Fremden auch in dem heutigen fo fehr affimilirten Europa be=
benft. Sehen wir wie bei ihnen Sitten und Gebräude einan-
ber entgegenftanden, bie bei ung gleichgültig find, ja nicht Bloß
in berfelben Nation, fondern auch unter verichiebenen Nationen
übereinftimmen, fo tft Har daß die Einmifchung eines frem⸗
ben Stammes fehr unangenehm war, Sich ergänge [bier alfe
ben Thufybides dahin] daß unter ben Boeotern großes Miß⸗
behagen entftand, da Athen fih in ihren Städten ausbreitete
und zu willkürlich herrſchte. Orchomenos und Chaeronea, bie
fih unabhängig gehalten hatten, wurden nun der Zuflugisort
ber aus anderen boeotiſchen Städten Vertriebenen. Gegen biefe
beiden Städte wandten fi) die Athener um ihre Herrfchaft zu
vollenden, und Chaeronen eroberten fie noch mit Mühe; aber
mit Orchomenos gelang es ihnen nicht und als fie fich zurüd«
jögen, trafen fie bei Koronea auf das verbünbete Heer der auf⸗
geftanbenen Boeoter, unzweifelhaft von Thebanern geführt. Hier
fam es zur enifcheidenden Schlacht, die Athener erlitten eine Ol. 80,2
sollfommene Niederlage, und dies nöthigte fie zu einem Frie⸗
den, in Berfolg beffen fie Boeotien räumen mußten.
Schon vorher hatte fih auch Megara gegen bie Athener
empört ‘). Nachdem die Megarer die Athener ſelbſt zu Hülfe
gerufen, und biefe ihnen die Häfen gebaut hatten, fielen fie
ohne alle Urfache plöglich verrätberifch ab, morbeten bie athe=
nifche Befagung und riefen bie Spartaner herbei. Die Athe-
wer mußten bas Land räumen und blieben nur noch im Beſitz
ber beiden megarifchen Häfen, Pagae am kriſſaeiſchen und Niſaea
am faronifhen Meerbufen. Die Spartaner waren fhon unter
ben Waffen, ja bereits bis Eleuſis vorgebrungen *), und num
2) Mach Diodor, XIL, c. 5. Dagegen vergl. Thukydides I, 114.
9.0.9.
2) Ex conj. flatt Megara. Nur ein Heft Hat biefen Satz. A. d. H.
“ Krieg mit Sparta. Dreißigjähriger Waſſenſtillſaud.
DU.88, 3. ſchloſſen die Athener mit ihnen einen breißigiährigen Waſſen⸗
DOLSS, 2.
ſtillſtand, in dem fie den Peloponneflern Achaia, [das ih un
ter ihren Schug begeben hatte] und die Häfen von Megara
inrädgaben, DMegara gehört zwar geographiſch nicht zum Per
loponnes, warb aber politiſch mit Recht zu demſelben gezählt.
»Dieſer Friede fcheint für Athen fehr nachtheilig: bies erwähnt
aber fein Alter, und er mag es alfo mehr bem Worte als
der That nach geweien zu fein. Der Beſitz von Megara wäre
von großer Wichtigfeit geweien, wenn man bie Stadt ſelbſt
beſeſſen hätte: ba aber dieſe ſchon früher frei geworben wer,
lonnten bie paar Feflungen nichts helfen.“ Bon biefem breißigs
jährigen Waffenftilfiande waren 14 Jahre verfloffen, als ber
peloponnefifche Krieg ausbrach, 'und biefe Zeit war voll Grol
und Grimm, eine Reihe von gegenfeitigen Kraͤnkungen. Zum
Rriege hatte man von beiden Seiten feine rechte Luft. [Miti⸗
lerweile war auch ber dritte meflenifche Krieg] nach zehnjähri-
ger Dauer geenbet, und es war eine ber Urfachen zur Feind⸗
feligfeit daß bie Athener bie vertriebenen Heloten aufnahmen
und ihnen Wohnfige gaben.’
Da ich die griechifche Gefchichte bei ber allgemeinen Ge⸗
fhichte nicht fo ausführlich darſtelle, habe ich es für über-
Hüffig gehalten von mehreren für Athen glorreichen Begeben-
heiten aus diefer Zeit umfländlich zu erzäblen, 3. DB. von bem
Zuge des Perifles ; von der Umfchiffung bes Peloponnes durch
Tolmides, bei ber in Gythium das Arfenal eingeäfchert warb;
wie Zakynthos und Kephallene ben Athenienfern huldigten.
Eben fo wollen wir bie Kriege mit ben abgefallenen Bundes⸗
genofien, worin inzwifchen die Athener verwidelt wurben, nur
fur; erwähnen. Die wichtigften unter biefen Fehden waren bie
gegen Euboen und Samos. Die Euboeer zufammengenommen
machten einen Staat aus von verfchiebener Abflammung, der
aus vier oder fünf unabhängigen Städten befand, unter denen
bie Chalkidier und Ereirier ihre alte Größe verloren hatten.
Kriege Athens mit empörten Bunbesgenofien. 4
Sie waren abgefallen, die Inſel wurbe nen von Perifles uns
terworfen und die Athener gründeten am norböftfichen Borgebirge
bie Colonie Dreus in ber ehemaligen Landſchaft ber Heſtigeer,
eines pelasgifhen Volls defien Namen dem von Heſtiageotis
in Theffalien entſpricht. Diefe Niederlaffung war militaͤriſch
ein Punct von großer Wichtigfeit für die Athener, namentlich
in ben legten unglüdlihen Jahren des peloponnefifchen Krieges,
ba fie vermittelft‘ deſſelben die Verbindung mit Theffalien, Lem⸗
nos und Skyros fefthielten.
Der Krieg gegen Samos fällt in bie, legten Sabre vor Ol. 8, 1.
bem peloponnefifhen Kriege. Die Samier hatten zwar nicht
zu ben großen Staaten gehört und flanden ben Lesbiern und
Chiern an Macht nad, hatten aber doch eine bedeutende Flotte,
Sie hatten ſich nicht allein von Athen’s Herrfchaft Iosgeriffen,
fondern hatten fi fogar in Verbindung mit den perfifhen Sa-
trapen gelegt und von Piffuthnes Hülfstruppen heruͤbergezogen.
‚Sie fhämten ſich nicht lieber den Barbaren zu gehorchen als
ben Griechen ihres Stammes.’ Die Bertheidigung war hart⸗
nädig und Athen mußte ungeheure Anflrengung anwenden zur
Unterwerfung. Endlich nad neunmonatlicher Belagerung ges
lang fie den Athenern. — Merfwürbig ift dieſer Krieg als ber
erfte, in dem bie Griechen vervollfommnete Belagerungsmaſchi⸗
nen brauchten, von Artemon verfertigt. Indeſſen waren fie
nicht erſt Damals erfunden, das bezeugen die aegpptifchen Dars
ſtellungen, da fih auf den Denfmälern von ben Siegen bes
großen Ramfes fchon bie vollfommenften Belagerungswerkzeuge
der griechiſchen Zeit finden, der Sturmbod und ganz fpäte Be-
lagerungsmafchinen. Aber bei den Griechen fcheinen bie Be⸗
lagerungsmafchinen eben fo unvollfommen gemwefen zu fein wie
fpäter bei den Römern; auffallend ift es, wie fpät biefelben bei
den Römern vorkommen.
Nach der Unterwerfung von Samos waren eigentlich alle
griechifchen Städte bie früher zu Athen im Berhältniß ber
13 Beriiied. Gele bfammung.
Bunbesgenofien geweien waren zinspflihtig und Unterthanen
geworben. Altmählig hatten fie ihre eigene Kraft ganz verloren
und ihre Bewaffnung aufgegeben. In bemfelben Maße ftieg
die Anmaffung ber Athener und bald erfolgte von Seiten der⸗
felben, die fih immer mehr unb mehr zu befefligen firebten, das
Berbot Kriegsſchiffe zu bauen und zu halten. ')
Perikles und feine Zeit.
Die Eroberung von Samos gehört zu den glaͤnzendſten
Thaten des Perikles.
Perikles des XRanthippus Sohn war ans einem ber größ⸗
ten Geſchlechter und feine Mutter Agarifte war Enfelin bes
Klifthenes, des Altmaeoniben, ber nad) Vertreibung ber Piſiſtra⸗
tiden die DVerfaffung von Athen reformirte und umbilbete.
Die Angabe daß Agarifte Enkelin deſſelben geweſen ſcheint mir
wahr, und daraus Fönnen wir folgern daß Klifihenes als er
bie Beränderungen machte, fchon in reifem Alter fand. Alſo
ſtammt Perifles auf der einen Seite von ben Fürflen von Si-
!yon und den Altmaeoniden ab welche Wiberfacher ber Pififira-
tiden gewefen waren, aber auf der andern Seite war fein vä-
terliches Haus mit den Piſiſtratiden verwandt, und Perikles
ſelbſt Hatte eine Familienaͤhnlichkeit mit Pififtratus, die verſchie⸗
benen Einfluß hatte, bei Einigen ihn empfahl, bei Andern Un=
gun und Mißtrauen gegen ihn erregte.
) In dem vorfiehenden Eapitel ift die Reihefolge der Borlefungen von 1823
mehrfach abgeändert werden. Die urfprüngliche Reihefolge ift folgenbe:
1)5telleS.1. 3. 4— S.2. 3.17. 6.9.3. 8—ı1.
2) 65.38-68.32. 8)6.4 3.17—2l.
3) €2.3.19—6.3.33. 96.9. 3.1—2.
)) ©.4 3.15— 17. 10) S. 4. 3.25 — 26.
) S.8. 3. 22 — S. 9. 3. 8 11)6.9.3.19—6.18. 3.6.
6) S.8. 3. 250 — S. 4. 3.1.
Die Umſtellung iſt nothwendig geworden, um ben Juhalt leichter vers
ſtaͤndlich und überfichtlich zu machen. A. d. H.
Ingend und Erziehung des Perikles. 43
Was wir Einzelnes von ihm wiſſen ſtützt fich freilich zum
Theil auf ziemlich ſchwache Zeugniffe: Stefimbrotus wirb eine
Hanptquelle unferer Nachrichten fein, ber Feine fehr gute Autos
rität if; jedoch bat was von ihm erzählt wird fo vielen Zu⸗
fammenhang und Einiges wird von näherftehenben Schriftftellern
fo beflätigt baß wir im Ganzen, ohne alles Einzelne beweifen
zu wollen, uns eine richtige Vorftellung von den großen Ver⸗
änderungen machen Tönnen, bie fih im Weſen und Leben ber
Athener [zu feiner Zeit] zugetragen haben. Schon in Perikles
Jugend war eine Litteratur vorhanden wie fie früher nicht ge=
weſen war, Wenn wir ung denfen, welchen Unterricht Piſiſtra⸗
tus wohl befommen haben mag, fo Tann er, in wiefern bie
Somerifchen Befänge nicht erft von ihm überhaupt nach Athen
gebracht find, was unmöglich ift, nur darin befanden haben
bag er Lieber, Gedichte auswendig Iernte, Lefen und Schreiben
hernach. Hingegen in Perikles' Zeit war ſchon Litteratur und
Wiffenfhaft. Er genoß alſo den beften Unterricht und foll Zeno
von Elena, ben fcharffinnigen und tieffinnigen Metaphyſiker, nach⸗
her Anaragoras gehört haben; von biefem iſt es ganz gewiß,
wegen bed Zeno Fönnte man einigen Zweifel hegen; ich glaube
ed. Bieles was fonft Gemeingut und nur im Volksleben gewe⸗
fen war, fonderte fih nun ſchon zu Kunſt und Virtuofität aus
und war ſchon fo ausgebildet dag es als Kunft gelehrt warb;
fo lernte Perikles Muſik von Damon. So war ber Unterricht
den er empfing im Wefentlichen ſchon derſelbe wie bie Erzie⸗
hung die wir in fpäterer Zeit bei ben Griechen finden, nur
nicht mit der Zumifchung der Rhetorik. Diefe wurbe in Bert:
Mes’ Zeiten noch nicht geübt, und man hatte noch Feine andere
Begriffe von Redekunſt als daß das Talent durch Klarheit und
Erlernung (sic) ausgebildet werbe. Daß es eine ſolche Kunft
der Rhetorik geben könne wie fle nachher ein Verderbniß für
Griechenland wurde, wußte man damals noch nicht. In ber
fpäteren Erziehung waren Krieg und Forum ganz gefchieben
4 Verilles Staatoverwaltung.
wie z. B. bei Demoſthenes. Demoſthenes macht zufälliger Weiſe
einen Feldzug, das iſt aber unbedeutend und ſein Leben war ein
ganz anderes. Hingegen der Mann des Schwertes erſchien nicht
auf dem Forum: Iphikrates redete auf dem Forum ſchlecht,
Chabrias gar nicht. Hingegen in Perikled’ Zeiten war Beides
unzerirennlich verbunden, der Staatsmann zu feiner Zeit mußte
auch Krieger fein, und überhaupt berrfchte damals noch viel mehr
eine Geſammtheit bes Lebens, wobei das Einzelne ‚noch nicht
auf die Weiſe ausgebildet war wie nachher in ber Abfonberung
und Ausjonberung.
Perikles war von feinen Borfahren ber fehr reich, fein Bar
ter Kanthippus war einer ber angeſeheuſten Bürger und hatte ſich
großen Ruhm durch ben Tag von Diyfale erworben. Perilles warb
daher im Volke im Ganzen genommen, obgleich ein gewiſſes Miß⸗
trauen wegen feines Verhaͤltniſſes zu Piſiſtratus flatifand, früh
mit großer Gunft aufgenommen. Er flellte fi dem Kimon
enigegen, obwohl er biefem an Reichthum nicht gleich war; er
war zwar reich, aber doc nicht fo wie Kimon es durch Manu⸗
bien geworben war. Er konnte alfo mit ihm um bie Bolfe-
gunft nicht buhlen, deunoch fchlug auch er, fei ed aus Neigung
ober Ueberzeugung, vielleicht auch aus Ueberlegung ben Weg ber
Demagogie, bes Bewerbens um bie Bolfögunf ein, ’Die Ges
walt, bie feine Geburt ihm nicht mehr geben fonnte, fuchte er
aun vom Pöbel zu bekommen. Diefe Demagogie ber geborenen
Ariſtokraten ift nicht felten: fo findet fie fih 3.82. in ber fran-
zoͤſiſchen Revolution.’ Dazu verband er ſich mit einem Freunde
Ephialtes.
Die Mittel feiner Herrſchaft lagen in dem Zauber feiner
Rede und’ darin daß er dem Volle perſoͤnlich die Schäge und
Reichthümer der Republik zu Gute kommen ließ. 'Er fhmädte
bie Stadt mit Gebäuden und Kunſtwerken aller Art, und gewiß
hat feine wolıreia großen Einfluß auf Schmädung bes Drama
gehabt. Dabei war ex aber ein treuer Verwalter des oͤffenili⸗
WGelſtige Entwidiung Athens in Perifies' Zeitalter. 43
Gen Bermögens und vermehrte bie Revenüen äußert geſchickt,
er hat viel zur Wohlbabenheit feines Volles beigetragen.
Man bat Berifles oft mit Lorenzo von Medici verglichen,
und das if fehr richtig: aber biefer iſt geringer als Perikles.
Perikles war zwar Fein großer Mann, aber ein ausgezeichneter
Mann, groß als Staatsmann, hatte große herrliche Ideen.
Daß man nach feinem Namen bie glänzenbfte Zeit Atheu's 2.9.
das ‚Zeitalter des Perikles“ nennt ift allerdings ein neuerer
Gedanke, im Altertbume fommt der Ausbrud nicht vor, aber
angemeffen iſt es volffommen; ber Name des Mannes der im
Befite der größten Gewalt war bezeichnet vollſtaͤndig und ges
au den Charakter feiner Zeit. Es iſt der größte Unterfchieb,
wenn wir von Perikles nur etwas zurüd fehen auf Themiſto⸗
kles und Kimon. In Perifles’ Zeit tritt in aller Hinfiht das
Zeitalter der Kunft und der Vollendung hervor, wo bie Men⸗
fyen mit Bewußtfein fortfchreiten und auf ben Fortfchritten ber
Vergangenheit fortbauen um fih auf alle Weile auszubilden.
Auch erfolgte in feiner Zeit in Griechenland die große
Beränderung daß Athen fo ganz überwiegend ber Mittelpunct
bes griehifchen Geiſtes warb; etwas Aehnliches finden wir im
Deutſchland, ja aud in Frankreich. Bor ber Zeit des Perikles
war ber griechiſche Geif, Bildung und Genie Gemeingut ia
ber ganzen Nation, die Spartaner ausgenommen, bie immer
Barbaren waren und blieben, und einige peloponnefifhe Völker:
weber Eleer noch Arkader haben je Männer gehabt bie fie nen⸗
nen Tonnten, einige fpätere andgenommen, ja auch bie Achaeer
sit; in Sparta blühten die Handwerks - Arbeiter, Schloffer,
Schreiner, das konnte von Sflaven beirieben werben; wozu
freier Geift gehörte, das blühte nicht. Aber fonft war ber gries
chiſche Geift allgemein verbreitet. Die Poefie 3. B. lebte zwar
haupifächlih in Jonien und in dem afiatifchen Aeolien, aber fl2
war nicht auf das aftatifche Griechenland befchränkt, ſondern
auch zu Theben in ben herrlichſten Lyrilern ber ſpaͤteren Zeit,
16 Libteratur und Kunſt.
im griechiſchen Stalien und Sicitien bat fie glänzend gebläßt,
So hatte auch die Kunſt, d. h. in ihrer früheren Epoche verſchie⸗
dene Sitze gehabt; ein Haupifi war Korinth, ein andrer Yegina.
Bon Perikles' Zeit an tritt darin eine große Veränderung eis
und in noch fpäteren Zeiten ift Athen Alles, Athen allein hatte
Künftler und Nebner, Dichter, Tragifer, Komiler in bem dama⸗
ligen eigentlichen Sinn. Denn bie ältere ſiciliſche Komoedie hat
ein ganz anderes Weſen, hatte ganz andere Wurzeln wie bie
attifche. Die ſiciliſche Komoedie hatte gar Fein lyriſches Ele⸗
ment, wogegen das wefentliche Element ber attiſchen Komoedie
in Hinficht der poetifchen Darftelung das Lyrifhe war. In
Hinfiht des Gegenſtandes lebt die attifhe Komoedie in ber
polttifchen Welt, in ber Wirklichkeit, hingegen bie ſiciliſche hatte
einen ſehr weit audgebreiteten Kreis. Sie war in ihrem ganzen
Zuſchnitte und in ihrer Richtung wefentlich reflectivend und allge=
mein philoſophiſch, erſtreckte fih vom Himmel burch bie Welt zur
Hölle; freilich war ihre Philoſophie nach ber bamaligen eben fo
einfachen Art Rebensweisheit in ber Art wie Saadi's Schriften,
wie die Gnomiker, doch hatte Epicharmus in feiner Komoebie
auch Naturphilofophie. — Die vollendete Kunft, worin nicht
mehr bloß Andeutung und unvollendete Darftellung war, ſon⸗
bern welche das Lebendige bis ins Innerſte zu erfaffen und in
ihrem Stoffe wahrhaft Iebendige Geftalten, das wahre Bild
bes Innerften, nicht bloße Mumien barzuftellen firebte, zieht fich
wie fie nach dem Perferfrieg begann, fehr bald von allen Punc⸗
ten, nur Korinth ausgenommen, ganz nad Athen. In Korinth
biieb ein Theil ber mit Technik fich beichäftigte, und die Ver⸗
vollfommnung der Technik durch Kunft wohnte auch noch fpäter
dort, aber das Geiftige wohnte allein in Athen. Waren fünfte
auch von anderen Orten ausgegangen unb dort bis zu einem
Grabe ber Mittelmäßigkeit gebracht, ber ploͤtzliche Foriſchritt
zum Befleren und Beflen ging von Athen aus.’ Athen war
pas Herz des Körpers,’ ber eigentliche Sie der Kunft und fa
Literatur und Kunfl. 17
wurde Athen auch ausfchließlicher Sig ber Litieratur, Das
übrige Griechenland probueirt nichts Nennenswerthes mehr. Er⸗
fhien irgendwo in anderen Theilen Griechenland's ein bedeutender
Mann, fo begab er ſich nach Athen, bildete fih und wurzelte
nur dort, ähnlich wie im heutigen Frankreich Alles nach Paris
fih zieht, was nun aber freilich Feine genaue Bergleichung iſt ');
Die Parallele die fih dafür in Deutſchland in bem Ueber
gange der alten Volkspoeſie zu dem Verſuch einer Kunſtpoeſie
findet, ift nicht ganz genau. Diefer Uebergang, bie Nach⸗
bildung ber fremden Troubaboure, war über ganz Deutfchland
verbreitet, allerdings in Dber= weit mehr ale bei ung in
Norddeutſchland. Hier iſt mehr Nahahmung aus ber zwei⸗
ten Hand; weil ber Dialeft von Oberbeutfhland fih einmal
feftgefeßt hatte, Fonnte Norddeutſchland mit feinem Dialekt fich
nicht mehr entgegenftellen, und daher blieb bier viel mehr antif-
Germanifhes. Erf im fechzehnten Jahrhundert hat fidh dies
veränbert, indem ein großer Theil von Sübbeutfchland, wo Bil⸗
bung und Litteratur fehr einheimiſch war, erftorben if, fo daß
in jenem Sahrhundert fo wenig bairifhe als öfterreichifche
Schriftſteller mit geringen Ausnahmen zu nennen find, und fo
bem nörblichen Dentfchland der Borzug warb. Sept ifl ed wieder
allgemein geworden. So if ed au in Frankreich gegangen;
die feine Bildung Europa’s if im Mittelalter vom füblihen
Franfreich, von Katalonien und Balencia ausgegangen und nad
dem Norden binübergezogen. Diefe Länder finb aber jetzt, ver⸗
glihen mit dem nördlichen Frankreich, wohin fi hernach Alles
zufammenzog, und anderen romanischen Ländern, in Barbarei
verfallen. So entflieht der Geift oft und zieht fih nad einer
anderen Gegend hin, Nicht daß das fühliche Frankreich Feine
gewaltigen Geifter hervorgebracht hätte, aber dann haben fie
3) I der neueren Welt hat Florenz die größte Achnlichkeit mit Athen in
Beziehung auf die moralifchen und technifchen Künfte. 1826.
Niebuhe Bort. ab. d. A. G. IL. 2
18 Litterater uud Kunfl.
nicht mehr Südfrankreich angehört, die ganze Thätigfeit ihres
Geiftes war dann norbfranzöftf und auf Paris gerichtet. In
Marſeille ale Mittelpunet wären fie tobt geweien, wie in Ko
lophon u.f.w. In Catalonien aber ift ed wahrhaft barbariich
geworben. Eine von ben Urſachen [eines ſolchen Wechfels] if,
daß fih die Verhaͤltniſſe ganz anders ftellen, wenn bie Ausbil⸗
bung und ber Gewinn einer langen Zeit durch Kunſt und Re
flection benust werden muß. Es if etwas Anderes wenn Sjeber
fräftig von vorne beginnen Tann, als Juͤngling und mit unge-
fähr gleicher Mühe, etwas Anderes wenn fon eine Kunſt ent-
fanden if, die förmlich gelernt unb von der ausgegangen wer-
ben muß.
Die allgemeine Ausbildung zeigte fi feat in Griechenland
au von ber Seite die nachher einen fo großen Antheil an
dem Ruhme bes griechiichen Namens hatte, von der Seite ber
bitdenden Künfte ). Diefe find in ben früheren Zeiten nicht
die Ausfattung der Griechen geweien. Die Technik der Arbeit
in Erz u.f.w., mag ſchon fehr früh bei ihnen bedentende Auge
bitbung gehabt Haben, aber Alles was vom Zeichnen abhängig
iſt war noch ganz in der Kindheit,
Wenn wir hiergegen baran erinnert werben baß bie Kunfl
ſchon unter der achtzehnten Dynaftie in Aegypten trog ber bar⸗
bariſchen Starrheit dennoch bewunderungswürbige Schönheit hat,
namentlich bei Bilbung der Statuen aus höchſt wiberfirebenbem
Stoffe, und in den Malereien auf den Ruinen von Theben ſo⸗
gar Grazie und ausnehmend viel Wahrheit und Schönheit zeigt,
fo mäffen wir wohl erwägen, baß bis zur Zeit bes Perikles
mindeſtens neunhunbert Sabre verfloffen waren, feitbem bie Kunſt
in fremdem Lande diefe Ausbilbung erhalten hatte, und bag im
Aegypten feit ber Zeit die Kunf eben fo ſtille geftanden hatte
1) Für das Bolgende vgl. Bd. J. S. 368 ff. Die Wiederholungen, die In
dem Folgenden vorlommen, ließen fih nicht unterbrüden, ohne bas
ganze Gewebe zn zerflören. A. d. H.
Kunſt. 19
wie Alles im Drient, Wie noch gegenwärtig ſchon ſeit lange
höchftens nadbgebildet wird was in der Zeit ber Blüthe vorhan⸗
den geweſen ift, fo war auch der damalige Zuftand ber Kunft
bei den Yegyptiern und andern Bölfern,
Um das Berbienft und das Weſen der Schöpfer ber grie-
chiſchen Kunft zu faflen und anzuerkennen, müflen wir uns in
bie Zeit des dreizehnten und vierzehnten Sahrhunderts in Ita⸗
lien verfegen : obgleich noch in Konftantinopel eine überwiegend
nachbildende Kunft aus alter Schule war, fo war doch bag Le⸗
ben derfelben feit taufend Jahren abgeftorben, und bie großen
italtänifchen Künſtler haben die erfiorbene Kunft wieder hervor-
gerufen und zum Bewußifein gebradt. Sp war auch bas Ber-
haͤltniß der Schöpfer der griechiichen Kunft zu ber früheren
Kunſt: allerdings fünnen wir die in der Zeit des Perifles mit
der des breizehnten und vierzehnten Jahrhunderts nidht ver⸗
gleichen. ')
Ein Hauptzweig der älteren griechifchen bildenden Kunſt
war die Bildung in Thon, fo bie Gefäße die zuerft etruskiſch,
dann griechifch, jept wieder etrusfifh genannt werben. Schon
ſehr früh wurden folhe Thongefäße in fehr ſchöner Form ge⸗
arbeitet; bie Zeichnung war monochrom mit rother" oder gelber
Farbe auf ſchwarzem Grunde, Diefe Dialereien find auf ben
älteften Bafen ganz feltfam, für Lnbefangene durch verfehrte
Zeichnung widerlich. Hier fcheint bie griechiſche Kunſt zuerſt
ihre Zeichnung ausgebildet zu haben, dann ging man über anf
die Malerei und zwar auf doppelte Weife, Malerei auf Tafeln
und anf Wänden, die Testere damals gewiß nicht al fresco
fondern mit warmen Farben. Gemalt haben bie Griechen ſchon
frühe. Die erfle große Malerei hatte, wie bie in Rom, zum
Zwecke ganz große Handlungen, Schladhten u. |. w. vorzuſtel⸗
Im: die erfle von der wir beflimmte Kunde haben, war bas
Gemälde von der Schlacht bei Marathon von Panaenus in der
7) Der vorfichende Abfatz iſt von S.15 3. 17 Hierher geſetzt. A. d. 9.
e 2 »
20 - Ku.
Poekile, auf dem die attifchen Helden und perfifhen Heerführer
Portraits und vortrefflih waren. Diefe Malereien waren nicht
vollflommen; wie man aber Freude haben kann an Gemälben
von dem großen Giotto, fo aud an biefen, bie vieleicht nicht
yollfommener waren wie eben bie von Giotto. Polygnot aber
ik der Schöpfer der eigentlihen griechiſchen Malerei: mit einem
Male bat er fie in allen Richtungen zugleich gehoben, in ber
Technik und der Erfindung. Nachdem man an Darftellungen
aus ber mythiſchen und ber Göttergefchichte ſchon fehr ge⸗
wöhnt war, malte er in der Halle von Delphi die herrlichen
bomerifchen Stoffe. Die Beichreibungen die uns Paufanias
davon gibt find fo treu, daß wer Phantafie hat fih die Ge-
mälde darnach denen fann, auch ohne malen zu fönnen, und
ed war ein glüdliher Gedanke von Böthe eine Herftellung von
einem foldhen Gemälde aus der Schilderung des Paufaniae zu
liefern '). Aber der Verſuch ber Herflellung ift fehr wenig ge⸗
rathen. Diefes Werk ift gegen frühere ausgezeichnet; man
fieht daß Polygnot mit Macht hervortritt. Der Kaſten bee
Kypfelus ift in Hinficht der Kunf gar nichts geweſen, viel Tech⸗
nit, aber nichts in Hinficht der ſchoͤnen Kunſt.
Mit Polygnot zugleich erſcheint auf einer ſchoͤnen, noch viel
höheren Stufe die Bildhauerei die bei Weitem mehr durch bie
aeginetifche Schule vorgearbeitet fand. Die Bildhauereien von
Aegina, die aeginetiihen Statuen in München, find vortrefflich;
zwar nicht die Köpfe die abſcheulich find, aber die Figuren find
bewunderungswürbig. Dies läßt fih wohl nicht anders erflä-
ren als daß bie Köpfe noch alte Typen geweien find, von bes
nen man fich nicht erlaubte abzuweichen, wie jet in ber grie-
chiſchen Kirche bei den Rufen, wo man barbariſch fehlerhafte
Stellungen in den Bildern nicht abändern darf, wenn man nicht
von den Altgläubigen ald Ketzer verfchrieen werben will. So
2) Zeichnungen von F. und I. Wiepenhaufen. 1805 und 1826. Böthe's
Nagel. Werke, Br. IV... _
Kuufı. 25
fand Perikles in Athen die Bildhauerkunſt ſchon auf ihrer Hoͤhe,
d. h. fie hatte noch nichts Freundliches und Liebliches, fie war
noch firenge und hart, hatte noch viel Seltfames, war aber boch
fhon fehr vollfommen, Dagegen iſt die Kunft Marmor zu
bearbeiten erft in feiner Zeit recht verbreitet worden. Zwar
bat man früher auch Marmor bearbeitet, aber nur felten und
unvollfommen, Früher war neben bem Bilden in Erz bas
Schnitzen aus Holz eben fo gebräuchlich gewefen wie bei uns
feren Borfahren bis in’d vierzehnte und funfzehnte Jahrhundert,
wo trefflih in Holz gefehnitten warb (allerdings konnte man
auch Einiges in Erz gießen, nur feine menfchlichen Figuren).
Die fchöne Bearbeitung bes Marmors erhob fih zur höchften
Höhe erft nach dem peloponnefifchen Kriege, In Perifles’ Zeit-
alter find noch alle Statuen von Marmor gefärbt worden, erft
‚ fpäter entfagte man ber Farbe, Damals waren fie bunt vom
Kopfe bis zum Fuße, die Augen waren eingefegt mit Steinen,
die Kleider gemalt. Das Scönfte ber Art was wir befiken,
ift eine Diana in Neapel, wo noch viel von ber Malerei er-
hatten if. Ich begreife daß man bie Augen gewöhnen kann
es nicht mehr anftößig zu finden; inzwifchen war es bocd ein
Kortfchritt daß man bie Farben fortließ. Damals fam überall
das Anmuthige und Schöne hervor, das bloß Strenge ging
vorher.
In der Architektur war vor Perikles nur bie doriſche Ord⸗
nung herrſchend mit gewaltigen Säulen bie unten von unge=
meiner Dide fih nach oben faft fegelförmig verjüngen, wie im
weftlihen Sicilien, Selinus, Agrigent. Ich kenne biefe Bau-
art nur aus Zeichnungen und glaube nicht daß ich mich daran
gewöhnen würbe. Freilich näherte fih allmahlig das Verhaͤlt⸗
niß der Durchmeffer an Capitäl und unten (eine Baſis hatten
die Säufen nit). Unter Perifles if zuerft bie ioniſche Bau-
art über’s Meer gefommen, die in Jonien ohne Frage ſchon
vorher gebräuchlich gewefen fein muß... Dieſe ungemein fchöne
23 Kun.
ioniſche Bauart iR für ben der auf Ruinen des Allerthums
lebt, wie für mich, Die vollendeiße ber ſchoͤnen Geftalten, das
Emblem der vollendeten fchönen Zeit, wo bie Grazie audgebil-
bet aber noch nicht überbildet iR, während die Torinthifche Ar-
chiteltur ſchon ganz entfchieden dem fintenden Griechenlande an-
gehört. Perikles' Einfluß auf bie Baulunſt ift vorzüglich groß,
indem er den Schau der Republik zu den herrlichſten Gebäuden
anwandte. "Schon unter Rimon war bie Poelile, die Halle mit
dem Gemälde von der Schlacht bei Marathon aufgeführt, und
er baute den Tempel des Theſeus von perſiſcher Beute.’ Peri⸗
tles errichtete bas “Exarourcedov oder IInpIevamr, das gerade
hundert Fuß in ber Fronte hatte, Died hat Gelegenheit gege-
ben über den römifchen und den griedgiichen Fuß in Richtigfeit
zu fommen: ben griechifchen Fuß wiſſen wir dadurch genau und
find ficher daß wir auch den römifchen kennen. Das Ergeb-
niß von Cagnazzi's Interfuchungen über bie Größe des römi-
fen und griechifhen Fußes wird dadurch vollfommen beflätigt.
Das Parthenom if die eigentliche Herrlichkeit Athen's. Er er-
baute ferner die Propplaeen, die Halle die zur Burg aufführt,
wontt man alfo jeden Gedanken an Benugung derſelben als
Feftung aufgegeben hatte. Im immern Heifigthume bes Par⸗
thenon befand fi die Bildfäule ber Athene von Phidias, bie
nad der Beichreibung von der Zufammenfeßung aus Elfenbein
und Gold uns feltfam vorkommt, und dennoch können nur Bor-
urtheilsvelle es in Zweifel ziehen, wie man fo oft es hört, ob
Dies Bild nicht außerordentlich ſchoͤn geweſen. Die Schoͤnheit
lag im ganzen Ausdrude des Bildes, der Gehalt, Größe, der
Herrlichkeit überhaupt. Das Elfenbein war vielleicht bizarı an⸗
gebracht: man muß aber daran benfen daß es außerordentlich
leicht zu behandeln if, und dies kann Kunſtlern Gelegenheit ge>
ben weniger Mühe zu verfchwenden als beim Marmorbilde;
man feste aus Stüden zufammen, ohne daß man es fah.
Zu den großen Veränderungen in Perifies’ Zeiten oehört
Athen's Gluͤck uud hoͤchſte Bläthe. 23
bie Ausbildung ber Rede, die jetzt kunſtreich wurde. Ohne
Zweifel war vorber auch zum Volke gefprochen worden, aber
man ſprach kunſtlos. Ganz gewiß hat es auch früher Männer
von großem Talente ber Weberredung, klarer Darfellung und
leidenichaftlihem Ausdruck gegeben, wie Derebfamfeit oft gewal⸗
tig ift bei rohen Nationen. Bielleiht am Wenigften äußert fi
die Berebfamleit in Zeiten wie bie welche dem Perikles un—
mittelbar voranging; die Leibenfchaftlichfeit einer rohen Zeit
Dagegen ſchafft ſich eine eigene wilde Beredfamfeit, wie bei bem
Wilden in Nordamerika und den Nomaden. Perikles war aber
ber Erfie der mit der Abficht der Leberrebung feine Reben
Durcharbeitete. "Darüber find die Zeugnifle unzweifelhaft. Frei⸗
lich war er weniger ber Erfinder, als es in bem Geiſte der
Zeit lag, da ja Gorgias die Sache ſchon damals zur Kunft
ausbilden konnte, was er auf eine fo verfehrte Weife that, daß
die Rhetorif gleich von vorn herein verborben wurde. Keine
Kunft if von Anfang au fo verborben worden als biefe; hätte
Demofthenes feine Rhetorif aus ber Schule gelernt, fo müßte
er ein uoch gewaltigerer Geift geweien fein, um ber Redner zu
werben ber er geweſen if, fein Genie wäre burch ben verderb⸗
lichen Einfluß der Rhetorenfchulen verfümmert worden. Daß
er fo unberührt vom ber Zeit blieb, kam gewiß baber, bag er
durch keine Schule gegangen war und fich ſelbſt ausgebildet
hatte. Homer und Thukydides waren feine Muſter unb Letz⸗
terer iſt ein beſſerer Redekünſtler ald Gorgias, wonon. fpäter,
ein wahrer Redner der nicht folde oxynuara wie Gorgias
hatte ').
Das Zeitalter vom Perfer- bis auf ben peloponneſi⸗
ſchen Krieg iſt endlich noch dasjenige in welchem die Geſchichte
ihren Mund öffnet, und die bramatifche Poeſie erblüht. Die
Geſchichte nahm noch außer Athen ihren Urfprung, bie Tragoedie
) Der vorfiehende Adfap iſt von S. 18 3.13 Hierher geſetzt.
A. d. H
24 Athen'o Blüd und hoͤchſte Blathe.
entwickelte ſich aber in Athen. Bon den Anfängen ber brama-
tiſchen Poeſie, der Tragoebie des Thespis iſt ſchon geredet.
Phrynichus hatte in dem Perferkriege gefihrieben, und Aeſchylus
ohne Zweifel fhon vor demfelben begonnen; alfo kann man fa-
gen daß dieſe Entwidelung fih auf Klifihenes beziehe. Aber
es blieb dabei nicht ſtehen. Sophokles gehört in feinem gan-
zen Wefen der Zeit der vollfommenen Schönheit an, die ber
Aufſchwung nach den perfifhen Kriegen fhuf. Nie hat in einer
Nation eine folche Erhebung, eine fo Alles belebende Begei-
flerung fich fund gethan als in Athen in der damaligen Zeit:
die Jugend ber großen Männer fiel in die Perferfriege, und
nach denſelben entwidelten fie ſich und blühten auf durch bie
Prosperität welche Griechenland nad biefer Zeit genoß. In
bie Tragoebie geht die ganze Lyrik über: der Dichter fingt nicht
mehr wie bie Lyrifer feine eigenen Gefühle, fondern er Täßt
Andere fingen, wie er felbft würde gefungen haben. Der Dia-
log ift bei Weitem das Kleinfte, Geringfle; in den Ehören ifi bie
Kraft.’ Jener Auffhwung ging aud in bie herrliche alte Ko=
moebie über, 'das Kind des höchften Lebens und Lebensgenuffes’,
bie in ihrer Form etwas jünger als die Tragoedie iſt; denn bie
atheniſche Komoedie fängt erſt nach dem perfifchen Kriege an.
‚Wie fie der alten Tragoedie ganz würdig ift, fo ſtand auch al-
les Andere in diefer Zeit mit der Tragoedie in Harmonie: bie
ältefte attifche Berebfamkeit, wie die Reben des Antiphon und
bie Gefhichtserzählung des etwas jüngeren Thufydides.’ Weldye
Fülle von Männern von großem Genie und Talent in der da⸗
maligen Zeit in Achen war, kann man leicht überfehen, wenn
man fie in ben verſchiedenen Zweigen zufammenftellt. Bon
einigen find bios einzelne Erwähnungen, aber wir erfennen ben
Löwen an der Klaue und nach dem Wenigen können wir fagen,
welche ausnehmende Menſchen ed geweien find. Noch jetzt er⸗
greift und biefe Lebensfülle, wenn wir bie Werke aus jener
Zeit leſen. Man kann auch wohl fagen baß es Feine Zeit
Athen's Glück und hoͤchſte Bläthe, 25
gegeben bat, in der ein Volk glücklicher gewefen iſt als bas
atheniſche während dieſes Zeitraums. Denn wie follte ein Bolt
— wie ja auch jeder Einzelne — glüdlicher fein, als wenn es mehr
und mehr intenfiv lebt! Was ein Großes war, die bebeutenbe
Einfachheit der Sitten änderte fich bei diefem Glanze nicht, ber
Lurus ging durchaus nicht auf Einzelne über, ja bie Vorneh⸗
men durften feinen Rurus zeigen. Wie in Venedig Gleichheit
war, fo baß Tein Nobile eine geſchmücktere Gondel brauchen
durfte als bie anderen, damit dem armen Adel nichts vorgewor⸗
fen würde, fo mußte in Athen ber Vornehme fih dem Armen
durchaus gleich halten, und ed war eine allgemeine Frugalität
und Einfachheit. Diefe Tiegt in der griechifchen Weife, ift wie
es fcheint dem Volksſtamme eigen; leicht begnügt ber Grieche
fich für feinen Gaumen, Fleifch wird felten genoffen. Die Strenge
ber orientaliſchen Faften ift die Folge ber Lebensweife. ’Diiven,
Salat aus wilden: Kräutern, Fruͤchte, gefalzene Fifche, Brod,
Ricottia, allerlei Mitchbereitung, frifcher Käfe ift Die gewöhnliche
Nahrung der Griechen aller Zeit, mit ber fie vollfommen zu=
frieden find. Auch ihre Weine find durchgehende nicht vorzüg-
lich; es gibt einzelne herrliche Weine, aber bie gewöhnlichen
find nicht reizendb für den Gaumen. So lebte Jeder einfach,
und nur fo durfte er leben, wenn er Einfluß und Achtung bei
dem Bolfe haben wollte.
Der Bortheil des Reichthums war daß ein Neicher für
das Volk, die Gemeinheit viel thun konnte, daß er Feſte für
das Volk veranftaltete, und das mußte er thun. Die Reichen
wurden nad ben Liften ernannt bie Chöre auszuftatten, fie un-
terrichten zu Taffen, und deren Glanz und Vortrefflichkeit war
was Ehre und Auszeihnung gab. Wie viele orjdaı find auf
uns gefommen mit einer folchen Ehreninfchrift, daß dieſer und
fener für den Stamm Akamantis ben Chor gebildet, und daß er
damit für feine Afamantis geftegt. Eine andere Laſt und Aus-
zeihnung war die Trierarchie; der Staat gab bie Galceren,
28 Athen's Häüd und hoͤchſte Vlathe.
aber der einzelue Reiche wurde ernannt eine ſolche auszuräßen,
bie er in früferen Zeiten auch felbft führte: hernach kam bas
ab und er ließ fie von Andern führen. Wer fich auszeichuete,
dem ward ein ordyavog gegeben; wer feine Galeeren am Schöu-
Ken und Vollſtaͤndigſten ausgerüftet und die beften Ruderknechte
hatte, wer den Ruderknechten zu dem Solde den ber Staat be=
zahlie noch Zulage gab u. f. w., ber wurde öffentlich vor bem
Bolke genannt und befam einen Kranz; daß er biefen Kranz
befommen, warb auf eine Tafel eingegraben und der Kranz
barauf abgebildet. Dies war die Forderung unb bied bie Be-
lohnung. Ein fehr geiftreiher Dam, von dem man immer⸗
fort viel lernt, wenn er auch in einzelnen Fällen geirrt, bat
bierin eine große Noth gefunden, hat das harte Schidjal ber
reihen Athener gewaltig beflagt. Dies ik in fpäteren Zeiten
wahr; es hat gewiß Zeiten gegeben, wo man entjeglic
Uebermäßiges forderte und die Auszeichnung allein Taf wurbe;
aber bied war in Perioden ber Bebrängnig und Noth. Allerdings
ging man in biefen bis zur Unbilligfeit: denn mit ben Zei-
ten ber Prosyerität hätten auch die Anſprüche fallen follen.
Aber ich vebe bier von den Zeiten der unfäglichen Prosperität
Ahen’s; für diefe Zeit war die Einrichtung herrlich. Was
ſchadete es dem Nifias, Kallias und ſolchen Reichen, wenn fie
auch den allergrößten Theil ihrer Einfünfte für ſolche Zwecke
hergeben mußten die ihnen Ehre brachten, und fie fo etwas Herr⸗
liches beförberten? Denn konnte es etwas Herrlicheres geben
als eine Komoedie von Kratinus ober eine Tragoedie von Ae⸗
fhylus prächtig aufführen? Konnten irgendwofür große Sum-
men befler aufgewenbet werben? Und lebt das Anbenten jener
Ausftatter nicht noch heute fort? Dies if wahrlich nichts wor⸗
über man Hagen kann, wo bie Zwede wirklich groß und herr⸗
lich find, Diefe Menſchen, deren Andeufen wir nad 2000
Jahren noch Iefen, haben biefe nicht mehr als wenn fie Gelb
+
Unflöfung ber Verfaffung durch Perilleso. 237
von Zins anf Zins gelegt ober in Pracht und Ueppigkeit ver⸗
than hätten? 1)
»Die Blüthe Athen's in dieſer Zeit iſt ungeheuer. Dreihun⸗
dert Galeeren wurden von Privatleuten ausgerüſtet, die großen
Hefe von ihnen zum Theil aufgeführt, und zu dieſer ungeheu⸗
xen La drängte man fih als zu einer Ehre. Wie aber nichts
auf Erden volllommen ift, fo breitete ſich in biefer Kraftfuͤlle
ber Geiſt der Bolfsfchmeichelei aus: und wie Alles fo hoc
fand, daß man an einen Fall gar nicht denken konnte, da ward
ber Staat durch Gefege untergraben, bie von Demagogen vor⸗
gefchlagen wurden, weil fie dem Bolfe augenblidiich gefielen.
Die Berfaffung warb unter Perikles immer formiofer und
formlofer.’
Einiges über den Zuftand ber Berfaffung von Athen in biefer 43.2.
Zeit wird uns jet befchäftigen, und ich will in Kurzem einen
Umriß ber ſehr dunkeln Gefchichte Athen's im Innern geben.
Es iſt zuverläfftig wahr daß wir non ber Befchichte Der
aitifhen Berfaffung weit unvollkommener unterrichtet find ale
von ber ber römischen ungeachtet bes unermeßlichen Vortheiles
gleichzeitiger Schriftſteller, und obwohl wir burc die Redner
gleichzeitige Documente befigen; namentlich vermiflen wir bie
Uebergaͤnge. Wir bleiben ba und befonders in der Befchichte
ihrer Entwidelung auf Bermutfungen befhränft. Die Schwie-
rigfeit liegt darin: bie Umriſſe die im Wefentlichen bei ben-
alten Bölkern auf merkwürdige Weife gleich find, haben fich in
Rom mehr und viel länger erhalten, bie tebergangszuflände
) In der vorfiehenden Vorleſung hat vie Rrihefolge geändert werben
mäffen. Die urſprüngliche Folge iſt:
ID) SG. 133. 7 — S. 18 3. 1m.
2) Die Einfchaltung auf S. 18 3. 22.
3) S. 153.18 — ©. 18. 3. 13.
4) Die Einſchaktung auf S. 23. 3.4 v. m.
5) S. 18 3. 2 — S. 23 3. 4. v. n.
6) S. 23. 3. 4 v. u. — © 273.2 A. d. H.
28 Auflöfung der Berfafiung durch Berikiee.
find bauernder geweien und aud von ben Römern mehr be=
achtet worden: bie Aufmerffamfeit der Römer für ihre Ber:
faffung if ſehr beſtimmt. Obgleih die neueren Schriftfteller
verrorrene und verkehrte Begriffe von der Berfaffung baben,
fo find doch glücklicher Weile alle Hauptpuncte in ihr Har und
fiber erhalten. Die attifche Verfaſſung dagegen hatte fh chen
fo früh geändert, daß ihre eigentlichen Grundzüge bereits unter
Solon fehr modifieirt waren, und fhon vor dem perfifchen
Kriege haben ſich gewiß ihre Beränderungen nad Rüdfichten
des augenblicklich Rathſamen, nad Convenienz gebildet, nicht
nah Analogie des Krüheren, wie in Rom, wo ftetd bie neue
Berfaffung nach den Verhaͤltniſſen der vorhergehenden eingerichtet
worben if. Schon wo bie Gefchichte anfängt gleichzeitig zu wer⸗
ben, findet in Athen die Norm der Zahlverhältniffe, an denen
man in Rom fo viel erkennen kann, feine Anwendung mehr.
Bon vielen wefentlihen Veränderungen können wir nad einer
befonnenen Kritit nur fagen, daß bie athenifche Berfaffung um
bie Zeit bed peloponnefifchen Krieges zum Theil mehr zum
Theil weniger vorgefchritten geweien it, als bie gewöhnliche
Meinung dafür Hält, 3.3. ift Die Würde des aoxur dnei-
vouog, ber doch fpäter ein Schattenbilb und noch mehr eine
Null war als je ber Doge von Benebig, bis kurz vor bem
peloponnefifhen Kriege noch eine Achte Würde, eine wirkliche
Macht im Staate gewefen, unb bie erfien Männer Athen's
baben nicht verfchmäht fie zu befleiden: Solon, Ariſtides, The:
mißofles find aexovzeg drwvuuoı geweien. Gewiß if es nicht
richtig daß damals ſchon das Loos biefe hohen Aemter be-
flimmte, daß fie bereits «Angwral gewefen, ein Irrthum in dem
fhon Plutarch befangen iftz woher wären Themiftofled und
Ariftides dazu ernannt worden? Chen fo gewiß ift es. aber
daß die dnwruuos aeyn in Perikies’ Zeit durch das Loos be=
ſtimmt war, und wenn es heißt daß Perikles dem Areopag des⸗
halb entgegen gewefen fet, weil das Loos zum &exw» drzurunog
EEE
ne > Sinn ———“ — —
Auflöfung der Verfaſſung durch Perikles. Y
ihn nicht getroffen habe, fo ift dies wahrfcheinlich nicht wahr,
bezeichnet aber die damalige Art der Wahl und zeigt daß im
jener Zeit das Roos über diefe Würde entfchieb,
Den Gang der Veränderungen in ber attifchen Verfaffung
in den ungefähr 48 Jahren die vom perfifchen bis zum pelo-
ponnefifchen Kriege verfloffen, Fönnen wir nicht nur nicht Schritt
vor Schritt verfolgen, fondern wir find über Bedeutung unb
Umfang mehrerer berfelben fehr im Zweifel. Allem Anfchein
nach war im Anfange dieſes Zeitraums die Macht ber Bovin)
rüv nevsaxoolwv noch bedeutend; wahrfcheinlich Hatte fie noch
das Vorrecht daß ohne reoßovreuue fein Vollsbeſchluß gefaßt
werben konnte. Allmählig ift dies fehr verändert worden; und
in fpäteren Zeiten geſchah Alles in ber Form von einfachen 7-
plouora, was früher ein rgoßovkevua, einen Rathsbeſchluß
erfordert hatte. Die Wichtigfeit [jenes Grundfages] Tag darin,
daß der Beſchluß nicht ploͤtzlich vorgebracht und fürmifch gefaßt
werben konnte.
Ueber dad Kolgende ift viel geflritten worben, ohne daß
man zu einem Refultate gelangt ift: ed wird allgemein gefagt,
daß Ephialtes, der Freund bes Perikles, die Macht der vw
Bovan, der BovAn &v Ageip nnayp gefhmälert habe, Worin
aber die Gewalt diefer BovAn beftanden habe, ift etwas fehr
Dunkle. Mir fcheint eg unftreitig baß ihre eigentliche Gewalt
in etwas Indefinirtem befand, daß fie in dringender Zeit eine
Vollmacht vom Rath erhielt den Staat zu verwalten und aus
ferorbentliche Maßregeln zu ergreifen, wie in Rom bie Eonfuln:
videant ne quid respublica detrimenti capiat; und baß in drins
genden Fällen er ſich dieſe Gewalt auch wohl genommen bat.
Gewiß ift dag im perfifchen Kriege dieſer Rath eine Art bicta-
torifche Gewalt für die ſchwierige Zeit gehabt hat. Aber wie
in friedlichen und gewöhnlichen Zeiten fein Anfehen und Ber
fugniß geweſen, welchen Antheil er an ber Regierung gehabt
Kat, ift ganz dunlel, ebenfo welche Gerichte er hatte, unb welche
% Auflöfung der Berfeffung durch Perilles.
ihm durch Ephialtes entzogen find. Biel if in neuerer Zeit
geftritten worben, mit ungleihen Waffen und ohne Erfolg, ob
der Areopag dur Ephialtes bie dixas Worıxal eine Zeit lang
verloren und nachher wieder erhalten hatte. Ich babe Feine
Meinung darüber; mir fcheint es nicht unmöglih baf man ber
Sache näher kommen kann, ich glaube aber nicht daß man über
bie Wahrſcheinlichkeit binausfommen wird. Kurz dies fieht feſt,
daß der Areopag, wenn auch nicht in beſtimmter Korm, doch
überhaupt die Möglichkeit einer außerorbentlichen Gewalt hatte,
und vielleicht ift es dieſe außerorbentlihe Gewalt geweſen, durch
die er unmitselbar eingreifen und die Macht bes Volles hem⸗
men konnte', die Ephialtes ihm entzogen hat. Perikles und
Ephialtes arbeiteten beide auf Erweiterung ber Macht ber Bolfs-
gemeinde. Bon beiben kann man fagen daß fie uicht wußten,
was fie thaten, denn ohne Krage haben fie baburd der Repu⸗
DIE geſchadet. Wo der Umlauf des Bluts fo lebhaft if, wie
bei dem athenifchen Volf, da mußte man fi) hüten den Puls
zu befchleunigen, da mußte man dahin fireben Langfamfeit in bie
Berhandlungen zu bringen, Schläfrigfeit war nicht zu furchten;
Ephialtes war aber gewiß ein vollkommen rebliher Dann, ihn
teifft kein Borwurf von Egoismus und Ehrgeiz, eher kann einen
ſolchen Perikles verdienen, und ben möchte ich auf feine Weite
von Egoismus freifprechen. Perifles war fih bewußt das Bolt
zu beherrſchen, ed war mit ihm ibentificirt; feine Ueberzeugung
mit Geift und Feuer vorgetragen ging in die Seele bes Volks
über, und was er vorſchlug, das wurde angenommen. Ganz
anders aber fland er zum Areopag. Er hätte diefe Macht nicht
gehabt, wenn er vor einer befchränften Berfammlung wie vor
bem Areopag geredet hätte; auch Fonnte ex gar nicht vor die⸗
fem veden, wenn er Widerfpruch hätte geltend machen wollen,
benn er war nicht barin und hatte auch Feine Ausſicht in den⸗
felben einzutreten, da das Archontat nicht mehr wählbar war.
Hätten bie Neuerer bie Archonten nicht Ioosbar gemacht, fo
Auflöfung der Verfaffung durch Perikles. 31
würde er rcöruuο geworben, in den Areopag gekommen
fein und dieſen vielleicht beberuft Haben, So aber mußte er
ein anderes Mittel einfchlagen., — Der Areopag ift ein merk⸗
wärdiged Beifpiel von dem was man esprit de corps nennt
in feiner fehönften Bedentung, wie vor der franzöflichen Revo⸗
Iution das parifer Parlament eine Oravität und Unabhängig-
feit hatte, die fih allen Mitgliedern mittheilten und auf das
ganze Reben und Weife über gingen. Ein Parlamenismitglieb
durfte nicht frivol fein, ber war verachtet auch von einem fol-
dhem ber lieber die ganze Welt frivof gefehen hätte, Ein esprit
de corps der Art war auch ber ererbte Geift einer Familie in
freien Staaten; er ift das eigentliche Band, wodurd die Dauer
einer freien Berfaffung erhalten wird, von dem ein großer Zwang
von Sinnen ausgeht, wenn der Zwang von Außen anfgehört
bat. Wo in freien Staaten eine Gefinnung im einer Kamilie
it, ba bleibt dieſe ihr treu, fie muß biefelbe darftellen und es
fest ſich ein Grundton in ihr feft, der ſich dur Jahrhunderte
durch erhält; unmöglich ift es daß ein Ruſſel in England ein
Wortiführer des Abfolutismus wäre, das wäre ein Monftrum.
So if es auch in andern freien Staaten gewefen; dies iſt eine
wahre und wohlthätige Ariſtokratie. So hatte auch der Areo-
pag feine Gefinnung: ein Teichtfinniger, miferabler Menfch, fagt
Aeſchines ') in einer aufgelöften Zeit, mag in ben Areopag
fommen, fo muß er einen anderen Geiſt annehmen. Daher
war ber Areopag eine herrliche Sache. Er beftand aus den aus⸗
getretenen neun Archonten; biefe traten nach Vollendung ihres
Amtes in den Areopag und biieben ihre Lebenszeit darin. All⸗
ein weil der Areopag bie Zuverläffigfelt, Verſtaͤndigkeit ber Me⸗
publif fein folte, warb eine Prüfung gehalten, befonders feitbem
bie Archonten durch das Loos gewählt wurden, fonft wäre ed
eine Thorbeit geweſen. Wer durch das Roos ernannt war,
mußte eine doxuuaoie beftehen, bevor er fein Amt antrat, und
*) Irrthämlich ſtatt Ifofrates, Areopagit. p- 147, R. 4.2.8.
32 Zriobolle. Neberfühlung
ebenfo, wenn er die Zeit feines Archontenamts verwallet hatte,
mußte er wieder eine doxıuaala aushalten, bevor er in den
Areopag übertrat: fo wird ed auch in den italiänifchen Stäbten
über den Podefta gehalten. — Der Areopag wurde alfo durch
Perikles und Ephialtes fehr gefehmälert; Ariftoteles, ber tiefſte
Kenner indivibuellftier Berfaffung fagt darüber in der Politik:)
Perifles und Ephialtes &xoAovaay nv &v Apslp nayı Bovinv:
„No anderes Schlimme hat Perifled aus Motiven gethan,
die man völlig entichuldigen fann. Wenn man bedenft baß
der größte Theil der Einzelnen unter dem fouveränen Bolf fo
bitterlid arm war, ber athenifche Staat dagegen außerordentlich
reich, fo finde ich es vecht von Perifles dag er daran dachte
biefen Zufand etwas zu erleichtern und ben Einzelnen etwas
son den Reichthümern bes Staats zukommen zu Taflen ). Eben
fo werben bie leges frumentariae in Rom unbillig beurtbeilt.
Aber nicht gut war ed daß das Geſetz die Spende an bie Be-
bingung der Theilnahme an ben Volksverſammlungen und Ges
sichten Mnüpfte. Die Zahlungen wurden in bie Form eingeflei-
bet, daß Jeder, der in die Volksverſammlung und zu den Ge⸗
richten fam, bei dem Eintritt eine Marke empfing, für die er
ein zgıwßoAo» (9 franzöfifhe Sous oder 3%, Silbergrofchen;
ein Obolus ift etwas mehr ald ein Silbergrofhen) erbieltz
wie in einigen Akademien der Wiflfenfchaften, wo die Borle-
fungen oft fo fehr langweilig find, wer feine Pflicht erfüllt und
ſich einfindet, ein jelon befommt, das in Geld eingewerhfelt wird:
ein perifleifch-wiffenfchaftliches Inſtitut! — Das war eine fehr
große Ausgabe und bie fhlimme Folge davon war, daß alles
arme Volk, weldes fonft zu Haufe geblieben und feinen Ge⸗
1) Polit. II, 9. 3.
2) Wir fehen diefe Leute, arm und mit erbärmlich wenig zufrieben in dem
Romoedien des Ariftophanes, wie fie keibten und lebten. Go viel Cat⸗
ricatur auch darin ifl, das Einzelne des Volfslebens iſt es nicht. Frei⸗
lich find die ſchlimmen Seiten befonders herausgehoben — ſchlimm mehr
als bösartig — denn es war ja eben Komoedie. 1826.
ber Bolleverfammiung und der Vollsgerichte. 33
werben nachgegangen war, jet ’feinen Erwerb verlieh’ und ſich
zu ben Berfammlungen drängte, um fein Triobolon zu holen.
Die Bollöverfammlungen wurben mit einer unmäßigen Menge
gefüllt, und’ jebt warb in ihnen abgefimmt, wenn bie große
Menge dort war, während früher die Verfammlung aus benen
beftanden, die Intereſſe an der Sache hatten, und das Abflim-
men gefhah nun entweder aus Leidenfchaft ober auf’s Gerathe⸗
wohl. Alfo war biefe Veränderung fehr fhädlih. Noch fchlim-
mer beinahe war es daß damals die Volfögerichte fo ungeheiter
zahlreich wurden, und nicht nur für Staatsſachen, fondern auch
in privatrechilicher Beziehung; oft richteten in den Vollksgerich⸗
ten 5000; 500, 600 war eine ganz gewöhnliche Zahl. Das
it auch eine Neuerung der damaligen Zeit, obgleich es ſchon
früher Bolfögerichte gegeben : das Liegt in der Natur ber republi-
canifchen und Demokratischen Staaten, aber die waren anderer Art.
Diefe demokratischen Gerichte fieht man mei unrichtig wie
unfere Geſchwornengerichte an, in benen nur über das Factum
entſchieden werben fol, ob eine Sache gefchehen fei oder nicht.
Diefer Art waren in Rom bie einzelnen Richter, die ber Praetor
gab: der index juratus entſchied, ob ſchuldig oder unfchuldig.
Aber neben diefen Richtern gab es in Rom Bolfsgerichte, bie
nur Staats⸗ ober foldhe Vergehen betrafen, bie an Staats⸗
procefie anſtreiften. Dieje hatten einen ganz anderen Sinn.
Hier ward nicht allein die Frage, hat M. Manlius etwas Ille⸗
gales gethan, bat er die majestas der Obrigkeit verfannt? (das
war bie erſte Frage,) fonbern auch bie andere Frage entichie-
ben: if er zu begnabigen ober niht? und darum waren biefe
Gerichte vor dem fouveränen Volle, welches das Begnadi-
gungsreiht hatte. Das fouveräne Volk follte auch über bie
Stellung des Angeklagten, über feine Zurechnungsfähigfeit ur⸗
theilen. Das tft allenthalben bie Rüdficht bei den Proceffen
die vor Bollsverfammlungen gebracht werben: biefe als ſou⸗
verän übt dabei [im Gericht,] nicht in einem befonbern. Ac-
Niebahr Bortr. üb. d. 9. G. U. 3
34 Oypofition
tus, ein Begnadigungsrecht aus. Das if affo ber Stan aler
Bollögerichte bei ben Griechen und bei den Römern in früherer
Zeit. Im Anfange des fiebenten Jahrhunderts [hatten aller-
Dinge ] in Rom andere Gerichte, Gefchwornengerichte [biefe
Gewalt], Feine Bolfegerichte, bie man nicht mehr brauchen konute,
weil die Sitten ſich geändert hatten, und fo haben fie aud in
Athen im Berlauf der Zeit üble Folgen gehabt. Hierin waren
bes Perikles und Ephialtes Einrichiungen ſchaͤdlich, ba ſie bie
Vollsgerichte fo fehr vervielfachten, daß nicht bloß Staatsver⸗
brechen, ſondern auch Privatproceſſe vor das Volkl famen. Daß
aber auch ſolche Fälle in denen ed nur auf bie Entfcheibung
durch Ja oder Nein ankam vor dieſe viellöpfigen Berichte gezogen
wurben, war reiner Mißbrauch. Richtig war es daß der Pro-
ceß des Sokrates an das Bolf vor bie Heliaea fam, weil er
allerdings auf das Intereſſe des Staats fih bezog. Bei den
Römern gelangten alle Procefie, wo ed auf Ja oder Nein, auf
ſchuldig oder unfhuldig anfam, an einen einzelnen Mann, und
fie würden bie jegt allgemeine Anficht unbegreiflich gefunden
haben, daß mehrere Männer über bie bloße Frage ob Einer
ſchuldig oder unſchuldig fei Durch Einſtimmigkeit entfcheiben fol-
len. If es nun aber eine ſchlimme Sache, wenn zu unferer
Zeit die Schuld oder Unfchuld eines Angeklagten durch Die Über-
einftimmung von 7 oder 12 Menſchen ausgemacht wird, wo ein
Divergiren ganz unvermeiblich iſt, was follte erft da herauskom⸗
men, wenn 500 Menfchen, aus den aller Unwiſſendſten, Leicht-
finnigflen der Nation durch das Loos gewählt, entfcheiben ſoll⸗
ten? Da kamen ſolche Abſtimmungen vor, wie Ariftophanes es
in der unfterblihen Komoebie der Zprjxeg barftellt!
Dem Perikles gegenüber ſtand ein vortreffliher Wenn,
Thukydides von Alopele, der mit bem großen Gefchichtichreiber
vielleicht gar nicht verwandt, wenigflend aus einem andern De-
mas war. Er fand an der Spige von bem was man bamale
Ariſtokratie nannte, Die aber nicht anders Ariſtokratie war, als
— — | me © CET
—
des Thulydides. 35
was. in Rorbamerika der Demokratie enigegen ſteht, und feinen
Gedonfen an ewelufive Privilegien hatte. Man konnie ihr Feine
Bedeutung beilegen, und fir war nur auf bie einzelnen Fälle
angewiefen. 'An der Spitze dieſer Partei arbeitete! Thukydides
»die Auflöfung wenigſtens nicht weiter Tammen zu laſſen'; er
war ein vorcrefflicher Daun, ein Dann von eines berrlichen
Rednergabe, allein in dem Kampfe gegen Perikles konnte er fi
natärlich nicht behaupten; er konnte gegen Jenes populäre Ueber⸗
zeugungsgabe nicht auffommen, und Perikles konnte immer das
liefern was ber fouverän geworbnen Menge willlommen war,
Dann mangelte es dem Thukydides nicht an Fehlern, und da⸗
hin rechne ich daß er mit feinen Sreunden ſich in den Bolfd«
verfammiungen. abfonberte, daß fie zuſammenſtanden und eine
Art cäte droite bildeten, was dem Volle verbächtig war, und
ſichtbar zeigte, wie wenige fie waren (daher ihr Name öAlyoe).:
Da abet das Bolf ihre Wenigfeit fab, fo war Thufybides für
daſſelbe weniger bebeutenb.
Griechenland war ſchon damals in feiner ungluͤcklichen Ent-
wicklung auf jenen Punct gefommen, wo es fein anderes Krite⸗
rium zur Unterfcheibung der Leute mehr gab, ale das bed Ver⸗
mögens. Zuerſt hatten in Athen bie Gefchlechter den ganzen
Staat gebildet, bis die Gemeinden neben fie getreten, und dieſe
zufammen zum ganzen Boll gemorben waren, eben wie in Flo⸗
renz auf der einen Seite Geſchlechter und auf der anderen bie
Commune geflanden hatten, die nachher zufammen in 72 Ge⸗
fchlechtern il popolo bildeten. Sp hatten ſich Kräfte gegenüber-
geftanden, die auf einander einwirken und fich gegenfeitig hemmen
fonnten. Aber jegt war bie eine Seite der Bürgerfchaft, bie
Geſchlechter, ganz verſchwunden, und diefer Sache konnte nicht
abgeholfen werben, weil-man nie daran gedacht hatte bie alte
Ariftofratie fo zu erfrifhen, daß fie immer fortbeftehen konnie;
aber das will fie auch ſelbſt nicht, die Ariftofraten wollen aus
fo wenig Perfonen als möglich befteben, Da bies fo wenig in
3 =
36 Abſterben jedes ariſtekratiſchen Clementes.
Griechenland als in Rom verſucht worden, war die Bewegung
ſeitdem in’6 Vage und Grenzenloſe hineingegangen; wollte man
unterſcheiden, fo hatte man fein anderes Kriterium als das bes
Vermögens, und darin alfo loͤſte ſich der alte Begriff der Ari-
ftofratie auf. Er verlor fi dermaßen, daß ſelbſt Ariſtoteles,
bem fonft nichts bunfel if, denſelben in feinem alten Weſen fid
nicht recht Mar machen kann; den Ariſtokraten vom Oligarchen
weiß er wohl zu unterfeheiben, aber das weiß er nit, daß
bie alte Ariſtokratie gar nicht auf Gelddiſtinction beruhte. Es
gibt aber feine elendere Art der Unterfcheibung als biefe nad
bem Gelbe. Wie Vieles hat nicht weit beffern Werth als Ber-
mögen? Nie konnte man biefen Fehler wieder gut machen, und
daher fpäter nie mehr einen feſten Körper bilden, ber fi be⸗
baupten konnte. Oft if in Athen daran gedacht worben aus
ber Maffe der Bürgerfhaft einen Theil zu ziehen, der Son-
verän fein follte, und man hat mehrmals augenblickliche Ver⸗
fuhe zur Abhülfe gemacht. Phrynichus und Antiphon von
Ahamnus gingen nur darauf aus, Theramenes bei Bildung
der Dreißig hatte gewiß nur biefe Idee; nach dem peloponne⸗
ſiſchen Kriege zeigten fih Spuren eines Ausfheibungsplans,
wie wir ed in ben Aragmenten bes Lyſias erwähnt finden,
aber das wellte. Hernach verſuchte es Demetrins Phalereus,
da ging es eine Zeit lang, weil Kaſſander mit gewaltigem
Arme daſtand, alle Parteien ſich ſtille hielten, und die Tyran⸗
nei durch einen wohlwollenden Mann vertreten war ber fie
nicht für fih gebrauchte, Aber nichts Bleibendes Tonnte man
ſchaffen.
Urfachen und Folgen des peloponneftichen
Krieges.
Schriftſteller.
Dies war das Unglück in allen griechiſchen Staaten; ’ die
inneren Berhältniffe hatten fi aufgelöft, und man Eannte faſt
überall Feine andere Eintheilung als jene allereraſſeſte, die
nad) dem Vermögen, ober es regierte die ganze Mafle dee
Bolks. Bei einer fo geiftreichen Nation wie bie Athener war
bie demokratiſche Form freilich nur ein Scheinbilb: da herrich-
ten die einzelnen großen Männer, und die Berfammlung folgte
ihnen. Wo das aber nicht if, da ift nichts erbärmlicher als
biefe demokratiſche Art, wie 3. B. in ber Schweiz. Die
Staaten hatten nicht mehr bie Kraft fich felbft zu regeneriren
und’ alle griechiichen Berfaffungen waren im peloponnefiichen
Kriege zu Revolutionen reif; aber biefe führten nicht zu blei=
benben Formen, zu bauernden Berfaffungen, fonbern vielmehr
zu Mfurpationen.
Noch mehrere Gründe kamen dazu die den Krieg vor⸗
bereiteten.
Dahin gehört bie außerordentlich zugenommene Bevölfe-
rung. Griechenland war in ber damaligen Zeit unmäßig be=
völfert, Dean bebenfe 3. B. daß Corcyra 120 Galeeren in’s
Meer ſendete; wollen wir auch annehmen, baß bie Ruderbaͤnke
38 Uebervölterung Griechenland's.
größtenteils mit Sklaven befegt waren, fo können wir doch
fiher fein, daß fie 24,000 Mann ) zur Beſetzung hatten,
wenn fie vollftändig [bemanni] waren, und das vom einzigen
Korfu, während fept auf ber ganzen Infel 60,000 Menſchen find.
Die Zakynthier fchifften den Corcyrasern 1000 Hopliten zur
Hülfe; Zante Fönnte wohl auch jegt 1000 Mann aufbringen,
aber welcher Aufwand fie zu verfenden! Ich habe mich gegen
die Angaben von ber Bevölkerung Aegina’s und Korinth’s
erklaͤrt; dieſe find freilich Lächerlich ; aber in Athen waren im
Anfange des peloponnefifchen Krieges 29,000 freie waffentragende
Hopliten von Bürgern und DMetoefen ; rechnen wir auf jeben eine
Familie von 5 Perfonen, fo haben wir [ungefähr] 150,000 Freie.
Ich glaube nun zwar, daß die Zahl der Sflaven geringer ge=
weſen iſt als die der Freien, aber dennoch iR das Heine Attika
unglaublich bevölkert geweien, unb man begreift wirklich nicht,
wie die Leute im Stande waren nur das DBrob zu baufen,
das aus ber Fremde Fam. Diefe Uebervölferung, wovon ein
großer Theil arm, ift die Haupturfache der bamafigen Gäb-
rung unb des Berfals der griechiſchen Ration. In fräheren
Zeiten behalf man fi mit Eolonifation, allein das Mittel war
damals nicht mehr leicht und nicht an ber Zeit; bie meiften
Länderfiriche waren befegt. Aber doch fehlte es noch nicht an
Gegenden dazu. Damals fandte Athen Eolonieen nach Amphi-
ı) Mur ein Heft hat eine Qualification für die 24,000 M. Diefes fat
bas Wort „Andere“, das aber im Gegenſah zu deu Sflaven nur Freie
betreuten Tann. Webrigens ift der ganze Sag fehr auffallend. Da Gier:
nah N. angenemmen haben müßte, jede Triere fei mit mindeſtens 400
Mann befept gewelen, und da cin Fehler der Nachſchreibenden auyens
fheinlich nicht vorliegt, muß man eimen Sprachfehler Ns voraus⸗
ſetzen. Wahrfcheinlih hat er tie Zahl 22,009 für die Freien angeben
wollen, als die Hälfte der vollen Bemannung, hat aber dle Diol⸗
flon vergeflen und den Dividendus der ihm zunächft vorfehmebte ge:
nannt. Huch kann er haben fügen wollen: „Die 120 Galeeren kat:
ten vollftindig bemannt 24,000 M. VBefapung, und waren auch bie
Ruderer größtentheile Sklaven, wie —— war doch dieſe Macht
für das einzige Korfu.“ A. d. H.
Erbitterung zwifchen Athen und dem Peloponnes, N")
polis; fie hätten in's Innere bes adriatiichen Meeres gehen
ſollen. Ausführbar wäre es wohl geweien, aber Schwierigfei-
ten wegen, bie uns nicht klar find, ift ed gerade damals wo
das Bedürfnig am flärffien war, unterblieben; die Lebernöl-
ferung aber erzeugte Armuth, Gährung und Revolution.
Die alten Sitten hatten fih ferner überall fehr ſchnell ver⸗
ändert; eine außerordentliche Lebhaftigkeit und ein Bedürfnig
heftiger Gemüthserregungen, Neigung zu Neuem herrſchten im
ganzen Volk. Die alten Meinungen waren erlofchen, mindes
ſtens erfhüttert, und Dagegen breiteten fich viele neue Specu⸗
Iationen aus,
Sn. diefem Zuftande war ein folches Zufammenftoßen zwi—⸗
fen Athen und dem Peloponnes nicht zu vermeiden. ’Die
glüdfihe Zeit Sriechenland’s war vorüber, und der Krieg brach
aus, weil ber Friebe nicht bleiben konnte.“ Der ypeloponnefi-
ſche Krieg ift eines der Ereigniffe die fi) aufhalten aber nicht
vermeiden laſſen, und bie durch die gegenfeitige Erbitterung
ber Gemüther früher oder fpäter nothwendig losbrechen müſ⸗
len, weil fie Bebürfniß und weil der Friedenszufland etwas
Widernatärlihes und zulegt Unerträgliches ift ). Dei der
feit Langem genährten Erbitterung zwifchen den Athenern unb
einem Theile ber Peloponnefier, bei dem Neide ber Korinthier
gegen Athen’s Größe fland es nicht in menſchlicher Macht dem
Ausbruche des Kriegs vorzubeugen. Er konnte nicht mehr
durch einen Frieden befeitigt werben, wie früher durch ben
Frieden des Kimon, man mußte zur Entfcheibung fommen unb
der Krieg mußte ausbrechen: ber nachherige Frieden [des Ni⸗
kias] war ein bloßer Waffenſtillſtand.
Diefer Krieg ift die entfcheidende Krifis, in ber das friſche
Leben Griechenland’s untergegangen ift: proprium periculum
faerunt qui vicerunt, fagt Livius. ' Er hatte von Anfang an
1) Der letzte Satz iſt vom Anfange der 43. Vorl. hierher gefeht.
A. d. H.
4.8.
40 Bernichtuug der Blathe
den Charakter eines Kampfes der kein beſtimmtes Ziel hat,
ber alfo and nicht andere enden fonnte als mit dem Unter-
gange einer von beiden Parteien. Diefed Gefühl, das fih auf
durch die blinde Menge hindurch erfiredite, machte den pelopon-
nefifchen Krieg von Anfang an zu einem Bertilgungsfriege.’
Der Zuftand der Blüthe Griechenland’s vor dem Kriege
verhält fih zu dem in ber Folgezeit ungefähr fo wie Deutſch⸗
land vor dem breißigjährigen Kriege zu dem Deutſchland nad
demfelben; wie Stalien vor ben Kriegen von dem Einfall
Carl's VIH. an und nach denſelben. Das gilt nicht nur hin⸗
fichtlich der moralifchen und intellectuellen Verhaͤltniſſe, ſondern
auch in Hinficht ber Zerftörung des Landes, obwohl biefe in
Griechenland nicht ganz fo arg war. Das Yünglingsalter
Griechenland's hat ſchon frühe aufgehört mit der Zeit ber Epi⸗
fer und der früheren Lyriker; aber mit bem ypeloponnefifchen
Kriege geht das frifhe Mannesalter unter, Selbſt wenn man
einen ber größten Geifter die es fe gegeben, Demoſthenes,
der beinahe allein in feiner Zeit lebt, mit den Maͤnnern vor
bem peloponnefifchen Kriege vergleicht, fo ift das Poetifche ver-
fhwunden. Nah dem Kriege dauert noch eine Zeit lang ein
wenig Poeſie im Leben fort; fie verſchwindet fpäter ganz: es
ift noch ber Glanz ber untergegangenen Sonne, ber von ben
Bergen zurückſtrahlt. Wie in der auguftifchen Zeit die Maͤn⸗
ner die in ber Periode der bürgerlichen Kriege und vor der Schlacht
von Altium jung waren, auch noch unter Augufus in der
Stille, in verbältmigmäßiger Behaglichkeit ihre unſterblichen
Werke geichaffen haben, biefe aber doc ber Entfiehung nad
ber vergangenen Zeit angehören, fo war ed auch im pelopon-
neſiſchen Kriege. Dies hat feine Anwendung in allen Künften
ber menfchlichen Nebe, wie in der ganzen Art und Weife des
Seind. In der Bewegung bie auf ben peloponneſiſchen Krieg
folgt, war Alles müde; wie in Frankreich in der Revolution
zehn Jahre nach dem Anfange Fein Trieb zu neuer Bildung,
Griechenland's durch dem Krieg. 4
Darflellung und Unternehmung war, fo war ganz Griechen-
land müde unb matt geworden, alle Illuſion, Taͤuſchung,
Hoffnung waren erfchöpft und abgenugt. Das ift ber unglüd-
liche Ausgang bes peloponnefifchen Kriegs.
In den Krieg binein trat man noch mit großer Friſche;
Manches war fhon vor dem Kriege auf dem hoͤchſten Puncie;
Anderes erreichte eben jegt feinen Gipfel. Die Tragoebie hatte
fhon vor dem Kriege ihre bedeutendſte Höhe erreicht, es fallen
zwar bie größten Stüde in ben peloponneflihen Krieg, aber
das find nur bie Früchte ber früheren Blüthe, In ber Ko⸗
moedie war eine große Menge von Meiftern bie nicht genannt
find: Arifiophanes tft ber größte. Anders mit der Tragoebie:
mit Sophofles ift Feiner zu vergleihen. Mit der bildenden
Kunf iſt es einigermaßen anders, fie gewann fortfchreitend
während des Krieges und noch nad dem Kriege, erreichte eine
Ausbildung, Feinheit und Anmuth, von ber man früher noch
nichts geahndet hatte. Was fih im Laufe des Kriegs vollen-
dete, war bie Kunft der Profa, bie vor demfelden noch nicht
ba gewefen war; fie warb erſt jegt erzeugt und gebildet.
Die Macht, der Reichthum Griechenland’ warb durch ben
Krieg aufgerieben. Es war vor dem Kriege ein fehr blühen:
des Land; jetzt erfchöpfte fih der Reichthum, und auch bie
Gegenden die nicht unmittelbar durch Berbeerung Titten er»
hielten einen gewaltigen Stoß durch die großen Aufgebote ber
Spartaner. Dazu fam bie allgemeine moralifche Verwilderung
in biefem Kriege, die allgemeine Auflöfung; alle Gefühle bes
Haſſes und der Erbitterung entwidelten fih, bie Empfinbun-
gen bes Vertrauens und bes Wohlmollens farben ab und vor
Allem ging mit ihnen ber fjugendlihe Blid auf die kommende
Zeit für immer verloren. Das Leben warb fortgelebt wie eine
Pflicht; man Iebte vorwärts ohne Freude, ohne Ausſicht anf
ein heiteres, ſchönes Leben, auf Erfüllung von Träumen und
Gedanken.
4 Achriftſteller. Thulyddes.
Der peloponneſiſche Krieg if der unſterblichſte aller Kriege,
weil er den größten Geſchichtſchreiber gefunden von allen bie
je gelebt '). Thukydides hat das Hoͤchſte erreiht was in
der Geſchichtſchreibung möglich if, ſowohl in Hinficht der ber
flimmten hiſtoriſchen Sicherheit als der lebendigen Darfellung.
In lesterer Hinficht Tieße fich vielleicht Tacitus mit ihm ver»
gleihen, wenn wir die fehlenden Bücher feiner Hiſtorien haͤt⸗
ten; denn bei denjenigen bie wir haben war er noch nidt
mithandelnd und wirfend, wie Thukydides es in ber Zeit war
bie er beſchrieb. Tacitus if aber nicht fo ungezwungen unb
fo auſchaulich. Thulydides iſt überall noch gegenwärtig und
ſteht noch. Darin ift er einzig; vielleicht hatte Livius in den
legien Büchern, freilich in ganz anberer Art, eine aͤhnliche
Unſchaulichkeit. Salluſt bat fie in feinen Reben, vielleiht im
den verlornen Büchern auch fonft gehabt. Der Tadel, den man
rüber auf Thukydides geworfen, ift der abgefchmadiefle: in
im und Demofthenes hat jedes Wort ein volles Gewicht.
Die Meinung einiger Alten, daß Thufybides das adhie
Buch nit geichrieben Habe, und dieſes von Theopomp fei, iſt
unbegreiflich verlehrt. Mit der ganzen Gefchichte iſt er nicht
fertig geworden, aber foweit das achte Buch vollendet, iſt es
von ihm gefrhrieben, fo gewiß wie die erften fieben, und zwar
fo wie ed werben follte. Mit der Zerflörung der athenienfi=
ſchen Expedition nach Sicifien ging das alte, coloffale Athen
und bie ſchoͤne Zeit Griechenland’d zu Grunde, und ber übrige
Krieg war jammervoll und herzzerreißend; man ſah nun bag
Ende ſchon voraus. Dies ift der Grund, warum er bas achte
Buch anders fchrieb als die übrigen, Bis zu Ende bee
fiebenten feigt bie Feierlichleit feiner Erzählung, wie bie
Größe ber Ereigniffe fleigt: nun aber war die Größe dahin,
und da war nichts mehr feierlich und erhaben zu erzählen: es
war Fein Wille mehr vorhanden, man war in dem Unglüd
1) Der vorſtehende Satz if von ©. 39 3. 27 hierher geſetzt. A. d. H.
Benophon. 48
und konnte nicht mehr anders Handeln ald der eiferne Gang
bes Schickſals wollte. Auch Die Demegorieen mußten wegfal-
len: fie wären ganz an unrechter Stelle gewefen,
Sortfeger bed Thukydides ift Xenophon in ben beiben er⸗
fen Büchern der Hellenifa, Diefe find aus einer anderen Zeit
und ein ganz anderes Werk als die übrigen. Sie find als
Fortſetzung bes Thufydides in feiner Jugend gefchrieben, als
bie Helden des peloponnefishen Krieges noch lebten, und bes
fonders herausgegeben. Zwiſchen das zweite und dritte Buch
tritt die Anabafis, und das dritte Buch der Hellenifa hängt
fo wenig mit ben früheren zufammen, baß die Chronologie,
die er fonft immer treu befolgt, abbricht. Das dritte Buch ift
eine Fortſetzung der Anabafis, fo daß [in ber griechiihen Ge-
ſchichte] zwei ganze Dlympiaden ausfallen, und bloß der Zug
des Agis gegen Elis eingeihoben wird, andere wichtige Ber
hältniſſe aber gar nicht berührt werben. Daß übrigens bie
Anadafis von Xenophon iſt, ift evident, auch Täßt ſich nit bes
zweifeln daß es ſelbſt der Themiftogenes iſt). Die Anabaſis if
gewiß früher geirhrieben als die fünf lepten Bücher der Hellenika
jene ift von einem rüftigen Manne gefehrieben, biefe in hohem
Alter, wahriheinlih in der Mitte des ppoliſchen Kriegs ent⸗
ſtanden. Geſtorben ift er nicht vor DI: 108. Seine Gerichte
it nichts werth: unmwahr, ohne alle Sorgfalt, wahrbaft- aus
dem Aermel geſchüttelt. Er bat lange Zeit ald Mufler der at-
tiſchen Eleganz gegolien, aber wie matt und fehlaff find feine
Erzäplungen, wenn man ihn gegen Thufybides hält: es ift wie
Gleim gegen Goͤthe! Seine Parteilihfeit für die Spartaner iſt
bimmelfchreiend; alles -befchönigt er und iſt Verläumder und
detrectator feines Baterlaubdes. Unbegreiflich if feine Berblen-
bung, ba er die Hegemonie der Spartaner als heilbringend uab
wohlthätig fih Dachte: für einen Aihener ganz unbegreiflich, —
Zür bie Zeit der Dreißig Tyrannen treien bie Reden des Ans
2) Bellen. Hl. 0. 1.
|
|
|
44 Theopomp. Anfrelgung Koriath'e zum Kriege.
bofides und Lyfias ein, und dieſe geben ein viel helleres Lit
als Xenophon.
Außer Xenophon ſetzte auch Theopompus ben Thulybides
in feinen Helfeniten fort. Er führte die Gefchichte von dem
Ende des Thukydides bis zur Schlaht von Knidus fort. Die-
ſes Wert mag fein beſtes geweſen fein, als Werl von be-
ſchränktem Umfange und ohne Anfprüde, und ba feine Per:
fönlicheit bier aus dem Spiele blieb, ’
Die Anfänge des Krieges.
Der Ausbruch des unglüdlihen Krieges war alfo nit
mehr zu vermeiden. Zwifchen Athen und ben Peloponnefiern,
namentlich zwiſchen Athen und ben Korinthiern, war eine un⸗
überwindlihe Erbitterung die unvermeiblih zum Aeußerſten
führen mußte. Die Korinthier aber fonnten ihre Rache nur zu
befriedigen fuchen, indem fie die Spartaner anfregten. Das
war nicht fo leicht, da die Spartaner felbft gar niht zum
Kriege geneigt waren, nicht aus Gewifienhaftigfeit wegen bes
breißigfährigen Friedens, fondern aus Schwerfälligfeit, weil ein
folher Staat der fo in ganz veralteten Formen lebt und eigent-
ih nur Erinnerung an vergangene Zeiten if, natürlich eine
Shen vor Bewegungen und Erfhütterungen haben muß, aus
Denen entweder Veränderungen hervorgehen Tönnten, denen man
nicht entgehen kann, ober bie große Nachiheile herbeiführen,
wenn man nichts verändert, "Auch fühlten fie wohl baß fie
den Krieg nicht enbigen fünnten, und daß er ihnen Außerft
läflig fein würde, weil fie feine Revenuen hatten, Dies er⸗
Hart die große Abneigung der Spartaner gegen ben Krieg, ob⸗
wohl fie Daneben den bitterfien Haß geger Athen hatten’. Als
lein es waren mehr die Häupter des Staats, die biefe Schwie-
rigfeit einſahen, als bie Maſſe ber fpartanifchen Bürger, bie
Nächte Beranlaffung. Krieg zwiſchen Korinth und Corcyra. 11
über ben Krieg zu enticheiben hatte. In folgen Faͤllen hatten
nur die ächten Spartiaten Stimme, nit bie Lalchaemonier
und Reodamoden; fie waren eine Berfammlung wie bie Cu⸗
rien im alten Rom, ber Demokratie nur an Größe nicht gleich,
und biefe drängten zum Kriege. ’Die Bundesgenoſſen der
Spartaner waren verfihieben geflimmt: ein Theil war gang roh
beutegierig.’ |
Veberfläffig iſt es hei einem ſolchen Kriege nach 2000 Jah⸗
ren zu fragen, auf welcher Seite das Recht ober Unrecht des⸗
felben war, indeffen fann man es nicht vermeiden. Den
Athenern Tann man nicht ganz Unrecht geben: ber Schwädere
war es bier, wie oft, ber ben Krieg veranlaßte, nicht der Maͤch⸗
tigere. Zwiſchen Korinth und Corceyra war ein Zwift über
Eyidamnus ausgebrochen. Died war eine corcyraeiſche Colonie,
und nach Sitte ber damaligen Zeit war bei Gründung berfel«
ben von Korinth ein olwıorng genommen, ba Corepra ſelbſt
Tochter Korinih's war. Wie das römische Volk Triumviri er⸗
nannte, wenn eine Colonie gegründet warb," bie Alles veran⸗
Ralteten und oft Gefege fihrieben, fo war es aud bei ben
Griechen, aber fo daß ein Einzelner Dietator. für die Anlage
einer Anfiebelung war. Wenn nun eine Stadt, bie ſelbſt Co⸗
Ionie war, wieder eine Colonie gründete, fo war es Sitte,
baß biefer Dictator yon ber Mutterfiabt erbeten wurde, So
Rand bie Eolonie ber Colonie zur Mutterflabt ähnlich, wie wenn
in Rom ber Großvater ben Sohn eines emancipirten Sohnes
wieber aboptirt hätte. Aboptirte er biefen, um ihn nachher wie-
der zu emanecipicen, dann hatte ber Enkel feine andere Pflicht als
die ber Pietät, und fo hatte auch die Eolonie feine andere Ver⸗
pflichtung. Epidamnus Fann nur angefiebelt worben fein, als
die Illyrier noch ein fehr ſchwaches Bolt waren, ober biefe
Gegenden noch gar nicht inne hatten, Die Süyrier ſind wahr⸗
ſcheinlich ein fpät eingewanderies Boll, bie viel ſpaͤter vor⸗
drangen als man meift geglaubt hat, und fo Kann es wohl
48 2 Reg zwiſchen Korinth und Coreyra.
fein, daB, als Epidamnus gegrändet wurde, jene Jyrier ent⸗
weber noch nicht angeſiedelt oder ſchwach waren. Aus Uriſto⸗
teles Politik) wiſſen wir, daß die Verfaſſung von Epidamnus
in alter Zeit ſehr oligarchiſch geweſen iſt: alſo war der dori⸗
ſche Vollsſtamm ſehr gering an Zahl und es waren viele
Fremde unter den Einwohnern. Das gibt die Erflärung über
bie Berhältniffe die Thukydides erzählt, daß dĩuog und
ökdyor zerfallen und diefe von fenem überwältigt und vertrie-
ben waren. Die Vertriebenen waren zu ben nahen ilyrifchen
Kaulaniiern geflohen und wandien fih an Eorcyra. Hier muß
Damals eine gemifchte Verfaffung gewefen fein, nachdem früher
much Oligarchie gewefen war. Denn auch Corcyra bat ge
miſchte Bevölkerung gehabt, ba ſchon ehe bie Korintbier fi
dort niederließen, eine alte eretrifche Colonie beſtand, bie eine
liburniſche Bevölferung beherrſchte. Die korinthiſchen Corcy⸗
raeer hatten alſo Unterthanen auf zwei Stufen: coloniſirte
griechiſche Eretrier und helleniſirte Liburner. Weil aber bie
Corcyracer ein ſeefahrendes Volk waren und eben fo die alten
Bewohner , die fie vorfanden, mußte die Berfaflung bald aus
iprer ſtarren Oligarchie heraustreten, und es entwidelte ſich all⸗
mählig eine gemifchte Verfaſſung. Seltfam und ganz unna⸗
türlich iſt es, daß bie beiden großen italiänifchen Republiken
Venedig und Genua handelnd und feefahrend und babei Oli⸗
Harchieen war. In Griechenland hat ſich Die Dligarchie nirgends
gehalten wo Schifffahrt und Handel war; biefe haben immer
nothwendig zur Demokratie geführt, Das haben ſchon einige
ale Staatsweiſe als allgemeines Ariom aufgeftellt, weswegen
Einige die immer Marimen vorfhreiben wollen, ſich einbilden,
man: müfle die Echifffahrt als Uebel betrachten, weil: fie zur
Demokratie führe. Der Grund ber Betrachtung iſt hiſtoriſch
richtig. Aber Corcyra war damals noch nicht eine Aupasoc
Innoxoeria, nit fo demofratiih, daß der Demos -in Epi⸗
1) V. c. 1, 6.
Krieg zwiſchen Korinih und Corcyra. 4
bamnus füh nothwendig an fie angefchloffen und bie öAdyos
ſich nicht an fie gewandt hätten... Bielmehr überwag die Bluis⸗
verwandfichaft bie. Demokratie: die Dligarchen waren ben Cors
eyraeern fhammverwandt, hingegen war ber Demos aus man:
cherlei Bolf gemifcht und ihnen fremb, unb fo wanbien fi
nach Blutsverwandtſchaft bie 6Alyoı an die Corcyraeer.: Diefs
wollten eine Berfühnung berftellen, aber bie Epibamnier ın bir
Stabt, ber Demos, wandten fih an die Korinthier, nachdem Oil. 86,1.
fie vergebens einen Bund mit Coreyra geſucht. Juriſtiſch konnie
offenbar von beiden Seiten Bieled über das. Necht zur Einmi⸗
fhung gefagt werben, und follte Dies Verhältniß im Proceh
burchgefährt werden mit allen Chifanen ber Jurisprudenz, fo
ließe ſich auf fehr verfihiebene Weiſe enticheiden, wie, in einem
fehr gelehrt gefchriebenen Proceß Lucifer's gegen Ehrifius über
Beeinträdtigung bes Heibenthbums aus dem 17ten Jahrhun⸗
dert. Korinih Fonnte fagen, bie Stabt fteht unmittelbar unter
unferem Schug, weil wir ben oixıozns gegeben, und das haben fie
dem auch gefagt. Aber ber ſchlichten Vernunft nach ging die Stat - .
die Corcyraeer mehr an als die Korinihier. Die damals han⸗
beiten, baben ſich nicht nach Gefühl über Recht oder Unrecht
entfchieden, indeß für uns ift ed nicht gleichgültig.
Kurz die Corcyraeer und Korintbier famen in heftigen
Zwift, wozu ſchon früher Gründe vorhanden gemefen waren,
Zwifchen Corcyra und Korinth war ſchon feit ange ein Mies
verftändniß, ba bie Korinthier auf bie große Macht der Cor
cyraeer eiferfühtig waren. Auffallend ift es übrigens, wie we
nig dieſe von ihrer Macht Gebrauch gemacht zu haben ſchei⸗
nen. Wozu ihre große Seemadht non mehr als 120 herrli⸗
hen Galeeren? Diefe müflen fie doch gebraucht haben. Aber
darüber it feine Spur; viele haben fie wohl brauchen fürmem,
um die Seeräuber zu verfolgen und bie Hanbelsichiffe zu es⸗
rortiren, indeſſen das erklärt noch nicht das Ganze. Moͤglich
iſt es auch, daß nicht geringen Antheil an jenem Miigverhältnife
DI.88, 2.
DI.88, 4.
48 Athen“e Ciumiſchuag.
ber Umſtand hatte, daß Corcyra den Handel der Korinthier in dieſer
Gegend hemmite und an ſich zog. Die Richtung Korinth's hier⸗
her iR wegen feiner Colonieen klar. Alſo, es entſtand Erbitte⸗
rung. Die Corcyraeer mit ben Andgewanderten belagerten Epi⸗
bamnnd, wohin bie Korinthier fhon vorher eine Befagung ein-
gelegt hatten. Diefe wurde nun mit bem Demos zuſammen
eingeichloffen und durch Hunger gedrängt. Zum Entfage fanbie
Korinth eine Klotte theils eigen, theild von den Bunbesgenof-
fen von Leufas, Ambralia und Andern, aber diefe wurde ecla⸗
tant gefchlagen, und barauf ergab fi Epibamnus den Cor⸗
eyracern.
Die Korinthier in Leivenfchaft dachten nur an Race, und
machten eine für ihre Kraft gewaltige Ausrüftung, fo baß bie
Gorcyraeer wohl einſahen, daß fie allein biefer Macht nicht Wi⸗
derſtand leiſten könnten. So verließen fie den weilen Grunb-
fag, den fie bisher gehabt Hatten, ih von Bundniſſen mit
größeren Staaten fern zu halten, nnd fuchten jegt den Bund
ber Athener. Athen nahm fie auf, aber fo, daß es nur ein
Bertbeidigungsbünbnig mit ihnen ſchloß, und dies iſt eine Sache
bie unmöglich getabelt werben fann. Die Beurtheilung über
Berfändig und Unverftändig, Unrecht oder Recht, liegt wie
immer in ben Reben beo Thukydides offen ba. Das gehört eben
zu feiner bewunbernswürbigen Kunft, daß er durch dieſe Reben
uns [de6 weiteren Nachfragens] überhebt. Er legt ung bie
gemäthlichen Zuftände aller Perfonen dar bie im Handeln be⸗
griffen find; wir ſehen Die Leute, wie fie den Entſchluß faflen,
wid fehen fie in dem Zuflande in dem fie find, ehe fie den Ent-
ſchluß gefaßt Hatten, ſehen was fie fi dabei dachten. Er
laͤßt fie reden, nicht wie fie reden follten, wie Mandher es
tun würde, [fonbern, wie fie wahrſcheinlich gerebet haben].
Dies gehört zur größten Meiſterſchaft ber hiſtoriſchen Kunſt.
Bei Thulkydibes redet der Athener, Corcyraeer, Korinthier nicht
fo, wie man Sachen beutiheilt, wenn ſie einmal geſchehen find
Athen's Cinmiſchung. 49
und die Erfahrung belehrt hat, fondern wie man redet in ber
Zeit, wo man eine Entſcheidung faflen muß, wo man noch im
Irrihume iR und bie Zufunft noch im Dunfeln Tiegt. Ich babe
gelejen und gehört, daß Männer von Urtheil fagen, bies fei
ia falſch, ber Ausgang habe die Sachen ganz anders gezeigt,
wie er dies habe fagen fönnen? Darum verfuht man Emen⸗
bationen u. f. w. Diefe aber tabeln fehr mit Unrecht: Thu-
kydides wußte Das wenigftens 10 mal oder 100 oder 1000 mal
beffer als wir, wußte aber au, daß man anders fprach als
die Sachen entſchieden werben follten, anders nachher, und daß
man fih vor ber Entſcheidung täufchen konnte. Ein Geſchicht⸗
fihreiber der Revolution würde zwar nicht Neben halten Iaffen,
die im Convent nicht gehalten find, aber durch Memoiren ober
Anderes würbe er [die Gedanfen] vorlegen, bie gewaͤhnte Leich⸗
tigfeit bes Siegs wuͤrde er mit derſelben Zuverſichtlichkeit dar⸗
ſtellen, wie bie Leute fie ſich damals einbildeten. — Will man
alſo die Frage erörtern, ob bie Athener das Buͤndniß mit Cor⸗
eyra annehmen follten ober nicht, fo Liegt das Für und Wider
im Thulpdides. Nicht genug kann man ihn mebitiren, er
läßt fo weile hier nicht Athener veben, fondern nur Korinibier
und Corcyraeer, und doch hören wir den Athener. Wäre ich
damals Athener geweſen, fo hätte ich unbedenklich zu Dem ges
rathen was ohne Zweifel Perikles gerathen hat, nämlich den
Bund mit Eorcyra anzunehmen. Athen mußte bamals eifer-
füchtig fein auf die wachſende Macht feiner erbitiertfien Feinde,
und es lag fehr nahe, die Peloponnefier an dem Beſitz biefer
reichen und mächtigen Inſel zu hindern; der Krieg mit ben
Peloponneſiern Fonnte nicht ausbleiben und dann war Corcyra
fehr wichtig für Athen. Auch war es Fein hinlänglicher Grund
für bie Peloponnefier, einen Friedensbruch darin zu fehen. Der
breißigjährige Waffenftiliftand hatte nicht überhaupt bie Befug-
niß genommen neue Bundesgenoſſen aufzunehmen, nur bie
der Gegner aufzunehmen war verboten, und kurz vorher hatte
Niebuhr Vortr. ab. d. A. G. I. 4
50 Athene Ginmiſchung.
nur ein Infall gehindert, daß bie Peloponnefier bie empörten
Samter als Bundesgenoffen aufgenommen, welche doch mit ben
Arhenern Bundesgenoffen waren, was alfo zehnmal mehr Un⸗
recht geweſen wäre; denn Corcyra war Kleines Bundesgenoſſe.
Der Beſchluß warb nun gefaßt,: wie es richtig war, es war
vies aber ein fo folgenſchwangerer Entfchluß, daß das was ge:
ſchah bei Weitem nicht ausreichend war. Man blieb mit ber
Ausführung bei weniger als halben Maßregeln ſtehen, unb
ſandte eine viel zu ſchwache Macht. Hätte Athen eine große
Flotte gerüftet und Vermittelung zwifchen Korinth und Corcyra
serfucht, fo hätte man vielleicht für ben Augenblid dem Kriege
vorbeugen Tönnen, wenigftend ber Schlacht, die den Srieg her⸗
beifuͤhrte. Viele haben aber gewiß gebacht, der Beſchluß würbe
zur BVerföhnung zwifchen Korinth und Eoreyra führen; trete
man aber mit bebeutender Macht zwifchen Beiden vermittelnd
auf, fo könne bas eher zum Krieg führen, und daher wurben
nur 10 Schiffe von Aihen gefanbt.
Diefe waren Zuſchauer einer Seeſchlacht zwifchen ber cor-
eyraeifchen und einer überlegenen korinthiſchen Flotte *), in der
D1.88,4. die Korinthier ganz entſchieden flegten, und ohne Zweifel wür-
den fie bis zum folgenden Tage bie Corcyraeer big in ben Ha⸗
fen getrieben und ben größten Theil ihrer Flotte zerftört Haben,
wenn nicht noch am Tage der Schlacht zum größten Gluͤck für
die Corcyraeer eine andre athenifche Eskabre fignalifirt worden
wäre, [die man nachgeſandt hatte], da man doch einfah, daß
2) Im Thukydides kommt da, we er von der Ausrüung der Flotte
fpricht (I, 29,) der Auedruck Zevyyirar vor, von alten Schiffen, cin
Wort, das nicht ficher erflärt wird. Ich habe feinen Zweifel, daß er
bebentet, die Schiffe kalfatern: man füllte die Kitzen mit Werg und
Theer und nagelte Bretter darüber. Auf diefe Weife waren die Suiffe
dicht. Won diefen Leuydeions heißt es oft, daß fie nicht eine glatte,
regelmäßige Flaͤche den Wellen darbeten, fondern durch Abergenagelte
Bretter ungleich waren.
Nache Korinih's. Abfall vom Potidaeo. 51
man zu. wenige nach Corcyra geſchickt habe. Dadurch wurde
den Korinthiern der Sieg entriſſen.
Diefer uerwunſchte Ansgang ber. Schlacht brachte bei ben
Korinthiern große Erbitterung hervor, und fie rächten fih dadurch,
baß fie die Eolonie Potidaea an ber -Käfte von Makedonien und
Thrarien (welche foäter son Kaffınder Kaſſaudrea umgenannt
und von ihm vergrößert wurde) zum Abfall una Athen an⸗
hetzten. Diefe Stadt unb die benachbarten Heinen hallidiſchen Ol. 87, 1.
und bottineifhen Stäbte (die Bottiarer find ein peinsgifches
Bolt, ſudlich von Theffalonife zwiſchen diefer Stadt und ber
Halbinfel Pallene) fielen jept von Achen ab, die letzteren durch
König Perdikkas von Makedonien aufgemuntert, yon dem unten
bei der Geſchichte Philipp's Die Rebe fein wirb. : Damals may
an biefer Küfte eine fehr große Zahl außerordentlich kleiner
Städte. Während am Athos und der Halbinfel Sitkonia,. zwi⸗
fhen Pallene und bem Athos, fo wie auf der öfllichen Küſte
biefe® hervortretenden Landes thrafifche Bendlferung war, wurde
die ganze Weftküfle. von Griechen und Pelasgern bewohnt. Die
Korinthier hatten diefe Sache mit der größten Geſchiclichkeit
angezettelt: bean bie Empörung ber Pottdaeaten brachte die
Athener in große VBerlegenheit. Sie waren genöthigt Truppen
binzufenden; flatt aber den Aufftanb gleich zu erdrüden, ſandten
fie eine Heine Macht bin, die ganz unzureichend war, und dies
verzögerte ben Krieg auf eine für Athen höchſt nachtheilige Weiſe.
Während nun Korinth und When gegen einander fochten,
’maren Sparta und Athen immer nod im Frieden, und wollten
ben Krieg nit, da Beide fühlten, daß fie einander nichts an⸗
haben konnten. Es war eine merfwürbige Spannung, wie
Thukydides fie meifterhaft ſchildert. Jetzt nun forderten bie
Korinthier eine allgemeine peloponnefifche Tagfagung bie ih in
Sparta verfammelte. Nach vielen Deliberationen befchloß biefe
endlich, mit großer Benmilichleit der Spartaner und gegen bie
Ermahnungen des Könige Archidamus, folhe Horberungen in
4 e
58 Forterungen d. Pelopouneier an hen. Botive Athen's z. Rriege.
Athen zu machen bie nothwendig zum Kriege führen mußten;
daß fie den Aegineien die fi empört hatten, die Antonomie
wiedergeben und daß fie das Juterdict alles Verklehrs zwiſchen
Aihen und Megara, das die Athener gegen Letztkres ausgefpro-
den hatten, aufheben ſollten.
Die Erzählungen über bie Urfache biefes unpeoua gegen
Megara zeigen deutlih, auf wie ungewiflen Boben wir gera-
sben, wo wir weiter als Thukydides hinaufgehen, und wie wir
da nur in Sagen und Anekdoten leben. Das Factum iR klar,
Daß aller Verkehr zwifchen Athen und Megara aufgehoben war.
Barum aber war das gefchehen? Iſt der Zufammenhang der,
wie Plutarch ihn wahrfheinlih nad Ephorus erzählt '), fo trifft
Die Aihenienfer auch bier Seinedwegs Zabel. Athen Hatte vie⸗
lerlei Beſchwerben gegen Megara; um Genugthuung zu forbern
fol auf Perikies’ Borfhlag ein Hero nad Megara und Sparta
gefandt fein und biefer war in Megara ermordet; Megara aber
laͤugnete es. Daher hatten bie Athener Recht, fie als Verruchte,
dvayeis, zu betrachten. Die andere Erzählang aber iſt nicht
wahr und beruht auf einem Spaß, der in der Komoedie bes
Ariſtophanes [dem Acharnern] flieht. Ariſtophanes gehörte ganz
zur Oppofition, und er erlaubte fih deshalb ber herrſchenden
Regierung in allen Dingen Unrecht zu geben und willfürlichen
Anlaß zum Tadel in allen Dingen zu erfinnen; er hat feine
Zuhörer [mit jener Geſchichte] nur lachen machen wollen, und
wollte nicht, daß Jemand fie glauben follte. Um fo weniger
fein Ernft war, dag Jemand dies thun follte, um fo breifter
und Teichter erzählte er. Unglaublich if, wie bie Hiftorifer,
bie Ephorus und Plutarch vor fih hatten, dies fo zuverfichtlich
glauben Fonnten.
Thulydides fagt, zu Perikles' Zeit fei Die Verfaſſung Athen's
bem Namen nad demokratiſch gewefen, aber ber Wahrheit nach
die Herrſchaft des erfien Mannes. - Der Zuſtand von Athen
) Plnt. Pericles. c. 30.
Perfönliche Motive des Beriflee. 53:
war mit dem von Florenz unter ben beiden erſten Mebici zu
vergleichen, unter Cosmo, der nicht ganz mit Recht Vater des
Baterlandes genannt wird, und Lorenzo il Magniſico. Wie füh
nun unter biefen, obgleih man fich im Allgemeinen fügte, doch
eine Dppofition erhob, fo war auch gegen Perifles bei der gro⸗
Ben Macht feines. Einfluffes doch Widerfireben wuverfennbar.
Sein Einfluß war früher fchon zweimal erfchüttert worben,
aber nur vorübergehend, und hatte fih ſchnell wieber herge⸗
ſtellt; ernſtlicher drohte ihm der Untergang beim Anfange
bes peloponnefifihen Krieges; eben in feinem höheren Alter
mochte das Wibderfireben bedeutender fein. So thöricht, unver⸗
Händig die Maͤhrchen die man über Perikles' Perfönlichleit hat
für einen großen Mann und ein großes Bolf find, fo wenig
mag man bagegen fireiten, daß allerdings das Gefühl des Pe⸗
titles daß feine Macht etwas abnahm, einen Einfluß auf bie
Beſtimmtheit feiner Politik gehabt haben kann, und baf er des⸗
halb den Krieg gerne gefehen hat, Aber was an Aneldoten
darüber und Unverftänbiges erzählt wird, it Maͤhrchen. Thu⸗
fydides, in allen Dingen ber zunerläffigfte und unverbächtigfte
Zeuge, bat dem Perifies in feiner Eharakterifiif ein Denkmal
gefegt, wonach er auf einer Höhe fleht, bie ihm allerdings die⸗
jenigen freitig machen mäffen, die ſich fein Bild nach der vita
des Plutarch entwerfen. Er zeigt ihn uns als ungemeinen Ge-
rius, als einen wahrhaft großen Staatsmann, der durch feine
Perföntichkeit Lenfer bes damals größten Staats war. Wenn
wir nun bei ihm leſen, daß fein Einfluß fo groß geweſen, weil
er fo ganz uneigennügig und fern von allem fchnöden Gewinn
war, fo werben wir fene Anefdoten, die etwa ein Hermippne
und feines Gleichen aus trüben Duellen gefhöpft und aufbe⸗
wahrt haben, verachten: Perikles habe ben Krieg begonnen, weil
man ihm Rechnung über die Verwendung der Gelder zum Bau
ber Propplacen abgeforbert habe. Sicher iſt das eine elende
Erfindung.
54 Dypofition gegen Verifles.
Gewiß if aber, daß fi eine Menge Anfeindungen gegen
Perikles erheben; das lag im Gange der Berhältnifie. Seiner
Abkunft nad gehörte er zur Ariftofratie, feiner Neigung und
Veberzeugung nad aber firebte er bie allgemeine Sreiheit zu be=
feRigen. Indem ex nun bie alten Bande, bie ſich größtentheils
ſchon zerriffen und gelöh hatten, völlig auflöfte, fo erfolgte na⸗
tarlich, daß ber Zufland, ben er herbeiführte, Fein organifcher
war. Seine ganze Fuͤhrung war feine ſchaffende, organiſch bil-
dende, fonbern völlig perfönlich: die Blüthe unb ber Einflng
Athen's hingen von feiner Perfönlichkeit ab; es war eine glückliche
Anarchie unter dem Einfluß eines großen Mannes, wobei aber
für die Zukunft ſich nichts befeftigte. Hätte ex für dieſe ſchaf⸗
fen tönnen, fo träfe ihn ein großer Vorwurf. Aber wer kann
das fagen, wer mag bie Schuld dem großen Manne zuſchrei⸗
ben? Denn wer kann behaupten, daß biefer Gang der Ereig-
niſſe nicht notbwendig geweſen? Dft find das die glädkichfien
Zeiten, auf bie nothwendig die Zeit bed Berfalld folgen muß;
was bas Gluck des Einzelnen ausmacht, begränbet oft noth⸗
wendig ben Berfall bed Ganzen. "Unter Perifles’ Leitung
trat die Snbivibualität in ber Nation und in dem Einzelnen
in ihrer ganzen Wirkſamkeit hervor, die Abhängigkeit ging in
ihr unter und verfhwand, und fo Tam ein Zuſtand, daß wäh-
rend in feiner Jugend Themiftofles und Ariftibes, darauf The⸗
miftoffes und Kimon, Kimon allein, bann Perikles mit bem
etwas ülteren Kimon zufammen, fpäter er und ihm gegenüber
Thukydides von Alopele, die Gefammtheit der mächtigen atti⸗
ſchen Staatsmänner, moAsrevousvor und drrimolırevöueros
ansmachten, fo in Perikles' legten Tagen eine Külle von aus⸗
gezeichneten Maͤnnern hervorgetreten war, die danach tradhieten,
den Staat zu leiten. In ben Stand bazu gefegt waren fie
durch Geſchick ber Stantöfunft und einen Grad ber Ausbildung,
namentlich im freien Reben, ber in Perikles! Jugend durchaus
nicht vorhanden gewejen war, außer bei ausgezeichneten : Män-
—
Oppofition gegen Perilles. 55
nern, wie er felbfi, und dem vielleicht Perikles ſelbſt nicht in
fo hohem Grade befaß. Keiner aus ber Schaar aber, bie jegt
auftrat, hatte eine Baſis für fein Syſtem. Nur zum Heinen
Theil beftand fie aus denen (Alfibiades war noch Jungling)
die den Schatten der alten Arifiofratie heraufbeſchwoͤren wollten,
meiftend waren ed aber Demagogen, Leute, die bie Erften fein
wollten, bie. den Perifles als einen alternden Mann, betrachter
ten ber ihnen im Wege fiebe, und befien hohe Stellung eder
für fih haben wollte. So entflanben die Anfejubungen gegen
ibn nad einem traurigen, aber ganz natürlihen Gange bes
menſchlichen Lebens, ber ich oft auch in ber Litteratur und Wif-
fenfchaft zeigt. Haben große Männer bie Bahn gebrshen, fo
behandeln die, welche ihnen ihr Dafein verdanken, Diefelben ale
ſolche, welche ihnen im Wege find, vorzüglich in aufgeregien
Zeiten; wo ber Puls Tangfamer fhlägt, mag das Verßhaͤltniß
anders fein. F
Dies geſchah Perikles in hohem Grade; da er nun ſelbſt
unangreifbar war, ſo ſuchte man ihn in denen zu verwunden,
bie ihm theuer waren, und daher erhobman Beſchuldigungen gegen
fie: fo entfland bie fchändliche Auflage gegen Phidias wegen ber
Beruntreuung bed empfangenen Goldes. Diefer aber hatte Das
Gold [an der Statue] fo weife angebracht, daß es einzeln her⸗
ausgenommen und gewogen werben konnte. — Nun warb er
der ao&ßsıa angeflagt, weil er fein eigenes Bildniß im Base
relief am Schilde der Athene angebracht habe. Damals. erho⸗
ben fich ſchon Die verfegernden Anflagen, deren Opfer fpäter
Sofrates wurde. So trat auch ein Hyppfrit mit Auflagen ber
Unfrömmigfeit gegen Anaragoras unb bes Perikles' Freundin
Aspaſia auf, daß fie den gefegmäßigen veligiöfen Glauben
nicht hielten. Mit Mühe rettete Perifjes Beide; Anaragoras
warb fogar in-ben- Kerfer geworfen, kam aber burg Perikles
Verwendung in Freiheit und entfernte ſich. Gegen Aspaſia
56 Hotgwendigfeit des Krieges für Athen.
war noch mehr Haß. Auf diefe Welfe wurden immer bie Pfeile
auf Perikles abgeichoflen.
Daher ift e8 allerdings fehr möglich, daß die traurige Ein-
fiht, es fei nothwendig das Bolt zu befchäftigen, den Pe⸗
rifles zum Kriege gemeigter machte. Aber er hätte ihn auf
nicht hemmen können. Der Krieg war feine Sade ber Will:
für mehr, er hätte ihn auffchieben können, aber nie aufheben;
er mußte fommen, er konnte im vierzehnten Sabre des breißig-
jährigen Friedens kommen oder im zwanzigſten, genug einmal
mußte er ausbredhen. Und wenn es allerdings wohl gewiß iſt,
daß ed auf ber einen Seite der Bortheil Athen’s fein mußte,
den Krieg noch etwas hinauszufchieben, weil eine Berlängerung
des Friedens bie Kraft Athen's vermehren mußte, da Sparta
ſtehen blieb, Athen beſtaͤndig an Macht und Reichthum zunahm,
fo war auf der anderen Seite zu befürchten, daß, wenn der
Friede noch lange dauerte, Lesbos und Chios daran denfen
mödten, ſich aufzulehnen und die Empörung eines dieſer Orte
ben Krieg zu einer für Athen ungelegenen Zeit einleiten würde.
Unterhandlungen bin und ber konnten zu nichts führen.
Perikles ermahnte bie Athener nichts zu fürchten; nur warnte
er fie, wie Thulydides ihn fagen Täßt, fi nicht in phantaflifche
Unternehmungen einzulaffen, fie follten den Krieg mit Ruhe füh-
ven und was fi nicht ändern Taffe ruhig erwarten. Es kann
fein, daß dies bloß das Urtheil des Thufybides ift, ift er aber,
wie glaublich ift, Hier wirklichen Weberlieferungen von Perikles
gefolgt und ift Dies ber Rath des Perifles, fo erfcheint dieſer
dadurch allein als einer ber helldenkendſten Stantsmänner, bie
je vegiert haben; das zeigt der Ausgang. Denn bas iſt gewiß,
hätten die Athener ben Krieg fortgeführt wie in den erften Zah:
ven, nachdem bie erſte Verheerung von Attika eingetreten war,
und hätten fie Unternehmungen gegen bie Feiude auf taufend
Puncten gemacht, fo hätten fle die Peloponnefier mürbe machen
Wahrfcheinlichtelt des Erfolges. 37
und einen günftigen Frieden, wie es ber bes Nilias war, auf
die Dauer erlangen Fönnen.
Die Schilderung der Macht Atben’s wie fie Thukydides
giebt, iſt fo authentifg, wie nur etwas fein kann, Sie ifl im
höchften Grade erflaunenswürbig, und unbegreiflich if es, wie
auf dem Schutte des perfifchen Krieges binnen 48 Jahren eine
ſolche Macht erwachfen konnte! So wäre eigentlich nichts für
Athen zu wünfchen geweien, als bie Kortbauer biefes Zuſtandes,
“ und bo wäre auch damit unruhigen vorfirebenben Gemuͤthern
fein Genüge gefhehen. — Man fieht, daß aus Bürgern und
Metoeien zufammen genommen 29,000 Waffenfähige an Hopli⸗
ten und 1200 Reifige waren; fie hatten 300 Galeeren, ja noch
mehr zu Zeiten in biefem Kriege; einen Schatz von 6000 Tas
Ienten, 9 Millionen Thlr. Preuß. Eour., 600 Talente, 900,000
Thlr. Tribut von den Bunbesgenofien, ohne bie große Ein⸗
nahme aus Attika felbft, von den Zöllen unb dem Ertrage von
ber Domaine unb ben Silberbergmwerfen 'die wenigſtens 1 Mill.
Thlr. betrugen. Dazu maren eine unzählige Menge Toftbarer
Gefäße u. |. w. vorhanden, und die Galeeren wurden von
Privatleuten ausgerüftet.’ Gegen biefe Revenuen flanden bie
Peloponnefler wie ein armes Bolt, mit Ausnahme Korinth’s,
bas ein bedeutender Handelsſtaat war, deffen Handel aber durch
ben attifchen Krieg ganz zu Grunde gehen mußte. Aitifa war
durchaus große Weltmacht und in Hinficht feiner Flotte, feiner
Meeresherifchaft ein Hanbelsftaat, ber zu ben übrigen griechifchen
Staaten in dem Verhaͤltniß ftand, wie Großbritannien zu be
zen bed feſten Landes, die trog reicher Probucte dennoch
an Geldmitteln arm: find. Die Peloponnefier hatten feine ge⸗
meinfchaftliche Kaffe; im Berlauf des Krieges erhoben bie Spar-
taner allerdings auch Abgaben von ben Bundesgenofien, aber
Anfangs Tonnten fie nur große Heere aufbietenz jeder Staat
mußte fein Truppencontingent verforgen und gewöhnlich. zeichte
bas nur auf 6 Wochen ober hoͤchſtens 2 Monate aus; dann
DL87,1.
58 Der archidamiſche Krieg.
hatten fie feinen Unterhalt, alſo war Tein Halten mehr, und Alles
ging auseinander, Auch ihre Flotte befand aus Heinen Con⸗
tingenten unter benem fich einzelne befanden, bie Yortrefflide
Seeleute hatten, fo Korinth unfzeitig fo gute als Athen. Aber
wenn fie au zu Handelsfchiffen gute Seeleute hatten, fo folgt
baraus noch nicht, baß fie fich im Kriege mit Athen meflen fonn-
ven; es waren einzelne Galeeren, zwei dom biefen, zehn von je-
nen, bie nicht zufammen paßten, wie bie Contingente ber deut⸗
fhen Reichsarmee. Diefe Macht konnte Athen nicht entgegen
ſtehen; das Einzige wodurch bie Peloponnefler den Athenern
fwechtbar waren, war, daß diefe nicht im Stande waren ihre
Grenzen zu vertheidigen, daß fie jene nicht hindern Fonnten ganz
Attika von einem Ende bis zum andern zu überziehen und zu
verwäften. Die Spartaner aber führten den Krieg in Attika
barbarifh, wie Ibrahim Pafıha in Morea, fie zerförten bie
Dörfer, bieben die Delbäume ꝛc. um. Aber Athen Tonnien fie
nicht belagern; belagerten fie dies, fo fonnten bie Athenienfer ihr
Land verwäften.
Der Arhidamifhe Krieg.
Im erſten Jahre der 87ſten Olympiade brad der Krieg
aus, alfo AO oder 50 Sabre vor ber Einnahme Rom’s durch
bie Gallier, wenn biefe richtig beſtimmt wird, nicht wie gewoͤhn⸗
üb, ſondern nah Fabins. 'Wenn Thukydides, fagt mit An-
fang des Frühlings fei Plataeae eingenommen, fo iſt bied An-
fang März. Denn ber Frühliug fängt in Griechenland ein we-
niges fpäter an als in Italien, ba die Berge meiſt fehr mit
Schnee bedeckt find; in Rom beginnt wit dem 7. ober 8. Februar
der Srühling, ganz. wie ed Caeſar in feinem Kalender angab.
Die attifhen Archonten können damals ihr Amt nicht mit dem
Sefstombaeron, ‚mit dem bürgerlichen Jahre angetreten haben;
fie müffen im Mai angefangen haben: denn Thufydides fagt,
Pythodorus ſei noch zwei Monate hernach Archen geweſen: nach
Ueberfall Platetae's durch bie Thebungr. 59
dem bürgerlähen Johre hätte ex es noch einen Monat fein müf«
fen. — Wo Thpukydides fagt: „mm Die Waizenreife,“ if Dies
die Mitte bes Junius.
Der Krieg brach aus, nachdem fchen bei Potidaea Athener
und Korinthier gegen einander gefämpft hatten, durch Die Un⸗
ternehmung ber Boeoter, Platacae zu überrumpeln. ’Die The⸗
baner Iatten einen unverföhntichen Haß gegen Platacae, das ſich
von ihnen losgeriſſen und Athen zugewandt hatte. Zugleich
waren bie Rorbseren, bie Platacae im. perfifchen Kriege gewan⸗
nen batte, eben fo viele Vorwürfe für die verräsberifchen The⸗
baner; die Partei, welche damals Griechenland verrathen hatte,
berrichte auch in der Zeit bed peloponneſiſchen Krieges in The⸗
ben: au ber Spige flanb ber Sohn des Erzverräthers ven
Griechenland.’ Die Unternehmung gelang ihnen zum Theil,
ba bie Stadt ihnen durch Oligarchen verrathen war; es warb
ihnen ein Thor geöffnet. Die Plataeer erwachten voll Schred,
die Feinde in ihrer Stadt erhlidend — es war aber nur eine Kleine
Zahl gefandt, damit fie unbemerkt bereinfämen — und wie may
am Morgen zur Beſinnung fan, ſah man bag die Feinde fa
ſchwach wären, daß fie ihr Unternehmen fehr bereuen würden.
Nun ftellte man fi, als ob man mit ihnen unterhandsin weile,
täufchte fie, wie überhaupt. ſehr viel mit Lift unter ben Griechen
gemacht wurde, und fihien bereit, ſuh an Theben anzuſchließen.
Unterbeflen aber bewaffneten fie fih in der Stille, ſperrten die
Straßen ’mit Karren,’ ſchloſſen das Thor duch das Die Boeoter
eingedrungen waren, unb nun begaun ein allgemeiner Angriff
ans allen Winkeln, von allen Fenſtern und Daͤchern. Bon al
fen Seiten fing man an fie mit Wurfgefchoffen zu vertilgen.
‚Die Thebaner flohen in einen Thurm, da fie denfelben für ein
Thor hielten, und waren fo eingefchlofien’;. die ihnen zur Hülfe
hatten kommen follen erfchienen nicht, da fie Durch einen Plage
zegen in ber Nacht aufgehalten waren und .fo mußten endlich
diefe 300 Boeoter capituliren. Dies iſt die erfie Handlung
60 Ucberfall PWlataeae’s durch die Thebaner. Ausbruch des
bes Krieges unb ſchon biefe zeigte Die Wuth, mit ber er durch⸗
gehends geführt wurbe; fie war fo entſetzlich, wie fonft nur in
einem unglüdfeligen Bürger- oder Religionskriege. ’Die The-
baner hatten eine zweite Expedition gefandt, die das Gebiet von
Plataeae verwüften wollte, aber bie Platarer ließen ihnen fagen,
wenn fie nicht abfläuden, würden alle Gefangenen umgebracht
werden. Die Thebaner gingen zurüd, und bennod wurden bie
300 Gefangenen fammilih von ben Plataeern ermorbet. Die
Race für diefe That genommen hat wieder Rache erzeugt und
fo fort und fort bis zu ber gräßlichen Zerkörung von ganz
Griechenland in diefem Kriege, Die Athener find ſchuldlos an
diefem Blute: die Plataeer haben biefen Morb eigenmächtig
solführt, ehe die Athenienfer Rath fchiden fonnten. Eine
ſchaͤndliche Handlung war allerdings das Unternehmen der The⸗
baner; mitten im tiefen Frieden und in Kreundichaft fo uner-
wartet, daß bie Plataeer nicht einmal die Thore gefchloflen
hatten und Feine Wade an benfelben hielten. Daher if bie
Erbitterung der Plataeer natürlich, und ihre Wuth laͤßt ſich et⸗
was entichufbigen, aber bie Handlung zeigte nicht minder bie
große Berwilberung und bie Erbitterung ber Gemüther ſchon bei
dem erfien Ausbruche bes Krieges,
Nach dem gefcheiterten Berfuh auf Plataene hörte der Ver⸗
kehr zwifchen beiden Theilen auf, und es fand auch Fein Ver⸗
lehr durch xnouxsg, heilige Boten, mehr ſtatt. Bald darauf zo⸗
gen die Spartaner ihr ganzes Heer auf dem Iſthmus zufam-
men und drangen von da über Megara gegen Eleufis und das
Thriafiihe Geſilde vor, während die Bundesgenofien zu ihnen
fließen, Mit ihnen fammelten fich alle Peloponnefier auf dem
Iſthmus außer den Argivern und Achaeern, yon denen nur bie
Sellener dabei waren; fpäter Alle. Die Argiver hatten von
alter Zeit ber gegen Sparta einen Groll, wollten Sparta nicht
als die erfle Stabi anerlennen und behielten noch immer ben
alten. Anſpruch auf Hegemonie. Zu gleiher Zeit vereinigte
Kriege. Ginfall der Peloponnefler in Attila. 61
fih mit ihnen das Heer vom ‚fehlen Lande, ed Tamen bie
Boeoter und Phoker, die ehemals mit den Athenern verbunden
gewefen waren, jet aber ſich aus einer unbelannien Urſache zu
ben Feinden Athen’s gefchlagen hatten. Doc daß bie Pholer
mit gegen Athen flanden, bat biefe Stadt vom Tintergasige ge-
reitet, Die phokifchen Strategen haben im legten Ausgang bes
Krieges bie Zerfiörung Athen’s vereitelt, ba alle Bundesgenoſſen
fie wollten. Die Arginer waren neutral und auf bem Feſtlande
beiten die Athener nur die Alarnaner zu Bundesgenoflen, alle
Abrigen waren Reſtoten oder von ber afiatifhen Kuͤſte. Alle
Snfeln mit Ausnahme von Melos und Thera fanden für die
Ahener, fo wie viele Städte in Klein-Afien, fie waren fänmt«
lich ihnen zinspflichtig, nur Chios und Lesbos waren auto⸗
nom, und mis ihrem Tribut rüfteten bie Athener ſelbſt ihre
Schiffe aus.
70,000 Dann flart‘) fiel das ſparianiſche Heer in Attila
ein, 'und überſchwemmie das ganze Rand; bie Athener Tonnten
biefer Uebermacht auf feine Weife wiberflehen.’ Die Pele-
ponnefier erfchienen bi6 unter ben Mauern Athen's, bie ganze
Devöllerung vom Lande flüchtete in Die Stadt, und fand hier
Aufnahme, vorzüglich aber erhielten fie Wohnungen innerhalb der
langen Mauern; auch nad Salamis und den benachbarten In⸗
feln wurben Biele gebracht. Wenn auch nicht Biele in Feindes
band fielen und die Meiften Leben, Freiheit und die bewegliche
Habe retteten, denn bie Spartaner waren wie gewöhnlich lang⸗
fam, fo blieb doch alles unbemwegliche Eigenthum, Häufer u. |. w.
zurüd, und biefes wurbe von ben Feinden aufs Graufamfle
verwüßtet, aller Anbau, Delbäume, Weinberge vertilgt. Gin
Gluͤck für die Athenienfer war, daß das Bolk jo außerordent⸗
2) Diefe Angabe beruht wahrfcheinlich anf Plut. Pericl. c. 33., wo tie
Zahl der Schwerbewaffneten allein auf 60,000 angegeben wird. Dazu
Reiter und Leichtbewafinete giebt mindeftens 70,000 für das ganze
Heer. A. d. H.
02 Noth uud Kietumuth der Nihener.
lich einfach, fa gering lebte. Die Sänfer waren von Lehm;
aus dem Einſalle in PDlataene ſehen wir, Daß die griedgifchen
Städte damels nicht gepflaftert waren: als ein fiarker Platzre⸗
gen flel, waren bie Straßen fo tief wie Laudſtraßen, bes Ne
gen blieb auf ber Straße ſtehen. Selbſt Athen war erſt in
fpäteren Zeiten gepflaftert (Rom dagegen früh). Die Stabt
war voll von Wirthſchaftsgebaͤuden, das Ackergeraͤth befanb ſich
{n der Stadt. Die Hänfer waren nur von Lehm und Thon
aufgeführt, und man ſchlug die Wände durch, um unbemerft
von einem Haufe in's andere oder auf bie Strafe zu kommen.
Die Zerſtoͤrung der Häufer war daher ein geringer Schabe, aber
entfegfich die ber Fruchtbaume, das derdonzousv. Die Athena
hatten fi die Drangfale des Krieges fo arg nicht gebacht, wie
He jegt kamen; ſie hatten allerdings geglaubt, daß es nicht ohne
Schaden abgehen würbe, weil aber die leuten Pläne nicht aud-
‚geführt, nur einmal ein ſpartaniſches Heer eingebrungen, |
und dies nur bis Eleuſis gekommen war, fo Batten fie ſich im-
mer mit ber Hoffnung geichmeichelt, die Feinde würben auch
fegt mit dem Angriffe nicht zu Stande kommen. Als es jegt
aber ganz anders ging, ald man bie Feinde unwiderſtehlich vor-
zsäden und überall bie Slamme und Zerkörung ſah, als ber
Drangfale immer mehr wurben, ba veränderte ſich bald bie Ge⸗
Annung, da warb man kleinmüthig, und allgemein trat ber
Wunfh nach Frieden ein. Dagegen erhob fih nun Perikles,
er erinnerte fe baran, daß er ihnen vorher gefagt habe, daß
fe das Alles erwarken müßten, daß Alles verwäflet werben
wuürde, wie bies aber die nothwendige Folge davon fei, daß
fie feine Inſel bewohnten, und daß dad ein Schidfal fei, vor
bem nur eine Inſel gefhügt fei. Themiſtokles hatte Fe nicht
einmal beftimmen fönnen nad dem Piraeeus hinab zu ziehen,
um dort unangreifbar zu wohnen; wäre ed aber auch möglich
geweien, fie zu bewegen [auf eine Inſel zu ziehen], fo wäre
auch Feine vorhanden gewefen die ihnen Attifa hätte erfegen
Beh. u
förmen. Ailika iſt Zwar Aeriroysng, leichter durrer Moden,
bat aber auch einige ſchoͤne Gegenden, herrliche Ratarfchkge,
Marmor, Siiberbergwerfe, die allerbinge jetzt erfchöpft find.
Perifies hatte Ihnen Alles geſagt: Da ſich Dies nun einmal
nicht ändern laſſe und ben Feind aufhalten zu wollen thöricht
fet, da man ſich Niederlagen zuziehen würde, ſo mufſſe men
mir ausdauern bis das Ungewitter boräber fei,’ und daran
denfen dem Feinde Gleiches mit Gleichem zn vergelten, daun
werde man Alles reichlich wieder einbringen.- "Die Peloponne-
fier mußten ſich auch bald zurüdziehen, weil fle keinen Solb
empfingen und bie Lebensmittel ausgingen; und die Athener
vergalten ihnen die Berheerung mit: einem Zuge gegen den Pelo⸗
ponnes; allein das war fein Vergleich mit dem erlittenen Werkuf,’
Inzwiſchen wurde aber die allgemeine Noth noch durch DL. 87,2.
die furchtbare Peſt vergrößert, die über Athen 'im zweiten
Zahre des Krieges einbrach während bie Pelsponnefler
zum zweitenmal in Attifa eingefallen waren, Merkwurdig ii,
daß biefe Pet die Athener viel ſchwerer beimfuchte als ihre
Gegner; einzelne Puncte im Peloponnes wurden war getrof⸗
fen, aber das iſt nicht zu vergleichen mit der Calamitat Athen's.
Ueber biefe Peſt iſt viel geredet. Die Beſchreibnng bes Thu⸗
Mydides ift vortrefflich. Man mag aber fagen was man will,
zu einer sollfommenen Beftimmtheit über bie Natur ber Krank-
heit Tann man nicht kommen, zu fagen, 0b es wirklich die eigent⸗
ide orientalifche Peſt geweſen iſt, Die Bubonen⸗Peſt die jrtzt
in Odeſſa u. ſ. w. herrſcht, oder ob es nur ein ihr verwandte
Typhus war? daß ed Typhus gewefen, ift Feine Arage, DEE
dem gelben Fieber hat ſie Die Verwandiſchaft, daß die attifche
Per ſich beſonders an den Seekuͤſten zeigte; zuerſt erſchien ſte
im Piraeeus. Dagegen ging fie weiter vom Meere, nicht etwa
ben Fläffen nach, in’s Land hinein, als es das gelbe. Fieber
pflegt, das vom Meere an ben Klüffen heraufgeht und von' ber
Luft über ganz trodnem Boden nicht geleitet zu werden ſcheint;
5 Veſt.
das ff ber große Unterſchied zwiſchen ber atliſchen Peſt und
dem gelben Fieber. Ich glaube, daß fie weder bie orientaliſche
Peſt noch das gelbe Fieber war, ſondern ein tertium das zwi⸗
ſchen beiben Rand: bie gallihten Erbrechungen find felten bei
der orientaliihen Peſt, aber regelmäßig mit dem gelben Fieber
verbunden, Dagegen find Bubonen bei bem gelben Fieber aͤußerſt
fetten und Regel bei ber orientaliichen Pe. Diefe Pe if
ein merkwürbiges Weltereigniß, gehört der Weligefchichte an;
fie hat die Macht und ben Muth ber Athener gebrochen. Sie
iſt ein unendlich großer Schlag für Athen geweien und merk⸗
wärbig if nur, daß Die Athener fie fo verichmerzen konnten,
wie fie es thaten. Noch in biefem Jahre ermannten fie ſich
und machten einen neuen Zug gegen den Peloponnes.’
Die Gefhichte der Epidemieen werbe ich befonbers forgfäl-
tig erörtern. Ich kann darthun, daß damals eine Zeit von
Epidemieen gewejen, bie ſich 30 — 40 Zahre hindurch erſtreckte,
ungsfähr 30 Jahre früher in Italien anfängt 'und dert furcht⸗
har wüthet,“ verſchiedene Geflalten annimmt und einen wahr-
haft peſtartigen Charakter hat‘). Nachher traten Krankheiten ein,
eben fo moͤrderiſch wie bie Peſt, die aber nicht typhusartig waren,
fondern Fieber mit Augenkranfheiten verbunden. Die Gefchichte
der Krankheiten if ein Zweig ber Weltgefchichte, der noch gar
nicht bearbeitet und doch fo wichtig iſt. Ganze Abfchnitte in
ber Geſchichte werden erklärt durch das Verſchwinden und Ein-
treten von mörberifchen Epidemieen. ’Sie find von dem aller-
größten moralifchen Einfluß auf die moralifhe Welt; faft alle
großen Epochen des moralifhen Sinkens find mit großen Seu-
hen verbunden. So bleibt in Nom bis auf M. Antoninug
Die alte Bildung, ein gewifler hoher Sinn und eine edle Kunfl-
fertigleit; da kommt die große Pet von bem Heere des Berus
aus über Italien, und plöglich veränbert ſich der ganze Cha⸗
after durchaus; Literatur und Kunft bekommen ben legten
s) Bol, Röm. Geſch. U. E. 307 ff. 572 ff. A. d. G.
Def. 65
Todesſtoß, namentlich die Kunft, alles Edle geht unter. Aus
ber Zeit des M. Aurelius finden wir eine fchöne hiftorifche, Feine
tbeale oder charakteriftifche Kunft, viele Technik; gleich in der
folgenden ift e8 ein Elend: am Bogen bed Septimius Severus
fennen bie Leute im Zeichnen gar feine Proportion mehr. Africa
warb von biefer Pet nicht beiroffen, und daher blühte dieſes
Land noch herrlich, eine eigenthümliche Litteratur dauerte bier
noch fort, Tertullim u.m. A. blühten bier. Nun fommt bie
Peſt unter Gallienus, durch weldhe mehr als die Hälfte ber
Bevölkerung weggerafft warb, und nad) ihr ift bag Alterthum
ganz verſchwunden; es tritt ein Zufland gänzlicher Barbaret
ein und fogar bie Sprache kann ſich nun nicht mehr halten und
wird unkenntlich. Mit ber großen Peſt unter Zuftinian geht
Altes völlig unter und es fehwinden auch noch Die geringen
fünftfichen Weberrefte des Alterthums, es bleibt blog noch der
Schlamm. Die griehifhe Ausſprache und die ganze Art bes
Schreibens verändert fih; man kann bie langen und Furzen
Sylben nicht mehr unterfcheiden. Eben fo fehneibet die Pet im
14ten Jahrhundert in Stalien und im Orient ſchroff ab. Se
tritt auch in Athen durch die Peft ein neuer Lebensabfchnitt ein.
Wer reifer Mann war, blieb was er war, wenn er fie über-
lebte, aber bie aufleimende Generation war eine ganz andere.’
Durch die Heft und die wiederholte Verwäftung von Attika 46, m,
waren bie Athener in fehr bebrängte Lage gekommen, und dieſe
Bedrängniß hatte einen unglüdlichen Einfluß auf ihre Stim-
mung. Sie hatten mit Muth ben Krieg begonnen, da ihnen
nun aber bis jetzt noch Fein Vortheil ſich ereignete, lauter Un⸗
glück fie getroffen Hatte, fo wurbe ihre Zuverficht in große Nie-
bergefchlagenheit verwandelt, und biefe Niebergefchlagenheit wirkte
noch verfehlimmernd auf die Peſt ſelbſt. Die allgemeine Stim-
mung feßte fih nun — nicht ganz ohne Grund (sic) — feſt,
dag die Per als eine nothwendige Folge aus dem Kriege her⸗
vorgegangen fei. So erhob ſich allgemein Mißmuth und Un⸗
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. I. 5
‘ BR
66 Verlangen der Athener nach Frieden. Berfolgung bes Berifiee.
wille gegen Perifles ald den der den Krieg begonnen, ben man
als den Urheber alles Unglüds betrachtete. Man fah Fein an⸗
beres Heil als in Iinterhandlungen mit ben Spartanern, obgleich
es augenfcheinlih war, daß man feinen annehmbaren Frieden
erwarten fonnte. Die Unterhandlungen führten zu nichts, und
fonnten auch zu nichts führen, da bie erfle Bedingung der
Spartaner bie Forderung war, daß die Athenienfer ber Ober⸗
berrfchaft über alle Bundesgenoſſen entfagen follten; darauf
aber Fonnten die Athener nie eingeben. Dan befand fi da⸗
mals in Athen in berfelben Lage, worin in den Jahren 1796
und 97 England fih befand. Ein Theil der Nation hatte den
Revolutionskrieg Tebhaft gewünfcht, ald man aber wegen un-
glüdticher Führung feiner müde war, forderte man von den
Miniftern Frieden unter allen Bedingungen, als fein bikfiger
Friede möglih war. Auch damald wurden Unterhanblungen
angefangen, bloß um die Veberzeugung zu geben, daß ed von
Seiten der Minifter kein Eigenfinn fei, fondern daß der Friede
wirflich nicht erlangt werben fünne, Solche Kriege müflen an⸗
ders beurtheilt werben ald gewöhnliche, ba der Friede nur mög⸗
Lug ift, wenn der eine Theil entfhieben überwunden if. In
biefem Berhältniffe fuchte Perikles die Athenienfer zu beruhigen.
Gegen ihn ſelbſt erhoben ſich jetzt unvernünftige Anflagen,
bie ihn für alles Unglüd des Krieges verantwortlich machten
und ihm die Schuld an der Krankheit beimaßen. Und dod
war Feiner von Allen fo hart betroffen worden als er felbft.
Bon feinen drei Söhnen ftarben bie beiden äfteflen als Opfer
ber Krankheit. Dennoch hörte man kindiſch und blind bie Bes
fYuldigungen, und ber Unwille gegen ihn war fo flarf, daß
feine Feinde durchſetzten, daß man -ifn unter nichtigem Vor⸗
wande zu einer bedeutenden Geldbuße verurtheilte. Aber nicht
lange dauerte es, fo verfammelte er das Volk und überzeugte
fie von feiner Unſchuld, fie befannen fih und bereueten
ihre Ungerechtigkeit. Wie bem attifhen Volle Herzlichleit und
Aufathmen ver Athener. 8
Butmäthigleit fo eigenthuͤmlich waren, fo ſuchten fie ihn jetzt
wieder zu tröften, nicht nur dadurch daß fle ihn zum Strategen
erwählten, ſondern auch indem fie feinen dritten Sohn, Der von
einer nicht vollbürgerlihen Gattin war, ausnahensweiſe als
atbenifchen Bürger aufnahmen und zu feinem Erbes machten.
VPerikles wurbe alfo wieder Strateg und fein Berhältniß war, daß
er von Jahr zu Jahr zum Strategen gewählt wurbe, wie ber
Magnifico Lorenzo zu Florenz zum Gonfaloniere. Aber er :
Iebte nur noch kurze Zeitz er Aberlebte ben Anfang bed ‚Krieges
nur zwei Jahre und ſechs Monate. Ohne Zweifel iſt fein Leben Ol. 87, 4.
durch die Stimmung über den Gang der Dinge, durch den
Nummer Aber das Unglüd bes Staates und ben Mangel an
Ausficht auf Entfcheidung, da das Volk nicht ausbauern wolle
abgefürzt worben, wie durch den Schmerz über ben Tod feiner
Söhne, obgleich fle perfönlich feiner unwürbig waren. Der
dritte Sohn war and ein umbedentender Menſch; an ihm iſt
nichts bemerkenswerth, als daß er unglädlih war und das
Schidfal der Yeldheren theilte, bie in einer Zeit ſchrecklicher
Berwilderung wegen ber Schlacht bei den Arginufen hingerich⸗
tet wurden.
Als die Seuche aufgehoͤrt hatte und bie Athener burch. das
Unglüd fchon mehr abgehärtet waren, unternahmen fi£ wieder
mehrere Erpebitionen, bie wenn fie auch keinen eutſcheidenden
Erfolg hatten, doch fo viel wirkten, daß fie das Volk wieder
zum Siege aufmunterten und zufrieben flellten. . Auch ergab
fi endlich Potidaea nach einer langen Belagerung, bie uners Ol. 87, 8.
meßliche Summen gefoflet hatte, 'da nur Bürger: Damals den
Krieg führten und biefe fo -befolwet waren, daß fie davon bes
quem im Felde leben konnten.“ Die dort wohnenben Korinlhier
wurden entlafien und Potidaea zu einer atheniſchen Stabt ges
macht, Der Krieg mit ben empörten Challidiern dauerte inzwi⸗
fen fort. Ich erzähle Ihnen bier nicht alle Die einzefnen Züge,
die Thukydides in feiner Geſchichte fo meiſterhaft beſchreibt, wie
5 *
£1.88, 1.
53 Auffanb zab Ynterwerinug von Lesoboo.
die Züge bes Phormio, die Expeditionen gegen Lakonila und
Argolis; das würde viel zu weit führen; ich will mich in ber
Geſchichte des peloponnefifhen Krieges nur an bie großen Bil-
der halten und nur die großen weientlihen Züge hervorheben.
Zu biefen großen wichtigen Begebenheiten gehört vor allen
der Abfall von Mitylene. Auf Lesbos waren fünf aeolifche
Gtäbte, die wohl in einer gewiſſen Gemeinſchaft, body aber Yöl-
lig von einander unabhängig waren; fo jedoch, daß Mitylene
durch feine Lage und den herrlichen Hafen hegünfligt, hei Wei⸗
tem über bie vier anderen Städte hervorragte. Die drei Fleinen
Städte unter biefen, Pyrrha, Erefus und Antifa hatten ſich
Yurdaus an Mitylene angefchloffen, und ließen fi von ihm
leiten, nicht fo Methymna, das Berbältnig der Lesbier gegen
Athen war noch immer ſehr günftig; fie fandten den Athenien-
fern Schiffe unter eigenen Befehlshabern und zahlten feinen
Tribut. Aber das Schidfal von Samos hatte bie wenigen
Orte die in bemielben Berbältuifle ſanden, Chios und Lesbos,
gewarnt und gegen Athen's Abſichten mißtrauiſch gemadt, daß
ed auch fie wie bie kleinen Refioten behandeln, und fie fo herab⸗
fepen und abhängig wie Samos machen, fie zwingen wolle bie
Schiffe autzuliefern und Tribut zu zahlen. Se mehr aber eben
ſolche Orte fi ihrer Bedeutung bewußt waren und fühlten,
baßwenn fie zur andern Seite überträten, fie ein großes Ge⸗
wicht in bie Schale werfen würben, um fo mehr waren fie
netärlih zum Abfall geneigt. So bereitete fih nun ber Abfall
von Mitylene vor, und von hier aus der des übrigen Lesbos
mit Ausnahme von Meibymna, weldes, wie in Foderativſtaa⸗
ten immer der Fall if, aus Eiferfucht gegen Mitylene atbenien-
ſiſch geſinnt war, und nun in Athen darauf aufmerffam machte,
bag man auf Lesbos mit Verrath umgehe und ber Abfall be⸗
vorfiehe. Anfangs achteten die Ashenienfer mit unerhörter Sorg⸗
Iofigfeit wenig auf bie Anzeige; biefe Berwahrlofung war eine
Bolge des feltfamen anarchiſchen Zuflandes von Athen, wo bie
Aufſtand und Unterwerfung von Se6bos. 88
Regierung im Grunde Null war. Es war Feine einleitenbe Dex
hörde da, bie für ſolche Fälle im Borans einen Beihluß, ein
neoßovlsvma gefaßt hätte. Das Bolt Sonnte freilich täglich
zuſammenkommen und verfammelte ſich auch täglich; dann konnie
ein Demagog einen Beſchluß veranlaſſen; geſchah dies aber
nicht, fo war Feine Behorde da, die dazu anleitete und man
Mich ohne Beſchluß. Auf der andern Seite muß In Mitplene,
obgleich unter der Oberherrſchaft der Athenienfer die Demokratie
allenthalben die Oberhand bekam, doch ein ſtarkes ariſtokratiſches
Element geweien fein, und fie müflen eine fräftige Regierung
gehabt haben. Dan bereitete Alles fergfältig und vorſichtig
vor, und es blieb ein tiefes Geheimniß darüͤber. Mau war
feft zum Aufflande entfchloffen und bie allgemeine Meinung war
dafür; indem man aber ficher gehen, ſich vollſtaͤndig rüften unb
mit Lebensmitteln verforgen wollte, verzögerte ſich das Unter⸗
nehmen, und nun rüfteten bie Athentenfer, die Anfangs alle
Räfung verfäumt hatten, endlich eine Erpebition aus, die Mie
tylene überfallen follte. Dabei aber zeigte es fih, wie nach⸗
theilig es für Athen bis zum Ende bes Krieges war, daß bie
Regierung für dringende Zeiten fi nicht anders gefaltet hatte
wie früher, ‚und für den Krieg keine befondere Behörde war
um folche Befchläffe zu fallen. Da nun alle Maßregeln dffent-
lich waren, konnte die Räftung und ihre Beflimmung nicht ver⸗
heimlicht werden, fondern war eine ganz weltkundige Sache,
weil darüber in der Vollsverſammlung discutirt wurde. Diefe
beſchloß zwar die Weberrafhung, aber das war ein Schild⸗
bürgerfireih, und die Folgen konnte man erwarten: ein Mity⸗
lenaeer, der ſich in Athen aufhielt, oder ein Anderer, ber ſich
berfelben annehmen wollte, vernahm es, ging nach Euboea,
nahm dort ein Boot, feute die Mitylenaeer davon in Kenninif
wie nahe die Gefahr war, und. warnte fie. Wäre das nicht
geſchehen, ſo würde ber Empörung vorgebeugt worden fein zum
eigenen Heile ber Mitylenaeer. Die Verabredung ber Athener
TO Aufhamr und Unterwerfung von Lesben.
war, die Stabi während ber Feier eines Feſtes zu überfallen,
weiches die Mitylenaser außerhalb ber Stabi in einer beden⸗
wunden Ferne mit ben übrigen Lesbiern feierten; fie gingen nun
wicht zu dem Gehe hinaus und befchloflen jagt Lossubrechen,
wandten fi) nunmehr ſchuell öffentlich an Die Peloponneſier,
mit denen fie im Geheimen gewiß ſchon Unterhandlungen au-
gelntipfi' haben werben, und riefen die Spartaner an, ihnen
anf irgend eine Weife Hälfe zu ſenden. Diefe fandten ihnen
einen. Defehlehaber ohne Mannſchaft, womit ihnen wenig ge⸗
dient war; derfelbe übernahm in der Stabi den Befehl und for»
derte Muth und Ausharren von ben Mitplenaeern; fie follten
hungern für die Sache der Spartaner, aber neue Kraft um bie
Athenienſer zurückzuſchlagen brachte er ihnen wicht, fie hatten
nur ihre eigne Macht.
. Die atheniſche Ylotie Tegte nun an und ſchloß die Stab
ein; nad manchen Heinen Gefechten wurben bie Mityplenaeer
aufs Aeußerſte gebracht. Ihre Abgefanbien hatten bei den Pe⸗
loponneſiern endlich bewirkt, daß eine buntſcheckig zuſammenge⸗
ſebte Flotte abgeſandt wurde um Mitylene zu entſetzen. Dieſe
ging aber mit ber gewöhnlichen Schlaͤfrigleit der Spartaner ab,
und fam erſt an, als Mitylene fih ſchon aus Hunger hatte
Di.88, ergeben müflen. Go ſchlecht wurde für Mitylene geforgt.
Diefe Ertragung des Hungers zeigt, wie viel bie Mitylenaeer
anwandten, um ber feindlichen Herrfchaft zu entgehen. Wie
furchtbar er geweſen fein muß, kann man barans fchließen, dag
man ſich zuletzt lieber der Willkür eines erzürnten Feindes auf
Guade oder Ungnabe ergab. Der Muth der Mitylenacer war
beſchaffen wie der der Eampaner im Jannibaliihen Kriege; fie
ließen ſich wie Schafe einfperren und aushungern, und fo blieb
ihnen zuletzt nichts übrig als fi) gu ergeben. Der atheniſche
Feldherr Paches verhaftete Viele die ſich am Meiſten hervorge⸗
than hatien; die Capitulation beſagte nichts weiter, als daß ber
Aufſtaud und Unterwerfung von Lesbos. 1
athenifhe. Feldherr Niemanden für fich töbten Iaflen, ſondern
dem athenifchen Bolfe die Enifcheidung überlaſſen follte,
Der Krieg hatte ſchon bie graͤßlichſte Geſtalt angenommen;
Asfidas, der ſpartaniſche Admiral ber peloponnefifhen Flotte,
die zum Entfag von Mitylene kam, hatte auf feiner Fahrt die
grauſamſte Seesäuberei geübt, alle Schiffe die ihm begenneten
ohne Unterfchieb woher fie famen weggenommen, und bie Mär
troſen in's Meer werfen laſſen, Die Bundesgenofien und Unters
thanen der Athener, zu deren Befreiung die Spartaner angeb-
lich Tamen, fo gut wie die Athener ſelbſt. Diele barbariiche
Art der Kriegführung haben die Spartaner vom Anfange bes
Kriegs an geübt; fie haben wicht mur bie athenifchen Schiffe
die um ben Peloponnes fegelten weggenommen, ſondern au
die Schiffsmannſchaft verfiümmelt, den Matroſen die Hände
abgehauen und ſie dann erfäuft, Dies war ihr Seerecht, ein
völlig voͤllerrechtswidriges Verfahren, Ahnlich dem ber Franzo«
fen im Revolutionstriege gegen die Engländer, wie biefe die
Wehrloſen einfperrien, englifche Waaren gegen alles Völkerrecht
wegnahmen, wo fie fie fanden, Wie dies feine Quelle in dem
Gefühle ihrer Ohnmacht Hatte, daß fie zur See ber engliſchen
Macht nichts anhaben Fonnten, eben fo war es auch bei den
Spyartanern. Diefe Unmenfchlicgfeit der Spartaner erregte bei
den Aihenienfern Luft Repreflalien zu nehmen, und fo war es
leider ein ganz natürliches Gefühl, dag man jest auf unmenfih-
the Rache an ben abgefallenen Mitylenaeern dachte. Man
fagte fich, daß Athen ben Mitylenacern feine Beranlaffung zum
Abfalle gegeben, daß es das Bundniß unverändert wie früher
gelaffen ‚habe, und daß wenn es ben Mitylenaeern gelungen
wäre, fih an Sparta anzufchließen, fie Athen in fehr große
Gefahr gebracht haben würden, theils durch ihre Macht tHeils
durch ‚ihr Beifpiel. Beſonders, fagte man ſich, muͤſſe man Chios
burch ein gewaltiges Beiſpiel ſchrecken, damit bort bie oli»
garchifche Partei ein folhes Unternehmen nicht ausführe. Sah
72 Befrafung ber Lesbier.
warn bie Nothwendigkeit davon nicht ein, fo glaubte man doch,
fie einzufeben: denn ſolche Gründe find immer nur ein böfer
Borwand. Deit allen ſolchen Schlingen alfo wurde das Bolt
zu dem Beichluß bewogen, bem Felbheren Paches ben Befehl
zu fenden, baß er an den Mitylenacern vergelten folle, was bie
Spartamer an den Athenienfern gethan: er folle alle waffenfä-
hige Männer umbringen, Weiber und Kinder als Knechte ver⸗
kaufen. Aber das Gemüth der Athenienfer war zu menſchlich,
als daß der entſetzliche Beſchluß lange barin hätte Raum fin-
den können; war er auch in ber Verwilderung möglich gewe⸗
fen, fo war bie beffere Stimme doch noch nicht verhallt. Der
Geſchichtſchreiber braucht nicht zu fagen, daß Taufende vor ber
Schrecklichkeit des Beſchluſſes in der Nacht Fein Auge fchließen
fonnten, und in der Furcht, der Beſchluß möchte vollgogen wer⸗
den, fih frühe, vor Sonnenaufgang verfammelten. Am fol-
genden Morgen noch früher wie fonft war Alles wieder zuſam⸗
mengefommen und man forberte, daß bie Prytanen noch ein-
mal abflimmen Yaflen follten, ob dieſer fchrediiche Beſchluß
ausgeführt werben follte oder nicht, Es geihah, und obgleich
ber wilde Kleon für die Beſtaͤtigung des erften Befchluffes mit
aller Wuth Aritt, fo fiegte doch bei diefer zweiten Abſtimmung
das menfchliche Gefühl, Es ward befchloflen, daß nur bie Ur⸗
beber bes Abfall zur Rechenfchaft als Rebellen nad Athen abs
geführt werden follten, ben übrigen Mitylenaeern follte Fein
Leides gefhehen. Daß die Mitylenaeer alle Schiffe und Waf-
fen ausliefern follten verfland fi von felbft; ferner wurde ihr
Land und das der übrigen Drte mit Ausnahme Methymna’s
Kleruchie; d. h. es warb in gleiche Loofe getheilt und biefe
Looſe athenifhen Bürgern als Lehen gegeben. Damit aber ge⸗
ſchah nichts Anderes, als daß ben früheren Beſitzern eine blei-
bende Grundfteuer aufgelegt wurbe; denn die Athener verpach⸗
teten ihre Loofe für eine geringe Summe wieder an bie alten
Beſitzer. Die Zahl der Rebellen die nach Athen geführt und
Baches‘ Schidfal. 13
bort hingerichtet wurden, war allerdings fehr groß, traurig
groß, aber diefe waren wirkliche Empörer und ihr Blut lam
nicht über Die Häupter ber Athener. |
Sn den Derlamationen ber Sophiſten ſteht viel über das
Uebel der aihenienfiihen Demokratie, über Unfälle der ausge»
jeichnetfien Männer und unter dieſen Schidfalen flebt das bes
Paches nit an der legten Stelle. Das Bolt, heißt es, fei
undankbar gegen Paches geweſen, ben Eroberer von Mitylene
ber auch ſchon vor der Eroberung fi) als Feldherr ausgezeich⸗
net, und ‚habe ihn wegen Führung bes Kriegs vor Bericht ges
Nelltz er aber, um dem Urtheil zu entgehen, babe ſich genöthigt
geſehen fich felbft zu entleiben. Diefe Geſchichte ſteht, wie ich
glaube, ſchon bei dem Erzvater aller Sophiſten und Declama⸗
toren, dem Iſokrates, auch bei den Sophiften der fpäteen Zeit
und in ber zömifchen Kaifergefhichte findet fie ſich ). Dem
wahren Zufammenhang lehrt aber ein Gebicht der griechi⸗
fhen Anthologie’). Paches fol nämlich feine Gewalt bei-ber
Unterjochung ber Inſel gemißbraudt haben; er hatte zwei edle
Frauen von Mitylene entehrt, und dieſe Tamen nach Athen unb
tiefen die Gerechtigkeit des atbenifchen Volles an. Und bier
zeigt ſich eben die Menſchlichkeit der Athenienfer, daß fie nicht
beachteten, wie arge Feinde die Mitylenacer ihnen geweſen, und
ungeachtet des Sieges des Paches unerbitilich gegen ihn waren,
und hätte er fich nicht ſelbſt entleibt, fo wäre er gewiß verur-
theilt und ben Erdeza übergeben worden. Diefer That brauchen
Athen’s Freunde fich nicht zu fchämen.
Das Betragen bed Führers der fpartanifchen Flotte, die
an ber ionifhen Küfte erfehien, zeigt die Spartaner recht in
dem Lichte, in dem fie immer erſcheinen, in ihrer ungeheuern
Unbepolfenheit und traurigen Langſamkeit. Vergebens riethen
) Vermuchlich if „In der römischen Kaifergefihlähte” ein Schreibfehler nud
ſtatt deſſen zu ſetzen: bei einem römifchen Kriegefchriftfieller (Frontin.
Strateg. IV, 7, 17). Die Stelle im Sfofrates ift nicht anfzufladen
geweien. 4.0. H.
. ) Anthol. gr. ed. Jagobs. Vol. IV. p. 34. cf. Agath. epigr. 57 ed. Bonn.
14 Barbariſche Atiogſührung der Spartaner.
Die Korinthier und andere unternehmende Leute, Mitylene anzu⸗
greifen, da die Achenienſer in einer neu eroberten Stadt wären,
und das Erfcheinen ber Peloponnefler mit Uebermacht hinveichen
D1.87, 3.
wärbe in der Stadt einen Aufruhr zu erregen. und bie ſchwache
atpenifche Pracht zu zerſchmettern. Aber Allidas in feiner ſtar⸗
ven ſpartaniſchen Trägheit war unbeweglih uud Tehrie nad
dein ‚Peloponnes zurüd ohne Etwas zu unternehmen unb aus⸗
gerichtet zu haben, ale baß ex die Schuaflebenben, die fi in's
Meer ſtͤrzten, aufnahm unb die graufamfie Seeräuberei trieb.
Die Spartaner hatten ben Grundſatz, ihre Feloherren nicht zu
betrafen, gerade im Gegenſatz gegen die Arhenienfer, bie oft
re Feldherren verantwortlich machten, wenn das Glüd gegen
fie enifchieben hatte; wenn fie aber eine Gelegenheit verfäunmnt,
sber fi einer Vergehung ſchuldig gemacht hatten, ging ihnen
das nie ohne Strafe vorbei. Dagegen war jeber aͤchte Spar-
tiat tm Gakzen ber Straflofigleit ziemlich fiher, da die Spar⸗
toner ben Grundſatz der Inviolabilitaͤt hatten, bie na unfern
Anſichten wohl ein Monarch einem Prinzen angebeihen Täßt,
abre fonft mit.
Ungefähr um biefelbe Zeit faßten bie Spartaner eine Ent»
ſcheidung, vie dem Beſchluß ber. Athenienfer über Mitylene ganz
entgegengefett, weil bier feine Erbitterung war: ed war ein
Entſchluß bloßer Grauſamkeit, ein Beiſpiel der größten Un⸗
menſchlichkeit. Sie hatten das Heine Plataeae nach ihrem zwei⸗
sen Einfalle in Attika eingeſchloſſen und belagerten es. Die
Plataeer hatten ihre Wehrloſen, Weiber und Kinder bis auf
einen kleinen Theil der Weiber, bie zur Pflege nothwendig wa⸗
ren, nach Athen geſandt, ſie ſelbſt aber wollten ihre Heimath nicht
verlaſſen und waren entſchloſſen, mannhaft die Einſperrung aus⸗
zuhalten und ihre Stadt zu vertheibigen. Die Belagerungs⸗
kunſt ſtand damals noch auf der niedrigſten Stufe; man hatte
noch die alten Kriegswerkzeuge die man ſchon im Orient, im
alten Aegypten gekannt hatte: nur bie Wurfgeſchoſſe, Katapul-
= 3
Belegerang RPlataeae's. 75
ten und Baliſten, Tommen auf aegyptiſchen Darſtellungen nicht
vor, Sturmböste finden ſich auf aegyptiſchen Gemälden aus. ber
Zeit des Seſoſtris häufig. Die Spartaner wanbten feine an⸗
bere Belagerungslanſte an, als daß fie einen Schutidamm gegen
die Mauer aufführten; dieſen fuchten fie, indem fie ihn zwi⸗
fügen hoͤlzernen Gerüften immer fortfchoben, den Mauern zu
nähern, um ihn an die Maner zu briugen, ſich auf derſelben
alsdaunn feflzufegn und fo die Stadt einzunehmen; ahnlich
soh] wie bie Römer im erſten puntfchen. Kriege die Schiffe: mis
Enterhafen ') verfahen. Auch hatten fie ſchon Mauerbrecher und
Surmböde, bie aber von einer fehr ſchwachen Befshaftenheis
gewefen fein mögen. Dieſe Befchreibung ber Belagerung von
Platarae bei Thukydides iſt merkwürbig, da wir barans erichen,
wie elend.die. damalige Belagerungefunft war. Da alle Mühen
ber Spartaner fehiſchlugen, heishväntten fie ſich endlich auf die
Blokade nad ſchloſſen bie Stabi mit einer doppelten Mauer
ein, als einer doppelten Circumvallation, damit Seiner heraus⸗
fommen Eonnte; einen Theil der Ihrigen Tießen fie in Winter
wohnungen zurüd. Im Winter famen die Plaiaeer zu beut
Entfchluß fih mitten durch bie Werke ber Feinde durchzuſchla⸗
gen wie bie Beriheibiger von. Riffolungpi, ba alle Nahrungs⸗
mittel aysgingen. Allein nur ein Theil wagte das Fühne Untere
nehmen unb biefe entkamen nad) Athen; beffer wäre ed gewe⸗
fen, wenn fie Alle mit einander es verfucht hätten; Einige woll⸗
ten zurüdbleiben, theils wollten fie auch bie Athenienſer bitten,
ihnen Enifag zu ſchicken, was vielleicht möglich, geweien wäre,
ba bie. Spartaner immer fo Iangfam in’s Feld zogen, und das
Belagerungsheer zu zerfprengen wohl nicht unmdglich geweſen
wäre. Als. aber bie zurüdgebliebenen Plataeer Teins Hülfe er⸗
hielten, capimfisten fie endlich in ber Noth mit deu Spartanern. DIL s
Die Spartaner wandten hier wie oft die Argliſt des Woriſpiels
*) Die ganze Machinerie, die uns Pelybius beſchrelbt, s nichts weiter ala
ein Guterhalen.
47.8.
708 Schrecliches Gericht Aber die Plataeer.
an: weil zu erwarten war, daß bei dem einſtigen Frieden mit
Alben Eroberungen zurädgegeben werben würden, nicht aber
Städte, die ſich ergeben hätten, erflärten fie ben Plataeern, fie
mäßten fi) ihnen freiwillig auf Gnade ergeben, denn alsbanı
Tonnten fie bei einem Frieden mit Athen fagen: bie Plataser
Hätten füch ihnen freiwillig übergeben, und fo brauchten fie bie
Stadt nit zurüdzugeben. Ws nun Platazae auf dieſe Weile
a ihre Gewalt gelommen war, legten fie die Einwohner ia
Ketten und hielten über fie Bericht; Einzelne ausgenommen bie
Gen Sinterefle der Thebaner geweien, wurben fie ſaͤmmtlich er⸗
wörgt ’nebft einigen Athenern, die in der Stabt gefangen wor⸗
den waren;’ die Stabt wurbe zerflört und bas Gebiet an The⸗
ben abgetreten. Das geſchah, obgleich die Platacer den Spar⸗
tanern auch nicht das Beringfte zu Leibe getban hatten und fie
daran erinuerten: baß durch den Sieg des Panfanias bie ſchoͤn⸗
fen Tropaeen der fpartanifchen Geſchichte auf ihrem Felde
gervonnen wären, baß fie Damals die Stadt verlaflen hätten,
um mit Sparta gegen die Perfer zu Fämpfen. Das half nichts,
"pie Thebaner drangen auf ihre Ermerbung’, und es lag ben
Spartanern zu viel batan Theben zu gewinnen und es burd
eine Unthat an Sparta zu fefleln. So gab König Archidamus
den Thebanern nah. ’Alles dies fürberte den Ausgang bes
Krieges nicht. Den Peloponnefieen fielen ihre Hoffnungen nad
ben Begebenheiten in Lesbos; fie fahen ſich rüdfichtlich des Er⸗
folgs des Abfalls ber Bundesgenoſſen getäufcht. Die Athener
Randen jest viel feſter als zu Anfang, und die Korifegung bes
Rrieges war ihnen im Allgemeinen gar nicht .unlied. Die ers
len Jahre waren entſchieden bie ſchlimmſten geweien’.
Dei dem Mißvergnügen über den Fortgang des Krieges,
das in Athen Anfangs fo leidenſchaftlich geweſen war, dann
zwar abnahm, aber doch bei jedem neuen Unfalle wieber ge-
wedt warb, und bei Vielen überhaupt fortbauerte, nahmen bie
Dichter ber Komoedie gerade biefelbe Rolle ein wie in neuerer
Oppoſilion in Athen gegen ben Krieg. Komiler. 77
Zeit 'in Frankreich und England’ die Journale der Oppofition
und hatten noch größere Wirkung, da fie auf den Beifall das,
großen Haufens berechnet waren’ So feben wir Har in ben
vorhandenen Städen des Ariſtophanes eine forigehende Tede
Dppofition ſich entwideln, und eben fo beflimmt in ben Frag⸗
menten des Eupolis, deſſen Stüde meift auch noch in ben An⸗
fang des Krieges fallen. Kratinus hatte dieſen pofitifchen Ton
angegeben in etwas früherer Zeitz er ift wohl der erfle Berfaf-
fer von politifchen Komoedien gewefen und if älter als Ariſto⸗
phanes und Eupolis. Wenn wir uns an ben Stüden des Ari⸗
Rophanes, dieſes außerorbentlihen Genius, ergögen, bie fo mei⸗
fterbaft find durch Schönheit der Sprache, durch Geiſt, fo find
wir in Gefahr, unfere Anficht von den Begebenheiten etwas non
der Wahrheit abzulenken; wir geben uns feiner Stimmung ganz
hin und vergeffen, daß er ber ausgezeichnete Charakter einer
entfchiebnen Oppofition ift, welche keineswegs bie factiſche Rich⸗
tigfeit ihrer Behauptungen vertritt; anders dachte ber Dichter
gewiß für ſich, anders im Geifte der Oppofition. Geht es doch
bei allen Oppofttionen fo, daß fie die Sache nicht genau neh⸗
men, daß folche Leute, wenn man mit ihnen unter vier Augen
fpricht, ganz anders reden. Mir ift das fo gefchehen: „Mein
Gott” fagte man dann, „es iſt ja Oppofition, man muß das
nicht fo wörtlich nehmen.” Dies gehört zu ben großen Nach⸗
theilen bei einer unbebingt freien allgemeinen Discuffion. Wenn
man die Gefchichte der Revolution aus ben Oppoſitionsjourna⸗
len fehreiben wollte, fo wärben bie ungeheuerften Entſtellungen
und Irrungen berausfommen; eben fo würden wir ung fehr
von ber Wahrheit verlieren, wenn man bem Nriftophanes bie
Berächtlichkeit mit der er Vielen, namenilich dem Lamachus be
gegnet, als gerecht und billig einräumen wollte, jo wie Die Art,
wie er immer von vorne herein den Krieg als unfinnig un⸗
glücklich anfieht. Er fand außer aller Berantwortlichkeit und
präfte nur bie Fehler die ex deutlich ſah, ohne darauf Rüdficht
Ol.88, 2.
78 Wieberichrender Muth der Wiener. Beſſerung
zu nehmen, wodurch wohl dieſe Fehler bebingt feien umd ent⸗
ſchulbigt werben könnten; fo greift er überall das Syſtem bes
Krieges an, und es ſtand doch durchaus nicht in ber Macht
des Staats Teinen Krieg zu führen. Ariſtophaned war gewiß
ein guter Bürger, aber ein ſolches Syſtem bes fietn Angriffe
auf die Regierung mußte die Vaterlandsliebe und bie Kraft ber
Regierung durchaus zerſtoͤren.
Diefe Stimmung, daß man ben Krieg nicht angefangen
baten folle, ließ nun aber bei der Mafle der Nation mehr und
mehr nach, fo wie die erſten Unfaͤlle allmählich widhen. Ein
wiederholter Ausbruch der Peſt brachte nicht dieſelbe Wirkung
und Stimmung hervor wie ber erfte, obgleich er eben fo moͤr⸗
beriih war. Es war bamals in jeder Hinficht eine merfwärs-
Dige Zeitz eine Zeit von der ber Dichter im Hamlet fagt: bie
Belt iR aus ben Angeln gehoben. In der ganzen phyfichen
Natur gab ſich eine Störung ber gewöhnlichen Ordnung kund,
ungeheure Wunderzeihen von einem innen Kampfe, einem
Abſterben der Natur durch Seuchen und furdtbare Erdbeben,
wie fie die Veberlieferung nicht kannte. Viele Jahre hindurch
waren nicht nur in Griechenland, ſondern aud in andern Län
dern ſchreckliche Erpbeben, die Elemente ſchienen aus ihren Kreis
fen getreten, die Jahreszeiten waren verändert. In dem Sabre,
weiches ber zweiten Peſt vorausging, blieben die Eteſien ganz
aus; bie Nordweſtwinde auf bem Dlittelmeer, welche 50 Tage
lang bis in die Hundstage hinein wehen und zur Gefunbheit
bes Landes viel beitragen, Im Winter traten plögliche Ab⸗
wechfefungen von furchtbaren Regengüfien und ſchrecklicher Durre
em. Im Diodor yon Sicilien und den echten Büchern des
Hippoksates über die Epivemicen (für den Hiſtoriker fehr wich⸗
tige Bücher ) find mertwärbige Schilderungen über die Veran⸗
berangen der Elemente. Aber au hieran gewöhnte man fich.
Die Berhältniffe ber Athener hatten fich bedeutend gebef-
fer,’ Der Schatz war aber inzwiſchen exfchöpft, ba man inbeffen
ihrer Lage. Pläne mach Außen. Erſter Zug nach Girilien. 70
bie Abgaben ber Bundesgenoſſen erhöhte und bie wenigen Reichen
die unter den Athenern waren, befteuerte, warb. Die Maffe he
atheniſchen Volks vom Kriege nicht gedrückt. Und da bie Spam
taner feit mehreren Jahren nicht mehr die Grenzen yon Attila
überfohritten, indem fie fi) überzeugt haben mochten, daß bie
Anftrengung größer fei als ber Erfolg, fo fonnten bie Athener
wieder 'auf das Land ziehen und’ es ruhig bewohnen, als ob
die Spartaner nicht Die Herren des feflen Landes geweſen wären:
'So wenig wie fie beburften, tröfteten fie ſich bald und ver⸗
gaßen ihre Verluſte. Auch Hatten bie attifchen Bürger Kle⸗
ruchieen auf Lesbos und Aegina erhalten da bie Aegineten zur
Bergeltung getrieben worben waren, — fpäter erhielten fie
folhe auch in Kythera, — und konnten alfo .Berlufte in ihrem
Rande leichter verichmerzen’ So ſiellte ſich umter dem Volle
Bertrauen und Ruhe wieder ber, 'und fie überließen fih nenen
Hoffnungen. Ste wurben wieder mehr und mehr unternehe
mend, und’ wandten ihre ehrgeizigen Gebunfen ſchon wieder nach
Außen; fie dehnten ihre Pläne jest weiter und weiter aus.
Sie waren fest jo kühn und froh, daß fie bie Hoffnung
faßten, ihre Macht über Sieilien auszubreiten, wie fie es über
bie Inſeln des Ardipelagus getban hatten, Schon früher batie
fie das reiche Sicilien gelodt‘), und jest reiste es fie um fo
mehr, da fie auf Eoreyra Herren waren; wie biefes follten Si⸗
eifien und vielleicht Stalin ihre Hoheit anerfennen. Daß fie
feine Baſis für dieſe Unternehmen hatten berechneten fie nicht;
bie Umftände. waren ihnen allerbings fo günftig, bie Ausſicht
fo glänzend, daß wenn: bie Leitung bes Kriegs mit Umſicht ge—
führt, wenn. nur augemjcheinliche Fehler unterlaffen worben wär
ren, fo and) das undefonnenfle, verwegenſte Unternehmen gewiff
von glüdlihem Erfolg gewefen fein. würde, In Sicilien waren
die Stäbte unter fih in Parteien getheilt; ein Theil. davon,
der gegen Syrafus fand, rief bie ee zur Hülfe herbei,
) Justin. IV. 3.
80 Parteilampfe in Corcyra.
Ol.ss, 2. und dieſe ſchickten eine Heine Flotte zu dieſer Unternehmung,
Die aber fo unbedentend war, daß fie nicht an Eroberung den⸗
Ten konnte. Für jest war es genug, wenn fie bort Bundesge⸗
noffen gewarnen, bie fpäter gendthigt waren ſich zu ihnen zu
halten: es konnte nicht fehlen, daß mehrere Städte Teinen an:
beren Ausweg hatten, als ſich ihnen ganz mit Leib und Seele
anzuſchließen. Es war dies ber erfle Schritt. Dieſe Erpebi-
ton führte aber zu ganz andern unb viel größern Dingen, als
man bei dem Unternehmen Anfangs hatte bezwecken und voraus⸗
fehen können.
Erſtens wurde zufällig baburd das Bünbniß ber Athenien-
fer mit Corcyra gerettet. Denn dort war bie 'größte Gefahr,
daß bie oligarchiſche Partei fiegen möchte. In Corcyra waren
wie ſchon gefagt, zwei Parteien, die mit großer Erbitterung
gegen einander flanden, Der Demos, nicht zu verfiehen vom
gemeinen Volle, fondern von ber Landſchaft, von ben eretrifhen
Bewohnern und den alten Liburnern bie helleniſirt waren, ſtand
gegen bie Geſchlechter vom korinthifhen Stamm, unb biefer
Demos hatte fi inzwiſchen wieber in feine alte Freiheit einge-
fegt und die Mehrheit erlangt, aber bie Regierung ſchwankte
noch zwiſchen dem Einfluß ber öAdyoı und der Macht des
Demos. Lepterer war wie überall den Umſtaͤnden gemäß
athenienſiſch gefinnt, und in biefen Berhältnifien hatten bie
ökiyoı jest einen andern Charakter angenommen, wodurch
fie Manche, die fonft ihre Gegner waren, zu fi herüber⸗
ziehen Eonnten, nämlich ben einer politifchen Yartei, bie für bie
Unabhängigfeit der Republik von Athen beforgt war. Dazu
fam, daß mehrere Eorcyraeer bie in bem letzten Seetreffen mit
ben Korinthiern zu Kriegsgefangenen gemacht waren, im Korinth
mit befonderem Glimpfe behandelt und mit Huger Lil gewon-
nen worden waren, um dadurch Corcyra zu unterwerfen; fie
wurden nur fcheinbar Iosgefauft und kamen frei nah Haufe
zurüd. Anfänglich wird man froh geweien fein, fie wieder zu
Barteilämpfe in Corcyra. 8
baben, aber bald wurden dieſe losgelaſſenen Gefangenen ber
Mittelpunct einer politifchen Partei, die das Bündnig mit Athen
zur Frage brachte und es wieder aufzulöfen arbeitete, Auf ber
anbern Seite drangen bie Freunde Athen’s, bie demokratiſche
Partei, um fo eifriger auf Erhaltung und Beflätigung deffelben,
als dies ihr eignes Intereffe war; beſonders ein Pithias, ber
Urheber biefes Bündniſſes, ging jegt darauf aus, im Gegentheil
zu bewirken, daß dies Bündniß, das bisher nur Schutzbuͤndniß
gewefen war, zu einer Offenfiv- und Defenftv - Allianz erhoben
werde. Die athenifche Partei war überwiegend; die öAdyor
wiberfpradhen Anfangs heftig, unb ba fie doch überflimmt wur-
den, verfuchten fie eine gewaltfame Revolution, ermordeten den
Pithias und einige andre Anhänger ber Athenienfer und war-
fen das athenifche Bundniß ab.
Diefer unfinnige Schritt führte zum allgemeinen Aufflande O1. 88,2.
und einem erbitterten Bürgerfriege. Die Stadt war in ben ver-
fihiedenen Straßen und Quartieren von ben verfchiedenen Parteien
bewohnt; wahrſcheinlich den verſchiedenen Anfiedelungen nach, nicht
fo, daß man folgern fünnte, daß es bad Quartier des armen Volks
gewefen, wo ber Demos war. Allerdings war das Schifferquar-
tier ganz vom Demos bewohnt; daß aber bie Ariftofraten an ber
&yoea wohnten, fommt daher, weil fie Altbürger waren und
ihre Borfahren, die korinthiſchen Anſiedler, fih dort angebauet hat⸗
ten; fpäter mochten manche von ihnen ſich auch in jenem Quartier
wieder angebaut haben, und wenige vom Demos wohnten viel-
leicht auf der Agora. In einem Buche, das für Jeden äußerft
lehrreich über die Verhältniffe der alten und neuen Staaten ift,
in Meyer von Knonan's Schweizergefhhichte, ift ein Irrthum
der Art über Genf, wenn er im zweiten Bande fagt: in Genf
hätten bie Bornehmen zufällig in ber obern Stabt gewohnt, und
bas habe den Zufammenftoß zwifchen ben Bewohnern der Eite und
bes Bourg zur Folge gehabt. Die Cité war allein bie eigent-
liche freie Stabt, ber Bourg St. Gervais war außerhalb des
Niebuhr Vort. üb. d. A. ©. II. 6
Ol. 88, 4.
82 Steg ver atheniſchen Partei.
Buͤrgerrechts; fo war es auch in Florenz und chen fo if es
von Corcyra zu verfieben. Zwiſchen ben verſchiedenen Duar-
tieren entftland nun ein Kampf, ber mehrere Tage im Junern
der Stadt wüthete; die öAlyos riefen Epiroten herüber, ber Des
mod verflärkte fih mit dem Bolfe vom Lande, Während bes
Kampfes brach Feuer in der Stadt aus: ald die Oligarchen
ſahen, daß fie überwältigt wurben, zünbeten fie die Häufer auf
der Seite wo geflürmt wurbe feld an, um ben Angriff bes
Demos zurüdzutreiben, fo daß ein großer Theil der Stadt
verwüftet wurde. Aber der Demos fiegte dennoch und atheni⸗
ſche Schiffe die eben hinzufamen vollendeten feinen Sieg. et
mußten bie überwundenen öAsyos für ihr Reben capituliren und
es ift eine entfeglihe Gefchichte, die Sie bei Thukydides nad)
Iefen müffen, wie die Wuth nun herrfchte, und ber Biuttrieh
und die Racheluſt fo weit führte. Die unglüdfeligen öAdyor
hatten zuerfi das Blutvergiegen angefangen, und bas wilde
Streben dies zu rächen ließ nun nicht raften, Bid das vergol:
ten und das Blut ber Mörber wieder vergoſſen war. So ent
ftand ein furchtbares Blutbad; den Athenienfern gelang ed nur
einen Theil der Unglüdlichen zu reiten.
Diefe Geretteten entfamen auf das feſte Land, von ba gin⸗
gen fie verzweiflungsvolf wieder auf die Infel zuräd, befeſtig⸗
ten fich in den Burgen, und plänberten von bort aus bad Land.
So hielten fie fi ein Jahr, bis der corcyraeiſche Demos mit
Hülfe der Athenienfer fie zwang fi noch einmal zu ergeben.
Die Athenienfer hatten eine Capitulation für fie ausgewirkt und
ihnen das Leben ausbebungen, aber die Corcyracer hielten in ber
Wuth die Sapitulation nicht und führten eine zweite Miorbfcene
auf. Diefe Scenen find wahre Vorbilder ber September-Morbs
feenen in Paris; fümmtlihe Gefangene wurden gerabe wie in
Paris durch zwei Reihen Bewaffneter aus den Gefängniffen
geführt und niedergefioßen. Durch diefe Kämpfe hat Coreyra
fih auf immer zu Grunde gerichtet und nachher waͤhrend ber
UML a
Demoſthenes. 83
Dauer bes peloponneſiſchen Krieges iſt von ihm wenig mehr
Die Rede. Nach dem Kriege aber, als biefe Gemäfler
wieder Sig der Seefriege wurben, ift dieſe herrliche Snfel,
durch reiche Dlivenwälber ausgezeichnet, fo ohnmächtig, daß
fie fih dem Erften der Fam ergab, fpäter von Kaffander, Agatho⸗
fled und Pyrrhus ohne Mühe erobert und naher von den Illy⸗
riern eingenommen ward. Gie hat fih felhft ben Todesftoß
gegeben. Indeſſen müflen auch noch nach dem Kriege neue Reac⸗
tionen flatt gefunden haben, die Thufybides kurz mit einem
Worte berührt‘), — was aud beweift, Daß er nach bem pelo⸗
ponnefifchen Krieg gefchrieben bat, — aber wann und wie fie
ſich begeben, darüber wiffen wir feine Silbe.
Ferner aber hat diefer Bürgerkrieg in Corcyra und ber
Zug nah Sieilien Anlaß zu ber Unternehmung des Demo»
fihenes auf Pylos gegeben. Demofthenes, Sohn des Alkiſthenes,
gehörte zu den Bornehmen in Alben, fo wie überhaupt damals
außer Kleon und Hyperbolus bie Kührer der Republik noch
durchgehende zu den vornehmen Gefchlechtern gehörten, nicht
als ob fie dazu irgend ein Privilegium gehabt hätten; aber fie
hatten einen großen Namen, und waren obenein durch einen
ererbten Reichthum unterflügt, der ben homines novi fehlte, und
das waren die Mittel der Beförderung und Macht. Diefer
Demoſthenes war ein fehr unternehmender Feldherr, aber nicht
immer glücklich. Auf einem Zuge gegen die Aetoler hatte er
eine ſchreckliche Rieberlage erlitten, auf der andern Seite mit
den Alarnanern einen großen Sieg über bie Ambrafier erfochten.
Er genoß in Athen große Eonfideration und erregte viel Aufſehen:
. dort und in Griechenland waren alle Augen auf ihn gerichtet.
Die Athener fandten nun eine Berftärfung nach Sicilien Ol. ss, s,
zu den Schiffen, die fi dort befanden; Demofthenes bat fich
aus, diefe Expedition begleiten zu bürfen, und man nahm das
an. Seinen Zwed hielt er aber geheim; er ging mit, um durch
) WV. 48: ..n oraoı ... Erelevmmoev ds roũro, Öou Ye xard Top
nöleuov rovde: ... .
6
84 Unternehmung des Demoſthenes gegen Polos.
ein Wageſtück, wegen befien er verurtheilt werben ober Ruhm
und Lob gewinnen konnte, dem kläglichen Gange des Krieges
eine ganz andere Richtung zu geben. Man fuhr [nämlich im
Alterthum] mit den Galeeren längs der Küften und legte an,
fo oft als man fonnte, um Waſſer einzunehmen, bas bei der
gewaltig ſtarken Bemannung mit 200 Ruberern und dem engen
Raume der Galeeren häufig erneuert werben mußte. Da nun
jene Flotte über das ganze ionifche Meer zu fchiffen hatte, mußte
fie nothwendig Waffer jchöpfen. Die traurige Herrfchaft ber
Spartaner über ihr Gebiet, die in vielen Gegenden von Lafo-
nifa und befonders in dem unterjochten Meſſenien das Land
veröbet "und die Städte in ihrem Schutt liegen ließ’, hatte
nun zur Folge, daß an ber Küfte viele Häfen und Anferfätten
wüßte Tagen, fo daß bie Athenienfer gewohnt waren in Feinbes
Land ebenfo ungeflört Wafler einzunehmen wie in befreundetem
Lande, und fo Tag auch Damals ber herrliche Hafen von Pylos, das
jegige Navarin, der nun in ganz Europa befannt ift, ganz wüfl.
Die Devölferung war weit und breit vertilgt, und das Lanb
mit wilden Walde überwachſen; ein herrlicher Boden befon-
derd zum Delbau geeignet, aber bei der fpartanifchen Trägpeit
war es gleichgültig, ob einige Duabdratmeilen wäft lagen ober
nicht. Hier Tief nun die athenifche Flotte ein um Waffer zu
fhöpfen, und da erklärte Demofihenes den beiden athenifchen
Befehlshabern Sophofles (ein anderer als der Dichter, der al-
lerdings Stratege war, aber in dem Kriege gegen Samos, bier
nicht) und Eurymedon, er fei in ber Abficht ‚mitgegangen, um
biefen Hafen für bie athenifche Flotte in Befig zu nehmen und
fi auf den Ruinen der alten Stadt Pylos zu befefligen, um
hier den Spartanern an ihrem eigenen Leibe ein Zugpflafter
anzulegen. Bon biefem Puncte aus fönne man ihnen in ihrem
eigenen Lande empfindlihe Wunden beibringen; bier war man
in der Nähe der Heloten, und biefe follten hier einen feften
Punct haben, wohin fie fih ziehen und vereinigen konnten.
Unternehmung des Demofihenes gegen Pylos. 85
Demofthened erwog mit Recht, daß, wenn biefe Unternehmung
eonfequent und mit Kraft ausgeführt würde, nicht nur bie He-
Ioten fih empören, fondern auch mande von ben Serivefen-
fkädten fih gegen Sparta auffehnen würden, wie es unter
König Arhidamus vor noch nicht vierzig Jahren gefchehen war,
und daß es fo gelingen fönnte, Sparta zu Boden zu werfen,
das an Zahl der eigenen Bürger fehr ſchwach war und feine
Stärfe nur in ben Unterthanen hatte, die es tyrannifirte. Die—
fer Gedanke war groß und richtig, er fand aber bei den ge-
wöhnlichen Geiftern ſchlechte Aufnahme; bie beiden Strategen
nahmen ihn übel als unbefugte Einmiſchung und wiefen Des
moſthenes zurüd, indem fie ihm erflärten, er babe feinen Be⸗
fehl und fei nur Freiwilliger, fie hätten zu befehlen. Glüdfi-
chermeife war aber der Wind zur Weiterfahrt ungünftig, man
war gezwungen ben Aufenthalt einige Tage zu verlängern und
nun zeigte ſich hier abermals die Wirfung bes edlen athenifchen
Charakters, ber fih fo oft zeigt, daß aud für ben gemeinen
Athener ein großer Gebanfe anziehend war, und er ihm
nicht Schwierigfeiten entgegenfette fondern einen folchen als
Gabe des Glücks mit Begierde ergriff. Ald nun der Wind
ungünftig blieb und Demofthenes ben Soldaten vorfchlug, zum
Berfuch eine Schanze aufzumerfen, fo waren die Soldaten ba-
zu bereit und bie Feldherren mußten e8 gefchehen Taffen. Sie
bauten unter der größten Mühfeligfeit ohne alle Werkzeuge in
ſechs Tagen eine Schanze und nun blieb Demofthenes, da er
fi) freiwillig angefchloffen hatte, [alfo bleiben Fonnte wo er
wollte], mit einigen Galeeren und einigen hundert Mann zurüd:
ein Korfarenfchiff von den ehemaligen Meffeniern, bas von Nau⸗
paktus aus gegen bie Spartaner Freuzte, fam dazu und bfieb
freudig bier, und fo überließen fie ſich jegt bem Traume, von
da aus Meffene wieder erobern zu fönnen. So hatte Demofthenes
einen Heinen Haufen und 6 Schiffe zur Dispofttion, und mit
biefer Macht fuhr er fort fich immer mehr und mehr zu befeftigen.
86 Unternehmung des Demofihenes gegen Pylos. Ginfchließung
Die Spartaner zeigten hier wieber recht ihre volllommene
Unbeholfenheit und Schläfrigfeit; fie ließen ed gefcheben, daß
der atbenifche Feldherr ſich in dem fchönften Theile ihres Lan-
bes feſtſetzte und des beften Hafens in Griechenland ſich be-
meifterte, ohne einen Verſuch zu machen, es zu vereiteln, 'obwohl
Pylos nur zehn Meilen von Sparta entfernt war’, Sie be-
trachteten es als ein thörichtes Unternehmen, das man bei dem
erſten Ernft aufgeben würbe, So zögerten fie fo lange, bie
man fich feft verſchanzt hatte, und nun erft rüfteten fie alle ihre
Schiffe in Gythium aus und fandien ihre Miligen gegen den
Dr hin. Diefe fanden aber die Verſchanzung fchon zu weit
vorgerüdt, um zu flürmen; ’ihr Angriff warb zurüdgefchlagen’,
dann waren fie wieder zu unthätig und meinten, bie Athener
leichter auszubungern: einige Tage früher ober fpäter würbe
ihnen der Meine Haufe doch in die Hände fallen. Um ihn ein-
zufchließen, wollten fie ben doppelten Eingang der Bai mit ge=
anferten Galeeren verfperren, um fie fo von bem Verkehr mit
ber athenifchen Flotte abzufchneiden und ihnen aud die Ausfahrt
in's Meer zu hindern; um die Zufuhr vom Meere aber gänz-
lich abzufchneiden, landeten fie ein Detachement von Laledaemo⸗
niern und Spartiaten auf ber Inſel Sphafteria am Eingang
ber Bai, Die Athenienfer fandten eine überlegene Flotte zum
Entfag und dieſe ſchickten fich getroft zum Angriff au. Hätten
bie Spartaner fi ſchon im Eingange feflgelegt, fo würden fie
vielleicht den Athenern haben Widerftand Ieiften können; allein
fie Hattten ihren Plan noch nicht ausgeführt, und bie Athener
überrrafchten bie feindlichen Schiffe noch im Hafen und ſchlu⸗
gen fie. Zwar verloren bie Spartaner nicht viele Schiffe, weil
ein Theil der Flotte fih auf bie Küfte warf und ſich dort vers
theibigte, aber die Athenienfer drangen bob in die Bai ein,
ſetzten fih in Verbindung mit der Befagung von Pylos und um⸗
gaben bie Infel Sphafteria gänzlich, auf der die gelandete Mann⸗
haft, 420 Dann, theils Spartiaten, theils Lalebaemonier lagen.
d. Spartaner a. Sphafteria. Vergebliche Friedensunterhanblungen. 97
Diefer Unfall perbreitete in Sparta bie größte Beftürzung,
ihre Schiffe Tagen auf den Ufern, die Truppen auf der Inſel
waren abgefchnitten, ’auf einer wüften Infel ohne Lebensmit-
tel’, von ben Athentenfern umzingelt, und es fand gar nicht
in ihrer Macht fie zu retten: 'das Schidfal der Plataeer ſtand
ihnen vor Augen, und man fürchtete mit vollem Grunde, daß
bie Aihener ſich blutig rächen würden’. Se Feiner die Zahl ber
fpartanifchen Bürger war, um fo wichtiger war es für fie, ihre
eignen Mitbürger zu erhalten, Unter den 420 Mann auf Sphaf-
teria war aber. gewiß die Hälfte fpartanifhe Bürger, und es
war wohl fein Haus in Sparta, das nicht auf ber Infel einen
Angehörigen hatte, Die Spartaner gingen ſchon fehr haushäl-
terifch mit ihren eigenen Männern um und fanbten nur ein-
zelne als Befehlshaber, felten in Maffen, wie auch bei Leuftra
nicht viele Bürger fielen, aber doch ungeheures Leib darüber
entftand. est gerietb man alfo in Tobesfchreden und fing
an, mit Athen zu unterhandeln; in Athen aber war man ba-
mals in großer Berlegenheit, unter welchen Bedingungen man
Frieden machen follte;s denn ſchloß man ihn Damals, fo konnte
er doch Feine lange Dauer haben. Ohne bedeutende Vortheile
zu erlangen, Tonnten fie alfo fest den Frieden nicht machen.
Die Bedingungen die fie forderten waren auch nicht zu hart.
In dem breißigjährigen Waffenſtillſtande Hatten die Athenienfer
mehrere Puncte aufgegeben, die ihnen im Peloponnes gehört
hatten, und biefe forderten fie jeßt ald Bedingung des Frie-
dens und für die Loslaffung jener Eingefchloffenen zurüd: dies
waren Troezen und Achaja, außerdem bie beiden Feſtungen die
Megara einfchloflen, Pagae und der Hafen Nifaea. Das ver-
langten jegt die Athener, und welche andere Borfchläge hätten
gemacht werben fönnen, fiehbt man nicht ein. Die Spartaner
aber wollten anf diefe Bedingungen nicht eingehen; fie dach⸗
ten, ed würbe fi) ſchon finden, wenn man nur die Sade in
88 Befierung ber Lage der Eingeſchloſſenen.
bie Länge ziehe, bis die flürmifche Jahreszeit einbreche; bie
athenifche Flotte würde dann Pylos verlaffen müflen.
Während der Unterhandlungen war jedoch ein Waffenſtill⸗
fand gefchloffen worden, wonach bie Spartaner durch bie Athe⸗
nienfer den Eingefchloffenen Lebensmittel zuführten; aber zum
Unterpfande hatten die Spartaner ihre Kriegefhiffe in ber Bai
und zu Gythium ausliefern müffen, Damit fie jene nicht befreien
follten: wenn ber Waffenſtillſtand zu Ende gehe, fo follten fie zu-
rüdgegeben werden. Hier haben Ieiber die Athenienfer ſich un⸗
leugbar einen Woribruch zu Schulden kommen laſſen, indem fie
unter bem Borwande, daß die Spartaner den Waffenſtillſtand
nicht gehalten hätten, bie verpfändeten Schiffe zurüdgehalten
haben. Vielleicht ifi es wahr, daß bie Spartaner Feinbfelig-
feiten verübt und fene Bedingungen nicht gehalten haben; aber
dann mar ed doch ungerecht von ben Aihenienfern, die Schiffe
zurückzuhalten.
Von der Zeit an troͤſteten ſich die Spartaner mit der Aus⸗
ſicht auf die ſchlimme Jahreszeit, welche die Athenienſer zwin⸗
gen würde die Blokade aufzugeben, und verſuchten inzwiſchen
auf alle Weiſe die Eingeſchloſſenen mit Lebensmitteln zu ver⸗
ſorgen. Sie aſſecurirten die Fahrzeuge, die nach Sphakteria
Lebensmittel überführten, wenn ſie dabei zu Grunde gingen,
und namentlich reizten ſie die Heloten durch Verſprechen von
Belohnung und Freiheit zu ſolchen Verſuchen. Das gelang
auch bei gutem Winde mit Segelböten, kleinen Kähnen, trotz
ber atbenifchen Galeeren; es geſchah aber au, daß Einzelne
fhwimmend verpichte Säde mit fehr fubftanziellen Nahrungs⸗
mitteln hinüberbradpten. In der That wurbe durch biefe Mit-
tel die Heine Schaar auf Sphafteria hinlaͤnglich mit Lebens⸗
mitteln verforgt. Bei den Athenern trat daher wieder großes
Mißbehagen ein, daß fie den Frieden, ber ihnen bargeboten wor⸗
ben, nicht angenommen hätten,
In der damaligen Zeit war in Athen kein einzelner großer
Kampf der Demagogen und Optimaten In Athen. Niklas. 89
Mann an der Spite der Republik, fondern mehrere Leute von
Talent, von verfehiedener Art. Der bedeutendfle Mann von
der Partei ber Bornehmen war Nikias, ber jegt Strateg war
’und den Krieg leitete, ein Mann von gutem altem Gefchlechte
und befonders ausgezeichnet durch feinen nah dem Maßſtabe
ber Athener unermeßlichen Reichthum, von bem allerdings nach
athenifchen Gefegen ein großer Theil dem Gemeinwefen ge-
hörte. Er war ein braver, tabellofer Feldherr, feine Waffen
waren im Ganzen glüdfich, und fo viel wir ihn beurtheifen Kön-
nen, war er durchaus ein ehrenwerther und gewiflenhafter Mann,
den das Baterland nur zu belohnen hatte. Aber er war von
einem in Athen nicht gewöhnlichen Temperamente, ruhig und
phlegmatifch, und da er Glück im Kriege gehabt hat, fo Tag ihm
viel daran, ben Ruhm den er erworben hatte nicht zu verlieren;
er wollte fein bisheriges Glück bis an's Ende feines Lebens
haben und nicht durch weitere Internehmungen es compromit-
tiren. Auch fürdtete er die Berläumbung ber Spfophanten,
die einen Mann von feinem Range am Allerleichteften angriffen.
Daher wünfchte er den Frieden, und hatte ihn fchon bei den
erfien Unterhanblungen gewuͤnſcht. Einige andere Felbherren
landen auf berfelben Seite mit ihm. Diefe Worte können
Shnen als Einleitung in den Ariftophanes dienen, 'aus dem
uns das Bild des damaligen Zuftandes von Athen Har vor
Augen liegt’. Unter diefen Felbherren, die mit Nikias flanden,
war Lamachus, der keineswegs ben Hohn des Ariftophanes ver-
dient; auch hat dieſer, wie ſchon gefagt, ed nicht fo böfe Damit
gemeint: vieleicht haben fie ohne Bitterkeit zufammen leben fün«
nen. Ein anderer war Laches ').
3) Diefer Name iſt in der fpäteren attifchen Komoedie der Name bes Bürs
gere, wie Ierome in der Molierefhen, war aber im Leben nicht mehr
in der Mode; damals war er noch in den vornehmen Gefchlechtern übs
lich. Nachher kommt diefer Name wieder in angefehenen Familien vor,
aljo verlor fih der Spott. Die Namen im Altertum find ein fehr
interefienter Stoff.
“0 Kiem.
Der eigentlihe Gegner bes Nikias war ein Meunſch von
eigenem Geifte, ein feltfames Weſen, ber berühmte ober viel⸗
mehr berüchtigte Kleon, Er verdient in ber That den übeln
Ruf den er hat größtentheils: ich wüßte nichts, wad man zu
feiner Entfhuldigung fagen könnte. Wenn Ariftophanes über
Kleon fpricht, fo if das auf ganz andere Weife, ald wenn er
von Nikias oder Demoſthenes ober auch felb von Lamachus rebei:
gegen Kleon hat er einen wahren Wiberwillen, ja Berachtung.
Kleon war ein Dann von ganz nieberer Herkunft. Was vor
50 Jahren noch unmöglich gewefen war, geichah jetzt, daß ein
@ewerbetreibender an ber Spige des Staats fland. Indeſſen
waren bad große Gewerbe; man muß bei biefen Gewerbetrei⸗
benden beachten, was wir aus den Berhältnifien des Vaters
bed Demofibenes erfehen. Wir haben felten Handwerker, beren
Gewerbe einen foldhen Umfang hat, wie bie der athenifchen;
fie fanden in dem Berbältniffe unferer Fabrikherren. Kleon
hat gewiß nicht felbft gearbeitet; er hatte nur die Gerberei ein=
gerichtet, und die Arbeit geſchah durch Sklaven. Der Stand
bes Kleon verdient nicht Tadel, nur ein Thor konnte etwas ba-
gegen haben, daß er in ber Staatöverwaltung war: in London
find große Bierbrauer angefehene Männer und im Parlamente,
Was ihn aber wirklich trifft, das ift feine Perfönlichkeit, und
biefe verdient was Ariftophanes davon fagt: der Avgoodäuyns
follte vielleicht nicht fo oft bei ibm vorlommen. Sn der
berrlihen Erzählung bei Thufybides und in vielen Anekdoten
außer diefem erſcheint fein ganzes Benehmen Har, wie das eines
ganz unfinnigen gewiffenlofen Menfchen, der gar keinen Begriff
von ber Heiligkeit ber Verhältniffe, von ber Pflicht, von dem
Amte deſſen hat, der fih an bie Spige bes Staats ſtellt. Nun
davon haben Andere auch feinen Begriff, aber dieſe Leichtfertig«
feit, womit er bie Republif fo zu behandeln wagte, wie anbere
Leute die ſich gegenfeitig feinen Zwang anthun mit ihren genauen
Bekannten umgehen, biefe Dreiftigfeit, dieſe Frechheit, mit ber
‘
Kleon ſetzt d. Sefangennehmung db. eingeſchloſſenen Syartaner durch. 94
er vor der Bollsverfammlung Anträge machte und Leute, bie
bunbertmal beffer als er waren, anflagte und berunterriß, dieſe
zeigen ihn als einen Charakter der dem bes Cobbet in England
gleich if. Das ift der wahre Kleon unferer Tage, 'nur war
Kleon nicht fo fchlecht als diefer Nichtswürdige'.
‚Segen Nikias war nun das Bolf mißtrauifh, da man
wußte, daß er ben Trieben wuͤnſche, und man hatte ihn in Verbacht,
bag er den Spartanern feinen ernfihaften Schlag beibringen
wolle. ind da im Allgemeinen die Spaltung zwifchen ben Op-
timaten und dem Bolfe immer ärger wurbe, war es bem Kleon
deſto leichter bei bem Bolfe Eingang zu finden. So klagte er
denn jett die atheniſchen Felbherren, namentlich den Demoflhe-
nes an, baf es bloß ihre Schuld fei, daß ſich ber Krieg auf
Sphafteria hinzöge, es fei blos ihre Feigheit, daß fie die Spar⸗
taner nicht überwältigt hätten. In Wahrheit aber war bie
Sache die, daß es fehr bedenklich war, eine folhe Unternehmung
ohne ausbrüdtichen Befehl des Volks zu wagen: bei ber furcht⸗
baren Refponfabilität ber Feldherren konnten fie nicht einen Sturm
auf eine Inſel wagen, an ber fein Hafen ift und wo man fi
mit Böten durch die flärkfie Brandung werfen muß. Diefe
Schwierigfeit war fehr groß; wenn aber yon Athen Truppen
hinübergefandt wurden und das Bolf ben Befehl gab, die In⸗
fel folle genommen werben, fo war unflteitig Demoftbenes ber
Mann, der es ausführen fonnte, und er hat es auch gethan.
So hat hier die Frechheit des Kleon zum Guten gewirkt, indem
er darauf drang, daß man auf bie Inſel losgehe, denn wenn
die böfe Jahreszeit berangefommen wäre, fo hätte das fchöne
Unternehmen vielleiht ganz aufgegeben werben müflen. Er er⸗
flärte, es fei das bloße Feigheit — Jeder wußte aber, daß er
ber feigfte Menſch von der Welt war — und erbot ſich fie hin-
überzuführen, um bie Spartaner auf Sphakteria zu fangen und
nach Athen zu bringen. Das amüfirte bie Athener dermaßen,
bag fie als Freunde bes Lachens ihn, ben fuperlativ Feigen, gleich
D1.89, 4.
93 Keon ſetzt d. Gefangennehmung d. eingefchloffenen Spartaner durch.
zum Feldherrn ernannten und ihn gehen hießen, ihn aber nach⸗
ber auszulachen gedachten. Da wurde er außerordentlich be:
ſcheiden und verbat es fih, aber Ausflächte halfen ihm nichts,
das Bolk befahl, er müffe geben. Nun bebanfte er fi, nahm
eine bedeutende Macht und fuhr hinüber.
Hier nun benahm fih Kleon, dem es nicht an Berftand
fehlte, gegen Demoſthenes ganz anders als hinter feinem Rüden,
er war ungemein bejcheiden und voll Achtung gegen ihn und über-
gab ihm vertrauensvoll Die ganze Leitung. Demoſthenes war
damit zufrieden; ’ein Waldbrand auf der Infel begünfligte ihn’,
bie Landung gelang glüdlich und damit war bie Sache entfdhie-
den. Die Spartaner hatten drei Poften hintereinander und man
trieb fie, 'ſo herrlich fie ſich fchlugen’, aus zwei Poften heraus
und in bie höchſte Schanze hinein. Nun waren Zufuhren un-
möglich, und dabei hätte man es bleiben Taffen unb bie Spar-
taner aushungern können, allein die Sache gab ſich fehneller;
man umging fie am Saume bed Kiesuferd unter dem hoben
Felsufer durch das Waſſer hindurch, und die Meſſenier, die Alles
gut kannten und bie Fußfteige wußten, erfliegen ben lebten Punct
ber Höhe der noch über jener Schanze war, auf weldhe bie
Spartaner ſich zurüd gezogen hatten. Sept da die Spartaner
nichts Andres vor fich fahen als erworfen (ein altdeutfcher Aus⸗
druck) oder erfchoflen zu werben, legten fic bie Waffen nie-
ber, verlangten aber aus Furcht vor ber Berantwortlichfeit vor⸗
ber mit den fpartanifchen Feldherren auf dem Feſtlande ſich zu
unterreden. Diefe wollten aber die Sache auch nit auf fi
nehmen und erflärten ihnen mit der gewöhnlichen Hypokriſie,
fie wollten nicht über fie verfügen, fie ſelbſt follten überlegen
und über fi entfiheiden, aber nur bie Ehre Sparta's nicht ver⸗
legen. Indeß das war nur zum Schein: das war wohl Feine
Frage, ob die Ehre durch bie Uebergabe verlegt würde. So
ergaben fih denn bie 290 Mann, die von den 420 noch übrig
waren, und wurden nach Athen gebradt. Der Erfolg zeigte,
-Brafivas. 93
daß fie noch eine geraume Zeit hätten dort bleiben können, ba
noch Lebensmittel genug vorhanden waren.
Ihr Erſcheinen brachte in Athen eine enthufiaftifche Freude
hervor; die Aihener glaubten Alles gewonnen zu haben und In
ber That, wenn nicht andere Ereigniffe dazwifchen gekommen
wären, fo würden Die Spartaner Alles aufgeopfert haben, um
dieſe Vettern und Verwandten Ioszufaufen,
Daß es für Sparta nicht zum Aeußerſten fam, verdankt
es dem einzigen großen Manne den es damals hatte, dem Bra-
ſidas. Nur etwa Lyfander kann man noch einen großen Mann
nennen, aber zwiſchen Brafidas und ihm ift ein großer linter-
ſchied. Lyſander war in feiner Art auch ein großer Mann,
aber er war ein ehrgeiziger, fehr gefährlicher Menfch, weil bie
Mißverhältniffe der fpartanifchen Berfaffung fo weit gingen,
daß fie fogar ihn berührten und feine gerechten Anfprüche mit
den abgeftorbenen Formen nicht zu vereinigen waren, Brafidas
dagegen hatte ben Bortheil, daß er ein vollfommener Spartiate
mit allen Rechten eines ſolchen war, und in ben Verhältniſſen
fland, daß ber Staat ihm gefeglich Alles gewähren konnte,
worauf fein Ehrgeiz fih richtete, und es hätte unfinnig fein
müffen, feinen Ehrgeiz weiter zu erſtrecken. Er war dabei un«
ter allen Spartanern in einem langen Zeitraume bei Weiten
der ebelfte und befle Menfch, er war offenbar ein wahrhaft ge-
rechter, billiger und wohlwollender Mann, der nicht gleich fei-
nen übrigen Landsleuten mit wenigen Ausnahmen in jebem
andern Griechen eine Art von Heloten fah, fondern den Mann,
bie Perfönlichteit zu fchägen wußte, jeden Griechen in ber Er-
füllung feiner Pflicht und Leiftungen mit Achtung behandelte,
und bie Anfprüce eines Jeden, Kleinen oder Großen, für feinen
Staat ehrte, Sparta aber nur als bie erſte Stadt unter an
beren gleichen an die Spige ber griechifchen Nation zu ftellen
ſuchte. So fönnen wir ihn nad) feinen Thaten beurtheilen, fo
viele er in feinem kurzen Leben ausführen konnte, und bürfen
uw”
DI.88, 1.
94 Brafldas ſtellt Sparta's Glück wieder her.
nicht glauben, daß er, wenn er Tänger gelebt hätte, anders ge-
worden wäre unb feine Ausnahme von den übrigen Spartia-
ten gemacht hätte, da er eben fein gewöhnlicher Menſch war.
Seit der Erpebition des Alkidas nad) Jonien hatte Brafibas
fid) Bisher überall ausgezeichnet, und in einigen Felbzügen durch
Klugheit und Entfchloffenheit vor Allen hervorgethan; er war
alfenthalben ber Kühnfte und Rathgeber zum Allerzweckmäßigſten.
Ihn nun fandten die Spartaner, wahrfcheinlih nad feinem
eigenen Gedanken, zu einer Diverfion gegen die Athenienſer nach
ber thracifchen Küfte, weldhe den Spartanern Compenſations⸗
mittel zum Friedensſchluſſe gewähren konnte. Den Plan bat
gewiß er felbft gegeben, ed war das Zweckmäßigſte wag gefche-
ben konnte; man mollte der athenifchen Macht eine Diverfion
machen, um ihre Kräfte nach einer ganz andern Richtung hin-
zuleifen. 'Wie wichtig aber bie thracifche Küfte für Athen war,
babe ich ſchon früher bemerkt. Es mar eigentlich die erſte echte
militärifche Bewegung, bis fett war ber Krieg faft Findifch ge-
führt. Der Gebanfe des Demofthenes war fhön, aber bie
Ausführung war in Vielem ungefchidt.
Brafipas brach mit einer kleinen Armee von noch nicht
2000 Mann von Korinth auf, nahm feinen Weg durch Boeo-
tien, Phofis, Lokris und Theffalien nach der Küfte von Thra⸗
cien, um die chalkidiſchen und bottiaeifhen Städte an der thra⸗
ciſchen Küfte, die ſchon gegen bie Athenienfer in Waffen waren,
zu unterflügen, und um den Athenern auch die mit ihnen verbün-
beten Städte namentfih aber ben Befig von Amphipolis am
Strymon zu entreißen, und dadurch ben Berfehr nach bem-
felben und die Zufuhr des Schiffsbauholzes aus dieſer Gegend
abzufchneiden. Dies Unternehmen mit fo geringer Mannfchaft
war fehr kühn.
Merkwürdig ift aber, daß man in dieſer Erpebition zugleich
das Mittel fand, eine andere große Gefahr die der fpartanifchen
Nepublit drohte zu entfernen. So tiefes Dunfel über ben
Lage der Helsten. 95
Berhältnifien Sparta’s Tiegt, fo ift Doch das Far, daß bie He-
Ioten aͤußerſt zahlreich waren. Mit Unrecht denfen wir uns
biefe nicht nur ale hart bebrängt, fondern auch als ein ganz
verfunfenes, ftumpfes, unbrauchbares Sklavenvolk. Das war
fonft mein eigenes Gefühl: wir ftellen fie une vor wie Die Let⸗
ten in Liefland oder Kurland, die au fo graufam wie bie He-
Ioten behandelt werben, und fo faun dieſe Borausfegung einen
Schein haben. Allein dies ift falſch; die Heloten befanden ſich
vielmehr in einem Zuftande ber Verwilderung, von fteter Wuth
und Berbiffenheit gegen ihre graufamen Tyrannen, fo wie bie
Neger auf den Zuderinfeln ſich niemals verföhnen Lafien, wäh-
rend andre Stämme ber Neger fo ſchwach find, daß fie fih an
ihre Ketten gewöhnen. Die Heloten waren wild; daher wenn
die Spartaner fie in den Krieg führten, waren fle gewiß fehr
brauchbar. Wenn ein wahrhafter Zeuge in der ganzen Gefchichte
iR, fo iR es Thukydides, auf deſſen Wort man unbedingt trauen
fann, der nichts fagt was nicht feine vollfommene Ueberzeugung
iſt und gegen Freund und Feind eine Unmwahrheit zu fagen un-
fähig if. Er nun erzählt, daß bie Spartaner Furze Zeit vorher
im Kriege ein Corps Heloten gebraucht und ihnen nach beenbig-
iem Kriege die Freiheit verfprochen hatten. Als fie zurüdtamen,
erklaͤrten fie auch wirklich Die Heloten für frei, ließen fie dann
aber alle einzeln ermorden. Diefer Vorfall ber uns einen hin
veichenden Maaßſtab für den Werth der fpartanifchen Tugend
giebt, hatte bei ben Deloten eine grimmige Erbitterung zurück⸗
gelaflen, die wir und denken fünnen. Und dennoch, wie bie
Gewalt ber Verhaͤltniſſe oft fo wunderbar, unerklärlih und
zanbertih iſt, auch nah dieſer Erfahrung waren fie bereit in
ben Krieg zu ziehen, ba die Spartaner fie anmwerben wollten
und ihnen die Freiheit anboten, und ließen ſich burch die Aus-
ſicht auf diefe Ioden. So warb Braſidas ein Corps Heloe
tn zu feiner Unternehmung, Das war fehr vortheilhaft für
bie Sparianer ſowohl im Falle des Sieges als auch ber Nies
96 Krieg in Thraclen.
berlage: gingen fie zu Grunde, fo war dies gut für bie OAdyor,
man war ihrer los; fiegten fie, fo geſchah dies für die Spar-
tiaten, und ed war dann nur zu überlegen was zu thun fei,
ob man fie mit Brod zu vergiften, wie ed neulich auf Cythera
geſchehen fein ſollte, ober ihnen eine Anfiebelung zu geben hätte,
durch die wieber die Zwecke bes herrfchenden Standes geförbert
würden. Solch ein ausnehmender Mann wie Braſidas ver-
fland fich mit diefen Unglüdlihen und es ift Mar, daß feine
Truppen eine große perfönliche Anhänglichfeit an ihn hatten,
feine Soldaten bewunderten ihn.
Die Athenienfer vernahmen von dem Zuge und fahen bie
Gefahr ein; was war aber für fie zu thun? Ein Verfuch ihrer
Freunde in Theffalien ben Spartanern den Durchmarſch zu ver-
wehren, mißlang; Brafibas vollendete den Marſch glüclich,
und erſchien an ber thraciſchen Küfte zwifchen dem thermaifchen
Meerbufen und dem Meere von Thafos. -Die Züge bes DBra-
fivas in dieſer Gegend gehören zum Detail, das nicht in bie
allgemeine Gefchichte des Alterthums gehört und wir übergeben
fie: Tefen Sie fie im Thukydides. Er bemeifterte fi eines
Ortes nah dem andern, ja vor allen Dingen gelang es ihm
ben Athenern bad große Amphipofis am Strymon zu entreißen,
Es war ihm gelungen, weil zum Unglücke ber athenifche Sinn
in jener bedeutenden Niederlaffung unterbrüdt worben war;
wären bie 10,000 bie Athen zuerft dorthin ſchickte nicht bald nach
bem perfifhen Kriege aufgerieben worden, fo würbe Braſidas
fih nie der Stadt bemeiftert haben. Eine zweite athenifche Co⸗
Tonie, bie geraume Zeit nachher unter Hagnon dahin ausgeſandt
worden war, tft bei Weiten nicht flarf genug geweſen, um einen
fo großen Ort fo in ber Nähe ber Friegerifchen thracifchen Böl-
fer zu vertheidigen, Daher waren fie gendthigt, Griechen aus
anberen griechifchen Niederfaffungen, namentlih aus den chal⸗
kidiſchen Städten, die damals ben Athenern nicht feindfelig waren
und benen man trauen Fonnte, aufzunehmen, Diefe bilbeten
Krieg in Thracien. 97
bald als Epoeken einen Demos gegenüber ber atheniſchen Co—
lonie und waren gegen fie feindfelig. Zu ben Athenern in
Amphipolis ſtanden biefe in bem Berhältniffe daß fie nicht voll⸗
fommene Eyrınos waren, und daher flanden fie als Demos
gegen bie bemofratifhen Athenienfer, wie gegen bie firengfte
Oligarchie. So fehr Athen Demokratie war, fo Tag dies doch
in der Natur der Sache, bie Athener hatten ihre Demokratie
nur für fih; wie auch in unfern Tagen in ben Fleinen Can—
tonen Beifaffen aus andern. fchweizerifhen Gantonen fehr un-
billig behandelt. werben. Ja in Freiburg war ein Patriciat
von Nihtabelihen und Abelihe mußten ben Titel" aufgeben,
wenn fie aufgenommen werben follten; fo ein veränderliches
Wefen ift die Oligardie! Die athenifchen Epoeken in Am-
phipolis nun, Ehalkidier und andere Griechen, überlieferten dem
Brafidas bie Stadt, und ber unfterbliche Thufybides, ber von
Athen mit einer Flotte ausgefandt war, um in biefen Gegen-
ben eine Macht zu fammeln, Tonnte nicht früh genug heran
fommen, um Amphipolis gegen ben Feind zu vertheibigen, fon-
dern nur ben Hafen Eion noch behaupten, was auch ſchon ein
Großes war um weitere Angriffe zur See auf bas gefährbete
Thafos zu verhüten.
Zu biefer Zeit war ein Waffenſtillſtand auf ein Jahr zwi⸗
fhen Athen und Sparta zu Stande gelommen, wonach alle
Drte die nach einem beftimmten Tage beiberfeits erobert waren,
zurüdgegeben werben follten. Hier zeigten bie Spartaner wie-
der ihre ewig wieberfehrende Treulofigfeit, fie erfüllten die Be-
dingungen nicht. Thukydides, ber jo gerecht ift, daß er ſich
durch die Ungerechtigkeit feiner Mitbürger, bie ihn für das Un-
glück Amphipolis nicht gerettet zu haben verbannt hatten,
nicht verleiten laͤßt gegen fie unbillig zu fein, der alfo gewiß
unparteiifch ift, fagt, man hätte fireiten koͤnnen, indeflen ſei doch
das Recht auf Seiten ber Athener, bie Spartaner feien unwahr
gewefen. Wie Fonnte Frieden mit den Spartanern beflehen,
Niebuhr Vortr. üb. d. A. ©. IL 7
D1.89, 1.
DL 89, 2.
8 Krieg in Thracien.
da fie es für erlaubt hielten ad majorem reipublicae glo-
riam zu lügen, da fie es ſich fürnlih zum Grundfage gemacht
hatten, daß man Nichtfpartiaten das Wort nicht halten müſſe,
ſobald es der Republik foͤrderlich ſei! So war ed noch mit ge—
nauer Noth, daß das Jahr verlief ohne daß die Waffen er⸗
griffen wurden. Als aber das Jahr um war, erneuerten ſich
wieder die Feindſeligkeiten. Die Athenienſer hatten unterdeſſen
auch gegen ihre anderen Feinde den Krieg fortgeſetzt, namentlich
in Städten die ſich gegen fie empört hatten.
Es war jest dahin gekommen, daß Kleon fih ald He
betrachtete, und wie es ſcheint hatte auch das athenifche Boll
wegen feines Gluͤcks bie Meinung über ihn geändert. Es ver-
bannte den Thukydides und gab Kleon ben Befehl gegen Bra-
fivas in Thracien, [um auszuführen] was dem Thukydides
mißlungen war. Der Anfang feiner Unternehmung gelang
fo übel nicht, er entriß dem Braſidas einige Orte bie zu ihm
abgefallen waren, als er aber feine Macht gegen Amphipolis
führte in der Hoffnung, dies wieder zu gewinnen, mißlang es |
traurig. Bei Amphipolis kam ed zu einem Treffen zwiſchen
wenigen taufend Mann nur, es war dies aber in feinen Folgen fo
bedeutend wie die größte Schlacht. Hier zeigt fih bie Einſicht
bes Braſidas, ber in feiner Dispofition ale wahrhaft großer
Feldherr erſcheint. Merkwürbig ift das Interefle das Thukpdi⸗
des an ihm nimmt; fo gewiß ihm bas Herz blutet, daß feine
Mitbürger gefchlagen wurden, fo freut er ſich doch in feinem
fünftlerifchen Talente offenbar an ber herrlichen Diepofition des
Braſidas und wir fünnen und jest noch mit ihm freuen, wenn
wir nur Einbilbungsfraft haben; denn er zeichnet die Dispo-
fition ganz genau und wir fehen die Schlacht deutlich vor unfern
Augen; ben Gegenfag ber fiegenden Energie bes Braſidas
gegen das erbärmliche Ungefchid des Kleon. Als Brafidas fid
bewegte, die Ranzenfpisen in ber Sonne glänzten, verlor Kleon
ben Muth und ſah feinen Ausweg weiter als feine Truppen
Niederlage der Athener bei Delium. %
in einer Colonne zurkdzuführen; er nahm aber den Rüdzug
fo ungeſchickt als möglich, die Eolonne fo ſchlecht, daß ber rechte
Flügel den Spartanern ohne lnterflübung ausgeſetzt war.
Klemm fiel: daß er den Tod ber Schande wegen geſucht iſt
wicht wahrfheinlih; ihm war das Leben zu lieb und über Die
Schande hätte er fih wohl getröftet; er’ fiel gewiß fehr un⸗
gern. Auch Brafidas fiel heidenmüthig kaͤmpfend mit fehr we-
nigen von ben Seinigen, während bie Athener fehr viele ver⸗
foren, Für Alle die in Athen das Heil Griechenland's erkennen
iR der Ansgang dieſer Schlacht fihmerzlih. Für den Augen-
blick führte fie aber zum Frieden, 'Nach Kleon’d Tode Tonnte
die Sriedenspartei offener auftreten’, bie übertriebenen Hoff⸗
nungen der Athenienſer hatten ſich aufgeloͤſt, fie verloren ben
Muth und fühlten Bebärfnig zum Frieden.
Seit der Einnahme von Sphafteria hatten bie Athener auf 40.9.
diefe Weiſe mehrere Erfahrungen gemacht, die ve —
Hoffnungen ſehr herabgeſtimmt' hatten.
Außer den ſchmerzlichen Vorfaͤllen bei Amphipolis hatien
ſie auch eine ſchmerzliche Niederlage bei Delium in Boeotien
erlitten. Sie hatten einen Einfall in Boeotien gethan und hier
den Tempel zu Delium befefligt, um einen Punct zur befferen
Ueberfahrt nach Chalfis und Euboea zu haben; ber Ort war
von großer Erheblichkeit. Dies Unternehmen war ben Boeotern
ſehr gefäßrlih und reiste fie zu einer großen Operation, die Ol. 80, 1.
für bie Athenienfer höchſt unglüdlih war. Diefe waren mit
einem allgemeinen Aufgebote gegen bie Boeoter gezogen, in
weichem aͤußerſt wenig Disciplin und Einübung gewefen zu
fein fcheint: der griechifche Phalanx beburfte deren wenig, aber
doch mehr ald die athenifchen Milizen hatten. ’Die Thebaner
waren bei Weiten beffere Linientruppen'. Die Athener wur⸗
ben mit. einem fehr großen Verluſte entfchieben gefchlagen, ver⸗
loren ihren Feldherrn, und bie Befagung in Delium mußte
capituliren.
Ya
Dl. 689,3.
400 Die Athener entichliehen ſich zum Frleden.
Die große Schwierigkeit ober vielmehr Unmdglichteit, die
Spartaner von der thraciſchen Küfe zu vertreiben, mit biefem
unglüdfichen Erfolge verbunden, bewog fie alfo ernfthaft an
Friedensvorſchlaͤge zu benfen, die Vortheile zu benugen bie ihnen
noch geblieben waren, und ihre Anfprühe herabzuftimmen.
Freilich Hatten fie durch ihre Verbindungen in Theffalien fo
piel erlangt, daß bie Succurfe für das fpartanifhe Heer in
Thracien ihr Ziel nicht erreichten. Ferner hatte ſich auch König
Perdiklas von Marebonien von der fpartanifchen Sache ges
trennt und fich wieder an Athen angefchloffen, unb wenn Ma⸗
cebonien damals auch ein außerordentlich ſchwacher Staat war,
fo war feine Allianz doch an feiner Graͤnze von großer Wich⸗
tigfeit. Aber fo entſcheidend war fie nicht, um diefe Gegend
mit Gewalt erhalten zu können, und als bie Stäbte in Mare:
donien, bie meift griehifch waren, fich nichtsbeftoweniger im⸗
mer mehr und mehr von Athen losſagten und in fih zufam-
men hielten, da wünfchten die Athenienfer den Frieden. Diefe
Umſtaͤnde führten zum Frieden bes Nikias, welcher feinen Na⸗
men mit Recht führt; denn Nikias gebührt das Verdienſt, er
betrieb ihn ganz. Er fcheint das Vertrauen ber Spartaner be-
fefien zu haben, wie früher Kimon. Er mag, wie biefer,
ber einzige Athener geweien fein, dem bie Spartaner trau⸗
ten, und ber ihnen wohl wollte. Diefer Frieden wurbe im
Frühling geichloffen, nachdem etwas mehr als zehn volle Jahre
des Krieges verfloffen waren. Er ift Gegenſtand ber arifiopha-
nifhen Komoedie Eionvn ').
Der Frieden des Nikias. Alfibiades,
Der Frieden, 'der Korm nad ein funfzigfähriger Waffenſtill⸗
ftand’, fand von Seiten ber Athener und Spartaner feine Schwie-
tigkeit; Beide waren bereit, ihn abzufchließen und er warb ſchnell
) Dom Schluffe der Borlefung 48 hergefeht. dr. 9.
Der Briede v. d. Spartanern ohne ihre Bundesgenoſſen gefchloffen. 104
getchloffen. Aber ’er wurde fchwierig gemacht durch die Ver⸗
häaltmiffe der Spartaner zu ihren Bundesgenofien. Athen fland
zu feinen Bundesgenoffen fo, daß diefe gar Feine Stimme mehr
hatten, nicht fo bie Spartaner, wo bie Bunbesgenoffen noch
Theil an ber allgemeinen Tagfayung hatten, und’ von die⸗
fen bie wenigflen zum Frieden geneigt waren; nament-
lich wollten die SKorinthier und Boeoter nichts vom Frie=
ben wiflen und an biefe fihloffen fih bie Megarer an: höchſt
unvernünftiger WVeife, aber fie waren gewiß von ihren Nad-
baren bazu angeftiftet, Athen und Sparta glaubten indeſſen,
daß es genüge, wenn fie ſich unter einander verfländigten, und
Spawme ſchloß ohne Zuziehung feiner Bundesgenoffen den Frie-
den. Died machte die Bundesgenoffen. ungemein mißtrauiſch
und fo warb ber Trieben gleich unficher’.
Sparta felbft war befonbers friedlich geftimmt: ein Haupt-
grund, ber fie bewog, ben Frieden zu wünfchen, war eine
andere Feindſchaft: die alte Feindfchaft zwifchen Sparta und
Argos, die fi ſchon aus ber Zeit ber erſten doriſchen Nieder-
laffung berfchrieb und immerfort zwifchen ihnen geherrfcht hatte.
Schon früher hatte fich der Krieg erneuert und war nur buch
unbeſtimmten Waffenftillftand unterbrochen worden; fo beftand
auch jest ein funfzigjähriger Waffenftillfiand'), ber wahr-
fcheinlich etwas nach der großen Niederlage geſchloſſen worben
war, welche Die Argiver durch König Kleomenes in ber Heb-
dome erlitten hatten, durch welche bie alte doriſche Bürgerfchaft
von Argos beinah gänzlich aufgerieben worben war: fie wurbe
nämlich in einem Haine von den Spartanern mit Feuer und
Schwerdt vertilgt. Das war auch die Urfache der Anomalie,
daß Argos heinahe gänzlich Demokratie geworben war, Es
heißt, man habe damals nach der Ausrottung ber alten Bürger
vielen Knechten das Bürgerrecht gegeben, den Klaroten, bas tft
aber nicht von einer Freilaffung der Hausfflaven zu verfiehen,
') Rach Epufydites V, 14: ein dreißigiähriger Waffenſtillftand. A. d. H.
1083 Benlngungen des FIrledens.
fondern von den Leibeignen ber Argiver, db. 5. ben alten
Achaeern. Diefer Waffenſtillſtand war jett ganz nahe am Ab-
anf und die Spartaner mußten befürdten, daß bie Argiver,
deren Bevölferung fich hergeftellt hatte, fich jetzt für Die Athe-
ner erklären würben, und baß fo der Krieg nach dem Pelopon-
nes übergefpielt werden könne. Dann wären fie zwifchen zwei
Feuer, die Athenienfer in Pylos und andererſeits Die Argiver
gerathen, und bas hätte fehr gefährlich werben Fönnen, ba von
zwei Seiten her bie Heloten in Aufftand gebracht worden wä-
ren. Die Furcht, ihren ungerechten Zuſtand einzubüßen war
es, warum fie ben Frieden wünfchten. Ste hatten aber bei
bem Frieden ben Troft, daß fie nur hielten, wag ifmen genehm
war; fle verfprachen fehr Teicht und hielten nachher was fe
wollten oder was fie nicht ändern konnten.
Die Bedingungen des Friedens waren fehr einfach. Zu:
naͤchſt ſollten alle Eroberungen von beiden Seiten zurüdgegeben
werben, namentlih alfo von Sparta bie an ber thraciichen Küfe
gemachten. Es ift Fein Zweifel, daß man von beiden Seiten
Darunter verftanden hat, Amphipolis follte zurüdigegeben werben
und bie challidiſchen Städte, welche Brafibas erobert hatte, in
bas alte Verhaͤltniß unter Athen zurückkehren. Leber das Ber:
haältniß der chalfidifhen Städte drückten fie fih zwar nicht
deutlich aus, fie ſprachen dunkel, jedoch unter Zurüdfehr in das
alte Verhaͤltniß verſtand fich dies von ſelbſt. Die Athener ver:
ſprachen für die abgefallenen Städte eine Amneflie und Anto-
nomie, und daß fie feine größeren Abgaben bezahlen follten,
als die welche Ariftides beftimmt hatte, Abgetreten wurben feine
Beſitzungen. Berner follten alle Gefangenen frei zurüdgegeben
werben, was für bie Spartaner befonders wichtig war, weil
fie ihre Gefangenen von Pylos zuräderhielten: bier war bei
Weitem ber größte Bortheil auf Seiten der Spartaner. End»
lich behielten fich beide Theile gegenfeitig vor, zu dieſem Tractate
nody andere Beſtimmungen hinzuzuſetzen und bie Bedingungen zu
Mißtrauen d. Bunbesgenofien gegen Sparta. Berwidiungen mit Athen. 109
mobificiren, womit vielleicht nicht fo viel Arges gemeint war
als es unglücklichen Eindrud machte; die Clauſel „binzufegen
und an ben Bedingungen ändern‘ ift ein Zuſatz ber eigentlich
in feinem alten Tractate fehlt. Weil aber Sparta in biefem
Punet auf feine Bundesgenoffen feine Rüdfiht nahm, erregte
es bei diefen Mißtrauen.
Alle Bundesgenoffen der Spartaner aus bem Peloponnes
und Die Boeoter weigerten ſich, dieſem Tractate beizutreten. Die
Lesteren ſchloſſen mit ben Athenern nur auf zehn Tage einen
Waffenſtillſtand, dexnusgovg anovdas, wahrfcheintich fo, daß
wenn er nicht aufgefündigt wurde, er fich immer wieder auf
eine neue Defabe verlängerte. Mit Korinth war gar fein Waf⸗
fenſtillſtand.
»Die Stipulationen wurden zum Theil nicht erfüllt, viel
weniger von Seiten Athen's als Sparta's. Die Athener ver⸗
fuhren beim Anfange der Ausführung bes Verirags mit offe⸗
ner Treue; beffer wäre es für Griechenland geweſen, wenn fie
mit mehr Mißtrauen gegen die Spartauer gehandelt hätten: fie
gaben gutmüthig alle Gefangenen los und traueten auf bas
Wort Spartn’s. Ganz anders aber verfuhren die Spartaner;
fie zogen allerdings ihre Beſatzungen aus Amphipolis und den
andern Stäbten zuräd, veizten aber die Einwohner, fie follten
fich weigern fich Athen wieder zu unterwerfen, und nun erklärten
fie den Athenern: fie hatten bas Ihrige geihan, fie hätten gar
feine Mittel die Städte zu zwingen. Während fie fih aber
weigerten das Gerechte zu thun, und wie bie Athener mit Ge-
walt eingreifen wollten fih bagegen fegten, forderten fie ihrer-
feits mit der größten Beftimmtheit bie unbebingte Auslieferung
von Pylos, wo noch athenifche Truppen Tagen, Die Athener
erwarieten unter Anderm beſonders, daß ihnen ein Caſtell Pa⸗
naftum an ber boeotifchen Gränze, welches die Boeoter mit
Hülfe der Spartaner gewonnen hatten und befegt hielten, zu⸗
rüdgegeben würde. Weil es nun aber von ben Boeotern be⸗
104 Afltanztrachat zwiſchen Alten uud Sparia.
fegt war, fo fagten die Spartaner, daß es nicht zu ihrer Ber-
fügung fände, Bon Anfang an war infamer Betrug auf
Seiten der Spartaner und daraus entſtand gleich Erbitterung.
Doch noch ehe es fo weit fam, und wie bie Athener noch
im vollen Glauben waren, bag bie Spartaner es ehrlich mein-
ten, wurde ganz Griechenland in Erflaunen gefegt durch einen
Alfianztractat zwifchen ben Athenern und Spartanern gegen ge
meinfchaftlihe Feinde, der dem Frieden gleich gefolgt war, wie
. das auch wohl in der neuern Zeit bie Politif mehrmals erlebt
bat: wie 3.3, Peter II. mit Friedrich IL. eine Allianz ſchloß
und augenblicklich feine Truppen zu ihm fioßen ließ, und wie
Frankreich bald nach dem fpanifchen Succeffionstriege ſich mit
England gegen Spanien allürte, gegen benfelben Philipp, ben
ed auf ben Thron gelegt hatte; fo war es auch im Jahre 1790
auf dem Puncte, daß Krieg zwiichen Preußen und Oeſterreich
ausgebrochen wäre und im folgenden Jahre wurbe eine Dffen-
ſiv⸗ und Defenfiv » Allianz zwiſchen beiden Staaten gefchlofien.
In Griechenland aber machte diefe Allianz einen fehr merfwür-
bigen Eindruck; er war gar nicht gegen bie Athener, denn ge-
gen dieſe bezwectten bie Peloponnefier nichts‘), wohl aber ganz
gegen bie Spartaner. Alle Peloponnefter, Arkaber, Eleer u. f. w.
glaubten, Sparta habe ben Bund mit Athen gefchloffen, bamit
bies es geſchehen laſſe, daß bie Staaten im Peloponnes von
Sparta in Abhängigfeit gebracht würden, und es fei wirklich
eine ſolche Verabredung getroffen — obwohl fonft in Athen
Alles offenes Geheimniß war, — wogegen Sparta ſich ver
pflichtet Habe, baffelbe von Athen geſchehen zu laſſen. Die Folge
war, daß Sparta plöglich von allen feinen Bundesgenoflen ver-
laffen fland, die Korinthier und Boeoter trennten ſich von iin,
weil fie fich den Athenern preisgegeben fahen und bie Boeoter
dachten vielleicht, wenn bie Spartaner die Eleer in den Zuſtand
) So in den Heften; vielleicht „von tiefen beforgten die Peloponneſier
nichts.” A. d. H.
Argiviſcher Bund. Neue Jeiundſeligkeiten zwiſchen Alten u. Sparta. 105
ber Helotie verfegen koͤnnien, fo würben fie gern zulaſſen, bag
DBoeotien von ben Athenern unterworfen würde. So fand
Argos Raum für eine Politit, an bie es feit Kleomenes' Zeit
nicht mehr hatte denken dürfen und fuchte feine alten Anſprüche
auf bie Hegemonie wieber geltend zu machen. 'Es galt von
alten Zeiten her zwar für einen fehr vornehmen Drt, vorzüglich
durch die homeriſchen Gefänge, hatte aber dabei nicht fo viele
Kraft, daß fih die andern Staaten vor ihm fürchten konnten,
und’ fo warb es der Mittelpunct einer Allianz mit Mantinen,
das immer antilafonifch geweien war’, und einigen anderen ar=
kadiſchen Städten, Achaia, Elis und einigen von ber Alte. Die
Arkader batten fich aufgelöft, alle drei Völker hatten ſich decom⸗
ponirt unb manchmal wieder zufammengezogen; fo verbänbeten fich
nur einzelne ihrer Städte mit Argos, Korinth wollte Anfange
nichts von beiden Seiten wiflen und neutral bleiben, "Wenn
es auch augenblicklich auf Sparta erbittert war, fo war es doch
Erbfeind von Argos von je ber, und fein Intereffe zog es durch⸗
aus zu Sparta hin’.
Wie nun aber die Verhaͤlmiſſe an ber thracifchen Küfte
durch Sparta's Arglift fih immer mehr und mehr verwidelten,
bie Städte ſich den Athenern nicht unterwerfen wollten und es
far wurde, daß dies durch Aufregung ber Spartaner geſchah,
wurben bie Berhältnifie zwifchen Beiden auch in Griechenland
immer böfer und es entſpannen fih mannigfache Verhandlun⸗
gen und Reibungen. Wie die Negotiationen bei dem fleigen-
ben Unmuth ber Athener ſich auf das Künftlichfte verwidelten,
darüber müflen wir auf Thukydides verweilen. Theils durch
Liſt, theils durch Zufall war der Erfolg anders ald man er⸗
wartete. Nach langem Hin= und Herzieben waren Athen und
Sparta ſchon im Begriffe wieder zu den Waffen zu greifen;
aber dann vereinigten fie fich zu der feltfamen Abfindung, daß
bie Athener im Beſitz von Pylos bleiben, es aber nur mit eignen Ol. 80 4.
Truppen befegt Halten und bie Heloten und Meffenier von ba
DI.89, 4.
406 Reue Felndfellgkeiten zwiichen Athen und Sparte. Wlibiabes.
entfernen follten. Sp zogen ſich auch wieber bie aufgelöften
Bande zwifchen den Spartanern, Korintbien und Boeotern
enger zufammen. Die Boeoter Tießen fi endlich bewegen
ben Spartanern Panaltum zu übergeben, worauf biefe es ben
Athenern überlieferten. Das war nad dem unzweifelbaften
Sinne des Friedens; aber die Boeoter hatten den Ort erft ge-
fihleift, und die Spartaner übergaben ben Athenern nur ben
Schutthaufen. Darüber führten Die Athener gerechte Klage, das
fei feine redliche Zurüderflattung, ber fehle Play hätte ihnen
übergeben werben mäffen. Hier fheint nie irgend ein guter
Wille von Seiten der Spartaner gewefen zu fein, fonft hätten
ſich dieſe Berhälmmifie fchnell ändern und in's Gleichgewicht kom⸗
men koͤnnen. Haͤtten ſie die Feſtung wieder hergeſtellt und die
Koſten von ben Boeotern ſich erſtatten laſſen, fo wäre dies
redlich geweſen, aber das geſchah nicht, weil man es nicht wollte.
Während vor den Augen der Welt bie Allianz zwifchen Sparta
und Athen noch fortbefland, Hatte fie in ber Wirklichfeit aufge:
hört und war unmöglich geworben.
Dagegen bildete fi unter dem Einfluffe bes Allibiades,
ber in einer ererbten Prorenie mit Argos fand, eine Allianz
zwiſchen ben Athenern und Argivern. Das war eine ganz na-
tärlihe Allianz, eine natürlichere als dieſe Fonnte gar nicht
gedacht werden, und dadurch batten die Athener im Pelopon-
ned au die Mantineer, Eleer u. ſ. w. auf ihrer Seite.
Alfibiades war jest für die Schidfale des Vaterlands ent⸗
fheidend. Wir fommen bier auf ihn. Er iſt einer von ben
Namen des Alterthums, bie am Meiften genannt werben; auf
eine Weiſe aber, bie Teinesweges das hervorhebt, was ihn wirf-
lich auszeichnet. Größtentheild wird fehr wenig Richtiges von
ihm gefagt; über feine Schönheit, Anmuth vergißt man die
Hauptfache, das was ihm eigentlich merfwärbig macht; bie Bor-
züge feiner Perjönlichkeit find fo überwiegend, daß fie ihm
fdaden und feine glänzenden Eigenſchaften zurücktreten laffen.
Allibiades. 107
Wir denken uns Alkibiades ganz allgemein als einen Dann,
befien Schönheit fein Schmud, und für den die Thorheit des Le⸗
bens die Hauptſache iſt, und vergeflen bie Seite von ber Die Ge⸗
fhichte ihn zeigt. Nur fehr Wenige erfennen ihn wie er mar,
und daher fommt es bei den neuern Schriftfiellern häufig vor,
daß er auf eine nicht nur ungünftige, ſondern fogar gering
ſchätzige Art behandelt wirb: Schriften, die viel gelefen wor-
ben find, enthalten über ihn ganz unverantwortliche Aeußerun⸗
gen, felbft verächtliche Urtheile. Daß Alkibiades Tein unbeben-
tender Bann, daß er eine von ben daͤmoniſchen Erfcheimungen
war, bie in ber Gefchichte öfter vorfommen, bie das Schiefal
ganzer Völker und Länder entfcheiden, fo daß die Perföntichkeit
eines Menfchen mehr vermag als das Glück und bie Politif
ganzer Staaten, das war das Urtheil der Alten. Thukydides,
ben man nicht im Verdachte haben kann, bag er für Alkibiades
eine befondere Borliebe befeffen habe, erfennt es mit dem bes
ſtimmieſten Ausdrucke an, daß das Schidfal Athen’s Yon Alfi-
biabes abgehangen habe, und daß, wenn Allibiades fein Schidfal
nicht von dem feiner Vaterſtadt getrennt hätte, anfänglich gezwun-
gen, nachher freiwillig, Der Gang des peloponneſiſchen Kriegs
allein durch feine Perfönlichfeit eine ganz entgegengefehte Rich⸗
tung genommen und baß eben dieſe Perfönlichfeit ben Ausfchlag für
Athen gegeben haben würde. Und das ift bie allgemeine Anſicht
bes ganzen Alterthums; es ift Fein bedeutender Schriftfieller ber
Alten, der ihn nicht von biefer Seite auffaßt.und wärbigt. Es
ind bloß die Neueren, bie jene herabfegende Meinung haben
und von Alfibiabes ald von einem ausfchweifenden Thoren re⸗
ben, den man unter ben großen Staatsmännern bes Alterthums
nicht nennen folle. Ein Mann, ber an Urtheil und Geift dem
Thukydides nicht nachfieht, aber in andern Dingen ungeheuer
von ihm verfchieden ift, ift Ariſtoppanes, und deſſen Urtheif
über Afibiaded in den Fröfihen, zwar mit einer Miene bed
Scherzes vorgebracht, aber in einer Zeit wo es galt ihn wieber
108 Altibiabes.
zu beben, fpriht am Treffendſten feinen ganzen Werth und feine
Stellung aus:
Ob xon Adovrog axuuvov &v noksı rodpeıy
(oder
Meluora usv Alovsa un ’v Tolsı zobgeır,
"Hr d’ dxspepn ris, To; Teonog Urmosteir.)
Dies Urtheil enthält Alles was man über ihn fagen kann; Arifio-
phanes fagt den Athenern, man koͤnne die Erfheinung eines
folchen abnorm bämonifchen Wefens in einem freien Staate
allerdings als ein Unglüd betrachten, als eine Gefahr, aber wo
ein ſolches Wefen fei, da müfle man fich in daſſelbe fügen und
nicht dagegen anftreben.
Alkibiades ift ein ganz eigenthümlicher Charakter; in ber
ganzen alten Gefchichte wüßte ich Keinen, ben man mit ihm
vergleichen könne. Einigermaßen ik mir wohl Gaefar in ben
Sinn gefommen. Auch diefer hat fidh politifche Licenzen von
früh an erlaubt, die bas firenge berfömmliche Recht verletzten;
aber es ift Doch etwas ganz Anderes mit ihm, er if an Befon-
nenheit dem Allibiades aufs Aeußerſte überlegen. Alkibiabes
war, barüber ſind Alle einfiimmig, feine pics nolırınn, er
war im Gegentheile eine pvorg rupawırn; fi in Gefeg und
Staat hineinzupaſſen, mit Ruhe ſich in den Standpunct zu
finden, den ihm die Verfaſſung anwies, und nad den Geſetzen
bes Staates zu leben, das vermochte er nicht. Das konnte
aber Caeſar; auch er wich allerdings fehr von ben Geſetzen
ab, und firebte nad ber Höhe, aber bis auf einen gewiffen
Punct feines Lebens war biefes Streben doch bloß Nebenſache;
im Ganzen genommen war er bis zu feinem Couſulate ein
Bürger der Republik. Dazu war Caefar auch ein ganz praf-
tiſch fchaffender Mann in den Formen und Gefchäften feines
Staates. Alfibiades dagegen hatte Teinen Sinn für Thätigleit
bes Staates, er war ein fchrediicher Egoiſt; er fah nur fi
und feine Gewalt, und die Republit mußte ſich fügen. Sie
Alfiblabes. 109
mußte fih Dinge von ihm gefallen laſſen, bie fih ein freier
Staat von einem Bürger nicht hätte gefallen laſſen follen,
wenn ed zu Anbern geweſen wäre; aber nur unter biefer Be⸗
bingung war Alfibiades zu haben. Jedoch darf man nicht ver-
fennen, daß Allibiades, wie er älter wurde, bedeutend beffer
war, und in ben leuten Fahren feines Lebens, da er zum zwei⸗
ten Male mit feinem Baterlande zerfallen war, zeigten ſich pa-
triotifche Gefinnungen in ihm, welche beweifen, baß er, wie er
zur Reife gelommen, auch ein ungleich befierer Bürger gewor-
ben war.
Es if feine Frage, daß er ſchon von feiner früheften Ju⸗
gend an’ auf eine wirklich infolente Weife Anfpräde darauf
machte, biejelbe Gewalt im Staate auszuüben und benfelben
Borzug ju erlangen, ben fein Vormund Perikles gehabt hatte.
Wie aber Alle anerkennen, war er auch wirklich als Feldherr
und Staatsmann fo wie in allen dem groß, was nicht Arbeit,
Sorgfalt , gewifienhafte Strenge und Ausbauer erforbert.
Dafür hatte er Feinen Sinn und fein Gewiflen; wo er aber
anf die Gemüther zu wirken hatte, in und außer Athen, bie
Athener zu gewinnen, zu fehreden und zu überreben, frembe
Staaten zu lenken und bie Armeen zu führen batte, ba war
er ein großer Meifter. Bei dem Heere war er unvergleichlich,
ee war ein entichteden großer Feldherr. ’Seine Perſoönlichkeit
war wahrhaft zauberhaft, Alles um ihn herum beherrfchend,
und dadurch hatte er eben bad Bewußtfein erlangt, daß er feine
Gewalt brauchen Tönne, wie er wolle, Sole wahrhaft daͤmo⸗
nifche Naturen gebrauchen felten ihre Macht zum Enten, Nichte
vermag ihnen zu wiberfiehen, Alles erfennt fie als etwas Hö⸗
heres an: fie felbft aber erfennen fein Geſetz, Tein göttliches
und menfhliches, über fih an, fie flimmen mit ihm überein
wenn fie wollen, find edel, großmüthig, liebevoll, aber fie bre⸗
hen auch durch wenn fie wollen, wo das eigene Intereſſe es
forberts bie Menſchen find ipnen dann nichts als Inſecten bie
110 Krieg zwiſchen Sparta, Argos und Minen.
fie zertreten können und durchaus nicht achten, Ein folder Menfch
war auch Wifibiades’ ').
Allipiades war dem Frieden bes Nikias aus ganz perfön-
lichen, vielleicht kleinlichen Nüdfichten zuwider. Die Erzählung
daß er bei den Verhandlungen, welche die Spartaner mit ben
Athenern anfnüpften, um biefe vom Buͤndniß mit Argos abzu⸗
halten, die Spartaner auf eine heilloſe Weiſe betrogen hat,
fcheint vollkommen glaubwürdig, und auf feinen Rath ſchloß
Athen das Bundniß mit Argos und Elis.
Athen Hatte nun zwei gleich entfchiebene und ſich doch
durchaus wiberfprechende Bündnifle: eins mit ben Spartanern
und ein eben fo feftes mit Argos, dem Feinde Sparta’s. Dies
Bündnig mit Argos und den Peloponnefiern u. f. w. war ben
Spartanern äuferfi bedenklich und fie faßten daher einmal ben
Entſchluß, fchleunig zu handeln, ehe es zu foät würde”). ’Der
argivifhe Bund hatte Feine rechte Conſiſtenz, Argos war träge,
Elis hatte Feinen Refpert vor Argos, und fo gewannen die
Spartaner Zeit mit Korinth, Boeotien und Megara fi wieber
enger zu verbinden. 'Als nun ber Krieg zwiſchen ben Spar⸗
tauern und Argivern ausbrach, und die Spartauer entſchloſſen
in's Feld rüdten, fo bewog Allibiades bie Athenienfer, ben Ar-
givern gegen bie Spartaner Hülfstruppen zu fenden, und fo
warb ber Friebe mit den Spartanern unveranhwortlich gebro-
den. Aber noch immer kam es zwiſchen Sparta und Argos
nit zum Schlagen; es waren überfläffige Gründe zum Kriege
2) In neuerer Zeit hat diefe Macht in hohem Grade Mirabean befeflen,
weniger Bor. Sie bezanberten Alles, was ſich Ihnen näherie unb bar⸗
den es unaufhörlich am ſich: beach Beide nicht fo wie Allibiades. Na⸗
poleon war ein zu praftifcher Menſch. Eine ſolche Natur, bie rein
geblieben, iſt Demofthenes: das iſt das KHöchfte in der Gefchichte, aber
ba füngt gleich der Reid an zu nagen. Selten jedoch bleiben. fie rein,
bie Meiften find des Teufels geworben. Auch Gatilina war eine aͤhn⸗
lihe Natur, fein gemeiner Böfewicht. 1826.
”) Der vorfichende Sat iſt von S. 106 3. 24 Hergefebt.
A. d. G.
Anflöfung bes argivifchen Bünbniffes. aa
da, aber von beiden Seiten hatte man Scheu und wollte nid
das Aeußerſte beranfommen laſſen. Der König Agis war mi
einem fpartanifchen Heere ausgezogen, ſchloß aber einen Waf-
fenſtillſtand mit den Argivern, was man ihm inbeflen in Sparia DI.90, 2.
ſehr ſchlecht auslegte, wie auch die argivifchen Feldherren bie
ihn ſchloſſen von dem Volle und der Obrigkeit zu Argos ge-
tabelt wurden. Bald darauf brach ber Krieg auch wieder aus
and 'als bie athenifhen Hülfstruppen anlangten’, kam es zu ent⸗
fchiedenen Feindfeligfeiten. Die Veranlaffung dazu war ein Ber-
fuh der Mantineer fih Tegea zu unterwerfen: in Arkadien
zeigte fih recht das traurige Loos Griechenland's durch bie
Spaltungen deſſelben Volkes. Das Land war zwifchen meh-
rere Parteien zerfallen; hätte Arkadien zufammen gehalten, fo
wäre ed ben Spartanern unverwundbar geweien. Bei Man- D1.20,3
tinea kam ed nun zur Schlacht zwifchen ben Argivern, ihren
attifchen Bunbesgenoffen, ben Mantineern und einem Theil ber
Arkader — ’die Eleer hatten ſich ärgerlich über das Betragen
ber Argiver von ihnen getrennt!’ — auf ber einen, und ben
Spartanern mit wenigen Bunbesgenofien auf ber andern Seite.
Diefe Schlacht gewannen die Spartaner auf die entfchiebenfte
Weife und 'obwohl fie den Sieg nicht verfolgten’, war bie Folge
daß Argos Frieden ſchloß, der argivifche Bund zerfiel und’ in
Argos eine Revolution erfolgte die eine oligarchiſche Verfaſſung
berbeiführte, "durch bie es in das Jutereſſe Sparta's gezo—
gen warb’. Diefe Verfaffung hatte aber keinen Beſtand und D1.00, 4.
wich fehr bald wieder ber Demofratie,
Argos ift ſchon in biefer Zeit und mehr noch in ber Folge
ein trauriges Beifpiel ber ausgenrietften, unglüdfeligften Demo-
fratie, ober eigentlich Anarchie; bie in Die marebonifche Zeit hin»
ein, bis zur Zeit wo ed in den achaeifchen Staat eintritt, ift es ber
Schauplag ber furdtbarften Gräuel, der biutigfien Revolutionen
und in biefer ganzen Periode erfcheint auch nicht ein einziger Dann,
ber durch feine Perfönlichleit etwas wirft und Achtung ein-
60 V.
112 Aelteſte Geſch. Slicilien's. Geſchichtſchr. der Silelioten. Antiochns.
flößt, viel weniger für ſich oder das Vaterland Glanz ver⸗
breitete.
Dieſe Schlacht vereitelte die Hoffnungen des Alkibiades.
Bald darauf folgte nun der große Zug nach Sicilien, 'eines
der allerentſcheidendſten Ereigniſſe der Weltgeſchichte. Ohne dieſe
Unternehmung, auf bie Athen alle feine Kräfte verwandte, hätte
Sparta nie fiegen können. Nicht die materiellen Folgen bloß
waren entſcheidend, auch bie Meinung der Menfchen war
durch den Ausgang biefer Unternehmung beftimmt’,
Aelteſte Geſchichte von Sicilien.
Sieilien befand ſich ohne Zweifel zur Zeit des peloponne⸗
fifhen Krieges auf dem höchſten Gipfel feiner Blüthe; es wa-
ren damals etwas mehr als 300 Jahre feit ber erſten griedi:
ſchen Nieberlaffung und ungefähr 150 Jahre feit ber letzten
verfloſſen. |
‚Die weſtlichen Griechen, bie Sikelioten und Italioten,
haben eine von ber ber öfllihen ganz getrennte Gefchichtfchrei-
bung, wie fie überhaupt eine eigene Ritteratur, befonders einen
eigenen Gang ber Poefte haben: Idyll, Komoebie, feine Tra-
goebie, fein Epos. Ä
Ihr ältefter Geſchichtſchreiber iſt Antiohus von Syrafus,
ein Zeitgenofje Herodot's: vielleicht kannte biefer ihn, und theilte
ſich mit ihm die Weltgeſchichte; daß er vom Weften nichts ge-
wußt babe und deshalb ſchweige, iſt eine ganz unbegrünbete
Annahme. Auffallend ift, daß das Werk des Antiochus nod
in ioniſcher Sprache gefchrieben geweſen ift, als ob man bie.
borifche nicht zur Proſa geeignet gehalten hätte, Er fchrieb
die Gefhichte der Nieberlaffungen in Sieilien und Italien bie
DT. 89. und hatte tüchtige Nachrichten; Vieles bei Diodor
it aus ihm, wenigſtens aus zweiter und britter Hand,
Philiſtus. Timaeus. — Gifaner. 113
Ihm folgt Philiſtus, befien Verluſt fehr zu bebauern if:
Cicero und Dionyfius fprechen von ihm als Geſchichtſchreiber
mit großer Bewunderung. Es war ein fihlechter Menſch, ber
ben Dionyfius leitete, aber fein Talent muß groß gewefen fein.
Es Heißt, er habe dem Thulydides nachgeahmt; ob bies eine
bioße Nachbildung war, oder ob er als praktiſcher Menſch ſich
in Thufybides’ Geift und Art bineindachte, können wir nicht
entfcheiden. Wir können annehmen, daß auch er nicht borifch
geihrieben hat, vielleicht attifch.
Kurz nad) Agathokles fchrieb Timaeus, von bem ſchon frü-
ber geredet iR’). Seine Gedichte war annaliſtiſch. Lange
Zeit hat er bei ben Alten fehr große Autorität gehabt. Timaeus
war leichigläubig, ein Freund bed Wunberbaren: er bat viel
erfunbet, aber mit großer Unkritik, und feine Gefchichte war oft
mit Unmöglihem und Laͤcherlichem vermiſcht. Das fieht man
aus dem Buche Mirabiles auscultationes unter ben arifloteli=
fhen Schriften, das faſt ganz aus ihm genommen if. Das
große Lafter bes Timaens war aber feine Läflerzunge: er war
ein Meinticher, elender Menſch, ber alle großen Charaktere haßte
und feine Freude daran hatte fie zu verkleinern. Aber bennod)
bat feine Gefchichte einen großen Werth gehabt. Wahrſcheinlich
bat er noch erlebt, daß die Römer nad Sieilien famen ober
farb doch kurz vorher: wenigſtens ſchrieb er noch den Krieg
des Pyrrhus'.
Als die Alteflen Einwohner ber Inſel werben die Sikaner
genannt, und biefe werben bei Thukydides beſtimmt als Iberer
angefeben, wobei es gleichgültig if, ob man bie Trabition an⸗
nimmt, baß fie aus ben Gegenden Satalonien’s von ben Li—
gurern vertrieben dorthin eingewandert feien, was hoͤchſt uns
wahrſcheinlich if, oder ob man fie als Autochthonen betrachtet,
wie fie ſelbſt ſagten, d. h. daß fie von unendlichen Zeiten dert
wohnten und man nichts über ihre Einwanderung fagen Tann,
)B. 16.2 ,
Niebuhr Bortr. üb. d. A. G. I. 8
114 GSifaner. Slleler.
Letzteres hat das für ſich, daß die Urbevöllerung von Sardinien
und Corſica ein iberiſcher Stamm war, und da es hoͤchſt
wahrſcheinlich iſt, daß ehemals eine iberiſche Bevoͤllerung die
ganze Nordküſte von Africa eingenommen bat, als bie Cel⸗
ten noch ganz Spanien bewohnten, fo faun dieſelbe fi
ſehr wohl au bis nah Sicilien hin erfiredt haben. Died
hat ſehr viel Wahrſcheinlichkeit, und Thukydides ſpricht
es mit der groͤßten Zuverſicht aus. Dabei laſſe ich indeſſen
nicht unbemerkt, daß der Name der Sikaner dem Namen Si⸗
euler ſehr aͤhnlich iſt, und daß dieſe Verwandlung der Endung
anus in ulus bei italianiſchen Voͤllern ſich oft ſindet: z. B. im
Romanus und Romulus, ferner in den Namen Aequus, Aequanus,
Aequiculus, Aequulus. Eben fo nun wie die Aequer fowohl
Aequaner ale Aequuler hießen, fo Bönnte man auch fagen,
daß Sicani und Siculi ein und daſſelbe Volt mit verfchiede-
nen Namen find. Daß fie von gelehrten Römern fo angefehen
wurden, wird durch ben Umſtand Har, daß Birgit bie Siculer
in Latium Sicant nennt. Rad feinem Sprachgebrauch bezieht
fi der Name Siculer auf bie Bewohner ber Infel, und Sica-
ner heißen bie alten pelasgifchen und tyrrheniſchen Bewohner
son Latium.
Wie dem nun auch fei, fo waren in Sicilien zwei ver-
fchiedene Nationen oder zwei verfchiebene Stämme deſſelben Vol⸗
fes, Sifaner und Sikeler. Daß die Sifeler entfchteben Pelas⸗
ger waren, ift feine Frage, ebenfo wie es bie Siculer von La⸗
tium waren unb bie Bewohner des ſuͤdlichſten Italien; wie ja
bie Bewohner des füblichen Calabrien's bei den Griechen gleich-
falls Siculer heißen. Diefer Name erneuerte fi) wieber in ber
byzantiniſchen Kaiferzeit: im Mittelalter zählte der byzanti-
niſche Hof, als das eigentliche Sicilien ſchon verloren war, doch
noch eine Provinz Sieilien im jüblichften Calabrien; die dnap-
xia von Calabrien hieß Eparchie von Sicilien. Daher kommt
ber Name bes Königreichs beider Sicilien; ſchon unter ben er⸗
Siteler. Vaniſche Nieverlaffungen. 445
fien normanniſchen Fürften fommt utraque Sicilia vor. Affe
war an beiben Seiten ber Meerenge Sicilien. Der große
Gibbon hat hierin nur Eitelleit der Byzantiner gefehen: das
mag fein, aber ohne Zweifel ift es auch ein Fortleben des alten
Sprachgebrauchs gewefen, und man hat in ber gemeinen Sprache
das füblichfte Italien auch Siellien genannt, weil hier in ur⸗
alter Zeit Siceuler gewohnt hatten, So iſt für Toscana
unter ben lebten römifchen Kaifern der Name Tuscia, ber
früher nicht gebräuchlich geweien war, aufgelommen von ben
alten Tuscis. Im Munde bes Volfes iſt derſelbe Name ge-
wiß immer geblieben, obwohl man im claffifchen Alterthume
zu Cicero's und Caeſar's Zeit nur yon Etrusci ſpricht. In
Cato's Zeit fommt ber Name Etrusci nicht vor: das Volk hieß
Tusci, das Land Etruria. ber beide Namen haben einen ganz
verfchiebenen Sinn, Etrusci find die alten Rafena und Tusei bie
alten Tyrrhener. "Die Siteler nun find ohne Zweifel in Si⸗
eilten eingewanbert, von ben Dpifern aus Italien verbrängt,
und haben die Sifaner aus dem öftlichen Theile vertrieben, bie
fih im Süden und befonders im Weſten behaupteten. Beibe
Bölfer erfcheinen in der Gefchichte durchaus als verſchieden.
Die Silaner bildeten Fleine Gemeinen, die Sifeler größere und
gehorchten wenigſtens einem Könige’ ”).
Außer diefen beiden Bölfern, welche bie Grieiden in Sieilien
antrafen,, waren bort von uralter Zeit her Feine Niederlaflun-
gen der Phoenicier, an ber Küfte und auf ben vorliegenden
Inſeln, die lange vor ben griechifhen &olonieen zum Handel
angelegt waren; wie die deutſchen Nieberlaffungen ber Hanſe
in ben entfernten Gegenden, 3.3. in Rußland und Skandina⸗
vien, Plaͤtze die fich ſelbſt vegierten und bald fi der Obrigkeit
des Mutterlandes unterwarfen, bald ganz unabhängig waren.
‚Sieilien muß aber fehr ſchwach bewohnt geweſen fein: bie
) Bol. für das Vorſtehende ven Abſchnitt über das alte Italien, Röm—
Geſch. 1. 0.8
8*
416 Grieqchiſche Niebeslaflungen.
Griechen feinen fih ohne alle Schwierigkeiten uiebergelafien
zu haben. Ihre Eolonieen in Sicilien fingen gleih nach dem
Anfange der Diympiaben an und find bie früheflen, von denen
wir mit Beſtimmtheit wiſſen: gleichzeitig mit Kroton und frü-
ber als Tarent. Die Niederlaffungen erfolgten allmählich:
Kriegerſchaaren zogen aus und faßten feſten Boden; dann folg-
ten ihnen Viele aus dem Baterlande nad’. Sie waren von
den verfchiedenken Orten, 'theils doriſch, theils challidiſch'.
Schon fruͤh waren dort Colonieen von Korinth. Dies iſt nicht
befremdend, ba Korinth früh eine ſehr große Handelsſtadt war,
aber wohl, daß fih früh eine rhodiſche Niederlaffung findet.
Diefe kretiſch⸗rhodiſche Colonie ift ein Beweis, daß Rhobus in
ber vorhiſtoriſchen Zeit viel größer und wichtiger gewefen if,
als es uns nachher in ber Gefchichte erfcheint, Betrachten wir
Rhodus, fo ſcheint ed, als habe es erft in der maceboni-
fen Zeit feine Wichtigkeit erhalten; bem iſt fo, aber nur
im Gegenſatz gegen bie Zeit unmittelbar vorher, denn während
bes vpelopounefifhen Krieges if es unbedeutend, Das if
ein Beifpiel eines ber Trugfhlüffe die am häufigften vorkom⸗
men, daß man bei dem Forſchen über Geſchichte fi bie Bege⸗
beupeiten in ſtets fortfepreitender Entwickelung denft, und daß
man nicht in Anſchlag Bringt, wie hier Cykloiden befchrieben
werden, Sehen wir einen Staat im Kortfchreiten fo denken
wir, bag er auch in früherer Zeit immer im ortfchreiten ge⸗
weten, und überfeben wie ein ſolcher oft eine große Bewegung
vorwärts macht, dann wieder zurüdgebrängt wirb ſich wieber
hebt und dann auf's Neue zurüdgeht, wie fih das fo oft in der
romiſchen Gefchichte zeigt. So ift es auch mit Rhodus. Die
Erwähnung der rhobifhen Städte im Katalog ber Ilias läßt ficher
fließen, daß es ſchon früh ein bedeutender Staat gewefen fein
muß; aber fpäter if es, der Himmel weiß wie, zurüdgegangen.
Aus diefer Zeit der erfien Blüthe von Rhodus rührt nun auch bie
Anfiedelung der rhodiſchen Colonie in Sicilien ber, — Diefe
Dorter und Chaffibler. 11%
Betrachtung hat etwas Troͤſtliches; es ift niederſchlagend, wenn
man an dem Borurtheit hängt, daß ein Bolt wenn es rüd-
waͤrts gegangen, ſich nicht wieber erholen könne. Wie hat z. B.
unfer Staat fi) nach dem Unglüd von 1806 erhoben, wo vol⸗
ige Erfchöpfung eingetreten war! Freilich iſt es fchwer, daß
ein Staat ſich fo ſchnell erhebt, wie Preußen es damals gethan
bat, aber wie bat auch Deutichland nach dem breißigfährigen
Kriege fi) gehoben, wo es fo ohnmaͤchtig war, bag Schweben
daffelbe noch Tange nachher tyrannifiren und fchreden konnte,
und dennoch if es wieder erflarft, fogar ohne große Männer,
bis Friedrich U. ein ordentliches Nationalgefühl gab. Sp ſin⸗
det fich in der alten Gefchichte manches Beifpiel. — Unerklaͤr⸗
Ticher als dieſe find die fieilifchen Nieberlaffungen von Megara,
bas in Alt- Griechenland immer ein fo Kleiner Staat geweien
it; Hingegen die chalkidiſchen Colonieen find ans ber im
Einzelnen zwar unbefannten, aber dennoch evibenten Größe
der Schifffahrt und Seemacht von Euboea leicht zu erklaͤren.
Bon Chalfis aus entfianden bie fogenannten challidiſchen Städte
bei denen bie halkidifhen vonuua herrſchten.
Zwifhen ben Doriern und Chalfibiern war überall ein
übles Bernehmen, aus dem leidigen Bebürfniffe der Menſchen,
Antipathie gegen diejenigen zu haben, bie und am Nächflen
fiehen. Es war nicht bloß Gewerbsneid, wie ed im alten Spruch
des Heſiod lautet: „wa xspaneds xsgauei order“ u. ſ. w. daß
ein Töpfer dem andern das Gewerbe verdirbt, fonbern auch
leidiger Nationalneid. Gegen Berwanbte find wir bie herb⸗
fien Richter, und fühlen und am Empfindlichſten durch bie Bor-
züge Anderer gefränft bei Böllern, die eined Stammes mit ung
find , aber eine verfihiebene politiihe Exiſtenz haben. So in
Italien zwifchen ben verfchiebenen Städten, fo im heiligen roͤmi⸗
fchen Reiche deutſcher Nation, fo im alten Griechenland, fo als
lenthalben durch ein vitium ingenitum humanae naturae, das
unvermeidlich ift, wo eine Menge Staaten von berielben Nation
118 Dorier und Challidier.
unabhängige Mittelpuncte haben. Bieles Tann ſich da allerdings
entwideln, aber das hebt Den Nutzen ber Bereinigung nicht auf.
Wenn Borbeaur und Tonloufe ſich neidiſch betrachteten, fo
wäre das ein größerer Nachtheil als daß biefe Orte feine un-
abhängige Mittelpuncte haben. Ein Bedauern, daß in Deutſch⸗
Iand fo viele Reichsſtädte untergegangen find Tann nur äſthe⸗
tiſch fein: Alles hatte fi überlebt, vor 300 bis 400 Jahren
batten fie ihren Nutzen und ihre Eigenthümlicfeit, jetzt aber
würden fie keinen Rugen mehr haben; fie waren nur bünfel-
solle Meine Gemeinheiten geworden, Eigenthämlichleiten fehlten
ihnen ganz. In Ländern, wo Heine Staaten find, follte das
erſte Beftreben fein, dieſe bösartige Trennung aufzuheben
und zu befiegen, und fi ein Herz zu gemeinfchaftlicher Größe
gu machen. In ben griechifchen Staaten war biefe Spaltung
und Trennung im höchften Grade ſchlimm; fo waren aud bie
ſieiliſchen Stäbte von alten Zeiten ber unter einander feindfelig,
und mußten es. immer mehr werben, als fie ſich fefter ſetz⸗
den unb bie Bewohner bes Innern in Dunkelheit fanfen. —
Die dorifchen Orte waren bie meiften und mächtigſten: Syra-
tus, Gela, Agrigent, Kamarina, Megara u. f. w.; chalkidiſch
waren Katana, Zankle (urfpränglich challidiſch nachher doriſch),
Htmera, Raxos. Außer diefen gab es noch einige Feine Stäbte,
die von jenen ausgegangen find, Mylae, das fpätere Taurome⸗
nium u.f. m.’ Ausgezeichnet von früher Zeit her waren bie
beiden doriſchen Orte, Syrakus und Agrigent. Dieſes eine
Golonte von Rhobus, [mittelbar durch Gela], Jenes von Ko-
rinth'. Agrigent Hatte ein fehr frudhtbares Gebiet, nicht fo
Syrakus. Beide hatten einen ganz Fleinen Anfang’: Syrakus
war urfpränglich blos auf die Inſel Syrakufa befhräuft, auf
den Theil der auch jetzt nur bevoͤllert if, um gegen bie An-
fülle der fieififhen Bölfer gefihert zu ſeyn. Später war
auf dem feſten Lande gegenäber die Borftabt Adhrabina entflan-
ben, bie im peloponnefifchen Kriege bie eigentlihe Stabt war,
Aufblüben ber griechiſchen Staͤdte. Berfaflung, Handel. 119
während die Inſel zur Akropolis wurbe, Allmaͤhlich entſtanden
dort auch Tycha und Neapolis, wodurch Sprakuſa in Syrakuſae
umgewandelt wurde.
Der Anwachs dieſer Orte lag gewiß zum Theil darin, daß
ihre griechiſche Bevoͤlkerung zwar bie urſpruͤngliche Bürgerfchaft
ausmachte, die alten Einwohner aber, zwiſchen welchen ſie ſich
anſiedelten, anders im Verhaͤltniß zu den Griechen ſtanden als
z. B. die Libyer zu ben Kyrenaeern. Die Sikeler waren ben
Griechen nahe verwandt in Sprade und Sitten, obfchon gang
verſchieden: ihre Inſtitutionen waren Die nämlichen, viele ihrer
Geſttze diefelben, ihre Sprade war mit der griedifchen vers
wandt und leicht erlernten fie diefe. Diefe wurden nun von
ben Griechen ale dnuog, Pfahlbürger, aufgenommen, und fo
entfiand biefe zahlreiche Einwohnerfchaft, während auch aus
Griechenland eine große Menge herüberlam unb indem fie fi
ber Gemeinde anfchloß, biefe vollfommen helleniſirte. Alle diefe
Orte Hatten urfpränglich eine ariftofratifche Verfaſſung, 'd. h.
die Bürgerichaft ift in eine beflimmte Form gebildet! und diefe
blieb bei ihren alten Sagungen: die doriſchen Städte hatten
drei Stämme, bie chaltidifchen waren gewiß vierflämmig. Dies
aber beiraf nur bie modus; ber Demos gehörte nicht dazu, er
hatte feine bejonderen Genoflenfchaften, dijuoe.
Diefe Stäbte trieben Aderbau und Handel, und es ik
unglaublich, welche Dienge von Einwohnern und welde Fülle
von Reichthum in fehr früher Zeit bier anwuchs. ben die
große Bevölkerung von Altgriehenland war ihr Segen, indem
fie es haupifächlich mit Korn verforgten, befonders in früher
Zeit, ehe die Fahrt nah bem jchwarzen Meere geöffnet war
und das Korn aus ber Ukraine kam, aber auch nachher dauerte
es noch fort. Dazu kam, baß bei Karthago damals noch Feine
Delbänme waren, und bie Oelbaumzucht Sicilien's Karthago
ganz mit Del verforgte,
Die Zahlen übrigens, die für bie Bevölkerung biefer Stäbte
120 Besällerung in ven ariechifchen Staͤblen.
angegeben werben, finb ganz fabelhaft. Daß ihre Vollszahl
fo ungeheuer groß angegeben wirb bat feinen Grund barin,
daß man verfannt hat, wie in ben Bürgerregiftern Alle bie in
Hopolitifchen Berhältniffen zu einer Stabt landen, ale Bürger
mitgerechnet wurden. Es wurbe nun bie Anzahl der zu einer
Stadt Gehörigen von ber Anzahl der Bürger nicht unterfchie-
den, und nad biefer unrichtigen Zahl hat man bie Gefammt-
bevölferung berechnet, indem man auf den Einzelnen eine Fa⸗
milie von etwa brei Perfonen annahm. So war ed auch bei ben
Römern: wenn bie capita civium Romanorum nad) bem Gen-
ſus genannt werben, fo find bazu gezählt: 1) bie Römer ſelbſt,
3) die eigentlichen Dunicipalen, 3) die Bürger aus ben Orten,
bie Sfopofitie hatten, weil es ihnen Feine Mühe foftete, wenn fie
wollten, in die Zahl der Bürger aufgenommen zu werben. Solde
Drte, bie Sfopolitie haben, Tonnten daher [in ben Bürger-
regifteen verfchiedener Städte] zwei, dreimal vortommen. Dar-
um darf man biefe Angaben nicht für fabelhaft nehmen und
tönen nicht bie Deutung geben, als ob fie andere ald nur bie
erwachſenen Maͤnner betreffen. Diefe Sitte war nun auch bei
ben Griehen in Italien und Sieilien, bie weit mehr Italiä-
ner waren als Griechen. — Nah jenem Irrthum bat man
nad einer Stelle bes Diobor, die man nicht unterfucht, ange:
nommen, Agrigent habe 200,000 Bürger gehabt, und ba biefen
nad der Anficht der Alten eine Bevoͤllerung von 800,000 Köpfen
zuzuzäblen ift, bat man biefe ungeheure Bevölferung allgemem
angenommen, was man jest in allen Reifebefhreibungen wie-
berfindet, nachdem ein Reifender es einmal dem Diodor nad
erzählt hat. Ja einer von den Kalfarien der pythagorifchen
Bäder hat diefe 800,000 Köpfe zu 800,000 Bürgern gemacht,
wodurh man auf eine Bevölkerung von Millionen kam. Der
Umfang von Agrigent laͤßt fih nun aus ben Ruinen fehr
genan beftimmen, und nimmt man dazu, baß die Stäbte ber
Griechen nicht dicht bebaut, bie Häufer Fein, meift nur von
Junere Kämpfe in dem griechiſchen Staͤdten. 5
einem &tode oder höchftens von zweien waren, (ein Haus vn
brei Stockwerken war ſchon etwas Rieſenmaͤßiges); fo erſcheint
ed als unmöglich, daß Agrigent 800,000 Einwohner gehabt
bat. Dan kann mit Sicherheit fagen, daß innerhalb der Mauern
von Agrigent nie mehr als 100,000 Einwohner, ja nit einmal
fo viele gewohnt haben koͤnnen. Eine andere Meinung, ba
Spyrafus 1,200,000 Einwohner gehabt, hat gar keine Bafis ah
fiheint blos Hypothefe zu fein. Bon Agrigent ſchloß man auf
Syrafus, und weil es größer war, gab man ihm ohne Wei⸗
teres 50 Procent dazu, und fo fabelteman die lächerfiche Bolkew
menge von 1,200,000 Einwohnern; wir Tennen aber ben Um—⸗
fang von Syrafus ganz genau, und banad kann es unwmoͤglich
mehr als 200,000. gehabt haben‘). ’Wie wichtig aber biefe
Stäbte wirklich gewefen, das bezeugen ihre Trümmer.
Bon ber älteren Gefchichte diefer Stäbte wiffen wir ganz
unb gar nidyts ”), und wir befommen erfl einigea Licht darüber
nicht lange vor dem perfifhen Kriege, wo überall die griechi⸗
ſche Geſchichte aus Sagen und Dunkelheit fih hebt. Da finden
wir in biefen Gegenden bie yanogoı, bie alte Bürgerfihaft, bie
Gefchlechter in Fehde mit bem d7uos und hier if es nicht bios
der Demos, fondern biefer vereinigt mit den Leibeigenen. Die
alten Bewohner ’auf dem Lande’ waren nämlich von den Ser
Ionen zu einer Helotie (Leibeigenfchaft) gebracht; 'die Griechen
waren bie Grundbefiger, Gamoren'. djuog uud Jodie: xe-
Asöuevor Kvlkvosor hatten fih zufammen gegen bie Geſchlech⸗
ter empört: Herodot's Ausbrud, und ber if hier forgfältig ze
erwägen, unierjcheibet alfo zwiſchen dem eigentlichen freien d7j-
nos, und den Hoͤrigen. Diefe Hörigen find das was urfpräng-
ih in Rom bie Clienten find; in Sicilien aber haben ſich bir
Slienten mit dem Demos vereinigt gegen die Gentes empört
1) Der vorftchende Abſatz ift vom Anfange der 51. Borl. hierhergefcht,
Vgl. dazu Röm. Geſch. U. Anm. 147. A. d. H.
2) Hier fehlt uns Diodor's 6—10 Bud. 1826.
488 - i Tyrauntu.
und dieſe Revolution hatte hier dieſelben Folgen wie im übri⸗
gen Griechenland. Während von ber einen Seite bie Gefchlech⸗
ver ihre veralteten nicht mehr angemefienen Aufprüde bebaupten
wollten, verbanben fi einige aus ihrer Mitte mit bem Demos
ww übten als Bormünder des Staats unter dem Ramen Ty⸗
rannen eine febensiängliche Dietatur aus, während die Berfaf-
fung fü nad neuen Berhäftnifien geflaltete und Conſiſtenz erhielt.
Ya Syrakus wiflen wir vor der Empörung ded Demos
von einem Tyramen, aber wohl an anderen Orten. Syrafus
war auch bis dahin klein gehalten und zurädgebrängt worden,
eben durch bie Herrfchaft der Geſchlechter. Biel bedeutender
war Gela; es hatte namentlich durch einen Ufurpator Hippo⸗
krates Bedentung erhalten, ber feine Macht weit ausbehnte und
nicht allein Gela beberrfchte, fonbern andy viele andere Städte,
Kotana, Zanfle und gewiß auch bie Sikeler, die zwifchen biefen
Stadten wohnten. Noch etwas früher als er ſteht der ganz
fabelhafte Phalaris von Agrigent, von bem nur das gewiß hir
ſtoriſch TR, daß er an der Spitze des dnuog ſich der Gewalt
in ber Stabt bemeiftert und das weſtliche Steilien beberricht
Yat, "jo wie daß er ber Zeitgenofie bes Stefihorus geweien if.
Auf bie Erzählungen von ihm iſt nichts zu geben, ausgenom-
men etwa wie er bie Himeraeer beſtrickt und ſich unterworfen
all. Ob er wirklich ein ſolches Ungehener geweſen if, wie er
in den Sagen erfcheint und bie Sophiften ihn fchilbern, iſt wicht
ansgemadht. Es iſt viel darüber Hin und hergeſprochen, und
bem Streite baräber verdanken wir bie unfterblicde Schrift von
Bentley '), die volltommenfte nach ber Herfiellung der Litteratur.
Wie die Memoires de St. Helene Napoleon fo weich, fo zart
ſchildern, eben fo erſcheint auch Phalaris in biefen Briefen;
Hätte Bentley nicht fo unenblich ſchlechte Gegner gehabt, fo hät-
ten fie ihm wohl deshalb viele Chicanen machen können. Phalaris
1) Dissert, de Phalaridis, Themistoclis, Socratis, Euripidis alio-
rumque epistolis et de fabulis Aesopi.
Gelon und Theron als Tyrannen. Karthaglfcher Zug. 18
verſchwindet in der Folge, und wir wiſſen nur, daß er ſich der Herr⸗
ſchaft über das weſtliche Sicilien bemächtigt hat. — Hippokrates,
jener Tyrann von Bela, war ermordet und Gelon, einer feiner Offl⸗
‚.ciere, übernahm bie Herrfchaft zuerft als Bormund für die Soöhne
bed Hippofrates. Die doriſchen Niederlaffungen haben ohne Zwei⸗
fel alle mit Königen begonnen, wie wir fie in Tarent noch bie
in bie mebifche Zeit finden, und daher fann man an biefeu
kovvaoxos Teinen Anftoß nehmen, Gelon erbte die Macht und
verfuhr gegen feine Muͤndel, wie es oft im Mittelalter geſche⸗
ben ift, in Italien ganz gewöhnlich war, 3. B. von Ludovico
Mord, daß man bie Mündel aus der Welt ſchafft. Die Dies
ralität war damals eben nicht außerorbentlich, und man nahm
einen felhen Mord nicht übel. So gilt auch Gelon dennsch
für einen fehr tugenbhaften Mann. Cr befefligte die Macht
bes Hippokrates, und trachtete nun nach ber Herrfchaft Aber
Syrakns die jenem noch gefehlt hatte. Zu dieſem Zwecke er⸗
Härte er fih für bie Partei ber Gefchledhter in Syrakus ud
dadurch verfchaffte er fich ben Eingang. Die Gefchlechter erdff⸗
neten ihm bie Thore: wie er nun einmal in ben Beſihh der Stadt
gefommen war, machte er es etwas anders, als er verſprochen
hatte: er nahm die Herrſchaft für fih und richtete Alles nad
feinem Gutduͤnken ein, nicht nach ihrem Willen. — Zu berfelben
Zeit warb in bem andern griechifchen Mittelpuncte der Juſel,
Agrigent, Theron uovvagyos. Alle Städte außer Zanfie ger
hörten entweder Gelon ober Theron’ und unter biefen beiben
Herrſchern blühte das griechiſche Sicilien unfäglich.
Die Geſchichte des Gelon) liegt indeſſen noch ſehr im
Dunklen. Sie gehoͤrt noch ſo ſehr zum Fabelhaften daß es
nichts Ungewiſſeres giebt, als den Zug ber Karthaginienſer ge⸗
gen die Inſel und bie Vertilgung ihres Heeres unter Hamilfar
bei Himera. Daß biefe Schladht auf ben Tag der Schlacht bei
Salamis gefegt worben, tft ein förmliches Falfum; um mehrere
2) Bgl. biefe Bortr. Bd. J. ©. 428.
134 Karthagiſcher Ing.
Jahre müßte fie zurfdigefegt [sic] werben. Allein nicht Neben⸗
ſache, etwas ſehr Erhebliches iſt es, Daß bie ganze Sache fabelhaft
iſt. Das Hamilfar mit 300,000 Daun gekommen fei, if ſchon
von Bielen als fabelhaft bezeichnet worben, unb bedarf nicht
erſt einer Berichtigung. Diefe Zahl verräth ſich felbft ald Dich⸗
tung und Fein Bernünftiger wirb fie glauben. Wir wollen auch
dieſelbe wicht weiter anflaunen; das ift eine gewöhnliche Zahl
für eine große Macht, die überhaupt nur etwas Ungebeures an⸗
deuten fol. Der Morgenlänber und Grieche, fo wie auch ber
Italiaͤner, fagt nie eine beſtimmte Zahl, wenn man ihn fragt,
wie viel Einwohner in der Stabt find; er jagt auch nicht: ich
weiß es nicht, fondern er fagt lieber die erfle beſte Zahl, die
tym einfällt; ſedoch find es meiſtens gewiſſe Zahlen, die man
tmmer wieder hört, 3. B. eine Million oder 200,000. Mein
Bater hörte das oft und fragte häufig zum Spaß, um zu er⸗
fahren, wie man bie Leute fragen müfle und wad man von
thnen zu glauben habe. Ein Morgenlänber fpricht eine folche
Zahl fehr leichtfertig aus, er verlangt gar nicht, daß man fie
ſo genau nehme, will bloß eine Zahl fagen wie uupsos. Rei:
fende geben daun diefe Zahlen an und fo gehen fie in geogra=
phiſche Bücher über: mein Bater hat das nicht gethan. So
iR es auch mit ber Zahl 300,000; 3 und 100,000 find die
Brundzahlen. Anderes, das auch gar nicht in bie Geſchichte
hätte bineinfommen follen, findet man noch in Geſchichtsbüchern
vom Ende des vorigen Jahrhunderts mit ber ernfthafteflen Miene
erzählt, So wirb unbegreiflicher Weile mit ungeheuren Zahlen
nach Diodor angegeben, daß das Heer bes Hamilkar auf 2000
Galeeren berübergefommen ſei. Nicht weniger if bie ganze Er-
zählung über den Berlauf ber Schladht bei Diodor voll den
Mäaͤhrchen. Daß Hamilfar von ber griechifchen Reiterei, bie
fi incognito in's Lager geſchlichen, am Opferaltare niederge-
bauen unb dadurch fein Heer gefchlagen fei, daß man während
ber Schlacht den Karthaginienfern im Rüden die Schiffe ange
Aarthagiſcher Zug. 128
zündet babe: Altes das ift eine Fabel. "Eben fo fabelhaft if
ed, daß Gelon in dem Frieden mit ben Karthagern ifmen Die
Menſchenopfer verboten habe, So ift es gerade mit einigen
morgenländifchen Erzählungen gegangen, wo fabelhafte Ueber⸗
lieferungen oft auch von geiftreihen Männern kindiſch vorge
tragen find. So hat der geiftreichfle Orientaliſt feier Zeit,
Ockley, ja ſelbſt Gibbon aus der fabelhaften Geſchichte der Er⸗
oberung yon Syrien durch bie Araber unter den erfien Kalifen
einige Sabeln genommen. Derfelben Art iſt auch bie aligrie=
chiſche Geſchichte bis auf die Perferkriege, ja noch nach denſel⸗
ben: es find zum Theil fchöne, zum Theil alberne, kindiſche
Mährdhen. Die Kartbager mögen einen Zug gegen Sicilien
unternommen haben, ’benn offenbar ift in biefer Zeit Die Macs
Karthago’s durch den Verfall ber phoenirifchen Seemacht von
ber Zeit des Amafis an im Steigen’, aber auf jeben Sal kann
er nicht von fehr großer Erheblichkeit geweſen fein. Gewiß
iſt daß Karthago lange Zeit danach mit wenigen Puncten auf
der Juſel zufrieden gewefen iſt'.
Gelon regierte wenigftens 11 Jahre — die Dauer feiner
Regierung ift nicht gewiß‘): — zuletzt berrfchte er von Syra⸗
fus aus und nahm den Königstitel an. Als König hat er bis
zu feinem Tode glücklich regiert und. blieb auch nad demſelben
bei den Griechen in Sicilien in einem herrlichen und gefegne-
ten Andenten; das Gluͤck das man in feinen legten Jahren nach
ben erſten fchweren Thaten genoß, und fein Betragen in biefex.
Zeit hat fein Andenken gefegnet, und die Beweglichleit-ber Sage
bat Bieled von feinen früheren Gewaltihaten in Vergeſſenheit
gebracht. Denn fonft erlaubte er fi ungeheure Dinge, ver⸗
feste oft Acht morgenländifch ganze Benölferungen, um fie zu
vermifchen, zerflörte einige Orte, die ihm verbädhtig waren unb
baute andere wieder; aber nachdem dies Alles vorüber, war
feine Regierung geſegnei.
) Bgl. Row. Geſch. DI. Anm. 201.
Di. 77,4.
136 Hiero, Thrafgbul, Republil in Syralus.
Bon ihm ging bie Regierung über auf feinen Bruder Hiero,
der auf doriſch Hiaron beißt. Seine glänzende That iſt ber
Sieg Aber die Etrusker, aber ein noch glänzenderes Dentmal
find bie Siegeshymnen bes Pindarus auf bie Siege bie feine
Teihrippen in Olympia gewannen. So viel Glanz dadurch
auf feinem Namen Tiegt, fo Tange bie griechiſche Litteratur beftebt,
fo war Hiero doch feineswegs ein wohlihätiger Für. Er hatte
alle Fehler feines Bruders, Gewaltſamkeit u. f. w. und dagegen
nicht Die glänzenden Eigenfchaften: wenn er 5.8. die Katanaeer
wegführie und in eine Stadt im Innern verfeute, fo war das
Gelon's Tyrannei ohne beffen große Zwede; er war perfönlih
erzärnt und feindfelig. Auch hatte feine Regierung fonft nichts,
wodurch fie ausſoͤhnte. Ihm folgte fein Bruder Thrafybulng,
der als Bormund entweber für die Kinder des Hiero oder Die
bes Gelon eintreten ſollte. Er hatte nicht den Muth, feine
Mundel verſchwinden zu Taffen, aber ex ſuchte fie gu ver-
brängen und Tangfam feine Vormundſchaft in Monardie zu
verwandeln. Dies brachte die Anhänger der Knaben dahin,
eine Gegenpartei gegen ihn zu bilden und fo warb er ſelbſt
vertrieben. Aber die Bürgerfchaft, Die in ber Zwiſchenzeit
mündig geworben war, wobei ber Demos ganz überwog indem
bie alten Berhältniffe vergeffen waren, war jegt enifchieden für
bie Einführung einer gefegmäßigen Republik geflimmt und feste
eine Demokratie ein. Das Gefchlecht der Söhne ded Dinomenes,
des Hiero und Gelon verfhwand. Das Geſchlecht bes zweiten
Htero führten wahrſcheinlich nur Schmeichler auf den erften ie
wi nach 200 Jahren.
Nach diefen Zeiten hatten die Syrakuſaner erft einen —
Stoß zu beſtehen mit den Silelern, unter denen ſich ein großer
Mann Deuketius, oskiſch wahrſcheinlich Lucetius, erhoben hatte,
Dieſer bedraͤngte bie griechifſch⸗-ſieiliſchen Städte eine geraume
Zeit und gruͤndete eine ſiciliſche Hauptſtadt Trinakria. Aber
er fand Undank unter feinen Landsleuten wie Armin bei ben
Denketino. Zuftand ber griechiſchen Staͤdte. el
Deutiden, und es blieb ihm nichts übrig als vor der Berrär
fherei feines Volks zu den Griechen zu fliehen, um nur feie
Leben vor dem Morde zu retten. Aber die Siteler bäßten es:
mit ihm war ihre Selbffländigfeit Hin und Trinakria verſchwin⸗
bet, wahrfdeinlich von den Griechen — Das war der
Lohn des Undanks.
Ungefähr 30 Jahre vergingen von bem Tobe bed Deufeius 51.8
bis zum Aushruche des ypeloponnefiihen Krieges); in biefer
Zeit haben ſich die griechifhen Städte auf Sicilien unglaublich
erhoben. Die Rarihaginienfer müflen ihren Anſprüchen auf die
Eroberung von Sieilien entfagt haben, aber aus welchen Grün
den, fann ih mir noch nicht Far machen, In dem erften Bünbe
niffe, das fie mit Rom ſchloſſen find fie im Beſitze von einem
Theile Sieilien’s, nicht mehr aber in der Zeit bes peloponneſi⸗
ſchen Krieges, da waren fie blos im Beſitz ber Fleinen Städte,
Motye, Soloeis und Panormus auf der weſtilichen Kuſte, hat⸗
ten aber feine Provinz wie fie fie damals gehabt haben. Das
Band, welches die griechifhen Stäbte zufammenbhielt, war durch
den Sturz ber Monardie aufgelöft. Alle griechifchen Stäbte,
groß und Fein, waren adzovouo: unb vegierten ſich alle mit
bemofratifcher Verfaſſung, benn bie dorifhe Oligarchie, bie in
Griechenland dem Stamme eigen war, weil er tm Peloponnen
über die unteriochte alte Nation hereichte, beſtand im Sieilien
nicht und hatte überall aufgehört, Alle Drte, ohne Unterſchied
ob fe doriſch oder halkipifch waren, waren demokratiſch. Bel
biefer Verfaſſing muß die Außere Einwirkung günfkiger Um⸗
Rände aller Art ungemein glücklich geweien fein, Die Inſel
blühte unſäglich, aber fe war nicht veih an großen Männern.
Die Städte lebten in größter Seorglofigfeit und glaubten ſicher
zu fein, daß Niemand fie angreifen würde, Daher hatten fs
feinen Schatten von Foͤderativ⸗Verfaſſung, durch die fie zuſtin⸗
1) So In den Heften. Diefleicht Hat N. fagen wollen: „bis zur Erpedl⸗
tion nach Gteilten.“ Kb... ..
4238 Kämpfe ber Ellelloben unter einander. Ginmilhung Athen's.
mengehangen hätten, auch fein eibgemöffifches Recht, durch wel⸗
ches bei Zwiftigkeiten der Entfcheidung durch die Waffen bätte
vorgebeugt werben koͤmen.
So firebten die Syrakuſaner, deren Stabt ohne Bergleid
am Meiften blühte danach, bie anderen Orte fich zu untermwer-
fen; Syrafus und Agrigent befamen ein entfdyiebenes Ueberge⸗
wicht. Denn biefe Städte blühten vor Allen auf, vor allen
Dingen aber Syrafus, wo Adradina ſich mit Häufern anfüllte,
bie beiden großen Borftäbte Tycha und Neapolis ſchon zu eni-
eben anfingen. In biefen Feindfeligfeiten wirkte nody immer
ber mehr fupponirte — denn bie Bevölferungen waren ſehr
gemifht — als wirflih vorhandene Unterfchieb des Stammes
zwiiden ben Doriern und Chalfidiern fort. Die Chalkidier,
ba fie bie fchwächeren waren, hielten etwas mehr unter einan⸗
ber zufammen ohne ein eigentlihes Buͤndniß, und fahen nad
Athen um Hülfe ald zu Verwandten bes Stammes, zu dem fie
fh rechneten. Die Dorier waren auch unter einander ent-
zweit und namentlich die Ramarinaeer mit den Syrafufanern im
Zwiſte.
Die erſte Beranlaffung für die Athener ſich in die innern
Uingelegenheiten Sicilien's zu mifchen, wonad fie lange getrach⸗
tet hatten, gaben die Mißverhältniffe zwifchen den chaffinifchen
Beontinern und den Sprafufanern. — In Bezug auf bie Leonti⸗
ner habe ich fchon in der Länder» und Voͤlkerkunde bie Bemer-
fung gemacht, dag man fa nicht von einer alten Stabt Leon
Km eben fol. Auf allen Eharten, in ben Büchern über alte
Geographie und Gefchichte wird bie Stadt der Leontini immer
Leontium genannt, und von biefem Namen wäürbe allerdings
Leontini gebildet werben koͤnnen; aber nirgends findet fich ein
Beifpiel, daB der Name Leontium im Gebrauch geweſen ifl.
Vielleicht hat die Stadt bei den Griechen Asovg geheißen, bei
ben Sifulern Leontum, wie Zaras, Tarentum, „Asovzivor ifl
bloß die Benennung ber Bürgerfchaft, Diefe Leontiner waren
Erſter Iug. PBeranlaffung zum zweiten Inge. Elymer. 129
im Beſitze ber fruchtbarften Gegend ber Ebene: bie campi Leon-
tini werben von Cicero in den Berrinen ausgezeichnet. Gelon
hatte fie ſchon einmal vertrieben und bie campi Leontini mit
Syrakus vereinigt. Später waren fie wieder zurückgekehrt;
vielleicht waren fie von den Nachkommen Gelon’s zurüuͤckverſetzt
oder dies war nad der Vertreibung der Tyrannen und bem
Ende ber Monarchie geſchehen. est wurden fie abermals von
ber Habfucht der Syrakufaner bebrängt, und wandten ſich nad
Athen, wohin fie ben berühmten Gorgias fanbten. Die erfte
Hülfe der Arhenienfer während des erſten Actes bes peloponne⸗
fifchen Krieges war unbedeutend; fie fanbten 20 Galeeren hin,
bie nirgends den Ausſchlag geben, jedoch vieles helfen konnten.
Mit den Ehalfidiern war das boriihe Kamarinı im Kriege
gegen Syrakus verbunden. Nad dem dritten Feldzug verſohn⸗
ten ſich die Syrakufaner die übrigen Sifelioten, da fie einfahen,
dag die Einmifchung der Fremden bas Alfergefährlichfte fei.
Sollte aber diejer weile Beſchluß zum Heile der Inſel in
Kraft bleiben und Frucht bringen, und follte den Fremben nicht
mehr Gelegenheit gegeben werben fi einzumiichen, fo mußten
bie Spyrafufaner fih nit neue Bebrüdungen erlauben. Sie
hatten bie Wahrheit geprebigt und Gehorfam gefunden, miß⸗
brauchten aber darauf diefe Folgfamkeit, wurden immer anma⸗
Bender und mifchten fih aufs Neue in die” Angelegenheiten ber
Leontiner, die zu ihrem und bes Landes Unheil unter einander
zerfallen waren, und wo bie Parteien fih mit großer Wuth
befriegten.
Auf der anberen Seite führten die Selinuntier Krieg mit ben
benachbarten Egeflanern; die Beide auf der weftlichften Seite von
Steilien wohnten. — Bon dieſen Egeflanern oder Segeftanern
it es merfwürbig, daß Thukydides fie ganz unbefangen für Nach⸗
fommen der Trofaner hielt, für Elpmer. Diefe Sage leibet
aber an berfelben inneren Unwahrſcheinlichkeit, wie die von ber
Niederlaffung ber Troer an ber Iatinifchen Küſte. Den Grund,
Niebuhr Bortr, üb. d. A. ©, IL 9
130 Elymer.
wie es entſtehen konnte, daß bie Tyrrhener an ber Küſte von
Latium fich für Troer hielten, habe ich zu meiner völligen Ueber⸗
zengung bargelegt. Ich vermuihe, baß fo wie es eine pelas⸗
giſch⸗ tyerbeniiche Colonie auf Sardinien gab, eben fo die Tyr⸗
rhener von ber Tatiniihen und etrurifchen Küfte eine Nieberlaffung
anf ber ſiciliſchen Küfte gegründet haben, und bag, weil bei
ihnen bie teoifche Tradition war und fie ſich in näherer Beziehung
zu ben Troern und Samothraciern dachten ald die Denotrer,
diefe auch auf ihre Eoloniften in Sicilien übergegangen, und
daraus die Meinung entflanden ift, daß die Elymer Troer wä-
ven, nicht aber bie ſiculiſchen Bewohner der öfllihen Gegend,
bie mit den Denotrern beftimmt eines Stammes geweſen unb
aus Denotrien eingewanbert find. ’Bon ben Sikanern, unter
denen bie Egeftaner wohnten, find fie offenbar ganz verfhieben.
Die Sitaner wurden nie hellenifirt, es gibt feine einzige grie-
chiſche Münze aus einer ſikaniſchen Stadt, während die Ege-
Raner ganz griechifche Bildung und Sitten angenommen hatten’.
Diefe Elymer wurden von den Griechen mit ihrer gewöhn-
lichen Unhoͤflichkeit Bapßagoı genannt, aber fie müffen nicht in
dem Sinne Barbaren genannt werben wie wir das Wort ge-
brauchen, fondern nur in einem fehr weiten, wonach alle Richt:
griechen fo bezeichnet wurden, ohne daß ihnen dadurch Bil⸗
bung und Humanifüt abgefprochen wird, Auch bie gebilbet-
ſten Böller z. B. Lyder, Karer, Pamphylier werben Barbaren
genannt, eben weil ſie nicht Griechen waren. Wenn wir aber
ihre Münzen und andere Kunſtwerke betrachten, fo haben dieſe
gewiß diefelbe Schönheit wie bie der Griechen, Diefe Bölfer,
befonders die alten Lyder, fo wie bie Tyrrhener in Stalien
haben den Griechen, namentlih in der Kunft, nicht nachgeſtan⸗
ben, was ihnen aber fehlte das war eine Ritteratur; wir haben
feine Spur, baß eines der von den Griechen Barbaren genanı-
ten Bölfer eine eigenthumliche Qitteratur gehabt hat: das war
Die Segnung, welde bie Griechen auszeichnete.
Der große Ing nad Eicilien. Junere Gründe für die Unternefmung. 431
Die Egeſtaner wurden alfo von ben reichen und mächtigen
Selinuntiern mit ungerechten Forderungen in Anſpruch genom-
men und bedrängt. Selinns, das no in feinen ungeheurem
Trümmern von feiner alten Größe zeugt, hat damals einen
Reichthum und eine Macht gehabt, bie Har darthut, wie bie
Karthager auf Sicilien nichts geweien find, und nur einzelne
Landungspuncte zum Berlehr mit dem Imern hatten. Die
Athener verlehrien nicht weniger mit ben fogenannten Barbaren
als mit ben Griehen, wie eine Erwähnung im Ariftophanes
jeigt, daß fie auch mit epirotifchen Bölfern Handel getrieben
haben, und fo fanden die Abgefandten ber Egeflaner in Athen OL.oı, 1.
günftige Aufnahme.
Der große Zug nah Sieilien. ö
Athen hatte jegt gerabe Frieden, der Verſuch bie ſpartani⸗
fhe Herrihaft im Peloponnes umzuftürzen, war mißlungen,
und nun fuchten die Athener anderswo nach Ermeiterungen und
Stoff für ihre Thaͤtigkeit; es ging Athen wie einem militaͤri⸗
fhen Fürſten, deſſen ganze Thätigfeit in Erweiterung feiner
Herrſchaft und feines Gebietes befteht. In der römifchen Ge⸗
ſchichte bin ich öfter hierauf gelommen, daß die Römer Tein
anderes Syſtem haben konnten, als entweder zu erobern bis fie
bie ganze Welt unterjocht Hätten, oder ſelbſt zerträmmert zu
werben: fo war es auch mit den Athenern, nur mit bem Inter»
ſchiede, daß fie Lebensgenuß fuchten und verfianden, umb auch
ohne etwas zu unternehmen zu Hanfe glüdlih und behaglich
fein konnten, was für bie Römer unmöglich war, bie ohne Krieg
oder innere Reibung Langeweile hatten. Die Athener hatten
ihre großen Feſte, ihre Dichter, und Empfänglichkeit für alles
Schöne. Wenn es überhaupt wohlthätige Menſchen giebt, fo
find es die attiſchen Dichter geweienz ed waren bie Töne ber
Leier bed Ampbion, bie das wilde Gemüth ber Menge bes
9%
4233 Innere Eräude für die Unternehmung. Wltiblabes’ Einfinf.
fänftigten und befchäftigten. Waren die Gemüiher von ber
herrlichen Tragoedie und vom Geſange voll, fo war ber Athe-
ner glüdlich und vergnügt, fühlte feine Armuth nicht, bedurfte
nicht. der heftigen Gemüthsbewegungen. Deſſen ungeachtet war
immer ein Bedürfniß da Neues unb Großes zu unternehmen,
und dachte man an ein vergangenes Jahr zurüd, wo die Span-
nung auf Erfolg und Sieg fo groß geweien war, fo fühlte
man ſich in der jetigen Rage und Zeit unbehaglich und begehrte
neue Bewegungen. In bdiefem Unbehagen muß man einen
Hauptgrund der Leichtigkeit fuchen, mit der das attifhe Bolt
ſich geneigt finden Tieß, den Zug zu unternehmen ben es felbft
und mit eigenem Gelbe führen mußte, und ber es in die äu-
Berfie Gefahr brachte. Die Egeftaner beirogen zwar au bie
Athener, fpiegelten ihnen vor, daß fie große Reichthümer, bie
Mittel großer Subfidien hätten, aber aud wenn bie Athener
dies nicht geglaubt hätten, würbe die Möglichkeit Sieilien zu
unterwerfen fie gelodt haben. Beſonders Alfibiaded drang
barauf, um das Glänzendfle auszuführen. ’Er war am Ans
fang feiner Laufbahn, und der Trieb zum Hazarbfpiel, ber bie
größten thätigften Geifter bewegt und Napoleon endlich in's
Verderben geftürzt bat, bewog ihn Alles zu wagen, um zu ges
winnen. Das Nahe war ihm alles zu Hein, er wollte eine
riefenhafte Unternehmung, um glänzende und unerhörte Thaten
zu vollbringen. Dann wollte er dadurch Athen an bie Spige
von Griechenland ftellen’.
Und es iſt offenbar bed Thukpdides, des hellſehendſten
und unbefangenften Beurtheilers Meinung, daß bie Unterneh⸗
mung Erfolg hätte haben Fönnen, daß fie bloß burd die Fehler
ber Athenienfer, durch verſchuldetes Unglüd mißlungen ifl, und
Alfıbiades auch in feinen anfcheinend phantaftifchen Entwürfen
richtig gefehen, wie die Bezwingung Sicilien’s wohl möglich
war ˖ und fehr nahe gelegen habe. Wäre aber Sieilien bezwun⸗
gen worben, fo. läßt fih gar nicht fagen, wie weit bie Athener
Ausfichten auf Erfolg. Politik des Alfikindes, 133
ihre Macht ausgedehnt und wohin bies geführt hätte, Die
Peloponnefier, befonderd die Korinthier erhielten ihre Zufuhr
an Korn meif aus Siellien, und wenn dies in die Hände ber
Athener gelommen wäre, fo würbe bie Bebrängniß in welche
bie Korinthier u. f. w. gerathen wären, fie genöthigt haben
ihre Politit gegen Athen zu ändern und beffen Größe anzuer=
fennen; Sparta hätte dann nothwendig unterliegen müſſen'.
Die Athener wären auch nicht ſtehen geblieben: fie ſelbſt traͤum⸗
ten ſchon von der Eroberung Sardinien’s; felbft die Unterwer⸗
fung Karthago's befchäftigte die Gemüther, Daß bie Eroberung
Sicilien’s ausführbar gewefen wäre, fcheintmir ganz Far, und
wo ein fo fortgefeßtes Erobern von Punct zu Punet feine Gränze
gefunden haben würde, läßt ſich nicht vorausfagen: wenn wir
fehen, wie unfriegerifh, wenn man es recht betrachtet, Karthago
war, wie leicht gefchredit durch Unfälle, wie e8 vor Dionyſius,
wie vor Agathofles und Regulus erfchraf, wie ed nicht einmal
den eigenen Stammverwanbten traute, fo wäre es wohl
möglich gewefen, daß auch Karthago felbfi vor Athen auf Die
Kniee gefallen wäre. Da aber die Athener ihre Verfaffung
nie mobdifieirt haben, niemals darauf eingegangen fein würben,
ihren Untertbanen den Zutritt zum Bürgerrecht zu geftatten,
wodurch Rom fich feine Baſis fchuf: fo ift nicht zu bezweifeln,
bag früher oder fpäter bie atheniſche Macht mit nicht geringe»
rer Erfchätterung zufammengeflürzt fein würbe, ale es jetzt in
Sieilien geſchah.
Alfibindes hatte damals einen außerorbentlichen Einfluß
auf fein Vaterland, aber in ganz anderer Art als Perikles.
Denn während man biefen als ben Führer anſah, der einem
Bater gleich dem ganzen Gemeinbewefen vorſtand, mifchte Alfi-
biades ſich flets nur vorübergehend in bie einzelnen Begeben⸗
heiten ein, aber das Ganze der Republik hatte gar Teine Lei⸗
tung. Bisher waren feine Werke nicht von heilfamem Einfluß
geweien. Er hatte wohl die Verbindung mit ben Argivern zu
Di. 91,1.
134 Welitik des Alliblades. Die Unternehmung wird
Stande gebracht, und wenn biefe nicht übereilt worben wäre,
ſo bätte fie fehr fchöne und glüdliche Folgen haben können;
die Athener verloren fie aber, indem fe zu fchnell den unglüd-
lichen Krieg berbeiführten, den fie hätten hinhalten follen, bis
mehr und mehr Bunbesgenofien im Peloponnes fi zu ben
Argivern geihlagen hätten. Beſonders traurig zeigte ſich aber
fein Einfluß bei den ſchrecklichen Befchlüflen der Athener gegen
die abgefallenen und wieder eroberten Drte auf Pallene, Sfione
und DMende, bie ewige Schandflede bes atbenifchen Namens
find: ums [andere Drte] zum Beitritte zu beiwegen, wurben bie
Männer gefchlachtet, Weiber und Kinder in bie Sklaverei ver-
tauft. Es waren dies Heine Drte, aber jene ra9n find bei
Rednern und Dichiern immer zu Athen's Schmach im Andenken
geblieben‘). Roc unmittelbarer und bei einer Beranlaffung bie
noch weniger zu entfchulbigen ift, war fein Einfluß auf das
Berfahren gegen die Melier. Diefe waren eine alte lakedae⸗
monifche Eolonie, die fi mit richtigem Gefühl immer neutral
gehalten hatte; bis dahin hatten bie Athenienfer biefe ihre Neu-
trafität geehrt und das gehört zu ben Zügen, bie bem attifchen
Volke Ehre machen, zu den menſchlich fchönen Zügen in der
griechiſchen Geſchichte. Aber jeut wurden ſich bie Athener un-
treu, und Afibiades ’der auf alle Weife den Frieden zu brechen
fuchte beftimmte fie von den Meliern zu verlangen, daß fie
fi ihnen entfchleben anfchließen und unterwerfen und gegen
die Lakedaemonier ftreiten follten. Als nun die Melier wegen
ber moraliichen Unmöglichfeit fich deſſen weigerten, fanbten bie
Athener ein Heer gegen fie, wie gegen empörte Unterthanen,
um fie ale Zreulofe zu beftrafen und führten einen Bertilgungs-
krieg gegen fie. Fuͤr dieſe unmenſchliche Entſcheidung ift Alki-
biades verantwortlich.
‚Sein Einfluß entfhieb nun auch bie Athener, auf die Er-
Öffnungen bie ihnen von Sicilien gemacht wurden einzugeben
) So alle Hefte. — Allibiades und Kleon ſcheinen alfo vermechfelt zu fein.
befchloffen. Aſeble bes Alliblades. 135
und bie Erpebition gegen Syrafus zu unternehmen. Sie warb
beſchloſſen, ohne daß man ſich irgend eine Sicherheit verſchafft
hatte, welche Berftärfungen man in Sicilien zu erwarten babe,
und ohne dag man fi recht Klar machte was man wollte, und
ob man Fönne, was man wollte. Dan rechnete mit Beſtimmt⸗
Heit auf den Zutritt vieler Bundesgenoſſen, fowohl der Chalki⸗
bier als ber Sifeler und Sikaner: das Alles hatte Alkibiabes
mit glänzenden Farben geſchildert.
Im diefer Zeit hatte Allibiades fich einen Frevel zu fchul-
ben fommen Iafien, ber allgemeine Indignation erregte. Er
lebte mitten in der Demokratie in einem Gefühle von Geſetz⸗
Iofigfeit, fah ſich fo Hoch über allen Geſetzen ftebend an, baß er
ſich eben dadurch fein Unglück bereitete. Er erlaubte fich nicht
nur, bürgerliche Rüdfichten zu verſchmähen und Einzelne zu bes
leidigen, fondern er verſchmähte und verleste gleichmäßig auch
alle Rädfihten auf Sitte und Religion. Ich weiß nit, was
die eleufinifchen Deyfterien Iehrten, ob fie wirklich an fich etwas
Ehrwürbiges waren, oder nicht; mögen fie aber geweſen fein,
was fie wollen, vom Staate waren fie einmal ald ehrwürbig
anerkannt, und waren es aud in dem Gemüthe vieler Einzel-
nen, und wer fie verfpottete war ein ſchlechter Bürger und ein
leichtſinniger Menſch. Die Athener Tiefen fih damals unge-
mein leicht Durch Die Volfsrebner, deren Voriheil es war, für
Alles was den Dienft der feflgefegten Götter anging in gewalti-
gen Eifer bringen, wie man der Aspafia und dem Anaragoras
ben Proceß gemacht hatte, wie man den Diagoras von Melos
jest auf den Tod als Berläugner der hellenifchen Götter an⸗
klagte und einen Preis auf feinen Kopf fette. So fcheint es
auch bei dem Bolfe, das ſchon im Allgemeinen unwillig über
Alkibiades Berwegenheit und Ruchloſigkeit und gegen ihn miß⸗
trauiſch war, ein fehr günftiges Gehör gefunden zu haben, als
Alkibiades angeflagt wurde, baß er in dem Haufe bes reichen
Yulytion, einem ber glaͤnzendſten Privathäufer, dem einzigen
136 Aſebie des Alliblades.
großen vielleicht in Athen, die eleuſiniſchen Myſterien als eine
Komoedie oder Maslerade "mit Eingeweihten und Uneingeweihten
babe aufführen helfen. Er und Pulytion hätten ſich verkleidet,
und bie freimaurerifche Einweihung in bie Myſterien aufgeführt:
dadurch, war die Anklage, feien bie Geheimnifie den Profanen
die zugegen gewefen verratben worden. Es wäre für Athen
und für bie ganze Welt ein unfägliches Gluͤck und für ihn ſelbſt
das größte gewefen, wenn damals bas weife, obgleich fürchter⸗
liche Geſetz bes Oſtrakismus gegen Alkibiades angewendet worben
und er durch biefen auf einige Zeit aus Athen entfernt worben wäre.
Es war [fhon früher einmal] auf dem Puncte [gewefen],
baß entweder Nilias oder er, bie fih entgegenflanden, auf zehn
Jahre exroftrafifirt worden wären, Nifins aus Athen zu ver⸗
weifen wäre eine ſchreiende Ungerechtigkeit geweſen; er war ein
beſchraͤnkter, harmloſer Mann, der nie gegen bie Republik auf-
trat und von feinem Neichihume gewiß feinen üblen Gebraud
machte. Wenn aber jemals die Entfernung irgend Eined Noth
that, fo war es die bes Allibiades jo lange er in feinen bamaligen
Berhältniffen lebte und fein Blut noch fiebete. Er war jegt
bei feiner Jugend und feiner Perfönlichkeit wirklich gefähr⸗
lich, fo daß es für ihn umb für die Nepublif nur heilſam ge-
wefen, wenn er auf zehn Jahre verbannt worben wäre,
ohne daß man ihn fih dadurch zum Feinde gemacht hätte; er
hätte ſich jegt nicht zu ben Lalebaemoniern begeben, wie un-
willig er auch gewefen fein würbe, fondern wäre ohne Zweifel
nad Argos gegangen, und hätte wahrfcheinlih von da aus
für das Intereſſe der Athener gewirkt. Während feiner
Entfernung wäre er den Athenienfern fremb geworben, unb
nad zehn Jahren um ein Großes Alter, verfländiger und
abgefühlter zurüdgefehrt. Zu der Unternehmung gegen Sicilien
wäre es nie gelommen, das Gluͤck Athen’s nicht aufs Spiel
geſetzt worden, er felbft nicht in eine Reihe von unglücklichen
Unternehmungen verwidelt, bie er nachher bitter bereute, fonbern
Aſebie des Allibiades. Hermokopldenproceß. 137
vielmehr Athen’s Hell geworden. In feinem fpäteren Alter erfannte
er bies, er hätte fein Leben nicht fo ſchmählich verloren, Hätte man
das geihan. Aber dergleichen fieht der Menſch nicht voraus, er ſirht
bloß auf das nahe Abzumendende und Gegebene. So vereinigte
ſich jest Allibiades mit Nikias, da noch eine dritte Partei befand
von nichtswuͤrdigen Demagogen geführt, bie entweder für Nikias
ober Alfibiades den Ausſchlag neben konnte, wogegen fie num
den Ausſchlag gegen biefe dritte Partei gaben. An ber Spitze
biefer fand ein Demagoge, dem Thukydides nicht die Ehre ers
zeigt ihn mit Namen zu nennen, ber aber doch durch bie Kos
mifer im Andenken geblieben ift als der allerſchlechteſte aller
Demagogen, durch den Kleon felbft in ein glänzendes Licht ges
fegt wird und als ein fehr ehrwürbiger Patriot erfcheint: Hyper⸗
bolus: ein ehrlofer und verruchter Menfch, den der Witz und
die Indignation ber Komiler aufs Höchfte gereizt hat. Gegen
biefen alfo verbanden ſich Nikias und Alkibiades um ihn zum
Sündenbod zu machen. Alle Stimmen von ihrer Seite waren
gegen ihn, und flatt Eines von jenen Beiden wurbe gegen alls
gemeine Erwartung Hyperbolus aus Athen verbannt. Währ
rend feines Exiled warb er von Jemand erfchlagen. Die
Athener fanden den Oftrafismug durch bie Anwendung auf einen
folhen Nichtswuͤrdigen fo entweiht, daß fte ihn jet abſchafften,
denn bisher war er wenn auch eine traurige, boch eine Ehre,
eine Anerfennung gewefen, jest wäre er eine Entwürbigung
geworben, So zeigte ſich ber feine und richtige Sinn der Athe⸗
nienfer in allen Dingen,
Zu der Myſterienmummerei fam nun ein zweiter Vorfall sag,
ber dem Alfibiades in ber Öffentlichen Meinung zur Laft gelegt
wurbe, bie Berflümmelung der Hermenfäulen, bie den Unwillen
der Athener gegen ihn aufs Höchſte brachte, Died war ein
fehr merfwürbiges Ereignig. Bon uralter Zeit her gab es Halb-
ſtatuen mit einem Kopfe auf eirier vieredigen Bafis aus Stein,
etwa von Deenfchenhöhe, man beffeibete fie Anfongs wie alle
138 Sermolopibenproceh.
Statnen, und hielt ed für unnöthig, bie Leiber auszuführen.
Unter ben Piſiſtratiden war eine große Menge von dieſen Sta-
tnen alter Art in Attila aufgeflellt worben, fie fanden an vie⸗
ten Gebäuden und den Eden der Straßen. Diefe fand man
alle in einer Nacht verflümmelt; nur eine einzige biefer Sta⸗
tuen war verfchont geblieben, bie vor dem Haufe bes Redners
Andokides fand. Daß dieſe Verflüämmelung einen fo großen
politifchen Einfluß hatte, iſt mir ganz unerflärlich; ich habe es
mir nie Mar machen Fönnen, wie man in biefer Berkkämmelung
ben Beweis einer politiichen Confpiration mit beflimmten An-
fihten hat fehen können. Unmittelbar zufanmenhängend konnte
man fie fih nit denken: der Schluß war richtig, daß wenn
ein Frevel in folchem Umfange gefchehen war, eine Menge Dien-
ſchen fi dazu verabredet haben mußten; wie man hieraus aber
zu dem weiteren Schluffe gelangte, daß biefe Menfchen ben
Zweck hätten, bie Demokratie zu flürgen, und wie man dazu
kam, das ald gewiß anzufehen, diefen Zufammenhang kann ih
mir nicht erflären. Ih muß Ihnen aber bier erwähnen, baß
es in Athen, — eine nothwendige Kolge der Anarchie nach Pe⸗
rifles’ Tode, — eine Menge Pleinerer Berbinbungen gab, bie
man nicht anders als Clubbs nennen kann, in denen die Leute
ber verfchiedenen Parteien zufammen famen und fih einigten.
Dergleichen beftanden ſchon aus alter Zeit her, in Athen nicht
nur, fondern in allen Republifen Griechenland’s, unter bem Ras
men &rargiaı, "ähnlich ben sodalitiis in Rom. Dergleihen bil-
ben fich in jeber Republik; es Tiegt in der Natur eines jeden
demokratiſchen Staates, namentlich wenn er wie bamals ber
attifche bis auf Demofthened immer anarchifcher wird. Semehr
die Demokratie aufs Aeußerſte getrieben wurbe, um fo mehr
bildeten ſich Mittelpuncte, von denen aus man bas Ganze der
aufgelöften Dienge leiten wollte; biefe nannte man ouvmuogias
aâmnè Öixaug ai apxaisz fo werben fie befonbers in biefer Zeit
genannt, Obgleih Niemand etwas Näheres über dieſe auvouuoalaı
Hermolopibenproceß. 159
tagt, fo verſteht fich Doch, daß man in diefen Verbindungen fich Aber
bie Wahlen zu den wählbaren Behörbenverabrebete. Denn wenn
auch die Archonten und die BovAn fo wie viele andere Magiftraturen
Goxal xAnewrai waren, fo blieb doch eine große Menge Aemter
übrig, die Durch Wahl befegt wurben., Es hat nie einen Staat
gegeben, wo eine folhe Mannichfaltigfeit von Aemtern und
Stellen vorhanden war, ald damals zu Athen und wenn man
in jener Zeit einen Staatöfalender geſchrieben hätte, fo würde
ber einen Umfang gehabt haben, wie für eine große Monarchie.
In den ovvmuoolaıg verfländigte man ſich alfo darüber, wie
biefe Aemter vergeben werben follten, wem man bie Stimme
für bie Strategie u. |. w. geben wollte. Bei den Wahlen famen
die Leute heraus, die zu dieſen Parteien gehörten. Diefe Elubbs
leiteten auch das Gerichtsverfahren. Wenn Einer, ber zu einer
ſolchen ovvwuooia gehörte, im Volksgerichte faß, fo wurde er
fhon im Boraus inftruirt, in welchem Sinne er auf die Ges
müther feiner Mitrichter wirken und wie er urtheilen müßte,
um feinen Zwed zu erreichen. So waren bie Factionen alfo
fhon aufs Höchfte getrieben. In der fpäteren Zeit, in ber
des Demoſthenes, hat die athenifche Demokratie in vielen Zwei⸗
gen eine weit regelmäßigere Orbnung angenommen, Hier lie⸗
Gen fih noch Unterfuchungen und Erörterungen über bie Ver⸗
änderungen in ber attifchen Verfaſſung machen, bie zwar nicht
zu einem vollfommenen Refultate aber doch zu einem Flaren
Begriff führen konnen; biefe Unterfuchungen find noch nicht
gemadt. — Derartige geheime Gefellichaften werben wohl bes
fonderd in Erwägung zu ziehen fein, um ben Eindrud jener
Unthat zu erklären. Weil eben ſolche Clubbs beftanden, fo
mochte. man benfen, es müffe jene Zerflörung der Säulen ein
Berfuch fein, in wie ferne man auf Verfchwiegenheit ber Glie⸗
ber einer Geſellſchaft rechnen Fönne, und die Führer hätten ver⸗
fuchen wollen, wie weit fie auf die Willfährigfeit und ben un-
bedingten Gehorfam ber Unteren bei einem folchen Unternehmen
440 Hermokopidenproceß. Rüſtungen und Mbfahrt der Erpedition.
zählen Tönnten, indem fie Gegenflände alter Kunſt uub Ber-
ehrung zerflörten, eine That, die aller Ordnung zuwider lief.
Nach manchem Herumratben war bald die Meinung allge-
mein, daß Alkibiades der Schuldige fei, und daß er nad ber
Tyrannis trachte. Dan verhaftete fehr Biele und es wurde
inquirirt. Man hatte zuerſt bie Abfiht auch Allibiades zu
verhaften, und auch jegt noch wäre es für Athen gewiß beil-
famer gewefen, wenn Alkibiades damals gleich verhaftet worden
wäre und man ihm ben Proceß gemacht hätte, als feine nach⸗
herige Berfolgung. Aber feine Gegner hatten die Erfabrung
gemacht, wie er mit Nifiad gegen Hyperbolus widerſtanden
Satte, und wagten nicht ihn grabezu anzugreifen. 'Man ließ
die Flotte abjegeln, ohne ihn zu verhaften'. =
Da die Exrpedition auf das bringendfle Anrathen des Al-
fibiabes und troß des ebenfo dringenden Abrathens bes Nikias
befchloffen war, hatte man ben unglüdlihen Entfchluß gefaßt,
beide als Führer für bie Unternehmung zu wählen. Wer in
Staatsgeſchaͤften gelebt hat, kann füch die Logik dieſes Beſchluſ⸗
ſes deutlih machen, aber darum iſt es nicht weniger eine ganz
unverftändige Logik. Dean mußte entweder dem Einen oder bem
Anderen die Anführung geben, nicht beide Widerſacher, bie fich
nur gegen einen Dritten vereint, aber nicht verföhnt hatten, zuſam⸗
men an bie Spige flellen. Man glaubte den Gegenſatz aus-
sugleichen und Nikias gegen Alkibiades zu unterflügen, indem
man zum Ausfchlag als dritten Feldherren den tapfern Lama⸗
Aus hinzufügte, der die Aengftlichfeit und das Zaubern bes
Nikias überwinden und burch feine große Erfahrung und fein
Alter die Tollheit und Tollfühnheit des Alkibiades zügeln follte,
So entſchied man; ein richtiges Gefühl der Verhältniffe zeigt
aber, daß dies ein unvernünftiges Raifonnement und das Mit⸗
tel ganz unfinnig war.
Die Erpedition war ungeheuer, fie ward nicht allein mit
ber größten eigenen Anftrengung gemacht, fondern man bot auch
Räftungen und Abfahrt der Expedition. 141
Bunbdesgenofien dazu auf und felbft ſolche, über welche bie
Athener eigentlich Tein Recht der Suprematie hatten; befreun-
dete Städte, die gar Feine Pflicht hatten; fo famen 3. B. tau⸗
fend Freiwillige aus Argos bie mitzogen, wie fie oͤffentlich er⸗
Härten, dem Allibiades zu Gefallen, und um unter ihm zu
bienen '). Dies erregte ben Verdacht und die Eiferfucht ber
Bürger mehr und mehr, Hundert ganz ausgerüftete Galeeren
gingen mit, 5100 attifhe Hopliten”), 480 Toxoten, mehrere
Hopliten yon anderen griechlfchen Stämmen, eine Anzahl Reiter,
mehrere hundert Transportfchiffe für Truppen und Lebensmittel,
Savallerieprahme, kurz eine Expedition von einer Größe unb
einem Umfange wie noch Feine von einem griechiſchen Stapel
ausgelaufen, ging nah Sicilien: nah damaligen Begriffen O1.91,1.
eine unmiberfiehlihe Macht. Den Spartanern zum Hohne ſe⸗
gelten fie um die Küften von Lakonika herum, folgten den Ufern
wie Galeeren immer es thun mußten, weil fie nicht fo Teicht den
Sturm aushalten konnten wie die Kauffahrteifchiffe. Die Ga-
leeren waren bei einer großen Länge fehr ſchmal und gingen
febr wenig tief, fie wurden alfo fehr leicht umgeworfen und
jertrümmert, fobald die Gewalt bed Sturmes bie Kraft der
Ruder überſtieg. Daher mußten fie laͤngs der Küfte fahren
für den Fall eines Sturmes, um dann ſchnell auf irgend eine
flache Küfte heraufzulaufen; die Kauffahrteifchiffe konnten beſſer
das habe Meer und den Sturm aushalten.
So gelangten fie nad Eorcyra und von da gingen fe
herüber nach Italien, nad) Japygien, das ein griechifches Land
war und damals noch nicht zu Stalien gehörte. An diefer
1) Die Zahl it im Widerfpruche mit Thuf. VI, 43 aus Plut. Alci-
hbiad. 19 genommen, der die Zahl der argivifchen und mantineis
ſchen Hopliten auf zufammen 1000 angiebt. A. d. H.
2) Bei dieſer Zahl hat N. entweder die Geſammtzahl ver nach Sicilien
nach und nach entſendeten Athener, oder die Geſammtzahl der zu der
erſten Grpebition gehörenden Hopliten, Athener und Bundesgenoſſen
im Sinne gehabt. 4.0.9,
243 Rüfungen und Abfahrt der Erpeditlon. Erſte Operationen.
Käfte fanden fie zu Tarent feinblihe Stiummg. Da bie
eine erzdoriſche Stadt war, fo ſchloß es feine Thore unb ben
Hafen. Nicht aber fo Thurii, das nach ganz anderen Princi-
yien gegründet war als alle vorhergehenden griechiſchen Colo⸗
nieen. Es war nicht die aͤrotxice irgend eines beſtimmten grie-
difchen Ortes und ftellte nicht einen einzelnen griechiſchen Stamm
vor, fondern ed war eine Colonie von Geſammigriechenland.
Das war aud der Sinn des beiphifchen Drafels, weldhes hieß:
fie ſollten Apollo als osxıorns und fi als eine Eolonie von
ganz Briechenland anfehen. Daher hatten fie auch zwölf Qulaz:
dies iſt die Multiplication ber borifchen Dreizahl mit ber ioni-
ſchen Bierzahl, fo wie in Rom bie Zwölfzahl das Multiplum
der Iatinifhen Dreizahl und ber fabinifchen Vierzahl iſt; die
zwölf guvlai aber waren nach den verjchiebenen Theilen Grie⸗
chenland's benannt. Hier in Thurii fanden die Athenienfer freund-
liche Aufnahme, das war aber aud die einzige Stadt in Diefer
Gegend, weiter fübwärts das achaeiſche Kroton war war nicht
feindlich, ſcheute fih aber und ſchloß Stadt und Hafen. Selbſt
Rhegium und die halkfidifhen Städte, bie bei ber erfien Erpe-
bition den Athenern befreundet gewefen, waren jebt voll Miß-
trauen und Beforgniß: fie verhehlten fich nicht, daß bie ihnen
ſtammverwandien ioniſchen Bundesgenoſſen der Athener: Samier,
Epier und andere eigentlich deren Unterthbanen waren und be⸗
fürdteten, daß ihnen ein gleiches Schickſal bevorfiehe, wenn bie
Unternehmung der Athener glüdlih von Statten ginge. So
fanden fih alfo bie Athener in biefer Hinficht gleich getäufcht
und vermißten bie Aufnahme, die fie erwartet hatten. Das
war inbefien eine Sache, die noch nichts entſcheiden konnte. Sie
gingen vorwärts und famen bis nah Katana.
Je näher fie an Syrafus Tamen, deſto günfliger mußte
ihnen die Stimmung fein, denn bier mußte bie Antipathie gegen
bie mächtigen Nachbarn überwiegen, wie Leontini fie gern auf:
genommen hätte, wenn es an ber Küfte gelegen gewefen. So
Erſte Operationen. 4143
war in Katana fchon eine bedeutende Partei entſchieden für bie
Athenienfer, und fo konnte Altibiabes durch eine Kriegsliſt fi
bie Thore öffnen laſſen und ſich ber Stabt bemäcdhtigen, mit
der Scheingewalt die man Ehrenhalber fordert, und ſich gern
gefallen läßt. Nun hatten fie wenigftens einen feſten Punet im
Sieilin, und damals hatte Katana einen fchönen Hafen, der
nur von ber Lava'des Aetna zu fürchten hatte.
Die Inſel fanden fie fehr zerfpalten und getheilt, wenige
ber griechiſchen Städte hatten fich für Die Syrafufaner erklärt, bie
meiften blieben neutral, was für Athen nur ermänfcht fein fonnte,
Für Athen erklärten fi indeffen nur fehr wenige; am Gun⸗
ftigften waren bie fieulifhen Orte, bie eine bittere Nationalan-
tipathie gegen bie fieilifchen Griechen, die Sifelioten, und ber
fonders gegen Syrakus begten. Bald fanb man aud, daß die
Egeftaner mit ihren Verheißungen von großen Schäten und
Hülfsmitteln betrogen hatten; fie hatten die atheniſchen Geſand⸗
ten mit bem Scheine von großen Reichthuͤmern getäuſcht, und
als fie jegt den Athenern Zahlung leiſten follten, fand man ſich
betrogen, und fah daß man von ihnen fehr wenig erwarten
konnte. Nun beratbfchlagte man, was zu thun fei? Der rich⸗
tigfte Entſchluß wäre gewiß geweſen, geradezu gegen Sy⸗
rafus zu gehen und bies anzugreifen, benn bort berrfchte ent⸗
fegliche Beſtuͤrzung und bie größte Unruhe; Anhänger konnte
man bort freilich nicht erwarten, aber immer hoffen einen fol-
den Schreden zu verbreiten, daß man in der erfien Ueberraſchung
Herr der Stadt werden koͤnnte. Man hätte ſich aber wenigſtens
gleichneben der Stadt feftfegen fönnen, unb wenn bie Syrafufaner
aus ber Stabt gefommen und zurüdgefhlagen worden wären,
fo hätten folche Zufälle immer fehr gute Gelegenheit zu neuen
Unternehmungen gegeben. "Das war ber Math bes Lamachus,
aber die Unfchlüffigfeit des Nifias war dagegen, und unbegreife
licher Weife ſtimmte auch Altibiades nicht dem bei’, Alfo ge⸗
fhah es nicht; man verfänmte ben entiheidenden Augenblid
144 Erſte Operationen. Dem Alliblades wird der Proceß gemadt.
und blieb zu Katana, 'jeder Tag aber, den man bem Feinde
gewährte, gab ihm einen Zuwachs feiner Kraft. Und nun zum
größten Unglüd erfihien eben jest bie falaminifche Triere mit
Beauftragten, bie den Alkibiades und einige feiner Freunde we⸗
gen Entweihung der Myfterien und Berflämmelung ber Hermen
vor das Bolfsgericht citirten,
Seit dem Ausbruche der Flotte war nährlich in Athen bas
Mißtrauen immer größer geworben und bie Berhaftungen hat⸗
ten immer mehr zugenommen. Wie bei den ehemaligen Hexen⸗
proceſſen, führte eine Verhaftung zur anderen; hatte man Einen
auf Verdacht verhaftet, fo war ber Verdacht in einigen Tagen
Gewißheit, und man rietb auf die Freunde des Berhafteten
als Mitſchuldige. So füllten fih alle Sefängniffe mit Ber-
bachtigen, und jeder nur Berhaftete galt fhon für überwiefen
and ſchuldig. Das war ein entfeglicher und fo fchredlicher Zu⸗
ftand, dag man fih nur nach einem entfcheidenden Gerichte fehnte,
wenn auch einige Unfchulbige dabei umfommen müßten, Damit
man endlich aufs Reine kaͤme und das Mißtrauen aufhörte.
Auch glaubte man auf der Spur zu fein. Die Berhaftungen
betrafen befonders Männer aus den vornehmen Gefchlechtern;
biefe Gefchlechter befanden noch fort wie vorher, und wenn fie
auch Feine Borrechte mehr hatten, betrachteten fie fich Doch unter ſich
noch immer mit demfelben Stolz wie vor hundert Jahren ihre
Borfahren welche die Aemter inne gehabt hatten. Da geichab
ed nun, dag unter biefen Die Verabredung getroffen wurbe, Ge—
fändnifle zu machen und zu denunciren; namentlich ber Redner
Andokides ergriff dies Mittel, Er ſelbſt hatte ſich für feine Ausfagen
Amneftie bedungen und machte nun Entbedungen, die zu ber
Berurtheilung und Hinrihtung von Vielen führten; die Folge
feiner Denunciationen war, daß man Alkibiades Jetzt für ent⸗
ſchieden fchufdig bielt und feine Verhaftung beſchloß. Als die
Salaminia im Lager erfchien, Tonnte er freilich nichts Anderes
tun als ihr folgen. Man verfuhr mit Achtung gegen ihn,
Operationen der Athener in Sieilien. 145
behandelte ihn ausgezeichnet und ließ ihn fogar auf feiner eig-
nen Galeere folgen. So entlam er an ber tialifchen Küfte und
Roh von ba nad) dem neutralen Elis, fein erſter Schritt war
alfo offenbar nicht Landesfeind zu werben. Als er aber in
contumaciam verurtheilt warb und man feine Freunde auf alle
Weife verfolgte, wandte er fih nah Sparta, ein unfeliger
Schritt, der aber nad den Umftänden mit Nachficht betrachtet
werben muß.
»So kamen die Athener durch ihre eigene Thorheit in's
Berberben. Dan hatte fih den Allergefährlichften zum Feinde
gemacht, und mit ihm serlor das Heer in Sieilien die Hoffnung
des Erfolgs, Auch mahte es auf die Sikelioten den übelften
Eindrud, daß ber erfle Feldherr der Athener wie ein Verbrecher
abgerufen warb’. Auf Nikias' und Lamachus' Schultern Tag
jest eine Laſt, der ihre Kräfte nicht gewachfen waren. Da ber
erfte Augenblick verfäumt worden war, war es ſchwer zu fagen,
was gef&ehen follte. Daß eine Stabt, fo groß wie Syrakus,
wenn fie ſich vertheibigen wollte, Durch eine regelmäßige Bela⸗
gerung fehr ſchwer eingenommen werben konnte, war evibent:
wenigfiens hätte eine Reihe von nicht zu erwartenden gluͤcklichen
Umftänden eintreffen muͤſſen, und mit ber vorhandenen athenifchen
Macht war es unmöglid. Sp machte Nikias den Verſuch eines
coup de main auf Syrafus. Durd eine berühmte Kriegstift
Inte er bie Syrakuſaner gegen Katana, dann Yanbete er felbft Ol. 91,2.
bei Syrakus; hier hatte er ein glüdliches Gefecht mit ben Sy-
rafufanern, als fie von Katana zurüdfamen, ging aber doch
ſelbſt wieder zurüd, Sein Zwed bei biefer Expedition war
ohne Zweifel nur der gemefen, fih der Stabt durch Ueberrum⸗
pelung zu bemächtigen, und er 308 ſich trog des gluͤcklichen Tref-
fens zurüd, weil ihm dies nicht gelungen war. Hätte Syrakus
damals eine oligarchifche Berfaffung gehabt, fo daß bie Athe-
nienfer ihnen hätten Demokratie anbieten fünnen, fo hätten bie
Athener vielleicht in ber Stabt eine Partei finden, und es hätte
Niebuhr Bortr. üb. d. A. G. IL 10
Dl.91,2.
146 Overatienen ver Hifener ia Gicilien.
fih auch dort eine Revolution zu ihren Gunſten entiwideln kön⸗
nen, aber Syrakus war im Beilge der Demolratie und ihr
einziges Bebenfen war, baß die Spartaner wie fie wohl wuß⸗
ten überall Dligarchie einführtenz aber biefe Beforgniffe waren
damals gering. Der Schutzgeiſt von Syrakus fügte es aud,
dag fih in der Mitte ber Syrakuſauer ein fehr ausgezeichneter
Mann, Hermohrates, erhob, der eine Ueberlegenheit an Verſtaub
und Talent zeigte, die Iange Zeit hinburch von feinen Mitbür-
gern ohne Eiferſucht anerkannt wurde, freilich nicht bis au das
Ende feined Lebens. Er hat aber den Undank erſt dann er-
fahren, als er ſchon fein Vaterland gerettet hatte. Er war
nebft zwei Eoflegen mit abfoluter Gewalt zur Bertheibigung der
Stadt beauftragt, und er rüflete bie Macht ber Sprafufaner
mit der größten Einſicht.
Nikias ſuchte indeflen, nachdem er zurüdgelehrt war, deu
Einfluß der Athener auf ber Infel und feine Macht immer mehr
auszubreiten, fo wie feine Streitfräfte zu vermeiren. Dies ge-
lang ihm aud, er zog immer mehr uub mehr Ortfchaften in
bas Intereſſe der Aihenieufer und verflärkte fih mit Hülfsitrup-
pen, fo daß er endlich glaubte, fih genug gerüfltei und verſtärli
zu haben, um unternehmen zu können, wozu er ausgefandt war,
und vor Syrakus fegelte um es einzufchließen. Es war jetzt vom
Anfange des peloponnefifchen Krieges an das fechzehnte Jahr,
wovon ſechs im Frieden mit Sparta vergangen waren.
Als Nikias gelandet, war alle feine Hoffnung auf Blokade
gebaut, Er hätte nach dem erſten unerwarteten Angriff nicht
mehr zurüdgehben follen und ſchon damals verfuchen müſſen,
bie Stadt fo viel als möglich einzufchließen, benn er war ge-
wiß erfohienen, ehe die Stadt gerüflet und mit Vorräthen an
Lebensmitteln zureichenb verfehen. Nun aber hatten bie Syra⸗
fufaner eine Warnung befommen und natürlich fo viele Vor⸗
väthe zufammengebraht als möglich war. Die ganze Ge—
genb von Syratus iſt Felſengrund wit einer ſehr leichten Erb⸗
Einfchließung von Syrakus. Hermokrates. 147
oberflaͤche, Die Gegend iſt zum Theil durch Klufte zerriſſen, es
ſind nicht Hügel ſondern kleine Plateaus, die durch ziemlich tiefe
Klufte von einander getrennt find, worauf ſich allmählich bie
verſchiedenen Stabttheile von Syrakus gebildet hatten. In der
Entfernung von einer ftarfen halben beutfchen Meile vom See-
ufer zieht fi) eine Hügelreihe fort, ungefähr parallel mit dem
Seenfer, die ſich eine halbe Meile weit erſtreckt, und bann auf
beiden Seiten verfladht. Dies find die ’Enınolcl, die fo oft
in der ſyrakuſaniſchen Geſchichte vorkommen. Als Bild können
Sie ſich das Borgebirge bier bei Bonn denken: nur müffen
Sie ſich die Epipolae nicht in derfelben Länge, ſondern in der
Ausdehnung von nur einer halben Meile und an beiben Seiten
verflacht vorfiellen. Auf dieſer Höhe hatten die Syrakuſaner
en Fort angelegt, um bie Athener zu ndthigen, ihrer Circum—
vallation einen fo großen Umfreis zu geben, daß es ihnen un-
möglih wärbe, die Stadt einzufhließen. Die erfle Unterneh⸗
mang ber Aihener mußte alfo auf diefe Errıumodal gerichtet fein,
und fie gelang volllommen; die Athener bemeifterten fih glüd-
Ich der Höhe und nahmen fle zum Mittelpuncte ihrer Opera⸗
tionen. Sie zogen jetzt von biefem Gentrum als der Spike
eines Triangeld auf beiden Seiten eine gerade Linie nach bem
Meerbufen Hin, um bie Zufuhr abzufchneiden. Sie konnten
Syrakus nit von allen Seiten einfihließen, jedoch fehnitten fie
die meifte Zufuhr an Lebensmitteln ab; fie hatten fich eines
Hafens neben Syrafus bemädhtigt, fih dort verſchanzt und von
da aus fchnitten fie die Zufuhr von der Ser ab. Sept kam es
nun darauf an, Die Linien zwifchen ber Stadt und ben ’Ensıno-
Acis zu vollenden. Das aber vereitelte Hermofrates, indem
er eine Gegenlinie gegen bie Athenienfer von ber Stadt aus
308, weldhe die gerade Linien, welche bie Athenienfer ziehen
wollten, burchfchnitt. Die gefchicktefte Art eine Feſtung zu ver⸗
theidigen, befteht darin, daß man während ber Belagerung dem
Feinde eine Menge neuer Schtoierigfeiten in ben Weg Iegt, wie
10*
4148 Wiederausbruch des Krieges zwiſchen Athen zur Sparia.
z. B. Carnot als er 1814 in Antwerpen eingeſchloſſen war,
vor ber Stabt neue Schanzen anlegte und die Kraft ber Feinde
ganz auf dieſen Punct richtete; wie General Oneifenau bei der
Bertheidigung von Kolberg. In derfelben Weile find bie Ar-
beiten des Hermokrates zu verftehen, unb fie hatten volllom⸗
menen Erfolg. Der Berfuch der Athener, ihre Linien zum Be-
hufe der Einfchließung zu ziehen war vereitelt, und fie mußien
ihren Plan zur Einſchließung aufgeben.
Bei alle dem, obgleich die Athener nicht viel Erfolg hat-
ten, war inbeflen die Lage von Sprafus nichts weniger als
troſtlich Es äußerte fih in der Stabi fehr heftiges Mißver⸗
gnägen; es würde dies auch vielleicht zu einer Empörung ge-
führt haben, und Die Negenten würben genöthigt worden fein,
den Athenern Borfchläge zu machen, auf welche Nilias und die
Athener fehr gerne eingegangen wären. Syrakus hätte einen
ſehr leidlichen Frieden erhalten Fönnen, und Athen würbe froß
geweſen fein, fo aus biefer Lage herauszukommen. Die Syra=-
Yufaner würden bem Bünbdniffe mit ben Peloponnefiern haben
entfagen müflen, die Leontiner würden wieber hergeflellt, ihr
Gebiet ihnen geräumt worden fein, und bie übrigen Stäbte,
wenigfiend bie chalkidiſchen würden bie Hoheit der Athenienſer
jegt anerfannt haben, Died wäre ein glüdlicher Ausgang für
bie Athenienfer gemefen, es war für fie um fo dringender Frie⸗
ben zu machen, da bie Spartaner den Krieg auf bie Anreizung
bes Alfibiabes wieder erneuert hatten,
Affibiabes nämlich, wüthend über die Schmach, bie feine
Vaterſtadt ihm angethan, hatte fih den Spartanern ganz in
bie Arme geworfen; er forderte fie auf, den Krieg zu erneuern
unb überzeugte fie, wie die ſchlechten Erfolge bes Kriege von
ihrer Ungeſchicklichkeit herrüͤhrten. Er wies ihnen eine neue
verberbliche Art bes Krieges an, und zeigte wie ein glücklicher
Erfolg nicht ausbleiben Tönne, wenn fie einen bleibenden Poſten
an einem feſten Puncte in Attika felbft befepten, und nicht wie
Allblades Lanbeöfeind. Aufunft des Gylippus in Syrakus. 449
früher, immer von Neuem einfielen. Sie follten ein Fort im
Gebiete anlegen, was man im griechifähen Edrrireıyıouoc nannte,
von wo aus man bas Land umher fortgefegt verheeren könnte.
Dies rieth er ihnen und fo geſchah es auch; der Krieg wurbe
aufs Neue erklärt, der König Agis rüdte mit einem pelopon⸗
nefifchen Heere in Attila ein, und bie Athener, wie immer, hü-
teten fich, ihm ſich entgegenzuftellen. Er bemächtigte fich bes
Staͤdtchens Dekelea, ungefähr drei deutſche Meilen von Athen; OL. 91,3.
biefen Drt befefligten bie Spartaner fo forgfältig fie konnten
und ließen’ bort Agis mit einem ſtarken Corps als bleibende
Befagung zurück. Bon jest an forderten die Spartaner natürs
ih auch Gelbbeiträge von ihren Bunbesgenofien, denn ohne
Sold konnte diefe Beſatzung nicht beftehen.
Hier beginnt bie zweite Hälfte des peloponnefifchen Kriegs.
Der neue Krieg, ber jetzt folgt, heißt bei den Alten ber deke⸗
leiſche Krieg, rolsuog Asxsisırds wie ber erfle nöAsuos Ao-
yuöcuıos genannt wird; der Name bes peloponneftfchen iſt
ef fpäter in Gebrauch gefommen. Die Zeitgenofien haben
beide Kriege als verfchiebene betrachtet. Wie weit biefe Mei-
nung gegangen ift, erfeben wir aus Thukydides, welcher aus⸗
druͤcklich demonftrirt daß es boch ein und berfelbe Krieg ge⸗
weien.
In Syrakus traten nun Ereigniffe ein, bie ben Gang ber
Weligeſchichte änderten, nämlich die Ankunft bes Gylippus von
Sparta und bie erfte Hülfe von Korinth,
Die Ankunft des Gylippus in Sprafus ift eins von ben 53.8.
Ereigniffen, wo ein Moment über die Schiefale der ganzen PI-9-%
Welt für Iange Jahrhunderte entfcheidet. Man hätte die Ver⸗
bindung zwilchen Syrafus und Griechenland bei der Blokade
für ganz abgeſchnitten halten follen, und es ſchien unmöglich,
daß überhaupt Hülfe in die Stadt eingebracht werben koͤnnte.
Wie es aber bei jeder Blokade geht, es kam eine Forinihi-
Ihe Galeere nad) Syrakus und ber Führer derfelben brachte
450 Hulunft des Gyllppus in Syrakns. Werbung des Güde
die Nachricht, daß Gplippus auf dem Wege nach Syralkns fei.
Das machte eine Senfation, welche die Stimmung fehon ver-
änderte, aber wäre er nicht bald felber erfihienen, fo würbe biefe
Senfation fruchtlos gewefen fein, er kam aber bald. Gylipp
war nach Italien gefommen unb ging von bort glücklich nad
Sicilien hinüber; hätten die Athener bie Ueberfahri von Rhe⸗
gium nach Meſſana beffer bewacht, jo hätte wohl feine Ankunft
gehindert werben Tönnen; er lam aber auch hier glüdkich vor⸗
über. Seine Anfunft in Sieilien war fo entfcheibend, wie Na--
poleon’s Nüdkehr von Aegypten nah Frankreich: wäre biefer
von ben Engländern aufgefangen worben, fo würbe das Schid-
fal von ganz Frankreich und das Schickſal der Welt überhaupt
durchaus anders entfchieden worben fein. ‘Mit dem Kalle bes
Directsriums würbe etwas ganz Anderes entſtanden, Frankreich
ohne Napoleon überwunden worden fein, und eben fo, wenn
Gylipp nicht nach Sicilien gelommen wäre, hätte Syrafus mit
ben Athenienfern einen Frieden nad) dem Wunfche ber Atbener
geſchloſſen. Gylipp mußte einen weiten Umweg machen, er
ging länge der noͤrdlichen Küfle nach Himera, bort fand er bie
Gemüther für die Sprafufaner günftig geftimmt obgleich die
Stadt chalkidiſch war.
Er zeigte ſich ſchon von Anfang an hoͤchſt gewandt und
einſichtsvoll; von Himera aus unterhanbelte er mit ben Seli-
nuntiern und anderen Städten und bildete hier eine Macht zum
Entfag von Syrakus. Das hätte nicht gelingen müflen, ob⸗
gleih die Gircumvallation von Syrakus noch nicht ausgeführt
war, wenn Nifiae fi nur unternehmenber gezeigt hätte, Nikias
hätte bem Gylippus entgegengeben und ihn zurüdidlagen follen;
aber, mie es fcheint, ex wagte es nicht, und fo kam Gylipp im
Angeficht der athenifhen Truppen nah Syrafus, rädte von dba
aus wieder gegen bie Athener vor, und mit fidherer Ueberzeu⸗
gung des Erfolges ließ er ihnen fogleich einen von ben An-
trägen machen, bie in der Geſchichte erfchüiternden Erfolg auf
gegen bie Athener. Verluſt der Cpipolae. 151
bie Gemuther haben :-.er ließ ihnen einen Waffenſtillſtand anbie⸗
ten, wenn fie Sicilien fogleich verlaffen wollten. Die Einfid-
tigeren ber Athenienſer betrachteten bag gewiß nicht als Hohn⸗
fprecherei, ſondern als Folge des Bewußtſeins und erfannten
bie drobenbe Gefahr.
Durh einen Ausfall bemächtigte er fich bald wieder ber
Zeften, welche die Ashenienfer auf den Höhen ’Ersınodai ein-
genommen hatten, und wie er dieſer Meifter war, war der Ge⸗
danke gänzlich vereitelt, eine Eircumvallation um die Stabt zu
zießen. Nach diefem Erfolge, worauf er dann noch mehrere
Schanzen anlegte, war bie Berbindung zwiſchen Syrafus und
dem Junern der Juſel gänzlich frei, und die Athener waren
auf die Iinfe Seite — wenn man non ber Stabi aus nad
Sicilien flieht — der Operationslinie an ber ſüdweſtlichen Seite
der Stadt beſchraͤnkt.
Hier nun am Eingauge des Hafens legten bie Athener
eine Feſtung auf dem Plemmyrium an, um fih bie Einfahrt in
den Hafen frei zu halten, ber große Hafen von Syrafus macht
einen bebeutenben Bogen, an bem einen Ende liegt bie Inſel,
anf dem anderen das Plemmyrium. Er bat mit ber Bai von
Toulon große Aehnlichkeit, und ber Berlufk bes Plemmyrium
hat für bie Athener biefelben Folgen gehabt, wie für die Eng-
länder, daß General Dugommier fie von ber Höhe trieb. Den
Untergang ber athenifchen Expedition, Gefecht für Gefecht bei
Syratus mäffen Sie im Thukydides nachleſen: wenige Ereig-
niſſe in ber Befchichte find anf eine fo ſchmerzlich feſſelnde Weife
erzählt, wie biefe Begebenheiten bei Thukydides. Hier alle ein⸗
zeine Gefechte herzuzählen welche Die Athener zu Grunde richteten,
würde zu lange dauern. Wenn ich in ber Erzählung des pe⸗
Ioponneflfchen Krieges auch ausführlich geweien bin, wozu mic
die entſcheidende Wichtigkeit deſſelben veranlaßt, fo erſtreckt ſich
dieſe Ausführlichkeit doch nur auf bie Hauptmaflen. Dabei
konnen Sie Thulydides nicht genng leſen und wieder leſen.
159 Niederlage und Cinfchliefung
Ich gebe alſo nur die Hauptmomente in ben Gefechten unter
ben Mauern von Syrakus. Ein Haupimoment ift nun, daß
nad dem erfin Erfolge nicht bloß bie Gewanbtheit und Tap⸗
ferfeit des Gylippus die Syrafufaner förderte, fondern auch
[von diefer Zeit an] das Gfüd ihnen aͤußerſt günflig war und
fie ſelbſft muthiger wurden. Zugleich fcheint es, daß bie Athe-
nienfer in ihrer Wachſamkeit um fo mehr nachließen je mehr
ihre Hoffnung und ihr Muth fiel. Die athenifhe Armee und
Flotte befanden fich in bem Zuftande, den man im Franzöftfchen
demoralis6 nennt; es war ein Zuftand, wo bie Kraft der Sub-
orbination, die Ehre und das militairiſche Pflichtgefüht ihre
Macht verlieren, wo ber Solbat vergißt daß er ale Theil dem
Ganzen angehört, und aufhört ben großen Zwed im Auge zu
behalten, fondern nur an fih denkt, nur darauf bedacht if,
ih zu rächen, zu plündern, zu entweichen. Diefe Demora-
liſation war fowohl in ber Flotte als in der Armee des Nikias
eingeriffen, bie Truppen hatten Feine Disciplin und hingen ber
Plünderung und Nebendingen nah. Zugleich zeigte fich bie
Unvolllommenheit einer demokratiſchen Berfaffung, wo ihr nicht
wie bei einzelnen großen Entfchlüffen buch das Gemüth abge-
holfen werben kann; bie Expedition war mit großen Anfiven-
gungen ausgerüftet, nun aber warb fie ihrem Scidfale über-
laſſen, und bie Athener Tießen fie mehr und mehr ermatten
ohne ihr Verſtaͤrkung zu fenben.
Durch biefe Schlaffheit der Athener gelang es den Pelo-
ponnefiern, vorzüglich durch Betrieb der Korinthier, eine Esca-
bre in ben Hafen von Syrakus zu bringen, unb die Sprafu-
faner geführt von ihrem herrlichen Anführer Hermofrates und
dem großen Feldherrn Gylippus eilten jegt mit Macht, ſich
auch zur See ſchlachtfertig zu machen, um einen entſcheidenden
Schlag zu führen, ehe die Athener Verſtaͤrkung erhalten konnten.
Die attifhen Schiffe waren nicht auf bie Dauer von trodenem
Holze gebaut, faulten fehr leicht und konnten nur erhalten wer-
der atheniſchen Flotte, 158
ben, wenn fie auf das Land und unter Dach gebracht wurden.
Da fie nun bier immer im Hafen liegen mußten, fo hatten fie
ſehr gelitten, Die Mannfchaft war außerft bemoralifirt, viele
darunter Sklaven unb von dieſen hatten fich bie meiften verlaufen.
Nichtsdeſtoweniger fahen bie Syrafufaner ein, daß fie ber See-
taktik der Athener und ihrer Gefchidlichfeit im Manoeuvriren
nit Die Spitze bieten fonnten, unb deßhalb fuchten fie ihre
Schiffe zum einfachen rohen Kampfe angemeflen einzurichten,
indem fie fie weit ſtaͤrker machten, allein auf das Zufammentrefs
fen in ber Schlacht berechnet, Nachdem fie ſchon einige kleine
Verſuche gemacht hatten die übel abgelaufen waren, unternah⸗
men fie jegt einen fchnellen Angriff auf die athenifche Flotte in O1.91, 4
der großen Bat, und biefer gelang ihnen fo, baß bie Athenien-
fer zu ihrer größten Verzweiflung eine bedeutende Zahl ihrer
Schiffe verloren. [Schon vorher] Hatte Gylippus das Fort or.91,3.
ber Athener am Eingange bed Hafens eingenommen; bie Sy⸗
rafufaner befaßen nun den Eingang ber Bai von beiben Seir
ten, und da das Lager ber Athener im Inneren berfelben war,
fo waren fie vom Feinde eingefchloflen.
Diefe Lage war ſchon eigentlich verzweifelungssoll, ed war
bie höchſte Zeit fich zu entfernen. Nikias war in einem trau⸗
rigen Zuflande, feine Gefundheit Titt fehr und er war in ber
hoͤchſten Angft, bie fich begreifen, wenn auch nicht rechtfertigen
läßt, daß die Demagogen ihn für den unglüdlihen Ausgang
der Unternehmung verantwortlich machen würben, zumal ba er
bie Anfchläge bed Lamachus vereitelt hatte. Er hatte aber
bisher immer Gluͤck gehabt, und rechnete jetzt abergläubifcher
Weiſe darauf daß fein altes Glück ihn berausziehen werbe.
&r ſchrieb nach Athen, ftellte feine Tage den Athenern vor und
zeigte ihnen feinen traurigen Zuſtand; feine Berichte waren
aufrichtig: er bat das attifche Volk, ihn zurädzurufen wenn fie
Mißtrauen in ihn festen, ftellte feine Krankheit vorz auf feben
Fall begehrte er große Verflärfung. Diefe warb auch wirklich
DL9L, 4.
154 Ankunft atheniſcher Berflärtungen.
geſandt unter dem ausgezeichneiften Kelbherren ben Athen ba-
mals befaß, Dem Demofibenes, Sohn bes Alfifihenes, ber eine
Zeit lang verbannt geweien war, und unter Eurymebon mit
73 Baleeren, einer großen Anzahl Transporifchiffen, 4 ober
5000 Hopliten und ſehr vielen Teichtbewaffneten Truppen.
Als Demofihenes anlam, ungehindert von ber fprafufani-
fhen Flotie in die Bat einfegelte und alfo die Obergewalt ber
Athener auf der See wieder herflellte, überzeugte er ſich von
der Hoffnungstofigfeit des Unternehmens und flimmie bafür bie
Belagerung aufzuheben, und bas Heer jeht, ba man es nod
mit Ehren koͤme zuruͤchzuführen. RNilias aber ftimnıte entſchie⸗
ben gegen biefen Beſchluß; er hoffte den Krieg auf bie Länge
duschfegen zu Fönnen, und die Sache durch Zögern günftiger zu
machen, vechnete noch auf Berbinbungen in ber Stadt; er hoffte
befonders auf Spaltungen in Syrafus, 'da Hermoktates sine
große Partei gegen fih hatte, und vertraute zu viel auf ben
möglichen Neid und Eiferfucht ber Syrafufaner gegen den Frem⸗
ben, ber gewiß mandmal imperiös ſich betrug. So glaubte
Nikias gewiß, es werbe gelingen und fimmte in biefem Sinne
entfchieben gegen ben Vorſchlag bes Demofibenes, ber [bei-
fee} einfah, in wie fchlimmer Lage fie fih befänden. Jetzt
rietb Demofihenes zu einem kühnen Angriff auf die Epipolae,
ber fo unglüdtic er ablief, dennoch gewiß ber einzige richtige
Eutſchluß war. Ich kann auch nur feiner Meinung fein, daß
man feine andere Wahl hatte, als entweder bie Belagerung
aufzuheben ober wenn man dad nicht wollte Alles anzuftrengen,
um fi wieber in den Befit ber ’Ersırzolal zu ſetzen. Da ber
Ausgang unglädlich war, fo giebt man gewöhnlich bem Demo⸗
ſthenes entfchieden Unrecht, ich möchte aber fragen, was anders
zu thun war, wenn man micht zurückgehen wollte? dazu kam,
bag wie bie Gegend um Syrakus höchft ungefundb ik ‚ bie
Sumpffieber fih jegt mit bem Sommer in ber cathenifchen
Mißlangener Sturm auf die Epipolar. 455
Armee ſchrecklich einftellten und gewaltig ausbrachen. Hier war
feine Wahl mehr.
Der Sturm auf die hohen ’Ennınolal wäre wirklich bei⸗
nahe gelungen; man hatte fchon ben wichtigften Punct einge-
nommen und die ganze Pofition würbe erobert worben ſein,
wenn nicht die Athener durch die Unbekanntſchaft mit ber Ge⸗
gend und durch Das Mondlicht getäufcht in Verwirrung gera⸗
ihen wären. Es war eine monbhelle Nacht, allein bie täufcht
eben fo wie bie Dunfekheit, Nachdem fie ſchon von Yunet zu
Punet vorgebrungen waren, ging es ihnen wie König Friedrich
bei Kunersborf, ber auch fo lange vordrang und nad Erobe⸗
rung aller Puncte nur einen nicht überwältigen fonnte und dann
den Rückzug befahl, als Feiner mehr möglich war, ſondern nur
gänzliche Flucht und Niederlage; fo feste auch Demofthenes feine
Angriffe anf einen feſten Punct wo die Boeoter ſtanden fo lange fort,
bie feine Truppen bei dem wieberholt mißlungenen Sturme von
einem panifchen Schrecken ergriffen wurden. Die Boeoter widerſeß
ten ſich Fräftig und warfen die Athener zurück; biefe erneuerten ben
Angriff, und mehrere Truppen ans ber Stabt fammelten fig
nun bei bem Widerſtande der Boeoter; ’die Athener wurden
ſtutzig, viele Rürzten in Abgründe, bie argiviſchen Bunbesges
aofen als Dorier wurden für Feinde angefehben, es entſtand
die ſchrecktichſte Verwirrung und’ die Athener wurben gaͤnzlich
geihlagen. Sie verloren ein paar tauſend Dann, ein unges
beurer Verluſt zu damaliger Zeit und eine große Menge wurde
ganz zerſprengt; bie Uebrigen fammelten ſich nur als Flücht⸗
linge im verfchanzten Lager.
Nach diefem Ungläd war Feine Frage mehr, daß man bie
Unternehmung aufgeben mäffe, und daß nur noch an Aufbruch
zu denten ſei, und fest fiimmte and Nilias für den Rüdyug.
Zum Ungläde Athen's trat aber in der Nacht vor dem Tage
an dem man aufbrechen wollte eine Mondfinfterniß ein, und mun
verzweifelte faſt der aberglänbifche Nikias, er ſah barin ein fo
156 Mißlungener Sturm anf bie Eyipolae.
unglädtiches Dmen, daß er fich nicht bewegen ließ in bie Ein-
fhiffung zu willigen; es mußte nun nach dem Ausſpruche ber
Wahrſager dreimal nenn Tage gewartet werben, bamit das Un⸗
gläd feine Folgen verlöre. Diefe Zeit benugten bie Syrakuſa⸗
ner, um ben Hafen von Syrakus, vom Plemmyrium bis nad
ber Nafos, mit Blodfchiffen ( vaisseaux amarrés) zu fperren,
dies find Schiffe, die auf Bloͤcken fefgelegt uud mit Ketten
verbunden wurben, fo jedoch, daß in ber Mitte eine ſchmale
Durchfahrt war durch die ihre Klotte in einer langen Linie ſich
durchziehen konnte, um mit den Athenern zu kämpfen unb ſich
wieber zurüd zu ziehen. Noch war zum Unglücke ber Athenien-
fer eine Berflärkung von Peloponnefiern angelommen. Neuere
Bearbeiter haben fih gewundert, daß diefe vom Peloponnes
nach Eyrenaica übergegangen, an ber Küfte von Africa binge-
fegelt und dann nad Sieilien binübergefommen waren. Run
bat man weislich gefragt, welche Thorheit das geweien, warum
fie doch einen foldhen Umweg gemacht hätten. Es war aber
keine Thorbeit: nach der DBeichaffenheit der Galeeren mußte
man längs der Küfte fegeln; wären fie aber an der Küfle von
Eyirus und Italien gefahren, fo würden fie ben corcyrasifchen
und athenifchen Schiffen bei Naupaktos und Corcyra in bie
Hände gefallen fein, aljo lief man über das Meer hinüber nad
der africanifhen Küfte um die Athener zu tänfchen, wie Napo⸗
leon als er aus Aegypten nach Frankreich ging, den Admiral
Gantheaume zwang, fi dicht an ber Küfte von Africa zu hal⸗
ten, überzeugt daß die Engländer ihn da nicht fuchen würben.
Man wagte bei diefer Expedition allerdings, aber man wagte
gegen die Elemente, nicht gegen die Feinde und ber Erfolg war
glänzend. Bon Eyrenaica gingen fie nah Malta und von ba
nach Sieilien. Die Karthager haben bie Exrpebition gewiß eber
befördert, denn fie ſahen die Unternehmung der Athener mit
großer Eiferfucht. Indem die Syrafufaner ihre Schiffe durch
bie enge Durchfahrt in ben Hafen eingehen Tiegen, fo hatten
Set Kämpfe im Hafen. Aufbruch und Bernichtung ber Athener. 157
fe hernach auch eben fo gut den Weg wieder herauszuſegeln
unb fi hinter den Blodichiffen wieder in .Orbnung aufzu⸗
fielen.
Die Athener verfuchten als fie endlich aufbrechen Tonnten,
Die Linie der Blockſchiffe zu durchbrechen und bies fürdhterliche
Unternehmen wäre beinahe gelungen, aber ihre Schiffe Titten
Dabei ansnehmend und bie Syrakuſaner unterflügt von ben
Korinthiern griffen fest die Athener mit einer ſolchen Entfchlof-
fenbeit an, bie atheniſchen Schiffe hatten fo viel gelitten unb
Die Beſatzung durch Krankheit fo viel erbulbet, daß dieſe dem
Kampf nicht befteben Tonnten. Die athenifche Flotte warb jetzt
in einer jammervollen Schlacht gänzlich gefchlagen, viele Schiffe
erobert und verſenkt und bie entlommenen mußten ſich in Fläge
lichem Zuftande auf's Ufer werfen.
Nach diefem Schlage war für die Uebriggebliebenen nichts
Anderes zu thun ala ’zu Lande’ aufzubrechen und fih wo mög-
lich nad Katana durchzuſchlagen. Sie wollten ſich da feftfeßen um
von. da aus den Krieg im Inneren gegen Syrafus fortzuführen;
fie wollten einen verzweifelten Sreibeuterfrieg aushalten, um ihr
Leben thener zu verkaufen und vielleicht auch andere Umflände
herbeizuführen. Es war auch nicht unwahrfcheinlich, daß wenn
bie Athener in der Lage waren daß fie Hülfe fuchten, manche
Städte fih für-fie erflärt haben würben, bie ſonſt eiferfüchtig
waren. Anf jeden Kal aber hätte man augenblidiich aufbre=
hen und zurüdiaffen müffen was man nicht fogleich foribrin-
gen konnte, da die Syrafufaner und Peloponnefier in dieſer
Nacht fih trunten der Freude überließen. Das flug Demo-
ſthenes vor und biefer Entſchluß Yag ganz nahe, aber Nikias
ließ fih durch eine verrätherifhe Botſchaft des Hermokrates
täuſchen. Wahrfcheinkich iſt er auf dieſe Weife oft hinter's Licht
geführt, und auch bie früheren vorgefpiegelten Verbindungen
auf bie er rechneie, waren lauter Betrug. Hermokrates lich
ihm rathen, nicht übersikt. aufzubrechen, fondern fi zum Abzug
488 Aufbınd uns Vernichtung der Athener. Die Helden
zu rüfenz; die Syrafufaner würden noch vier und zwanzig
Stunden hingehen laffen, ehe fie Etwas unternähmen, fie follten
Alles abbrechen und nichts zurädlaflen, was fich retten ließe.
Nilias ließ fich durch dieſe Lift verleiten und wartete. Als nun
die Athener endlich aufbrachen, fanden fie bie Wege befegt und
abgefchnitten, die Päfle gefperrt, die Straßen unwegſam gemacht
und fo nad) einer Reihe von traurigen Gefechten, in benen ber
Zuſtand immer jammervoller warb, wurbe das Heer in zwei
Colonnen auseinander geriffenz bie eine unter Demoſthenes ver⸗
teste fih und warb durch Mangel an Wafler genöthigt in Häg-
lichem Zuſtande die Waffen zu ſtrecken. Das Leben warb ihnen
von den Syrafufanern zugefihert. Bald darauf war auch bas
Heer bes Nikias genöthigt, ſich gu ergeben.
Die Führer der Syrafufaner zeigten num durch bie größte
Unmenfchligfeit, wie unwürbig Syrakus eines ſolchen Sieges
war. Ungeachtet aller Zufagen dag ihnen das Leben gefchenft
fei, wurben Demofihenes und Nikias gefteinigt auf ben Rath
des Diokles, gegen das Anbringen bes Hermokrates, ber auch
als Sieger wie ein ‚großer Dann erfiheint. Dem Gylippus
war biefe Entfheibung unangenehm, er hätte die Befehlshaber
gerne aufgefpart und nad Sparta gefanbt, theils ale Mittel
eines Unterhanblung, theils als Tropaeen. Die Bunbesge-
noffen und SHaven der Athener wurden ald Knechte verkauft,
bie athenifchen Bürger in die Steinbrücdhe geworfen, wo fie ’auf
die allerbarbarifchfte Weife behandelt wurben und’ meiſtens auf
das Elendefte umkamen. Nur ein Heiner Theil wurde von
mitleidigen Sprafufanern gerettet und von biefen als Hausleh⸗
ver und Dausfflaven angenommen.
Diefen gewaltigen Erfolg verbantte Syrafus und Sparta
zwei ausgezeichneten Männern von fehr verfchiebener Art. Gy⸗
Iippus war ber Sohn des Kleandridas, eines Mannes, ber zu
feiner Zeit als Feldherr fich fehr ausgezeichnet hatte, aber wegen
feiner Unredlichkeit übel berufen war, indem er ſich in früheren
des Kampfes, Gyllpyus und Hermokrates. j 159
attifchen Kriegen verfauft und, weil er den Zug vereitelt hatte,
naher vor Gericht geſtellt und verurtheilt worben war; er
brachte fein Leben ald VBerbannter zu Thurti zu. Sein Sphn
Gpylippus war eben fo ausgezeichnet als Feldherr, gewiß einer
der größten, ben die griechifche Gefchichte kennt, aber er war
aud von berfelben gemeinen Habfucht befeelt wie fein Vater.
Das bewies er nachher indem er, als Lyſander ihm nach ber
Einnahme von Athen bie erbeuteten Schäpe anvertraute, bie.
nah Sparta gebracht werden follten, diefe Schäge auf eine ge»
meine unb niedrige Weiſe geradezu beſtahl. Er wurde deswe⸗
gen vor Gericht geftellt, und ohne Gnade verurtheiltz er warb
verbannt und beſchloß fein Leben in der Verbannung wie fein
Bater.
Hermokrates dagegen war gleichfalls groß als Feldherr,
aber zugleich ein würdiger, trefflicher Mann, wie er ſich ja auch
der Mifpandlung der Athener fo fehr wiberfegt Hatte. Auch
weiterhin als Befehlshaber der Galeeren, welche die Syrakuſa⸗
ner den Peloponnefiern nad) SKleinafien zu Hülfe fandten zeigte
er ſich als ein geſchickter Führer, der Feine Pflicht eines guien
Feldherrn verfäumte. Aber feine Widerfacher, eben bie Häup-
tee ber biutbürftigen Partei betrieben es, daß er zurüdgerufen
und yerurtheilt ward, Er entfernte fh nun. im Gefühle feiner
eignen Kraft und benahm ſich als großer Mann in biefen Um⸗
Händen, inbem er feine Race an feinem Vaterlande fuchte und
die fhönfle dadurch nahm, daß er feine Mitbürger beſchaͤmte
und eine Sehnfuht nach ſich unter ihnen rege machte. Die
unvıs für das vergoffene Blut ber Athener, für bie Unthat an
den Gefangenen ließ fi nicht lange erwarten. Im Anfange
bes vierten Jahres der Yiften Diympiade war die Kataſtrophe
gefebehen und ſchon in ber Y2flen Olympiade waren bie Kar⸗
thager auf Sicilien gelandet, hatten Selinus, Himera, Agrigent
eingenommen und zerfiört und erfchienen vor Syrafus, Die
Widerfacher bes Hermofrates, die jet in Syrafus an ber Spige
DL93,1.
160 Sermofrates.
Randen, benahnten ſich fo elend, daß ein Unglüd dem anderen
auf dem Fuße folgte. Jetzt erfchlen nun Hermofrates zu Hülfe
ähnlich wie der Comes Marcellinus im fünften Jahrhundert,
einer von den wenigen ausgezeichneten Männern im weftlichen
Reiche, der geächtet in Sicilien auftrat und von bier aus Sita-
lien, das Rand welches ihn geächtet, fo lange er lebte gegen
bie Unternehmungen ber Vandalen vertheidigte. So fammelte
auch Hermokrates eine Heine Schaar Schiffe und Soldaten und
erfehien mit biefen in Himera, welches die Karthaginienſer ein-
geäfchert Hatten, machte im Rüden ber feindlichen Armee die
fühnften Unternehmungen, that den Karthaginienfern unglaubli-
hen Abbruch, fammelte bie unbegrabenen Gebeine der Schladht-
opfer ber Farthaginienfifchen Grauſamkeit und beftattete fie: bei
den Griechen nicht bloß eine rühmlihe Handlung des Gefühle,
fonbern eine fromme Handlung. Sein ganzer Ehrgeiz trachtete
darnach, daß ihh fein Vaterland wieder aufnehmen follte, aber
das konnte er nicht erlangen, fo elend auch feine Widerfacher
Dort regierten. Er führte immer den Krieg gegen bie Kartha⸗
ger fort und als ihn enblih fein Zug gegen biefe bis unter
bie Mauern von Syrakus gebracht hatte, wurde ihm zwar durch
einige Freunde ein Thor der Stadt geöffnet, und er kam in Die-
ſelbe; aber da fuͤrchtete man angeblich feinen Ehrgeiz; Alles
ergriff die Waffen gegen ihn der allein fie gerettet hatte, es
entſtand ein Gefecht, und er fiel auf ber ayopd ber Stadt, für
bie ganz allein er gelebt und geftritten hatte. Dies thaten
bie Spyrafufaner, bie ſogleich darauf ben Dionyfius willig als
orocœrnyòog adroxgarwp erwählten, einen allerdings bedeutenden
Mann, aber einen abjheulichen Tyrannen. Vielleicht machte Her-
mokrates auch Anſpruch auf die Herrfhhaft, aber er war ein
ganz anderer Mann. Das if der Reid, ber wahrhaft ansge-
zeichneten Männern nie fehlt.
Schreckliche Tage und Mäflungen Athen's. 161
Der defeleifhe Krieg,
In Athen, wo früher Angft und Beflemmung war, vers
breitete jet die Nachricht vom Untergange ber Expedition einen
Schrecken, gewiß noch größer, als etwa bie Schlacht von Cannae
in Rom, oder bie Schlacht von Jena in unferen Tagen, Eine
Niederlage wie biefe, nach ber man gar nichts mehr hat, wo—
durch man das heranftrömende Unglück zurüdhalten könnte, wo
nichts mehr den Sieger aufhält, iſt auch bie entſetzlichſte Lage,
bie Menfchen erfahren koͤnnen. 'Wenigſtens an 40,000 Bürs
ger, Bundesgenofien und Sklaven waren umgefommen, und
barunter Fönnen leicht an 10,000 athenifhe Bürger geweſen
fein, und zwar meift ans ben reicheren, gebilbeteren Ständen,
Die Blüthe des athenifchen Bolfes war umgelommen wie bet
der Peſt. Welche Maſſe von Staatsvermögen untergegangen
war Täßt firh nicht fagen. Die Flotte war verloren’,
Die Folgen blieben auch nit aus. Dean fah voraus,
daß Chios, welches ſchon Tange gewanft hatte und fehr mißlich
geftimmt war, biefen Augenblick benugen würde um abzufallen
unb daſſelbe erwartete man von den tonifchen Städten Aften’s,
von denen Athen fo große Einfünfte hatte. Man fah voraus,
daß bie vier Infeln Lesbos, Chios, Samos und Rhodus au⸗
genblictich abfallen würben, Die Spartaner Tagen im Lande
zu Defelen und verhbeerten von dort aus weit und breit das
flache Land; man konnte nicht anders als unter ftarfer Bedek⸗
fung fih an die Küfte wagen. Wenn auch in mande Gegend
das ganze Jahr hindurch Fein Spartaner fam, fo war man
boch nirgends ficher ala in den feften Orten, 'und bie Athener
mußten bie Stabimauern befländig bewachen. Diefer Zufland
hatte aber nun ſchon ein Jahr gedauert’. In biefer ſchrecli-
Riebuhr Bortr. a6. 0.9. G. II. 11
162 Abfall Zonten's durch Allibiades.
chen Rage zeigte das atheniſche Voll ſich fo unbeugfam, wie die
Römer nach der Schlacht bei Cannae. Wäre damals ein ein-
ziger großer Mann in Athen geweien, bem fie das Ganze hät-
ten anvertrauen können, fo hätte vielleicht noch mehr gejcheben
fönnen; bewundernswürdig ift aber, daß obgleich diefer fehle
und nur mittelmäßige Leute vom zweiten und dritten Range
da waren, dennoch fo viel Zweckmäßiges gefhah um der Rot)
zu begegnen. Die Feine Zahl Schiffe, welche bie Athener no
an verſchiedenen Puncten zerſtreut hatten zog man fchnell zufam-
men. Alles fam darauf an der Bundesgenofien Herr zu blei⸗
ben, fonft war Alles verloren ').
Der unglüdlihfte Umftand für die Athener war, daß Al:
Hhiabes ſich jetzt 'als Landesfeind’ bei den Spartanern befand.
Denn er brachte in bie Unternehmungen der Spartaner das
Element hinein, weldes ihnen früher durchaus gefehlt hatte,
Energie und Gewandtheit, er trieb fie an zu Unternehmungen
und beftimmte fie, jest eine Flotte nad) Jonien zu fenden. Dierk
erfte Flotte verfehlte durch Ungefchidlichkeit ihren Zweck, fe
mußte in den Hafen einlaufen, und es ſchien dieſe ganze Unter-
nebmung ſcheitern zu wollen, Aber Alkibiades machte dies erfie
Mißlingen ganz unfchäblich; mit wenigen Schiffen ging er ſelbſt
nah Chios und Jonien hinüber und verfünbigte bort, dieſe
Ol.oi, 4. Schiffe feien nur Vorläufer einer größeren peloponnefifchen
Flotte bie ihnen bald folgen werde: fie follten jetzt von Athen
abfallen. In biefem Glauben empörten fih auch die Chier und
vereinigten ihre bedeutende Seemacht mit den Peloponnefiern;
biefe hatten nun ſchon eine hinreichend ſtarke Macht um ben
atheniſchen Galeeren begegnen zu Eönnen, Set gingen bie Per
loponneſier auf bas fehle Land von Jonien über und bier fielen
ihnen bie Drte zu, die in dem feltfam amphibifchen Verhaͤlmiſſe
ber Abhängigkeit von ben Athenern und den Perfern zugleih
’
2) Im vorfiehenden Abſatz iR die Reihenfolge ber Gäpe mehrfach abge
audert. A. b. G.
Allianz Gyarin’s mit Perſien. 188
ſtanden. Obgleich bie Abgaben von biefen Orten vegelmäßig
im Berzeichniffe der Perfer eingetragen fanden, als dem Könige
gehörend, trugen fie biefelben meift nicht an bie Perfer ab, ſon⸗
dern bezahlten fie an Alben, Erythrae, Teos, Miletus fielen
eine Stadt nach ber andern ben Peloponnefiern zu. Diefe aber
ſchloſſen num Verträge mit Tiffaphernes im Namen bes Königs
von Perfin — Darius war damals Großherr — und für fi
jelber als Satrapen, und opferten ihm bie afiatifchen Grie«
hen auf.
Diefe Berbindung Sparta’s mit ben perfifchen Statthaltern sa. 8.
Ziffaphernes und Pharnabazus und durch fie mit dem Hofe zu
Sufa war bas, was unter ben jetigen Umſtaͤnden ben Athe⸗
nern bie größte Gefahr brachte. Die Athener waren der Ges
genfkand der Antipathie und der unverföhnlichen Abneigung für
bie Perſer; fie hatten fich nie darüber getäufcht, daß ihre eigent⸗
Iihen Widerſacher in Griechenland die Athener waren, und
fürdhteten fi vor ihnen, vor den Spartanern nicht. Sie wuß⸗
ten, baß bie Athener nicht nur die Infeln, fondern auch bie
Städte anf dem feſten Lande ihnen entziehen würben und fuͤrch⸗
teten ſich vor einer Seemacht. So fanden fie fich mit den Spar⸗
tanern zufammen, und biefe fhämten fich nicht, mit ben Perſern
einen Subfidientractat zu unterhanbeln, wodurch Tiſſaphernes
im Ramen bes Königs den Beiſtand ber phoenicifhen Flotte
und große Subſidien zur Befolbung ihres Heeres verſprach, fo
daß fte in allen griechifehen Gewäflern mit perſiſchem Selbe
fchiffen Fonntn. Dafür begaben fie fich ihrerfeits im Namen
ber Griechen aller Aufprüdhe auf die Freiheit ber griechiichen
Städte in Afien. Der Bertrag ging ungeheuer weit: alles Land,
weiches dem großen König ober feinen Vorfahren zugehört hatte
in ganz Aften, erfannten und ficherten fie ihm zu. Nicht bios ber
Frieden bes Antallibas ber von den Rhetoren getabelt worben, iR zu
fhelten: der war nicht fchlinmer als dieſe erfien Berträge. Man
fieht in biefen Tractaten die Moral ber Spartaner; durch dieſe
11*
D.9,1.
164 Altigiabes wendet fich Achen wieber zu.
Berträge verfepten fie ber Hegemonie ber Athenienſer den Todes⸗
floh, und als fie nan bie Macht berfelben niebergeworfen und
fig die Hegemonie erworben hatten nach dem peloponnefifchen
Kriege, da übten fie ihre gewöhnliche Treulofigfeit auch gegen
Die Perſer. Es giebt feinen treuloferen ungerechteren Krieg, ale
den des Agefilaus gegen die Perfer nachdem fie einmal jene
Berträge gefchloffen hatten; fie hatten alle biefe Gegenden auf⸗
gegeben und nun da fie fi) mächtig genug fühlten ihr Reich
auszubreiten, vernichteten fie ihren früheren Vertrag.
Alkibiades hatte die Spartaner nach Jonien bingeführt
und damit hatte er feine Rache gefühlt. Die Rade, welde er
an feinem Baterlande nahm, war wie der Morb eines Eifer:
füchtigen, ber die That nicht überlebt. Er hatte fih an den
Athenern gerächt, aber er wollte nicht die Bertilgung Athen's,
und feine Graufamfeit fchmerzie ihn bald. Das merkten bie
Spartaner und fie halfen fih auch bier nach ihrer Moral, in-
dem fie ihrem Befehlshaber den Auftrag gaben, ihn umbringen
zu laſſen. Allibiades ließ fih aber burd bie fpartanifche Plump-
beit nicht täufchen, und ba er fein Leben bedroht fah, entwifchte
er durch einen Vorwand auf das fee Land von Aſien und
entkam zu Tiffapherned, Er bemächtigte fich gleich bed Ge⸗
müths beffelben und biefer, wie ein Zeber der mit ihm in Be⸗
ziehung kam, gerieth ganz unter den zauberifchen Einfluß feiner
Perfönlichkeit. Er überzeugte ihn, daß es fehr thöricht wäre,
wenn er weiter gehe als ſchon gefcheben, zeigte ihm wie unmä-
Big bie Anfprühe der Spartaner in Bezug auf bie Subfidien
feien, die fie nach Zahlungsfägen [für ben Sold ber Matrofen]
die ganz unerhört waren einforberten, überzeugte ihn, daß er
ſich doch nicht diefer Berantwortlichleit gegen den großen König
in Sufa ausfegen möchte, und daß es feine wahre Politik wäre,
beide Städte fi unter einander aufreiben zu laſſen. So pa⸗
ralyſirte er ben Tiſſaphernes gang und vergalt ben Spartanern
gleich ihre boshaften Abſichten gegen ihn.
Alliblades wendet ſich Athen wieder zu. 165
Sein Herz ſtand darnach nach Athen zurückzukommen. Auch
hier ahnete man bald, wie er ſeinen Einfluß auf den perſiſchen
Satrapen anwandie, und wie nützlich er fein könne, und fo
entftand zuerft bei dem atbenifchen Heere in Samos ber Ger
banfe ihn zuräüdzurufen, da feit feiner Berbannung Alles
fhleht ging. Diefe Gefinnung förderte .er ſelbſt auf alle mög⸗
lihe Weife und wanbie feinen ganzen Einfluß an, um bag Uns
glück Athen's zu mildern, Es war eine große phoenicifche Flotte
von 160 Schiffen in Pamphylien erfchienen, bereit in bie grie-
chiſchen Gewäfler zu fommen; gelangten fie bis nad Griechen⸗
and, fo war bie atheniſche Macht zerfiört. Hier bewog ex bie
Perſer, bie Flotte wieder zurüdiehren zu laffen, unter dem Vor⸗
wanbe Daß fie nad Syrien ziehen müfle, das durch das auf⸗
rührerifhe Aegypten bedroht war. Die Spartaner mußten ſich
dies gefallen laſſen. Das war ein ungebenres Verdienſt um
Athen. Nun wandte er fih an bie Befehlshaber des Heeres,
um feine Zurüdberufung durchzuſetzen und machte zu dieſem
Zwede ben Borschlag, die Berfaffung in eine Oligarchie zu
ändern. Das erjhien fehr Iodend, dba er bagegen verſprach
ben Xiffaphernes ben Spartanern abwendig, und wo nicht zum
Bundesgenoſſen der Athener Doch neutral zu machen’.
Ueberali war aber bei den Athenern jegt die Anficht, bie
bei Dem Hange ber menfchlichen Natur eine beffere Wendung
zu hoffen nad) großen Unglüdsfällen ſich häufig zeigt, [daß man
die Urſache des Unglüds in fich felbft habe und zur Befferung
ſelbſt beitragen müfle]: man ſucht biefe da wo fie nicht Liegt,
meint, fie liege in ber menichliden Hand unb dieſe koͤnne
hüffreih fein. Und fo glaubte man, bag man dur Abs
änderungen in der Verfaſſung und ben Einrichtungen auch
dem Unglüd eine andre Wendung geben und den ‚Gang bes
Krieges beſſern könne. Diefe Gefinnung iſt es, die in ben
Stüden bes Ariſtophanes Far liegt zwar nicht als feine eigne,
aber als ber allgemeine herrfchende Trieb der Athener in ver⸗
166 Allialabdes wenbet ih Athen wieber zu.
ſchiedenen Richtungen: baß man Alles ändern kann, wenn man
nur alle Sachen anders nehme. "Der Zuflaub ber Demofratie
war völlig aufgeloͤſt; das Bolt war in den Händen ber ſchlech⸗
seften Demagogen, Fein einziger bebeutender Mann fland an ber
Spitze. Alle Talente waren unter den Ariftofraten. So batten
fih fon Parteien in Athen gebildet um bie Berfaffung zu
ändern’,
Der Hauptſtützpunct ber atbenifchen Macht in jenen &e-
genden, wo ber Sit bes Krieges war, war in Samos, wäbh-
rend bie Spartaner Herren von Chios und Rhodos waren.
Samos das früher einen fo erbitterten Krieg mit den Athenern
geführt hatte, war jest ihnen fehr ergeben, weil bort [eben] eine
ganz bemokratiiche Revolution eingetreten war, und bie Ariſto⸗
fratie ein Ende genommen hatte. Dort wie auch auf Chios
War ein Injuos, eine Bevölkerung ber Landfchaft, der unter ber
Herrſchaft der Stabibärger Rand; biefe Herrfchaft übertrug Athen
feßt auch auf die Landſchaft, und fo war biefe Landſchaft ent-
ſchieden mit ihnen: wie bie neuen Gantone ber Schweiz ihre
Erhaltung barin ſahen, daß bie alten [dreizehn] Orte nick
wieder bergeftellt wurden‘). Samos bat auch bis nadh dem
Falle Athen's treu ausgehalten. "Mit etwas mehr Kräfte wär-
den die Athener au in Chios eine Revolution zu ihren Gun⸗
fen bewirkt haben’. — In Samos war alfo das Hauptquar-
Ser der athenifchen Macht; der Krieg warb mit wenig Lebhaf-
tigleit geführt. Da wurbe es im erften Jahre der Y2Ren Diym-
piade, ein Jahr nad der Zerflörung ber Flotte in Gicilien, der
Sig einer unendlichen Berwidelung von Sntriguen, wie wir
) Der oben ſtehende Sa flieht nur in einem Hefte, unb in diefem buch:
Räblich fo wie er abgedrudt il. Cr muß mißverftanden fein, aber eine
fidere Emendation laͤßt fi nicht machen. — 1826 hält übrigens N.
den Demos (nach Thukydides) anf Samos und Chios, mit ven Sram:
matifern für Leibeigne nnd verweift deswegen auf Ruhnken's Bemer:
fungen zu Timaeus, Lex. Plat. s. v. neveorer, Alberti zu Heſychins
uud Stephan v. Byzanz 8. v. xoc. A. d. H.
Lellonde Männer, Autiphen. 167
ſelche 3. B. in den italiäniſchen Staaten bes 15ten unb A6tem
Jahrhunderts wiederfinden, wo es bie größte Aufmerkſamkeit
erfordert, ſich nicht durch fie irre leiten zu laſſen um fie begrei⸗
fen zu fönnen, weil fie oft eine ganz andere Richtung haben
als die worin bie Leuie felbft fie faben., Um jene Intriguen
zu begreifen, muß man fich mit ben Leuten, die damals das
vornehmſte Anfehen hatten, und mit deren Perfönlichleit bes
ſchaͤftigen. | |
In Athen felber waren bie beiden geiftreichften Männer
biefer Zeit, Antiphon von Rhamnus und Theramenes. Anti-
phon war der Vater der eigentlich vollendeten Berebfamfeit in
Griechenland, wenigftens ber Erfte, der vollendete Reden ge⸗
fhrieben hat, — denn früher waren fie zwar vorher burchbacht,
nicht aber zu Papier gebracht, und gebildet wurben fie in ber
Gegenwart, — ber Erſte, der bie Beredſamkeit in bie Lit⸗
teratur hineinzog. Bon ihm haben wir gewiß zwei Achte
Reben, 'die über ben Tob des Chorentes und den Mord des
Herobed’ — mehrere andere find ohne Zweifel falſch, — bie
ein ganz vortreffliches Bild von dem Charakter ber Beredſamleit
in ber damaligen Zeit geben. Bon feiner Berebfamkeit geht ber
Styl des Thukydides aus. Anfangs findet man biefe Art
herbe, ernſt und nah unferm Gefühle hart bis man fi da⸗
mit vertraut gemacht hat; wer aber einmal damit vertraut iſt ber
findet fie, wie ben Thukydides, durchaus ſchoͤn. Wie die doriſche
Architektur zur ionifchen, fo verhält fich Die Berebfamfeit bes Auti⸗
phon und des Thufpbibes zu der bes Demofthenes, bie ſich wieder
zu der bes Demetrius Phalereus und Anderer verhält, wie die ioniſche
Architeftun zur Lorinihifchen; ja man Tann hier noch weiter ger
ben und die Ausartungen ber fpäteren Rhetorif mit ben weites
en Ausartungen ber Architektur vergleichen. Bon ben beiben erfien
fann man Feiner unbedingt den Vorzug geben, Aud kann man
die ältere Kunſt mit Polygnot's und Phidias' Kunft gegen bie
des Prariteles vergleichen, Die ältere iſt die frenbigere, weil
168 Uintiphon, Theramenes.
fie noch einen Schritt vorwärts hat, noch Raum zur Entwide-
fung, während bie andere ſchon am Ziele flieht und nur über
die Vollendung hinaus gehen Tann. Ueber das Bollendeie bes
Demofihenes hinaus verfiel man ſchon in eine fehlerhafte Ma-
nier, über den Styl bes bewundrungsmwürbigen $rariteles kam
man in einen falfchen, ebenfo über Die ionifche Architektur hinaus
war ber Verfall, — Antiphon war ein Athener von fehr an-
geſehenen Verhältniffen und Gefchledht, ber die Bortheile feines
angebornen Talents zum xonuarionuöos benußte, bamit Gelb
machte. Er fchrieb Neben für Andre, die nidt im Stanbe
waren fie ſelbſt zu machen, und mit dem Zauber feiner Bereb-
famfeit ſich behalfen.
Diefer Antiphon war nach allen feinen Verhälmiffen miß-
trauiſch und der bemofratifchen Berfaffung abhold, war geneigt
zu ändern, gehörte aber zu den Männern, die wenn fie bei ben
durch Die Zeit veraltenden Verhaͤltniſſen nah einem Neuern
fireben dies aus unverfländiger Erwartung eines glücklichen Er-
folgs thun, während Andre aus unreinen Motiven barnad
traten, Antiphon’s Unglück war, daß er durchaus nicht im
Staate, fondern ganz entfernt von ber Wirklichkeit der Verhält-
niffe lebte. Er hatte Teinen Begriff vom Staate, mochte in
Träumen, die fih in die alten Zeiten verloren, fi ergehen:
ein merkwürdiges Beiſpiel, wie feltfame Träume bamals in
einigen Köpfen fledten und wie Andere dies benutzten, werbe ich
naher anführen.
Ein Mann ganz anderer Art, unendlich viel fähiger für
den Staat, ein Mann von fehr ausgezeichneten Talenten, dem
aber die Gewiſſenhaftigkeit fehlte, war Theramenes, der fipäter
als ein Opfer der Tyrannei ber Dreißig fiel, zu deren Einfez-
zung er felbft beigetragen. Er ift einer der merkwürbigften
Charaktere in der alten Geſchichte; ich will einmal über ihn
ſchreiben. Er war als Feldherr ausgezeichnet und auch glüd-
lich, unermuͤdlich, geſchickt; er Hatte eine ungemeine Berebfam-
Theramenes. 18
keit, vielleicht nicht gelehrt ausgebilbet, aber mädtig. Dabei
war er, was man am Wenigften erwarten follte, ein durchaus
wohlmwollender und billiger Menſch, ein Dann, ben die Ber-
kehrtheit und Unbilligfeit überall wo fie war affieirte, ber aber
ganz allein dem Augenblide und ber Gegenwert lebte, und ba-
bei weber um Bergangenheit noch um bie Folge fich Fümmerte.
So war ed möglih, daß er plößlich zur Oppofition gegen bie
Partei zu der er bieher gehörte übergeben Tonnte, weil fie ihn
nicht mehr gefiel oder in ihrer Unbilligkeit ihm nicht Gehör
gab. Er ging dann zu ber andern Partei über, und gefiel auch
dieſe ihm nicht mehr, oder machte die alte ihm Anerbietungen,
fo ging er wieder zu jener zurüd. Wegen biefed Wechſels Hatte
er den Namen x0Iopvos. Die Sandalen waren für einen Fuß
gemacht, der Kothurnus war für beide Füße glei, fo einge
richtet, daß er an fjebem Fuße gebraucht werben konnte wie
man wollte, nicht fo die Sandalen. Er hat fehr oft feine Par⸗
tei gewechſelt. Weber ihn ift viel geredet worden und Die wer
nigen Neuern die fi ernftlih mit ihm befchäftigt haben koͤnnen
mit ihm nicht fertig werben. ch begreife ihn völlig und glanbe
dag man feinen Charakter vollfommen fchildern Tann. Bei
allen feinen Berirrungen und Sünden kann ich nicht Taffen ihn
zu lieben: er hat für feine Vergehen und Mißgriffe fchwer ge-
büßt. Er gehört zu ben Sünbern von benen es im Evangelium
heißt: es wird mehr Freude fein über einen Sünder, wenn er
in fih geht und fich befiert, als über neun und neunzig Ge-
rechte, Wer in Gefahr zu fallen iſt, und durch Iobenswürbige
Motive zu Falle gebracht wirb, der ift befler als der aus Un-
fähigfeit und Mangel an Berfuchungen ſchuldlos if, In die⸗
fem Sinne if er mir gar nicht anftößig, ich theile vielmehr
bas Gefühl, das bie Alten durchgehende für ihn hatten, Cicero
liebt den Theramenes '), obwohl er gewiß bie einzelnen Hand⸗
Jungen im Leben deſſelben gewürbigt hat, und fie zu vertreien
1) Tuscul. 2, 40.
sm Theramenes. Piſender. Phrynichns.
wicht geſtant war. Es find einzelne Thaten in feinem Leben
Die gar nicht zu rechtfertigen find, wohl aber find fie zu ent⸗
ſchuldigen, denn neben ihnen ſieht immer feine fchöne Rüdkepr,
ba er fie wieder gut maden wollte; er iſt das offenfie Gemäth
son der Welt gewefen, das ſich nicht fchente, feine Schuld zu
befennen, und ben größten Eifer hatte feine Fehler immer wie⸗
ber gut zu machen. Wie er büßte für die Irrthümer feines
Lebens, das muß Alles gut machen, — Theramened gehört
nun zu denen, bie in ber bamaligen Ausartung der athenifchen
Demofratie einen Zuftanb fahen ber unmöglich fortbauern Tonne,
und bie geneigt waren eine Veränderung herbeizuführen, aud
fah er in der Beränderung ber Berfaffung ein Mittel, zum all-
gemeinen Frieden von Griechenland zu wirken. Das waren
bie beiden bebeutenbfien Männer bie in Athen für eine Revo⸗
Intion geflimmt waren.
Im Lager zu Samos nun befanden fih unter deu Be⸗
fehlshabern zwei hervorragende Maͤnner von ganz verfchiebener
Art. Ein fehr praktiſcher Menſch, befien moralifhen Werth
wir aber nicht im Stande find fo mit Beſtimmtheit zu wuͤrdi⸗
gen, wie ben bes Antiphbon und Theramenes, iſt Pifanber.
— Ich babe von ihm eine ungünftige Meinung. Er war ein
ungeheurer Jutriguant und hatte im Lager zuerſt den Gebanfen
einer oligarchiſchen Revolution, Er war fehr gewandt unb
verſchlagen, Hatte viel Einfluß und beſaß dabei eine ungemeine
Kedheit und Verwegenheit. Er war es, ber nad Athen ging,
die Revolution einleitete und fie mit hoͤchſtem Eifer burchfeste.
Bei weiten fehlimmer aber ald er und der Aergfle ber bama-
ligen Zeit war Phrynichus, ber eigentliche Oberbefehlshaber.
Diefer gehörte nach feinen Verhaͤltniſſen und Neigungen zur
Demofratie, und fcheint ſich als Demagoge gehoben zu haben.
Er war ein Dann von großem Talent und von gefundem Ur⸗
theil, aber vollflommen ruchlos, ohne einen Zug von Gewiſſen.
Unter einer Monardie oder einer firengen Ariſtokratie hätte er
GEinleitung der Revolution. 174
ſehr nuͤzlich werben konnen, in feiner Rage warb er ein reiner
Teufel, Sole Menfchen finden ſich in den italiänifchen Frei
ftanten im 16. Jahrhundert nicht felten: überhaupt ift Die Gefchichte
biefer Staaten ein wahres Borftubium für die alte Geſchichte'.
Pifander brauchte nun als Köder für die Revolution bie
Borfpiegelung, daß Alfibiabes Perfien für Athen gewinnen
werbe, Alfibiades war auf die furchtbarſte Weife geächtet: nun
dachte man, wenn man eine Revolution mache, Fönne man aud
Alkibiades zurüdrufen, und dieſer werde den Subfidientraetat
ber Spartaner mit ben Perfern auf Athen übertragen. Phry⸗
nichus war aber ber Sache höchſt zuwider; er hatte entſchie
den einen perfönlichen Reid gegen Alkibiades: er mußte fürd-
ten, daß wenn Alfibiabes zurädfehre, biefer ihn ganz verdunkein
würde: fo mag er vielleicht auch die Meinung getheilt Haben,
dag Altihiades dann auf die eine oder andre Art förmlich ober
im Geheimen völlig eine Dictatur über Athen ausüben würde.
Ich glaube nicht, daß Alfibiades wirklich für fih nad ber Ty⸗
rannis getrachtet hat, ba ed damals eine ganz frembe Sadıe
war. Dinge hängen außerdem von ber Zeit fehr oft ab, was
zu einer Zeit möglih, iſt zu andern Zeiten entfchieben un-
moͤglich. So war in früheren Zeiten bis gegen Olymp. 70 in
Griechenland nichts natürlicher, als daß ſich Tyrannen aufwar-
fen und ebenfo war nach dem peloponnefifchen Kriege nah Olym⸗
piade 100, da alle Staaten fich Lohntruppen hielten, wieder
nichts natürlidder als daß dieſe fich in der Stabi empörten und
die zuoawmides auflamen, aber während der 120 Jahre die in
der Mitte lagen, war die zugavvis etwas Unnatürlihes. Wer
bamit ſchreckte war einfältig ober wollte hintergehen. Alkibia⸗
des felbft hat ohne Zweifel darauf gerechnet, daß er ohne Do⸗
ryphorie, durch nichte Anderes als durch feine bloße Perſoͤnlich⸗
feit einen folchen Einflug wie fein Vormund Perikles ausüben
werde, freilich um fo viel Fräftiger einwirken könne, als er ſel⸗
ber kraͤftiger war.
1% Cialeituug der Revolution.
ie alfo [von Alfibiabes] die erflen Borfihläge gemacht
wurden, und Pifander fie unterflüßte, wies Phrynichus dieſe ab,
unb warnte um Himmelswillen bavor: man möchte den Ge—
banfen aufgeben, er würbe zu gar nichts führen, und das Uebel
nur ärger machen. 'Er bemerkte fehr richtig, daß Alfibiabes
feiner Perfönlichfeit nach gar nit eine Oligarchie im Ernft
wollen Tönne: er bedurfte einer Demokratie. Um nun feine
Keinde zu flürzen, Tieß er ſich fest in eine verrätberifhe Cor⸗
responbenz mit ben Spartanern ein, zeigte ihnen wie bie Sachen
fländen und ermunterte fie zu einem Angriffe. Diefe Briefe
wurben aufgefangen, kamen ‚an Alfibiades, und biefer fanbie
fie an bie Atbener. Da Phrynichus fich verrathen ſah, machte
er noch einen neuen Verſuch, der, wie er ſah, auch verratben |
werben mußte, unb gab nun vor, er habe die Spartaner hin-
tergeben und fie zu einem unüberlegten Angriffe verloden wol-
In. Er fpielte das Spiel, welches Wallenflein in feinen letz⸗
ten Jahren gefpielt bat, was durch und durch Unredlichkeit,
eine Mifchung von Berrath und Gegmverrath if. So unter:
richtete Phrynichus alfo die Athener zuvorkommend yon feinem
Briefwechſel. Da er aber [doc] durch [die Anzeige des] Al⸗
kibiades aufs Höchfte compromittirt zu fein glaubte, ging er
jest [um fich zu retten] in Piſander's Vorfchläge ein und von
dieſer Zeit an warb er aus dem ernfthafteften Wiberfacher ber
"Revolution ber thätigfte und geſchickteſte Beförberer derſelben.
Pifander fam nun nach Athen und bei feiner Ankunft fin-
gen alle die verfchiedenen Elubbs (ovrwuoolaı) von benen id
vorher ſprach an, ihren Einfluß für feine Zwede wirken zu Yaf-
fen, theils um zu fchreden, theils um zu gewinnen. Mit Er-
Raunen ſah man nun auf einmal, wie viele und welche Maͤn⸗
ner für den Umſturz der Berfaffung geflimmt wären: viele, bie
man für ganz bemofratifch geflimmt hielt, bie an ber alten Ber-
faffung hingen, fah man unter ben Verſchworenen. 'Es gibt
Worte und Begriffe, die nicht felten Parteien bewirken, weil fie
Einleitung und Ausbruch ter Rewolution. 473
einen fo weiten Umfang haben, daß ein Jeder efivas anderes
als ber Andere hineinlegen kann, wie es gerabe für feine Zwecke
paßt: fo Freiheit und Gleichheit, und fo war es damals mit
bem Begriffe der Dligarchie in Athen. Es vereinigten ſich Pier
bie verfchiebenften Intereſſen: die Einen waren ber Herrichaft
ber Demagogen und Spfophanten mübe, die Anderen meinten
dann von größerem Gkwicht zu fein, Andere gedachten gar bie
alte Arifiofratie wieder einzurichten. Alles vereinte ſich alfo zu
dem vermeintlich einen Zwede, und’ jest Fam bie Stimmung
bei der allein eigentlich eine Revolution möglich ift, wo bie,
weiche bie Regierung in Händen haben, fih fagen: „es iſt vor=
bei, die Revolution muß kommen, es Tann noch 8 bis 14 Tage
bauern, aber fie bridt aus und wir unterliegen;” und we
ebenfo bie, weldhe eine Revolution wollen, aud fagen: „ſie
fommt.’ Das ift die einzige Stimmung bei ber eine Revolu⸗
tion unabänderlich iſt; ift dieſe nicht da, fo müßte eine Regie⸗
rung ſich ſelbſt Findifh verratben, wenn eine Revolution aus⸗
brechen follte. Diefe Stimmung herrſchte auch damals, da jeber
ſich fagte; „bie alte Berfaffung iſt vorbei, eine neue muß kom⸗
men, welche aber wiffen wir nicht; das wird fich zeigen. So
fam man zur Berufung einer Berfammlung und in biefer warb
ber Beihluß gefaßt, daß Nomotheten ernannt werben follten,
um eine neue Eonftitution einzurichten.
Hier zeigte fih recht, wie bie große Maſſe Null war, Die
Menge bie an der Regierung Theil genommen ſchwieg fill und
ließ Alles gefchehen, obgleich fie ihre großen Vortheile verlor.
Denn es wurden nun alle Diaeten abgefchafft, Altes follte aufs
Sparfamfte eingerichtet werben und ale Grundſatz wurde fefgefeht,
bag weber die in der Bolfsverfammlung, noch die in den Ge⸗
richten bezahlt werben follten., So ward denn erſtlich befchloffen,
baß es erlaubt fei alle bis dahin verbotenen Anträge zu machen.
Denn es waren gewiffe Anträge auf das Schwerfle verpoͤnt,
(yeayas-magaröuwr) und man nahm ſich mit biefen fehr in:
174 AUntbruch ver Mevolntien.
Acht; dieſe Strafen wurben nun aufgehoben und einem Jeden
freigeftellt, Borfchläge wegen ber neuen Berfaffung zu machen.
Dann wurbe das wungıoue bes Piſander genehmigt, daß durch
immer wechſelnde Eonptation ein Rath gebilbet werben follte
Drei Männer follten ernannt werben; jeder von dieſen follie
bis zu hundert wählen, feber von dieſen hundert follte Drei neb-
men und biefe Bierbundert follten aufammen einen ſouverainen
Rath bilden, der die ganze Regierung in Händen hätte. Dann
ſollten zugleih aus der Bürgerfchaft fünf taufend Bürger aus⸗
gewählt werben, die angefebenften unb würbigften; biefe follten
als großer Rath bie founeraine Gewalt haben, zu den Aem⸗
tern erwählen und bei vorfommenden Fällen ber Rath der Bier:
hundert ſich mit dieſen beratben. Mit diefer Verfaſſung war
bie Revolution gemacht. Die Form bes Rathes von Bierhun-
bert if ein Traum bed Alten. Der Rath bis auf Kliſthenes
Zeiten hatte aus Bierhbundert beflanden, jede ber alten Phylen
hatte hundert. Wenn man nun ben Riebhabern des Alten, welde
bie große alte Zeit auf dem nächften Wege zurüdführen wollten,
fagte, daß man ben Senat wieber hergeftellt habe, wie er zu
Solon's Zeiten war, fo waren fie”ganz zufrieden. Denn, dach⸗
ten fie, haben wir erſt einen Rath von Bierhundert, ba haben
wir die gute Zeit wieber wo Alles fittfam und ordentlich her⸗
ging ohne Revolution; Zünfhundert ift eine böfe Sache, Diefe
Logik war ganz entfcheidend,
Die Art wie biefe Revolution gemacht wurbe, bie Mittel
wodurch die Geſellſchaften eine folhe Revolution obne frembe
Truppen möglich machten, wie man bie Demofratie bewog, fi
ſelbſt zu caffiren, iſt unbefchreiblich merfwürbig in ber Erzaͤh⸗
Yung bes Thulydibes, Die Führer der Geſellſchaften erlaubten
ſich zu fchreden, verübten einzelne Ermorbungen wie burch ein
gehrimes Gericht und es hatte ſich die Meinung verbreitet, baf
wer ſich gegen fie rege, befien Leben verfehmt ſei. Niemand
tsaute bem andern innerhalb ber Parteien, Die Partei ber
Herrſchaft der Bierhunbert. 119
alten Regierung war mißtrauifch gegen einander; wenn MER
erfuhr daß Einer nit für die Revolution war, erſchrak man
und wußte nicht wozu er ſich denn halte, — Unter ben Leuten,
die von Bedeutung waren, befand fich ſchon damals Kritias,
der Großoheim bes Plato, der Elegiendichter; er gehörte zu
der alten attifchen Ariftofratie, den alten Gefchlechtern und war
ein höchſt geiftreicher und gebildeter Dann, ber gewiß wenn
wir feine Werfe hätten zu den vorzüglichften der alten Schule
in ber Litteratur gehören würde, Er "war aber ein burdaus
böfer Menſch, ohne Gewiſſen, eine unerbittlide Graufamfeit,
ja eigentlicher Blutdurſt zeichnete ihn aus; damals konnte er
jedoch von biefer Seite noch nicht befannt fein und er hatte gro⸗
Bes Gewicht durch feinen Geift und feine Bildung. Auf der
entgegengefetten Seite flanden allein Thrafybulus, — der nach⸗
ber Athen von den Tyrannen befreite — und Thraſpllus. Diefex
ift perfönlich nicht bedeutend. Jener war ein Mann von gro—⸗
Ger praftifcher Bähigfeit, von Charakter, Ernſt und Iöblichem
Sinne, aber nichts weniger als ausgezeichnet an Geift und
Talent; er gehört zur Zahl ber großen Männer durch In
Charakter und feine praftifhe Gewandtheit.
Man muß wirklich glauben, daß bie Anftifter ber Revolu⸗ 55.9.
tion mit Ausnahme Weniger nicht im Einverftändnifie mit den
Spartanern gewefen find. Wenigflens fahen fih Mande die das
geglaubt 'und fich beswegen mit den Oligarchen vereint hatten,
um einen ehrlichen Frieden zu bekommen' in ihren Erwartungen
fehr getäufht. Sie Hatten geglaubt, daß die Spartaner feine
Schwierigleit machen würden mit ben Athenern zu unterhaubeln,
fobald fie moralifhe Garantie für die Dauer [des Friedene ]
hätten. Daher machten fie bald nach Veränderung ber Ver⸗
faſſung ihnen SFriedensanträge; dieſe wurben aber von ben
Spasianern fo übel und verächtlih aufgenommen, ald ob fie
son der entfhiedenftien Partei ber Demofratie gelommen wären.
176 Herrfgaft der Bierhumbert.
Kurz die Bierhundert fahen mit großer Beſtürzung, daß fie
nicht [aus der alten Tage] berausfamen.
Sp Hatte bie Revolution bie Lage Athen’s noch bebeutendb
verfchlimmert, bie Führer hatten jetzt auf zwei Seiten zu ſehen,
da fie auch auf die achten mußten, welche bie Berhältnifle ber-
geftellt haben wollten. Während bisher Athen feine Macht auf
die Anhänglichkeit Der Demokratie gegründet und in ber Demofratie
ber Bundesgenoſſen eine Garantie gefehen hatte, fahen bie Füh⸗
ver jetzt eine Sicherheit darin, die Demokratie in den von Athen
abhängigen Staaten abzuftellen und eine gemäßigte Ariftofratie
einzuführen. Das hatte aber Die Folgen bie es nothwendig
haben mußte, und bie wir ung würden ergänzen fünnen, wäre
ung auch nichts davon überliefert worden. Gerade beswegen
weil bie Revolution bie fie jegt machten, gemäßigt war, ge⸗
nügte fie feiner Partei und befriedigte bie Anhänger der Dli-
garchie gar nicht; daher gingen biefe einen Schritt weiter,
machten eine zweite Revolution und eine ganz oligarchifche Ver⸗
faffung und warfen fi enblich den Spartanern in die Arme.
So verlor Athen manden Bundesgenoflen.
Das kann man übrigens den Vierhundert nicht nachfagen,
daß fie Athen tyrannifch regiert hätten, Selbſt Pifander und
Phrynichus, obgleich fie feine Ehrenmänner waren und ihr Ruf
nicht günftig auf die Nachwelt gefommen ift, machten ſich doch
feines Verbrechens fehuldig, und man findet Feine folche Anſchul⸗
Digungen gegen fie, wie gegen bie Dreißig. Aber die Sade
ging ganz ſchlecht, Das Heer in Samos fündigte ihnen ben Ge⸗
horſam auf und nun bildete ſich in ihrer Mitte eine viel ſchlim⸗
mere Partei, durchaus ariſtokratiſch, an deren Spitze freilich auch
Piſander und Phrynichus ſtanden und viele Leute der Eupatri⸗
den; — unter andern war auch ein Miltiades dabei, wahr⸗
ſcheinlich ein Nachkomme des großen Miltiades: wir müſſen
und damit tröften, daß auch ein Nachkomme bes Miltiades in
ber finfenden Zeit Athen's gegen Macebonien zu ben brav:
Revolution des Heeres zu Samos. Rädkerufung des Allibiades. 277
fen Bürgern gehörte und — fih mannbaft und trefflich gehal⸗
ten hat,
Heer und Flotte zu Samos genoffen glücklicher Weife ruhige
Zeit durch bie Unthätigkeit und das unbefihreibliche Phlegma
der Lakedaemonier. Braſidas und Lyfanber find die einzig wah⸗
en Feldherren die Sparta zu biefer Zeit hatte, bie einzigen
Männer bie ſich regten, voll Luft zum Kampf, aber biefe aus⸗
genommen waren fie alfe von einer unfäglichen Schläfrigfeit
und das war ein großes Glück für die Athenienfer. Hätten fie
unter diefen Umſtaͤnden ben Krieg mit Lebhaftigfeit geführt, fo
war Athen verloxen, Das Heer von Samos, das fich ſelbſt
als den Kern ber Nation anfab, faßte jetzt Vollsbeſchluͤſſe, als
ob fie Athen geweien wären, So beichloß es nun, befonderd auf
den Rath bes Thrafpbulus und Thraſyllus, den Alkibiades zu⸗
rädgurufen, 'dem es nie mit ber Dligarchie Ernſt geweſen war’,
und übergab ihm mit Thraſybul und Thrafyllus ben Befehl
mit unbegränzter Gewalt. Das Benehmen des Thraſpbulus
bei diefee Gelegenheit ift fein erſtes Verbienft um fein Vater⸗
Ind. Hier rettete Allibiades fein Athen. Denn ale bie Lei⸗
denfchaftlichkeit fo groß war, dag man einftimmig dorthin fegeln
wollte um bafelbft Gegenrevolution zu machen, verhinderte bies
Alklibiades; und hieß fie vielmehr auf den guten Sinn unb
Willen ihrer Landsleute daheim in Athen vertrauen: bie Sachen
zu Haufe wärben fi ſchon von ſelbſt ändern; fie ſelbſt müß«
ten das Baterland nad Außen fchügen unb gegen ben Feind
Reben: ber Krieg werde fo lange von Athen fern gehalten, als
fe noch hier wären. Diefen großartigen Rath führte er durch,
und fie handelten wie Sulla ale er gegen Mithribates Krieg
führte und feine Feinde in Rom walten fieß. Er rechnete dar⸗
auf, daß die Machthaber in Athen in ber Noth von den Spar»
tanern gedrängt fih an fie wenden müßten, und Spaltungen
unter ihnen entflehen würden. 'Unterdeſſen führte aber bie Flotte
ben Krieg mit ben Spartanern entfchloffen fortz Allibiades felbft
Riebuhr Bortr. üb. 2. A. G. IL. 12
18 . Gegenrtueiutien,
ging zu Tiſſaphernes unb wandie noch einmal die Ankunft be
phoenicifchen Flotte ab’.
Immer mehr und mehr [Anhänger] zog nun bas Heer in
Samos an fih und in der Stadt war ed bald Har, daß die
Herrfcher dahin fommen würden, ben Spartanern ſich unbedingl
zu unterwerfen, da fie weder Heer noch Flotte hatten. Indeſſen
entflanden nun auch, wie Allibiades voransgefehen, Spaltungen
unter den Machthabern ſelbſt, da bie Führer fih gang unfähz
zeigten und bie Unterhandlungen mit ben Spartanern gän:
lich fehl ſchlugen. Theramenes war der Erſte, der bie Abſchaf⸗
fung der neuen Staatsverfaſſung aufbrachte und betrieb, er be
faß das Bertrauen der Bürger, Es war befchloffen worben,
die Buͤrgerſchaft folle auf 5000 befchränkt fein; dieſe 5000
zum großen Rath hatte ber Rath noch immer nicht erkoren und
zufammenberufen, und das ward jet von ihnen geforbert. ad
den Ausbruch der Gegenrevolution entſchied, ift ung dunkel.
Im Piraeeus am Eingang bes Hafens befeftigten bie Oligarchen
einen feſten Drt, wie es mir ſcheint, quf dem Molo des Hafen?
ſelbſt. Es iſt gar nicht fo ſchwer bie Localität bes alten
Rom’s herauszubringen, aber bie bes Piracens ift fehr ſchwert
zu beflimmen, da bie Ratur beffelben ſich gar zu fehr verändert
bat: Alles iſt verfanbet, bie Kleinen Häfen find mei ganz zu
fandigen Wiefen unb Feldern geworben, bie man vom alten
Ufer nicht zu unterfheiben weiß. Die Ringmauern und ben
Piraeeus würde man durch Nachgraben leicht erkennen, aber
ben Molo wieder zu finden, wirb wohl ſchwer halten. De
Molo an bem Hafen bes Claudius in Rom) ift beffer zu fa-
den. Es wurde nun ber Verdacht verbreitet, bag bie Zeh,
welche Jene dort anlegten, beſtimmt fei, ben Spartanern ver
raͤtheriſch den Zugang in ben Piraeeus zu eröffnen. Cherame
) Der Hufen des Claudius bei Porto ift Hier gemeint, deſſen Molo in
der UAlluvion nordoͤſtlich vom Baſſin des Trajan fehr ſichtbar if.
A. d. G.
Gegenrevolution. Folgen ber Mevolution. 479
nes wiberfegte ſich der Befefligung und regte ben Verdacht auf,
Da brach bie Revolution ans, fie begann damit, daß Phryni⸗
chus erichlagen und Pifander im Auslande auf einer Gefandt«
ſchaft verhaftet ward. Da bie oligarchiſche Partei nun ihre
beiben Häupter verloren hatte, fo wurbe ed Theramenes nicht
fihwer, eine Veränderung zu bewirken, woburd bie alte Ver⸗
faffung fo weit hergeflellt ward, daß bie fouperäne Bürgerfchaft
auf jene 5600 beihränft blieb, und darauf hielt die Verſoͤh⸗
nung mit bem Heere.nicht ſchwer, das fich hier ungemein ver⸗
fändig benommen hat; die 5000 Tießen fie als wirklich gleich⸗
gültig hingehen‘). — Bier Monate hatte bie Zeit der Vierhun⸗
dert gedauert nad) Harpofration aus Ariſtoteles.
Nun blieb es eine Zeit lang bei dieſer Befcpränfung, unb
man befand fih wohl babei: das ift aber wohl eigentlich nur
dadurch zu begreifen, dag ein fehr fchlimmer Zuſtand folgte, als
man bie alte Demokratie, bie eine Anarchie war unbedingt wier
der herſtellte. So ift Thufydides zu verſtehen, wenn er jene
Zeit als eine glüdliche bezeichnet; er thut es nur im Vergleiche
mit biefer fpäteren Zeit. Diefe ift bie eigentliche Periode ber
Spyiophantie in Athen, in der fie durch Mienfchen wie Kleophon,
Epitebeus, Nikoſtratus u. f. w. am Maͤchtigſten und. Berberb-
lichſten geworben if; biefe böſeſte Zeit ber verruchten Sylo«
phantie Die im ſchrecklichſten Andenten geblieben ift, folgt nun
am Ende des peloponnefifchen Krieges. Nach dem Schluß befe
felben, nad dem Archontat des Euklides, hat ſich dieſe Plage
nicht wieder auf fo ſchreckliche Weife hergeftellt, Auch fpäter
iſt diefelbe niemals mehr fo arg geweien: zur Zeit bes
Demofthenes herrichte die Sykophantie lange nicht fo, wie Ari⸗
Rophanes fie uns vor Augen führt. Es hat allerdings Leute
gegeben wie Arifiogiton, aber das iſt nicht mit dem Zuſtande
2) Viele Bürger waren in Sicilien gefallen, und die übrig gebliebenen
alten Bürger fanden fih gegen die vielen neuen watärlich Im einem
Begenfag und fonberien ich gern ab. 1826.
12*
41% Folgen ver Revolution.
in den festen Jahren des Kriegs zu vergleichen, wo jenes Un⸗
glück unerträglich war. Ich mache hierauf aufmerffam als
auf ein Beifpiel, wie man beim Stubium ber alten wie ber
neuen Gefchichte wohl beachten muß, wie, auch wenn bie Ber-
faffung feheinbar diefelbe iſt, doch durch Einwirkung mannid-
faltiger Umſtaͤnde zu einer Zeit die VBerhältniffe ganz anbers find
wie zur andern, unb oft Uebel ba find, welche zu anderer Zeit
fehlen. Die nächfle Veranlaffung zu jener furchtburen Syfe-
phantie find wohl bie Reminiscenzen an die Vorfälle diefer Zeit,
an die Revolution der Vierhundert geweſen. Noch fünf Jahre
nachher (Olymp. 93, 3) finden wir immer Pladereien und An-
flagen wegen ber Dinge, welche unter den Vierhundert gefche-
ben waren, ja noch unter den Dreißigen find Leute angeflagt
worben ald Anhänger des Pifander und Phrynichus. Aus den
Bargayoı des Ariftophanes und ben Scholiaften erfeben wir,
daß die meiften Theilnehmer an ber VBerfaffung der Vierhundert
mit Atimie belegt worben find, d. h. daß ihnen das active
Bürgerrecht genommen wurbe, und daß fie zum Theil ſelbſt
mit Verbannung geftraft worden find. Tyrammen foll man fie
nicht nennen. Einige wurden nachher, nicht unmittelbar darauf
vor Gericht geftellt, wahrfcheinfich wie die gemäßigte Demofra-
tie ber Fünftaufend ein Ende nahm und wieder bie allgemeine
Buͤrgerſchaft, die alte Volksverſammlung, auflam., Damals erft
wurde Antiphon auf ben Tod angeklagt, hielt feine herrliche
Rebe wie Thukydides bezeugt und wurbe hingerichtet.
Sp endigte fi) dieſe Revolution in Athen, Alles kehrte in
den alten Zuftand zurüd, aber es verfchlimmerte fih und brachte
noch mehr Anomie. Ein anderes großes Unglück war die ge-
waltige unb unheilbare Schwähung der athenifhen Madt;
nachdem bie Ruhe im Innern wiebergefehrt war, erkannte man
bas fehr ſchmerzlich. Die Herrfchaft der Vierhundert war wäh-
rend ihrer viermonatlichen Dauer reich an Unglüdsfällen. Manche
Orte, wo bie Oligarchen eben bie Ariſtokratie neu eingerichtet
Aeußerſte Schwächung Athen's. 181
hatten, erklaͤrten fich für Sparta, fo das wichtige Thaſos und
mehrere Cylladen; aber fegt traf Athen ber härtefle Schlag,
ber Berluft von Euboen, Während die Vierhundert herrichten
und man in Athen weder Flotte noch Truppen batte, zugleich
aber ſich fürchtete, denen welchen man mißtraute, die Waffen in
bie Hände zu geben, vernahm man daß Euboea im Begriffe
fei fih zu empören, ’eine fpartanifche Flotte fegelte ruhig bei
Attila vorüber. Man rüftete dennoch eine Flotte aus, auf
biefer aber brach Inſurrection aus, und es herrſchte ſolches
Miptrauen auf ihr, daß fie zu ſpaͤt kam; ganz Eubsen riß fich
Iod, Die Escadre Fam nicht allein zu fpät, fie wurde au
noch von der peloponnefifchen gefchlagen und verlor viele
Schiffe. Sp ging Euboen, verloren bis auf die aihenifihe Co⸗
Ionie Oreus. Dies war ein entjegliher Schlag für Athen und
das Unglüd war um fo größer, als bis dahin Euboea den Ver⸗
un Attika's erfegt und den Bebürfniffen Athen's in ber Noth
befonders abgeholfen hatte. Auch für bie Einzelnen war es
ein großer Berluftz in Thafos und Euboea befanden die Kle-
ruchieen, von benen bie atheniſchen Bürger Pacht bezogen, auch
hatten Biele Befigungen dort; biefe gingen test alle verloren.
Der Reft des peloponnefifchen Krieges zerfällt nun in fol-
gende Abfchnitte: 4) bald nach der Revolution ber Vierhundert
verfeßte fich der Krieg nach dem Hellespontz 2) von ba wieber
nah Jonien; 3) von Jonien nad Lesbos, und 4) dann wie-
ber nach bem Hellespont zurüd, wo er entſchieden wurde. Es
iſt nothwendig ſolche Kriege in Zeiträume einzutheilen, wenn
man ed nicht nad) Veränderung bes Schauplages thut; fo ift
es unmöglich den dreißigjährigen Krieg zu behalten, wenn man
bie Borfälle nicht nach verfehiedenen Epochen zerlegt und fo
auch hier.
Die erfien Borfälle wollen wir zufammenfaflen. Im o.02;%.
Hellespont find drei große Tage geweien, ober wenn man will
vier Schlachten, denn an einem Tage waren zwei, eine See⸗
188 Krieg am Hellespont.
und eine Landſchlacht; diefe kann ich aber unmöglich im Ein⸗
zelnen erzählen, ich werde nur eine Weberficht geben. Alkibiabes
war vom Volke als Stratege beflätigt, und hatte theils durch
Aufträge deſſelben, theils durch das Lebergewicht feined Genies
fih eine far abfolute Gewalt verfchafft. Die Spartaner waren
e6, die ben Krieg in den fa ganz zu ihnen abgefallenen Hel⸗
lespont verfeuten. Byzanz und Chalfedbon und bie meiſten
Städte im Cherfonefos, wo auch attifhe Kleruchiten beftanden,
und auf ber aftatifhen Küfte bes Hellespont wie auch bie an
ber Propontis und an ber Küfle des Bosporus waren ihnen
zugefallen. Wenn man [hier] bei ben Alten Hellespont Lich,
fo ift das der ganz correcte griechifche Ausdrud: ber Helles:
pont hat einen zwiefachen Sinn, ben gewöhnlichen engeren und
dann einen weiteren; im Legteren begriff er auch bie Propontis
und ohne Zweifel auch den Bosporus, für das Letzte Habe id
freitich feine Beweife, aber für das Erfte find viele Beweiſe.
In diefem Sinne nun iſt von dem Kriege am Hellespontug bie
Rede. Dabin folgte nun die athenifche Flotte den Spartanern
nach, geführt von Alkibiades mit feiner ganzen Energie. Der
Feldherr der Spartaner, Mindaros, war einer ihrer beften, ber
zunächſt nach Brafidas und Lyfander zu nennen if. Die Athe⸗
nienfer fchlugen nun zwei Seeſchlachten im eigentlichen Helles-
pont und zum größten Erflaunen son ganz Griechenland ge-
wannen fie bie Oberhand. Während die Spartaner Subftbien
vom großen Könige erhielten, die meiften Bundesgenoffen ber
Athener ihnen zugefallen waren, während Athen nur auf Attika,
Samos und einige andere Infeln befehränft war: fo ſchien es
doch, ale ob dieſer Feine Bezirk eine vielfach verflärkte Kraft
erlangt habe, weil ein großer Mann an der Spike flanb und
man Zuverfiht auf fich felbft hatte, Einen britten entfcheiben-
DOte2.3, den Seefieg erfochten fie bei Kyzikus; nach ber Seeſchlacht
machten fie eine Landung und bie peloponnefifchen Randtruppen
wurden geſchlagen unb zerſtreut. Die Athener gewannen nun
Krieg am Helleapeni. 488
ben ganzen Hellespont wieder, wur Abydos konme man zum
großen Ungluück für Athen nicht erlangenz es blieb in ben Haͤn⸗
ben ber Spartaner, Die Stäbte an ber afatifchen Kuͤſte, bie
von dem perfifchen Satrapen Unterfkägung erhielten, waren ſchwer
einzunehmen: wenn ein athenifches Heer hier auf perfifchem Ge⸗
biete Tanden und belagern wollte, fo würden Tiffaphernes und
Pharnabazus mit ihrer ganzen Macht ihnen entgegen gegangen
fein. Darin biegt die unglüdliche Entfcheibung bes Krieges.
Mehrere Jahre nun ward in biefen Gegenden ber Kampf
geführt. Die größte Wichtigleit des Hellesponts lag in ber
Schifffahrt nach dem fihwarzen Meere. Die Athener firengten
daher Alles an, um ſich auch wieder in ben Befit bed Bospo⸗
rus zu feten. Sie eroberten zuerfi Chalkedon, was leichter Ol. O2,4.
war, weit die bort wohnenden bithynifchen Thracier im Grunde
unabhängig von den Perfern waren. Die perfiichen Satrapen
gaben ſich auch nicht bie Mühe fie abhängig zu halten. Sie
waren bei dem großen Könige mit einer gewiflen Summe Ta⸗
Tente bebitiet, bie fe rein einzubringen hatten; was zum Kriege
und zu ber Abminifiration gehörte, dafür mußten fie außerdem
Rath ſchaffen. Wenn es ging, erpreßten fie die nöthigen Sum-
men, ging es aber nicht fo mußten fie fie von ben Einnahmen
nehmen, bie ihnen zur Bereicherung ungewiejen waren. Eine
ſolche Selbftverleugnung hatten die Satrapen felten, fie waren
auch nicht fo ehrlichend: empörte fi daher ein Volt, fo bes
fümmerten fie fih nicht barım, fobald es zu viele Anſtren⸗
gung erforberte es zu unterwerfen, und erpreßten bie Steuern
ſonſt. Es war ihnen alfo ganz gleihgältig, bag die Thracier
unabhängig waren, bafür bezahlten diefe eine Abgabe und
waren fo frei. Für bie Ehre waren die Drientalen unempfind-
lich, wie bie türkischen Paſchas im 18ten Jahrhundert über bie
Unabhängigkeit der albanifhen Völferfchaften. Solche Böller
wie bie Bithyner verbaten ſich die Gegenwart der Perfer, zahl
ten aber dafür eine Summe, wie bie Sulioten eine ſolche Ab⸗
Ol.oe, 1.
184 Zrieg am Hellotpont.
gabe aufbrachten und heute noch die Servier, aber wehe bem
Spahi, ber fi bei ipnen fehen ließe! — Nach der Einnahme
von Chalkedon wandte ſich Allibiades gegen Byzanz und er-
oberte ed burch eine bei den alten Strategematifern berühmte
Kriegsliſt. Er täufchie bie Aufmerffamfeit der Bürger, hatte
bie Miene angenommen, als wolle er bie Belagerung aufheben,
ging fort, kehrte aber plöplih zuräd und machte vom Hafen
ber einen falfehen Angriff, während bie Stadt von ben Mauern
ber eingenommen wurbe, eben fo wie auch Mahmud IL Kon⸗
ſtantinopel eingenommen hat. Diefe Eroberung war ein unge:
beurer Gewinn für die Athener. Sie legten dort einen Sund⸗
zoll an, ber ihnen zur Dedung ber Kriegskoſten ein großer
Gewinn war: fie erhoben zehn Procent von bem Werthe aller
Waaren und Ladungen, bie nach bem ſchwarzen Meere gingen
und von ba zurädfamen, was außerordentlich viel einbrachte,
Sie fcheinen fi der Licenzen bedient zu haben, wie Napoleon
ge gen@ngland, Der Befig von Byzanz war für fie von größ-
ter Wichtigkeit und hierauf kehrte Alkibiades im Triumphe nad
Athen zurüd.
Das war ber fchönfte Tag, ben nicht nur Allibiabes, fon-
bern auch Athen feit dem traurigen Anfang des Krieges erlebt
hatte. So viele Berlufte man erlitten hatte, fo war. man jebt
gehoben und getröftet über bie früheren Unfälle, unb wie ver-
altet, entſtellt und herabgelommen Athen ſchon damals fein mochte
gegen das Jugendliche bes früheren, fo war doch Alles aufge-
lebt. An dem Tage waren nur fo Biele als nöthig gegen De:
feleia auf den Mauern und an ben Thoren, die ganze Bevöl-
ferung war nad dem Piraeeus hingeflrömt, um die Flotte und
ben heimfehrenden Alfibiades zu empfangen. Allibiades war
ſelbſt völlig verföhnt mit dem Bolfe fo wie biefes mit ihm,
und es ift nur Die firengfie Gerechtigkeit zu fagen, was auch
feüher von einem tyrannifchen Gemüthe in ihm fein mochte,
von dem Augenblide an wo er nah Samos hinlam, ift er
Krieg am Hellespont. 485
wicht allein ein guter und anfpruchsiofer Bürger geweſen, ſon⸗
dern ach ein heilfamer, ber nur Gutes gewirkt und fi um
das Vaterland fo verdient gemacht hat, wie ed wenigen Menſchen
verliehen geweien tft. Sn Athen war man voll ber beflen Hoff»
nung und Siegesluft, obgleich wohl Niemand fi einen beſtimm⸗
ten Ausgang bes Krieges gebacht hat; es fiheint daB man mur
von dem Gefühl burchdrungen war, mit ben Göttern getroß
weiterzugeben. Schlimm aber war es ſchon, baß bie Friedens⸗
vorſchlaͤge, weiche nach dem Siege bei Kyzifos von ben Spartanern
gemacht waren, von ben Athenern verworfen wurden. Ein
Ephoros von Sparta, Endios, war felbft in Athen erfchienen und
hatte Friebensanträge gemacht, für bie gewiß jeder verflänbige
Mann geredet haben würbe, bie obgleich nachtheilig für Athen,
doch annehmbar waren, nämlich nach ber Baſis uti possidetis,
daß Jeder das Eroberte behalten folle. Traurig war dies zwar
für Athen, aber ein beſſerer Frieden war nicht zu. erhalten, unb
man hätte ihn annehmen follen, um Zeit zu gewinnen ſich zu
Härfen. Es if unbegreiflich wie Athen, fo befchränft wie es
war, es bat möglich machen fünnen, bie Reſſourcen zu finden,
bie es ſich feit dem ſiciliſchen Kriege verſchaffte; da es nus
biefe Reffourcen fand und allen Bebürfniffen abpalf ohne Schul⸗
den zu machen, fo würde ed gewiß wenn der Frieden damals
abgeichioffen worben ‚wäre, fi) außerorbentlih ſchnell erholt
und wieder die alte Prosperität gewonnen haben. , Bei ber
Schlaͤfrigkeit der Spartaner, und ba fie bei manden Bundes⸗
genoffen ſchon verhaßt waren, hätte man auch im Frieden bald
manchen erbitierten Bunbesgenoflen herüberziehen können. Aber
bie Rathfchläge der Verftändigfeit wurden nicht gehört, weil
Kleophon und feine Partei unbedingt bie Kortfegung bed Krieges
forderte. Diefer Kleophon ift und befonders aus den fpäteren
Stuͤden des Arifiophanes und den Iehrreichen Scholien belannt
die wir zu benfelben haben; er war ein geiftveicher Menfch, ein
Dann von großem Verſtande und Talente, eben wie Cicero es
186 Krileg am Hefleopont.
von L. Muülejus Saturninus ſagt. Es if eine ganz verkehrte
Meinung derjenigen, welche die Geſchichte nur bar ein Fern⸗
rohr fehen, daß die Menſchen die böfen Rath gegeben Haben
und mit Abſcheu genannt werben elende und geringe Menſchen
gewefen. So war es Apulejus nicht, und auch Kleophon war ein
Mann von Geil und Wis und nicht bloß kriegslichend wit
dem Munde wie der närrifhe Kleon, fondern wahrſcheinlich
auch ein "entfchloffener und muthiger Menſch: dem bis zum
Teuten Lebenshauch iſt er fih confequent geblieben unter eutſetz⸗
lichen Umftänden. Seinem Gewerbe nad) war er ein Augworzesös
md das hat man fo verflanden, daß er ein Lichtzieher geweſen
Set, aber das iR er micht geweſen, er war Beſitzer einer Lampen⸗
fabrik, und da die Bronzelampen zu den fhönften Kunftwerien
gehörten — felbft die in Hereulanum gefundenen find fehr fchön,
gewiß alfo die athenifhen, — fo war bas eine Werfkätte ber
ſchoͤnen Kunſt. Aber diefer Kleophon war ber Berberber Athen’s,
der unglückſeligſte Menſch für die Republik unter ben damaliges
Umſtaͤnden, fein Rath brachte Sammer.
Alkibiabes ging von Athen wohl nicht ganz in der Stims-
wung und in demfelben Verhälmiß zur Republik, als wie er
fam, und es Liegt ganz in ber menfchlihen Natur, daß ber,
welcher fo empfangen tft, an bem Tage wo er fortgeht, nicht
m bemfelben Berhältniffe zu feinen Mitbürgern ſteht als an
dem Tage, wo er fam. Es wäre befier geweſen, wenn er fei-
nen Triumph bie zum Ausgange bes Krieges verſchoben hätte.
Man hatte ihm eine illimitirte Vollmacht gegeben, und Mißbrauch
blieb nit aus. Dazu fam, daß er feine Gunſtlinge hatte,
wie meiftens perföntich fehr mächtige Drenfchen, benen fie, font
ſtreng, viel zu viel nachfehen. Manche feiner Begleiter mögen
mit Recht getabelt werden, mande willfürlihe Handlungen
mochten von ihm gefchehen fein, und gerade in feiner Umgebung
ſchwirrten die verbrießlihfien Gerüchte. So entließ ihn bie
Hepnblit im Grunde bo nicht ohne Mißtrauen.
Krieg in Sonien. 19
Einer der Günfllinge des Allibiades war Antiochns, der
ihn bei ber Flotte In feiner Abweienheit vertrat und fein «v-
Beerzung genannt wird, was wir feinen General-Lientenamt
nennen Fönnen. Das war ein tüchtiger Menfch, aber er hatte
noch nie das Commando geführt; Altibiabes fah ihm zu viel
nad, und im Vertrauen auf biefe Nachficht Tieß er ſich während
einer Abwefenheit des Alkibiabes in ein Treffen ein, um nun
auch einen Sieg zu gewinnen, wurbe aber überwunden und als D1.98, 1.
Alibiades zurüdkehrte fand er feine Flotte gänzlich geſchlagen.
Anh Rand ihm jetzt als varapxos der Spartaner Lyſander
gegenüber, ber größte Feldherr Sparta’s, ber unterbeflen nad
Jonien gelommen war, [und den Krieg dorthin verfeut hate].
Die Nauarchie war in Sparta eine neue Würbe, deren Anfang
wir nicht beftimmen fönnen, fie mag im perfifchen Kriege ober
auch wohl was fpäter aufgefommen fein; "wichtig wurde ſie
aber erft im peloponnefifchen Kriege, So viel iſt gewiß, daß
fie eine Magiftratur war bie eigentlich eine größere Gewalt hatte
als bie Königliche, denn der König war burch die Ephoren bes
Ihränft, der Nauarch ſtand aber ohne Auffiht ber Ephoren;
jedoch hatte er fein Amt nur für ein Jahr. Diefe Würbe
fonnte auch den Lakedaemoniern, den ſpartaniſchen Plebejern er=
teilt werben; wie denn Lyſander felbft auch nicht zu den ſpar⸗
tiatiſchen Gefchlechtern gehörte; er war von Abkunft ein Lake⸗
daemonier, 'ein Motbar’, und gehörte zu denen, die Halbſpartiaten
waren und nie vollfommene Spartiaten werden Tonnten ');
darum war er von Haß gegen bie Herafliben und bie geſammte
Oligarchie erfüllt und grolite gegen bie ganze Berfaffung; er
wollte eine Revolution in ber fpartanifchen Verfafiung machen
) Die Eintheilungen unter ten Lafoniern liegen fehr Im Dunfel, und bie
Schwierigfeiten find wie es fcheint unloͤsbar. Thukydides und Xeno⸗
phon widerjprechen ſich umanflöslih: das ſcheint daher zu fommen,
bag ſich ein anderer usus eingeführt hatte als tie Berfaflung wollte,
So gab es In Sparta wohl Mittel aus der Gemeinde in bie Gefchlechs
ter zu fonrmen. 1826.
108 Neue Berbaunung des Allibiades. Krieg bei Lesbos.
und biefe Parteifpaltungen geben ein Licht über manche Ber:
haͤltniſſe der damaligen Zeit. Lyfander hatte Dies Amt erlangt,
weil den Spartanern ber Krieg wahrfcheinlich gewaltig Täftig
war und man fich nicht verbeblen Eonnte, bag Niemand ihm
gzleich Fam.
Bon Alfıbiades ſchien Das Glück ſich abgewendet zu haben;
ee machte mehrere Unternehmungen, aber das Meiſte wollie
tm nicht mehr gelingen. Er befand fih in großer Geldver⸗
legenheit, und die Wege bie er einfchlagen mußte um @elb-
mittel aufzuireiben, waren gehäffig und traurig. Das diente
den Sylopbanten, obgleih man ihn ohne Geld ließ, ald Bor:
wand zur Anklage und Verläumdung. Sparta bagegen befam
Geld von Perfin. Er fah fih bedroht und ohne Mittel, und
da auch feine Vollmacht befchränft wurde, zog er fih nach Thra⸗
DL 08,2. rien zurũck, wo er Schlöffer und Güter beſaß; —, der Himmel
und das Land ift dort fo ſchoͤn wie in Griechenland — aber
fo, daß er, wie immer, fein Auge nach feinem Baterlanbe hin-
gerichtet hielt, Hälfe bereitend und wünfcend, und zufah wie
der Krieg fich geftaltete.
Rachdem Alkibiades fi dorthin zurüdgesogen hatte wende⸗
ten die Spartaner ben Krieg wieder gegen die nördlichen Ge⸗
wäffer und gegen Lesbos. Diefe Infel hatte an dem Abfalle
ber Chier feinen Antheil genommen und es ift merfwürbig, daß
Mitylene, nachdem es von Athen unterworfen worben war, ehr⸗
lich bei den Athenern bis zum Ende des ganzen Krieges aus⸗
gehalten bat. Den Befehl über die fpartanifche Flotte hatte, als
Lyſander's Jahr um war, Kallifratibas erhalten, der unter ben
Spartanern dieſer Zeit ausgezeichnet war und durch feine Redlichkeit
und Bravheit an Braſidas erinnerte. Er unternahm es fes-
bos zu erobern, und ed gelang ibm Methymna durch Leber:
raſchung zu gewinnen; dann drängte er mit großer Ueberlegen-
heit die athenifche Flotte in den Hafen von Mitylene. Die
wiederholten unentfchiedenen Seeſchlachten vor dem Hafen von
Krleg bei Lesbos. 169
Mitylene aber muß ich hier übergeben. Konon, ber Befchle«
haber der Athenienfer, nachdem er alle Pflichten eines braven
Feldherrn erfüllt hatte, befand fich in ber Außerfien Bedraͤng⸗
niß. Nach mehreren unglüdlichen Gefechten wurde bie Stabi
zu Lande und zu Waſſer eingefchloffen, und die athenifche Flotte
war im Hafen blofirt. Die Stadt hätte fih auch nicht halten
fönnen und Mitylene wäre übergegangen, wenn bie Mityle⸗
naeer fich nicht unbedingt den Athenern treu bewieſen hätten,
In Athen war große Beflürzung, denn wenn bie Flotte nicht
entfegt wurbe, fo war fie verloren. Daher rüftete man mit bey
äuferfien Anftrengung, bot alle Freien und felbft Metoeken und
Sklaven auf, machte ihnen alle Anerbietungen zu denen man im
ganz ungewöhnlicher Zeit feine Zuflucht nahm, den Metelen,
welche die Waffen ergreifen wollten, verferach man das Bis
gerrecht, ben Sflaven bie Freiheit; [dies ift nicht ganz verflänb-
lich], vielleicht Fonnten die Herren [in folden Fällen] ihnen Die
Kreiheit nicht verwehren. So rüfteten fie eine anfehnliche Flotte
aus, und biefe ging jetzt, verftärkt durch Samier und einige
andere Bunbesgenoffen mit 150 Galeeren gegen Kallitratibas,
beiten Flotte etwas ſchwächer war; unter ben atheniſchen Felb⸗
herren waren Theramenes und Thrafybul (oder Thraſyllus).
Beide Flotten trafen auf einander bei den Arginufen, Ins
fen an der Küfte bei Lesbos, auf denen eine aeolifche Stadt
Rand. Hier fam es zu einem großen Seetreffen, ber größten
von alfen Schlachten, die bis jetzt zwiſchen griechifchen Flotten
geflritten waren; nirgends fonft hatte auf beiden Seiten eine f6
große Macht ber Griechen fich entgegengeflanden. Der Sieg
war unzweifelhaft für die Athener und blieb für fie entfchieden,
obgleich Die peloponneſiſche Flotte durch ben langen Dienk ſich
fehr ausgebildet hatte und nicht der buntſcheckigen früheren äͤhn⸗
ih war. Die Schlacht entſchied ſich alfo volllommen gluͤcklich
für Athen; Kallikratidas ſelbſt fiel und eine große Menge Schiffe
fam in bie Gewalt ber Athenienfer. Aber auch den Athenern
DE | Krieg in Lesbas.
waren viele Schiffe zertrümmert. Sie mußten bas Treffen be
ſchleunigen wegen eines Sturmes.
Wäre nicht dies Ungewitter gelommen, fo würde biefer
Sieg den Athenern nur Heil gebracht haben; aber unglädlicher
Weise erhob fi) während ber Schlacht ein heftiger Wind, der
gegen das Ende zu einem volllommenen Sturme ward. Rad
einer Schlacht war bisher das erfie Geichäft ber fiegen-
ben Flotie geweien, bie Schiffäträmmer und bie Leichen zu
fammeln, um den Todten eine ruhige Stätte zu geben,
unb was hier immer überfehen wird, beſonders Die nod
Lebenden, Heile und Verwundete, aufzufiſchen; namentlich
galt es diesmal, bie vielen noch Lebenden zu reiten, bie ſich
anf den Schiffsirämmern geborgen hatten. Das war eine
menſchliche Angelegenheit, nicht bloß bie eines frommen Aber-
glaubens, den Leichen ein Grab zu geben, fonbern es galt bas
Reben fo vieler Mitbürger zu retten, bie fih auf die Trümmer
geworfen hatten. Unmittelbar nach ber Schlacht waren nun bie
Feldherren uneinig, was fie thun follten, ob fie [bie Trümmer
foumeln, oder] fogleih nah Mitylene fegeln und ben Sieg
benugen follten, um dort ben Reft der fpartaniichen Macht zu
zerſtoͤren. Mon hätte fich theilen und einen Theil nach Lesbos
fenden follen; fie waren aber geneigt, mit ber ganzen Mad
hinzugeben, obgleich es bedenklich war das Sammeln der Tod⸗
ven aufzugeben. Aber ber Sturm wurbe fo heftig, daß fie
weder bie Trümmer fammelten, aus Furcht Schiffe zu verlieren,
noch den Zug nah Mitylene unternahmen. Die Belagerung
von Mitylene wurbe zwar von ben Spartanern aufgehoben, aber
ohne daß fie bier ben Verluſt erlitten, den fie hätten erleiden
Wanenz fie vetteten doch einen Theil ihrer Flotte. Wären bie
Feldherren unter fih einig geweien, fo hätte das Unglück, bag
Be die Geſcheiterten ihrem Schidfal überlaffen mußten, feine
weitere Kolgen gehabt, Allein unglüdlicher Weife blieb unter
jhaen Uneinigleit und Einige klagten ben Theramenes und Thra⸗
Krieg in Lesbos, 191
fybul die darauf gebrungen hatten gegen Mitylene zu ziehen
an, daß fie zwar ben Auftrag gehabt die Schiffstrünmer und
die Gefcheiterien zu fammeln, ihn aber vernadhläffigt und bie
Leichen nicht beftattet hätten. Das war eine unwahre Anklage
Die fich ſelbſt ftrafte, und Unfinn war es das zu einem Staats⸗
verbrechen zu machen, aber ein Sylophant Kallixenus griff die
Beſchuldigung auf und brachte die Sache vor’s Volksgericht.
Alles zeigt bie Berwilderung ber Gemüther. Theramenes und
Thraſybul mußten nun vor das Gericht Tommen, vertheibigten
ſich aber, indem fie Klar darthaten daß ihnen ber Befehl nich
gegeben war, und nun fing man an zu argwöhnen, jenes ſei
aus böfer Abſicht verfiumt worden. Nun wurde bie Anklage
gegen die anberen Kelbherren gewandt und fie wurben als Ver⸗
brecher vor Gericht gerufen. Zwei berfelben entflohen, Thera«
mened und Thrafybul wurden freigefprochen, bie übrigen ſechs⸗
vor das Bolfsgericht geftellten Feldherren aber veruriheilt. Bei
dieſer Gelegenheit machte Sofrates, der damals im Rathe war,
ben muthigen Berfuch gegen ein folches entfegliches Bericht zu
fprechen, und firengte Alles für Die Rettung der Unglüdlichen an,
aber vergebend. Man wollte um fie zu reiten über fie einzeln
abflimmen Lafien, allein es gefchah in Maſſe, fie wurden ſaͤnmt⸗
lich zugleich zum Schierlingstranf perurtheilt, Es war bei die⸗
fer Gelegenheit, daß Diomebon, als er in’s Gefängniß abgeführt
wurde, um dort den Schierling zu trinfen, auf dem Markte
zum Bolfe ſagte: Euch verzeihen wir, möge euch das nicht
zum Unheil gereichen, was ihr an uns gethanz aber Die Danke
gelübde die wir für ben Sieg den Göttern gethan, bie müßt -
ihr vollbringen, weil wir es nicht Können. Ein fhöner Zug!
ber dies fagte hegte nicht den Wunſch ber Rache an der Nation,
wie es von Camillus erzählt wird,
Im Jahre darauf flanden bie Sachen allem Anſcheine nach
für die Athener wieder hoͤchſt erfreulich. Der größte Theil von
Lesbos war wieder in ihrer Gewalt, fie hatten eine Flotte pon
Ol.os, 4.
192 Krieg bei Lesbos. Letzter Felbzug am Hellespont.
200 Galeeren, und bie Zeit fehien immer mehr zu nahen, wo
die Tyrannei der Spartaner den Abfall ihrer Bundesgenoflen
zur Kolge haben würde. Die Spartaner waren allenthalben
entfeslich harte Herren, wie 3. B. ber Verſuch zeigt, Die Be:
wohner von Chios zu ermorden um fih der Stabt zu bemäd-
kigen. Noch einmal Iebte die Heiterkeit in Athen auf. Eine
Probe von der hoffnungsvollen Stimmung nad der Schladt
‚an ben Arginufen haben wir in des Ariftophanes Fröſchen,
bem geiftreichften, feinften unter allen feinen Stüden: ein fol
ches Stück kann in einer beflommenen Zeit nicht hervorgebradt
werden’. Aber zum Ungläd Griechenlanb’s war damals Darius
von Perfien geftorbenz; fein jüngerer Sohn Cyrus, der burd
den Einfluß feiner Mutter fih in Kleinaſien als Statthalter
befand, wo er mit einer größeren Gewalt herrſchte als es ben
perſiſchen Prinzen zufam, ging mit ehrgeizigen Plänen gegen
feinen Bruder um und wollte ſich ber Herrfchaft bemeiftern.
Er fuchte die Spartaner ſich zu Bunbesgenoflen zu erwerben,
um feinen Bruder mit einem fpartanifchen Heere vom Throne
zu ſtürzen, und verfchob feinen Zug gegen Wrtarerres bis bie
Spartaner ihren Krieg geendet hätten, Um nun biefen Krieg
zu befchleunigen, bot er Lyfander alle Schäße an, über bie er
gebieten konnte, fo verſchwenderiſch daß Lyſander einen großen
Schatz nah Sparta fenden und einen fo hohen Sold bieten
konnte daß bei den Athenern eine große Defertion einig. Ber
ſonders gingen viele der jetzt freien Sklaven zu den Spartanern
über unb e6 kam ein großes Heer zufammen,
Lyſander verfeßte nun den Krieg wieber an ben Hellespont
aus mancherlei Rüdficht, Vielleicht waren fehon damals Miß⸗
verhältniſſe zwifchen Pharnabazus und Cyrus vorhanben und
er beforgte, daß Jener mit Athen Verbindungen eingehen und
dieſes fördern werbe; aber auch ſchon um ben Hellespont wie-
ber zu erobern, ben Handel nach dem fchwarzen Meere zu zer⸗
fören, die Zöfe und bie Zufuhr den Athenern abzufchneiben.
Leiter Feldzug am Hellespont. 198
Zum Unglüt war Abybos in Her Gewalt der Spartaner, bier
nahm er feine Station mit den Schiffen, und von bort aus
griff er das nahe ben Athenern verbündete und reiche Lampſa⸗
fus an und eroberte daſſelbe. Die Athenienſer eilten num
herbei, geführt von ihren neuen Feldherren unter benen ſich
Milokles befand, der wohl mit vollem Rechte den Ruf eines
Verräthers behalten hat’). Der einzige Konon war unter
ihnen tüchtig: der alte athenifche Stamm Hatte fih im ficilifchen
Zuge ganz verblutetr'. Die Athener nahmen ihre Pofition in
ber Nähe von Sefins, Lampſakus gegenüber, bei dem Fluffe
Aegospotami, wo nicht Yange vor bem peloponneflihen Kriege
ber berühmte große Meteorftein vom Himmel gefallen war,
von dem Anaragoras die Nachricht erhalten hat, und ber. ohne
Zweifel noch da tft. Ich begreife nicht, warum man ihn noch
nicht aufgefucht Hat, da doch in neuerer Zeit fo viele Europaeer
ba gewefen find. Man würde dadurch auch ben eigentlichen
Aegospotami beſtimmen koͤnnen, worüber man jet zweifelhaft iſt.
— Hier nahmen die Athener alfo ihre Station auf einer flachen
Küfte, angemeſſen ben Galeeren; aber fle waren entfernt von
einem Orte, und es war feine Dedglichkeit, die Lebensmittel
anders zu beziehen als aus der Stabt Seftod, von der man
eine halbe Meile entfernt war. Um Lebensmittel alfo zu holen
zerfiveuete ſich die Mannfchaft in ber Gegend hin und ber nach—
Iäfftg fouragirend; es ſcheint gar Feine Disciplin geweien zu
fein. Hier erfchien Allibiades der bie ganze Gefährlichkeit ihrer
Lage erkannte und warnte die Athener dringend; er rieth ihnen
und bat fie, Ihre Stellung doch wieder nah Seftus zu verle-
gen, um ſich nicht einem plöglichen Weberfalle auszufegen. Er
erbot fi, die thracifchen ihm befreundeten Fürften zu bewegen,
) Alle Hefte haben den Namen PHiofles für den Verräther an biefer
wie an dem folgenden Stellen, fo daß es feinem Zweifel unterliegen
fann, dag N. Ihn wirklich genannt I 1826 hat er den Adimantus
als Berräther genannt. A. d. H.
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. I. 13
108 Salaqt bel Angesyetami,
ihnen zur Hülfe zu kommen, und dieſe wollte er nad Aſten
hinüberführen, um dort Die Spartaner bei Lampfafus anzugrei-
fen. Diefer Raih war herrlich: man würbe Lyſander zur
Schlacht bewogen, und wenn er befiegt worden wäre den Spar⸗
tanern ben zweiten töbtlichen Schlag beigebracht haben. Aber
vergebens: bie atheniichen Deerführer wiejen ihn unfreundlich zu⸗
rüd, Adimantus und Tpdeus wohl aus Hoffahrt und Philokles
aus Berrätherei, und gaben ibm zu bedenken, bag er landes⸗
flüchtig ſei.
Die Athener ſuchten gewoͤhnlich jeden Tag die Spartaner
zu einer Schlacht zu reizen, ſchifften ſich alle Morgen ein, gin⸗
gen an bie aſiatiſche Küſte und manseupririen gegen bie ſparia⸗
nifhe Flotte; wenn biefe fih nicht auf ein Gefecht einlaflen
wollte, fo Tehrten fie auf ihre Station zuräd und wenn bie
Spartaner fih ausſchifften, verließen fie auch die Schiffe und
zerftreueten ſich am Ufer bie nad Seſtus. Dies iſt ohne Zwei⸗
fel dem Lyfander von Philofled verrathen geweien, und dieſer
beförberte ed, daß die Soldaten fih immer zerfireuten. Wahr:
feheinlih nach einer Verabredung mit biefem entwarf nun Ly⸗
fander den Plan zu einem Veberfal, und am fünften Tage
nachdem diefe Bewegung fich wiederholt hatte gab er feinen
Truppen den Befehl, die Schiffe nicht zu verlaften, ſondern bes
reit zu fein mit größter Schnelligleit über den Hellespont zu
gehen und bie atheniſche Flotte anzugreifen. Dies geſchah; er
überfiel die Athener ganz unvermuthet, und das Manoeuore hatte
einen furchtbar glüdlichen Erfolg. Die Athener hatten nicht
mehr Zeit, ihre Schiffe zu bemannen; außer 10 Schiffen bie
unter Konon als Vorpoſten auf Wade waren, entlam fein
einziged. Konon retiete fich nach Eyyern zu Euagoras, und
(hidte die Galeere Paralos nad Athen, um bie Nachricht zu
überbringen. Die übrigen Schiffe fand Lyfander theils unbe
mannt unb Teer, theild unzureichend bemannt, und fo war in
wenigen Minuten die ganze athenifche Flotte von 200 Schiffen
Schlacht bei Aegeevotani. 106
in ben Haͤnden bes Spartaner und Das ganze Heer zerſtreut.
Biele Athener wurden auf ber Flotte, bie entlaufene Manuſchaft
nach und nach auf dem Lande, viele im Innern des Cherſones
eiangen, und alle Athener umgebracht; fo unmenſchlich war
der Krieg geworben. Das thaten bie Sparianer unter dem
Vorwande, daß bie Athener ein ungenau gegeben hätten, daß
den freien peloponnefifchen Gefangenen der Daumen ber rechten
Band abgehauen, und fie Dann entlaffen werben follten. Unter
biefem Vorwande alfo wurben bie Athener hingerichtet, und auch
bie Feldherren umgebracht außer Abimantus, ber gegen ben Krieg
geſprochen haste, und wie Ach verſteht Philokles.
Unterwerfung und Wiederbefreiung Athen’,
Knechtſchaft Griechenland's.
As die Galeere Paralps im Piraeeus anlangte, fo erzählt
ein nicht poetiſcher Schriftſteller), warb bie Stadt von ber
Zrauerkunde erfüllt, indem Einer dem Anbern fie zurief, und
Jammergefihrei beang durch bie ganze Stadt. Jetzt war Alles
verloren, fie lonnten nichts mehr machen, alle Kräfte waren er⸗
ſchöpft, Die ganze Welt ſtand gegen Athen und nirgenbs war
mehr Huͤlfe. Man "mußte jetzt bie Belagerung erwarten, und’
es war nichts mehr zu thun als fich fo lange zu veriheidigen,
bis man einen leiblichen Frieden erhalten könnte,
Lyſander befchäftigte fih nach dem Siege damit bie Stäbte,
die den Athenern anhingen unb bie atheniſchen Beſatzungen
wegzunehmen, indem er uͤberallhin Schiffe ausſandie, und ſelbſt
langſam von einem Orte zum andern fuhr. Er gab den athe⸗
when Beſatzungen keine andre Bedingungen als nach Athen
iu gehen, bamit fich dort die Menfchenmenge immer mehr au⸗
zaͤufte und der Hunger deßo fehueller ausbraͤche; ebenſo fanbte
:) Xenoyhon. Hell U, 2.
13 7
196 Belagerung Wihen’s. Friedendverhaudlungen.
er alle attifhen Kleruchen von den Inſeln wohin er kam, bie
Eoloniften von Lemnos, Imbros, Skyros, nad Athen, um bie
ganze Bevoͤllerung dort zufammen zu pfropfen. Bei biefer Ge⸗
legenheit hatte er Gylippus mit einem Theil der erbenteten
Schäse nah Sparta gefandt, wobei biefer die Gelber beſtahl.
Unterbeffen ſahen die Athener, die nirgendsher Lebensmittel be⸗
fommen fonnten, die Schreden bes Hungers herannahen, ſahen
ben gräßlichfien Untergang vor Augen. Unter ihnen war da⸗
mals niemand, ber an die Spise hätte treten können, doch aber
rüfteten ſie fich zur Gegenwehr fo viel ed möglih war. Ueber⸗
alt aber waren bie Spartaner des Erfolges gewiß.
Sie umzingelten nun Athen, Lyſander mit ber Flotte, bie
Könige Agis und Paufanias von der Landſeite', blokirten
bie Stadt auf eine fehr grünblide Weile; fie verfünbigten, daß
fie die Mannſchaft eines jeden Schiffes, welches verfuchen würde
Lebensmittel in Die Stadt zu bringen, in das Meer ſtuͤrzen
würden. "Salamis war von Lyfander befehf. Die Athener
verfenften ben Eingang ihrer Häfen, damit bie Yeinde biefe
nicht foreiren fönntenz; 'die Spartaner aber konnten ed ruhig
abwarten, bis der Hunger bie Stadt zur Webergabe zwinge.
Wie Iange die Blofade gedauert hat, it nicht genau zu ermit-
ten, baß fie aber eine lange Zeit währte geht aus mehreren
Erzählungen bei Lyfiad hervor. Schon ziemliih früh’ ſandien
die Athener an den König Agis um mit ibm zu unterhandeln,
erklärten ſich bereit, bie Hegemonie der Spartaner anzuerfennen,
ihnen zur See und zu Rande gu folgen, nur forderten fie, baß
ihre Mauern nicht niebergeriffen würden und fie bie noch übri-
gen Schiffe behalten könnten. Agis aber wies fie zurüd, weil
er Feine Vollmacht Habe, fie müßten eine Geſandiſchaft nad
Sparta fenden um dort zu unterhandeln; ale Vorſchlag könne
er bie Bedingung ſtellen, daß die Athener die Iangen Mauern
auf jeder Seite zehn Stadien Wegs einreigen follten, — eb
auch bie Mauern bes Piraeeus gegen bad Ranb hin, gebt
Briebensverhaublungen. Unterinerfung ber Stabt. 297
[aus deu Ergählungen] nicht hervor, — daun aber ſollien fie
Geſandien nad Sparta ſchiden und erwarten, was man dort
befhlöffe. Nun wurben Gefandten nad Sparta gefhidtz bie
erhe Geſandtſchaft ward an den Graͤnzen von Sparta befragt,
ob fie mit unbebingter Vollmacht kaͤme, und obgleich fie ant«
woriete: fie wolle bie Bedingungen in Sparta eröffnen, wurde
fie Döch wieder zuruͤckgeſchickt, um Die Sache noch länger hinzu
sieben: benn bie Sparianer wußien, daß fhon Hunger in Athen
war. Run ’erbot fi Theramenes einen Frieden mit Sparta
zu fließen’; er und Andere wurden mit unbedingter Vollmacht
. nah Sparta gefandt; man hielt aber auch fie bis in den vier-
in Monat bin, bamit der Hunger um fo ärger werbe, und
man Seine Bedingung in ber Stadt verwerfe. ’MWährend dies
fer Zeit. wüthete die Hungerönotb immer fchrediicher in Athen,
täglich flarben viele Menfchen den Hungertob, und man beging
das Gräßlichfte um ihm zu entgehen. Ueber dieſe Zeit ift ein
Schleier gezogen: Thulkpdides hätte Alles gerecht an’d Licht ger
ſtellt, in der ganzen Graßlichkeit, Kenophon’s Parteilichkeit
aber verbedit die Gräuel der Spartaner. — Ob Theramenes
wegen biefer Geſandtſchaft Vorwürfe verbient, mag Bott rich⸗
ten: Lyſias beurstheilt ihn au hart’.
Run endlich erfchienen Theramenes und feine Begleiter Ol. o3 4.
und fündigten ben Athenern den Willen und bie Gefege Sparta’s
an: „Es ſollten die langen Mauern und die Mauern um ben
Viraeeus geſchleift werden;“ — die Ringmauern der Stadt
find unverfehrt geblieben, obgleich man gewöhnlich meint daß
auch fie gefchleift feten, und Dies ausbrüdlich bei einigen Schrift-
fellern fo ſtehtz ich fage aber mit Weberzeugung nad Vers
gleihung alter Stellen, daß ber xuxdos unverlegt blieb, aber
bie Mauer des Piraeens ift ganz niebergeworfen worden, ebeufo
wie bie arg oxsin fo weit man es nöthig hielt; — „daun
jollten fie alle ihre Schiffe bis auf 10 oder 12 an bie Spar-
taner ausliefern, follten ben Spartanern folgen, wohin biefe
198 Giufehuug der Destpig.
geboͤten.“ Endlich befahlen bie Spartaner wit verruchier Zwei⸗
beutigfeit, die Athener ſollten xard sa nareıa molseareedan,
die Verfaffung der Borfahren annehmen.
Das war ein ganz ungewiffer Ansdrnd und Riemand
wußte was das beißen follte; ’ob die ſoloniſche Berfaffung oder
welche? Daran aber war den Sparianern and nichts gelegen,
wenn fie fih nur eine Partei in der Stabt bilbeten, und' fie
beſtimmten, bag dreißig Geſetzgeber ernannt werben ſollten, um
biefe väterfiche Verfaffung zu ermitteln. Wie bie Bierhundert
"ben alten ionifchen Rath erneuerten, fo repräfentizen dieſe Drei-
Big offenbar das doriſche Wefen, die doriſche Dreizahl gleich dem
doriſchen Senat von 28 und 2 Königen. Bon dieſen Dreißig
folften zehn von den Spartanern ernannt werben, zehn von
ben Ephoren. D. h. die Befeifchaften, revolutionären Clubbs
in Athen waren organtfirt und hatten ein Direetorium, weldes
fie in allen Bewegungen leitete, wie bie United Irishmen in
ben neunziger Sahren: biefe aber wurden dpopos genaunt,
und biefe Ephoren tet von ben Spartanern als eine Be
hörde anerkannt. Diefe Ephoren alfo follten zehn erwählen
und dann follte e6 dem Bolle freifichen, noch zehn andere zu
ernennen. Die fpartanifch gefinnten erften 20 hatten aber in
jedem Fall bie Oberhand, und daß das arme Wort weiches bei:
nabe vor Hunger flarb Feine Anderen wählte, als bie ben Spar:
tanern genehm waren und von ihnen vorgefihlagen wurben, ift far.
Unter biefen Bedingungen warb den Athenern bas Leben
geſchenkt, mehr war es nicht, und bie Zerfiörung ihrer alten
Herrlihleit warb mit dem Hohn begleitet, ber noch viel ſchmerz⸗
licher if ale das Elend und bie Unterfochung ſelbſt. Mi
Muſik Tieß Lyfander bie Mauern nieberreißen, mit Muſtik bie
ausgelieferten Schiffe aus bem Hafen führen und fie verbren⸗
nen. Die Athenienfer waren gewiß in gänzlicher Betäubung:
ourae leves logauntur, ingentes stupent.
Die Dreißig hatten nun ben Auftrag, Conftitution und
Tyrannel der Dreißig. 199
Geſetze zu entwerfen, fo weit find fie aber nicht gekommen;
'anftatt Geſetze zu schreiben regierten fie, wie bie vömifchen De⸗
eempiri’. Sie hatten ferner volllommene Gewalt, alle Obrig-
feiten zu ernennen; fo fegten fie jeut einen Rath ein und er»
wählten Magiſtrate willfürlih aus ihren Anhängern. Dann
machten fie ein Berzeichniß von Dreitaufenden benen fie das
Bargerrecht gaben, alie 300 von jeder gvAr, vielleicht als
Nahäffung des doriſchen Weſens; mer weiß, ob fie nicht auch
Athen in drei gvdas einteilen wollten. Diefe Dreitaufend waren
bie eigentlichen Bürger, 'und follten bie Bolfsyerfammlung bil⸗
ben, waren es aber nur dem Namen nad und hatten in Wirk
lichleit nichts zu bebenten‘. Außer den Dreißig waren zwei
Localmagiſtrate; Polizetämter, eilf Männer in ber Stabt unb
schn im Pirareus unter Denen Eharmides, Plato's Better war;
biefe waren Polizeiämter und Senen untergeorbnet.
‚Die Dreißig waren größtentheilg Berbannte, die mit Groll
und Erbitterung im Herzen in ihr Vaterland kamen; zur Schande
von Athen waren bie Meiſten Leute aus ben Äälteften beſten
attifchen Kamilien, Neliden, Nachlommen bes Solon u. f. w.,
die beſonders zur Zeit ber Vierhundert ihre Rolle gefpielt hatten,
Es waren Leute bie den ganzen Staat als eine ihnen preisges
gebene Beute betrachteten’.
Ihre Regierung begann damit, daß fie einzelne von ben
Beraten ‚hinrichteten, 'die fich früher vergangen halten, unb bie
wohl verbienten zu biuten’, Kleophon war fehon vom Bolfe
felbft gelödtet. Es war vorher eine unfelige Zeit ber Syko⸗
phantie geweſen und jo waren Diele ba, auf denen ber allge
meine Fluch ruhte und deren Tob als allgemeines Gluͤck be-
trachtet wurde. Die Dreißig hatten ein zwiefaches Geſetz: über
das Leben berienigen, bie firh unter ben 3000 Bürgern im xa-
sahoyog befanden, konnte nur bie BovAn entfcheiden; über alle
Anden, welche fih außer biefen befanden, waren bie Dreißig
Herren über Leben und Tod. Dieſer Zuftand hatte alfo eine
200 Tyrannel der Dreißig.
Aehnlichkeit mit dem Convente unter Robespierre unb bem Wohl⸗
fahrtsausfchuß. Neber die Sykophanten, an bie fie zuerft bie
Hände Iegten, werben fie ohne weiläuftige Verhandlungen in
der Bovir wohl kurz und gut das Tobesurtkeil ausgefprochen
haben. Sie behnten nun aber ihre Verhaftungen und Hinrid-
tungen weiter unb weiter aus; Anfangs bebauerte man bieß
ganz und gar nicht, aber bald merkte man, worauf die Dreißig
hinaus wollten. 'Als einmal die, welche es verdient hatten, obne
Berhör hingerichtet worben’, fingen fie an zu verhaften und
binzurichten, wen fie wollten, und bie Athener erfannten, daß
wenn man reich war, man Deswegen allein verurtheilt warb,
daß Reichthum fchon ein Verbrechen war, wohl aus Haß gegen
den Oykoc! Als aber mit der Ausbehnung der Hinrichtungen
bie Unzufriedenheit flieg, fürchteten fi doch die Schrediensmän-
ner, und ba fie nun fahen, daß dies ſelbſt den Leuten von ihrer
eigenen Partei bebenklih ward, fo riefen fie von ben Sparta-
nern einen Harmoſten mit einer fpartanifhen Beſatzung in bie
Akropolis. Diefe war ihnen zu allen Dienften willig, und wo
ein Mord begangen werben follte, fchidte der Harmof feine
Leute, ’Die Athener waren entiwaffnet, und ſelbſt den Drei:
taufend geftattete man nur mit großem Mißtrauen bie Waffen.
Unter den breißig Tyrannen flanden Rritias und Charikles
an ber Spige und beberrfchten bie übrigen, wie Nobespierre
dem Wohlfahrtsausfhuß infinuirte und ihn beberrfchte: Ariſto⸗
teles nennt fie mit Net Demagogen unter den Dreißig. Kri⸗
tias war ein eigenthümlicher Menſch, ein Mann von Geiſt und
felmer Bildung, ein zierliher anmuthiger Dichter, der ſehr den
vornehmen Heren machte, und bennoch hat er während feiner
Berbannung in Theffalien gegen einen Bornehmen, ber ſich zum
Herrſcher aufwerfen wolle, die dortigen Leibeignen aufgeregt.
Gegen diefe finfteren Tyrannen ftand Theramenes mit ber Eigen-
tbümlichleit feines Weſens, die ich vorher gefchifbert, und er
erhob fh eben fo gegen ihre Maßregeln, wie im National-
Untergang des Theramenee. 208
Convente fo manche Leute, bie fehr weit in die Schreckensre⸗
sierung eingegangen waren, fi gegen bie wäthende Tyrannei
bes Nobespierre und ber anderen Wüthriche erhoben. Anfüng«
lich fuchte Kritias ihn durch Schmeichelei zu beſchwichtigen und
jeigte ihm, wie viel befier es fei wenn fie fich unter einanber
verſtaͤndigten. Aber bem Theramenes war bie Sache unertraͤg⸗
lich und er. firebte nach einer Entfcheidung; entweber ermaß
er die Berhältniffe nicht völlig und glaubte an Erfolg, oder
aber e8 war ihm bag Leben unerträglich und er wünfchte zu
endigen, was bei einer ſolchen Natur denkbar if. Er trieb
feine Oppoſition fo weit, dag Kritias und befien Anhänger ihn
vor dad Gericht des Raths, ihrer Creaturen, ftellten und ihn
anffagten, wie er eine Revolution beabfihtige. Um den Ent⸗
ſchluß des Raths zu bewirken, hatte man bewaffnete Leute in
den Saal eingelafien. Theramenes vertheidigte ſich herrlich in
einer Schrift, die hernach noch Tange gelefen wurbe, jetzt aber
längfi verloren ift: Achte Stellen hat Lyſias). Die Bertheiber
digungsrebe welche Kenophon von ihm gibt feheint nicht ächt
zu fein; er bat fie ſich ohne Zweifel ſelbſt gebilbet. Bei ihm
haben die Reben alle dieſelbe Melodie: es mag reden wer wi,
Thracier, Perfer, Athener, Männer von allen Parteien, große
oder Heine, Tetdenfchaftliche oder fchläfrige, Alle haben nur eine
Art zu fprechen, bie fonderbare tändelnde und etwas Tieberfiche
Manier des Xenophon ſelbſt. Hätte er biefe Reden fortgelaffen,
fo wäre feine Gefchichte bei Weiten nicht fo ſchlecht, wie fie
iſt. Bei den Reben bes Thufgdides find die Worte und bie
Sprache fein; aber dennoch ſpricht Jeder nicht bloß feinen. Ber-
haͤltniſſen angemeflen, der gute Leſer hört auch in Jedem einen
Anderen ber da fpricht, — Die Mitglieber des Raihs zerfielen in
jwei @laflen, in biejenigen welche Anhänger der Tyrannen
waren, und biefenigen bie durch ein unglückliches Schickſal eim-
mal in diefen Weg hineingelommen waren und jeßt —
) Contra Eratosth. p. 127. Reisk.
8 Ubergang des Theramenes.
treten ſich fehnten, aber wicht mehr heraus Tounten und das
Schickfal Griechenland's ale entſchieden auſahen: dieſes ſowohl
als wenn man es zu leicht nimmt, Beides if unglücklich, aber
Beides iſt ſehr gewoͤhnlich. So war bie Mehrheit ber Bouin
gewiß nicht neben den Dreifig zu nennen, es iſt ohne Zweifel
darunter eine Menge guter Menſchen geweien, die nur durih
unglüdlie Berhältniffe hineingeratben waren. Falſch if es
aber, wenn Diodor behauptet, daß Sofrates in ber Bovin ge:
weien fei; er verwechfelt ihn mit Iſokrates, der damals als ein
fanger Dann in ber Soviry war und fih ba ſchöner als ia
feinem übrigen langen Leben gezeigt hat. Er war Jünger ded
Theramenes und machte eine Bewegung für ihn zu ſprechen,
bo) Theramenes rieth er folle es unterlafien, er könne ihn dog
nicht reiten. Der Rath nun wollte Theramenes nicht vertt-
teilen, obwohl er font von ben Dreißig abhängig war; das
Gefühl, dem Baterlande einen ſolchen Dann zu rauben, made
bie Beruribeilung unmöglich, Da erklärte Kritias: „Gut, da
Bas Geſetz nicht fage, daß es nothwendig fei, fo wäre es hie
auch garnicht nöthig daß ber Rath abflimme, da fie ſelbſt über
Die entfcheiden könnten, bie nicht unter den Dreitaufend wären.
GSie hätten das Recht das Berzeichnig zu machen, alfo hätten
fie andy das Recht Jemanden auszuſtreichen, und fo firichen fie
jest den Theramenes aus ber Lille der Bürger und würben
ſelbſt über ihn verfügen”. Dies geſchah und Theramenes
wurbe zum @iftbecher verurtheilt und zum Tode geführt. Ad
er über den Markt ging und das Volk aufmunterte, biefe Ty⸗
vannei boch nicht laͤnger zu dulden, fagte einer der Dreißig zu
Hm: „Du bift verloren, Menfh, wenn bu wicht ſchweigſt“;
er erwiberte laͤchelnd: „bin ich Fein verlorner Menfch, wenn
ich ſchweige?“ Die Heiterkeit, womit er auf die Gefunbheit
bes Kritias den Schierlingsberher Teerie, zeigt bie Fafſung eines
Menfchen von gewaltiger Kraft, der aber bes Lebens herzlich
müde war, wie einer langen Laſt von ber er endlich befreit wird.
Steigende Graͤuel. Frucht der Batrieten. 208
Die einzelnen Erzählungen von den Unmenfihlichkeiten bes 57 2.
dreißig Tyrannen würden zu weit führen. Ich verweife Ste
bier auf bie claffifchen Schriftfleller diefer Zeit, die man als
memoires betrachten Tann, auf Die Reden des Lyſias gegen Ago⸗
ratus umd Eratofihenes, damit Sie jene Grauſamkeiten kennen
lernen. Wüthereien aller Art find vorgefallen, die unwoͤglich
feinen, aber auf das Sicherſte bezeugt und völlig hiſtoriſch
wahr find. Unter Anderem machten fle aus, daß Jeder von
ihnen fih einen Metoeken ausfuchen unb ihn umbringen laſſen
fonnte, um fein Vermögen zu nehmen. Go famen fie in ber
felben Art nach Eleuſis und Tießen bie Bürger von bort nad
Athen führen; Kritias verfammelte dann die Dreißig im Odeum
und ſprach das Tobesurtheil über bie Eleufinier ans und die
Knechte mußten fie fogleich ermorden, wenn fie nicht ſelbſt ges
morbet werben wollten. Hier zeigte fih, wie fehr die Spartauer
fih als Büttelfnechte gebrauchen Liegen '). Es find dies Sachen
bie nie Glauben verdienen würden, wenn fie nicht bie zuverläſ⸗
figften Zeugen übereimfiimmend glaublih machten. 'In ad
Monaten follen fie 1200— 1500 Bürger hingerichtet haben’.
Manche, mit benen man glimpflich verfuhr, wurben verbannt
und ihre Vermögen eingezogen, noch viel mehr aber eniflohen.
Die Fluͤchtigen wurben alfenthalben von den Spartanern
auf das Grauſamſte verfolgt: die Spartaner Tießen in gam
Griechenland befannt machen, daß jeder Staat Griechenland's,
wohin bie Flauchtigen fämen, fie der rechtmäßigen Regierung
Athen's ausliefern ſollte. Es ſchien Feine andere Zuflucht zu
fein, als die fernfien Gegenden ber Barbaren. Aber zum Glück
fanden file trotz bes Verbots in zwei Staaten Griechenlands
Schuß, aus verfchienenen Motiven: bie Argiver nahmen fie auf
2) Die letzten beiden Säge find aus ©. 208 3.7 hergefeht, wo R.
anf den Mord der Eleufinier wahrfcheinlih aus dem Grunde zurüdge-
fommen tft, weil er in die Zeit der dort erzählten Begebenheiten fällt,
one aber dieſen Zuſammenhang anzudenten. A. d. G.
u! Aufnahme der Ahıchtlinge in Theben
aus einem Haß gegen Sparta, ber bei feiner Gelegenheit ber Berſu⸗
dung widerfiehen komte, und bie Thebaner beichüsten fie aus
einem gang anderen Grunde, Als über Athens Schichſal deli-
berirt wurbe im Nathe ber Spartauer uub ihrer Bundesgenoſ⸗
fen, da hatten bie Thebaner barauf gebrungen, Athen zu ſchlei⸗
fen, die Bürger als Sklaven zu verkaufen, Attifa zu veröben
und das ganze Land als Schafweide liegen zu Taffen (umAoßo-
sov Agyıdvar), "wahrfcheinlih in ber Hoffnung es fi dann
einmal anzueignen’. Diefer Borfchlag fand auch bei ben Korin⸗
thiern und andern Griechen Beifall; Jene berechneten Daß ber
Handel dann nad Korinth geben würde, wie bie Holländer nod
lieber Antwerpen gefchleift ald den Hafen gefperrt oder ver-
fepüttet hatten, Da war es ber Abgeorbnete ber Phoker, bie
den Athenern Wohlthaten zu danken hatten, der in der Berfamm-
fung ein Trauerlied fang, einen Chorgefang aus ber Elektra
bes Sophofles, der Alle fo bewegte, daß fie fich gegen bie Un-
menſchlichkeit erflärten, und da auch bie Spartaner fanden, baf
es nit ihr Bortheil fei, Athen zu zerftören, fo wurbe beſchloſ⸗
fen, Athen beftehen zu laſſen. Jetzt waren bie Thebaner anders
gegen Sparta gefinnt. Sie hatten in dieſem Kriege ſehr viel
gethan, Boeoter waren es geweien bie das Schickſal von Syra⸗
kas entſchieden hatten: fie hatten ben Spartanern überall gebol-
fen und einen großen Theil an ben Anftrengungen des Krieges
gehabt; jetzt forderten ke von ben Spartanern einen Theil an
der Kriegsbeute 'aus Jonien und Athen, dem Gelde des Cyrus',
den Eontributionen; Alles follte unter Die Spartaner und Bun-
besgenofien getheilt werben; biefer Meinung waren auch bie
Korinthier. Aber dies fanden die Spartauer durchaus nicht
gerecht, fie erklärten ihnen, fie ſollten fi freuen über den glück⸗
lichen Ausgang des Krieges, aber der Bortheil gehöre ihnen.
Zu dem ließen die Spartaner auf ben Weihgefchenfen an ben
Apollo zu Delphi den Namen ber Thebaner unter den Bundes⸗
genoffen aus. Daber war bie Erbitterung biefer gegen Sparta
gegen Sparta's Befehl. 206
entſtanben und biefe Erbitterung wurbe durch Mehreres noch
erhöht. Die Spartaner legten ſchon damals das Syſtem an
den Tag, welches ſie von nun an überall geltend machten, daß
fie für das übrige Griechenland ben Grundſatz aufſtellien, feine
Stadt folle Heinere Orte in Abhängigkeit haben, "damit wenn
Alles zerſtückelt und ſchwach fei, fie allein über Alles herrſchen
fönnten’. - Während fie alfo für ſich die Lafebuemonier als
Metoefen hatten, ‚ftellten fie für bie übrigen Griechen bie Metoe⸗
fen und die Bewohner ber Landſchaft denen ber Stadt gleich,
und forderten fie als Vertreter ber Freiheit mit der empoͤrend⸗
fen Heuchelei, daß wo fi die Staaten, die Landſchaften zu-
fammengezogen und die Stadt eine Hoheit über ſolche hatte,
die Landſchaft fih von der Stadt Iöfen und frei fein ſolle.
Alles follte frei fein, und bloß ihnen als dem Haupte bes grie⸗
chiſchen Bundes verpflichtet fein und folgen. Das war ed, was
bie Thebaner nachher gegen Sparta zum Kriege bradte und
darüber war bie Garantie des Königs von Perfien im Trieben
des Antallidas. Nach diefem Syſtem nun handelten fie ſchon
damals und das iſt gewiß der hauptfächlichfte Grund bes Miß⸗
trauens und Hafles des Thebaner gegen fie geweien. Ueberdies
faben die Thebaner, daß bie Spartaner fi) mit ben dreißig
Herrſchern zu Athen in ganz unmittelbare Beziehung fegten,
und mochten befürchten, fie würden ſich in Attifa ganz feſtſetzen
und dieſes zu einem zweiten Lakonika außer bem Peloponnes
umwandeln, son bort aus aber ihre Herrfchaft weiter bieffeits
des Iſthmus ausbreiten. Mithin gingen ihnen fegt bie Augen
auf über dieſe VBerhältniffe, und beswegen nahmen fie bie
atheniſchen Flüchtlinge bei fih auf; die Zerflörung der ſparta⸗
nischen Herrichaft in Athen war ihnen fehr willlommen, und
fie komte ja jett auf Koſten Anderer durch atheniſches Blut
gefhehen. »In den Compendien ift biefer Zufammenhang übers
feben uud’ ich entwickle daher hier biefe Urfache, weil es fon
unbegreiflich fein würbe, wie fie, bie fech8 oder neun Monate
81.9, 1.
OR Aufnahme der Flüchtlinge in Theben. Zug des Thraſybul
wocher für Ile Zerfidrung Athen's geflmut haste, jeht eine
fo enigegengefegte Politik befolgken, daß fie für Achen gegen
Gparia fanden.
Wahrend aljo die Spartsner in ganz Griechenland hatien
bekannt machen laſſen, daß Jeder, ber einen atheniſchen Füucht⸗
king, bei. ſich aufnehme und verhehle, 5Talente ale Strafe zah⸗
len müfle, machten bie Thebaner bekannt, daß Jeder ſtrefbar
ſei ber einen atheniſchen Flüchtling verleze; wenn einer bewaff⸗
net aus Boeotien nad Attika auszöge, ſo ſolle Niemand es
ſehen und hören. Das war ein glückliches Ereigniß, eine nor
ben Kügungen der gütigen Borfehung, daß biefe unwärdiges
Thebaner dad Werlzeng der Wiederherſtellung Athen's wurden,
ſo weit es ſich herſtellen ließ.
In Theben hatte ſich unterdeffen Thraſpbul, Sohn dei
Lykos, aus dem Demos Stiria, bei Weitem der ausgezeichneiſte
der Flaͤchtlinge, mit vielen Anderen niedergelaſſen und faßte dei
den Entſchluß mit einer geringen Unterügung, (Anfangs ware
ihrer nur 80 Dänner), den Verſuch der Befreiung Athen's zu
wagen; Alles war verzweifelt, fie wollten den Verfuch wagen,
wenn fie au umlämen. Er zog Mehrere an ſich; ihrer warm
fon 70, als fie die Burg Phyle, 100 Stabien, 21, benift
Meilen von Athen entfernt, im Winter beſetzten. Die Hari
in Athen hatten alle bie feften Pläge ohne Poſten gelaſſen, f
dachten nur an Mord und Raub. Hier fammelten ſich bald
Mehrere zu ihnen und die Herrſcher ſandten nun ein Deiahe
ment gegen fie, das aber mit ſchlechtem Muthe für bie fehlehk
Sache hinzog, und obenein auf ihrem Poſten von einem unge
wöhnlich fchweren Schneewetter mit Wind überfallen wurde,
was auf Sübländer mehr einwirkt lals auf uns]: in Grie⸗
chenland fällt zwar viel Schnee, aber er ift dennoch für die
Griechen fehr unangenehm. Diefen Zeitpunet nahm Thrafpbul
wahr, um fie anzugreifen und zerſpreugte fie. Mehrere Mein
Gefechte fielen hier vor, die verſchieben erzählt werben, und DE
auf Phyle und ten Plrarens. or
ih Hier übergehe. Das gehört aber in die Geſchichte, daß Phylt
noch jest 2%, Meilen von Athen vollkommen kennilich if, feine
Mauern find noch völlig erhalten; es iſt ale ob der Himmel
biefen egewürbigen Drt babe erhalten wollen! Ich mache hier
eine grammatifche Bemerkung über einen Idiotismus ber Sprache
ber in Bezug auf dieſes Unternehmen gebräuchlich if: bie
Flüchtlinge, welche mit Thraſybul ausgezogen find, heißen vor
ber Rüdfehr nach dem Piraseus, fo Iange fie in Phyle verſam⸗
melt find, ol drsi @vAn nit oi Eni DvAng, und von Thra⸗
ſybul heißt ed: drei Bvinv orgernynoas, ale ob fie gegen
Phyle gezogen wären, was nicht der Fall if. — 'Wie bie
Dreißig überhaupt noch Leute fanden, welche bereit waren ihr
Blut für fie zuvergießen, ſcheint unbegreiflich. Aber das that teils
bas böfe Gewiſſen, iheile die boshafte if der Tyrannen: wir
wiften nämlich aus ber Apologie des Sofrated, wie fie an Bür«
ger, die nicht zu ihrer Partei gehörten, Befehle ſchickten, Andere
ju verhaften, und fo wurden eine Menge gegen ihren Willen
in ihre Pariei hineingezagen‘.
Die Tyrannen trieben ihre Sicherungsmaßregeln fo weis,
daß fie die Bürger, welche nicht in dem Verzeichniß ber Drei-
taufend, außerhalb bes xausadoyog waren, genöthigt hatten,
Athen zu verlaflen und außer ber Stadt im offenen Piraceus
und in dem Bezirke zu wohnen der ehemals von ben großen
Mauern begränzt worden war. Daher kam bie Unterſcheidung
oi &v aocsı und oſ Br Ileıpauzi; im Piraeens wohnten Schiffe-
und Handelslente, natirlich ein demokratiſches Clement, and
kt waren alle Verbächtigen dort, in der Stadt wohnten die
Tyramnenanhäuger. Als nun Thraſybul nad dem Piraecus
fam, wurde er mit .offenen Armen aufgenommen. Che e8 aber
fo weit kam, hatten die Tyrannen an ben Thrafybul geſandt,
um ihn gar Rücklehr einzuiaben, hatten ihn ſelbſt angerragen
ihn in ihre Zahl an die Stelle des Theramenes aufnehmen
und ihm freigefellt, zehn Son ben Berbannten unter völliger
308 Tod des Kritlas. Giſetzung der Jehn.
Sicherheit mit ſich zu bringen. Dieſen nieberträchtigen Autrag
verwarf Thraſybul mie es fich geziemte. Hätten die Sparta⸗
ner die Manern bes Pirgeeus nicht niedergeriſſen, fo würbe
eine Meine Beſatzung bie zurüdfehrenden abgemwielen haben, aber
feat war er ein offener Drt, bie Fluͤchtlinge rüdten ohne Wider:
fand ein, und wurden von ben bortigen Bewohnern mit Freude
aufgenommen. Thraſpbul feste ſich in Munychia feR, und
bie Bevoͤllerung des Piraeeus vereinigte ſich mit ihm und be-
waffnete fih auf alle Weife. Alles Bolt das in voriger Zeit
Durch Flotte, Arſenal und Handel fein Brod verbiente und
feat unbejchäftige war firdömte zu ihm’, Hier im Piraseus kam
es, wir willen nicht genau wie lange nachher, zu einem Bes
fechte; die fpartanifhe Beſatzung 309 heraus, bie Klächtlinge
obgleich ſchlecht bewaffnet, vertheidigten fih mannbaft in ben
Straßen, warfen jene zurüd und in biefem Gefechte el zum
großen Glücke Kritias. Mit ihm fiel au bie ganze Kraft
der Dreißig; mit Theramenes hatten fie ihre Zierbe ſelbſt ver-
tilgt, mit Kritias fiel der Geiſt, die Uebrigen waren Böfe-
wichter.
Wie fie von Piraeens zurüd kamen, fonnten fie ſich unter
ihrer eigenen Partei, den Dreitaufenb dv zu xasakoya nicht
mehr behaupten. Diejenigen die verführt find fih in Dinge
einzulaffen die fehlechter find als ihre Herz, fchweigen fo lange
das Glück gut iſt, wendet fih aber das Glück, fo erheben fie
fih mit allem Unwillen gegen die Berführer. So war jebt
auch bei ben Dreitanfend die Stimme allgemein gegen bie
Dreißig: von ihnen fei alles Unglück ausgegangen, fie Hätten
die Sache zu weit getrieben und müßten ihr Amt nieberlegen;
dazu bequemten fie ſich auch. Es wurben jest zehn Maͤnner
erwählt, 'aus jeder Phyle einer’, welche eine neue Berfaffung
machen und ben Frieden und Berträge mit ben Ausgewander⸗
ten vermitteln follten. Aber diefe Zehnmänner entiprachen ben
Erwartungen nicht, zwar waren fie nicht fo Kinigierig wie die
König Panfanias vermittelt die Wicheraufnahme ber Berbannten. 209
Dreißig, aber eben fo hartherzig und unempfindlich für Die Ehre
und bie freiheit des Baterlandes, eben fo bereit Athen unter
fpartanifcher Sklaverei zu halten und nicht fo Flug. Sie ver-
eitelten alle Unterhanblungen mit den Flüchtlingen, und Thra-
mbul und bie Seinen mußten Angriffe auf die Stabt verfuchen.
Diefe ſchloſſen jetzt vom Piraeeus aus biefelbe ein und verübten
Beindfeligfeiten, verbrannten Häufer, hieben Bäume ab, fanden
aber auch die Leute in ber Stadt und die Zehnmänner eben fo
entichloffen, nicht nachzugeben. Diefe Decemviri fanbten zwei
nah Sparta und baten um Hülfe gegen bie gemeinfchaftlichen
Feinde: bie Spartaner liehen ihnen aud eine Summe baares
Geldes um Lohnſoldaten mierhen zu können. Sp fihien bie
Entfheibung wieder in weite Entfernung gerüdt, und hätten
bie Spartaner bier burchgegriffen, fo war Athen auf immer
verloren. In Sparta wurbe fogar befchloffen, daß der König
Pauſanias — ’Agie, der Todfeind Athen’s war glüdlicherweife
alt und ſchwach und hatte Feine Bedeutung mehr” — ein Heer
nah Athen führen folle um bie rechtmäßige Regierung gegen
bie Rebellen zu fchügen.
So waren bie Athener fihtbar verloren wenn bie Dinge
ihren Gang behielten, denn fie waren auf den offenen Piraeeus
eingefchränft und ihre Wiberfacher hatten bie fefte Stabt und
waren yon einem neuen Heere unterflügt. Aber ber Himmel
fügte es anders; er ließ Eiferfucht und perfönliche Verfeindun⸗
gen unter den Gegnern dazu dienen, um bie gute Sache zu ret⸗
ten. Dies war erfilich bie große Abneigung und das allgemeine
Mißtrauen der Griechen gegen die Spartanerz; bie Boeoter er⸗
ſchienen gar nicht zum Zuge und bie anderen waren höchſt un«
willig, forberten Taut, man folle einen billigen Bergleih machen
und fich nicht befchimpfen indem man für Tyrannen fechte. Dieß
ließ aber ber König Pauſanias fich fehr gerne fagen und ging
entichloffen bavanf aus, einen Vergleich herbeizuführen. Denn
er war der Widerſacher bes Lyſander und ſah in ber gegenwär«
Niebuhr. Vortr. Ab. d. A. ©. IL, 14
210 Nönig Banfanies vermitict die iebersufnahme der Vechanrien
tigen Regierung Athen's eine Stäße befielben, da durch if
bie Revolution gemacht und bie Tyrannen eingefegt waren.
Er und Andere fürchteten aber Lyſander als einen Revolutionät,
— mie er es auch wirklich war, "denn felbft in der Verſchwoͤrung
bes Kinadon war er in flarfem Verdacht', — der damit um
ginge ihre Oligarchie aufzuheben, die Königewürbe wählbar zu
machen, vielleicht gar abzufhaffen und jährlich wählbare Feld⸗
herren an bie Stelle ber Könige zu fegen: fie fahen in Allem
was er that Bollwerke, die er fi außer Lacedaemon baue, um
feine Zwede burchzufegen. Dies Alles ſtimmte glücklicherweik
Pauſanias dahin, daß er ſich für die Erhaltung Athen’s um
die Wiederherkellung der Berbannten durchaus entſchied: bar:
aus erklärt ſich Teicht was fonft unbegreiflich if. Zwar rüdie
er vor und erfchien vor dem Piraeensz obfchon aber zwei Epho⸗
sen ihn -wie immer deu König begleiteten, ähnlich wie bie
Commifläre des Nationalconvents bie franzöftfchen Generale, fo
machte er es doch möglich, der Sade eine andere Richtung zu
geben. Nicht allein unternahm er nichts gegen bie Berbannten,
fondern er Tieß fogar den Thrafybul und die Seinen warn
und ihnen rathen, ihm zu vertrauen und feine Keindfeligfeiten
gegen ihn zu üben. Einem Spartaner zu trauen war allerbings
eine ſchwere Sache, aber es wäre gut geweſen, wenn Thraſy⸗
bul ed damals gleich geihan hätte, Es geſchah erft, nachdem
er einmal von Paufanias gefchlagen war. Es enifpann ſich
ein Gefecht, die Peloponnefier wurben Anfangs zurückgeworfen
und es fielen mehrere; man follte glauben, Panfanias wäre
jest in Zorn gerathen und hätte unverfähnlichen Krieg begon⸗
nen, aber er begnügte fih damit, bie Athener zurückzutreiben,
ermahnte fie abermals zur Ruhe und ließ fle warnen, fie fol
ten vernünftig werden und ſich ihm anvertrauen.
So kam ed denn wirklich zur Bereinigung; ob er ben
Berbannten heimlich feinen Plan bekannt gemacht, tft dunkel;
Ol.da, 1. er erfüllte aber die Pflichten eines Vermittlers und entſprach
Amneflie. Berbannung d. Dreifig. Märbigung d. athen. Bartelen. 244
ber Erwartung. Die ſpartaniſchen Ypoveol wurden weggejo-
gen’z allgemeine Amneflie wurbe befchloffen und Herſtellung
ber alten atheniſchen Berfaffung mit dem Vorbehalte fie zu ver-
beſſern; daun wurde ausgemacht, daß die Dreißig nad Eleuſis
ziehen und bort auch wer fonft noch in Athen fich nicht ſicher
glaubte wohnen jollte: Eleufis war ja leer gefchlachtet.
Auf diefe Bedingungen warb ber Frieben unverhofft ge=
ſchloſſen und mit der größten Treue gehalten. Dieſe unb alle
anderen verſoͤhnenden Maßregeln kamen biesmal gewiflenhaft
zur Ausführung unb ber Friede wurbe nicht durch Sykophantie
geſtoͤrt. Bon Sykophanten if feit biefer Zeit nicht mehr ſo
fehr Die Rede; es müflen dagegen firenge Maßregeln getroffen
worden fein und ed muß eine Menberung in ben dixaus dnuo-
olaıs flattgefunden haben, fo daß ſolche Auflagen nicht mehr
erhoben werben Tonnten. Thrafpbul ift von nun an fo lange
er lebte ber erfie Bürger Athen’s geweſen; bie Danfbarfeit bes
attiſchen Volles hat ihm auch in feinem Leben nicht gefehlt.
Diefe Geſchichte ift ein lehrreiches Beifpiel, wie man bem
moralifchen Werth der Menfchen. nicht nach ihrer Farbe in po⸗
litiſchen Verhaͤltniſſen beurtheilen und daß man nit fagen
barf: „Der oder biefer gehört zu Diefer ober jener Partei, alfo
it es ein ſchlechter Menfch oder umgekehrt ein braver“. Es if
eine höchft bequeme Sache, einen Mann darnach fo zu beurthei⸗
In, aber auch eine ſchlechte; bie Gefchichte lehrt es und beſſer:
unter den Fahnen der beiten Sache ftehen oft die allerſchlechte⸗
Ken Menſchen, und fo auch im Gegentheil befinden füh oft bei -
einer fchlechten Bartei die Beſten, die Gutes zu thun glau⸗
ben, während fie Berfehrtes und Boͤſes thun, weil fie fich. im
Zwed irren ober kurzſichtig ſind. So war es auch bier. Thra⸗
ſybul war ein trefflicher Bürger, ein Daun dem nichts vorge⸗
worfen werben kann; aber mit ibm befand ſich Anytus auf
Seiten ber guten Sache, der nachherige Anfläger des Sokrates,
und war einer ber erſten welche bie alte Verfaſſung herzuſtellen
14°
213 Bärbigung ber atheniſchen Parteien.
unternahmen und ſelbſt unter den Kührern. Daß aber ber, welcher
ben Sokrates angeklagt und feinen Tod bewirkt hat ein böfer
Menſch war, kann wohl nicht zweifelhaft fein; er war ein reli-
gio ſer Heuchler. Umgekehrt mögen auf ber andern Seite, unter
denen dv Zores ganz vortreffliche Menfchen geweien fein; So-
frates war ja damals ſelbſt dv zarsı! und gewiß bie meiſten
feiner Freunde. Ich würde zuverfihtlih an Piraeeus und Phyle
gehalten haben, aber ih werfe Deshalb feinen Stein auf ben ber
in der Stadt war, ich beflage ihn nur. — Dazu die Lehre, dag
es oft für das ganze Leben von verberblihem Einfluffe it, wenn
man fih an eine fchlechte Partei angeſchloſſen hatte: es find
bies Eindräde die fih nie austilgen laſſen. Auch bier blieb
für die Zufunft immer fo etwas anbangen: bie Leute, die da⸗
mals dv &orsı waren find immer gegen bie, welche im Piraeeus
gewefen waren, gehäffig geweſen. So ift Lyſias, ein braver
Mann wenn es einen gibt, obgleich nur Metoele, ber damals
im Piraeeus war, von Plato ungerecht beurtheilt worben, weil
diefer in unglücklichen Berhältnifien fand. Denn es Tann nur
Barteigeift fein, wenn Plato den Iſokrates auf Koften bed Lyfias
fo gewaltig body ſtellt, als es in Plato's Phaedrus gefcheben
tft: Iſokrates war entfchieden von ber Partei ber Tyrannen ge-
weien; zwar gehörte er nicht zur Partei des Kritias, wicht zum
Berge, fand auf der bes Theramenes, bie ber Gironde zu ver⸗
gleichen iſt, aber Doch gehörte er zur Partei ber Dreißig und war
einer von ben BovAsvsas zur Zeit der Tyrannen, Ohne Zweifel
fanden die Schulen bes Lyſias und Iſokrates einander feindfelig
gegenüber. Wenn Lyflas auf Koften bes Sfofrates niedrig gemacht
wird, fo ift mir das unbegreiflih: in Jenem ift unendlich viel
mehr Berfiand, Tuͤchtigkeit; er ift ein praftifcher, thätiger ann,
unendlich mehr als Iſokrates. Er zeigte fein ſchoͤnes Leben, da
er für die Sache der Ausgewanberten und für die Stabt fein
ganzes Vermoͤgen hingab, für die Stadt ber er nicht als Bür⸗
ger fondern als Meisele angehörte, in ber er als Kind lebie.
Tob d, Dreifig. Zußand Griechenl. unter Spartae Oberhereſchaft. 213
Daß Iſokrates auch nur einen Drachme für dad Baterlanb
bingegeben habe, davon müßte ih noch die Spur finden, ba er
hingegen große Summen eingenommen hat. Ich erwähne bieg,
um völlig zu erflären, wie ich mich über die großen Männer
biefer Zeit verfländige.
Die Amneftie wurde in Athen befchloflen und redlich ge-
halten. Die dreißig Tyrannen lebten eine Zeit lang in Eleufis,
aber fie gingen mit Trug um unb machten von dort noch ben
Berfuch, wieder nach Athen zurüd zu kehren, wann wiſſen wir
nicht. Diefer Verſuch fiel aber übel aus; fie wurben von ihren
eigenen Leuten verlafien und getöbtet. Ihr Tob verfühnte bie
Republik; hingerichtet if Niemand worden, es war ein rebliches
Verzeihen.
Sp hatte Athen unverhofft feine Autonomie wieder erlangt,
aber noch zehn Jahre lang bis DI. 96, 3. Iag es in ber größ-
tn Ohnmacht, wie ein Kranker, den vom Tobe nur eine gefunbe
und kraͤftige Natur entriffen bat’.
Bir kommen jest auf den Zuftand des übrigen Griechen
land unter Sparta’d Oberherrſchaft. ’Die Spartaner legten
iegt die Maske ganz ab, Niemand Tonnte ſich mehr über fie täu⸗
ſchen. Alte Beleidigungen rächten fie jett, die fie währenb des
Krieges hatten hinnehmen müflen’, und fo weit fie reichen Tonn«
ten, unterwarfen fie ſich [die griechifhen Städte].
In allen den Orten, bie mit Athen im Bündniß geweien
und fih den Spartanern ergeben ober bie fie eingenommen hat-
ten, ſtellten fie die Berfaffung ab und ſetzten dexadagyias ein:
d. 5. fie ernannten zehn Männer, welche die Souveräne biefer
Städte waren und bie gefammte Gewalt hatten. Ob fie die⸗
fen Städten noch ein Schattenbild von Rath und Demos ge=
laffen haben, wiſſen wir nicht. Gerade eine ſolche Dekarchie
waren bie Zehn in Athen bie nach den Dreißig eintraten, und
ſolche hatten bie Spartaner auch zu Chios, in den lesbiſchen
Städten und an vielen andern Drten eingelegt. Dann hatten
214 Zuſtuud Griechenland'e unier Sparia's Oberherrſcheft.
fie in allen dieſen Orten einen ſpartaniſchen Commiſſär, umter
dem Namen bes Harmoſten (aͤeuoorijc) eingeſezt, ber ein
Spartiate war und bie Erlaubniß und Verpflichtung hatte, ſich
dort nach beften Kräften zu bereichern. Diefer Name geuoozns
hat eine Beziehung auf einen Ausdrud, ber in biefer Zeit bei
einem gleichzeitigen Schriftfteller vorlommt, ich weiß im Augen-
blick nicht, ob bei Kenophon ober bei Lyſias); es wird näm-
lich das Conſtituiren der Nomotheten auch aeuoLsır genannt,
Zufammenfügen, Ordnen ber Stabt; alfo if der deuoosns ber
Drbner, der die Stabt in Ordnung halten und bie Berfaffung
einrichten foll. Es war aber wie im Jahre 1793 in Frankreich:
das Eonftituiren unterliegen die Spartaner und bie regelmäßige
Berfaffung blieb immer fuspendirt, wo ber Harmofl und bie
Dekarchie waren.
In den andern Staaten aber, die ſich nicht erfi unterwor⸗
fen batten und fchon früher mit ihnen im Bunde gemeien
waren, fonnten die Spartaner nicht gleich eine ſolche Berände-
rung vornehmen, außer da wo fie irgend eine Revolution durch⸗
geſetzt: 3.8. fo, wenn fie eine Stadt in der Landſchaft von ber
herrſchenden Stabt, wie e6 hieß, freigemacht hatten. Da fanb-
ten fie zum Schug berfelben glei einen Harmoften bin und
sigteten eine Dekarchie ein, "unter dem Borwande die Schwa-
hen zu fchüsen, und die Perioefen von der Tyrannei des Mäch⸗
tigen zu befreien’. Und bie Spartaner waren ungemein eifrig
im Auffuchen folcher Gelegenheiten: unendlich wachſam und
unermäblih waren fie überall zu forfchen, wo bie Laubfchaft
Beihwerben gegen bie Stäbte hatte, unb griffen dann gleich
weiter ein, 'auch wenn fie nicht durch die Mißvergnügten ber-
beigerufen wurben. So rädten fie fih auch an ben Eleern,
indem fie’ forderten, daß biefe der Herrfchaft über ihre Perioe⸗
fen entfagen follten; und als bie Eleer das nicht wollten fanb-
ten fie als Beſchützer der allgemeinen Freiheit ein Heer, zwan⸗
’) Xenoph. de Rep. Laced. XIV, 2,
Do
Iufand Griechenland's unter Sparta's Oberherrſchaft. 245
gen die Eleer ihre Souveränetät aufzugeben und conftituirten
alfo die eleifche Landſchaft, "Triphylien und Kyllene', nach ihrer .
Art unter ihrem unmittelbaren Schutze.
'So war der Ausgang des Krieges für Griechenland allge-
meine Sflaverei; die Gewalt der Spartaner erfiredte ſich faft
über ganz Griechenland, nur das entfernte Aetolien, Alarnanien
und Theffalien, wogegen eine Erpebition vergeblich unternom-
men wurde, ausgenommen. Am Aergſten war ihre Tyrannei
über die Inſeln. Man hatte Athen zum Borwurfe gemacht,
baß es feine Bundesgenoflen entwaffnet hatte: die Gefchichte
wei aber Fein einziges Beifpiel anf, wo bie Athener dies ohne
Beranlaffung einer Empörung oder dgl. gethan hätten. Jetzt aber
nöthigte Sparta ohne bie geringfte Urfache Ehios, das doch vor⸗
züglih zur Entfheidung des Krieges durch feine Empörung
mitgewirkt hatte, feine Flotte auszuliefern. Außer Chios wur⸗
ben befonbers Lesbos und Samos gedrängt: Samos das Athen
bis zum Ende treu geblieben war, entging mit genauer Roth
ber Bertilgung: die Bürger mußten um freien Abzug capituliren,
und ihre Zafel ohne alle Habe verlaſſen'.
So ging es in Griechenland und fo auch auf der Küfle
von Kleinaſien, fo weit es geben konnte, Aber bier weniger,
dba überließen fie bie meiften Städte dem Prinzen Cyrus von
Perfien.
SER.
Sinfen Griechenland’3 und Perfien’s. Er—
hebung Makedonien's. Chaeronea.
Perſiſche Geſchichte von Darius bis zum
Wiederausbruch des griechiſchen Krieges
durch den Zug des Cyrus.
m Perſien war dem Darius Xerxes gefolgt, dem Jener
vor feinem Tode die Herrſchaft zugeſprochen hatte. Darind
hatte Söhne aus zwei Ehen, mit bes Gobryas Tochter md
und mit der Atoffa, Kyros' Tochter. Zwiſchen Beiden wat
Hader über bie Herrſchaft: XRerxes gründete fein Recht baranlı
weil er durch feine Mutter Atoffa aus dem Gefchlechte des
Eyrus und weil er in purpura nalus war, Ariobarzanes aber
war ber Ältere. Dem Xerres gab Darius die Nachfolge, um
feine Dynaftie auf dieſe Welfe an Eyrus zu knüpfen.
Aus Herodot fennen wir Xerxes als thörichten, prahleriſchen
Menfhen'). Nah der Schladht bei Salamis lebte er feinen
Lüften, ganz unbefümmert um fein Reich und regierte noch un
gefähr funfzehn Sabre, ohne daß fich weiter etwas Namhafte
zutrug. Es ſcheint nicht, dag fein Reich durch dieſe Niederlage
erfhättert wurde, aber fein Ende war unglüdtich, das ift hiſto⸗
riſch gewiß.
Wir haben diefe perſiſche Geſchichte außerordentlich dürftig;
1) Ahasverus ift nicht für Kerze zu nehmen, wie Einige e8 thun, ſondern
für Kambyſes, 1826.
Geſchichtsquellen. Top des Xerxres. Artabanns. 217
bie eigentlichen Quellen find die Excerpte aus Kieſias bei Pho⸗
tins und einzelne Notizen aus Dinon: das ſind die einzelnen
Quellen für bie ſpaͤteren Zeiten, wo Herodot aufhört. Wie ed
mit Dinon's Autorität beſchaffen iſt, laͤßt ſich gar nicht ſagen,
weil ſie uns nicht der Art erſcheint, daß ſie zum Glauben be⸗
ſtimmen könnie. Leber Kieſias habe ich mich ſchon geäußert.
Ich verwerfe ihn nicht für die fpäteren Zeiten; er ift bier immer
etwas glaubhafter als in ben älteren. Allein wenn ih auch
zugebe, daß er für die fpäteren Zeiten alfe Gelegenheit hatte,
bie Wahrheit zu vernehmen, fo war er doch unfähig und nicht
geneigt zu prüfen, und wir koͤnnen feine Gefchichte doch nun
ale höchſt ungewiß betrachten, Sch wollte, es gäbe, wie bie
alerandrinifchen Grammatiker Fritifche Zeichen gebrauchten, auch
ſolche um in der Geſchichte zu unterfcheiden, was wir ſtreug
biftorifch nennen Fünnen, und [was der Art if] wie bie Er⸗
zaͤhlung bes Ktefias, die wir nicht geradezu für Roman oben
Dichtung halten wollen, die aber doch nicht ganz verbärgt if.
Sp if ed zwar eine ausgemachte Sache, daß Xerxes funf>
sehn Jahre nach der Schlacht bei Salamis von einem Hyrka⸗ Ol. 78 4.
nier, Artabanus oder Artabanes, ermordet wurde, der mächtig
an feinem Hofe war; aber ber Zufammenhang feiner Ermor-
bung iſt ganz verſchieden bargeftellt worden, Sein Tod unb
bag feines zweiten Sohnes Darius, (Einige neunen ihn ‚den
älteren’) find in ber Tradition mit einander verbunden, aber
über das Einzelne ift die Sage verfchieben. Es gab zwei Tra⸗
bitionen Darüber: ber einen folgt Arifloteles der ein großer
Widerſacher bes Kieſias ift, in der Politik’), (vielleicht aus
Dinon) daß Artabanes den Kerres aus Furcht vor Strafe er-
mordet habe, weil er ohne Wiflen des Königs feinen Sohn
Darius babe umbringen laſſen. Die Erzählung bes Kieſias
geht darauf hinaus, daß Artabanes ben Xerres ermorbet und
'um das ganze perſiſche Königshaus Einen durch ben Andern
)Ve. 86.14,
DI. }.
2318 UArtabanus. NWrtarerres I.
anssurotten’ bie Schuld auf den Darius gewälzt und ihn als
Mörder bei Artarerzes angegeben habe, wie Macbeth bie Er»
morbung Duncan’s auf ben Prinzen ſchiebt; Artarerred babe
dann feinen unfchnfdigen Bruder Hinrichten laſſen). Die Er⸗
zaͤhlung ift. biefelbe, nur umgekehrt. Cine dritte Erzählung
war noch bie, daß Artabanus fi bes Throne bemädtigt und
eine Zeit lang in Perkien als Ufurpator geherrſcht habe; ’in
manchen Kanones wird er als König aufgeführt mit einer
Regierungszeit von Fieben Monaten. So fteht ed mit biefer
Geſchichte. Wie dem auch fel, gewiß if auf jeden Fall dies,
daß Artabanus der Mörber bes Kerres war, und daß Arta⸗
serres das Blut feines Vaters an ibm gerät bat,
Man darf auch wohl annehmen, das Xerxes' Tod durch
eine Revolution veranlaßt worden if. Der byrlanifhe Stamm,
ber in alten perfifden Traditionen in Feindſeligkeiten gegen das
eigentliche Iran fteht fo daß man ihr Land, Mafanderan, bad
Teufelland nannte, bat gewiß durch Artabanus den Berfud
gemacht, fi ber Herrichaft zu bemeiftern, eben wie die Mager
nad Kambyſes es gethan hatten. Uber es find darüber nur
ungemein ſchwache Spuren.
Dem Kerred folgte jegt Artarerres 'mit dem Beinamen
Mafrocheir, Langhand', der 36 Jahre Yang regierte”). Seine
Regierung war unglüdlich durch ben Abfall Aegypten's, von
bem oben bie Rebe geweien ift, bei dem Achaemenes fein Leben
verlor. Die Athener miſchten fih ein und unterflügten ben
König Inaros gegen bie Perſer, bis fie durch die geſchickte Füh⸗
vung bes Megabazus den gewaltigen Verluſt erlitten, ber an
Schiffen beinahe eben fo groß wär, wie ber Berluft in Sieilien,
) Bel ſolchen Gelegenheiten zeigen ſich noch einige Spuren der alten
perſiſchen Freiheit, einer hohen Ariſtokratie; auch noch unter Derins
Nothus ericheinen Richter in königlichen Haufe. 1826.
) 1826 ſetzt N. die Regierungszeit des Artarerres auf 41 Jahre DI. 78,
4.—DI.89, 1. Da alle Angaben 40 Jahre haben if Hier elu Im
thum anzunehmen. UA. d. ©.
Urtaxerres I. Xerxce IL 818
Sesypten wurbe bald für das perſiſche Reich wiedergewonnen,
aber es folgte darauf eine Reihe anderer Stärme und Erichüt«
terungen im Reiche. Aus Kieſias erficht man, daß bas perſi⸗
fhe Reich ſchon das Schickſal aller großen orientalifchen Reiche
batte, bie durch Satrapen regiert werben; baß der Satemp,
wenn er auch noch Tribut zahlte, dennoch factiih unabhängig
war und burch irgend eine Beranlaffung zur Empörung getrie⸗
ben werben konnte. So empörte fi) Megabpzus, der Eroberer
von Aegypten felbft. Hier zeigte fih auch ſchon die Einmifchung
ber fürftlichen Frauen; die Königin warb gegen Megabyzus
aufgeregt, dann aber als er ſich mit einer Prinzeffin vermäßtte,
warb fie wieder verföhnt auf eine unglaubliche Weiſe. Die
Erzählungen von diefen Begebenheiten find jo ganz und gar
ber unveränderte morgenländiiche Despotigmus, ald ob man
die Gefchichte der Mongolen in Indien und anderer morgen-
laͤndiſchen Bölfer laͤſe. |
Unter Artarerres ſtellte ftch ein Friedensverhaͤltniß zwiſchen
den Griechen und Perfern anf eine etwas unerflärliche Weiſe
wieder ber, wovon ich ſchon oben bei bem Frieden des Kimon
gefprochen habe. An einen wirklichen Frieden mit bem großen
Könige iſt nicht zu denken; die Griechen festen ihre Unterneh»
mungen an der Küfte von Pamphylien und gegen Cypern fort,
wo offenbar die griechiſchen Stäbte Hülfe bei ihnen ſuchten'.
Rad dem Tode bes Artaxerres I folgte Darius, der Ro⸗
thus genannt wird, weil feine Mutter feine ächte Perferin war,
und bie Perfer nur bie Ehe eines Perfers mit einer Perferin
als Acht gelten Liegen, jebe andere als Kebsehe anſahen. Dies
fer Darius folgte jedoch dem Artarerres nicht unmittelbar. Zus -
erſt regierte unter ben Söhnen bed Artaxerres Xerres II, ber
einzige Sohn von einer Perferin, diefer aber warb nach einer
fehr kurzen Regierung von nur 45 Tagen von feinem jüngeren
Bruder, auch einem Nothus ermordet, indem ein unglaublicher
zufaͤlliger Tod vorgegeben warb. Ihm folgte ber Mörder, deſſen
230 Gogbianns. Darius Nothns.
Nemen wir vielleicht ger nit richtig haben. Sein Name
wird auf zwiefache Weile angegeben: nad ber einen Angabe
aus Kieſias bei Photius, heißt er Serundianus, was Lateiniſch
Aingt und ganz unmwahrfcheinlich if: vermuthlich if der Name
von Photins verborben, ber ben Ktefiad oft entfielt hat; nad
der andern wirb er Sogdianus genannt, was auch ziemlich uns
wahrſcheinlich if. Diefer Brubermörder wie er nun beißen
mag regierte anf eine Weife, wie ſich nad einer ſolchen That
erwarten ließ; er trachtete, feine übrigen Brüder in feine Ge-
walt zu befommen und aus ber Welt zu fchaffen. Der unter
uehmendfte von diefen war Ochus, der fpätere Darius Il. ber
diefen Namen nachher annahm, der damals in einer Provinz
Statthalter war. Diefen Iodte der Herrfchende, er ließ ſich aber
nicht in die Kalle Ioden, und jener fürdtete ibn fo bag er
ſich nun in einen Vergleich mit ihm einließ, nach welchem aud
Ochus die Lönigliche Tiara auffegen und Beibe zufammen regie-
en ſollten. Sie regierten nun eine Zeit lang gemeinſchaftlich.
Sept aber wurben von einer andern Seite Schlingen gelegt;
Ochus beftridte den Böfewicht und verleitete ihn fih ihm an-
zuvertrauen. So fchlau die Morgenländer find, fo if bennod
nichts häufiger als daß fie fi von denen beftriden laſſen, beren
Abſicht ihnen ganz Mar vor Augen Tiegt; wie fih z. B. Ali-
Paſcha [von Janina] von Kurſchid⸗Paſcha betrügen ließ, wo
Doch Jedermann jehen Tonnte daß es Betrug war. Sie haben
faſt Recht an Fatalitaͤt zu glauben, weil fie fi bei ihnen fo
ſehr Außer. So bemeifterte ih bamals auch Ochus, der nach⸗
malige Darius, ber Perfon feines Bruders und ließ ihn umbrin-
gen, Dabei fommt eine Todesſtrafe vor, bie von alten Zeiten
ber eine morgenlandifche geweſen ift: fie kommt ſchon in Aegypten
vor, bei ben perſiſchen Königen mehrmals, und es if merkwür⸗
big daß fie fich bei den neueren Bölfern nicht mehr findet. Bei
ben Türken kommt allerdings etwas Aebnliches vor, indem ber
Mufti eine heilige Perfon iſt, ben der Sultan weber koͤpfen
Darius Nothus. 221
noch erdrofſeln laffen darf, Murad II aber oder Mohammed IV,
ſich damit half, daß er feinen Mufti in einem Mörfer zerſtoßen
ließ. Bei den Perfern alſo war es Sünde das Fönigliche Bin
zu vergießen, noch auch war es erlaubt durch Erfäufen [ober
Berbrennen] die Elemente zu verunreinigen. Sie halfen fich
alfo, wenn Sprößlinge ded Königshaufes hingerichtet werben
follten, bamit daß fie einen Raum von großer Höhe mit Afıhe
füllten und darin den Berurtheilten hineinſtürzten und erſtickten;
benn Afche ift Fein Element, weldes durch Das Fönigliche Blut
verunreinigt wurde; auch wurde fein Blut vergoffen und fo
blieb der König vollflommen rein. Dieſe Gräuel kommen häufig
vor. Die Perfer find nicht fehr erfinderifch in anderen Künften
gewefen, aber unglaublich erfinderifch in Todesarten und Mar«
terwerfgeugen. Es gibt ein Prachtwerk von chinefifchen Folter»
und Todesftrafen, aber die Perfer gaben ihnen nicht viel nad. -
Hierauf regierte Darius mit vollfommen ruhigem Gemüthe,
wie es ber Charakter ber Morgenländer if, und feine Regierung
dauerte 30 Jahre '); allein die Zurien haben ihn doch in feiner
eignen Familie heimgefucht. Die perſiſche Geſchichte wirb im⸗
mer mehr Pallaftgefchichte. Das perfifche Reich war ſchon zu
feiner Zeit bedeutend im Sinten: ’zwar ift dies die eigenthüm⸗
liche Epoche, wo ſich ber perfifhe Einfluß in Griechenland feſt⸗
ſetzte, aber andererfeits’ ift wahrſcheinlich fchon unter ihm viel
vom Reiche getrennt worben.
Im fünften oder fechsten Jahre feiner Regierung empörke
fih Aegypten glei wieder und befreite fich jeut völlig, ’Die
näheren Umflände wiffen wir nicht genau, bie Perjer wurden
aber aus dem ganzen Lande geworfen und’ während etwa 60
Jahre ift Aegypten ein vollfommen unabhängiger, mächtiger
Staat geblieben; ’zwar iſt es von ben Perfern nie anerkannt
worden, aber fartifch war es durchaus unabhängig. Im Vers
gleich gegen das alte Aegypten ift es freilich nur ein Kleiner
) Diefe Zeitangabe ift anfcheinend nur Gedaͤchtnißfehler. A. d. 9.
223 Zwiſt in Darias Notäus‘ Bamilie.
Staat geweien, aber auch' ale Aegypten fi von ben Waſſtden
unter den Fatimiden losriß, war es zwar verhältnißmäßig fein
großer Staat, allein dennoch veih und anfehnlich für die da⸗
maligen Zeiten.
Eben fo empörte ſich Baktra; dies fell wieder bezwungen
worben fein; ich glaube aber, daß bies bie Zeit iſt, in der bie
inbifchen Länder ſich bleibend losgeriſſen haben und ber perſi⸗
ſchen Monarchie verloren gegangen find, bean unter Alerander
find fie ſchon unabhängige confolibixte Reiche; 'er findet von
ſtandahar an indifche Kürften’,
Das größte Unglüd entiprang aber dem Darius aus feine
eigenen Familie, 'durch bie Hände verrudter Weiber. Es
entland dies durch bie Vermählung feines älteſten Sohnes, der
damals Arfaces hieß und nachher ben Namen Artarerres an-
nahm, mit einer Statira, ber Tochter des Hydarnes, bes Statt
baltere von Borber-Aften, eines vornehmen Perſers ber wahr:
ſcheinlich Enkel eines ber großen Perfer unter Darius Hyſtaspis
war. Diefer hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochier;
die Tochter Statira vermählte der König mit Artarerres, ben
Sohn mit einer feiner eigenen Töchter, welche Ameſtris hieß.
Darius ſelbſt war mit feiner Teiblihen Schweſter Yaryfatis
vermählt, denn bie Ehe unter Gefchwiftern war bei ben Perſern
erlaubt; Paryfatis ift ein Acht perfifcher Name, heißt Feenkind,
Kind einer Peri'); das Masculinum Pertfades kommt als
Name eines Königs vom Bosporus vor’. Diefe Paryfatid
Seherrichte ihren Gemahl ganz und gar; fonft kommt es vor,
ı) Man hat das Mort Fee von Beri ableiten wollen, aber Fee iſt vie:
mehr fata, wie nämlich Alles worin die Eiumifchuug einer übernatir:
lien Kraft flattfindet genannt wirb: daher im britten Jahrhundert ein
Sauberer fatuus genannt wurbe, wie fatuus und fatuellus alt italiä-
nice Worter find. Die Teen find ohne Zweifel in den Kreuzzügen
na Europa gefommen, nnd buch die Vermifchung ber orientelifchen
Sagen mit den ffandinavifchen und denjenigen, welche im Süden noch
von ben Römern übrig geblieben waren, find unfere Feen der Ritter
tomane entſtanden. 1826.
Zroift in Darius Nothus' Jamille. 2283
welche Rämmerlinge ben König beberricht haben, aber hier bei
Darius Nothus ift die Autorität ber Königin viel größer. Der
Sohn des Hydarnes, Schwiegerfohn bes Königs, ermorbeie
nun die Prinzeffin und dies zog ihm bie verdiente Strafe zu,
er warb bafür hingerichtet und fein Vater und Sohn mit ihm:
wer fich in die Fehden dieſes Haufe mifchte, ber haste immer
unfeligen Lohn davon. Statira, die Gemahlin des Prinzen
Artarerres fchwor Rache dem, ber ihren Bater und Bruber
umgebracht hatte. Darius ftellte der Paryfatis anpeim, ob es
wicht beffer ſei auch die Statira umzubringen; fie verſchmaͤhte
ed bamald und fand Statira unſchädlich, er warnte, ed wäre
doch befier.
Sn den legten Zeiten feiner Regierung hatten feine Stasts
halter in Border -Aften fih in bie griedhifchen Händel gemifcht,
zuerk Piffuthnes, dann Tiffaphernes und Pharnabazus. Als
nun fein Leben zu Ende ging, fandte er dorthin feinen jün-
geren Sohn Cyrus mit großen Vollmachten ala Birefönig 91.98, 1.
von Kleinafien. Dies gefhah durch den Einfluß der Mutter,
bie den Cyrus dem älteren Sohne vorzog und ihm, ber nad
ber Threonbefteigung des Baterd geboren war, den Thron zu⸗
fihern wollte, Es ift eine morgenlänbdifihe Idee, die ſich and
im Mittelalter findet, daß der Sohn welcher geboren ift she
fein Bater den Thron hefteigt nicht Das Recht ber Nachfolge
bat, fondern daß derjenige Thronfolger ift, welcher geboren
wurde feit der Bater den Thron befist. Diefer Streit über
bie Primogenitur bat fih auch unter ben Türfen gezeigt und
zu fcheußlichen Verbrechen geführt, um zu verhüten, daß bem
Prinzen vor feiner Thronbefteigung feine Kinder erzeugt würben
und dadurch Bürgerfriegen vorzubengen. Die Dieinungen find
zu allen Zeiten barüber verſchieden geweſen, ber Eine hat das
Recht hier gefehen, der Andre da, — Cyrus erfcheint und in
ber Darftellung des Xenophon intereffant. Unbefangen betrach⸗
tet haben wir feine Urfache, ihn für beſſer zu halten als irgend
DL98, 4.
294 Artarerzes II. Aufſtaudeplane des Cyrus.
einen anderen orientaliſchen Fuͤrſten gewöhnlicher Art; feine
Empörung gegen ben Bruder bleibt immer Rebellion und bat
etwas [beionderd | Smpörendes. Denn fein Bruder Artarerres II
iſt unter den perſiſchen Königen, von benen wir Etwas wif-
fen, ber Belle; ja fogar zeigt er in feinem Benehmen gegen
feinen Bruder etwas für einen perfiihen König ungewöhnlid
Sreimüthiges und Großmuthiges.
Bor Ende bed peloponnefifchen Krieges farb Darius, und’
obgleich Eyrus ſchon angeflagt worden war, baß er gegen fei-
nen Bruder feindfelig madinire, und nichts Farer als dies war
für den der die Augen öffnen wollte, lud Artarerred — ’ber
den Beinamen Memnon hat? — ihn dennoch offen zu fich her⸗
anf nad Perfien, ale er in Pafargabae (oder Verfepolis) bie
Söniglihe Würde feierlich annahm‘). Hier warb nun Cyrus
angeklagt, daß er "während ber Keftlichleiten Meuchelmord
gegen feinen Bruder angeftiftet habe; ob die Anklage gegründet
war ober nicht, wer kann das vwiflen? Aber das Benehmen
des Artarerres war auf jeben Fall großmüthig. Nach einigen
Erzählungen hat er ihn überhaupt nicht verhaftet fondern ihm
Hof Borwürfe gemacht, nad einer andern hat er ihn verhaften
und nach perfiihem Geremoniel in golbne Ketten Tegen laſſen,
aber auf Bitten der Mutter und aus Outmüthigfeit ibn fehr
bald wieder losgelaſſen. Dann aber ließ er ihn fogar auf feinen
Eid, daß er nichts gegen ihn im Sinne habe, wieder als Bice-
tönig nach SKleinafien geben, Cyrus aber fam mit dem ents
ſchiedenen Borfage zurüd, dieſen Eid nicht zu halten, ſetzte feine
Berhältniffe mit den Spartanern gleich wieder fort, "nachdem
unterbefien der peloponneftfche Krieg burch feine Gelbunterftügung
entichieden worden war’, und eröffnete ihnen feine Abfichten
den Thron mit Gewalt an fi zu reißen. Mit Pharnabazus,
2) Es war eine Art von Binwelhung, uvynoıs bei den Griechen. Vielleicht
traten Pie Perferfönige bei ihrer Krönung in ben Orden ber Muger
als auf eine höhere Stufe. 1820.
Tob des Miadee. Gyuria unterflüht Eyrus. 225
der Statthalter von Phrygien und Myſien war, flanb Eyrus in
einem leiblichen Verhaͤltniſſe; Tiſſaphernes, ber Statthalter von
Lydien und Karien, war aber fein gefchworener Feind: Tiſſa⸗
phernes warnte den großen König.
Um dieſe Zeit: kam Allibiades nad) Alten. Nach ber Veber-
wäkigung ber Athener verfolgten ihn die Spartaner und bie
breißig Tyrannen und besten ihn aus Thrarien auf. Er wußte,
daß ihm Meuchelmoͤrder nachftellten, ex wurde bebroht und konnte
fih nicht mehr in Thracien aufhalten: er ließ alfo feine Schäge
dort zurüd, ging nach Aflen und kam in’s Gebiet des Phar-
nabazus. Seine Abficht war aber eigentlich, hinauf nah Sufa
zu gehen, um dem König Artarerres II über bie Pläne des
Cyrus die Augen zu Öffnen, und fo gedachte er dem Artaxerxes
Zutrauen zu ſich einzuflögen und ihn zu gewinnen, baß er ihm
ben Befehl gegen Cyrus übergebe; was er zu feines Baterlan-
des Heil benugen und Athen vielleicht herſtellen konnte. Aber
ſei es nun, daß die fpartanifehen Befehlshaber den Pharnaba⸗
zus aufmerffam gemacht und ibn ermahnt hatten, den Alkibia-
bes zu töbten, ober daß er im Intereſſe des Cyrus gehandelt
bat um ed zu verhindern, daß er nah Sufa fomme, fur; Alfi-
Bades wurbe unter irgend einem Vorwande oder ohne Vor⸗
wand in feiner Wohnung von den Truppen des Pharnabazus
umzingelt, das Haus in Brand gefledt und er felbft indem er
Ach durch die Flamme retten wollte aus der Ferne erfchoffen.
Sp waren die Spartaner über Altibiabes beruhigt und
unterbandelten nun mit Cyrus. Sie waren nicht geneigt fi
mit ihm in einen offenen Bund einzulaffen, weil bie Sache übel
gehen konnte und fie nicht mit dem perfifchen Könige brechen
wollten. Da er ihnen aber ungeheure Vortheile verſprach,
gaben fie ihm heimlich Hülfe und geftatteten, daß für Cyrus
griechifche Soͤldner geworben wurben: Klearchus warb für ihn
die unter dem Namen der Zehntaufenb befannt gewordenen
Soͤldünge: und an ber Käfte Eilieien’s fand Eyrus aud eine
Niebuhr Vortr. üb. d. A. ©. IL 15
226 aria wuiafkht Syrah. :
ſpartaniſche Flotte mit ſpartaniſchen Truppen, bie in feine Dienfe
trat, aber Deine machte ganz aufällig und ohne den Willen ber
Republik dort gelaubet zu fein, damit fie naher ableugren
fonnten, baß es ihr Beſchluß geweien.
Klearchus war ein Boͤſewicht ber argfien Art, Er war
ſchon im yeloponnefijgen Kriege Befehlshaber geweſen; er war
ein tüchtiger Dfficiex aber von ber Art, wie bie raͤuberiſchen
Generale im breißigfährigen Kriege auf beiden Seiten, wie Pap⸗
penheim und anf ber andern Banner, bie einer jeden gerechten
Beurtheilung nichts weniger und nichts mehr als Straßenraͤuber
und Mordbrenner find. Widerlich iſt es, wenn man ſolche Leute
als Helden betrachtet findet, ein Zeichen von gänzlidger Unkunde
der wirklichen Geſchichte; Banner hat das Talent eines großen
Feldherrn wie Klearch, aber er war fo gut wis Paypenbeim
ein Ungeheuer, wie Gotilob im ganzen Revelutionsfrieg Keiner
fih gezeigt hatz benn das Schliumſte was Einzelne geiban,
find Dinge, wie im breißigjährigen Kriege bie Beiten fe ver⸗
übt haben, Gußav Adolf allein ausgenommen. Hat Beraherb
von Weimar auch Schlimmeres gethan ale Vandamme, fo
war er doch damals einer ber Beeren‘). As Byzanz ned
ber Niederlage bei Aegospotami füh- den Syartaneın Yeti
ergeben müflen, war Klearch ale Statihalter dorthin gefandt
worden, und ba wůuthete er dermaßen bag bie Byzantier in
ihrer Roth die Spartaner um Hülfe anriefen. Wegen ber feflen
Lage von Byzanz waren bie Spartaner mißtrauiſch gegen ihn
und fuͤrchteten, daß fein Unternehmen gefährlich werben könnte;
fie fhidten daher ein ſtarkes Corps gegen ihn, er widerfionb
und man mußte ihn mit Gewalt zwingen Byzanz aufzugeben.
Obgleich Dies wahre Rebellion war, fo wurde ibm — ex wer
ein Spartinte — und hatte ſich gegen andere Griechen vergangen
fogleich verziehen, und er befaß wie vorher bas Verirauen ber
Machthaber. Klearch bildete alfo ein Eorpe von 43000 gewor⸗
9 Das vorſtchende Gap in nicht ſicher reſtitniri. no
Die Sedetanfend, Zunepfen’s Auabaſ. 97
benen Griechen. Denn ſchon Im Laufe bes peloponnefifhen
Krieges hatte fich die große beillofe Veränderung in Griechen⸗
land zugeitagen, baß bie Kriegsmacht von ben Milizen auf bie
Mierthotruppen überging, wie im A4ien Jahrhundert in Stalien:
eine Beräuberung, bie zur Felge hatte, bag bie gefegkiche Frei⸗
heit der Stäbe ſich nicht mehr halten Ionnte. "Das Reislan⸗
fen war unter den Griechen ganz einheimifdh geworben, und
Biele hatten fept kaum andere Reſſourcen; überall, wo bie Trom⸗
mel gerührt wurde — ich fage mit Recht Trommel, denn fie
war in Aſien gebräuchlich, vielleicht eine Erfindung der Cyber —
Hefen fie in Haufen hinzu'. Klearch wurde Pufühser . ber
13000 und diefe Griechen traten in ben Dienſt bes Cyrus, ber
fie ald Kern feiner Unternehmungen gebrauchte, um den Aſiaten
bie unter feinen Fahnen flanden, zn imponiren, 'kleinaſiati⸗
ſchen Milizen und Berfern — dem jeber Statthalter hatte eine
Leibwache aus Achten Perfern. Die Meiften Bingen an ihm,
weit er fie bezahlte, oder weil fie Plunderung hofften, Ginige
zogen aus Enihnſiasmus mit, unter biefen Kenophon, eine trau⸗
rige Anomalie in ber griechifchen Welt! Wäre er milgegangen
als roher Miſthophor, um ſich Reihihümer zu fammeln und im
Barbarenlande auf feine Fauſt zu plündern, je wollte ich es
nicht tabein, aber er z0g mit ans Enihufiasmug’!
Die Geſchichte diefes Krieges iſt bekanntlich ber Gegenſtand
feiner berühmten Anabaſis. Es iſt unleugbar bei Weiten das
Veſte was Zenophen geichrieben hat: freilich fehli ihm hiſtori⸗
ſche Wurde, es fehlt ihm was Kenophon nicht geben konnte weil
er es nicht hatte, ein großer und edler Sinn; .aud geht ed wit
großem Leichifinn über Vieles hin, was ber ernſthafte Leſer zu
wien verlangt, und beſenders im Anfange ifi es gar zu fluͤch⸗
ig. gearbeitet. Aber som Rüdzuge an if es mit Lebendigkeit
geſchrieben und ein hoͤchſt ſchaͤzbares Buch das man mit vielem
Imiezefie lieh. Uebrigens als hiſtoriſches Werk kann men es
nicht ben großen Kunſtwerlen bed Thukydides, Taritus, Salluf
15 *
Ol. 94, .
228 Zeuephen’® Wnabefie. Sqhlacht bei Kunase.
an bie Seite fielen. Aber es iſt bei alte dem ein Buch bas
man gerne. hat und an bem wir viel haben. Wenn bamals
fhon Almanache heransgegeben worden wären, fo hätte es m
einem Almanach mit iffuminixten Charten erfheinen follen: Das
ift Die Form. Es hat viel Lebendigkeit hei großer Nadhläffigfeit
und manchen Albernheiten, wie es bei dem Charakter feines Ver⸗
faffers nuht anders fein konnte. Jeder muß es gelefen haben,
es ift ein Buch aus dem fich viel Ternen läßt. Dan kann aus
diefer Erzählung namentlich die Ohnmacht, ben Tläglichen er-
bärmlihen Zuſtand des perfifhen Reiches Tennen lernen, bie
unendlihe Schwäche ber Regierung, bie Nominalunterwuͤrſigleit
der Satrapieen. Es war ein Zuftand, wie bei den Subadaren
in Indien unter ben Mongolen und im Lehnsweſen. Wie bie
Großlehne [im Mittelalter] erblih wurden, fo gab es auch
ſchon Satrapieen die erblich geworben waren: fo war bie im
Pontus ein wahres erbliches Leben.
Cyrus z0g herauf; die Truppen fowohl Griechen als Bar-
baren wollten fih mehrmal empören, weil fie ich getaͤuſcht fan⸗
ben, und fo waren fie zweimal auf dem Puncte Eyrus völlig
zu verlaflen, aber burch ungeheure Berheißung bewog er fie
bis nah Babylon zu geben. Hier "begegnete ihm fein Bruber
mit ber ganzen Macht von Ober» Afien und bei Kunara’ kam
es zwiſchen ihnen zu einem entfcheidenden Treffen. ’Gewiß if
bie Schlacht nicht ganz fo gewefen, wie fie erzählt wird. Das
it evident, daß bie 13,000 Griechen auf dem einen Flägel bie
Perfer ohne Widerfland vor fi heriagtenz baß fie aber von
ben SPerfern 10,000 Mann getöbtet und felbft nur einen Ber-
wunbeten hatten, mag glauben wer will, Der heftige Kampf
fheint im Centrum gewefen zu fein, wo die Brüber perſoͤnlich
gegen einander kaͤmpfien; Artarerres wurde vom Cyrus ver⸗
wunbet, aber gerettet, Klearchus hätte jetzt durch eine Peine
Schwenkung das perfiihe Centrum angreifen Tönnen, aber er
fürchtete fi die Bewegung zu machen, ba er hätte yon ber
Schlacht bei Kunare. Rüdzng der Zehntauſend. 229
Uebermacht ber Perfer umringt werben ‚Binnen. So waren
beide Heere in Unorbnung, bas Fönigfihe aber am Meiften:
Schon war es beinahe zerfireut, Artarerres Tag ſchwer verwun⸗
det und verſchmachtete faft vor Durft, als ſchon in der Dunfelheit
Cyrus getöbtet wurde. Durch feinen Tob war die Schlacht
entſchieden.
Wäre Eyrus nicht geblieben, fo wäre fie für ihn gewon⸗
nen worben und es würben ſich alsdann merkwürdige Berhält-
niſſe gebilbet Haben. Die griechifchen Lohnfolbaten würben bei
Cyrus ale Wache geblieben fein und vielleicht würden bie Ber-
haltniſſe des perfifchen Reichs auf diefe Weife viel größere
Feſtigkeit erhalten haben, als es an fi hatte: wie die Dynaftie
bes Pſammetich ſich Durch griechifche uuo$ogpooo: hielt, fo würde
6 bier der Fall geweien fein. Die Griechen würden bie Bor-
nehmften im perſiſchen Reiche geworben fein, ſich immer mehr
vermehrt haben und es ift möglich, daß fie dem Sturze bed
Reiches durch Alexander vorgebeugt Hätten: wenigſtens würbe
er es nicht fo Leicht geftärzt haben; oder, fo wie bie türfifchen
Barden fh des Reiches der Chalifen bemädhtigten, wie: bie .
mamelufifhen Wachen bie Dynaftie in Aegypten fürzten und
andere Dynaftieen in Moſſul und Aleppo, fo würben fie fehr
wahrfcheintich die Dynaftie der Achaemeniden geflürzt und ein
griechifches Reich gefliftet haben. So blieb den Griechen aber
nichts übrig als zurädzufehren, und dieſem Rüdzuge verdanfen
fie, daß fie einen großen und glänzenden Namen in ber Ge-
ſchichte haben, da fie ſonſt eigentlich nur Räuber waren und ale
folche mitt Schande genannt werben würben.
Als das griechifche Eorps nach der Schlacht bei Kunara 59.2.
fich ſelbſt fiegreich fand, ohne daß es aber möglih war, ben
Krieg fortzuſetzen, ſchloſſen fie fi an die übriggebliebenen Per-
fer [des Cyrus] unter ihrem Heesführer Ariacus an. Allein
biefer ging darauf aus fie zu verratben, um fich fo Frieden von
dem großen Könige zu erwerben: ihm war nicht zu trauen.
2858 Rädtıng der Schuieufenb.
*Unterhanblungen mit ben Perſern wurden zu nichte, wnbfe
foßten fie den verzweifellen Eutſchluß ſich durchzuſchlagen. Zwei
Wege waren, ber eine am Euphrat durch Meſopotamien der
nähere und der fie zuerſt an's Meer führte, und ber noͤrdliche
über den Tigris und bie armeniſchen Berge. Den Rüchzug
längs des Euphrat’s zu nehmen, wie fie gelommen waren, fchien
ifmen unmöglid. Dem Euphrat gegenüber breitet ſich bis an
den Fuß des Berges Sindſchar von Armenien her eine Wühk
ans, völlig fo befchaffen wie die arabifche und von Araber
bewohnt. Nur an ben Ufern des Euphrans if ein fchmaln
Streifen bewohnbares und fruchtbare® Land und als bie Arme
durch daſſelbe hindurchgezogen war, hatte fie Die Lebensmiitel
auf dem Fluſſe in Boͤten mitgeführt. Aufwärts gegen ben
Strom aber konnten fie das nicht, und ebenfowenig ficher fein,
daß fie längs des Stromes Lebensmittel finden würben. Be
fonder6 mußten fie auch in ber Ebene von ber perſiſchen Re
terei hart bebrängt werben, 'und fie felbft hatten Beine Reiter.
Kurz es blieb ihnen nichts Anderes übrig, als über ben Tigris
zu gehen und den Weg durch bas Gebirge nach dem ſchwarzen
Meere zu nehmen. Dies ift der glänzende Zug der Zeche
tauſend.
So kamen fie an den Zab, über ben feine BVrücke fährt.
Hier erihien’ Tiffapbernes, der ihnen auf Befehl des Artarer⸗
red mit einem großen Heere folgte, und bot ihnen Unter⸗
bandlungen an, worauf bie Führer fich unvorfichliger Weiſe
einfließen. Ariaeus machte feinen Frieden und opferte bie Grie⸗
hen aufz die griechiſchen Heerführer Tiefen fi zu einer Zu
fammenfunft bereden, wo man ihnen freien Rüdzug gewähren
würde, unb wurben babei ſchaͤndlich verhaftet und umgebradt.
Nur Menon wurbe verfchont, ber Großvater des Menon von
Pharfalus, ber bie Griechen vor Lamia tapfer anführte, und
ber Urgroßvater des Pyrrhus: dem fchenkte ber König bas Leben,
man weiß nicht warum, bie übrigen Führer aber wurben en
Rädyug ber Sepataufond. 331
fupiet’. Nun glaubte man Neiſter bes ganzen Heeres zu feinz
bie Soldaten aber, obwohl Ihrer Führer beraubt, blieben zuſam⸗
men, zeigten große Eniſchloſſenheit und ließen fich nicht irre
machen. Daß bei Dieter Gelegenheit Xenophon fich lobenswerth
Benommen habe, iſt nicht zn bezweifeln, obgleich wir bloß feine
Worte Haben; ’unter feiner Anführung fetten bie Griechen ihren
Weg fort, und mit großer Gefahr fihlugen fie fih über ben
Zab, einen bes reißendſten Flaͤſſe, mein Vater hätte auch bald
fein Leben dort verloren. Hier war bie größte Gefahr’.
Der weitere Rüdzug warb ihnen möglich, weil Tiffapbernes
mach Kleinafien eilte um Beſitz von ber neuen Statthalterfchaft
zu nehmen, bie er zur Belohnung bekommen Hatte, ‚und weil
bie rohen Aſiaten bie Verfolgung ohne Urſache aufgaben unb
barııf rechneien, baß bie Griechen in ben Gebirgen unb ber
unwegfamen Gegend ihren Untergang von felbft finden wärben.
So festen diefe benn ihren Weg durch bie Berge von Kurdiſtan
und Armenien fort, ohne daß bie Perfer ihnen folgten.
Aber obwohl fie nicht verfolgt wurben fanben fie unges
eure Schwierigkeiten. Ueber bie reißenden Ströme führten
feine Bruͤcken; in ben Bergen kamen fie durch Voͤller, die zwar
von ber verfifchen Herrichaft unabhängig, aber befto Friegerifcher
waren und weber den einen nod den anderen Feind in ihr Land
laſſen wollten.
In Kurbiften trafen die Griechen auf das erſte biefer un-
abhängigen Böller, die Karduchen, bie ihren Durchzug nicht
leiden wollten, unb fie mußten fi mit großem Verluſte durch⸗
lagen’. Noch mehr Titten fie durch bie Kaͤlte in Armenien,
Hier zeigte fih ſchon das eigenthämliche Verhaͤltniß des aufge⸗
loſten perſtſchen Reiches. Der Salrap von Armenien war zu⸗
frieden, einen Waffenſtillſtand mit ihnen zu ſchließen, wie ber
Yalııa von Aegypten jept unabhängig verfährt; er wollte fie
mit Lebensmitteln unter ber Bebingung verfehen, daß fie fo
raſch als moglich durch fein Gebiet durchziehen und fi nicht
233 Rüdyng ver Zehntanfrud.
feinblich verhalten foltens wenn fie wollten, ſolllen fie auf
anbere Satrapen fallen. Die Schilberung Armenien's bei Xe⸗
nophon ift merkwürdig. Zu bemerken if, daß Armenien bei
ben Griechen, namentlich bei Herobot, nicht bem Armenien wie
ed bei den Roemern vorkommt und dem jeßigen entſprechend
gebacht werben muß; es hat bei den griechifchen Schrififiellern
einen viel geringern Umfang unb eine füblichere Lage. Die
nördlihen Gegenden von Mefopotamien gehören bei Herodot
und in Zenophon’s Anabafis zu Armenien, hingegen hat es bei
Weitem nicht bie Ausdehnung nad Rorben wie fpäter. Xeno⸗
phon’s Schilderung von biefem Zuge durch Armenien if auf
gefallen :.fie hat fi) aber durch neuere Reiſende als richtig be-
währt, und namentlich burch den leuten ruffifchen Feldzug, durch
ben dies Land unendlich viel bekannter geworden iR als durch
alle Reifebefhreibungen: Tournefort's Beichreibung inbeflen if
trefflih. Wie man fi über Ovid formalifirt hat, daB er von
ber gefrorenen Donau fpricht, fo bat man es auch über Xeno⸗
phon’s Schilderung ber entſetzlichen Kälte die in Armenien
herrſche gethan, und dies hat fi) eben jegt durch den wuffüfchen
Feldzug durchaus beftätigt. Die Gebirge Armenien’s haben eine
weit größere Höhe ald man bis jeut angenommen hat, und
Armenien ift ein fehr kaltes Land, wie auch ſchon ans Tourne⸗
fort's Neifebefchreibung hervorgeht, der um Johannis auf feiner
Reife von Erzerum nad Tabrie Schnee hatte. Es if auch
jest allgemein bekannt, baß dieſe entfeulihe Kälte, von der Xe⸗
nophon erzählt, bei ber manchen Griechen Hände und Füße er-
froren, richtig ift. Aber ein anderer Umſtand iſt noch nicht fo
bemerft worden, nämlich was Xenophon von ben unterirbifchen
Wohnungen biefer Bölfer fagt. Auch das if durchaus wahr
und noch heute ganz ber Fall in dieſen wie in den angränzen-
ben Gegenden. Namentlich aus Mangel an Banhel;, zum Theil
mag auch die große Kälte Urfache davon fein, wohnen bie
Menſchen in Höhlen: ein armenifches Dorf ſicht man faſt gar
.: Whdepg der Jehniauſend. 208
nicht, fie graben fih in Die Berge hinein, Diefe Schilderung
der Dörfer bei Zenophon ift ganz genau biefelbe wie fie jest
find, | :
Fun zogen fie weiter, 'und fehlugen ſich mitten durch bie
barbariſchen Gebirgsvoͤller durch, wahrſcheinlich die jegigen Völ⸗
fer des Kaukaſus, die Lesghi, Oſſeten a. ſ. w.’ Hier kommt
aber in bie Geographie Xenophon's eine gewaltige Verwirrung,
indem: er fich. über den Phafis irrt. Sie famen an einen Fluß
der ohne Zweifel der Araxes if, und wie die Soldaten Alerau
der's den Jawartes für einerlei mit den Tanais hielten, fe
hielten nun bie. Solbuien des Xenophon den Arares für beu
Phaſts. Das kam daher: bie Kolcher, die jegt bei Trapezumt
wohnen (es find die Lafen) mäflen damals viel weiter ausge⸗
behnt geweien fein und bis zn den armenifchen Bergen gewohnt
haben: weil fie nun Kolcher fanden und einen breiten Steam
fo ſchloſſen fie daraus, fie feien am Phaſis. So überficgens
fie endlich ein ungehenres Gebirge und erreichten etwas öſtlich
von Trapezunt das ſchwarze Meer; von dba famen fie nad
Trapezunt. Nun gingen fie von einer ber griechifehen Städte
am Pontus nach der andern, die alle fo ziemlich unabhängig
waren, obgleich Die Perfer fie alle auf ber Lifte. hatten. Ueber
Armenien "hinaus ftanden feine perfifchen Heere. Sie fchifften
fih dann ein, um nicht durch's Land zu geben; fo gelangte ber
Ueberreſt, etwa 6,000’, nad Thracien und bier ſchloſſen fir
einen neuen Handel und verbungen fi) ben fpartanifchen Be-
fehlshabern, bie in Akten Krieg führten. Ä . D.85,1.
BSG Uusbeudg bes Reiogen ywifden para und Perfien.
Krieg Sparta’s mit Perfien. Erhebung Tpe-
ben’6 gegen Sparta Schwauken ber fpar-
tanifhen Oberherrfhaft in Griebenland und
MWieverherftellung durch Hülfe Perfien’s.
Unterbeffen hatte nämli bie Hülfsleiftung ber Spartaner
an Eyrus bie Kolge gehabt, bie man erwarten konnte. Grie⸗
denland wurde dadurch mit bem Großherrn in Krieg verwickelt.
Allein wie bie bloße Berührung der Lanze bes Achilles deu
Philoktet beilte, fo heilte auch diefer Krieg Griechenland ven
dem Ungläde, in welches daſſelbe gekürzt war‘).
Dieſe Hulfsleiſtung war dem verſiſchen Hofe nicht unbe
Sannt geblieben. Die Lafebaemonier leugueien zwar, daß fe
wit Borwifien des Regierung gefcheben fei; aber im Lager bes
Kiearch waren die Briefe gefunden, weiche Eyrus mit beu Tales
daemoniſchen Belbherren gewechſelt hatte.’
Sobald Eyrus geſchlagen war und Tiffaphernes zurädiam,
sahen er alle Entichuldigungen der Spartaner als leere And
ſtächte nicht an. Den Spartanern feld konnten die Perſer
DL, 4 nichts anhaben, fie griffen aber die griechifchen Städte an, bie
den Eyarianern Zins zahlten und jetzt von ihnen unter ihren
Schutz genommen waren, 'nachdem fie vorher Die Rechte biefer
Städte in den Trartaten gänzlich aufgegeben hatten, um Gelb
von den Perſern zu erhalten. Man founte auch erwarten, baf
eine Flotte von Perſien audgerüftet werben würbe, und fo
mußte Sparta zu feinem eigenen Schuge ein Heer nach Klein⸗
afien ſchicken.
Dies Heer wurde in ben erſten Jahren, zuerf von Thim⸗
bron, dann von Derkyllidas fehr fchlecht geführt; es wuchs zwar
ı) Die beiden lebten Saͤtze find vom Ende der 58. 8. hierher geſetzt.
u. d. 6.
Thimbron und Dorint. Ageftlaue erhält den Oberbefchl. M
bedeutend au, fo daß Derlyllidas au in bie inmeren Satra⸗
pieen Steeifjäge hun Tonnte, aber Beibe führten ben Krieg fehr
ſchlaff; "fie waren bingefanbt, um bie Stäbte zu befchäßen, aber
fie waren elende Räuber, die an nichts weiter dachten als ſich
zu bereigern’. Die Zurüdgelommenen von ben zehntauſend
Griechen brachten nun eine gewaltige Verachtung ber Perfer
mit, und in ben wenigen Gefechten zeigten fich biefe auch fo
etend, daß man in Griechenland ben Gedanken faßte, mit einem
entſchloſſenen Angriffe würde es möglich fein, mo nit ben
Perſern das ganze Vorderaſien zu entreißen, doch große Er⸗
oberungen und gewaltige Beute zu machen. Daher übertrugen
bie Spartauer dem Könige Agefilaos ben Oberbefeht für dieſen OL d0, 1.
Krieg und ſchickten ihn nach Kleinafien, mit ihm nur 30 Spar
taten... So wenig die Tapferkeit der Spartiaten fireitig #ft, fo
fehr fchonten fie ſich; es waren ihrer damals nicht mehr ale
1000 Bärger, und die Erfahrung im peloponnefifihen Kriege
hatie fie das gelehrt. Die Spartaner gingen eigentlich nur als
Dffieiere mit und was fie fonfl von eigener Kraft ausfanbten,
waren geworbene Periölen und befreite Heloten, bie einen und
bie anderen unter bem räthfelhaften Namen »sodaudders; nur
der Krieg von Leuktra war von anderer Art.
Ageflians-war noch nicht Fange auf bem ſpartaniſchen Throm,
er war ein jüngerer Bruber bes Königs Agis, Sohn des Archida⸗
mus, ber im Anfange des peloponneflfchen Kriegs das fpartanifche
Heer befehligt hatte; Agis hatte ben Krieg von Delelea geführt.
Ageſilaus kam auf ben Thron, weil man feinem Neffen Leotychides
dem angeblichen Sohne bes Königs Agis bie rechtmäßige Ge-
burt abſprach. Man hatte nicht erwartet, daß Ageſilaus auf
ben Thron kommen würde, und er hatte baher die ſpartaniſche
Erziehung erhalten, von ber fonft der ältefle Sohn bes Könige
immer dispenfirt war. Ageſtlaus gehört zu ben Charakteren,
denen das Licht, worin fie in der allgemeinen Meinung flehen,
nachtheilig if, wenn man einmal bahin Fommt fie in ber ſpe⸗
238 Charatieriſtik des Ageſtlauo.
cielden Meinung zu pruͤſen. Wird ein Beni ans Worheit
zu hoch geſtellt, und ſieht man daß es ihm ſchabet wenn man
ſeinen Ruf prüft: fo if die natürliche Folge, daß man ihn
herabſetzen will, unb er mehr verliert als es gefcheben wärbe
Wenn er nicht auf eine ungebührlicde Weile gepriefen werben
wäre. Dies Tann leicht ber Fall mit Agefilaus fein. Die Züge,
deren wegen Agefilaus als etwas Außerorbentliches gepriefen
wird, find wenn man fie ernſtlich betrachtet wirllich ber Art,
daß man darüber Lächeln muß und fragen: ob beun das den
großen Mann ausmacht? Es werben von ihm fehr viele Kin⸗
bereiten mit Salbung und Bewunderung erzählt. Er fell bei
Xenophon als ber freiheitslichenbe, ber aͤchte griechiſche Ariſtokrat
und Heraftide erfheinen’. Aber wenn man ben Menſchen nah
feinen Thaten und Handlungen beurtbeilt, fo if von Ageftlaus
ſehr wenig [Rühmliches] zu fagen.
Er war allerdings ein guter Feldherr, das ſtellt kein Menſch
in Abrede, 'obwohl ih, wenn es noch Verehrer des Xenophon
gibt, fie fragen möchte was Agefllaus denn Außerorbenifiches
gethan'? aber es hat wohl wenige Menſchen unter den nicht
ganz Schlechten gegeben, Die mehr von der Gerechtigkeit entfernt
waren als Agefilaus. Das gefteht ſelbſt Plutarch ein, ber fonft
einen wahren Panegyrilus fchreibt, ohne Ahnung wie Hein ihn
das mache. Er hatte fi) geradezu zum Grundfag genommen,
feinen Freunden als Freund und feinen Feinden als Feind zu
begegnen, ohne zu fragen was fie werth feien: bag gefleht Plu⸗
tarch ein ohne zu ahnen was er damit fagt. Die unwürdigfien
Menſchen, wenn fie zu feiner Partei gehörten, beſchügte ex, gab
ihnen Anftellung und wenn ein ſolcher Etwas verbrach, fo konnte
er der Straflofigfeit gewiß fein. Deswegen hat des Ageſilaus
Befehl, obgleich er für feine Perfon Fein Raͤnber und ein ehr⸗
licher Menſch war, bie gleidde Erbiiterung gegen die Spartaner
heroorgebracht, wie der Befehl der allerfchlechieften Feldherren
and anerlannter Räuber unter ber ſpartaniſchen Königen. Seine
Gharntterift des Ageſtlaus. 2
Herrſchaft bat den Haß gegen Sparta nicht nur nicht gemilbert,
ſondern ſelbſt gefürbert und vermehrt, Ich kannte einen fran⸗
söffchen General, der im runde ein guter Menſch war; wo
er aber commandirte, war bie Mannszucht ſchlecht und das
Land litt mehr als wo ein verbaßter, ſchlechter General be⸗
fehligte,. weil er einen verruchten Menſchen in feinem Generals
Rabe hatte, von dem er aber fagte: c’est un bon garcon; ee
wollte gegen Jedermann gut, freundlich fein, feine Verſprechen
halfen aber nichts, das Verbrechen wurbe nicht geſtraft. Sole
Aneldoten gibt es auch von Ageſilaus; fo protegiste er einen
gewiffen Nikias, und als diefer in Karien verhaftet war, ſchrieb
er; „iſt Nilias unſchuldig, fo laß ihn frei; ift er ſchuldig, fo
laß ihn meinetwegen frei, auf jeden Fall ſollſt bu ihn freilaſſen.“
Bar er mit Jemandem gefpannt, fo brüdte er dieſen, feste ihn
zurüd und Tränkte ihn auf alle Weiſe. Cine ſolche Perſoͤnlich⸗
feit iſt wahrlich nicht die eines großen Mannes, So benahm
er ſich auch gegen Lyſander, der mit ihm nad Afien hinüber-
sing. Diefer war ein viel größerer Feldherr, und hatte eine
große Partei die ihn verehrte. Wo nun Lyſander fih Jeman⸗
des annahm, fo war der ficher daß er bei Agefllaus Fein Recht
fand; wen Tyfander empfahl ober begünftigte, ber war fidder
jurüdgefest zu werben. Ageſilaus trieb den Hohn fo weit, daß
er Lyſander zum wgewdarzng d. h. zum Intendanten bes Haupte
quartiers, Pfleger, machte, eine ganz niedrige Stelle die jeder
elende Menſch bekleiden konnte, und fagte: ich will doch fehen,
ob fie ihm fegt noch die Cour machen wollen. In biefem gan⸗
zen Betragen ſehe ich einen höchſt gewöhnlichen Mienfchen,
‚Seine Politik war fo abſcheulich, als fe ein Spartaner gehabt
bat. Wahrfcheintich ift es, dag er um bie ſchaͤndlichſte That
ber Spartaner, bie Occupation Theben’s durch Phoebidas ge⸗
wußt Hat, gewiß baß er fie nachher billigte, und in ber Menge
son Apophthegmen find Worte von ihm, beren ſich ein Grieche
fhämen müßte, und bie zeigen wie wenig bie Spartaner Sinn
giant’ Krieg in Ufer.
für ein gemeinſames griechiſches Vaterlaud Hatten. Wie ex
ſpaͤtrer nad dem Berfalle der ſpartaniſchen Groͤße nach Aegppten
ging und ſich nicht ſchaͤmte, unter dem barbariſchen Könige Aegpp⸗
tenꝰs ein Heer zu führen, bloß um einen reichen Sold, das ſcheint
mir feinen Charalter hinreichend auszufpsechen; bas Ende bei
Lebens bewies da ben Werth des ganzen. Dies find bie ſchlim⸗
wen Seiten weswegen man ihn ſchlechterdings nicht wie eimen
Helden betrachten muß. Dagegen aber ift feine Frage, daß er
persönlich von Lyfander’d Graufamieit und bitierer Härte frei
war; ex war ein freundliches, fröhliches Bemüsh und iR feinem
Baterlande treu geweſen.
Ungefähr drei Feldzuͤge machte Ageſilaus, theils gegen Tiſ⸗
ſaphernes, theils gegen Pharnabagus. Dieſer Zug hat nad-
ber große Celebritaͤt erlangt und Iſokrates, biefer Urvater aller
xbetorifchen Deslamatorit kommt in mehrerm Reden, in feinen
Gemahnungen zum perfiichen Kriege immer wieber auf bie Feld»
züge de6 Ageſilaus zuräd und man follte darnach glamhen,
Ugeſilaus hätte Alten innerhalb des Halys erobert. Davon if
aber kein Wort wahr; ’er iR in Eybien und Phrygien vorge⸗
deungen, has aber’ Im Innern Beine einzige Stabi eingenemmen,
mas gewiß wenig genug if, ba bie wenigen Stäbte nur
einigermaßen fe waren. Denn bie Perſer ließen wie die Lon⸗
gobarden Feine Burg ober Feſtung in den eroberten Laͤndern Pehen.
Nur Sardes war feR, und das hatke eingenommen Werben
mäfen, dann fonnie Jonien frei werben, aber feine Züge waren
nur Streif⸗ und Raubzüge, und ſolche waren gegen bie Perſer
ungemein leicht. Wo er mit Tiffapbernes zuſammenlan, hai
ee bie Perfer immer geſchlagen, aber nur ein paar mal fand
ein orbenilihes Treffen fatt; im Gangen genommen find es
foR nur Scharmügel geweien. Die Perfer führten den Krieg auf
eine wirklich laͤcherliche Art; fo wie Agefllaus ein wenig vor⸗
dreng ſchloſſen fie einen Waffenßillſtand, bezahlten Ip dafür
eine Summe Geldes und wieſen ihm Quartiere am, ober ber
Auftreten Seuea'a Mbruch des boeotiſchen Krieges. 038
eine Satrop begabte ihn und fchidie ihn in das Gebiet bes Anker
renz Tiſſaphernes [bezahlte ihn], daß er das Gebiet bes Pharna⸗
bazus angreifen folle [unb umgelehrt], Tiffaphernes benahm ſich
ganz erbürmlich und in Kolge deffen wurde er abberufen wub
wie es ſcheint hingerichtet. An feine Stele kam Tithranfes.
Die Beldzüge find [eigentlich] auf eine ſchlechte Weiſe gefichet
worden, 'und im Grunde bat Agefilaus nicht mehr geiban als
feine Vorgaͤnger'.
Der Krieg hätte noch lange fo forigepen koͤnnen; die
Sparianer befanden fich wohl bei biefer Art Krieg zu führen,
bie Armen Toftete fie nichts und ein ſolcher Krieg ber immer
ſiegreich war konnte nur erfreulich fein. Unterdeſſen erhob fi
aber im Stillen gegen bie Spartaner ein weit furdibarerer
Feind.
Dies war Konon, ber nach ber Niederlage bei Negospor
tamos nad) Cypern zum Fuͤrſten von Salamis, Euageras, ger
flohen war. Enagoras war von sriechifcher Ankunft, Herr einer
bedeuten den griechiſchen Stadt Salamis auf Eypern, ein reicher
perſiſcher Lehersfuͤrſt, griehiich gefinnt. Diefer empfahl Konen
ben großen Könige, um den Spartanern zu vergelten, was fie
im peloponneſiſchen Kriege gegen Athen unb Griechenland ger
then. Konon ging nun an den Hof bed Könige Artaxerxes
Muemen und *rieth bie Spartaner auf ber See anzugreifen‘.
Er erlaugte von ibm Geb und Bollmacht eine Flotte zu bilden,
um die Spartauer in Griechenland heimzufnchen 'usb rüßste
nun die phoenieiſche Flotte. Dies Unternehmen verzigerte ſich
indeß wech mehrere Sabre’,
Inzwiſchen aber haste ſich in Griechenland die allgemeine
Stimme gegen bie Spartaner erhoben, 'und fhou im Anfang
der 96. Ol. hatte fih ein Bund gegen fie gebildet'. Schon
früper waren gegen fie einzelne Stimmen geweſen, namentlich
bie Thehaner. Wir haben gefehen, wie die Boeoter und Rocker
thier an Schluſſe bes pelopomnefifchen Kriege wegen Verweigerung
— Auebruch des boectiſhen Arioges.
eines Anchrilt an ber Beute gegen fie erbittert waren. Noch mehr
erbitterie es Die Griechen, daß die Spartaner auf den Weihgeſchen⸗
Sen, welche fie für den Sieg nach Delphi ſchickten, ſich ſelbſt allein ale
Gheger genannt hatten, und ſich weigerten bie Namen der übri-
gen Bundesgenoſſen darauf zu ſetzen: dergleichen indisponirte
und war bei den Griechen todtliche Beleidigung. Dieſe Erbit⸗
terung der Thebaner zeigte ſich ſchon, als Ageſilaus ſich dort
einſchiffte um nach Aſien überzugehen; er hatte auf ihrem Ge-
biete wicht nach ihrem Gebrauche opfern wollen, dies Dpfer
hatten fie geflört und ihm Hülfstruppen nad Aften verweigert.
So finden die Thebaner gegen die Spartauer in einem ge-
zeizten Zuflanbe, in dem man es fich nicht verheblte, bag man
fi herzlich haßte, aber noch keine Feindſeligkeit ausübte. "Au
bie Korinthier hatten ben Entfchluß gefaßt fi) gegen Sparta
aufzulchnen’.
Was die erfle Beranlaffung zum Ausbruche des boeotifchen
Krieges gegeben, das tft nicht Harz bie Alten erzählen mancher-
kei Darüber. Nah Einigen hätten bie Boeoter bie Lokrer ange
fiftet von einem Gebiete, das zwiſchen ihnen und ben Phokern
fiieitig war, bie Abgaben zu erheben und wenn fie ihnen ver-
weigert würden, mit Gewalt einzutreiben, bie Pholer gereizt
wären nun in Lokris eingefallen, worauf dann bie Boeoter zur
Hälfe gefommen und wieder in Phokis eingefallen fein. So
erzählen bie, welche der ſpartaniſchen Sache günſtig find. An»
bere haben das geleugnet und bie Theilnahme ber Boeoter and
Berwickelungen, bie zufällig entflanben, nicht herbeigeführt feten,
erflärt. Wie dem auch fei, ben Spartanern war De Gelegen- "
beit zu einem Kriege gegen bie Boeoter ſehr willlommen, und
das leugnet Sein Menſch, daß Lyſander in Sparta die Gemü⸗
ther gegen fie aufregie.
DI. 96, 2. Dean ſchickte nan ein Corps unter Lyfanber über ben kriſ⸗
fenichen Meerbuſen; er ſollte bier bie Pholer und andere ber
uschbarte Böfter Sammeln, und in Boeotien von ber wollkidden
= Athen ſchließt ch Iheben au. 24
Seite ber einfallen. Zu derſelben Zeit follte ein anderes Heer
unter Panfaniad von ber füblihen Seite über den Iſthmus
gegen Plataeae vorrüden. Pauſanias führte alle Peloponnefier
außer den Korinthiern, weldye es verweigerien, und ben Argi⸗
vern an.
Die Boroter wandten fih an bie Athener, bie damals fo
wehrtod Tagen als man es nur immer fein kann. Sie hatten
feine Schiffe berftellen dürfen und hatten nun nicht mehr als
zwölf Schiffe, der Piraeeus lag offen, bie Iangen Mauern waren
geſchleift. Athen konnte fo eingeſchloſſen und ihm ale Zufuhr
von der See abgefhnitten werben, ohne eine Möglichkeit bie
Belagerung dur Entfas aufzuheben. Allein bie Athener unter
Thrafybul’s Leitung eniſchloſſen fi zu vergeflen, daß bie The⸗
baner im peloponnefifchen Kriege ihre bitterfien Feinde geweſen;
fie wollten nur eingeben? fein, baß Jene ihre Flüchtlinge auf:
genommen hätten, aus welchem Motive auch immer das ge-
ſchehen fei, und daß die Spartaner ihre Todfeinde fein. Se
befchloffen fie das Gluͤck zu verfuchen und jeden zu unterftügen
der fih gegen Sparta erfläre: die Thebaner, ber. perfifche
König, alle waren ihre natürlichen Alliirten, bis ihre Unabpaͤn⸗
gigfeit bergefiellt war. So kam, obwohl bie Athener gewaltig
ſchwach waren, doch ein Corps athenifcher Hopliten unter Iphi⸗
frated, damals 24 Sabre alt, den Thebanern zu Hülfe Die
Thebaner und Boeoter waren Damals einträdhtig.
Eyfander Fam von Phofid herunter, nahm Orchomenss ein
und erfchien vor Haliartus mit einem bedeutenden Heere um
es zu belagern. Hier waren zur Beſchuͤtzung ber Stabt die
Boeoter und Athener gelagert. In diefer Tage hätte Lyfander
warten follen, bis Pauſanias der auf dem Marſche war über
Plataeae berangefommen wäre. Aber es ſcheint eine Erzählung
wahr zu fein, daß ein Brief den Lyfander. an Pauſanias abge-
ſchickt hatte, ihn mahnend feinen Marſch zu beichleunigen, nicht
an Paufanias gelangt und aufgefangen worden war. Daher
Niebuhr Bortr. ab. d. A. G. II. 16
Ol. 95,3.
2342 Schlacht bei Hallartus. Ageſilaus nad Europa zurückbernfen. Schlaf
wollten die Thebaner und ihre Berdünbeten.e8 um fo eher auf
eine Schladyt anfommen laſſen, weit fie wußten Paufanias werde
ſchnell kommen. So kam es zum Treffen; in biefem fiel 2y-
Sander und fein Tod entfchied die Riederlage feines Heeres, bat
einen bedeutenden Verluſt erlitt und ſich zurüdziehen mußte.
Zwei Tage nachher traf Paufanias ein und fand Lyfander’s
Heer nicht mehr; num befahlen bie Ephoren bie bei ihm waren,
er ſolle die Verbündeten angreifen, aber bas verweigerte er mit
Reit oder Unrecht zum Verderben für ihn ſelbſt. Er ward
jegt in Sparta auf den Tod angellagt, weil er den Demos ia
Athen hatte berftellen laſſen und verfäumt hatte Athen zu zer:
fören, aber auch deshalb weil er fett gezögert habe, zu fpät
gekommen ſei und nicht babe angreifen wollen. Er ſcheint mit
wahrer fpärtanifher Langſamkeit verfahren zu haben.
Dies war die erfie Niederlage, melde bie Spartamer feit
ber Schlacht bei den Arginufen erlitten hatten, und auf dem
Lande bie erſte feit dem Verluſt von Pylos. Sie machte auch
einen gewaltigen Kindrud auf die Gemäther. Die Spartaner
fandten jest an Agefilaus ben Befehl, in Alien einen andern
Befehlshaber zu laſſen, der ben Krieg dort nur vertheidigungs⸗
meife führen follte, und ſelbſt mit feinem Heere nach Europa
durch Thracien, Mafedonien und Theflalten zurüd zu fommen.
Dies führte er mit großem Geſchicke aus. Bei Koronea woll-
ten bie Boeoter ihm den Paß verlegen und ftellten fich ihm
entgegen, wurben aber gefchlagen. Der ganze Erfolg des Tref-
fens war indeſſen nur, dag Ageſilaus bie Straße nach dem
Peloponnes frei hatte, ungeachtet er fi über den Iſthmus
nicht zurüdziehen konnte, da Korinth feindſelig war; er führte
nun fem Heer durch Phokis und fchiffte KG im Meerbuſen von
ſriſſa ein; ſonſt nutzte der Sieg nichts,
Zu. beefelden Zeit, aber jedoch ehwas früher, hatte fich ein
anderes Ereigniß von unendlich viel größerer Wichtigkeit zuge:
tragen; "schon auf feinem Zuge hatte Agefilaus erfahren, daß
.
bei Koronea. Nieberlage ber Spautauer bei Ruitus. 248
bie fpartanifche Flotte bei Knidns gefchlagen mar’. Konon hatte
bie Selber des Königs von Perfien angewandt, um eine tüch⸗
tige Flotte zw bilden. Die phoeniciſche Schifffahrt muß in
Berfall geratben fein aus Urfachen, bie wir nicht erflüren kön⸗
nen; Konon flelfte nun bie phoenieifihe Seemacht mis Sorgfalt
wieber ber, verflärkte dieſe Flotte mit griechifchen Schiffen, feste
griehifche Matrofen darauf, und bildete eine Flotte bie nieht
jo groß war, mit der er aber doch der fpaxianifchen enigegen-
gehen konnte. Daß aber: bie Spartaner gefchlagen wurben,
das war die Schuld bes Agefllaus: das geſteht auch Plutarch
ein. Sparta hatte noch eine Flotte von 70 Schiffen, gebilber
aus den Contingenten von Stäbten, die nichts weniger als von
Herzen ihm zugethan waren, aber man fchlägt fig doch im
einem folchen Sale und thut feine Schuldigkeit; außerdem wareg,
bie Sontingente fehr geübt und tätig. Allein Agefilnus hatte
feinen Schwager, den Bruder feiner Frau Pifander, zum Be-
fehlshaber der Flotte eingefegt, gegen bie Warnung Aller die
ihn fannten; er war ein braver Mann aber unbefonnen, bey
nur fchlagen, mit feiner Perfon bezahlen konnte, aber durchaus
unfähig war zu führen. 'Konon und Pharnabazus erſchienen
nun bei Knidus mit der phoeniciſch-griechiſchen Kette. Piſan⸗
der ging diefer entgegen, und die Schlacht wurbe durch Konon
leicht gewonnen; Pifander warb. gänzlich gefehlagen und verlor
fein Leben. Diefe weltgefchichtliche Schlacht bei Knidus fällt
01.96, 3.
Die Folge davon war, daB die Bundesgenoſſen der Spar⸗
taner, Chios, Rhodus und die Städte auf dem fehlen Laude
fi für Konon und den König der Perſer erflärten. Konon
308 durch die Eyfladen, vertrieb überall Die Harmoflen und bie
fpartanifchen Defarchieen, erſchien zuerft in Korinth, das au
froh war, und dann im Hafen feiner Vaterſtadt.
Konon "hatte mit großer Gewanbtheit und Klugheit den Ol. 96,3.
Pharnabazus befimmt Geld zur Unterflägung won Athen her- 60.2.
16 *
244 Ronen felit die Mauern nad die Bietie
zugeben, und bradte bebeutende Summen an perſiſchen Sub-
ſidien mit; baffelbe Perfien, welches vor zehn Jahren ben Spar⸗
tanern Subſidien gegeben hatte um Athen's Macht zu brechen,
gab jetzt dieſe Subſidien um ſie herzuſtellen! Freilich war was
dort geſchehen konnte, nur ein ſehr geringer Anfang ber Her:
Aelung, denn Athen hat ſich nie erholt von ben Wunden des
veloponnefifchen Krieges. Konon fand die langen Mauern
und die bes Piraceus geſchleift. Er gab nun eine bebeutende
Summe Geld zur Wiederherſtellung ber erfleren, und bie Athe⸗
ner brachten ihrerfeits Allee dazu, wozu Thätigfeit und guter
Wille fähig macht, um bie Sache mit aller Kraft zu fördern.
Auch anderen griechifchen Völkern gingen jept bie Augen auf,
daß ihre Freiheit nur durch das Beſtehen Athen's gefichert fei,
und ſelbſt die Thebaner ſandten Arbeiter und Gelb um bie
Mauern herzuftellen, über deren Fall fie vor zehn Jahren trium-
phirt hatten. Dit ber größten Anfrengung wurbe bied Bert
safch für das augenblidliche Bebürfniß ausgeführt; nachher if
es weiter vollendet und verbeflert worden. 'Für jetzt wurben
die alten Defeftigungen nicht ganz wieberbergeftellt; Konon rich⸗
tete die zertrümmerten Werfe des Piraeeus nur an der See
felte wieder anf, und mehr war auch nicht nöthig, ba bie lan⸗
gen Mauern hergeftellt wurden’). Als Sulla Athen belagerte,
müflen die Mauern des Piraeeus wieder in ihrer alten Aus-
dehnung hergeftellt gewefen fein. Uebrigens beftanden bie Tan-
gen Mauern auch noch bis in die mafebonifche Zeit; fie find
erſt durch Antigonus Gonatas zerſtoͤrt, dann aber nicht wieber
erbaut worden.
Mit derfelben Energie bie fie im peloponnefifhen Kriege
gezeigt hatten, ſtellten die Athener jet auch ihre Flotte wieber
1) Als Themiftolles den Piraeens von ber Landſeite befeftligte, dachte man
noch nicht an die langen Mauern; nachdem diefe von Berifles zus
gefügt waren, waren die Befeſtigungen des Pirarens zum Theil über:
fällig. 1896.
Athen's her. Die Iufeln ſchließen fig Athen wieder an. 245
ber; unbegreiffich iſt es, woher eine ſolche einzelne Stabt nach
jo unendlihem Berlufte von Capitalien, von ganzen Flotten
und Deeren, die Mittel berbeifchaffen konnte ſich wieder zu
regen. ’Dffenbar muß ber Handel e8 gehoben haben, aber man
ſieht nicht ein welcher Handel ſich fo befonders nad Athen
sieben konnte. Der Handel nach bem fehwarzen Meere brachte
ben Athenern ihre eigenen Bebürfniffe und konnte fie nicht bes
reichern'. Wahrfcheinlich verfchaffte ihnen Konon zum Bau der
Slotte von feinem Freunde Euagoras Schiffsbauholz aus Cypern
und dergleichen, fonft wäre der fchnelle Bau nicht zu erklaͤren.
Sp Iebte Athen wieder auf im Gefühle der Unabhängig-
keit. Aber bier paßt die Stelle des Nehemia wo es heißt,
daß die welche bie Herrlichfeit des erfien Tempels gefehen hat«
ten bei dem Anblide des zweiten weinten. Sie weinten vor
Freuden, daß fie Jehova wieder in feinem Tempel anbeten
konnten, und vor Traurigkeit, wenn fie Ihn verglichen mit dem
vorigen. So war auch den Ahenern zu Muthe bei bem
Anblide des Piraeeus und der Mauern. - So änderte fi Aues |
in Athen: die Kunſt fank zur tobten — herab, die
lyriſche Poeſie verſchwindet überall’,
Die neuerbaute Flotte wurde nun nach den ioniſchen Gr
wäflern ausgefandt, und biefe Städte waren jetzt eben fo eifrig
fh von der ſpartaniſchen Herrfchaft Ioszufagen, deren Wohl⸗
thaten fie jest erfahren hatten, wie früher von Athen... Chiog,
welches im peloponnefifhen Kriege eigentlich den Ausſchlag zu
Ahen’s Unglüd gegeben hatte, war das erfte das fih von Sparta
trennte und Athen wieder zufiel, und fo ging es überall auf
dem feflen Rande und den Snfeln. Auf Lesbos erklärte ſich
Mitylene für die Athener, die anderen Städte waren in ber
Gewalt der fpartanifchen Partei. Diefe unter ihren Harmoſten
hatte ihre Gewalt fo benußt, daß fie die Auggezeichneten von
ber anderen Partei ermorbete oder vertrieb, Dann kehrten
Rhodos und Samos zu den Athenern zurüf, Samos obgleich
246 Neaction gegen den Auſchluß an Aigen.
die alten Bewohuer, bie eigentlichen Anhänger ber Athener,
durch die Spartauer von ber Inſel verisieben waren.
Wir ſehen bier ein höchſt werkwikrdiges Beifpiel einer Re-
volution, an dem ber Wankelmuth der Beifter fih Mar zeigt:
in Rhobue, das fich jeht für Athen erklärte, ſiegte nach einiger
Zeit wieder eine Partei, welche bie Häupter ber Athener über⸗
wältigte. Es gibt Zeiten wo man ſich an fehlen, beſtimmiers
Grinnerungen hält, dann gibt es andere wo alles Alte morſch
geworben if, wo man feine andere Stuͤtze hat als Die Gegen-
wart, und bie augenblicklichen Umſtände Alles entſcheiden. Bei
der erſten Geſinnung if Alles pofitiv, man hält mit Recht oder
Unrecht an beftinmten Formen, an einer beſtimmten Drbnung,
befimmien Berfafjung oder einer Borliebe für fremde Voͤller.
Wenn aber biefe Täufchungen erfchöpft uad abgenugt find, fo
geht damit bie Stetigfeit unter, durch bie jene alten Borurtpeile
beftochen hatten und woher jene Vorurtheile ihre eigenthümliche
Kraft habenz man iſt Dann unabhängig von folden Gefühlen,
mar beurtheilt bie Dinge wie. fie unmittelbar auf ung einwir-
fen; eigentlid aber if man negativ, ift alt und Flug genug
geworden um feine Illuſion Aber wirkliche Berhältniffe zu haben,
man liebt nicht mehr, aber man hat Antipathieen und auch dieſe
find oft nicht ausdauernd. So war es jegt mit den Bunbes-
genoflen Athen’d. Die Partei unter benfelben, welche früher
bie Spartaner ald etwas Einziges bewundert, hatte biefe jept
in der Nähe kennen gelernt und. gefunden baß fie Raub-
gefindel, Betrüger wären, daß man ſich getäufiht hatte, und
ber Plünderungen müde, ſahen fie jetzt die als Wohlthäter an
welche fie aus biefem Berhältnifie zogen. Deswegen waren
bie Athener ihnen wieder herzlich willfonmen. Hätten nım
Die Athener reiche Geldquellen gehabt, und hätten fie von be
Bundesgenoſſen Feine Anfrengungen und Opfer zu fordern ge-
braucht, jo wäre Alles gut geweſen; aber Athen war arm ge-
worben, machte große Auftrengungen und konnie biefe nicht
Das Berhi tniß zwiſchen Bertien und Aigen wird zweifelhaft. 247
ohne Hülfe ber Bundesgenoffen beſtreiten. So führten fie wie
der bie Steuern ein und forderten Kriegsdienſte von ihnen;
bazu Sam, daß fie in einigen wiberfpenftigen Orten, bie fie mit
Bewalt eingenoumen hatten, Kleruchieen Rifteten, im Sinne ber
ooloniae civium Romanoram. Die Tyraanes ber Spartaner war
war vorbei, aber nun folften die Rhodier und bie Anderen Beik.
geben, follten ſich anftrengen, in’d Feld ziehen. Das wider⸗
firebte ihrer Weichlichkeit und ihrem Egoismus, und bie welche
vorhin gejubelt daß die Spartaner weg wären, waren nun bald
auch ber Athener überbrüffig. Wäre nun ein dritter ba geweſen .
fo hätten fie fih dem auch in die Arme geworfen, fo aber fielen
bie Rhodier und auch andere Städte wieder zu Sparta ab. Ge
verwirste ih das Ganze: ed waren naht mehr entfchiebene
Parteien bie fi gegenüberfianden, gegenfeitig war Die größte
Unzuverläffigfeit.
Unter dieſen Umſtaͤnden erſchien Thrafybul in — mW Ol.97, 2.
einer atheniſchen Esladre, führte daſſelbe aus was Allibiabes
früher gethan, ging nach dem Hellespont, bemeiſterte ſich mit
Ausnahme von Abydos aller Orte die den Athenern dort fr&-
ber unterthänig geweſen waren, und führte ba6 dexezausnpuor;
den Zoll von zehn Procemt im Bosporus zum Boriheil Athen's
wieber ein. Ueberhaupt mußten die Athener Aberall Darauf be>
dacht fein fih Geld zu verfchaffen, und biefe Nothwendigken
brachte ihre Heerführer zu manchen Maßregeln und Unterneh⸗
mungen, bie im Allgemeinen mit der Politik im größten Wibers
fpruche fanden.
Ihr Beftreben mußte fein den König von Perflen ſich —
fig zu erhalten und Subfldien von ihm zu befommen, aber
mitten fm Kriege wußten die Spartaner ſich am perfifchen Hofe
zu infinniren und dies zu hintertreiben. Sie flellten den Per
fern die Gefahr für fie ſelbſt vor, fle fagten, daß ſie Thoren
wären wenn fie die Athener unterfiägten die ihnen die Gefähr⸗
lichſten feien, da Griechenland den Perfern nur burch eine Flotte
1.06, 4.
2348 Konon's Tod. Thrafybal's Tor.
Gefahr bringen könne, daß fie durch eine ſolche Unterſtutzuug
Waffen gegen fi ſelbſt ſchmiedeten. Die Perſer gaben baper
den Athenern nichts. Aber Euagoras, der Freund Konou’s,
ſchickte ihnen noch Hülfe, der [jedoch] damals mit dem perfiichen
Könige noch nit in [offener] Feindſchaft war‘). Er war
König von faft ganz Eypern, zahlte aber Zribut an dem großen
König und die orientafifhe Monarchie fieht nicht fo genau zu,
fo Iange folche Fälle noch verichleiert werben können.
Die Perfer waren im Grunde den Athenern ſchon fo ab-
beid, daß Konon von dem Satrapen Tithrauftes verhaftet und
in ben Kerfer geworfen worben war. Obgleich es eine Angabe
gibt daß er in den Feſſeln geftorben fei, fo ift ed doch wahrfchein-
licher daß er aus dem Gefängniffe entlam, wieder zu Euagoras
floh und bort farb. Seine Familie war in Athen. Konon
war einer ber vortrefflichfien Bürger, welche die alte Geſchichte
lennt, der ſich gegen fein Baterland nicht allein durchaus un⸗
inbelhaft und im höchſten Grabe aufopfernd gezeigt hat fondern
fo heilſam und bülfreich geweien ift, wie vielleicht kein anderer
einzelner Bürger es jemals hat fein können. 'Daß er den Bar-
baren diente, dürfen wir nicht tabeln: er biente ihnen mit bem
Lörper um feinem Baterlande zu nüpen”. Er hinterließ einen
Sohn an Gefinnungen feiner wärdig, Timotheus, der nachher
mit großem Glanze auftrat. Thraſpbul, ber das unglüdkliche
Geſchaͤft hatte von den griechifhen Bundesgenofien Mittel her⸗
beizufhaffen, und genöthigt war von Drt zu Ort mit feiner
Flotte zu ziehen um bie Eontributionen einzutreiben, wurbe bei
biefem verhaßten Gefchäfte von den Aspendiern in Pamphplien
D1.97,3. bei einer Landung erfchlagen, Thraſpbul's Gefchichte iſt fehr
ſchlecht bearbeitet, Die Materialien find ſchlecht: wehe ben Tho⸗
sen die griechifche Gefchichte fchreiben wollen wo wir Thufybi-
bes haben, aber fie von ba an zu fchreiben wo er fie gefchloffen,
bas if ein lohnendes Geſchaͤft. Dies iſt nicht eine Geſchichte
2) Der vorehende Gap iſt nicht ſicher vefituirt. 2%.
Verſtaͤndniß Sparta's mit Perſien. Korinibifcher Krieg. 249
die mit Forſchung über Berfaflung zu ſchreiben iſt, ſondern
pragmatifch mit Kenntniß der Welt und des Menfhen. Da
find manche Kränze berunferzureißen, andere zu geben, z. B.
Konon muß noch mit mehr Achtung genannt werben.
In diefer Zeit nun waren bie Spartaner in fleter Unter⸗
bandlung mit ben Perfern um einen Frieden herzuftellen, wie
er ihnen genehm war. Antalfidas unterhandelte zweimal: ein
Mal ohne Erfolg, das zweite Mal nur mit allzuglückllichem:
Artaxerxes trennte fih von Athen und trat als Bermitiler in
Griechenland auf: ein Triumph der fchlechteften Politik für
Sparta’,
In Griechenland hatte unterbefien ber Krieg forigebanert,
Der fogenannte korinthiſche Krieg war ausgebrochen, eigentlich
nur eine Fortfegung bes früheren, welcher mit bem Einfalle ber
Pholker in Boeotien begonnen hatte und in dem Lyfander bei
Haliartus gefallen war; es find biefelben verbünbeten Staaten,
aber ber Schauplag bes Kriegs verfeute fi) aus Boestien nad
dem Gebiete von Korinth. Die alten Befreundeten, Argos und
Athen, waren mit Korinth und Boeotien verbunden: Boeoter
war damals der Name, fie ftanden aber unter ber Hoheit The⸗
ben’s; und der Krieg verfegte fih nad Korinth, weil Boeotien
frei geworden war und bie Athener und Boeoter Alles baran
festen den Iſthmus gegen bie Spartaner zu fchließen: bie
Argiver aber waren mit Athen befreundet und hatten noch —
anderen Zweck dabei.
In Korinth war nämlich eine Revolution ausgebrochen, und
burch diefe warb die feltfame Beränberung bewirkt, daß Korinth
fih mit Argos zu einem einzigen Staate vereinigte, — eine
der Erfcheinungen, welche im peloponneſiſchen Kriege anfangen,
jegt enifchieden zeigen, daß man das Bedürfniß erfennt ſich in
größeren Staaten zufammen zu ziehen. Während die Spar-
taner das Ganze auflöflen um das Vereinzelte fi) zu unter-
werfen, trieb der Inftinet die Vereinzelten zu Berbindung an,
Ol. 08, 2.
250 Bereinigung der kleinern Staaten zu greßeten Maſſen.
wei nur fo bie Unabhimgigfeit zu erhaften war’... Died bewog
Korinth mit den Argivern zu einem Staate fh zu vereinen,
fo daß beide Argiver wurden : sv Hopındov Apyos Erroinoor,
und der Friebe bes Antalfivas bewirkte hernach: wess zuraerı
»Aeyslas sYv KöpemIor slvar. In welcher Form Diefe Ber-
einigung flattgefunden habe, darüber ſchweigen leider unſere
Quellen; wahrfcheintid, if aber, daß die Argiver die Zahl ihrer
- Stämme vermehrt haben, und Korinth mit einer beftimmien
Zahl in die Herrſchergeſammtheit eingetreten if. In biefelbe
Zeit :IR- auch die Revolution in Elid zn ſetzen, durch bie bie
Eleer die alten Bewohner, ihre bisherigen Perivefen, in's Bür-
gertecht aufnahmen und fo ihre drei Stämme. auf zwölf brach⸗
ten‘). Diefe Revolution überwand die Fleinen Municipalvor-
urtheile derer welche in eigener Eriflenz ein großes Glüuck faben,
die Borftellungen welde dem Bortheil ber Bereinigung in
arößern Muffen entgegenſtanden. Manche Verhältniffe find in
verfchiedenen Zeiten ganz andere, So waren die VBerhältnifie
Korinth's in frabern Zeiten der Art daß dieſes für ſich beſtehen
Tonntes das war aber jetzt nicht der Fall, jebt mußte es Bun-
deögenoffen haben, und da ed fich nicht mehr allein erhalten
fonnte, da war ed eben das Beſte daß ed an Argos fidh an-
ſchloß, wie es weife war daß die Eleer ihre Perivelen zu Mii—
hürgern machten. Hier lege mir Niemand einen Sinn unter
ber nicht der meine if. Ich habe mich über unfer deutſches
Vaterland in meinen vorfährigen”) Borträgen offenherzig ge-
äußert. Wenn in großen Ländern die Bandesverfaffiung der
. 9 1825 fegt N. dies Creigniß mit Beſtimmtheit in DL. 96. A. d. H.
?) Die in dieſem Bande enthaltenen Vorleſungen find von der 44jien an
im neum Jahre (1830) gehalten. Alſo verweilt N. im Obigen auf
die im Sommer 1828 gehaltenen Borlefungen über Revolntionsge
geſchichte und wahrſcheinlich auf die Schlußworte, bie nah N.s eigenca
brieflihen Aeußerungen eben tie eindringlichſten Grmahnungen zur
Einigfelt unter den Deutfchen enthalten baden. Sie haben in ber
Ausgabe nit vollſtaändig ergänzt werben können; was er aber über
Bereinigung der kleinern Staaten zu größern Maffen. 251
Art iR, daß fie gegen große Staaten nicht ungerecht ift und
fleinere diefe nicht überfiimmen fönnen, und ebenfalle große
bie kleineren nicht, dag billige Verhäliniſſe nicht durch Intriguen
und Factionen in allen: ihren Intereflen verlegt werben fünnen,
fo it das ein billiger Bunbesftaat. Dann find aud die Heinen
Staaten durch Recht und Billigfeit gefhügt und eine engere
Berbindung if nicht möthig. Diefe traurige Notbwenbigfeit
tritt aber alsdann ein, wenn Eleine Staaten, bie dad Wenigſte
beitragen, bie ſich freuen ihre Stimme geltend zu maden, zu
großen Einfluß haben. Das ift ein fchlechter Zuftand, ber
künftig fehlechte Folgen haben muß. Bei den Griechen aber
war fein folches gemeines') Verhaͤltniß; beim Auflöfen war
feine andere Wahl, als daß man fih in größere Maffen ver-
einte, wie es auch in Stalien nad der Auflöfung des Kaifer-
thums hätte gefchehen follen. Deutlicher noch zeigten fpäterhin
die Bewegungen woburd die Arkader einen Staat bilden wol⸗
in, die Bildung des achaeifchen Bundes, und die ganze Polis
tiiche Herſtellung bes fpäteren Griechenland's einen Lebenstrieb
die kleineren Staaten in größere Maffen zu zieben. Der war
ein guter Patriot in Korinth, der für die Bereinigung mit Ars
808 ſtimmte; der eitle Träumer, ber am Namen bielt, ber bejam⸗
merte daß Korinth nicht mehr ſouveraͤne Stabt fein follte, fon-
bern nur mit Argos zufammen. Das ift einer von ben Yällen
wo wir unfere Anfhauung unabhängig machen ſollen von bem
was fihlechte Erzähler davon urtheilen. Selbſt Diodor, fo
ſchlecht er an ſich if und fo wenig ev einen Begriff bat über
die deutſche Bundesverfaflung darin geſagt hat, famn dem nicht zwels
felpaft fein, der N. näher fennt. Sein tiefer Schwerz war, daß dem
fleinen Staaten gleihe Stimmen gegeben worden wie den großen;
daß dadurch der Infall und die Ehicane das Regiment. Gefäßen umb
ven kleinen Staaten die Uebermacht gegeben fei, jo bald ein Staat
zweiten Ranges eine ehrgeizige Politik befolgend fi gegen bie großen
Mächte ftelle und die Heinen um ſich verfammele. A. d. 9.
) Offenbar iſt „gemeinſames Verhältniß für die ganze Nation’‘ gemeint.
A. d. 9.
252 Tattif des Iphifrates.
alle dieſe Verhaͤltniſſe hier, hat ein richtiges Urtheil, weil er
dem Ephorus folgt.
Diefe Revolution in Korinth hätte fehr fchöne Folgen haben
fünnen, wäre fie Durdhgefegt worden und hätte fie Beſtand ge-
habt. Man mag nicht die richtige Verfaſſung veranflaltet
haben, die Form mag nicht die gefälligfte, paſſendſte geweſen
fein, aber durchgeſetzt hätte es für ben ganzen Peloponnes
und die einzelnen Staaten folgenreih fein Tönnen. Hier
wäre ſchon ein Anfang geweſen das zu leiſten, was für
den Peloponnes fpäter durch den achaeifihen Bund geleifet
wurde. Phlius, Mantinea, die fo fehrediihde Schickſale von
ben Spartanern erleiden mußten, hätten fih au an Argos an-
ſchließen follen. Argos hatte den Bortheil, daß jeder Grieche
es aus den homerifchen Gefängen als Mittelpunct von Grie⸗
chenland kannte; Teider aber hatte es Feine perſoͤnlich audge-
zeichneten Männer und Feine Berfaffung auf die man bauen
fonnte.
Zu berfelben Zeit trat in Griechenland noch eine andre
Weränderung ein, bie ebenfalls große Folgen hätte haben koͤn⸗
nen, aber ohne Erfolg blieb, die taftifchen Neuerungen bes
Iphikrates. Er war einer von den Männern, die fehr früh
im Leben zu einer ausgezeichneten Wirkfamfeit berufen find und
die nicht durch vieles blindes Tappen den rechten Weg finden,
fonbern denen die Dinge früh Mar find; und was er Har ſah,
feste er auch in's Werk. Schon im vier und zwanzigften Jahre
war er der Schöpfer einer neuen Kriegskunſt. Seine Kriege-
kunſt fand in demfelben Berhältniffe, wie in weiterer Sphäre
damals ein Mann in Italien wirkte. Wie dort ungefähr um
diefelbe Zeit das Zufammentreten mehrerer Staaten zu größe-
ren Bereinigungen als Bebürfniß erſchien, woraus heftige,
traurige Conflicte entftanden, fo waren auch die Römer damals
im Klaren daß bie alte Kriegskunſt der Phalanx zu nichts führe.
Mit der Phalanx konnte man nur entfcheiden, wenn man bie
Taltit des Iphllrates. 259
Tiefe der Phalanx verflärkte, und bie langen Speere noch mehr
vergrößerte, oder man mußte eine ganz neue Kriegskunſt erfin-
den, woburd man gegen bie Maffe die individuelle Ausbildung
aufftellen konnte. Das Letzte haben die Römer ungefähr zu
biefer Zeit, etwas fpäter vielleicht nach Borgang der Samniter
mit ausgezeichnetem Erfolg geiban, und auf bewundernswürbige
Weiſe ber alten Phalanı mehr Individualität gegeben. Etwas
Aehnliches verfuchte nun auch Iphikrates duch die Bilbung
der neiraosai. Diefe Peltaften waren leichte Truppen aber
mit Schwertern bewaffnet. Die Phalanr war mit Speer und
fürzern Schwertern (Hirfchfängern) bewaffnet, wie die albanefi-
hen Meſſer, die höchftens einen Schuh lang waren; dieſe hat⸗
ten die Griechen von den urälteflen Zeiten ber. Die Form
blieb nun für die Peltaften unverändert, Iphikrates gab aber
ihren Schwertern doppelte Größe. Zugleich nun, heißt es ein⸗
fimmig bei den alten Schriftftellern, verlängerte er die Lange
um bie Hälfte. Dies darf aber nicht, wie ed geichieht, auf Die
Peltaften bezogen werben. Die Gefchichtfchreiber dieſer Zeit
find ganz unfritifche und durchgehends fo unpraftifche Leute, daß
einer bem Anderen bergleihen ohne Einfiht der Sache nach⸗
fhreibt und ohne zu wiflen wovon die Nede if. So ift bie
Sache auch in ben Cornelius Nepos übergegangen, dem man
glauben müßte, daß die Peltaſten zugleich verlängerte Schwer-
ter und längere Lanzen erhalten haben. Wenn wir aber in
Kriegsgeſchichten leſen, fo finden wir bie Peltaften mit Wurf-
fpießen (dxörzıa) bewaffnet; nun tft aber nicht möglich, daß
fie Speere und Wurffpieße zu gleicher Zeit getragen haben.
Sie find ferner ganz bewegliche Tirailleurs, entwideln ſich und
ziehen fich ganz leicht wieder zufammen, wurben von den Alten
zwiſchen den wuAos und örskiras in die Mitte geftellt. Indeſ⸗
fen it es doch nicht falſch, daß Iphifrates die Sperre um bie
Hälfte verlängert habe: man muß nur jene Notizen trennen,
bie falfeh verbunden worben find. Iphikrates if e8 alfo wohl
>
254 Taftik tes Iphikrates.
gewiß geweſen, der den erſten Schritt that die gar nicht lan⸗
gen Speere der Phalanx zu verlängern, was Philipp nachher
noch viel weiter führte, indem er die vapıooar einfährte, wo
auch die hintern Glieder arbeiten Eonnten; wo Arnold Winfel-
ried durchbrach, da waren bie Speere von der Länge ber
neueren griechifchen Lanzen. Dadurch erhielt die Phalınr eine
viel größere Kraft, indem jet auch bie tiefer ftehenden Glieder,
be Speereifen wirkſam gebrauden fonnten; jet konnte das
dritte, ja auch das vierte Glied mit ihren Speeren wirfen.
Das IR eine Sache für fih. Etwas Anderes aber ift, daß
Iphikrates die Peltaſten nach thracifchem Fuße mit Heinen leich⸗
ten Schifvern und Wurffpießen bildete: — die Thrafer hatten
foldde Teichte Truppen mit leichten Schildern, während bie wWwelor
feine Schilder und feine Schwerter hatten, — leichte Truppen, die
einzeln ausgebildet wurden im Werfen mit den Spießen und
im Fechten mit den Schwertern, eine wichtige Waffe. Diefer
große Gewinn der Kunft fand aber bloß Anmwenbung auf Tohn-
foldaten, die Iphikrates felhf geworben Hatte und im Seriege
und Frieden ererzirte, da bei diefen allein bie nothwendige
Vebung hervorzubringen war. Der atheniſche Bürger aber oder
der andere Bürger blieb tmmerfort Hoplit und focht nur in der
Phalanx; er war ein fimpler Milizſoldat und war nichts an⸗
berd gewohnt, als feine Kraft anzuflrengen; er Iernte Angriffe
und Bewegungen machen, übrigens hatte er nichts zu thun, ale
mit der Maffe vorzubringen. Wenn eine folhe Mafle aufge-
halten wurde und in Unordnung gerieth, fo war fie verloren.
Die Peltaften fommen in ber fpäteren Zeit [nicht mehr]
vor, wahrfcheinlich [aber] find die Agrianer unter Philipp und
Alerander Beltaften geweſen. Ich kann mich nicht überzeugen,
daß das Ayrıa der Macedonier die Phalanr geweſen iſt; die
Phalanx war die Miliz jenes, der eigentliche Kern bes male:
bonifchen Heeres waren Peltaften.
Die neue Taktik bes Sphifrates hatte im korinthiſchen Kriege
Vertilgung einer fpartanifchen Mora und Einnahme bes Scham. 255
glänzenden Erfolg; dennoch wurde das Syſtem nicht durchge⸗
bildet und es bat im griechifchen Kriegsweien eigentlich nichts
neu gerchaffen und nicht die bleibenden Folgen gehabt, weiche Die
Veränderungen, bie wahrfcheintih Camillus eingeführt hat, auf
bie römifche Krieggordnung ausgeübt haben, wodurch biefe von
einer Bervolllommnung zur anderen bis zum hoͤchſten Grade
fortſchritt. Man kieß das "Alte beſtehen, — zu ſagen
warum.
Der korinthiſche Krieg dauerte * und Be Gang war
unbeſchreiblich langweilig; er warb ſchwach und kleinlich ges
führt, und Fein einziges Ereigniß iſt der Erzählung werth, aber
wohl bas Ende des Kriegs, der Frieden des Antalkidas. ’Yyı
Kriege fielen eigentlich nur zwei Hauptbegebenheiten vor, Die
Einnahme bed Lechaeum durch bie Spartaner durch Verrath
und die Niederhauung einer ſpartaniſchen Dora durch die Yel«
taſten Des Sphifrates’ ').
Die Oligarchen in Korinth waren buch die Revolution gıy.
vertrieben und hatten ſich zu den Lakedaemoniern gerettet, und
biefe hatten das Lechaeum den Spartanern geöffnet; fo war Ko⸗—
rinth vom Friffaifehen Meerbufen abgefähnitten. Hier Tag eine
ſpartaniſche Befagung, das Haupteorps der Syartaner lag zu
Sifyonz "die Athener Tagen unter Iphikrates zu Korinth’, A
bie Befatung von Lechaeum gewechfelt und die [dort Tiegenden-}
Moren durch neue erſetzt wurben (denn wie die römifihen Legionen
') Die ſpartaniſche Infanterie war in ſechs uogas getheilt, die zu vers
ſchiedenen Zeiten verſchiedene Organifation und Zahl gehabt haben.
Eine Mora bei Bolybius mußte eine ganz andere Zahl Haben als bei
Gpherns uud den Aelteren, da bie Berfufling von Sparta Ion ges
funfen war. 886 fann fehr gerne fein, daß, wie für bie römifche Legion,
obgleih gewöhnlich ihre Zahl 4200 war, zuweilen mehr ausgehoben
wurden, fo auch die uöoa in gewiffen Källen verſtärkt worden IR, aber
bie legitime Rormalzahl fcheint damals 600 geweien zu ſein. Diefe
Moren find bei den fpätern Echriftftellern daſſelbe was die älteren
Schriftſteller Aöyor nennen; In Xenophon's u Td,on bedeutet —
etwas Andıre.
256 Berlilgung einer ſpariauiſchen Mora u. Einnahme bes Lecharsm.
[mit jedem Sabre] neu gebildet wurden, fo wurben auch bie
Iafebaemonifchen Moren neu in's Feld gefandt und Iöften die
alten ab), — als daher die neuen Moren die alten ablöften
und biefe von Lechaeum nach Sifyon zurüdtehrten, fo nahm
Iphilxates diefe Gelegenheit wahr, griff die abziehenden Lake⸗
daemonier auf dem Wege mit feinen Peltaflen an, Iöfle fie auf
und hat eine ganze Mora beinahe völlig aufgerieben. Der
Schlag war hart, aber doch nicht zu vergleichen mit ber Ein-
fhließung der Truppen auf Sphafteria, ba nur wenige eigent-
lie Spartiaten dabei geweien zu fein fcheinen. Weber bas
Berpälmig in dem die Spartiaten in ben Moren bienten haben
wir fein beſtimmtes Zeugniß, und durch VBermuthung iR man
noch nicht zu irgend einem Grade von Wahrfcheinlichkeit gelangt.
Meine Bermuthung if vorläufig, daß die Spartiaten nach einem
gewiſſen Verhältniffe in bie Moren vertheilt waren; nad bem
peloponnefifhen Kriege kann man beftimmt behaupten, bag fie
in bie Moren eingetheilt waren, ob fie nicht aber vorher auf
andere Weiſe dienten ift nicht ganz Harz unfere Nachrichten
darüber find Höhfl ungenügend. Diefe Aufreibung der Mora
i# für ung ein Ereiguiß, über das wir lächeln wenn darauf
ein großer Werth gefeut wird, aber es war einer von ben Ge:
genſtaͤnden, bei welchem die attifchen Rhetoren immer verweil-
ten wenn fie Athen priefen, und hat ihnen unendlichen Stoff
su Deelamationen gegeben; vom Berfafler des Menexenus an,
ber nicht bedenkt daß Sokrates fie nicht mehr erlebte, bis zu
ben fpäteren Rhetoren, Ariftides Sophiſtes und feines Gleichen,
iſt ewig bie Rede davon.
Diefer Krieg war für Niemand fo verberblich als für Die
Korinthier, die Athener verfpärten wenige Nachtheile bavon,
einzelne Störungen ihres wieberauflebenden Handels durch Fleine
Seeräubereien abgerechnet. Attila wurbe nicht verheert, der
Krieg war von den Gränzen entfernt, und wie der Landmann
in den füblichen Gegenden, wenn er nicht durch Abgaben und
Lage Athen's im Kriege. Trieben des Autallldas. 257
Feudalverhaͤliniſſe erbrädt wirb, ſich fehr leicht erholt, fo ge-
langte ber Bauer in Attika fehr ſchnell wieder zu einem ver-
haͤltnißmaͤßigen Glucke; er baute fich Teicht ein Haus und ſiellte x
leicht feine Wirihſchaft her. Bon athenifcher Seite würde man
auch nicht fobald an Beendigung des Krieges gedacht haben,
wenn wicht jetzt ber Friede bes Antalkidas eine gänzliche Auf-
löfung bes Bundes wie er bisher beflanden herbeigeführt Ol. os 2,
hätte, |
Wir müffen und übrigens die Athener neben ben Andern,
Doeotern, Rorintbiern, Argivern ohne irgend eine Art von Vor⸗
fig bei den Berathungen und im Bunde denen.
Während alfo ber Krieg auf dieſe Weife ohne Ereigniffe
geführt wurbe, fchloflen die Spartaner durch Antalfidag jenen
traurig berühmten Frieden mit dem Perferfönig. Sie traten
barin im Namen ber Griechen alle Rechte auf bie Freiheit ber
Städte auf den Küften des Heinafiatifchen Feſtlandes fammt Klazo⸗
menge ab, übergaben fie den Perſern unbedingt zum Eigenthum
'und fagten ſich von jedem Schutzverhältniß gegen fie los', wie
fie es fchon gegen Tiffapbernes und Eyrus geihan hatten; auch
bie Hoheit über Eypern wurde den Perfern völlig beflätigt, und
fo Euagoras, der nach Unabhängigkeit firebte, dem perfifihen
Könige preisgegeben. So traurig biefer Frieden für bad Ge—
fühl dee Griechen war, daß fie ihre Landsleute der Herrfchaft
der Barbaren übergeben mußten, fo war doch das nod viel
Schlimmere die Heuchelei die die Spartaner barin trieben, und
bag die Perfer durch dieſen Frieden in bie inneren Angelegens
beiten Griechenland's eingemifcht wurden.
Es wurde nämlich feftgefeut, daß alle griedhifchen Stäbte
avzövonos fein, alle Muünicipalftädte volle Freiheit und Selbft-
fändigfeit erlangen follten: nur warb den Athenienfern Lemnos,
Imbros und Skyros gelaffen, 'um fie mit in den Frieden hin⸗
einzuziehen: dieſe Anfeln hatte Lyſander ihnen genommen, bie
Athener aber Jatten ſich wieder in ben Beſitz derſelben geſetzt
Niebuhr. Bortr. 56.9.9... 17
d
258 Frieden des Antalltdao.
und viele Bürger hatten bort ihre Vermoͤgen“. Boeolien fell
fih auflöfen, alle Landſchaften und bie einzelnen Städte ſollien
höchſtens eine Iofe Eonföberation bilden können; fie ſollten abe
nicht einen Staat ausmachen in bem eine höchfte Behörde wär,
fondern hoͤchſtens in einem Zuſtande fein gleich dem in welchen
bie Schweiz jept if. Kolge davon war daß alle Bünde auf⸗
gelöft werben follten. Dabei erflärte der große König, daß a
den Spartanern behülflich fein wolle, falls griechifhe Stäbk
biefem wohlthätigen Geſetze ſich nicht fügen wollten, den Krieden
durchzuführen.
Dies wurde von ben Spartanern ben Griechen ange
kündigt und Niemand konnte natürlich fich wiberfegen. I
Korinth entfchleb die Faction der Eitelleit, gefränft daß die
Stadt einen Theil von Argos ausmachen follte, für die Ar
nahme”. Die Athener waren jest nicht in der Lage Krieg gegen
den König von Perfien und gegen Sparta führen zu fönnen,
und Tiefen ſich durch die Zufiderung von Lemnos, Imbros und
Skyros einfchläfern; fo unterwarfen fie fih dem Frieden und
allgemein ebenſo alle griechiſchen Staaten. — Der Jriedn
wurbe geichloffen DL. 98, 2 im neunzehuten Jahre nach be
Schlacht bei Aegoopotamos.
Neue Obermacht Sparta's unter perfifhen
Einfluffe Befreiung Theben's.
Sp follte nun Alles frei fein. Aber Perſien und Spark
hatten bie Garantie des Friebens übernommen und dies hatk
bie nämlichen Folgen, wie fie die Garantie Schweben's und
Frankreich's für den weſtphaͤliſchen Frieden über Deutſchland
brachte. Das iſt der Punct, von dem aus die Ränfe und di
Anfprühe Sparta's fortarbeiteten’.
est ſah man welche tiefe Heuchelei bie Sparianer geübt
hatten. Obgleich bas Ganze [sic] aufgelök wer, blieb Sparis
Allgemeine Knechtſchaft GSeiechenland's in Folge des Friedens. 259
umyeränbert bei feinen Anfpräden auf die Hegemonie, unb fie
ſtellten fid an bie Spige einer Verbindung in beren Namen fie
ganz allein handellen. Sie beriefen nicht mehr Berfammlungen
ber Bundesgenoſſen, fonbern fchloffen für fie allein ab, banbel-
ten vollig wilffärlich, und eben in biefer Formloſigkeit fanden
fie vielleicht ein Argument für ihr Necht fo zu handeln, indem
die Bundesgennfien anf dem Papiere nicht abhängig waren,
aber doch in der Wirklichkeit.
An jede einzelne Stadt führten bie Spartaner ihre Anhän-
ger, die in früheren Zeiten vertrieben worden waren, wieder
zuräck, gaben ihnen ausſchließlich Die Gewalt in bie Hände und
waren ihnen behülflih Race zu nehmen. ’Angeblih um auf
die Beobachtung bes Friedens als Bürgen zu halten und bie
kleineren Stäbte vor den Mächtigeren zu ſchuützen, fanbten fie
von neuem Harmoften und fogar Befagungen aus. Auf biefe
Beife dehuten fie ihre Macht über ganz Griechenland aus und
fanden mın auf dem Gipfel. Weberliflet und erſchrocken war
Griechenland mehrere Jahre beflürzgund ohne Math.
Hätten bie Spartaner ihrer Macht einigermaßen Gränzen
gefet, jo wäre die Zeit ihres Endes noch nicht gefommen, aber
fe waren tamnb gegen Alles und wollten nichts von Dem wiffen,
was die Umſtaͤnde geboten: fo ftürzten fie ſich ſelbſt in's Ver⸗
derben’.
Unter den Orten in Arladien, — was die Tendenz be=
ztichnet, daß bas Kraftlofe unter und in das Stärfere über-
seht, — Hatten die Mamtineer durch ovroızısuös, indem fünf
Beine Städte fich in eine zufammengezogen hatten, Kraft bekom⸗
men und feit geraumer Zeit ſich fehr gehoben: ihre Stadt war
jest in Arkadien mächtig geworben. Aber bier regte fich die
leidige Eiferfucht: Tegen, das von Alters her die erfle Stadt
in Arfadien gemwefen, war gegen Mantinea gereizt, unb während
früher die Tegenten den Lafedaemoniern immer auffäffig gewe⸗
jen waren, fuchten fie jegt Sparta aus Eiferfucht gegen bie
17 *
260 Serkörung Bauituen’s.
Prantineer aufzuhezen und fanden es beffer, Knechte ber Spar⸗
taner zu fein als Kreunde der Mantincer. Ju einer vortreff⸗
lihen Flugfchrift vom Anfange bes breißigjährigen Krieges, —
die wie ich nad ber Sprache vermutbe von dem Böhmen Theo:
bald gefchrieben if, auch nad Schrift und Drud, und von ber
ih fo viel ih weiß bad einzige Exemplar befige, bie ein
Sammlung weifer Sprüche enthält, — ba fieht, daß es beffer if,
dem Landsmann bie Schuhe zu pugen, als bem Fremden bie
Füße zu küflen‘): Das hätten bie Tegeaten bedenken ſollen.
Sp war es in Griechenland und das if bie Urſache dei
Untergangs von Griechenland. Die fpätere griechiſche Geſchicht
ik außerordentlich traurig, aber fie iR auch lehrreich für bie
welde ben Gang der Weltgefchichte, nicht eine fpeculative Phi⸗
loſophie der Gefchichte, fondern die wahre Kunde erforſchen. —
Ein ſpartaniſches Heer erfchien nun vor Mantinea: ber fflavi-
fhe Xenophon hatte ſchon [früher] bemerft Mantinea habe fd
heimlich gefreut über bie Zerfiörung ber fpartanifchen Mora;
darin, obgleich er felbft nus von einer heimlichen Freude ſpricht,
begründet er bas Recht Mantinea mit einem Heere zu zerflören.
„Es wären (erklärten die Sparianer) zu viele Schlechigefinntt
unter ihnen, fie wären immer übel gefinnt, flörten Griechenland,
für den Frieden von Griechenland und ihre eigne Wohlfahrt
jet es beffer, wenn ihr Staat aufgelöft und die Stabt zerfört
würde bie nur Aſyl der Uebelgefinnten wäre.” Die Dantiner
vertheidigten ſich entfchloffen, aber es gelang den Spartanen
ben Fluß gegen die Mauer zu leiten und ihn zu ſtauen, baf
er bie fchlechten Mauern wegrig, unb jegt mußten bie Mantineer
D1.98,3. fih ergeben. Die Spartaner vertheilten die Einwohner in fünf
) Warhaffte neue Zeitungen von unterfhienlihen Orten und Lantıt
d. i. Die alte Warheit mit einem neuen Tital. Gedruckt in de
Parnaßiſchen Druderei. 1620. Alto. „Aus Deutfhlaund: ... . . . Dof
es befier fey von einem Mitbürger beraubt, als von einem Frembden
gar verfaufft werden. — Daß es beſſer fey einem Lantsman die
Schuh butzen, deun einem Aufplänber bie Füße laſſen.“ A. d. ©.
Krieg Sparta’s mit Ole. 261
Dörfer und verfagten bie Gegner der Oligarchie; bie Stabt
wurde zerflört. Die Mantincer haben ſich gut veriheibigt.
Wenn irgendwo zeigt fih bier charakterifiifch bie ſtlavi⸗
fhe Art, wie Zenophon, ganz in Sparta’s Intereſſe befangen,
Geſchichte ſchreibt. Nachher, fagt er, hätten bie Mantineer
ſelbſt eingeſehen, daß bie Spartaner Recht gethan fo zu han⸗
bein, und es wirklich gut mit ihnen gemeint hätten; nunmehr
hätten fie ihre Aecker ruhig beftellt, entfernt von Thorbeiten.
Nah diefer Schandthat war in Griechenland allgemeiner
Widerwille und Haß gegen die Spartaner und es folgte ein
anderes Unternehmen in weiter Ferne, das von Seiten ber
Spartaner fehr unflug war, Es zog fie in entfernte Beziehun-
gen hinein, von benen fie nicht ficher fein konnten, ob fie bie-
ſelben "ohne Klotte! würden durchführen können, und dieſe Une
ternehbmung laͤßt fich durch nichts Anderes erflären, ale daß
Amyntas von Macebonien den bier entfheibenden Machthabern
Geld geboten Bat.
Macedonien erhob fih allmählich und war unter Amyn⸗
tas ll. fhon zu einer bedeutenden Höhe gefommen, bis er in
einen unglücklichen Krieg mit ben Illyriern verwidelt wurbe,
In diefem fuchte er den Beiftand der Olynthier; ale er Alles
verloren hatte war er-anferorbentlich freigebig mit einem Theile
feines Reiches, wie die Leute bie den füngften Tag vorher fahen
und num Alles verfchenkten, und dafür daß die Olynthier ihm
zur Hülfe kommen ſollten, ſchenkte er ihnen eine weitläuftige
Landſchaft. Als aber der Krieg ſich beffer für ihn ftellte reute
ihn feine Freigebigfeit, wie bie welche ſahen bag im Sahre
1000 der jüngfte Tag nicht fam und Alles verfchentt hatten,
und er weigerte fi jetzt den Olynthiern abzutreten was er
ihnen zugefagt hatte. Daher enifianden neue Feindfeligfeiten
zwiſchen dieſen beiden und Krieg mit Olynth; Olynth war ihm
über überlegen. Diefe Stadt war entflanden, indem bie Heinen
challidiſchen und bottiaeiſchen Städte zwiſchen Potidaea und
DI. 99, 2.
362 Krieg Sparta’s mi Dit. Berroͤtheriſche Belehung der Kadmea.
dem thermaifchen Meerbufen auf den Rath und wit Umierfiügung
des Perdikkas fih in eine Stadt zufammengezogen und eine
Sympolitie (avumsolısala) errichtet hatten, Dieſe Stabt war
im peloponnefifchen Kriege noch nicht bedeutend, fie wuchs aber
ſehr bald zu einer Bedeutung heran, und fpäter war fie fo
mächtig daß fie damals den größern griedifehen Städten gleich
fand: fei es nun, bag Olynih fo viel Einwohner hatte, — es
beißt solıg uvoiavdgog — oder baß bie Abrigen Städte in
Olynth ihr Centrum hatten. Dies Olputh war jegt eine neue
Macht und zwar außerhalb bes Bereichs einer griechifchen Br:
bindung.
Gegen dieſe Stadt rief alfo König Amyntas die Spartaner
an, und dieſe fandten ihm ein Heer. Dex Krieg dauerte vie
Dl.101,1.
81.08, 3.
Jahre; von beiden Seiten erlitt man große Verluſte, ber Bru⸗
der bes Agefilaus fiel, und die Spartaner wurben oft fehr em
pfindlich geſchlagen. Es konnte indeflen nie fehlen, daß am
Ende doch die Macht Sparta's und Macedonien's überwiegen
mußte, da das ganze übrige Griechenland betäubt und ſtumm
daſtand und ſich nicht regte. Da mußten auch die Olynthier
dem fpartanifhen Bunde beitreten; das hatte indeſſen feine
Folgen.
Wichtig iſt diefer Krieg überhaupt nur, weil er Gelegen⸗
beit gab zu einem Borfalle, der den Angelegenheiten Griechen
land's eine ganz andere Richtung gab, zu ber verrätherifchen
Einnahme der Kadmea.
Die Spartaner fandten nämlich neue Streitträfte zur Ab:
löfung oder Verftärtung nad Olynth unter einem gewiſſen Phoe⸗
bidas. Sein Weg ging durch Boeotien, Theffalien nad Ma
eedonien. Als er auf feinem Marſche bei Theben amlangie
machte er dort Halt: fei es, daß er fhon mit der Abſicht fei-
nem Baterlande zu parafpondiren nach Theben gefommen if,
ober d 8, wie bie gewöhnliche Erzählung ift, die Zührer ber
fpartanifhen Bartei in Theben, Archias und Leonsiabad, —
Berchtgerifche Befehung der Kadmes. 268
deſſen Großvater fen Griechenland an die Perfer verraihen,
ber Vater Platarae im Frieden überfallen hatte, — ihm dba
erh Anträge gemacht haben; fein Menſch kann darüber etwas
vermuthen: genug bas Faltıım iſt Hauptſache. Warum aber machte
er Halt bei Theben, wenn er nichts wollte? Indeß will ich gerne
zugeben, daß er ben Plan nicht hatte, daran liegt mir nichts:
über Formen von Geſetzen kann man mit innern Gründen be=
ſtimmt erratben, aber nicht fo bei einzelnen Borfällen wo oft
das Unmwahrfcheinlichftie dad Wahre ik. Wie dem nun aud
if, Phoebidas vereinte ſich mit Reontiadas und Archias, über»
fil in Berbindung mit ihnen die Stadt und befegte die
Burg. Den boeotifchen Staat hatte Sparta ſchon vorher auf-
gelöft und Theben war auf fich ſelbſt befchränft, Da es vorher
au bem übrigen Boeotien wie Rom zu Latium geftanden halte:
mögen 11 ober 12 Boeotarchen gewefen fein, jo hat Theben 5
oder 6 ernannt. Leontiabas, heißt es, öffnete die Stabt und
Phoebidas imponirte den Thebanern, wie die franzöfifchen Offi⸗
jiere in Spanien im Anfang bed Krieges bei Barcelona und
Figneras. Wie fie bei Montfuih Ball fpielten und auf ein
Mal auf ein Signal Tiefen und die fpanifhe Wache entwaff-
neten u. f. w., auf biefelbe Weife und mit gleichem Verrathe
rüdten bie Spartaner gegen bie Poften langſam heran und
überfielen fie; ein Theil der Truppen rüdie vor bie Kadmea,
bie fehr fehle Burg. Da Niemand davon eine Ahnung hatte,
Niemand einen Befehl zu geben wagte, und da bie Berrätber
einen großen Theil ber Aemter inne hatten, fo Tonnte nichts
geſchehen, die Kadmea wurde ohne Widerſtand übergeben unb
bie Spartaner zogen hinein.
Die beiden erfien Männer in Theben waren Ismenias
und Leontiadass fie fanden einander entgegen und Ismenias
wiberfeste fi. Er war derfelbe der zur Zeit der dreißig Tp⸗
rannen den Beſchluß hatte faſſen Iafien, wodurch ben geächteten
Athenienſern Schuß gewährt wurbe, und der bie Zurüdichrenden,
264 Herrſchaft der ſpartaniſchen Jaction In Theben.
Thraſybul unter Anbern, mit Waffen verſehen hatte. Das hat⸗
ten ihm die Spartaner nicht vergeffien, und obgleich jetzt über
20 Jahre verfloffen waren, fo erklärte Leontiadas, fo wie bie
Spartaner bie in der Stabt nnd Burg waren, daß er kraft
feines Amtes als Polemarch feinen Eollegen ald Hocverräther
anflage und vor Gericht fordere. Er wurde nad) Sparta ges
fandt und dort zum Tode verurtheilt. Man findet bei den
Spartanern feine anderen Züge, man muß dieſe fennen um fie
‚zu beurtheilen; darnad) muß man auch die Komoedie über Sparta
fhägen und würdigen. Auch Phoebidas wurde- zum Schein
vor Gericht geftellt, weil er fih ohne Befehl eine folche That
erlaubt habe, und er warb natürlich wieder zum Schein zu
einer Geldbuße verurtheilt. Der alte Agefilaus fprach für ihn:
„man müffe feben, ob es ber Republik nuͤtzlich ſei; im Kriege
müfle man auch manchmal Etwas improvificen”. Daß Phoebi⸗
das nur pro forma verurtheilt worden iſt fann man baran
feben, daß er nachher wieder einen Kriegsbefehl hatte und nicht
&rıuos oder verbannt war; denn bie in ber That Berurtbeilten
waren ürzınoı, aber hier war bloß Spiegelfechterei. Uebrigens
blieb die fpartanifhe Befagung nach wie vor in ber Kabmea,
drei Jahre lang.
Unter dem Schuge derſelben berrfchte in Theben eine Par⸗
tei die nicht fo blutig war ale ein die Dreißig in Athen, aber
moralifch noch viel verorfener, wie im Ganzen die Boeoter
viel unedler als die Athener find. Eine große Menge ber beften
Thebaner wurden damals verbannt und anbere in's Gefängnif
geworfen; man bat auch wohl nicht zu bezweifeln, baß viele
hingerichtet worden find, das verftand fi von ſelbſt und daher
wurbe Fein Gewicht darauf gelegt. So entfeglich iR aber dieſe
Zeit doch nicht für Theben ale für Athen die Zeit der dreißig
Tyrammen.
Um dieſe Zeit waren auch in Phlius Unruhen entftanden
nad ber unglüdiichen allgemeinen Spaltung, bie in ben grie-
Die Spartauer unterwerfen Phlius. 205
chiſchen Städten war: ein. Thell ber Bürger war ausgeſtoßen,
ein Zuftand von dem unfere beutfhe Städte im Mittelalter
wenige Beifpiele geben, mehr die itaflänifchen. Die Vertriche⸗
nen bie zu ber oligarchifchen Partei gehörten wandten fi an
bie Spartaner, und Agefllaus führte bie ganze fpartaniiche Macht
dorthin, Ageſilaus forberte von den Phliafiern, dag fie fih ihm
überlaffen follten, und hätten fie das gethan, fo Hätte er fie
vieleicht gnäbiger behandelt, allein fie wandten fih an bie Re⸗
gierung von Sparta. Er und feine Kreunde wußten ed ann durch⸗
zufesen, daß die Ephoren und der Rath füh nicht mit ber Sache
befaßten und fie ihm ganz überließen, und fo befamen die Pglia⸗
fer den Beſcheid, daß Agefilaus Vollmacht habe über thr
Schickſal zu entfcheiden. Nun rächte er ſich für bie Beleidigung;
und drängte bie Stabi auf's Aeußerſte bis fie durch Hunger Ol. 100, 1.
gezwungen ſich feiner Willfür übergeben mußte. Ws Phlins
fo erobert war führte er nicht allein die Verbamien zurüd,
fondern was that er, wie orbnete er bie Stabil er fegte auch
einen Rath von Zunfzigen aus ben Berbannten nieder, zu denen
er Funfzig aus denen ſetzte bie in ber Stadt geblieben waren,
natürlich alle aus ber gleichen Partei. Was war nan ber Auf⸗
itag dieſer Sommiffion? das erzähle und Kenophon mit kann
baliſchem Schmunzeln: fie follten entfcheiden wer von denen bie
in ber Stabt geweſen Ieben und wer flerben folle. Das tft bie .
Sprache die der Schüler des Sokrates führt: „wer leben, wer
ſterben ſolle“! Das ift die Sprache eines alten Geſchwornen
aus dem Revolutionstribunal, wenn er fih bie alte Zeif bes
Robespierre als jene glüdliche Zeit ausmalt, wo er unb feime
Freunde bie Leute unter die Guillotine ſchicten. Wenn es bloß
biefer einzelne Zug wäre, fo wäre Xenophon's Geſchichte nicht
allein ein elendes, es wäre ein gebrandmarktes Werk, aber es
iR nicht der einzige Zug, wenn auch freilich der ärgfle‘).
Wir kommen jest auf bie Zeit ber Größe Thoben's und
9 Der vorſtehende Abſah iR vom Aufange ber 62. V. hierhergefeht.. A. d. 6.
28 Gpamisoubas nud Pelepibas.
anf bie beiben großen Männer durch bie es biefe Groͤße er:
reichte. Zwei Männer die zu berieben Zeit blühen, zwar
von verfihiedener Groͤße aber beide großer Bewunderung werih,
fehen hier neben einauder, non denen ber jüugere und geringere
ſich an den älteren und größeren gern anfchließt, ohne Rei
und Eiferfucht, wie das bei allen edlen großen Seelen der Fall
iR, wie es ſich in Schillers und Goethe's Briefwechſel zeigt.
Pelopidas hat feinen Neid gegen Epaminondas gefannt, aber
bei Weitem der Größere von Beiden ift Epaminondas.
Wenn man ben Gang ber griedhifden Geſchichte verfolgt,
fo kann man fi) unmöglich über biefe Richtung freuen, daß
bie Boeoter zur Degemonie über Griechenlaub kamen; dem
fie verdienten ohne Frage mit allem Rechte den Ruf ber Rob:
peit und Plumpheit; für das Edle waren fie im Allgemei-
nen verſchloſſen, auch nicht im Entfernteſten mit den Arhenera
zu vergleiden. Aber ihre Sache gegen die Spartaner war
hoͤchſt gerecht, fie gehört zu ben Puncten, die man eigentlich laum
ee berähren mag, und wo beunod ber Sieg ber geredien
GSache in feinen Folgen ſchrecklich if. Es hätte keine gerechten
Same gegeben, als wenn Pifa gegen Florenz fi empört hätte,
aber es wäre ſchlimm gewefen, wenn Florenz unterlegen hät.
Es gibt Berhäktniffe wo das Unrecht ganz unläugbar ift und
man doch fagen muß, wenn biefe Ungerechtigkeit geahndet wird,
fo ift es ein viel größeres Unglück; manchmal if Ungerechtig⸗
beit beſſer ale bie Strafe derſelben. In biefem Falle befand
ih Theben: daß Theben die Freiheit wieder gewann und Sparia
geſtraft wurbe, wer ſollte ſich barüber nicht freuen? Wer bat
nicht thut muß ein ganz verfchrobener Deenfch fein. Aber jeber
muß aud wunſchen, baß es babei fieben geblieben, daß der
zweite Friebe vor der Schlecht bei Leuftra feſt und beftändig
geblieben wäre; das wäre ein @läd für Griechenland geweſen,
deun es war bamals auf bem Wege zu einem angemeflenen
Zuſtande. ’Bon alter Zeit ber war bas arcanım imperüi, wie
ECpaminondas und Pelopidas. 287.
Tacitus fagt, für Griechenland bie alte Idee geweſen, daß nur
Athen und Sparta die Hegemonie haben fönnten, und als ber
Gedanke auflam daß auch ein anderes Voll biefe fühe
ven wollte, zerfiel Griechenland gänzlich”, ‘Als ein dritter
Staat eintrat, fonnte Niemand den Gebanfen ertragen ihn als
Haupt zu betrachten, und Die Thebaner felbft wußten nicht, was.
fie bamit anfangen follten. So war das Unglüd unhaltber.
Diefes Urtheil über die Thebaner darf ung aber nicht hit
dern anzuerlennen, baß in ber That Epaminondas den Ruhm
welchen ihm das Altertbum zuerkennt vollfommen verbient, und,
ed wäre bie größte Ungerechtigkeit Dies zu verfennen. In einem
uneblen Bolfe Tann ja ein Dann fein, ber höher flieht als
Bleichzeitige in einem weit ebleren Staate, das ift ja eine Fuͤgung
der Borfehung.
Epaminondas zeichnet fi unter feinen Bitbürgern zunächkt
ans burch feine ausgebildete Griechheit; während die Thebaner
gemein, roh waren, war er gebildet wie ein Grieche ber beſten
Art. Mit diefer Ausbildung vereinigte er das größte Felb-
berintalent, bie heißeſte Vaterlandsliebe, die unbefcholtenfle Un⸗
eigennüßigfeit, den treueflen Sreunbesfinn; völlig frei war er
von aller Eitelkeit und den fonftigen Schwächen, die einen aud
gezeichneten Mann fo oft auf traurige Irrwege führen. Wel⸗
her Feldherr er war hat er bei Leuftra und Mantinen gezeigt,
welcher Stantemann, das zeigte er durch den Verſuch die Ar⸗
fader zu einem Staate zufammenzuziehen, was freilich nicht
ganz gelang, und bush die Herfiellung der Meſſenier, die volle
Iommen gelang, Das Altertum hat über Epaminondas im
Grunde nur eine Stimme; wie Epborus über ihn geurtheilt
hat, jehen wir aus Diobor, und fo urtheilen auch Polybius und
bie fpätsren Griechen: wie bie Römer ihn beurtheilten, fehen wir
aus Eicero. Ein Einziger bat feine Ehre zu mindern geſucht,
Xenophon, der ihn in feiner ganzen Geſchichte ignorirt; er nennt
ihn nie bei ben größten Thaten Theben’s in dem Finbifchen
2068 Epaminondas und Pelopibas.
Wahne, als ob er ihn durch dies Ignoriren pollliſch vernichte).
Dies iſt ein Zug unter vielen, der ſchon genug die unwürbige
Gefinnung des Zenophon barthut, feine gänzlihe Unempfäng-
Tichfeit für reine Größe und Tugend. Derfelbe Mann, ber den
ungerechten Ageſilaus zu feinem Achill macht, bat den großen,
unbeiholtenen, durchaus bewundernswürbigen Mann auch nid
ein Dal genannt! Solche Gefinnungen fchleichen wohl zumeilm
in Nationalvorurtbeile ein; das ift Gottlob bei ung Deutfchen
nicht der Fall, wenn wir aud hartes Herzeleib von einem fol-
hen erbufdet, wie 3.3. von Carnot.
Merklicher unterfchieden Fönnen nicht zwei Männer fein old
Pelopivas und Epaminondas, und dennoch harmonirien fie
vollkſommen. Epaminondas war arm, Pelopidas reich und von
einem bedeutenden Gefchlechte, was wir von Epaminondas nicht
wiften. In der Miſde Fam Pelopidas dem Epaminondas gar
nicht gleich, auch hatte er Die abjolute Gerechtigkeit nicht wie
jener. Pelopidas ſcheute nicht gewaltfame Handlungen, wo fe
ihm nothivendig fchienen. Auch war er nicht der Mann ber
bas Schickſal der Welt, das feines Baterlandes durchaus andere
wenden Fonnte, wie Epaminondas es that. Alfo ftand er feinem
Freunde nicht gleich, aber boch gebührt ihm die höchſte Aner⸗
kennung und das höchfte Lob. Er war ein ausgezeichneter Feld⸗
herr; aus ber erfien Reihe ſchließe ich ihn ans, aber unter ben
Feldheren der zweiten Claſſe ift er durchaus einer der erften.
Er war ferner durchaus ebenfo uneigennägig, ein eben fo guter
Bürger als Epaminondas, und was ihm fo befonders Ehre
macht ift die Anhängtichkeit faſt eines füngeren Brubers, ja
eined Sohnes, mit der ee an Epaminondas hing, feine freubdige
Unterordnung unter den Freund, den er ale den Größeren an-
erfannte. Diefes Zuſammenwirken diefer beiden großen Männer
1) Dies Ignoriren befchränft fich jedoch bekanntlich nur auf bie erſten
Thaten des Epaminondase. A. d. H.
‚Star ber fpartanifgen Jactien in Thebes. 29
hatte bie unbeishreibli großen Kolgen. ber Umwandlung des
Schidfals von Theben.
Die Tyrannei ber von ben Spartanern. eingefehten Pole»
marchen — die Boestarchenwürbe befland nicht mehr, feit Sparte
Boeotien anfgelöft hatte, fondern ’bie thebanifchen Praetorem’
hießen jetzt Polemarden — habe ich gefchilders. 1500 Mann
lagen in ber Kadmea als fpartanifhe Garnifon. Während
dieſer Herrſchaft lebte Epaminonbas in ber Stille in Theben,
er war nicht verbannt. Pelopidas aber war unter ben Berbann . .
ten und wit feinen Schickſalsgenoſſen unternahm er unter eben
fo fchwierigen Umſtaͤnden wie Thrafpbul die Befreiung. ber
Stabt.
Die Berbannten waren in Athen aufgenommen bag ihnen
bie Wohlthat vergalt, die Theben ben Seinigen unter Thrafybul
erwieſen hatte, und ale Sparta ihre Auslieferung verlangte
hatte Athen, obgleih es ganz allein Hand, geantwortet: Bon
alter Zeit ber fei es ihnen überlieferte Sitte die Schutzflehen⸗
ben zu ſchützen und wenn es ihnen ſelbſt auch Schaden bringe‘,
Sie Hatten nun das Glück, daß einer ber Notare ber Polemarchen,
Phyllidas, in ihrem Intereſſe war: ein rechtlicher unb weh
gefinnter Daun, wie bad immer der Kal ift, bag unter ben
Leuten die eine ſchlechte Partei gebraucht. wohlwollende Bürs
ger find bie aft. zufällig, oft aus Aengfllichfeit, bisweilen aus
Noth um Brod für fih und die Ihrigen au haben, ‚bisweilen
durch Caprice des Schickſals, in biefen Dienſt hineingeriffen
werden. Inter Seröme von Weftshalen waren bie Deutfchen
in feinem höheren Dienſte meift ganz fihlechtes Volk, allenfalls
waren auch einige ordentliche Leute Darunter bie ſich nicht bes
fubeltens; in ben unteren Stellen war aber bie größte Menge
Draver Männer angeflellt, wie bei der Steuererhebung, bei den
Gerichten u. f. w. Leute die mit Gewiſſen bie Befehle ausführ-
ten unb mit Schonung für ihre Mitbürger. So war es au
in Frankreich unter der Schredensregierung, fo hatte ich einen
4) ‚Gary der foartanifgen Jattion in Theben.
guten Freund, der unter Carnot Chef de division wer und bem
Robespierre veferirte, aber fon ein untadelhafter Maus war.
&o war e6 der Fall auch hier in Theben; Phyllidas fcheint
ein volllommener Ehrenmann geweien zu fein, ben die Leute im
rem Dienfte gebrauchten. Diefer fam nun in Staatsgeſchaͤf⸗
ven nad Athen und machte bier den Berbannten bebeutenbe
Gröffnungen; bot ihnen feine Häffe an und kam ihnen mit bem
Vorſchlag entgegen fein Verhaͤltniß zu benugen um fie zuruͤckzuführen.
DL.100,2. Man benupte mın ein Fe, an dem Archias mb Philipp
die unter ben Polemarchen Theben’3 waren ein Belnge feierten :
Die jungen Berfhworenen waren im Haufe eines chrenmwertbea
Bürgers Charon verborgen. Hier weichen bie Erzählungen
von einander ab; die folgende ift die wahrfcheinlichere, weil fie
wicht fo theatraliſch iſt. Nach der feltfamen griechiſchen Sitte,
baß eine Anzahl von Schwärmern, commissantes, beraufcht von
reinem Gaftmahl zum ambern Tiefen wie in Zenophon’d Sym⸗
poflon, kamen jene jungen Berfchworenen in ſchwärmenden
Zuge als xwuaosal in den Saal binein wo die Polemarchen
verfammelt waren: ba zogen fie ihre verborgene Schwerter her:
ans und ftießen die Polemarchen nieder. Diefe Erzählung
ſcheint unendlich viel wahrfcheinlicher ale bie andere bei Plu⸗
tar und Zenophon, daß fie als zugeführte Weiber verkleidet
gelommen ſeien. Wie es auch geihah, fie fanden bie Pole⸗
machen beraufcht und fließen fie nieber. Die Sade wäre bei-
nahe entbedt worden ba ein Berwanbter bes Polemarchen Ar:
chias, der Hierophant Archias in Athen, jenem bie Sache ge
meldet hatte: aber Archias hatte den Brief zu fich geſteckt ohne
ihn zu leſen, wie Caefar gethan haben foll, er fagte: „wichtige
Sachen für Werktage.” Undere Verſchworene unter Pelopibas
Drangen unterbeflen in bas Haus bes bebeutendfien Polemar⸗
hen, bed Leontiadas, und fliegen ifn nach fehwerem Ringen
wieder. Darauf befreiten fie die Gefangnen und serbweiteten
bie Freiheitsbotſchaft durch die Stadt.
Ciunahme der Kadmea. 271
Die ganze Btabt jubelle von ben Tyrannen befreit zu
fein und ergriff die Waffen, obgleih in der Mitte der Stabt
die Burg war; nach ben Berbältniften der damaligen Zeit
war es möglich, daß bie Beſatzung von der Burg fie nicht
erbrädte; denn wäre Artillerie gewefen und hätte fie auf
bie Stadt gefeuert, fo wäre es unmoͤglich geweien. An
der Ausführung dieſer Unternehmung Hate Epaminondas
feinen Theil: ihm ſcheint felbft die entferntefte Achnlichkeit mit
Meuchelmord wiberfianden zu haben. Er befchäftigte fih da⸗
mit Maßregeln zu treffen um bas Volk in Bewegung zu brin⸗
gen und die Stadt In Vertheidigungszuſtand zu fegen, wenn
etwa bie Harmoſten einen Ausfall machen follten. Aber au
hier war die Langfamleit der Spartaner das Glüuck ihrer Oeg⸗
ner; die fpartanifhe Beſatzung that nichts, bie Straßen wurben
ſchnell verrammelt, bie Spartaner, auf ber Kadmea eingeſchloſ⸗
fen, litten bald Mangel an Lebensmitteln, 'da fie an eine fo
ſchnelle Wendung bes Glücks nicht gebacht und ſich daher
gar nicht verfeben hatten’. Die übrigen Berbannten behrten
jetzt zurüd; ein Theil ber Ansgewanberten hatte fi im atti⸗
ſchen Gebiete auf dem thriaftfchen Geftibe verfammelt, um auf
Bas erfie Signal herbeizukommen. Rad Athen kam die Bot⸗
ſchaft von Theben und Bitte um Hülfe, unb ungeachtet ber
großen Gefahr bot ber Strateg Demophon alle Waffenfäßigen
auf die er konnte und führte einen atheniſchen Haufen nach Theben.
Die Beſatzung der Kadmea litt heftigen Hunger. Dan
räftete in Sparta auf die Kunde eine Expedition ans, biefe
konnte aber nicht fchuell genug ankommen; ehe die Hülfe erſchien
hatte die Beſatzang ſich ergeben müflen. Die fpartanifchen Be⸗
fehlshaber, die ihr Schidfal vorausſahen, hatten ſich nicht er⸗
geben wollen, aber die übrigen Peloponneſier und Bundesge⸗
noſſen wollten nicht aushalten und capitulirten für ſich, und
da dieſe abzogen, waren die ſparianiſchen Harmoſten mit der
Heinen Zahl eigentlicher Spariauer bie übrig blieb unfaͤhig fh
272 Athen eniſcheldet ſich Für Theben.
gun behaupten; fie mußten ſich auch ergeben und zogen ab. Hier
zeigte fi wieder die fpartanifche Heuchelei: den Phoebidas hat⸗
ten fie wie gejagt zum Schein beflraft und er war damals
wieder Harmoft in Theöpiaez aber die Befehlshaber, welde
jegt die Kadmea aufgegeben hatten, wurben vor Bericht geſtellt,
gwei wurden hingerichtet, der dritte entfam mit Berbannung
wnd Hinterlaffung feines Bermögens.
Letzte Kämpfe Sparta’s um die Hegemonie.
Shlaht bei Leuftra.
Dies war ein ſchrecklicher Schlag. Sparta wollte von
biefer Unternehmung noch nicht ablaffen, wollte fie burchfegen.
Ageſilaus follte ein Heer nach Boeotien führen unb verſuchen
bie Stadt wieberzugewinnen. Aber Ageſilaus' Geiſt war ſchon
vermindert.
Das Unternehmen bes atheniſchen Strategen Demophon
war eine rregularitätz er hatte ben Zug mitten im Frieden
ohne Beſchluß bes Bolles, ja wahrfcheinlih auch ohne Beſchluß
des Senats unternommen. Da nun der yperfifihe König nod
in genauer Berbindung mit Sparta fland und nirgend Abfall
war, ließen die Athener ſich durch bie große Gefahr die ihnen
durch einen Krieg mit Sparta brohte fhreden, nahmen Die
Klage an gegen bie welche ben Zug gegen Theben anf eigne Ber-
antwortlichleit gewagt hatten, und verurtheilten fie. Sie ent-
flohen, wenigſtens bie Meiften. Athen war kleinmüthig gewor:
ben, wie es oft bei Aufregungen gefchieht, zuerſt Muth und
dann Kleinmuth, wie wir es 1809 gefehen haben und zum
Theil 1813. Wenn bie Herrfchaft ber Unterbrüder feſtzuſtehen
ſcheint; wenn zuerſt die Aufregung gemacht if, fie aber ohme
Erfolg Bleibt, erfcheint fie nachher ſtraͤflich, daß fie bie ganze
Erifteng aufs Spiel gefebt hat. So würde wahrfheinlih Athen
ben Frieden mit Sparta forigefegt Haben, und ed wäre Bein
Erfolgloſer Krieg In Voeotlen. 278
Blut gefloffen, wenn nicht Sphodrias, ein fpartanffcher Har⸗
moſt, in dem.nod den Spartanern anhängenden Theile von
Boeotien im Bertrauen anf: Eimverfländniß es unternommen
hätte des Pirueens fich zu bemeiftern; er dachte ihn zu über»
raschen, ba bie Mihener bie Thore als mitten im Frieden fchlecht
bewachten: ein eben fo glorreihes Unternehmen wie das dee
Phoebidas gegen die Kadmea. Wielleicht wäre biefe Unterneb-
mung auch gelungen, werm er nicht von einer zu großen Ent⸗
fernung hergekommen wäre. So aber hatte fh das Gerücht
verbreitet, fo daß bie Thore bei Zeiten gefchloffen werden konn⸗
ten, und ber Anfchlag mißlang. Dies Unternehmen, hei dem
bie Spattaner nahe bis an den Piraeeus gelommten waren, ent-
ſchied ‚fett Die Athener fi mit den Thebanern gegen bie Spar
taner zu verbinden. Dies "gab dem. Kriege eine ganz andere
Wendung, und fo hatte das Unternehmen für Sparta fo un⸗
glädliche: Folgen gehabt, daß Kenophon findet, Sphobrias ſei
durch Arglift ber Thebaner dazu beflschen worden; aber wie
foll man es dann erflären, wenn Sphodrias vor dem Gerichte
freigefpscchen wurde? Merkwurdig ift, wie Kenophon die Sache
barflellt, eben fo unfinnig wie abfheulih, während die Athener
auf Frieden rechneten, ihnen im Frieden Hafen und Feſtung ab⸗
zunehmen, und das zu thun, gibt er an, wäre der ſpartaniſche
Befehlshaber beſtochen worben. Daß aber ein fpartanifcher Be⸗
fehlshaber fi beſtechen laſſen komte, Bas deckt er mit dem
Mantel der Liebe zu; daß er hernach auf Verwendung des
Ageſilaus freigeſprochen iſt, wie er ſelbſt gefleht dafür hat er
auch eine Entſchuldigung, weil der Sohn des Ageſilaus, den
Vater ſo ſchoͤn gebeten habe, weil der Sohn des Sphodrias
fein Liebling geweſen wäre. Dieſe böfe u befam un, wie
fie es verbienten,
Ageſtlaus fiel: nun :in Boeotien. ein. — ſandte dahin Ol. 100,3.
ein Auftzebot unter Chabrias, und in’den folgenden Gefechten
wit Ageſtlaus haben bie Truppen des Chabrias durch ihre herr⸗
Miebuht Vortr. üb. d. A. G. IL 18
214 Erfolgloſer Krieg in Boeotien. Seekrieg.
liche Haſtung den Spartanern imponirt und den Ageſilaus
zum Nüdsuge genöthigt. 'Die Sparianer aber behielten einige
fefte Puncte in Boeotien, namentlich. Thespiar, und zogen alle
Jahre bis zum Frieden vor der Schlacht von Leuktra mit den
peloponneſiſchen Bundesgenoſſen wieder nad) Bveotienz Theben
indeß, das fein Gebiet auf eine ung unbegreifliche Weiſe be-
feftigt batte, litt faR nichts, unb die Peloponneſier ermübeten
ſich nur. Unterdeſſen bildeten fi) die Boeoter unter ber Lei⸗
tung des Epaminondad und Pelopidas immer mehr und mehr
aug; Epaminondas.blieb faſt immer Boeotarch, Pelopidas Jaht
für Jahr. Aber der Krieg zog ſich in Die Lange. |
Die Athener bauten unter dieſen Umſtaͤnden wieber eine
Flotte und ſandten Schiffe an die aftatffhe Küfe aus; bie In⸗
feln Chios, Rhodos ,- Samos, Mitylene, ſelbſt der Hellespont,
fielen alle wieder ben Athenern zu. Timotheus war Führer
ber Expedition, Sohn bes Konen, ein Feldherr der befonders
burch fein Glück berühmt if, der abes auch eine große Ge-
wandtheit gehabt haben muß bie Gemüther zu gewinnen und
Alles auf feine Seite zu bringen. Sein läd wirb befonbers
gepriefen, daher ein Maler ihn ſchlafend mit einem Rebe malte,
worin die Stäbte ſich ſelbſt hineinſchlichen. Die Spartaner
räfteten auch, brachten eine Feine Flotte von ihren Bundesge⸗
noffen zufammen und blofirien mit dieſer Athen.
Wir tief Athen gefunfen war, Fan man aus der Kleinheit
der damaligen Rüfungen erfeben. In der Zeit bed Demos
Ahenes muß es an Benölferung und Gelbmitteln gewaltig zu«
genommen haben; da zeigt ed auch materiell eine ganz andere
Kraft. Wie dies gefchehen darüber fehlen die Angaben. Als
Chabrias ausgeſandt warb um Naxos zu beingern, müflen
offenbar die Mittel der Athener fehr gering gewefen fein, benn
- fie fonnien nit mehr als 30 Galeeren zuſammenbringen, bie
nicht einmal alle atheniſch waren, Polis, der ſpartaniſche Nau⸗
arch, folgte ihm um bie Stadt zu enifehen, und hier kam es
Schlacht bei Maros. fall der Iufeln zu Athen. Bunpesserfammiung. TE
zu der berüßinten Seeſchlacht bei Naxos, die erſte welche ‚bie
Athener feit dem peloponneſiſchen Kriege lieferten, und fie ge«
wermen fie... Der Erfolg wird verſchieden angegeben. Bei
Diodor nach Ephorus wird die Anzahl der Schiffe die Chabrias
genommen heben fell geringer angegeben als bei Demoſthenet
in der Leytinea, ber 49 genommene Galeeren angibt. Ich
liebe wicht verſchiedene Angaben übereinkimmend zu machen, in
der Mythengeſchichte verwerfe ich es ganz; allein in hiſtoriſcher
Zeit laͤßt fih oft Harmonie finden. Ich glaube, daß bie 49
Galeeren bie Demoſthenes angibt die Zahl derjenigen find, bie
Chabrias in dieſem ganzen Felbzuge aufbrachte und Die er nad
Athen führte, Diobor meint bloß bie in ber Schlacht feihft ger
nommenen Schiffe. Zenophon fehildert He Schlacht gar nicht
und erwähnt bloß im Vorbeigehen das Treffen bei Naxos, in
dem Pollis wie ein braver Mann gefallen ſei.
Dieſer Sieg entſchied den allgemeinen Abfall der Bundes⸗
genoſſen Sparie’s- zu Athen, und die Athener 'bewieſen ſetzt
eine große Klügheit, wie fie von einem viellöpfigen- Ungeheuer
der Demolrätie kaum zu erwarten ift, inbem ſie biefen Städten
einen Antbeil an ber Berathung anboten, wie er zur Zeit’ des
Ariflides geweſen war, und’ alle ihre Bundesgenoſſen zu
einer allgemeinen Tagſatzung zu Athen beriefen. In biefes
ovvedgıov taten auch die Thebaner ein, und eime Zeit Yang
finder ih ein lebhaftes und gutes Vernehmen zibifchen Athen
und Theben. Bei diefem ourddgcov yon 70 Städten war aber
der Fehler begangen, daß auch ben kleinſten Orten, Paros z. B.
gleiches Recht und Stimme mit Athen eingerdumt wurbe. Dax
bei konnie Teine bleibende Foderation beflehen, unb dies Miß-
verhalmig mußte bald’ zu dem Gegentheil führen, daß dieſe
Heinen Orte wieber von Athen abhängig wurben' umd ihre
Selbſtſtaͤndigkeit verloren, wie wir es nachher wieder finden.
Anfangs war ihnen zu viel eingeraͤumt, und nachher ließ man
ihnen zw. wenig. Freiheit mußte bleiben, aber Antheil [an ber
18*
In
-276 Billigeit ver Athener, ihre Wührer, Iweller Frieder
Regierung] mußten. fie nad Verpaältniß der Leitung hoben und
nicht mehr. &
Die Athener zeigten Damals überall ihre Bilkigfeit, vielleicht
eiwas übeniriehen: dem einem Fleinen Stagte gleiche Recht
mit einem großen einzäumen iſt unbillig. Der eigentliche Füh-
ver ber atheniſchen Republi£ in damaliger Zeit war ein feht
whtungswertber Mann, Kallifratus. Auch Kephalos war au
geichen, jedoch ‚nicht jo fehr. Aber ein befonbers günfliger Um:
Hand war daß damals die Strategen das Vertrauen bed Vol⸗
las volffommen befaßen und einen überwiegenden Antheil an
den Gefchäften bekamen, wie Thraſybul, Chabrias, Tppifratet
und Timotheus. Dhne daß sigentlich große Männer lebten,
iR dies eine fihöne Epoche der athenifhen Geſchichte'. Diet
Befinnung der Billigleit ber Athener zeigte ſich beſonders darin,
daß fie ihre Klerucigen freiwillig aus den ehemals unterwor⸗
fenen Drten zurücnapmen, wo fie früher. Bürger hiugeſchich
hatten, und perorbneten daß Fein Athener Land außerhalb Altila
befigen fol. Dies flellte das Bertrauen ber Merbündeln
außerordentlich ber und fie behielten es dadurch eine Zeit Tan.
Daß es fehr bald zesfört wurde bush aft umbiflig klein
: Umflände, liegt in der Schwäche des Menfchen.
D1.101,1. Auch Euboea fiel dem allgemeinen Bugde zu, Timotheus
machte einen berühmten Zug mit der Flotte rund um ben Pe⸗
loponnes nad den Inſeln Kephallene und, Zalputhus, wobei ct
bie Küfe pon Lakedaemon verheerte. ’Die Athener drangen
damals bis Koregrayor, und wen fie auch nicht gerade überall
bereichten, fo übten fie doch Einfluß aus.
Aber beibe Theile wurben durch den Hrieg erſchöpft und’
unser biefen Umſtaͤnden wandie fi Athen‘) an ben perkicen
Hof und bat um, deſſen Vermittelung. Nach vielen Negotia-
DIL.101,2. tionen. hin und hex kam als eine Entfheibung. ber Vorſchlag
zu einem Trieben — das Genauere fwhen Sie im Diodor —
.) Bar:comjı.i dem. Geften Urt Theben. 6.
unter perfifäier Bermitiefung. Theben teitt wicht Bei. 27
ber eine Erllarung des Feiedens des Autallidas war, wonach
beſtimmt wurde, Daß alle Städte factiſch und id Wahrheit ac
zöroues fein, daß alſo die Spartaner aller Anſprüche auf
Herrſchaft ſich begeben, und alle fremden Beſatzungen zu⸗
rüdfgezegen werben ſollten. Diefer Frieden verhielt füch zu dem
Frieden des Antatfidas eiwa fo, wie Die Ereentionshaublufigen
zu dem wefiphälifchen Frieden. Diefe Borfchläge wurben heile
weife ausgeführt, aber nur ſehr unvollfummen. Aus manchen
Drten jogen die Spartaner ihre Beſatzung zwrüd: fo wurden
Korinty, Sityon, Yhlius freigemacht, aber in anderen Stäbten
biieben ſpartaniſche Befagungen. Hütten bie Spartaner. den
Frieden ehrlich ausführen wollen, ſo hätte die Ruhe in Grie⸗
chenland wieder hergeſtellt werben Tännen und. fie Hätten nicht
Demüthigungen erlitten... Aber fie forderten, daß Theben ſich
von bem übrigen Boeotien trennen und baß die anderen .
boeotifgen Stadie von Theben abgefonbert baflehen ſollten.
Dagegen aber feste ſich Theben und bie boeotifchen Städte ſelbſt
waren gimz getheilt.: Die allermeiften waren mit dem thebani-
schen Bundniß zufrieden und ſchloſſen fi Theben an, nur einige
wenige wollten ihre Heine Selbſtſtaͤndigkeit behalten. Dies iſt
der Grund, waren bie Thebaner den Frieden nit unterzeich-
neten. So war jegt ganz Griechenland verglichen bis auf Theben.
Diele Zeit nach dem Krieben, wo bie Freiheit Berges
ſtellt war, if in ber griechiſchen Geſchichte fehr... traurig,
Der damalige Zuſtaud Griechenland’S zeigt, wie bei der lang⸗ 63.2.
wierigen Erfyübterung alle Gefliinung: und Erinnerungen ver-
foren waren, und Griechenland bahn gekommen war, daß
bie meiften Staaten nicht mehr ohne einen Protector beftehen
tonnten. Es bebmufte: einer jo ſchrecklichen Zucht, wie bie Grie⸗
hen fie während faſt eines ganzen Jahrhunderts erfuhren, ehe
ke fähig waren eine wirkii freie Bunbesverfaffung zu ertra⸗
gen, wie bie bed achaeiſchen Bunbes es war: eine feſte Ber-
Bindung zu einem. Ganzen, wo ber aufgeloͤſte Zuſtand der
278 Schreclicher Inland Griechenland's nach dem Frieden.
Beneimelung:. nicht mehr moͤglich wer. Unbeſchreblich irauris
war der Zufland, aller Orter waren bie entſetzlichſten Aufteiste
Die Spartemer hatten gezwungene Regierungen aufgebrungen
gehabt, Die nur durch ihre Wafen behauptet wurden, Als nun
bie Spartaner ihre Truppen zurackgezogen hassen, kehrten über:
all Berbauste zurüd, unb es traten Reactionen von ber wilde⸗
fen Art ein. ber auch in folden Orten, bie nicht in dieſer
Abhängigkeit von. Sparta geweſen ware, wie in Argos, zeigien
ſich folche Reaetioren. Die Zurüdgelemmenen übten Rache ans,
bisweilen wurden fie aufs Rene ausgeſtoßen; allenthalben fof
das Blut in Strömen, man hat kein Maß für Die Größe bie
fe Elends. Die geringfle Angabe für bie Zahl dere bie n
ber graͤßlichen Zeit des Sfytalismus in Argos umgelomur
find if} 1200; andere nicht verwecfliche Nachrichten geben die
Zahl berer die ihr Leben verloren auf 1500 an. Wie in eine
wahren Raferei wurden zuerſt anf die Denuneidtion heilloſer
Demagogen bie angefebenften Bürger als bes Verraths mb ber
Verſchwoͤrung gegen den Staas ſchuldig verhaftet und einig
gefoltert. Als diefe fi einer Verſchwoͤrung ſchauldig befami
hatten wurden nicht allein fre hingerichtet, ſondern auch eine Unzahl
Anderer verhaftet, gegen die fie unter ber Folter ausgefagt hat
ten, unb auf ben Verdacht hin Alle hingerichtet. Ueberall wi:
thete der Verdacht. Es war ein Blutbad wie in ben graͤßlich⸗
ftien Zeiten der franzöfifhen Revolution, und Argos hatte geliäken
wie nur Lyon oder andere Städte in der Revolution gelitten
haben koͤnnen. Am Ende als bie Anklaͤger weiche die Sade iz
Bewegung gebracht hatten Einhalt thun wollten, galten aus
fie für überwiefen unb mitſchuldig und. murben vor Gericht
gehrllt und hingerichtet. So war es in eimer großen Anghl
geiechifcher Städte, nur in Athen nicht.
Wenn man die Berläumber Athen's fyagte, wo bemm iM
Athen jemals gemordet wurbe, fo Lange bie rechtmaͤßige Ver⸗
faſſung befand, fe möchten fie verfimmmnten.:: Bier wohl ift ed
Scheecklicher Juſtaub Grlechenland's nach Dem Frieben. 279
in andern Orten geſchehen, die nicht vemokratiſcher als Athen
waren. Das Tag in ber Volksari, in dem milden, menſchlichen
Charalter des: athenifchen Volles und auch in großem Maße
in der Erziehung. Dbgleiih die Athener nicht belefen waren,
— obwohl alkgemein in Griechenland, befonbers in Athen Jeder⸗
mann Tefen und fchreiben konnte, wie feßt in fehr wenigen Län«
dern ) — fo hatten fie fortgehend Bildung durch ihr Leben im
Theater, das damals noch in feiner ganzen Höhe und Trefflich-
feit ſtand, und für mid erflärt dieſer umunterbrochene Verkehr
mit ben Muſen ihre Milde hinlaͤnglich. Dies-Leben im’ Theater,
is ber Poeſie, der: Mufit im. Sime der Alten, das war ber
größte Genuß ben ber Athener von allen Sıanden bitte: Die
geohen Aufführungen im Theater waren ihre größte Freude,
die neuen Stucke die bei großen Feſten aufgeführt, ober alte
herrliche ber großen Meiſter bie wiederholt wurden. In dieſen
großen geifligen Genuͤſſen lebte au ber gemeinſte Athener,
and in vieſer Berfeimerung. bes un ee ich die Urſache
ver Menſchlichkeit Athen's.
&s. hatte ſich mehr und mehr Bubung über viele griechiſche
Stämme ausgebreitet, Wenn Polybius (Vc. 20) ſagt, daß
in feiner Zeit unter den Arkadern die Kynaethier roh und wild
wären, weit fe nicht Muſik trieben. fo. liegt das nicht fo fehr
darin, well fie ben Töne, als weil flo des geifigen Verkehrs
ermanzelten, ber Beichäftigung mit: Poefiez Denn das Gedicht
war bei den Griechen mehr ale die Tone: Die Bölfer die af
biefem ‚Reben in der Poeſie nicht Thesl hatten waren Barbaren,
wenn fie auch griedhifch rebeten. Daß in’ Spasta Alles roh
und barbariſch war, if kein Wunder, weil man burd das
ewige flarre Feſthalten am Akten alle Beweglichkeit ber Geban⸗
ken ausſchloß; ſoll der Menſch immer daſſelbe denken und trei⸗
ben, fo hoͤrt er auf zu denlon und ſich zu beſchaͤftigen, und wo
) Auch jept noch gibt es in Moren unglaublich viele Leute, die lefen
and fihreiben Tönnen.
280 Neuer Kampf Athen's and Gparia’s um. Garchea.
ein folder Siilikand ber Gedanken eingetreten iſt fucht er feinen
ganzen Genuß im Thieriſchen. Daher wurde ‚bei deu Sparta⸗
nern jene Rohheit und Graufamleit, jene Luft am Thierifchen
herrſchend. Aber auch ſolche Bölter, wie bie Argiver, hatten
faum einen ſchwachen Schatten von einem Leben wie das ber
Athener, und daher ift fein Wunder daß fie in eine ſolche Ver⸗
wilberung gerieben, wozu bie Athener nie verfucht waren.
Diefer Zuſtand Griechenland’s zeigte eben fo eine. Hoff⸗
nungslofigfeit wie jeht im ſpaniſchen Amerika, wo Fein Heil,
fein Gutes und Erfreuliches fich zeigt. Diefer wilde Zuſtand
war vorbersfchend unter ben rischen, Das einige Heil fir
Griechenland märe geweien, wenn bie Athener die Hegemorie
über die ganze Ration hätten erhalten fönnen; aber das wer
unter ben damaligen Umſtaͤnden unmöglid, So war ber Zu⸗
Hand von Griechenland während. der brei Jahre, bie bem Aus⸗
bruche des Kriegs von Leultra“) vorausgingen.
Der. Frieden hatte wicht Innge gedauert, als Athen und
Sparta im armen Corcyra wieder aneinander geriethen. Die
Spartaner gereuete es bald daß fie die Städte gerkumt hatten,
Dt.101,3.08d fie furhten von Neuem Gelegenheit fi wieder audgabrei-
ten und. fih wieder in Beſitz der Städte zu fegen. So nab«
men fie die Gelegenheit wahr, dag Unruhen in Corcyra ausge
brochen waren, und fandten eine Escadre behin um die Inſel
in Befig zu nehmen, Corcyra war. mit Athen verbunden und
bie berrfchende Partei rief Die Athener zur Hülfe., Die Athener
fandten eine Expedition unter Timotheus, Chabrias, Kalliſtra⸗
tus, Iphikrates, die ihre Pflicht that und ihren Zwed erfüllte
Corcyra zu befreien. — Die Müpfeligleit womit Athen diefe Flotte
ausrüftete,. die Ohnmacht die. Eorcyra jetzt zeigte, find cha⸗
rafterifiifch für die große Erſchöpfung. Ganz augenſchein⸗
lich fieht man die damalige Roth in .der Belagerung von Cor⸗
era; wenn man dagegen auf Thukydides zurüdgeht, fo fteht
) Ex conj., in den Heften ſteht Gorcyra. . 4.02%.
Zwiefpalt Athen's und Xheoben's..: : :: = IR
es wie Magdeburg vor: und nah dem breißigfähtigen Mricget
das war die. Strafe. für. die: Miſſethaten: und Knmeufchlich
jeitm, die ba flatigefunben.: Goseyra hatte Damals: nim..g
Suleeren:, 4. Galeeren waren genommen,.d zerſtort oder auf
ben Strand gejagtz barand sehen wir, wie ohnmächtig ſie jetzt
waren, im Anfange bes pelopenneſiſchen Ktieges Hatten fie 120
Galeeren. gehabt. Das: zeigt und wie Griechenland ſich aufges
rieben hatte und tn Elend gerathen ur. Ws befand. fich im
Ganzen in einem Zuſtande, aͤhnlich wie "Deutichland nad bem
Dreißigjährigen Kriege, wo dieſes hoͤchſtens/ der Vewohner haute,
die es vor dem Anfangs des Keieges grhabe. Wäntemberg
vorher wir Million Einwohner zaͤhlte nach. der Schlacht
son Nördlingen nur 46,000 Menſchen; fo hal die Ligißen
gewüthet, Tauſende waren. etwärgt worben. In einem aͤhnlb
hen Zuftande war auch Griechenland. Die Atheswen Klo sontı
ſetzten Corcyra und durch dieſe Expebihion. — wieder —
zwiſchen Athen. und Sparta. *
a ee ea a
zerfalten.. Plataeae das wiederhergeſtellt merben war, eint Ho
den guien Folgen bed Friebene des Antallidas, und von alten
Zeiten ber, ſchon ſeit denen ber Piſtſtratiden im: Schugbet-
haͤlmiß mit Athen, in Iſopolitie geſtanden hatte, weigerie ſich
VBoeotien beizutreten. Die Thebaner übermältigem .:rkın .bie
ſchwache, Meine Gemeinde; bie Einwohner wurden alle berieien
ben und flüchteten nad Athen; bori wurden fie auſgenommen
und erhielten bad Buͤrgerrecht nady dem Recht: ihrer Vorväter
Daher war Athen gegen Theben erbeitert!), und fie waren
bereit Sparta bie Hand zur Verföhnung zu bieten. . Alſo ward Ol. 10234.
en Trieben gefchloffen, ber britie unter Bermittchung Perfien’s:
Griechenland war burd feine eignen Sünden dahin gefommen,
9 Die Stellen S.280 3.18 —28 und S. 281.3. 3— 28 find vom
Ente ter 62. V., wo fie vor dem legten le — herge⸗
fez. dh.
288 Dritter Frieden unter perſtſcher Bermittelung. Sug ber Spartaner
dub ver Euig ber Barbaren ihr Hril fein mußte, eine Schmach
wie Feine andere aber nuverneibiih. Dieſer dritte Triebe war
unmittelbar vor ver Schlacht von Benlien DL. 102, 1 am Ende
des Jahres oder Anfang son 102, 2. ) Er war eine völlige
und noch bünbigere Beftätigung der früheren Frieden unb wie:
berhofte die Berpflichtung allenthalben bie Beſatzungen zuründ-
zugiehen und den Gsäbten die Autonomie zu ertheilen.
Da hätten die Spartauer Frieden haben können, aber im⸗
mer wieder waren fie unverbefierlih. Wenn große Verlegen⸗
heit fie ‚Brängte dann unterfchrieben fie immer bie Berträge,
waren fie aus Der Roth, und ſollien die Verträge zur Erfüllung
kommen, fo: hatten fie: keine Ruhe; follten fie ſich dann beberr-
fipen, etwas (aufgeben, fo konnten fie ſich nie ensihließen. Die
Thebancz) fchienen zum Frieden bereit zu fein, aber die Spar⸗
saner beſtanden fett noch immer baranf, daß Theben fh von
Berstien ‚tsennen folle, obſchon fie nicht Garants bed Friedend
waren; bei dem Frieden des Antallidas waren fe Garants
ünterdtas, geworden, aber das war jegt nicht mehr. König
AMAevmnbrotus ſtanb in Polis mit. einem Herre; dies hätten fie
num. auseinander gehen laſſen ſellen, unb dad war auch bie
Meinung weniger Verſtändigen; aber ber Rath drang buch
mit ihm feyt die Thebaner gu zwingen, bie Bveuter zu entlaf-
fen. Die herrſchende Partei in Sparta hoffte jetzt das von
allen übrigen GSriechen verlaffne Theben Seht bezwingen gu
Emmen, zumal ba: einige boevtiſche Städte, mamentlih Drche⸗
wenns, auf Seiten der Spartaner flanden. Orchomenos träumie
wor immer von ber ‚alten Herrlichkeit, ats in mythiſchen Zeiten
2:1... KTheben von Boeotien getrennt, Orchomenos vorherrſchend ger
weſen war und Theben ihm Tribe gesahls hatte; an biefen Er⸗
zn den Heften ſteht „OL. 102, 3 am Ende bes Jahres ober Anfanz
von 102, 45" was, wenn N. 56 wirklich gejagt hat, nar auf einem
Derfehen beruhen fann. A. d.
) . Ex cpmj., in den Heften ſteht: Athener. A. d. G.
gegen Theben unter Ncomnbrotus. Gchlacht bei Leultra. 208
innerungen - Singen: fio mit großer / zaͤrtlicher Vorliche, nie wenn
jegt Amalfi feine alte vage wieder geltend machen weile. -- 1:
Ya beften Beritatien rüdte alte Kleombrotus in Borotien
ein, nachdem ber Friede unterzeichnet war, usb forderte daß Bacen
tin ben Frieden vollziehen, von Theben laſſen und jede Steht
ihre Selbfitänbigfeit nehmen ſollte. Außer Orchomenss mit
Thespiae waren aber bie übrigen boeotiſchen Orte verBändig
genug einzuſehen, daß bie Abhängigkeit von. Tpeben mit großen
Nechten viel beffer fei- als. Selbſtſtändigkeit, ucb Theben haties
bei Weiten bie. Mehrheit der Boeoter für ih. Die Thebaner
zogen nun mit Deu Boeotern bie auf ihrer Seite wagen. ang;
Neinere Mefechte habe ich Abergangen:: Bon: Dem. Friedenaſchlaß
bis zur Schlacht bei Teufen ſind nur 30. Tage vergangen
Wenn diefe Augäbe richtig iſt, fo iſt die Schlacht nach ben Ver⸗
haltniſſen außerorbenihb | — — Mir kommt es in
nahe vor ).
‚Zur Reuung Boestien's war — zu — Zeit or. 103,2,
Boeotarch; Jelepibas, auch Bioentar, führte deu kagös Aayag,
die Elite der Buͤrgerſchaft. Als Epaminondas ausziehen wollte \
würde: ex: wuegefoprt jein, ‚wenn. er ein: geinöhulicher Menſch ge⸗
weien woaͤrez denn anf eine ſeltſame Welle hänften ſich die
omina, Die: odomwol anf wolche die Alten fo siel gaben, daß fis
auch ein feſtes Gomüih das wit gegen Allen Aberglauben gen
ſtaͤhlt war Hätten irre machen löͤnuen. 3.28. ald.man ms
bem Thore ging, begegnete.man cinen [Herold], ber einen Flucht⸗
hing zurädibruchte und ſchreckliche Worte ansrieh: „er folle nicht
aus der Stadt geführt: werden;“ baan erhob ſich ein lebhafter
Wind unb führte Bänder fort mit denen man fi: zum: Dyfer
bekraͤnzt haste, und. biefe wandten fi) mn eine Säule anf. ein
Grabe. . Daher eniſtand unbeſchreibliche Beſtürzung; ba ber
wiederholte Ba den REN rem aus bes
Hiası 7
) Bon ©. 284 3.9 hierher verfeht. A. d. G.
vi.
DB - Ccq;lacht Hi Beakten.
ds. olawöc Kpıorog ümövsodu seipi wareng!
und .getvoft zog er and, Sehr ſchade iſt ed, bap wir nicht
ws Epamiuondas Leben. vorn. Plutarch haben; gewiß Hätte er
in ‚feinem; borotiſchen Patriotiomus 6 ehr angenehm erzählt;
wir er aber wit feinen abergläubiſchen Begriffen zurecht ges
Ioumen. wäre weiß ich nicht. Jeder von ben Thebanern wußte,
daß fe eine Schlacht wit ben Spartanern wirben beſtehen
müften, und mit ſchwerem Herzen ging man gegen ben Feind,
dev noch nie im. Felde beſiegt war. Aber bed Epaminoudas
Bertvanen war uncxeſchaͤttert. Obſchon FeEbR gegen jeben Wer⸗
glauben gefärkt, Tech er es gerne gefigehen, daß feine Soldaten
Ad mit ſolchen Borzeichen beftärkten, und er Heß gerne im
Here. das Gerücht verbreiten, daß in Theben, ber Geburtäfieit
des Derafles, aus feinem Tempel: bie Waffen verfchwunden
feien, daß alfo der Gott, ſelbſt feine Waſſen ergriffen habe, um
mit feinen Mütbürgern zu ſtreiten. Er rüftete ſich mit vollem
.: Vertrauen uud that was ben: Umſtanden nach das Beſte wur.
Er ſah voraus, daß Bir Spartımer das Borumtheil ber. befieren
Tutsit für ſich Hatten; man hielt in ber. allgemeinen Meinung
ihre Taktik, die tiefe Ordnung, für amübertrefläd; wie men nad
dem fiebenjäßrigen Krieg bus Ererciervegisment Friedrich's I. ſo
auſah, und alle Staaten. barmech. ewensieren ließen umd. glaub
ven, daß fle damit Schlachten gewinnen fönnten wie er., Dam
Bette er den Stolz der Spartaner gegen:fih. Um mem dieſer
Taktik: zu begegnen und ben Stolz ‚ver Spattaner zu brechen
miechte er eine vortreffliche Dispefiiten ’und wandte has Syſtem
an, bie Waffe durch noch größere Maſſen zu fihlngen‘. Die
Spartaner ſiauden mit Bundesgeweflen zuſcummen; Cpammon⸗
des ging in einer ſchiefen Schlachtordnung vor, ließ ben Tinten
Flagel vorgehen, refuſtrie den Lechten; dunn aber ließ er ben
linken Glügel allmaͤhlich links abdeſiliven und bildete fo auf
demſelben eine gewaltige Maſſe. Mit dieſer warf er ſich man
Schlacht bei Leuliva. 965
wit der großten Kraft auf den rechten Flügel ber Feinde, wu
die Spartaner felbft fanden. Ein gewöhnlicher Felbherr mätbe
das Gegentheil gethan haben, mwürbe ſich gegen Die geivanbt
haben, wo nicht fo Heftäger Wiberſtand zu erwarten gewefen
Deu Angriff felbit führte Pelopidas und Tieß die. Maffe mi
außerordentlicher Scthmelligkeit vorgeben; ob es wahr ift, buß
bie Thebaner mit 50 Mann tief vorgedrungen, weiß ich nicht.
Bir haben nur Kenophon’s Zeugniß, ich fehe aber keinen Oruad
ed zu laͤngnen. Seine Truppen muſſen vorireffich eingräbt
gewefen. fein, beım trotz folcher ungehsuren Mafle Tiefen -fie mid
Macrität vor wie leichte Truppen, fo wie man jest bei einen
Bejimessangriff vorläufs, nit nach Art ber Phalangiten: bie
gingen fouf gravitätifch vorwärtss. Die Spartaner machten
sine richtige Dewegung; um nicht überflügelt zu werben, zogen
ſie ſich rechts und wollten ihre Meiterei auf den Unten Flaͤgel ber
Boeeter werſen. Über die Boroter machten den Angriff fo Yräs
cis und ſchnell, daß fie Ihnen zuvorkamen und bie Lakedaemonier
und Spaxtaner über deu Haufen! warfen. Hier el Kleombte—
ms, und die Spariamer wurden gamz emtfdhieben geſchlagen, wie
Man nar geſchlagen werben kann. Die Armee Löfte fi zwar
nicht auf, aber ed war durchaus nit moͤglich einen Vorwund
zu finden, daß fie auf: irgenb einem Punete gewonnen hätten;
worin fonft bie Griechen ungemein. erfinberifch waren. GEs gem
bört bie Parteslichfeit des Kenophom dazu, es MODEM zu laſ⸗
fen, ob. bie Spartaner überwunden worden'. | |
Nach der Schlacht ſcheinen fie noch eine Zeh fang zuſam⸗
mengebalten zu haben; aber es war fein wahrer Befehlshaber
ha, Unterdeß war auf das Gerücht, Daß bie Boeoter ſich wider⸗
festen, ‚eine andere ſpartaniſche Aumre unter Archidamus, Sohn
bes Agefikaus, aber den Iſthmus gegangen, unb kam nun her⸗
an, fand aber die Spartaner. fen geſchlagen. Alles was en
thun Ionnte, war die Mefle des geſchlagenen Heeres zu fammelm
und ſich mit ihnen zwrikzugichens.. Ste ſcheiuen bin. Badgıg
288 Die Boeot. dringen in b. Meloponnet ein. Athen verbünbet ih mil Sparta.
ſelbſtſaͤndig; bie Pholer, Lokrer und anbere Bundesgenofſen
jenfeits des Iſthnus ſchloſſen alsbald Frieden und Bandniß
wit den Bocotern. Richt anderthalb Jahre verfloffen, vielleicht
War ed Thon im Winter deſſelben phyſtſchen Jahres nad ber
Eqhlacht (tie Olympiadenjahre fangen an mit dem Renmonb
nach: der Bommsrionnenwende), fo. drangen bie Boeoter in Den
Pelopommes ein. Die Siyartaner zogen fi beſtuͤrzt zurück.
Die Doeoter Thndigten ſich ale Defthüger der Freiheit an, und
ohne Zweifel. hat des Epaminondas perfänticher Charakter, feine
VBortrefflichleit überall großes Vertrauen erregt, während der
Nationalcharabuer ber Thebaner gewiß Das Gegentheil hätte er-
a mäffen.
Die Mhener ‚Selten A entfernt, ja fie ſahen dieſe
Brite ber Thebaner ſetzt mit Unruhe und Sorge; fie hat
tn aber auch ein anderes Gefühl, was in dem Worte ausge⸗
forechen if: „Man bisfe nicht: dulden, daß Grischenlaub eines
feiner beiden Tugen verliere; Athen war gewohnt in Sparta
DL102,3. .
einen. .beßändigen und natürlichen Grguer zu fehen, ber aber
ihaem ehxannoll und ihrer wärbig war. Sparia mar aber jest
auf dem Puncte zu fallen; Fein Menſch Tonnte erwarten, daß
es fih allein überlafien, die Angriffe ber Argiver, Arkader
u. ſ. w. auszuhalten vermöge; die Stabt felbft hatte nicht ein-
mal Mauern. Unter diefen Umſtaͤnden faßte Sparta den Ent-
ſchluß eine Geſandtſchaft nach Athen um Hälfe zu fenden, und
bie Athener vergaßen alles Mergangene was fie erlitten; fie be-
ſchloſſen mit allen Kraft zu handeln um Sparta zu reiteg und
fandten eim Heer unter Iphikrates zu DR damit nicht bie
Shabt zeriöst werbe,
Itzwiſcher war Kpamisendas, von — Urgivern und Ar⸗
fabern gerufen, ohne Hinderniß in ben Peloponnes gedrungen;
feinen Fahnen folgten Phoker und Lokrer. Ueberall fand er freie
Stygße; Korinth, (sic) faſt alle Städte öffneten ihm ihre Thore
und sereinten fich öffentlich mit ihm, ’in Arkadien nahm man
Epamlnondas zieht vor Sparta und fiellt Mefienien br. 289
ihn allgemein als Befreier auf’ und im Grunde fehloflen fi
alle Peloponnefier außer den Achaeern an ihn an 'und ver⸗
Rärkten fein Heer’. Diele Armee, mit den Bundesgenoſſen zu⸗
ſammen 70,000 Mann flark, rüdte auf vier Straßen in Lako⸗
nifa ein. Nirgends konnten die Spartaner ein Heer entgegen
ſtellen; wo fie bie Päfle zu wahren fuchten, wurden biefe mit
geringer Anftsengung') überwältigt. So vereinigten fich bie
Solonnen vor Sparta und die offene Stadt ward angegriffen,
geftürmt und vertheidigt. Die Notb war fo groß, daß man
die Heloten zum Kampf aufbieten mußte; wer die Waffen nehme,
fole bie Zreiheit haben. Die Heloten hatten ſchreckliche Erin-
nerungen; Tauſende melbeten ſich allerdings, aber wie fie Die
Waffen befommen hatten Tief ein großer Theil zum Feinde über,
Auch die Perioeken empörten fih zum Theil, bie von Sellaſia
und Karya, die Sfiriten die bie Blüthe der fpartaniichen Armee
geivefen waren; und um Sparta herum war das Land im Auf-
ande, Das if ber Augenblid, wo Agefilaus fi brav be—
nommen bat; er hat Sparta vertheidigt und gerettet. Epami⸗
nondas befand fi in einer fchwierigen Lage; er hatte ein unge⸗
heures Heer im Innern von Feindes Lanb zu verforgen mitten
im Winter; ber Winter in Lafonien ift aber fehr ſtreng, ber
Taygetus ift jeden Winter mit Schnee bedeckt, und hier lag nun
die Armee unter offenem Himmel. So drängten der Win-
ter und Mangel an Lebensmitteln, und bas Heer mußte ben
Rückmarſch antreten, nachdem ed die Gegend um die Stabt
barbarifh verheert hatte und His zum Meere vorgebrun
gen war.
Aber Epaminondas benußte feinen Aufenthalt in’ dieſen
Gegenden ald großer Mann, indem er bie Herſtellung Meſſe⸗
nien’s proclamirte, 'Er befeftigte die Stadt Meſſene' und bie
jerfireuten Meſſenier aus allen Weltgegenden rief er auf in ihr
Baterland. zurüdzufehren, das er ihnen verbürgte. Um bie
n) Ex conj. flatt „Macht“. A. d. 8.
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. I. 9 _
[4
890 Jdolgen der Herflellung Mefienien’s.
Meſſenier wurden alle die Heloten, Perioelen, bie zu den The
banern übergegangen waren angeflebelt, "und fie vereinigten fh
zu einem Staate um bie nolıs Meſſene'. So warb dies new
64.8.
meffenifhe Volk aus Leuten allerlei Art, verhältuigmäßig nur
wenigen Nachkommen der Meffenier zufammengebradt. Diet
Herfiellung ift ein ewiges Denfmal für Epaminondas. Das
Bolt welches er neu fchuf befam eine ſolche Conſiſtenz, daß es
fih auch nach feinem Rüdzuge durch ſich ſelbſt behaupten Tonne.
Zu diefem Meſſene wurben auch die Perioelen ber benachbarte
Städte die von Sparta abfielen zugezogen, und fo wurbe hie
ein wefentlich bemofratifches Bott an die Seite der oligardi-
jhen Spartaner gepflanzt, biefen um fo furdhtbarer, weil dit
Demokratie nicht bloß die Randfchaften der Spartaner, fonden
auch ihre Leibeigenen freigab. Die Befefligung von Pplos im
peloponnefifhen Kriege war davon ein kleines Borfpiel ge
weſen. Diefer meflenifhe Staat im Anfange fehr Flein breitck
ſich mehr und mehr aus; ’eine Perivelenftabt nach der anderm
ging zu ihnen äber (vgl. Stylar), fo Methone und Aſine' un
Meſſene warb wieder bas, was Alt⸗Meſſene geweſen war un)
was auf unferen Landkarten als Meſſene ſteht. Mehrere von
den abgefallenen Perioekenſtaͤdten im eigentlichen Lakonien ge
lang es ben Spartanern fpäter wieber zu unterfochen, aber
den Weften konnien fie nicht wieder beſiegen.
As Epaminondas Meſſene herſtellte, folgte er dem Gebet
feines edlen Herzens und ber Klugheit; er hätte nicht ander
handeln koͤnnen, auch wenn er bie Folgen gefehen hätte. Und
doch tritt hier wieder ein Fall ein, wo bie Erfüllung der Ge
rechtigfeit nicht glücklich geweſen if. Diefe Wiederherſtellunz
Meſſene's hat für die fpäteren Zeiten Griechenland’s ſchredliche
Folgen gehabt. Durch ihre eigenthämlichen Berhälmiffe al
unverföhnliche Feinde Sparta’6 waren die Meffenier genöthig
Unterſtützung dagegen zu ſuchen, am Liebſten in.ber weichen
Gerne, und bies machte fie zu ergebenen Dienern Mafeboniend,
Einigung Aekabien’s und Gränbung von Megalopelis. 204
zu ewigen Feinden und Berrätbern Griechenland's; König Phi⸗
Itpp hatte Feine ihm mehr verbammtie Seelen als die Meffenier.
Der Tod des Philopoemen ift ein Beifpiel von dem Uebel, das
Meflenien in Griechenland gefihaffen, ein unauslöſchliches Branb-
mal auf dem meffenifchen Namen. Was man nicht anders als.
wünfchen Tann hat oft am Ende fehr traurige Kolgen.
Wie Meſſenien fi herſtellte, regte ſich auch in Arkabien D1.102,3.
ein Geiſt der neuen Schöpfung, getrieben von Lykomedes (ober
Lykophron) von Mantinea. Bel Diebor wirb er ein Tegeate
genannt, das ift aber ein Schreibfehler; es iſt zwar nicht wohl
anzunehmen, daß Abfchreiber Das verfchrieben, wahrſcheinlich
bat aber ber Schrififteller ſelbſt hier Die Namen verwechſelt.
Diefer im Einverfländnig mit Epaminondas hatte die Abſicht
bie Arkader in eine Nation zufammenzuziehen. Kür Mantinen
war bies eine Aufopferung. Seinen Plan kennen wir unvell-
fommen, er laͤßt ſich aber herſtellen. Es follte eine große Stabt
für Arfabien gebaut werben, die ueyadn nödıs: Megalopolis
nennen fie erfi Die Römer und bie fpäteren Griechen; an dem
Namen ſieht man ſchon wie profaifeh die Zeit war. Diele
Stadt follte der Mittelpunet von ganz Arkadien fein, fi
zu dem Lande verhalten wie Athen zu Attika, und für ganz
Arkadien eine. Landesgemeinbe gebildet werben, bie sugsos,
eine Gemeinde von 10,000 Landleuten. Diefe folten nicht ale
in Megalspolis fein; aber dieienigen von ihnen, bie jebesmal
bei der Abſtimmung dort anweſend wären, follten bie fonseräne
Volksverſammlung bilden. Diefer Gedanke war bean Bebürf-
niffe bes Zeit ganz angemeflen: Diodor und Neuere haben ihn
wenig verflanden. Das Unternehmen warb etwas mehr als
halb ausgeführt, ber eigentliche Zwed aber verfehlt. Die Stabt
Megalopolis warb wirklich gebaut, und um Sparta eine große
Stabt an feinen Grenzen entgegen zu fegen, wurden bie Be—
wohner von 40 Heinen Ortfchaften 'der Maenalier und Par⸗
thafier’ gemöthigt fih dort anzubauen. „Auch wurben bie uugsos
49 *
202 Yortfehung bes Krieges. Vechalteiß UAthen s. Zweiter und brikter
gebildet und bie Berfafftung beſtand eine Zeit lang. Aber ber
Zweck ganz Arkabien in eine Gefammtheit zu bringen wurbe
verfehlt. Die Tegenten machten gleich dagegen Oppofition, nnd
berangirten die Allianz unter biefen Volkerſchaften; fo blieb bie
alte Zerriffenheit. Die Tegenten waren nämlich ſchon früher
mit den Spartanern befreundet. und blieben es and eine Zeit
lang, nachher wandte fi and dieſes Verhaͤltniß gerabe um,
und es find bie Spartaner mit Degalopolis kurze Zeit befreundet
geweien; fpäter waren fie immerfort verfeindet, bis Kleomenes
Megalopolis zerftörte. So wurbe bie Sache faum zur Häffte aus:
geführt. Das Eollegium ber uvgsos verſchwindet bald nachher
und bie ueyadn ssöAıs if nur eine arkadiſche Stabt neben fo
vielen anderen.
Bon den acht Jahren nach der Schlacht bei Leultra, vom
zweiten Jahre der 102. Diympiabe bie Olpm. 104, 2 — if
keines ohne Zeindfeligkeiten vorüber gegangen. Die Fehde ward
beſtaͤndig forigeſetzt, doch ohne entſcheidende Schläge. Athen
war mit Sparta zwar befreundet, aber ohne mit Theben recht
im Kriege zu ſein: fuͤr die beiderſeitigen Grenzen muß ſich eine
Art Neutralität feſtgeſetzt haben. Die Spartaner erkannten Athen
als Hegemon zur See an, und die Hoheit der Athener über
die Juſeln des aegaeiſchen Meeres ſetzte ſich jetzt wieder feſt
und wurde nicht beſtritten. Bon ben Städten ber kleinaſtatiſchen
Küfte iſt nicht mehr die Rebe, diefe bleiben bauermb unter
Derfien.
Der mertwärbigfte von ben Zügen bed Epamſmondas in
D1.102,4. der Zwifchenzeit war eine Unternehmung gegen den Peloponnes.
Die Athener und Spartaner hatten Korinth mit mehreren ande⸗
ven Stäbten wieder für fi gewonnen; auch waren bie The
) Die Zahlen find in obenfichendem Gage geäntert, da das Jahr ber
Schlacht bei Lenktra wiederum wie oben auf DI. 102, 4 in den Hef
ten angegeben if, und bemgemäß auch bie Daner ber Zeit bis zur
Schlacht von Mantinen anf aur ſeche Jahre. A. d. G.
Zug d. Epaminondas n. d. Peloponnes. Bartieller Fried, m. d. Pelopoun. 203
baner und bie übrigen Pelopomneſier unter einander zerfallen,
und als nun die Anhaͤnger der Thebaner unter den Arkadern
ſie herbeiriefen, und Epaminondas einen neuen Angriff auf
Sparta unternehmen wollte, konnte er den Iſthmus nur weit
Gefahr paffiren. Um aber nah dem Peloponnes zu kommen
mußten die Thebaner über den Iſthmus geben, ba über See
die Athener mit Kriegsfchiffen im Wege waren, Die Sparta-
ner waren bei Korinth gelagert, und ebenfalls Chabrias mit
leihten Truppen ber Athener : den Iſthmus hatten bie Berbün-
beten mit Linien befeftigt. Einige Geographen hatten den Wahn
daß von Korinth nach Kenchrene lange Mauern wie zu Athen
gegangen feien; dies iſt aber nicht richtig, nur nach dem Le⸗
darum. Bon Korinth bis Kencdhrene find nur vorübergehende
Linien gezogen gewefen. Diefe Linien griff Epaminondas an, -
durchbrach fie, und warf nicht allein die Lakedaemonier die fih
vertheinigten zurüd, fonbern würde ſich auch der Stadt Korinth
bemeiftert haben, wenn Chabrias fich nicht zur rechten Zeit hin⸗
eingeworfen, Mauern und Thore befest und ben Verſuch eines
Verraths vereitelt hätte. Denn Korinth war von Factionen
heftig zerriſſen, die fich feit breißig Jahre forterbten. Epami⸗
nondas befegte num mehrere Drte im Peloponnes, Später hat D1.103,3.
er noch einen Zug mit Glück nah dem Peloponnes geführt.
ent kam ein Friebe [mit den Peloponnefiern] zu Stande: Sparta Ol. 108,3.
aber nahm wicht Theil daran, weil ed die Meffenier erft wieder
überwinden wollte, und fette ben Krieg fort, obwohl es doch
bie Kräfte dazu nicht hatte’.
Rühmlicher noch als dieſe Thaten if für Epaminonbas, daß
fein Einfluß feine graufamen blutigen Mitbürger hinderie Or⸗
chomenos zu zerflören: ex allein gab ihnen ein Gefühl von Ehre.
Aber er war nicht immer im Amte und zum Theil abwefend,
und während er einft auf einem Zuge gegen Pherae war führ⸗ Oi. 108, 1.
tn die Thebaner dies Unternehmen doch aus, eroberten Orcho⸗
menos, ermorbeten alle Männer und verkauften Weiber und
394 Ierkörung von Drchomenss. Kriege Theben's mit Tpeffelten.
Kinder. Wenn er ben Befehl hatte fo iſt nichts Schlechtes ge-
than.
Der Zug auf dem Epaminondas damals abweſend war, war
gegen den Tyrannen Aleranber von Pherae geriähtet. Der Rame
Theffalten kam für das alte eigentliche Aemonien, bie Städte an ben
Bergen in Theffalien, auf ald ed von Chesprotern erobert warb.
Barbarifche Oligarchen fetzten fih im Lande feſt, und bie alten
Einwohner wurben Leibeigne. Nach der thesprotiſchen Eroberung
hatte dies alte Aemonien, jetzt Theffalten, (dies war nichte ale
ein. viel verbreiteter pelasgiſcher Name,) eine Zeit lang umter ge
meinſchaftlichen Königen geftanden und ein ganzes VBolk gebil-
bet. Aber noch ehe unfere Geſchichte beginnt, zerfpaltebe es ſich
in mehrere Stäbte, in benen einzelne Dynaſtieen Stadt und
Lanbfchaft beherrſchten. Dies ift der Aushrud für eine Oligar⸗
die, wo ein einziges Geflecht die Souveränetät ausübt und
die Aemter Hat. So waren in Pharfalus die Stopaben, in
Lariffa die Aleuaden, ein fehr zahlreiches Geſchlecht, Die zu ben
Bürgern von Lariffa in dem Berhältniffe ſtanden, wie bie Ge⸗
fammtheit der Lariſſaeer zu ben Peneftlen der Landſchaft. Theſ⸗
ſalien war ein ganz barbariſches Land, griechifcher Bildung und
den griechifchen Wiſſenſchaften ganz fremd: darüber find bie
Sriechen einftiimmig; ſelbſt Die Sprache ſcheint fein aͤchtes Grie⸗
chiſch gewefen zu fein, Die theſſaliſchen Infchriften ſind freilich
in griechiſcher Sprache, aber diefe find aus einer fpäteren Zeit
Daß die Theffalier die griechifihe Sprache angennmmen das If
feine Frage, allein daß ihre urfpränglihe Sprache pelasgiſch
war, kaum griechifch zu nennen, das erfieht man aus Dikaearch,
wo bie Srage geftellt wird, noch in ber malebonifchen Zeit, noch
nad Alexander, ob Theffalien wirklich ariechifches Land fei? fo
hieß 3.8. Apollo Arrkoöc. — Die einzelnen Städte waren
von einander vollkommen unabhängig; jede Einheit hatte auf-
gehört, Lariffa, Pherae, Pharfalus, Krannon waren ſich fo
fremd, wie die arfabifchen als bie Einheit des 39vos in Arka-
Safon von Pherae. 205
dien aufge@k war. Die einzige Einheit des Myoc beftand fin
Iſopolitie: daß wenn Einer aus einer Stabt in die andere zog,
er das Pfahlbärgerrecht hatte, als popularis betrachtet wurde
und die Eivilsechte ausüben Ionnte, die ſonſt an das Bürger-
recht gefnüpft waren. Die Gefchichte dieſer thefialifchen Stäbte
if ganz im Dunkeln, Nur bei einzelnen Gelegenheiten treten
fe vor wie im peloponneflichen Kriege, wo Thufybides von ben
Swaorsia, ſpricht.
Bor dieſer großen Erfchätterung) hatte ſich in Pherae,
der Stadt des alten Admet und der Alkeſtis, ein fehr ausge-
zeichneter Maun Jaſon erhoben, von vornehmen Geſchlechte.
Ihm wurde es nicht ſchwer in biefer Verwirrung bie oberfte
Gewalt zu gewinnen, bie er gerecht und Billig üble, und man
war mit feiner Herrfchaft zufrieden. Aber er trachtete auch das
übrige Theſſalien feiner Herrihaft zu umterwerfen, und das
gelang ihm von Stadt zu Stabt, denn allenthalben war man
des Despotismus und der Anarchie der Dynaften fo müde, daß
man eine ſolche Dictatur als Wohlthat beirachtete. Cine allge-
meine theſſaliſche Berfammiung, bie es wahricheinlih immer
gegeben hat, aber nur für. Gottesdienft, erhob ihn unter bem Titel
Tagos zum Imperator des ganzen Landes. Tayos ift ein alt=
griechifches Wort, das bie königliche Würbe bebeutet, wo Erb⸗
lichkeit Der Herrfchaft fehlt, und bezieht ſich hauptfächlich auf. bie
Führung im Kriege. In alten Zeiten muß ed nicht unerhört
geweien fein, daß die Thefialer einen Lagos, einen allgemeinen
Dietator wählten. Jaſon überlebte nicht Iamge die Gründung
feiner Herrſchaft, er warb bald baranf ermordet. Ihm folgte
ein Bruder, der vielleicht an feinem Tode nicht unſchuldig war,
wenigſtens ließ er einen anderen Bruber ermorben. Diefen
rächte ein Neffe; diefer wurbe wieder ermordet und nun kam
Alexander von Pherae zur Herrſchaft, Bruder oder Pruders⸗
) Wahrfcheinlich iſt die durch die Schlacht von Lenftra —
—
p, 12%
"103,1.
296 Pelopidas’ Tod. Gtreben Theben's u. d. Seeherrſchaft. Krieg im Peley.
fohn des Jaſon. Diefer trat ungefähr in die Macht bes Ja-
fon ein, herrſchte aber freilich nicht in dem Umfange wie er.
Jaſon's Trachten war die Hegemonte Griechenland’s an Theſ⸗
falien zu bringen und wäre er am Leben geblieben, jo wäre es
ihm gelungen; "Alexander aber war nicht Flug genug bie beli-
cate Macht weiter zu entwideln’. Gegen biefen Alexander wur⸗
den die Thebaner von den Heralleoten und ben Bewohnen
des malifchen Meerbuſens, die er unterbrüdte, zu Hülfe gerufen.
Zwei Mal faudten fie Hülfe, das erfie Mal ohne, das zweite
D1.103,4. Mal mit bebeutendem Erfolge. Allein fie erkauften den Erfolg |
D1.104,1.
theuer; nach dem Siege, ald Pelopidas fie zurüdfährte, verlor
er in einem fiegreihen Gefechte gegen die nachdrängenden Pel-
taten das Leben, und mit ihm verlor Epaminonbas bie Sätfe
feiner Kraft. Bielleiht wäre die Schlaht von Mantinen viel
entfcheibender gewonnen worben, wenn Pelopidas gelebt hätte,
und bie Früchte der Schlacht wären nicht mit Eyaminonbae |
Tod vernichtet geweſen. |
Der Krieg mit Sparta wurde unterbeffen von beiden Sei-
ten ſchlaff geführt. Anter Epaminondas’ großen Gebanfen war
‚einer der vielleicht etwas phantaftifeh war, obgleih er doch Er⸗
folg baben fonnte, Er erwedie bei den Boeotern bie Idee,
auch die Hegemonie bes “Meeres in Anſpruch zu nehmen, wie
die auf dem Lande. Er entriß Euboea ber Verbindung mit
Athen, baute einige Galeeren und ging felbft mit wenigen Schif-
fen nach den tonifchen Infeln hinüber, die fi au bewegen
legen wenigſtens eine Zeit lang bie Hoheit Theben’s anzuerfen-
nen: bie Hegemonie eines Staates ohne Marine mochte ihnen
lieber fein als die einer großen Seemacht. |
‚est entzündete fi aber im Peloponnes der Krieg wieder
son Neuem. Ueberall war Zerriffenheit; bie Arkader und Eleer
lagen im Zant über das elende Triphylien, ein Streit der ſchon
mit unferer pofltiven Gefchichte anfängt und forigeht hie in
bie maledoniſch⸗ römiſchen Zeiten; die Arkader ſelbſt zerfielen in
Bierter Ing d. Epaminondas nach d. Beloponnes. Augriff auf Sparte. 297
Parteien, und djieſe' inneren Streitigkeiten der Arkader führten
ben Zug nach dem Peloponnes herbei, in bem bie Schlacht von
Mantinen vorfie. Die Mantineer und Tegenten bie immer o1.104,2.
verfeindet waren, waren es jetzt mehr als je, und Diesmal ſuch⸗
ten bie Mantineer aus Haß gegen Tegen ein Bunduiß mit ben
Spartanern, ihren ehemaligen bitteren Feinden, die fie in bie
Dörfern zerfireut hatten. ’Die übrigen Arkaber dagegen ver
bunden mit den Meſſeniern und Argivern riefen die Thebaner
herbei’. Zwei Heere im Innern ded Peloponnes bildeten ſich
est. Epaminondas kam mit einem boentifchen Heere herbei
ben Tegeaten zu Hülfe und mit ihm vereinigten fi bie Silpo⸗
niex, ein Theil ber Arkader, die Argiver und Meflenier. Ge⸗
gen ihn fanden Mantineer, Eleer, ein Theil der Achaeer, Athe⸗
ner und Spartaner. In biefem Feldzuge verließ das Glück ben
Epaminondas; fon bei der erfien Unternehmung zeigte fidh
daß es von ihm gewichen war. rüber hatte auch das Glück
ihn begünftigt, obgleich er. die Ichönften Erfolge Durch feine Ver⸗
Ränbigfeit und feinen Charakter gewann: Mehrere Märfche
die er unternahm wurben immer burch ungünftige Umſtaͤnde
vereitelt; namentlich aber fchlug ihm ein Eilmarſch fehl, auf
welchem er Sparta überrumpeln wollte, während bie fpartani-
(hen Truppen bei Mantinea fanden. Das Borhaben wurde
verratben, der fpartanifche Heerführer hatte Zeit einen Eilboten
nah Sparta zu fenden und zu verfünbigen welche Gefahr ber
Stabt drohe, und bie Stadt konnte die Bertheibigung vorberei⸗
tim. Als Epaminondas bei Sonnenaufgang eintraf fand er
alle Orte der Stadt befegt, fein ganzes Borhaben verrathen,
und erfuhr, daß das fpartanifche Heer im Anmarſche war.
Er warb zurüdgefchlagen umb’ mußte unverrichteter Sache ab⸗
sieben; daß er ſich durch Verheerung der Gegend raͤchte, war _
eine Kleinigkeit. Ex machte ſich wieber auf in ber Hoffnung,
Mantinea zu erreichen ebe die Spartaner dorthin zmrüdgelehrt
feien. Aber Bas warb wieber verratben,. er warb ‘auf dem
208 GScchlacht dei Mautinen. Tob des Epaminenbus.
Marie aufgehalten, und die Spartaner fRanben ſchon wieber
in ihrem Lager als er mit feinen ermübdeten Truppen ankam.
Unterdeſſen waren auch bie Athener nad Mantinea gekommen
und hatten fi mit den Spartanern verbunden. Epaminondas
Batte indeffen bei weitem bad zahlreichere Heer, ımb die Spar⸗
taner müflen wohl jetzt zur Schlacht gendthigt worben fein’.
Die Schlacht bei Mantinea mag mit Recht als bie größte
Schlacht betrachtet werben, die von Griechen gegen Griechen
geſchlagen worden; fie gehört aber auch zu den großen Schlach⸗
ten von höchſt unbebeutenbem Erfolge: feine Schlacht Bat bie
Sache fo volllommen auf dem Puncte gelaften auf dem fie vor⸗
ber ftand, wie biefe. In der Schlacht flanden bie Sypartaner
ben Boeotern enigegen, bie Athener den artabiihen Hülfstrup⸗
pen und ben Eleern, auf ben Ylägeln war bie Reiterei geſtellt,
und zwar flaud bie atheniſche Reiterei ber thebaniſchen emige-
gen, die durch eine ungeheure Menge ıpeAod, Tirailleurs ver:
färlt war. Gegen biefe konnte die atheniſche Eavallerie ſich
nicht halten. Nach heidenmüthigen ruhmwärbigen Anfrengungen
warb fie gänzlich gefchlagen und wäre aufgerieben worben, wenn
fie nit Häülfe bekommen hätte. Auf dem andern Flügel ſiegte
bie Reiterei der Verbündeten. Auf dem Fluͤgel, wo das athe⸗
niſche Fußvolk Rand, ſiegte dieſes über feine Gegner; Dagegen
durchbrachen die Thebaner und Boeoter die Reiben des fpar-
taniſchen Fußvolles und fihlugen dieſes mit ihrer früheren Maſ⸗
ſentaktik. Aber in dieſem Gefechte fiel Epaminondas, und alles
was fein Helbenmuth bewirkte war, daß man nach feinem Falle
noch Tämpfte als ermuntere er zum Kampf und ben gewonnes
nen Boden behanptete. Eine Führung fand weiter. nicht init,
"und von beiden Seiten war ed nur ein tapfered Morden. Die
Thebaner konnten fih mit Recht Sieger nennen, weil fie ben
Doben behaupteten, auf dem fie vorgebrungen waren, bie Spar:
taner fo weit zurüdgsirieben hatten, unb ihre Neiterei bie
atpeniſche geſchlagen hate; bagegen war aber auf bem rechten
Friede. Vortbaner der Fehde zwiſchen Sparta und Meine. 20
Flügel ihre Reiterei geſchlagen und ihr linker Flügel ebenfalls.
Aber ihr Verluſt war nicht fo groß als ber ber Sparianer.
Sterbend rieih Epaminondas feinen Mitbürgern, ba feine beiden
Unterbefehlshaber andy gefallen waren, Friede zu maden. Dan
verglich ich nach feinem Tode, von beiden Seiten Die Todten
Berauszugeben; jeber begrub feine Todten und erfannie dadurch
vie Schlacht halb für verloren und halb für gewonnen. ‚Beide
Heere zogen ſich zurüd und löſten fih auf.
Rah diefer Schlacht warb nun ein allgemeiner Frieden D1.104,2.
zwiſchen ben Griechen geichloffen. Es ſcheint, daß Epaminon⸗
ba#’ letzte Worte von. feinen Mitbürgern fo beherzigt wurden,
wie die Worte bes Fra Paolo in feinen letzten Zügen über
Resolution von ben Venetianern. Der Friebe warb nach Ver⸗
handlungen gefchloffen die wir mit näher kennen. Bon -biefer
Zeit an iſt Friede zwiſchen Thebanern und Athenern und ben
übrigen Griechen; nur Sparta weigerte ſich mit merhwärbiger
Halsflarrigkeit den Frieden zu unterzeichnen, weil Meſſene ihm
mit unterzeichnet hatte: gerabe fo halsfkarrig wie Die Spanier
welche die Staaten in Amerika nicht anerfennen wollen. Factiſch
wor Meſſene allgemein als Staat anerkannt, aber die Sparta⸗
ner konnten fich nicht entschließen ihrerſeits es auszufprechen.
Auf dieſe Umſtaͤnde bezieht fi die Deelamation bes Rhe⸗
tors Iſokrates, der Archidamus,) ein merkwüärbiged Beifpiel
von Bertehrtheit, wie: ein Nhetor, ein homo umbratilis fi} ver⸗
fieht, ein ſolches fiarrfinniges Berleugnen ber Wirklichkeit "für
etwas Großes zu halten. Dies. ift eine Anficht bie bei vielen
Menſchen fich zeigt: mittelmäßige Köpfe von etwas Wärme un
Lebendigkeit finden etwas Großes im Ignoriren bes Wirfiichen,
als ob es dann wirklich nicht wäre. Albern if die Borfiellung,
daß Iſokrates dieſe Rebe wirklich gefihrieben habe, Damit Archi⸗
bamus, ber Erbe des Agefllaus, fie in der ſpartaniſchen Gerufia
) In den Vorl. von 1826 fegt N. den Archldamus in die Zelt des Ser
paratfriebens ber Nord: Beloponnefler mit Theben Ol. 103,3. A. d. H.
300 Archldanus des Iſekrates.
vorleſe: die ganze Rede iſt nur eine Stubendeclamation, blo⸗
ßes Geſchwaͤz ohne weiteren Zweck. Dieſe Berlehrtheit liegit
im ganzen Weſen bes Iſokrates, ber ein fo armſeliger Kopf if,
als man fih nur denken kaun. Ganz unbegreiflih iR es, wie
ein folher Menſch zu einem fo großen Ruf gelommen ift, befien
ganzes Geſchick darin befieht, Worte zu machen unb Perioden
zu zimmern unb ber fo durchaus leer ik. Der Areopagiticus
z. B., der die Athener aufforbert bie alte Zeit aufleben zu laſ⸗
fen, ift ganz albern; er if nichts weiter als die eine Klage:
Ad, wären doch bie alten goldenen Zeiten wieder ba! aber nie
kommt ein Vorſchlag vor, wie man denn bie alten golbenen
Zeiten zurüdfähren könne, davon fleht fein Wort darin. Ich
habe den Areopagiticus gelefen und wiebergelefen; ich fagte mir:
es muß etwas barin fleden was du nicht ſiehſt, weil Alte und
Renere ihn bewundern. Der Panegyricus iſt eine Huldigung
für Athen, die ihren ganzen Werth verliert, wenn man ſich er⸗
innert daß er dreißig Jahre daran gearbeitet hat. Die Ermah⸗
nung an Philipp, ben Krieg nach Aſien zu verſetzen, könnte
man gehen laſſen dem Scheine nad, allein von Selten der Po-
litik if fie unfinnig. Ein Staatsmann wie Demoſthenes er⸗
faunte wohl, daß damals bie Erhaltung des perfifchen Reiches
ein nothwenbiges Uebel für Griechenland war, da biefes allein
dem malebonifchen Reihe ein Gegengewicht in bie Schale legen
founte; der alte Rhetor vergaß aber, bag er in ber 109, Olym-
piade ſchrieb, dachte fih etwa in Olymp. 79, wußte nicht wo
er war. So if fein Archidamus [auch durchaus albern], ber
hat feine Bewunderer im Alterthbume und in neuerer Zeit ge-
funden, weil Sparta lieber untergehen ale die Schmach dulden
wollte ein unterfochtes Land anzuerlennen. Selbft Philipp von
Spanien erfannte doch die Freiheit ber Niederlande an! Wie
Philipp mit Uebermacht daſtand mußte Sparta fich gefallen Yaf-
fen, bag er ohne es zu fragen Meffene conflituirte, und nah
—
Allgemeine Unflöfung des Peloponnes. 301
100 Jahren war man vernünftiger geworben: da ift ein gutes
Bernehmen zwifhen Sparta und Meſſene.
So blieb flete Fehde zwifchen ben Spartanern und Mef-
feniern, ohne daß fürmliche Treffen geliefert wurden, und Sparta
warb babei immer ſchwaͤcher, während die Meffenier immer mehr
Terrain gewannen. Der Zuftand bes Peloponnes blieb über-
haupt derfelbe. Die Arkader unter fi) ſelbſt uneins befehbeten
fh immerfort; in Argos wütheten befändig angeblich ariſtokra⸗
tifhe und bemofratifche. Parteien, bie aber nichts als Gewalt
wollten und fih in Blut babeten. In Phlius, Elid war Kauwf
zwischen Ariftofratie und Demokratie. In Korinth bemächtigte
ſich Timophanes, der Bruder des großen Timoleon, ber Tyran⸗
nis. Dur die Soldnerheere entfland jest die zweite Art ber
Tyrannen. Dei gänzliher Auflöfung aller Orbnung unb ba
die Bürger die Waffen aus den Händen gelegt hatten, bemäd-
tigten ſich die Sölbnergenerale ber Herrſchaft ohne politische
Motive; das fogenannte fonveräne Bolt, das waffenlos feine
Mittel hat ſich zu vertheibigen, iſt unterworfen und gebrädt.
Solche Tyrannen find in vielen kleinen Orten bes Peloponnes
und fo wird biefer immer trauriger und trauriger .ohne
Hoffnung. |
Theben’3 Zuſtand if zwar noch materiell glücklich, aber es
iR feit der Schlacht von Mantinea wieder ohnmaͤchtig.
So war jest Griechenland’s Ungläd unaufhaltbar.
Seine Exiſtenz war nur fo lange gegen äußere Feinde möglich
als die beiden Hauptflanten, Athen und Sparta, noch feſtſtan⸗
ben‘. Unterdeſſen aber erhob fi im Norden ein bisher ver-
achteter Staat durch einen Dann, ben man groß nennen muß:
benn fein Anderer ift doch groß, als wer mit Heinen Mitteln
Großes bewirkt. Diefer Dann ift Philipp von Malebonien‘,.
65.8.
502 Mattonaliikt der Malebonier.
Acltere Geſchichte Malepnonien’s.
In ihrem Urſprunge find bie Makedonier ein eben fo räth-
ſelhaftes Bolt, wie fie fpäter in ihrem Auftreten in ber Ge⸗
dichte groß, merkwürdig und allgemein genannt find. Eine
Ftage, bie fih Jebem aufgeworfen bat, ber ſich mit Geſchichte
befchäftigt, und bie zu beantworten er verfucht hat, beim Ber:
fnche aber auf die größten Schwierigleiten geſtoßen iſt, tft bie:
waren fie Barbaren oder Griechen? -
Die Späteren, 3. B. bie Römer rechnen uuftreitig bie Ma-
fedonier gewöhnlich zu ben Griechen; wer wird nicht Alexander
als Griechen betrachten? Griechenland ſelbſt rechnete Wierander
und Philipp zu fih, und im Herobot macht König Aleranber
Auſpruch, daß er drng "Eizo ſei: freilich unterſcheidet er ſich
von feinem Bolfe durch den Zuſatz wai Maxon Paceks.
Im Polpbius ſchwankt ed durchaus, ob fie Griechen finb ober
tigt. Sp viel erfieht man, daß fpätere Griechen Die Maledo⸗
nier dermaßen als helleniſirt betrachteten, daß fie feinen Anſtand
nahmen fie als Griechen gelten zu laſſen. Schon feit Philipp's
Zeiten hatten fie Theil an der Amphiktyonie und Fämpften wit
in Olympia und bei deu andern großen griechiſchen Agonen.
Dadurch waren fie ald Hellenen anerkannt; ben ed war ein
ſtrenger alter Say, daß nur rischen Antheil an Agonen haben
tonnten. In den Zeiten. des. Verfalls von Griechenland wurde
allerdings von ber firengen Abfonberung der Barbaren von bie
fen Spielen immer mehr bispenfirt; fpäter,; ſchon in Cicero’d
Zeit beiradgiete man in Rom als Griechen Alle bie griechiſch
fprachen, ihre Gefchäfte griechiſch führten wie Karer, Myſer,
xpderz obgleich die Griechen felbß fe nicht für einneri Graeni
hielten, wie auch Eicero fie nicht dazu zählt. '
Strabo dagegen fcheint bie Maledonier theild zu ben
Thrakern theils zu ben Illyriern zu rechnen; freilich flcht das
Cuiſtehung bes malebonifchen Koönigreichs. 908
in dem fiebenten Buche, einem. ſehr verkümmelien. und corrum⸗
pirten Buche des Strabo, aber doch hält er fie entſchieden für
Ungriechen.
»In der Zeit wo man bie philologiſche Geſchichte nicht *
lich betrieb iſt die Frage über bie Nationalität ber Makedonier
ſehr oberflächlich beantwortet worden, und in meiner Jugend
rechnete man fie allgemein zu ben Griechen, Wenn auch ein
erleuchteter Mann wie Palmerius bemerkt, daß ja bie Alten es
nicht fo genommen hätten, fo half man fich mit ſchalen Ausreben.
Seit ben breißig Jahren aber, daß bie Geſchichte ein nenes
Leben befommen hat, flieht die Meinung feft, daß fie feine Grie⸗
hen fein. Was für ein Volkoſtamm find fie nım aber? Einige
behaupten, fe jeien Illyrier, Andere leugnen das’. Ich habe in
der zweiten Ausgabe meiner Geſchichte) die Frage beiläufig
behanbelt, wirklich muſterhaft aber bat fie darauf K. Otfried
Mülter in Göttingen in der Heinen Schrift über Macedonien
behandelt. Er gebt freilich nicht ein in’ die eine Seite ber
Frage, die noch. zu behandeln if, aber auf Die Behauptung
Strabo’s, dag die Makedonier für Thrafer oder Illyrier zu
halten feien, hat er volllommen befriedigend geantwortet und
deutlich erwieſen, daß bie eigentlichen Makedonier weber für
das Eine noch für das Andere zu Balten find, und er hat mid
auf eine Stelle in einem Fragment des Heſiod aufmerffam ge
macht, das ich überjeben Hatte, in welchem Makedon Bruder
bes Magnes genannt. wird, alfo Malebonier und Magneter ale |
vermanbie Volker angefehen werben.
Mein Refultat nun, das mit dem son Drüller im Wer
fentlichen Abereinftiimmt {ft Kolgendes: In ber Zeit Philipp’e
if ein großer Theil der Mafebonier. allerdings theils thrakifch,
theils illyriſch, theils auch griechiſch, ioniſch und dardaniſch;
aber man muß bie Mafebonier ber ſpaͤteren Zeit durchaus von
denen ber älteflen Zeit unterfcheiden’. Zu — Bölfern ge-
») Röm. Geſch. I, 36.
904 i Cutſtehung des makedoniſchen Koͤnigreichs.
hören aber die eigentlichen Mafedonier? ſind fie ein Voll von
ganz eigener Art? Nein fie gehören zu dem Stamme der Epi-
roten, 'da Strabo fagt, daß in Obermafebonien Bölfer feien,
welche in der Haarfchur und in anderen Gebraͤuchen mit ben
Epiroten übereinflimmen’. Alfo find fie von demſelben pela®-
aifhen Volksſtamm, zu dem biefe gehören, 'von dem großen
Stamme, der von Stalien bis nach Aflen hinein wohnt, ben
Griechen verwandt, aber doch von ihnen verfchieden’., Bei Zuflin
find an einer Stelle, die man für einen Auszug aus Theopomp
halten Tann, die Malebonier ausbüdlich als Pelasger bebanbelt.
Entfcheidend iſt aber jene Stelle des Heflod, die fehlte noch ).
Wenn wir nun weiter gehen, fo genügt die Stelle im
Thukydides wo er bei Belegenheit bes Einbruchs des Sitalfes
von ber Ausbreitung des maledonifchen Staates ſpricht), um
alle dieſe Verhaͤlmiſſe zu überfehen. Der eigentlihe Sig ber
Makedonier iſt auf der Mitte und auf dem öftlihen Abhange
ber kambuniſchen Gebirge, der Fortſetzung des Pindus, Die ben
Pindus und Skarbus im Norden von Mafebonien verbinden;
ba wo die Atintanen und Oreſter vom eigentlichen epirosifchen
Stamme wohnten. Hier wohnten auch bie Mafebonier (bad
mit n bald mit a gefchrieben). Diefer Name feheint befonders
drei Bölferfhaften zu umfaffen, bie eigentlichen Wafebonier,
Kluusswrer ober Elimioten, und Lynkeſtier. Diele drei Voͤl⸗
I) Daher fommt der fonberbare Umftend, dag im ſübllchen Makedonien
wo bie älteflen Makedonier wohnten, und im weftliden Theſſalien
wlachiſch geſprochen wirt, eine ver lateiniichen verwandte Sprache, die
aber nicht durch römifche Colonleen entſtanden if: die waren niemals
bier. Es iſt eine Bildung aus ber makedoniſchen [and ber theſſaliſchen)]
Spracde, wie die itallänifhe ans der lateiniſchen. Die Albaneſen
lſtammen von feinem pelasgifchen Volke ab: fie] find Illyrier. Das
ergibt ſich ans der Sprache, und Hätten wir mehr illyriſche Worte, fo
würbe dies noch deutlicher erhellen. 3. B. Heißt im Albaueſiſchen mal
Berg und di zwei, und Bolybins meldet, daß die Stadt Dimalos auf
zwei &xpas gelegen habe. 1826.
9 Thuoyd. II, 9.
Koͤnigogeſchlecht. 805
fer waren alſo Epirsten: Pelasger, Sieuler, Tyrrhener, wie
Sie es nennen wollen, aber das Volk war eben fo wenig Hel⸗
Ienen wie die anderen Epiroten. Aber wie bei den Epiroten,
ben Molofiern das herrſchende yEvos der Pyrrhiden fih auf
bie alten griechifchen Heldengefchlechter zurüdführte, fo führten
auch bie Herricher der Makedonier [im engern Sinne] ihr Ges
ſchlecht auf Herafles zurüd, Darüber gibt es eine zweifache
Erzählung: die eine, welcher Herobot folgt‘), fest ihre Ankunft
in Makedonien in fpätere Zeiten; fie laͤßt ben Archegeten Per-
dikkas mit zwei Brüdern von Argos nah Mafebonien ziehen
und hier bei einem einheimifchen Kürften freundliche Aufnahme
finden. Die andere Erzählung die ich für bie einheimifche halte,
war bei Theopomp, und ift aus ihm in Diodor, Juſtinus und
Bellefus übergegangen; ferner in bie Leberficht des Dexippus,
bie fih im Syncellus erhalten hat”). Nach biefer war Kara-
nus Stifter des mafebonifchen Reiches, der an Pheibon ben
legten Fürften von Argos angefchlofien wird, nach Einigen ber
Bruder befielben, nach einer andern Berfion fein Sohn genannt
wird; diefer Pheidon wird non Einigen der zehnte, von Ande⸗
ren der zwölfte von Hercules genannt. Die eine wie bie an⸗
dere Erzählung leitet alfo Die Herkunft der makedoniſchen Könige
aus Argos her. Aber ich glaube dag wir Schritt für Schritt
verfolgen können, wie biefe Herleitung von Argos duch Klür
gelei entflanden if. Wie bei allen den Griechen verwandten
Böltern Geſchlechts⸗Regierungen befanden, fo war auch bei
den Mafedoniern ein Koͤnigsgeſchlecht. Dies Koͤnigsgeſchlecht
der Mafebonier hieß nun die Argeaden wie bied aus Theo
pompus ung aufbewahrt ift, und es tft nichts natürlicher als
ans dem Namen ber Argeaben herzuleiten, daß fie aus Argos
fammen. Nun if es freilih darum noch nicht nöthig nad
dem Peloponnes zu gehen, da das pelasgifche Argos näher war.
7) Her. VIII, 137.
?) Diod. fragmm. — Just. VII, 1. Vell. Pat. I,6. Sync. 1,495 ed. Bonn.
Niebuhr Vortr. Ab. d. A. G. IL 20
806 Unsbreitung in ichermalchonien.
Reitete man fie aber einmal aus dem Peloponnes her, fo war
der Schritt gang nahe fie für Temeniden zu halten, und fo
wurden fie zu Herafliden gemadt; daß man fie nun an ben
fpäteften und berühmteften ber argivifchen Herakliden Pheibon
anſchloß iſt au in ber Drbnung. ’Daß bie Ramen der Könige
aͤcht doriſch find, iſt nicht zu verwundern, ba fie ſich einmal
für Herafliden ausgaben, und der Stolz überall berridk
Alles griechiſch zu machen’.
Der ältefle Sig biefer maledoniſchen Könige abgeſehen von
Lynkeſtus und Elimiotid war in Niebermalebonien, "während
die übrigen Stümme in den Bergen figen’. Hier in Nieder
mafebonien war bie Urhaupiflabt Aegene, das früher Edeſſa
hieß und fpäter wieder fo genannt wird: wie auch in Aſien
alte Namen wieber erfcheinen, wie 3. B. Edeſſa noch Jeute Edefla‘)
genannt wird. Wo nun alte Städte zwei verfchiebene Namen
haben, ift dies ein Beweis, daß fie von zwei verfchiebenen Voͤl⸗
ern bewohnt gewefen find: fo Terracina und Anrur, erflered
if der tyrrheniſche, dies ber volskiſche Name; wie von New⸗
York in Amerila der alte [Neu-Amfterbam] verbunfelt if.
Durch den doppelten Namen biefes Ortes ift es Mar, daß die
alte Sage, Edeſſa fei von ben verbrängenden Maledoniern er
obert worden, wahr if. So ift es alfo überhaupt wahrfchein-
lich, daß die Mafebonier in das untere Mafebonien [nicht fpä-
ter] vorgebrungen find, da auch Thukpdides annahm, daß fie
Voͤlker vertrieben haben; er laͤßt fie die Thrafer aus Aemathia,
die Pierier aus Pieria vertreiben und fih fo hinunterwälzen.
’Ein Theil der malebonifchen Stämme war alfo von ber
Bergen hinabgeftiegen und hatte Aemathien und bie herrlichen
thrafifchen Gegenden um Salonichi befeßt’. Dabei wurbe der
Ort der Edeſſa hieß erobert und hat ben Ramen Hiyssae be:
fommen, obgleich der Name Edeſſa nie ganz verfchwand. Ich
wieberhofe biefen Namen ber Philologen wegen, ba man fi
) IR dies vielleicht verſprochen flatt Amida ? 4.28%.
Amyntas I. 907
au feinem Fremdartigen geftoßen bat, und es einer von ben
Ortsnamen if die von ben Herausgebern alter Schriften immer
mißpandelt werden, Man hat fih ohne Grund eingebilbet, daß
ber wahre Name Alyalaı wäre, was eine aeoliſche Stabt iſt
ba Alyacı eiwas Fremdes für fie hatte, und aus Hiyalaı
iR als Abkürzung Alyal eniſtanden. Diefer falſche Name ift
auf Die Eharten übergegangen, und ich glaube, daß feine Eharte
bas Richtige hat,
Hier nun hatten die eigentlichen malebonifchen Rönige lange
ihren Sig. Lynkeſter und Elimioten ’bie in ben Bergen ge⸗
blieben waren’ fanden zu berfelbigen Zeit "und noch während des
peloponneſiſchen Krieges’ unter eigenen Kürften, von bemfelben
Stamme wie man fagt, wie alle pelasgifchen Völker urfprüng«
lich ihre Könige hatten. Bor bem Ampntas, zur Zeit des Da-
rius, wiffen wir nichts von der malebonifchen Geſchichte. Unter
ihm find die Diafedonier fhon bis an den Arius in bie Ebene
binuntergelommen; an ber Meeresfüfle befaßen fie aber nur
einen Tleinen Strich, nur eine Strede von einer ober zwei deut⸗
hen Meilen um die Mündung des Artus, woburd fie mit den
Griechen Verkehr hatten. Die ganze übrige Küfle war von
griechifchen Städten eingenommen, ausgenommen etwa ein Ort
wie Dium in Pierien, das auch noch ben Mafeboniern gehörte,
Den Umfang bes mafeboniihen Reichs Fönnen wir in etwas
überfehen; wenig und nur fehr ſchmal fcheint es fih damals
über den Arius ausgebehnt zu haben, Die Handbücher laſſen
noch irrig das Reich des Amyntas fi) bis an den Neſtus aus-
behnen, die Makedonier haben aber Tange nit einmal bis zum
Strymon geherrſcht. Die allmählihe Ausbreitung des Reiches
iR recht gut bargeftellt von Gatterer in zwei Charten in ben
Eommentationen der Göttinger Geſellſchaft in ben achtziger
Jahren‘); neuere Bücher irren viel darüber, — Wir haben
Silbermünzen mit dem Namen bes Amyntas yon uraltem Ge⸗
) Commeatt. Geettipg. a, 4781. Tom. VI.
20 8
508 Amyntas I. Anfang der makcdoniſchen Geſchichte.
präge, fo daß man nicht zweifeln fann, daß fie unter biefen
alten Amyntas gehören; viel Älteres Bepräge ald bie Münzen
Amyntas des zweiten, des Vaters bes Philippos‘). Alſo ſchon
damals hatte man in Makedonien Mänzen mit griedhifcher
Schrift, wie meift alle Barbaren im Bereiche von Griechenland
ſolche mit griechiſcher Schrift prägten. Nur wenige hatten andere
Schrift; in Pamphylien 3.2. hat man ſolche mit fehr ſchoͤnem
Gepräge gemünzt, bie eigene Schrift hatten. Aber fonft ift es
Regel, daß auch die Barbaren griehifhe Schrift Hatten. Das
die Mafebonier ſchon [folhes] Geld geprägt haben, zeigt, daß
fie griechiſche Cultur hatten,
Amyntas alfo, der zur Zeit bes Darius regierte, mußte
bem Könige von Perfien huldigen. Einen Frevel ben bie per⸗
fifhen Boten an feinem Hofe begingen ahndete fein Sohn
Aerander mit ihrem Morde; davon habe ich Ihnen ſchon frü-
ber erzählt, Nachher mußte das mit großem Gelbe abgebüßt
werden. Alerander rächte ſich hernach, als er ſah daß Die Sade
ber Perſer übel ging; daraus aber machte er fi ein Berbienft
indem er den Griehen Nachrichten über bie Perfer gab, und
fpäter rühmten fih bie Malebonier, daß er bie Ueberrefte bes
perfiihen Heeres auf dem Rüdzuge nah der Schlacht von Pla-
taene aufgerieben habe. Sogar Demofihenes ) räumt ben ver-
haßten Mafeboniern dieſen Ruhm ein, aber mit einer merfwür-
digen Berwechhfelung von Perfonen, was zeigt, wie er in ber
Geſchichte nicht genau iſt. Aber die Geſchichtſchreiber Herodot
) Die ſybaritiſchen Münzen zeigen in ihrem Gepräge das höchſte Alter⸗
thum, wo bie Schrift noch von der Rechten zur Linken geht. Sie fin)
älter als alle noch vorhandenen Münzen ans Griechenland. Da wir
ans Athen Feine alten Münzen mehr haben, kommt wohl daher, weil
Solon den Münzfuß herabfegte und alte eingeſchmolzen wurden. [Die
vorfiehende Stelle fteht in Einem Hefte von 1838 an den Rand ge
ſchrieben. Wahrſcheinlich iſt fie aus den Vorlefungen von 1826 ge
nommen, aus benen in biefem Hefte häufig Anszüge au den Rand
geſchrieben find. Doc hat ſich dies nicht fefifiellen laſſen. A. d. $.]
) De ord, rep. p. 173, 8 R.; c. Aristocr. p. 687, 5 qq.
Erſte Berührung mit Griechenland unier Perbdilkas. 309
und Thulhydides ſprechen nicht davon, Wahrfcheintich iſt es,
baß wenn Perfer als einzelne Klüchtlinge gefommen find, bie
Mafedonier biejelben tobigefchlagen haben, weil fie Gelb und
Koftbarleiten fuchten, und nachher biefe Schänblichkeiten als Ver⸗
bienft geltend gemacht haben. Diefer Alexander legt großes Ge⸗
wicht darauf ein Heraklide und von griechiſchem Stamme zu
fein und fuchte fein Volk zu helleniſiren. Er erlangte für fich
perfönlich, aber nicht für fein Volk, das Recht zu den olympi⸗
ſchen Spielen zugelafien zu werben, weil er nad feiner Angabe
Heraflide und 28 Aoyovs war, aber mit großem Wiberfpruche
und die Hellanodiken find in dieſem Kalle gewiß nicht fehr gerecht
geweien. Sn ber Gefchichte ift er übrigens fonft ganz bunfel.
Aus Thukydides willen wir nur, daß bie Mafebonier ſich im-
mer mehr audbreiteten indem fie die Illprier und Thrafer aus
dem Rande .veririeben und fih da anftedelten, Indeſſen waren
bie Grenzen des malebonifchen Reiches noch immer außeror-
bentlich enges Obermakedonien gehörte ihnen noch nicht, und
ausgenommen bie Heine Strede um den Artus war bie ganze
Kuſte griechiſch.
Kurz vor dem —— Kriege, bei den Unruhen
bie dieſen herbeifüͤhrten, tritt Makedonien zuerſt in bie griechi⸗
ſche Geſchichte ein durch König Perdikkas. Da zeigt es ſich Ol. 81,8.
auf unbegreifliche Weiſe ohnmaͤchtig; fo gering das Reich iſt
ſo muß man über dieſe Schwäche ſich doch wundern. Ihre
Reiterei bedeutete etwas, aber fie hatten gar Fein regelmäßiges
Fußvolk, feine Hopliten, 'Wir ſehen den mafebonifchen König
eben fo kraftlos wie Die epirotifchen Fürften, ohne Geld und
Autorität. Perdiklas zeichnete fih durch Wanlelmuth und Un⸗
zuverläffigleit aus; er hatte Haß und Mißtrauen gegen bie
Athener und wollte ihnen die Herrfchaft über die Städte an
ber Küfte entreißen, aber eben fo wenig traute er ben dalfibi-
fhen Städten, bie fih auf feinen Rath in einen Staat, ben
olynthifchen, zufammengezogen hatten. Nachher zerfiel er mit dem
Dl. 91,3.
310 Berfudge griechiſcher Clolllſatlon wurd) Archelaus.
Braſidas, verſohnte ſich mit ben Athenern und blieb von dba ab
mit ihnen in leidlichem Bernehmen.
Auf ihn folgte Archelaus, fein natürlicher Sohn, der nach
allgemeiner Angabe feinen Achten Bruder den rechtmäßigen Thron⸗
erben ermorbete ober doch von feiner Ermordung Vortheil zog.
Man kann aber doch nicht beflreiten, daß ber Mörder feinem
Lande und feiner Nation fehr nüglich geweien iR. "Bisher
waren die Malebonier gegen ihre Nachbarn, Paeonen und Il⸗
Iprier, nur durch die Berge und die Verwilderung ihrer Grens
zen geſchüͤtzt'. Archelaus war es, jagt Thukpdides), ber bie
mafebonifchen Städte die des Namens werth waren anlegie
und befefligte; er that für Mafedonien was Köuig Heinrich für
Deutfehland that, Er gründete zuerſt Städte: font wohnten
die pelasgifchen Völker in Fleinen offnen Orten, mit Wiberwil-
fen gegen ummauerte Städte. Archelaus verlegte bereits feine
Refidenz von Negene nad Pella, das ſich ſchon unter ihm ver:
größerte, aber freilich noch felbft unter Philipp eine Heine Stadi
war. Sie müflen ſich dieſe maledoniſchen Orte überhaupt un:
endlich klein denken, wie z. B. Zuͤrich im Anfang, oder St.
Gallen das im vierzehnten Jahrhundert nur hundert Häuſer
hatte, wie unſer Bonn, wo im zwölften Jahrhundert bie Bräf-
kenſtraße am Markte die Grenze und nur ber Kreis um ben
Münfter bewohnt war, Go war ed mit Pella der Fall; in
Herobot’8 Zeit war es noch eine roAlyen. Archelaus zog fer-
ner Griechen an fich und bemühte ſich die Makedonier zu cul-
tiviren. Diefe Berfuche gleichen merfwirdig den Beftrebungen
Peter’s des Großen und feiner Nachfolger. So warb in Peters:
burg bie Akademie der Wiffenfchaften mit Iauter Fremden ange:
legt, und Peter’s eigene Barbaren waren nur Ehrenmitglieber.
Auch Archelaus errichtete wirklich etwas das einer Afabemie
ber Wiffenfchaften ähnlich fieht; er zog Griechen an fi, Dich⸗
ter, Gelehrte, denen er Aufenthalt und Unterhalt gab, fo Euri⸗
1) Thuc..II, 100.
“
Amyates II. Der Staat der Illyrier. 311
pides, der fein Leben bei ihm beſchloß. Auch erfuhren biefe
Griechen von den mafebonifchen Großen bie noch entſetzlich roh
waren biefelbe brutale Behandlung wie bie fremden Gelehrten
in Petersburg von ben ruffiichen Hofleuten Peter's bes Großen.
Daſſelbe Schickſal erfuhr auch Euripibes von einem vornehmen
Matedonier. Sie mußten fich bequemen biefe Woplthaten von
einem Brubermörber anzunehmen, und bazu noch die Miß⸗
bandlung und den Stolz der mafebonifchen Barbaren zu ertras
gen. Dennod hat Archelaus fehr viel für fein Land gethan,
und von feiner Regierung hebt eine neue Aera an,
Die Regierung Amyntas’ II, ded Vaters Philipp's IL, war 2L.96, 8,
durchaus unglücklich. Er iſt ſchon in der Geſchichte vorgekom⸗
men durch den Krieg mit ben Olynthiern, wo er die Spartaner
gegen diefe zu Hälfe rief.
In der Nähe Mafebonien’s hatte fih ein Staat gebildet,
son bem die Gefchichtfchreiber Feine Notiz nehmen, die Alten
nur beiläufig fprechen, ber Staat der Taulantier in Syrien,
der von einem Barbylis geftiftet war, — ob Barbylis ober
Bardÿlis iſt nicht zu entfcheiden, da der Name bei feinem Dich-
ter vorkommt; wahrfcheintich ift aber Bardylis, weil mehre den
Namen auch Bardpllis fchrieben. ’Die Süyrier waren von
alten Zeiten ber ein aufgelöftles Volk; jeder Stamm bildete für
fih einen Staat, ohne allen feſten Vereinigungspunct. Sept
aber fing Barbylis an bie. Iofen Stämme zufammenzuziehen.
Wie wir zufällig wiffen’ hatte er als Räuber angefangen, wie
Ali⸗Paſcha, wie alle berühmten Albanefen 'aus dem achtzehnten
Jahrhundert', Achte wahre Nachkommen der alten Illprier, 'die
als Straßenräuber anfangen, dann ihre Nachbarn unterwerfen
and einen Staat ftiften’. Ein folder war auch Barbylis: 'wir
möflen und nur nicht denken, daß Barbylis als gemeiner Raͤu⸗
ber mit feinen Geſellen im Walde lag, ſondern er war wie ein
Befiger eines feſten Schloffes, der nach und nad einen immer
größeren Anhang um ſich fammelte, ſowohl aus dem eigenen
3423 Uecherwältigung Mafedonien's durch die Illyrier. Aufgelöfer
Stamme, als aus fremden. Bei biefen Bölfern if der Räuber
der bewunderte Stand, die Thaten biefer Banditen find für fie
Großthaten, die fie befchäftigen, wahrer Krieg, ſonſt kennen fie
nichts; fo erregte auch Barbylis Bewunderung, und namentlich
warb er durch bie ungemeine Gerechtigfeit berühmt, bie er bei
feiner Bande ausübte. So warb er allmählich als Führer
einer Straßenräuberbande von den Illyriern und Taulantiern
als König anerkannt und gründete ein wahres Koͤnigreich; ih
halte es für fehr wahrſcheinlich, daß die fpäteren illpyriſchen
Könige feine Nachkommen find. Die Weltgeſchichte Hat anders
entfchieben; aber er verdient perfönlih gewiß nicht minder
Beachtung ale Philipp. Der natürlihe Zug fih in größe
ven Staaten zu vereinigen, ber damals bei den Griechen
fo allgemein war, biefer zog auch mehrere iliyrifche Voͤlkerſchaf⸗
ten zufammen. 'So vereinigt war Illyrien ben WRafeboniern
zu mächtig’. Obgleich bie Illyrier als Räuber aufgelöft kaͤmpf⸗
ten, hatten fie auch wie jegt entſchiedenes Geſchick zu ſtrengen
Dienfte in der Linie und bildeten eine fehle Schaar; nicht bloß
befultorifh führten fie Krieg, fondern fireng georbnet, So bil:
bete fih Bardylis eine Macht und mit biefer brach er in
Makedonien ein, überwältigte den König Amyntas, eroberte einen
Theil feines Reiches und für den übrigen machte er ſich König
Amyntas zinopflichtig.
D1.102,3. Ampyntas hatte viele Söhne und die Geſchichte Malkedonien's
nad feinem Tode ift ein großes Chaos, deffen Entmwidelung
mit Sicherheit vielleicht unmöglih und am Ende auch wenig
erfprießlih if. Der unmittelbare Nachfolger des Amyntas if
wahrfcheinlich Alexander, und biefer ift es wahrfcheinlich der in
der Fehde mit Theffalien feinen jüngeren Bruber Philipp ald
Geißel nad Theben geſchickt hat. Diodor's Erzählung, baf
Philipp dort mit Epaminondas in einem Haufe erzogen worben
fei, if unbegreiflich abjurd, ohne alle Rüdfiht auf das Alter,
Dei Theopompus fand er fo etwas gewiß nicht. Aber wahrs
Zuftand nach Amyntas' I Tobe, Auftreien Phllipp's. 313
ſcheinlich ift es, daß Philipp [wirklich als Geißel] gefandt wor⸗
ben if, um ben Schuß ben der mafebonifche König verlangte
zu verbürgen, und fehr glaublih if, dag Epaminondas ihm
eine vollkommene griehifhe Erziehung hat angebeihen Taflen,
fo daß Philipp diefe Zeit immer hat fegnen können‘). Alerans
ber warb mit Borwiflen der Königin Mutter Eurydike ermor⸗ DOL.103,1.
bet, und ihr Buhle als Reichsverweſer auf den Thron gefekt.
Rah defien Tode folgt Perdikkas III. Es frägt ſich nun, 05.01.108,4.
Philipp damals ſchon wieder nad) Mafebonien zurüdgelehrt war
und dort auf einen Heinen Bezirk angewiefen lebte, ober ob er bie
zur Ermordung feines Bruders und bis zu feiner Thronbeſtei⸗
gung in Theben blieb und von dort entwifchte, wie Demetrius
and Rom nad Syrien entwifchte. Ich halte das Erſtere für
wahrſcheinlicher; Dafür fpricht auch eine Erzählung des Speu⸗
fivpus bei Athenaeus *): ſchwer ift zu glauben, bag dieſer das
damals fo dreiſt erfonnen hätte, wenn gar nichts daran gewe⸗
fen wäre. Perbiffas blieb in einer Schlacht gegen bie Illyrier. OL10S1.
Der Zuftand Mafedonien’s nach feinem Tobe war ber ber
höchften Auflöfung. Ein gewiffer Paufaniad von dem wir nicht
wiffen, wie er ber Töniglichen Familie angehört, machte auf ben
Thron Anſpruch, von ben Thrafern unterftützt; einen andern
Kronprätendenten, Argaeus, Enkel des Archelaus, unterftügten bie
Athener mit einer Slotte und einem Heer von 3000 Mann ge=
führt von Mantias. Gegen biefe beiden Prätendenten erhob
Ach Philipp. Auch dieſen bamaligen Zuftand Makebonien's Tann
man mit mehreren Zeitpuncten Rußland’s im 14ten und 15ten
Jahrhundert vergleichen, wo mehrere Prätendenten unter fi
kaͤnpften und Räuberhorden das Land durchſtreiften. Gegen
ſolche Schwierigleiten mußte Philipp auftreten.
) 1826 bezweifelt N. überhaupt den Aufenthalt Philipp's In Theben
.b.
A. d. H.
2) Athen. XI p. 506 e. f.
314 Ratgbarfianten Malchonien’s.
Gründung der Macht Philipp's. Eindringen
in Griechenland.
As Philipp bie Regierung antrat war Matebonien nid
bloß durch bie Illyrier und bas große Königreich ber Taulan⸗
tier eingeengt und bebrängt, fondern auf ber andern Seite auf
burch das große paeonifche Königreich, deſſen Größe wir nicht
beflimmen können, und befien Lage felbſt wir nicht einmal genen
wiffen. Wir lefen zwar, daß die Paeoner um den Strymon
oberhalb Aemathia wohnten, ob aber alle Paeonervöller einen
Staat bildeten, ob nit manche abgefondert waren, barüber
können wir nichts vermuthen. Jenſeits ber Paesner Is
das thrakiſche Königreich der Odryſer, in feinem Umfange groß,
mit ſehr wandelnden Grenzen; es berührte Mafebonien abe
nit. An der Seeküfte Hatten die malebowifhen Könige no
nichts weiter ald den fchmalen Streif am thermaifchen Men:
bufen und einzelne Puncte in Pierien.
Hier waren Methone und Pydna die bedeutenbfien Stähle,
und beherrichten wie es fcheint bie Landſchaft Pieria ſelbſtſtaͤn⸗
dig ohne Verbindung mit Olynth. inter Olynth flauben bie
Städte vom thermaifchen Meerbufen bis gegen ben zweiten
Meerbufen zwiſchen Sithonia und Athos, der ben Staat von
Torone von dem olynibifchen trennte. Diefe Orte machten ben
olynthiſchen Staat aus mit Ausnahme einiger Orte, die unter
atheniſcher Hoheit fanden, namentlich Potidaea. Deſtlich wei⸗
terhin waren Akauthus und Apollonia ohne Verbindung mil
Olynth. Die entfernteſte griechiſche Stadt gegen Thracien hin
war Amphipolis, welches Sparta im legten Friedensſchluß aus⸗
drücklich den Athenern zugeſichert hatte. Aber die Stabt felhf,
obwohl abgetreten von Sparta, war darum nicht gefonnen ber
atheniſchen Hoheit fi zu unterwerfen; 'um die Athener abzu⸗
wehren, hatte es fih fchon früher den Makedoniern in bie Arme
Suſtaud Athen's um biefe Zeit. 815
geworfen’; cd war eine flete Aingelegenheit ber Athener fi Am⸗
phipolis wieder unterthan zu machen. "Einige Puncte auf ber
Küfe von Thracien und Malebonien hatte übrigens Athen bei
ber reconstitutio imperii durch Chabrias unb Timotheus ſich
wieber unterworfen und es' befaß wahrſcheinlich noch Potidaea
und die Umlande.
Die damalige Zeit und einige Zeit nachher gehört zu denen
wo Athen am Traurigften geführt wurde. Es fehlte an einem
Führer. Zwar hatte Arhen einige verhältnigmäßig nicht ver⸗
aͤchtliche Befehlshaber, aber erftend waren fie feine Staatsmän-
ner, und dann waren die Befleren unter ihnen wie Iphikrates
und Chabrias alt geworben, die Jugendkraft die bem Feldherren
fo nötig ift war in ihnen erlofchen. Mit ausnehmenden Befehle-
habern find fie auch nicht zu vergleichen: fie waren nur vorzüglich im
zweiten Range wie bie Befehlshaber in Europa nad Friedrich's
des Großen Tode. Die beiden alten Männer Iphikrates und
Chabrias waren untergehende Geflirne, bes Timotheus glän«
sende Zeit war auch vorüber, obgleich er weniger bejahrt war
als jene. Die jüngeren Befehlshaber Athen’s waren nicht nur
Lente von Höhft mittelmäßigen Gaben, fondern zum Theil
auch alles Zutrauens unmwürbig. Wäre Leofihenes Damals ſchon
in der Kraft feines Lebens geweien, fo hätte das Schidfal Athen's
fh anders gewandt. Unter ben jungen Männern in Athen
war Ehares ber erfle, obwohl von fehr mittelmäßigem Talent
als Feldherr, Teichifinnig und nichtswärbig durch feine Ge⸗
wiſſenloſigkeit; ’ein gemeiner Condottiere, der nur das für fi
hatte, daß bie Truppen ſich gerne bei ihm anmwerben ließen'.
Dann hatten fie einen Fremden, Charidemus von Oreus, ben
Athen in Dienfle genommen Hatte, was es nie hätte Ihun fol«
Ien da feine Stadt Athen feindfelig war. Aber auch er ferbft
war ein durchaus gewifienlofer Eondottiere, jebem Werbenden
bereit, ber fich locken Tieß zu frevelhaften Unternehmungen wo
Geld zu gewinnen war, oder ben Dienft verließ und ſich bei
3160 Zuſtaud Athen's um dieſe Zeii.
Andern vermiethete. Mit Ausnahme bes einzigen Kalliſtratus
war bie Fuhrung nichts. Kalliſtratus wer ein fähiger, geſchid⸗
ter Mann, guter Redner, wohlgefinnt, aber Tein Daun von
großer Bebeutung. Außer ihm kann man aber son ben Staats:
männern Riemand mit Freude nennen.
Der friegerifche Geift in ber Republif war ganz erforben;
“derjenige Zuſtand ber Kriegsführung war jest in Griechenland
allgemein, ben Machiavelli in Florenz zu feiner Zeit fand. Kein
Krieg ward anberd geführt als durch geworbene Sölbner, von
dem alten perfönlichen Kriegsdienſt war nicht mehr bie Rebe.
Der Reihthum in Athen hatte fi damals im Vergleich mit
ben unmittelbar vorhergehenden Zeiten ungemein bergeflellt.
Dbgleich im Anfange von Philipp’ Regierung die Stadt nod
fehr im Berfalle war, wie es in der Heinen Schrift bes Zenos
phon nsegi nögwr (1,6) flieht, daß innerhalb der Mauern eine
Menge wüfer Bauftellen waren, bie Bevölferung [alfo] fehr vers
ringert war, muß bennoch ber Reichthum bes Staats ſich aud-
nehmend bergeflellt haben. Wenn man bedenkt, wie um Of
100 Athen große Schwierigleit fand eine kleine Flolte zu rüſten,
wie hernach aber große Ausrüftungen leicht waren, und Alben
bebeutende Ylotten und Heere hielt, fo erfteht man barand
leicht, wie unbegreiflich Athen fich wieder hergeftellt hatte. Leber
bie Urfachen faun ich wenig Beflimmtes fagen; und es laͤßt ſich
barüber nur vermuthen, Mir ſcheint die Wiederherſtellung bed
Handels mit Perfien und Aegypten am Meiften dazu beigetra-
gen zu haben; es muß dabei fehr viel gewonnen haben, ba fein
Schifffahrt zwifchen Kleinafien und Aegypten ftattfinden Eonnie,
und Athen als neutrale Macht zwifchen beiden Ländern vermil-
tefte und bie Kracht hatte, Auch fcheint ber Hanbel nach dem
ſchwarzen Meere damals eine viel bebeutenbere Ausdehnung gehabt
zu haben als vorher. Das Liegt Far am Tage daß Athen her:
geteilt ift, und glüdliche Hanbelsconjuneturen find gewiß bie Ur-
fache geweſen, welche die Wohlhabenheit hoben,
Duellen der Geſchichte Phllipp's. 317
SM dieſen Mitteln ſtand Athen allein in Griechenland da;
von Sparta war wicht mehr bie Rede; es beſchraͤnkie ſich blos
auf Fehden mit den Nachbarn. Niemand baute auf Spartaz
von Theben war mit Epaminondas der Geiſt gewichen. Aber
Philipp vereinigte in ſich Alles was bie anderen Staaten alle
vorher einzeln für Athen Verderbliches gehabt hatten.
Die Geſchichte König Philipp’s ift im Alterthume befannt-
lid von Theopomp gefchrieben, ungeheuer ausführfich, mit einer
unermeßlichen Denge von Excurfen und. Epifoden., Wir haben
biefe Gefchichte nicht mehr; fie hat aber allen Erzählungen bie
wir über Philipp haben zum Grunde gelegen, und gerabe biefe
Weitfchweifigfeit mag ber Grund fein, daß wir die Geſchichte
des Philipp fo kurz haben. Wir kennen fie nur fehr unvolls
fommen: größtentheild nur das was wir aus ben Teibenfchaft-
lichen Reden des Demofthenes und feines Gegners Iernen Tün=
nen. Die zufammenhängende biftorifhe Erzählung bei Diodor
iſt ganz unglaublich kurz und armfelig: aus den größten Wiber-
ſpruͤchen macht er fi nichts, feibft bie hierher gehörigen Schrif⸗
ten, wie bie Rebe bes Aefchines gegen Kteſiphon hat er nicht
einmal gelefen, Bieles ſchreibt er ganz ohne Sinn aufs Gerathe-
wohl hin. Den erfien Theil von Philipp’ Geſchichte bis zur
Belagerung Perinth’3 hatte auch Ephorus gefchrieben. "Einige
ſchreiben bas letzie (30.) Buch vom Ende bes phofifchen Serieges
bis auf diefen Zeitpunet feinem Sohne Demophilus zu). Aber
wenn er es ſelbſt fchrieb, warum ſchloß er hier? Als ein Dann,
als ein Helene rechter Art: denn der Entfag von Perinth war
ber Teste glüdliche Erfolg der freien Griechen. Hier endigte der
gute Grieche, während der Iaunige mit ſich ungufriebene Theo⸗
yomp die Geſchichte der Unterjochung ſchrieb'. ;
Yolybins”) wirft bem Theopompus por, daß er im Wider⸗
3) N. ſpricht ih 1825 für diefe Meinung aus, mit Bezugnahme auf Diod,
bibl. XVI, 74. A. d. H.
”) Yo; 11. Se
J18 Charalier Philivpa.
ſpruche mit ſich ſelbſt ſei; er ſage: ex habe ſich einen Stoff ge⸗
wählt, ber reicher und intereſſanter ſei als irgend ein andrer
hißoriſcher Stoff, die größte Revolution der Zeit durch Philip
(er ſchrieb unier Alexander); und Dans ſpreche er wieder von
Philipp auf die herabwärbigendfie Weife, erzähle von ihm bie
größten Schaudthaten, daß fein Hof der Sammelplag ber ver⸗
worfenfen Menſchen ans ganz Griechenland geweſen fei, und
je ſchlechter fie gewefen, deſto lieber habe Philipp fie aufgenom-
men. Mid wundert daß Polybius den Widerſpruch fo ſehr
hervorgehoben hat; er if nit fo groß wie Polybius meint,
und Beides läßt fi wohl verbinden. Wir mäflen Philip
als eine Raturerfcheinung und als moraliſches Weſen uni
ſcheiden.
Unſtreitig war Philipp ein ganz ungemeiner, außerorbeni«
licher Dann und das Urtheil mander Alten, daß er durch
Gründung bes malebonifchen Staats etwas ganz Andres ges
ihan als Alexander durch die Anwendung ber erworbenen
Kräfte, if ganz richtig. Wenu man bie Kraft bedenkt, wit ber
er zuerf als Vormund feines Neffen, der bald verſchwindei,
bie Regierung ergriff, dann als König; die Sicherheit mit der
ex unter folden Umfländen, wo das Reich beinahe vernichtet
war, Me Krone nahm; wie er ba einige Feinde überrebeie, bes
fänftigte, andere befämpfte; wie ex feine Erfolge durch Einriqch⸗
tung feines flehenben Heeres und Vervolllommnung beflelben,
durch Anorbnung einer neuen Kriegsorbnung befefligte; went
wir das erwägen, wenn wir lefen wie Demoftbenes ſelbſt mi
Braufen feine Eigenfhaften ſchildert; wie er für feinen Zwei
unermüblih, Sommer und Winter hindurch jebe Beſchwerde,
Krankpeit dulbete, dann wieber in voller Thaͤtigleit ſtand; wie
jeder Erfolg ifu nur zu Größerem reiste und nichts ihn ab⸗
ſchreckte; wie jedes mißlungene Unternehmen ihn nur beiehrie,
daß bie Zeitnoch nicht gekommen fei, aber ihn es nicht aufgeben
ließ: fo können wir nicht anders als feine Fähigleiten außerot⸗
Garakter Phllipp's. 318
dentlich hoch anfchlagen. Wenn wir ihn als Schöpfer feines
Staates betrachten, wie er bie verfhiebenften Völker unter fid
vereinigte, Mafebonier und Griechen; mit welchem Blide er bie
ausgezeichneten Talente zu finden wußte und an fi zog; went
wir erwägen, was bad für ein Mann gemwefen fein muß, von
dem aus bie Infpiration zur Bildung fo großer Kelbherrn aus⸗
ging, der fih mit einer fo zahlreichen Schaar großer Felbherrn
umgab, zu denen, wohlgemerkt, Alexander nichts hinzugeihau
Sat: benn alle Feldherrn Alerander’s find ans der Schule Phi-
lipps hervorgegangen, Fein einziger iſt ben Alexander nicht von
Philipp ererbi hättez wenn wir bie Geſchicklichkeit fehen mit
der er Bölker, Staaten für fih und feinen Zwei flimmte, fie
bereit machte ihm zu dienen und für fi ſelbſt die gewoͤhnlichſte
Klugheit zu vergeflen; wenn wir biefe Eigenfchaften fehen, fe
konnen wir nicht anders als anerlennen, daß er ein ungemeiner
Menſch war.
Etwas Anderes if es, ob ex ein guter und ebler Menfch
war. Daß er edle Anlagen in fih gehabt, Yäßt ſich weber
leugnen, no bin ich gefinnt es Ieugnen zu wollen. Ben ihm
gibt es menſchliche, edle Züge; er war Freund bed Freundes,
gegen bie welche ihm nahe fanden wußte er ſich edel zu zeigen. -
Aber auf der andern Seite war fein Zwei ihm Alles; nie hat
ihn eine Rüdfiht auf Treue und Glauben, auf Tugend unb
Gewiſſen von Berfolgung feiner Zwecke abgehalten. Ein Wort
wird ihm zugefchrieben: "ich Tann nicht fagen, warum es falſch
fein fol: „daß man die Kinder im Spiele mit Würfeln, und
die Männer mit Eiden beiträge.” Ihm war nie zu trauen; nie
meinte er es ehrlich, wenn er einen Bertrag abſchloß; aud bie
niedrigſten Mittel fcheute er nicht um diejenigen welche ihm ent⸗
gegenflanden zu gewinnen, allenthalben erfaufie er Berräther,
und er ſchente füch nicht dies zu geſtehen. Rühmte er ſich bed
germe mehr Stäbte mit Silber ale mit Eifen erobert zu haben!
Daß feine GSitienlofigfeit von der abjcheulichfieu Art und gren⸗
320 Gharalter Philipp's. VPhllipp ſichert feine Herrſchaft,
zenlos wer iſt Thatſache. In Hinſicht ber Perſoͤnlichleit ſieht
Alexander über ihm; wäre biefer nicht dem Trunke ergeben gewe⸗
fen, fein abſcheuliches Laſter, fo ließen ſich feine ähnlichen Sa⸗
chen von ihm ſagen wie von Philipp. Es kann zwar ſehr leicht
fein und ich glaube es ſelbſt, daß bie guten Züge Alexander's
größtentheild Fünflich waren: er hatte Ruhm und Ehre vor
Augen; aber felbft diefes Spiel mit Edelmuth wäre ihm nicht
möglich gewefen, wenn ihm nicht die Wefentlichkeit des Guten
Har und er von Natur edelmüthig gewefen wäre. Dazu fm
freitich bei Alerander ber unermeßliche Bortheil bes herrlichen
Unterrichts des Ariftoteles, deſſen fegensreiche Folgen nie gan
erloſchen, obgleich er fih davon nur zu viel emancipirt hat,
Philipp Hatte eine ſolche Erziehung, wo er auf das wahrhaft
Edle und Wefentlihe der Tugend aufmerkfam gemacht worben
wäre, nicht empfangen, Seine erfle Jugend hat er an einem
halbbarbariſchen Hofe zugebraht, wo Schande das Gewoöͤhn⸗
lihe war. Gewiß hat er von der Amme ber griechifch geredet,
aber ohne griehifhe Geſinnung. Dann if er allerdings in
Tpeben geweien. Aber daß er im Haufe des Epaminondas er⸗
zogen worben, iſt gewiß nur mit außerorbentlicher Befchränkung
zu verfteben, und wer Tann fagen, daß bem jungen Fuͤrſter
bie anfpruchslofe, unberebte Tugend des Epaminondas verfländ-
lich geworben if} |
Aber ein außerorbentliher Mann if Philipp geweſen; er
allein hat das makedoniſche Reich erhoben; ohne ihn wäre es
jerträmmert worden. Gleich vom erftien Augenblide an Tag bad
Ziel, Griechenland zu beberrichen, ihm fer vor Augen.
DL.106,1. Philipp 'theilte feine Feinde’, zuerft kaufte er den thrali⸗
ſchen König mit @elb ab, der ben Kronprätendenten unterfägl;
dann ſchlug er leicht das kleine Corps, welches bie Athene
dem andern Kronprätendenten, dem Argaens, beigegeben halten,
ohne zu unterfuchen ob er die Stimme ber Nation für ſich Habt.
Um Zeit war es ihm aufs Aeußerſte zu thun, unb um fh
zieht gegen Paeoner und Illyrler, blidet fein Heer. 831
für jest mit den Aihenern ſchnell zu verfühnen gab er die Ge-
fangenen 108, ’und 308 feine Hand von Amphipolis ab, bag er
nachher immer noch einnehmen Tonnte. Die Athener achteten
gar nicht auf das Feine Makedonien und fchloffen Krieden mit
ihm, meinten Amphipolis nun Teicht wieder zu gewinnen. Nach⸗
bem er fo die Neutralität Athen's erfauft hatte, warf er ſich
mit aller Macht auf feine übrigen Feinde, Er verband immer
zu gleicher Zeit Rüfung und Unternehmung mit einander, führte
Schlag auf Schlag. Jetzt unterwarf er fih das vieleicht nicht Ol. 105,2.
fehr große Reich der Paeoner: — das Einzelne wiffen wir nicht;
— dann wagte er es gegen bie Illyrier in's Feld zu ziehen, bie
er ſchon ein Mal gefchlagen. Er forderte von ihnen die erober⸗
ten Theile Makedonien's heraus; wahrfcheinlich war bies Hoch⸗
malebonien, bie Keinen Fürſtenthümer Elimiotis, Lynfeftus, bie
ſich unter die Hoheit Illyrien's begeben hatten, flatt Daß fle fonft
in Berhältniß zum Königreich Makedonien flanden, In biefem
Kriege begegneten ihm bie Illyrier mit großer Heeresmacht, fhon
aufmerffam auf den jungen ehrgeizigen Mann: er beftieg ben
Thron mit 24 Jahren.
Aber Philipp hatte fchon fein Heer gebildet‘). Er beburfte
einer bedeutenden numerifhen Kraft, einer ſtarken phyſiſchen
Maſſe, und biefe rüflete er aus. 'Es wäre Zeitverluft geweſen,
wenn’ er feine Macht gebildet hätte, wie bie Römer. nachher
ihre Legionen und Sphifrates feine Peltaften, durch perfänliche
Ausbildung ber einzelnen Soldaten, fondern er mußte fih dar⸗
auf verlaffen durch die Maſſe zu fiegen, wie Carnot im Revo⸗
Iutionsfriege die Maffentaftit zurüdführte — freilich mit kleine⸗
ren Mafien — weil bie Nationalgarbe nicht Stand hielt und
Die Eavallerie fchlecht war, indem er bie Bataillone in Maffen
sufammen zog, und diefe Taktik den Feldzug von 1793 und 94
ganz und gar entſchied. 'So nahm er die griechiſche Phalanx
an; da aber die meiften feiner Gegner Phalangiten waren: —
1) SBgl. Möm. Geſch. III S. 543 ff.
Niebuhr Vorir. 56.0.9. ©. IL 21
922 Philipp bildet fein Heer,
alle Griechen waren es und aud bie Illyrier Fämpften in der
Phalanx, nur die Thrafer waren Peltaften; — fo trat er ihnen
mit einer ſtaͤrkeren Phalanx entgegen und brachte fie auf ben
höchſten Grad der Bollfommenheit, Schon Iphikrates hatk
die Maſſen verflärft, indem er Tängere Tanzen gegeben hatte,
'und Epaminondas hatte die Phalanx 50 Mann tief gefelt,
bas war aber bloß zum Borbrüden, und bie hinterfien Glieder
waren ‘dann eine Maffe, die blind vorwärts getrieben wurde.
Philipp dagegen ging viel weiter indem er zugleich bie tiefe
Auffellung und die tiefe Bewaffnung verband. Er gab feinen
Truppen die unermeßlich langen Sariffen, woburd er fo vid
bewirkte, baß dem Feinde die Speereifen von 5 bie 6 Gliedem
entgegen fanden, 'und ftellte die Phalanr 12 bie 16 Mann
tief, während die Griechen gewöhnlich nur 8 Dann tief fanden
und bei ihnen nur 3 Lanzenfpigen vorftanden’. Wie in dem
Schiffsfampfe, wo die Schiffe mit ben rosiris gegen einander
rannten, eine Pentere eine Triere, die römifchen Schiffe bie
feindligden mit dem ZußoAo» über den Haufen warfen, fo flug
Philipp durch die tiefere Aufftellung und fchwereren Waffen bie
ſchwaͤchere griedhifche Maſſe. Seine Phalanr war nicht andere
zu brechen als mit Tirailleurd und auf unebenem Terrain.
Zubem war fie auf die verzehrte Bevölkerung Mafebonien's
berechnet; denn das Land war fo menfchenleer, wie Schweden
nah Karl XII. Ein Jeder aber der an ſchwere Arbeit gewohnt
war, jeder Bauer mit gefunden Knochen konnte in ber Phalanı
einen Play finden. Zwar taugte er nichts als Rottmeifter und Urag,
auch nicht auf ber Flanke, aber in der Mitte war er herrlich.
Dazu konnte man ihn in brei oder vier Tagen anlernen; die
ganze Kriegsfunft bes Sariffenträgers beſtand im Marfchiren,
und da bie Natur Seinen Menfchen fo fehr vernachläffigt hat,
daß fie ihm nidht ein wenig Takt mitgegeben babe, konnte er
das Marſchiren in ein paar Tagen ohne Mühe Iernen.
Die Phalanx alfo erprobte ſich zuerft an ben Illyriern, bie
befiegt d. Illyrier, erob. Amphipolis. Krieg Athen's m. d. Bundesgen. 9233
nicht daran dachten, daß die Makedonier fie ſchlagen wuürden, und’
mit ihr gewann Philipp eine große entſcheidende Schlacht gegen
fie, in der Zaufende von ihnen auf dem Wahlplage blieben; er
entriß ihnen nicht nur ben von ihnen gewonnenen Theil Mafe-
bonien’s, fondern feßte feine Eroberungen bis zum See Lychni⸗
tis, dem See von Achrida fort über die Berge herüber, jo daß
alle illyriſchen Päfle in feiner Gewalt waren. |
Sodann wandte er ſich gegen Amphipolis. Nachdem er D1.105,4.
zuerft Die Amphipoliten gegen Athen unterflügt hatte, erfaufte er
fih in der Stabt eine Partei und nahm fie mit deren Hülfe
durch Ueberrafhung ein. Durch dieſe Eroberung gewann er
ben Zutritt zu ben reihen Goldbergwerfen von Krenides, bie
jährlich für 11, Millionen Thaler in unferem Gelde Gold ein-
trugen (damals ftand Gold zu Silber wie 10 zu 1, jetzt zwi—
hen 15 und 16 zu 1, fo daß der Ertrag nad dem jegigen
Verhaͤltniß des Goldes zum Silber 2,200,000 Thlr. fein würde).
Dieſe Bergwerke entriß er den Thaſiern und gründete bort fpä-
ter zu ihrer Bearbeitung die Colonie Philippi‘).
Was für Philipp’s Fortfchritte befonders günftig war, war
bag Athen damals in einen höchft unglüdfeligen und ſchwieri—⸗
gen Krieg, den fogenannten Bundesgenoffenfrieg verwickelt war.
Athen hatte feine Vortheile größtentheils dadurch erlangt, daß
bie Städte und Inſeln, welche bedeutende Seemacht hatten, wie-
ber unter feiner Leitung fanden: Chios, Rhodos, Mitylene,
Samos und Byzanz. Aber dieſe Staaten waren doch gegen
Athen in fletem Mißtrauen, und es mag wohl fein, daß Athen
in damaliger Zeit das Zugefländniß der gleichen Berathung
ber Bundesgenoffen nicht ganz gehalten hat, und baß es man⸗
he Urfachen zu Klagen und Mißtrauen gab. Kurz die Bun-
beögenoffen fielen ab, und Athen, ftatt daß es hätte abwarten
) Der vorſtehende Abfak if von S. 321 3.5 hierher geſetzt. „Tha⸗
fiern“ iſt Emendation für „Thraclern“, das die Hefte haben.
A. d. H.
18*
924 Krieg Athen's mit den Bunbesgenoflen.
follen, bis das eigene Intereſſe fene Staaten wieder zu Freund»
fhaftsverhältnifien mit ihm zurädführte, und einfehen, daß
feine frühere Macht und bie alte Herrfchaft hin waren, begann
den Krieg und ſuchte fie mit Gewalt zu unterjochen. Dieſer
OLE Krieg dauerte drei Jahre, Foflete den Athenern unglaubliche
Summen, und z0g ihnen mehrere bedeutenbe Berlufte zu; vor
Allem aber ſchadete er ihrer Eonfiberation ſehr. Auch Kos, das
bamald bedeutend war, hatte fih den Bundesgenoſſen ange-
ſchloſſen. Bon dem Einzelnen willen wir faft gar nichts; das
Nähere wiſſen wir eigentlich nur von einem Tage: einem An-
griff den bie Athener auf bie Verbündeten im Hafen von Chioe
machten, ber ſehr unglüdtich ablief und bei dem Chabrias fein
Leben verlor, Die Perfer hatten ihre Hand in biefem Kriege
aber fie felbft erfchienen nicht, fondern ihr Bafall Maufolus,
Dynaft von Karien, der in Halikarnaſſos feinen Sie hatte und
fih nachher Rhodus' hemeifterte, gab den Abtrännigen, vielleicht
auf Anſtiften bes perfifchen Königs, Gelbunterflügung und Hülfe
an Schiffen und Leuten. Die Athener mußten am Ende ber
drei Jahre die Bundesgenoflen als unabhängig anerfennen und
zufrieden fein, daß fie durch den Frieden wieder in ein Teibliches
Freundfchaftsverhältnig kamen. Einen Erfolg muß jeboch biefer
Krieg gehabt haben, bie Eroberung von Samos. Auch biefes
muß mit den Bunbesgenoffen gegen Athen einverftanden gewe⸗
fen fein, denn es findet fih eine Kleruchie bort, bie in biefe
Zeit fällt, und dies zeigt bo, daß Samos im Anfange bes
Krieges [gegen Athen fand], von ben Athenern eingenommen
fein muß und dann Kleruchen erhielt, denn diefe Kleruchie Tann
doch nur Folge einer Eroberung fein. Diefe Kleruchen bleiben
bis nad Alexander's Zeit ‘wo fie wieder vertrieben wurben‘
und bie Athener hielten dieſen Befig für ein befonderes Kleinod,
Diefen Umftand Hat, fo viel ich weiß, noch Fein Geſchichtſchrei⸗
ber bemerkt. ‘Mehrere Schriftfteller meinen, Philipp habe in
bem Sieben nach der Schlacht bei Epaeronen ben Athenern
Philipp'o Intriguen in Olynth. 325
Samos eingeräumt: fo Barthelemy nach Plutarch vit. Alex.
Aber Philipp hatte Samos nicht erobert, und eine Bedingung
in dieſem Frieden war wie in dem bes Alkibiades, daß alle
griechiſchen Fleineren Staaten, fouverain fein follten, fo daß
Philipp ſich für den Beichüger der kleineren Städte gegen bie
größeren erflärte. Es waren aber ſchon DI. 107,1. Kleruchen
yon Athen nach Samos gefchidt worben‘,
Diefer Krieg befchäftigte die Athener fo, bag fie Philipp
ungehindert operiren ließen. Philipp unterbeffen ſetzte fich in
feinem Staate feft und breitete fich mehr und mehr aus: bas
Genauere wie er im Einzelnen fein Reich confolidirte wiflen wir
leider nicht, Noch mehr ale Athen hätte ein anderer Staat nad
ber natürlichen Lage der Dinge ihn mit Eiferfucht betrachten follen,
Olynth, da er biefes eben fo wenig dulden fonnte wie Methone
und Ppydna; dies Gefüpl hatten gewiß auch fehr viele Diyn-
thier, aber fie Tießen ſich fchmählich von Philipp betrügen. Er
ſtellie ſich als ob er ihr uneigennügigfler und wärmfter Freund
fei, und half ihnen ihr Gebiet ausbreiten nach der Seite, wo
es ihm fpäter nüglich war, wenn er einmal Alles nehmen wollte,
Die athenifche Niederlafiung in Potidaea, ’durd die Athen auch
Pallene beſaß', war den Olynthiern ein Dorn im Auge, ähnlich
wie Gibraltar in fremden Händen den Spaniern, "und Philipp
reizte fie immerfort Potidaea zu nehmen. Die Dlynthier aber
waren nicht maͤchtig genug um es zu erobern, und fo’ half
Philipp damals es für fie erobern, ohne daß er eigentlich im
offenen Kriege gegen Athen war, Olynth aber fland jest im
offenen Kriege mit Athen, ’und war in bie Lage gebracht, baß
Philipp Manches von ihnen forbern Fonnte, was fie nicht ab⸗
fchlagen durften, Kein Staat warb jämmerlicher von ihm be=
trogen’. Die eigentlichen Führer der Olynthier Laſthenes und
Euthykrates hatte Philipp gerabezu erfauft und burch fte bethoͤrte
er das unglüdlihe olynthifhe Volk, das aus Eiferfudht und
Groll gegen Athen fih an ben gefährlichfien Fuͤrſten hingab
67.2.
Dl.106,1.
326 Ausbruch des pholifchen Krieges. Urſachen deſſelben.
und für feine dumme Hingebung feinen verdienten Lohn em-
pfing.
Während nun einerfeits dieſer Krieg die Aufmerkfamfeit der
Athener abwandte und der Mangel an großen Maͤnnern bie
Unternehmungen lähmte, trug ſich andererfeits zugleich eine Be:
gebenheit zu, die Philipp bie Mittel gab feine Macht über Grie—
chenland auszubehnen, und die Griechen durch Parteien unter
ſich zu zerreiffen: der phokiſche Krieg, der höhft unangemef:
fen mit dem Namen des heiligen bezeichnet wird.
Diefer Krieg ift ein Beifpiel, wie böfe und ſchlechte Hand⸗
lungen fohlechte Folgen haben, wenn auch nicht unmittelbar
nad der That; ganz Griechenland litt an den Folgen [der Be
fegung ber Kadmea], nicht bloß dadurch daß die boeotiihe
Macht ſich erhob, fondern auch ganz Griechenland [verlor feine
Freiheit] durch Diefen Krieg. Die Amphiktyonen waren feine
Föderativ-Behörde, die wohlthätig fein konnte. In dem alten
griechifcehen Völferreht war allerdings ihre Beftimmung, daß
fie für die Heilighaltung der Waffenftillftände forgen follten;
aber fie hatten damals Feine Macht mehr den Frieden in Grie⸗
henland zu erhalten, und ihre Thätigfeit die in alten Zeiten
alferdinge heilfam gewefen war und billiges Völkerrecht unter
verwandte Nationen brachte, indem fie für Menfchlichfeit in der
Kriegführung und für Waffenftiliftand forgten, hat ſich fo weit
unfere Geſchichte geht bloß verderblich geäußert, indem fie burd
bypofritifche Urtbeile Anlaß zu Kriegen gegeben, die nad ben
Anfichten ber Griechen religiöfe Kriege waren. Die Urfache des
phofifchen Krieges war nun folgende:
Die Thebaner erhoben bei den Amphiktyonen hypokritiſcher
Weife die Klage gegen die Lafedaemonier, daß fie durch Phoe⸗
bidas die Kadmea mitten im Frieden weggenommen hatten, 'wäh⸗
rend bie heiligen Boeoter felbft gegen alle amphiftyonifchen Geſetze
Plataeae zerftört hatten’. Diefe Klage hätte als unfinnig zu
rüdgewiefen werben müflen, da ber Krieg laͤngſt entfchieden,
Berurthellung der Spartaner und Phoker durch die Amphifiuonen. 9237
und bie Spartaner dur. bie Niederlage bei Leuftra und bie
Herfiellung Meſſene's gewiß genug gebüßt hatten, Allein für bie
Thebaner war fie nicht ſchlecht berechnet, da fie 'in Folge ihrer
Berbindung mit Theffalten’ großen Einfluß durch die Stimme
der barbarifchen rohen Bölfer hatten, die bei der unfinnigen Zu⸗
fammenfegung der Stimmen in ber Amphiktyonie bag Weber»
gewicht hatten: Athen hatte nuy eine Stimme unter ben Jonern,
hingegen die Aenianer, Malier, Theflaler, Doloper, Heine faft
barbarifhe Bölferfchaften die nicht ein Mal zu ben hellenifchen
gezählt werben, hatten jede eine Stimme, Diefe waren ent⸗
weder gleichgültig, oder fie flimmten im Intereſſe der Thebaner,
und wie die Theffaler fo flimmten natürlich auch die Per⸗
rhaeber, Magneter, Phihioten. So wurben die Spartaner in eine
Geldbuße von taufend Talenten für die Beſetzung ber Kabmen
verurtheilt.
Eine ſolche Strafe ward nun auch gegen Phokis ausge⸗
ſprochen: vielleicht der Preis um den die Lokrer und andere
kleine Voͤller, die gegen Phokis ergrimmt waren, ihre Stimme
gegen die Spartaner abgegeben hatten. Vielleicht haben die
Thebaner die Klage deswegen erhoben; eine große Veranlaſſung zur
Klage war aber bie alte Feindſchaft zwiſchen Boeotien und Phofern,
Die Urfache ber Berurtheilung ber Phoker wird angegeben,
aber es liegt darin eine Dunkelheit die fich nicht wegichaffen
läßt. Iſt die Klage gegen ben phokiſchen Staat gerichtet, fo
if fie vollfommen begreiflich; bezieht fie fi aber auf Handlun⸗
gen einzelner Phoker, fo ift mir.die Berurtheilung unerklaͤrlich.
Wenn die Alten einem Gotte, einem Tempel .einen Diftriet als
Eigenthum weihten, fo war nicht die Meinung, daß dieſes Land
nun zum Bortheil bes Tempels bearbeitet oder auf beflimmte
Zeit verpachtet werben follten, fondern man weihte es in ber
Art, daß man ber Gottheit den Zehnten bavon gab; barüber
vgl. Xenophon's Anabafis‘). Diefe Vorſtellung ift im Alter-
) Anab. V, 3, 12.
928 Berurigellung der Spartaner uub Pholer durch die Amphiltyenes.
ipume weit verbreitet geweien und if der Grund, weöwegen
der Stamm Levi in Palaeflina ben zehnten Theil bekam, weil
Palaeftina im alten Teflamente ald unmitielbared Eigenthum
Jehova's dargeftellt wird und bie Leviten Gott vertreien. Der
Zehnte gehört Jehova, aber bie Leviten empfangen und genie⸗
Ben ihn. So war ohne Zweifel, als im alten heiligen Kriege,
Diymp. 40, die Ampbiktyonen Kriffa ober Kirrha zerftörten, und
das Gebiet Dem Tempel zu Delphi weihten, dies fo gemeint, daß
bie Befiser dem Gotte ben Zehnten geben follten, Wenn nun
vielleicht die Grenzen zwifchen Phokis und Delphi von alten
Zeiten ber ſchlecht befinirt waren, wie auch die Grenzen ber
Phoker und Lolrer durch ein merkwürbiges Derret bes römiſchen
Conſuls beftimmt werden mußten‘), fo ift fein Wunber, daß
hieraus Urfache zum Streit fommen konnte: daß die Pholer
[als Staat] Anfpruh machen Tonnten den Zehnten in gewiſſen
Bezirken für ſich zu erheben, während der Tempel ihn für fih
forderte. Allein in ben gewöhnlichen Erzählungen Tautete es
fo, als ob dies Land hätte wäft Tiegen follen und als ob
bie Sünde ber Phoker darin befanden hätte, daß fie dies
Band unter den Pflug genommen, wobei Philomelus und
die Seinen vorzüglich ſchuldig geweien fein follen. Wenn
nun bas Land ganz wüfte gelegen, fo hatte es ja bem Gotte
feinen Ertrag gegeben; wenn es aber wirklich wuͤſt Liegen follte, fo
ift wahrfcheinlich der Sinn, daß biefes Land zur Weide bienen
ſollte. Wenn alfo die Pholer eine Strede unter den Pflug
nahmen, fo hatten fie freilich nicht bie Befugniß dazu, aber fe
hatten Recht es ärgerlich zu finden, daß diefer fchöne Boden
wuſt Tiegen follte. — Wie dem nun auch fei, Die ſaͤmmtlichen
phokiſchen Städte wurben in eine ſchwere Geldbuße verurtheilt
wegen dieſes Sacrilegiums, entweder baß fie fi ben Zehnten
angemaßt ober verfluchtes Land unter den Pflug genommen hatten.
) Es war bies ber Propraeter ©. Avidius Nigrinus. cf. Corpus In-
scrt. graecc. No. 1711. A. d. H.
Die Pholer befepen Delphi. 309
Die Pholker Ichnien fich gegen bie Ungerechtigkeit bes Ur⸗
theils auf und erflärten, daß die Geldſtrafe für fie völlig un⸗
erihwinglich fei, Daß das ganze Land zu Grunde geben wärbe,
Gie bezahlten nicht; darauf verurtheilten bie Hypokriten fie wie
bie Spartaner, bie auch nicht bezahlten, in bie Doppelte Geld⸗
ſtrafe, und als auch biefe nicht entrichtet ward, wurben nun
bie Thebaner und Thefialer beauftragt, in Phokis einzurüden
and die Summe mit Gewalt für ben Tempel beizutreiben. Die
Phoker außer fih wandten ſich an die Spartaner bie in berfel-
ben Rage mit ihnen waren, aber biefe ohnmädtig und vom
ganzen Lande verlafien Fonnten nichts thunz dann an bie Athe⸗
ner, und biefe fei ed aus Spannung gegen Theben oder aus
Menfchlichkeit erklärten ſich für fie und rüfteten ſich zu einiger
Hülfe.
Damals war Delphi von Pholis gänzlich getrennt; daß
es einfimal zum übrigen Phokis fand wie Theben zu Boeotien,
Rom zu Latium if allerdings nur meine Vermuthung; nach⸗
ber find fie ganz getrennt. Die Delphier waren ein ganz nichts⸗
würbiges Volk, wie die Bewohner von Pilgerörtern, wie Com⸗
poftella, und Babeörtern wo bie Wirthe von den Fremden leben,
durchaus ſchlecht und bei den Griechen verhaßt, aber ungemein
reich. Mit den Phofern Iebten fie in großer Feinbfchaft, und
waren ſchadenfroh daß diefe zur Strafe gezwungen wurden,
weil fie bei allen ſolchen Gelegenheiten ihren Proftt hatten, denn
das Gold wurde verarbeitet: wie in ber Apoſtelgeſchichte der
Goldſchmidt in Epheſus. Eine große Menge Demiurgen war
in Delphi.
As die Phoker fich geächtet fahen und man fie überfallen
wollte, war es eine ganz natürliche Bewegung, daß fie fagten:
gut, fo tragen wir zuerft bie Waffen hin, wo unfere nächflen
Feinde find; fo rüdten fie gegen Delphi und befesten bie Stabi,
Aus Ariftoteles’ Politieen) kann man fchließen, daß bei ben
) Lib. V, 3, 3.
330 Erecutlon.
Delphiern ſelbſt damals Zwietracht war; indeſſen baue ich nicht
ſehr viel auf dieſe Stelle'). Als fie Herren von Delphi waren
erließen die Phoker an ganz Griechenland Proteflationen gegen
De Unmenfchlichfeit ihrer Achtung; fie wollten jegt Schreden
verbreiten da. fie den Tempel in ihrer Gewalt hatten, und
warnten, man möge fie nicht auf's Aeußerfte treiben; man jole
ben ungerechten Spruch aufheben. Aber fie fanden nur taube
Ohren: fegt wurben fie nur noch zehnmal ärger angejchriern
als Entheiliger des Tempels, 'als Tempelräuber, ehe fie ned
ein Loth Silber genommen hatten. Sie berührten Anfangs
bie Tempel nicht, ja Philomelus Tieß fogar ein Berzeichniß. der
Tempelfhäge aufnehmen und fie verfiegeln; aber von ben Del⸗
phiern felh erhob er gewaltige Gontributionen. Dafür nahm
er Reisläufer an, bie in unzähligen Schaaren allenthalben in
Briechenland bereit waren: er. erhöhte den an ſich ſchon bohen
Sold um bie Hälfte und fo Tief ihm ein großes Heer zu. Set
wurden die Thebaner und Theffaler zum Schuge bes beiphi-
ſchen Apollo aufgeboten, und rüdten vor um bie Entweiher des
Heiligthums zu beftrafen. Philomelus ging ihnen entgegen;
ex hatte Geld, die Thebaner fuchten ed damals erſt vom König
von Perfien zu erbetteln, und er fehlug fie rechts und link,
machte viele Gefangene. Obgleich noch nichts aus dem Tem:
pelfhage geraubt war, hatten die Thebaner doch ſchon bie Pho—
fer für Tempelſchaͤnder, für Hierofylen erflärt und ließen bie
Gefangenen mit Wurffpießen niederfchießen, zavaxovsıadnvaı;
das vergalt ihnen Philomelus, indem er an ber größeren An-
zahl feiner Gefangenen Rache übte. Die einzelnen Gefechte
find ber Erzählung nicht werth. Nach einer Reihe kleiner Ge⸗
fechte verlor Philomelus zuletzt das Leben in einer Schlacht,
D1.108,3. indem er ſich felbft von einer Höhe hinabſtürzen mußte, um
nicht in feindlihe Hände zu fallen.
ı) Der phofifche Staat beſtaud aus mehr als 20 Stäpten, bie zu einem
Ganzen vereinigt waren; im welchem Berhältniß aber fie unter fih vers
einigt waren, wiflen wir ſchlechterdings nicht.
Beranbung ber Tempelfgäpe. Gindringen der Pholer in Theſſallen. 331
Gegen das Ende feines’ Lebens war er ſchon allerdings in
ber Nothwendigkeit gewefen bie Tempelfhäge anzugreifen; Ono⸗
marchus fein Bruder, der ihm fest nachfolgte, feute bie Plün«
berung mit mehr Dreiftigfeit fort; es war feine andere Hülfe,
Erz und Eifen aus dem Tempel wurden zu Waffen verarbeitet,
Gold und Silber wurden vermünzt, wie man ein Mal über
den Rubicon gegangen war, Onomarchus fammelte durch ben
hohen Sold ein noch größeres Heer. Den. Executionstrup⸗
ven erging es nicht viel beffer wie ben Testen bes heiligen
römifhen Reichs im Sabre 1789 und 90, als Churpfälzer
und Andere gegen bie Lütticher gefandt wurben, die anfänglich
nicht gerne vorrüdten, und als es gefchah, war bie ganze Ge⸗
fchichte in drei Tagen zu Ende und fie weiter zurüd ale von wo
fie ausgegangen; nur floß mehr Blut. Die. Thebaner und
Lofer wurden volfländig gefchlagen, bie Theffaler nicht minder
bie Phofer eroberten bie Trümmer von Orchomenos und Kos
ronen, unterwarfen fih bie Lofrer und brangen in Thefla-
lien ein,
Jetzt fuchten die Fürften von Pherae ihre Hülfe. Philipp
hatte nämlich ſchon angefangen ſich in Theflalien einzuniften.
Die Aleuaden in Lariffa hatten ihn gegen bie Bürgerfhaft zu
Hülfe gerufen; er war auf bie erſte Einladung mit Truppen
erfohienen, und um fie zu vertheidigen ließ er natürlich in ber
Citadelle Befagung. So hatte er fih fhon in ganz Theffalien
feftgefegt, mit Ausnahme von Pherae. Hier fchloffen die Für-
fien fih an die Phofer an, und wiberfegten fih ihm‘). Phi«
lipp vüdte nun gegen bie Phofer vor, und von ben ihm erge-
benen Theffalern aufgefordert, benuste er die Gelegenheit, er⸗
Härte fein Heer für Soldaten bes Gottes; er betrieb Die ganze
Sache mit großer Heuchelei und that gewaltig eifrig. Sein
Heer ließ er mit dem Lorbeer bes pythiſchen Apollo befränzt in
ı) 1826 folgt N. der Darftellung, dag die Aleuaten Philipp gegen bie
Zürften von Pherae zu Hülfe gerufen. A. d. H.
892 Die Pheler werben in Theſſallen von Phllipp geſchlagen. Phllipy
die Schlacht gehen, wie zu einer heiligen Handlung; im erſten
* Gefechte hatte er Voriheil, nachher aber verlor er zwei Schlach⸗
ten dermaßen, daß er zurückweichen und Theſſalien räumen
mußte.
Dies wäre der Augenblick gewefen fich zu erheben und gegen
ihm einzufchreiten, wenn in Athen ein befierer Geiſt geberriät
‚hätte, und wenn die Olynthier nicht gewartet hätten, bis fie ver-
nichtet waren. Aber Alles blieb ruhig, und er konnte ungefön
feine Macht herfiellen, rüdte auf’ Neue gegen Pherae in Theſ⸗
falien ein. Dnomarchus fam zur Hülfe, mußte aber weichen
und wurde auf feinem Rüdzuge von Philipp an ben malifhen
Meerbufen gebrängt; bier warb er gefchlagen, das phokiſcht
D1.106,4. Heer gänzlich zerfprengt: "die größte Nieberlage, bie fie in dem
ganzen Kriege erlitten”. ine atheniſche Flotte war fehr zwed⸗
mäßig in biefe Gewäfler gefanbt, um in dem Kalle, daß eim
Schlacht verloren würde, die Thermopylen zu beſetzen: das reis
tete damals Griechenland. Furcht vor böfem Leumunde hatie
biefe abgehalten den Pholern offenbar zu helfen, und fie be
gnügten fih am Ufer zu anfern. Die Phoker fuchten ſich zu
den athenifchen Schiffen zu retten, aber bie meiſten kamen in
ben Wellen um, Onomarchus felbft fiel am Strande bes Meeres
und Philipp ließ feinen Körper an's Kreuz ſchlagen. Sept br
fegten aber die Athener ſchnell bie Thermopylen, fo daß Philipp
nicht weiter vorrüden konnte.
- Die Zürflen von Pherae capitulirten nun und zogen ſich
mit ihren geworbnen Truppen nach Phokis zurüd, So fam
Dherae in Philipp's Gewalt und gleich darauf auch Pagalar
ber einzige größere eigentlich theffalifhe Ort am Meerbuſer
von Jolkos: auch hier hatte er Verräther gehabt, bie ihm Alet
in die Hände fpielten‘,
Bielleicht iſt es ſchon in Diefer Zeit geweien, daß Philiey
Theffalien einrichtete, "unter dem Namen eines Befchügers von
Theflalien’., Er machte es mit Theffalien, wie Napoleon es
eonfliuirt Theſſallen unter feinem Schutze. 388
mit Polen machen wollte: nicht als einen großen Staat es her⸗
ſtellen, fondern in drei gar nicht große Staaten zerreißen; eine
feiner Größe unwuͤrdige Anficht, durch bie er fi unermeßlichen
Schaden that und bie großentheils die Urſache ift, daß ber ruſ⸗
fifche Feldzug fehlſchlug. — Theflalien Hatte ſchon von alter
Zeit her vier Quartiere gehabt, Cantone: ‘eine uralte Eintheis
Jung, welche die Traditionen auf Aleuns, einen Sohn bes Pyr«
shus, Enkel des Achill zurädführten‘, Diefe Santone machten zu⸗
fammen ein Ganzes, und nur allmählich war das Band auf»
geloͤſt). Philipp ‘feste nun in jede der vier Landſchaften eine
7) Selbſt auf den beften Eharten wird das ganze Theffalien Im welteren
Sinne gewöhnlich in vier Thelle: Phthiotis, Heſtlaeotis, Pelasgiotie
und Theſſaliotis eingetheilt, fo daß die Magneter, Phthioter und die
übrigen Bölferfchaften als eingetheilt In dieſe Landfchaften erfcheinen.
Aber diefe Eintheilung betrifft nur das eigentliche Thefialien, fo daß
Bothiotis die Gegend um Bharfalus vom Oeta an, Haſtiaeotis Die
weftlide Gegend nach dem Pindus Hin if; Pelasgiotis if das Land
von Lariſſa bis Pagaſae, weftlih von Magnefia, Theffaliotis, eigentlich
Thettaltotis, die Ebene. Diefe Namen hat Strabo (IX, p. 430B. ed.
Casaub.)., Der Scholiaft zu Apollonius Rhodins Il. 1090 hat die
Namen etwas verfchrieben: für Eorawris hat er ’Iwixirs. Die
Eintheilung des Strabo hatte Ariftoteles, und Theopomp bei Harpo⸗
Fration fagt ausdrücklich, daß biefe Tetrarchieen⸗Cintheilung fich auf
die einfache Gintheilung Theſſalien's bezogen habe. — Bei Demoſthe⸗
nes in der Stelle, wo er von ber Einrichtung der Tetrarchieen fpricht
(Philipp, Ill. p. 117) fteht ein Ausdruck, der feine eigene Schwierigs
feit hat. Cine theflaliihe dexzadapyi« wird bier erwähnt und im
der Folge eine zergnpyio. Die Lesark iſt fo alt wie Harpofration,
der fih auch daran ftößt und fie zu erklären ſucht. Gr fagt: dexa-
daozxta ift die Herrichaft von Zehn, wie fle die Lakedaemonier im jeder
Stadt einfepten; was er aus Iſokrates beweiſt. Er fügt aber hinzu:
aber was das Wort dexadaoyla bei Demofthenes heißen foll If mir
ein Räthfel, da Philipp in Theffallen nicht eine dexadapyrla, fondern
eine zeroaezi« einrichtete. Die Lesart ift alfo alt; eine Barlante iR
dexnoyle, Man muß fich aber erinnern, daß das A in ben alten griechis
fchen Zahlen, befonders bei ven Athenern, eben fo gut 10 als 4 beden⸗
tete. Eine Curſivſchrift iſt völlig in Griechenland zur Zeit des Demoſthenes
für Die Handfchriften erwieſen, und ebenfo warb andy mit Abbreviaturen
geſchrieben. Wahrfcheinlich Hat alfo in dem Maunfcript 1AAAPXLIA
geftanden; daraus las man nach der gewöhnlichen Bebentung nachher
dexadapylu herans, es muß aber rerpadapria gelefen werben. 1825.
334 PHilipp conſtituirt Theffalien. Beindfeligleiten Philipp's
befondere Regierung ein und‘ machte baraus vier von einander
abgefonderte Staaten, Tetrarchieen, ohne ein gemeinfchaftlihes
Band. So erreichte er feinen Zwed, daß bie verfchiebenen
Völker auf einander eiferfüdhtig wurden zum Bortheil bes Sie-
gers: denn ſolche Spaltungen haben immer bie Folgen gehabt,
welche die Feinde wollten‘. In den feſten Stäbten hatte er Be⸗
fagungen, und ben wichtigen Hafen von Pagafae, den gemein-
ſchaftlichen Seehafen von Theffalien und burd ben Zoll ihre
gemeinfame Revenue, ließ er fi ganz abtreten und erhob bort
Zölle für die allgemeinen Bebürfniffe von Theffalien, wie er
ed angemeflen fand zu beflimmen, beforgt für ihr Wohl! Die
theffalifchen Unterthbanenlande, Magnefia und Perrhaebien, waren
fonft Generalitätslande geweſen, bem allgemeinen Theffalien
unterwürfig, und es fcheint, bag wie vor der Revolution ge⸗
meinfame Herrfchaft das einzige Band der Schweiz war, fo
biefe gemeinfamen Landfchaften hier bas Einzige gewefen waren,
woburdh ber Staat Theffalien zufammengehangen hatte: dieſe
ließ er fi gleichfalls abtreten und regierte fie völlig al8 Pro—
pinzen.
So ging feine Herrfchaft beinahe bis zu den Thermopylen.
Don Phthiotis ift es zweifelhaft, ob es fchon jeßt in die Ab-
bängigfeit fam, in ber es fpäter war.
Demofthbenes im Kampfe gegen Philipp.
Chaeronea.
Bisher mar zwiſchen Athen und Philipp noch fein zanor-
dos roleuos, fein offener anerkannter Krieg unb immer noch
Berfehr zwifchen den Ländern; wenn man auf einander traf,
fämpfte man, aber noch war es fein unmittelbarer Krieg.
Philipp rüftete feinerfeits Kaper gegen Athen, mifchte fih in
Alles, reiste Euboen gegen Athen, ſchickte von Theffalien aus
D1.106,3. Truppen nah Euboen hinüber, und verfchaffte ſich dort eine
gegen Aihen. Krieg gegen Olynth. 995
Partei, indem er in Eretria und an anderen Orten bie Ty-
rannen unterflüßte, die von ganz anderer Art als die früheren
fih jetzt in mehreren Städten erhoben.
Nicht Tange, fo gerieth er in Krieg mit den Olynthiern. Ol. 107, 2.
Diefe hatten einen Stiefbruber des Philipp aufgenommen, ber
mit Recht für fein Leben fuͤrchtete, weil bie anderen Brüder
bes Philipp nach orientalifcher Politif geftorben waren und er
eben fo zu fterben fürchtete: er hielt die Luft von Olynth für
gefünder ald die von Pella. Darin ſah Philipp eine Feind⸗
feligfeit und forderte feine Auslieferung, die Olynthier verwei⸗
gerten fie. Bis dahin hatte Olynth eine eben fo thöridhte ale
gemeine Politit befolgt; es war das Werkzeug ber Vergrößerung
Philipp's gegen die Athenienfer gewefen, und Philipp hatte es
babin zu bringen gewußt, daß es Feine Bunbesgenoffen hatte
und mit Athen unverföhnlich verfeindet war. So griff Philipp
fie jegt an. Die Teste griechifche Stadt an ber Küfle von
Pierien, Methone, eine fehr anfehnliche Stadt hatte er kurz vor⸗ Ol. 106,4.
ber erobert, wobei er ein Auge eingebüßt hatte; er entwaffnete
bie Stadt und fanbte eine mafebonifche Colonie dorthin. Die
Olynthier waren bisher von jenen zivei Demagogen Laſthenes
und Euthykrates geführt worden, bie unverholen an Philipp
verfauft waren und fi mit ihrer Klugheit vecht viel wußten,
daß ihre Berbinbung ihnen fo berrlihe Vortheile einbrächte‘).
Philipp hatten fie als ihren lieben Verbündeten betrachtet und
fih als feine Lieben; als fie fih nun von ihrem Lieblinge ge-
täufcht und angegriffen faben, waren fie in großer Noth und
ſuchten jest Frieden. Er antwortete, fie follten ihn haben unter
ben Bedingungen wie Methone; fie müßten bie Stadt räumen,
) Olynth wird zrolıs uvolavdoos genannt; wahrfcheinlich if eine Bürs
gerichaft von 10,000 da geweien, aber damit iſt nicht gefagt, daß alle
innerhalb der Ringmauern wohnten; mandye mögen mehrere Meile
entfernt gewohnt haben, bie im Derhältniffe der Sympolitie waren:
denn dies Berhältnig Fommt bier namentlich zuerft vor bei Erwähnung
des Krieges, den Diynih gegen Amyntas und die Spartaner führte,
9935 Die Olynthler fuchen Athen's Beiſtaud. Demofibenes.
bas Leben wolle er ihnen laſſen und fie könnten ihre Habe mit-
nehmen, aber fie müßten fortziehen und bie Stabt ihm über
D1.107,4. [affen. Berzweifelnd fahen fie feine andere Hülfe ale fih an
Athen zu wenden, dem fie bis dahin alles Hergeleid angethan
hatten.
In Athen hatte ihr Unglüd bei Tpörichten Schabenfreude
erregt, minder Thörichte aber waren fehr empfindlich und nah⸗
men ihre Anträge mit Unwillen auf; fie fragten, weldye Unver⸗
fhämtheit fo groß fein Fönne ald dieſe. Die Berräther nah⸗
men bie Maske der Vaterlandsfreunde an und riethen dem
Bolt, man möge ein foldhes Volk die verdiente Strafe erbulben
laffen, und bie Gelegenheit benugen Frieden mit Philipp zu
ſchließen; er werde Amphipolis ſchon zurüdgeben u. f. w.’ Der
Antrag der Olynthier wäre abgewiefen worben, wäre nicht De⸗
mofthenes geweſen.
Demofihenes war damals ungefähr 34 Jahre alt, in ber
eigentlichen Höhe des Mannesalters, wo bie jugendliche Leben-
digkeit ſchon durch Erfahrung und Ueberlegung gereift iſt. Leber
ihn iſt viel geredet; er hat das Altertbum viel befchäftigt. Von
ben Neueren werben feine Reben meift gelefen wegen ihrer eiger
nen Meifterhaftigfeit, weniger in Beziehung auf die Zeit um
wegen ber Serfönlichfeit des Demofthenes, deren Wichtigkeit
viel größer ift als bie Erforſchung feiner elenden Zeitgeſchichie:
von dem meiſten Neueren wird er mehr genannt als gekannt.
Wie es eine noch größere Wichtigkeit Hat bei großen Männer
wie Cicero und Götbe den Dann unb feine ganze Perfönlid
felt duch und durch Tennen zu lernen als ihre Schriften, weil
man dadurch fieht, wie ihr ganzes Weſen in Allem fich vom
ben gewöhnlichen Perföntichkeiten unterfcheibet, und man den Maß⸗
ſtab zwifchen gewöhnlichen Menfchen und benen erhält, bie bil
in's Innerſte ihres Weſens durch und durch größerer Art find;
wie Briefe auf dieſe Weife lehrreich find: fo muß man in feinen
Demofigenes. 397
Reden die Perföntichleit des Demofthenes mehr erforſchen [ats
etwas Anderes] ').
Wenn Jemand in der Geſchichte tragifch dafteht, fo iſt er
es, der von frühe an das Richtige fieht, die heillofen Fehler
rund um fih erkennt und wie Alles dem Verderben zueilt,
ohne daß er durchdringen kann, und ben Kummer hat bas Ber-
berben herannahen zu feben,. schon Yange ehe es erfüllt iſt, wäh-
rend alle Anderen fih nocd mit Hoffnungen täufchen ober Teicht-
finnig hinleben. Diefen bitteren Kelch ber Vorausſicht des Un⸗
gläds mit der reinften Vaterlandsliebe hat Demofthenes geleert.
Ein folher Mann kann gewiß nicht heiter fein, und fo geht
durch alle feine Reden Trübfinn, Ernft und Wehmuth, nie Hel-
terfeit, In Cicero's Reden, namentlich unmittelbar nad feinem
Conſulate ift große Heiterkeit, ein eigentlich tiefes Süd; Bei
Demofibenes nie. Das ift aber eben feine Größe, daß er nichts
deſto weniger unermüblich ift, durch Fein Unglück, durch feine
Kraͤnkung ſich abjchreden Täßt, nie zu irren iſt, wenn fein trau⸗
riger Rath nicht gehört ober falfch ausgeführt wird, fo daß
man Ihm Vorwürfe darüber machen Tonnte daß man ihm ge=
"folgt war. Ohne Unterlaß fieht er immer wieder was In jebem
"Augenblidte geſchehen fol, räth, dringt, befchwört immer wieder.
Alles fand er traurig: ber einzige Augenblid, wo er noch
Halfe hoffen. fonnte, war vor ber Schlacht bei Chaeronea, da
er die Griechen zum Bunde mit Athen gewonnen hatte,” Da
genoß er alles Gtüd beffen er fähig war. Griechenland fanb
er aufgelöf, Philipp mächtig und überall Parteien für ihn; in
vielen Städten Berräther für den Philipp, wenige zwar in
Alben, allenthalben aber eine Corruption, Ausartung, die Phi⸗
Kos Pläne begünftigte. Manche Städte waren ganz für biefe
gefinnt. Zu Haufe hatte Demoftbenes neben fich cinige Männer
von Talent und guter Gefinnung, aber ihm felbft ganz fremde
rn wie Lykurg, ber ein durchaus — Mann war;
H Bol. Al. Schr. J S. 476 fi.
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. IL! 22
340 Zuftanb des atheniſchen Volles.
nicht bedenken, ob für die neue Verfaſſung ſich auch tüchtige
Leute finden werben. Demoſthenes dachte nie daranz er wußte
was aus dem Begenwärtigen zu machen fei und war ſich be-
wußt, daß in ihm die befte Berfaflung fei.
Mit den wüthendften Anfällen derer, benen feine Rolle zu⸗
wider war, und mit den gemeinften Snterefien von Tauſenden
hatte er zu kämpfen. Und die Taufende von bitter Armen be-
geifterte er, daß fie bie Unterflägung aufgaben, bie fie vom
Staate als fouveräne Mitglieder erhielten, und fie fih biefe ent:
zogen um ben Staat zu rüſten; das Bolt, das vom Kriegsdienſte
entwöhnt war, begeifterte er fih zu bewaffnen, von Neuem fi
zu gewöhnen bas Vaterland zu vertheibigen. Das iR wahrlih
größer als was Alerander geihan hat, als er mit 30,000 Daun
bis an den Indus drang. Er hatte zu gebieten, über Unter:
tbanen hatte er volle Autorität; Demoſthenes aber brachte durch
Ermwedung ber berrlichfien Gefühle bie größte Selbſtverleugnung
hervor.
So hoben fih die Athener durch feine Erziehung mehr unb
mehr und wurden für alles Große und Herrlihe immer em⸗
pfängliher. Seine Seinde fparten bie Berläumbung nicht, aber
bas Betragen ber Athener war nie fchöner als gegen Demo-
ſthenes. Dit diefer durch ihn wiedergeborenen Ration konnte
er unternehmen was freilich unglücklich endete: aber hätte bie
Schlacht von Chaeronea noch um zwei Jahre verſchoben werben
Fönnen, ober wäre ihr Ausgang anders gewefen, wie es fo leicht
möglich gewefen wäre, fo wäre Athen nerjüngt wieber erſtanden.
Bon Athen aus verbreitete fih fein Einfluß über ganz
Griechenland wie es nie früher geweſen war: er fah, daß Athen
nicht herrſchen Fonnte über Griechenland, und fo wollte er es
in fi) vereinigen in ber größten Wledenlofigfeit und Uneigen-
nüßigfeit. Hätte die Schlacht von Chaeronea wie gefagt nur
um zwei Jahre aufgefhoben werden koͤnnen, fo hätte er ſich einen
Einfluß über Griechenland verſchafft, unter dem es unüberwinbiih
Demefibened beftimmi Athen Hülfe an Olynih zu fenden. Jall Diynib'e. 344
geweſen wäre, Wie auf Athen, fo wirkte Demoſthenes auch
anf bie übrigen Griechen, indem er als Geſandter Athen's von
Ort zu Ort reifle. Sein guter Ruf ging vor ihm her, und
man fah in ihm nicht‘ ben Athener, fondern ben fledenlofen all»
gemeinen Griechen, obſchon bie Beſtochenen Alles gegen ihn
aufboten.
Nie aber zeigte ſich das Verhaͤliniß bes Demofihenes zu
den Athenern fihöner als gegen DOlynih’.
Seit achtzig Jahren war Olynth Athen verfeindet, und 68.8.
doch Teiflete diefes Hülfe gegen den gemeinfamen Feind. Es
war einer ber größten Triumphe den Weisheit und Vortrefflich⸗
keit gefeiert haben, bag Demofthenes denen die ihn hörten, ben
Taufenden ber Athener feine Gefühle mittheilte, daß er fie
überrebete den Olynthiern Hülfe zu Teiften. Aber das konnte
er nicht erlangen, daß biefe Hülfe groß, ausgebehnt wurbe, wie
er fie verlangte; er wollte, Athen follte alle Mittel aufbieten,
die Athener follten fich ſelbſt einfchiffen, nicht Miethstruppen
ſchicken, fie follten mit ber Flotte durch eine Menge Diverfionen
dem Philipp den Krieg drückend machen und ihn abziehen.
»Es war aber noch zu früh am Anfang von Demofihenes’ Lauf:
bahn: ſolche Kraft war in ben Athenern noch nicht zu fuchen’,
Sie begnügten fih nur mit einigen taufend Mann Hülfe zu
Jeiften, und die Zührung biefer geringen Macht warb auch elen⸗
den Heerführern wie bem Ehares übertragen. Das konnie nichts
beifen. Aber auch fo wurde das Schiefal Olynth's verzögert,
und vielleicht hätten bie Olynthier ſich noch retten können, hät⸗
sen fie fih vor Berrath im Innern zu wahren gewußt, Sie
ließen fi aber durch dieſelben beirügen, bie früher Philippus
verfauft geweien waren, und waren fo unvernünftig feinen bei-
den anerfannteften Anhängern, dem Laſthenes und Euthykrates,
ben Oberbefehl anzuvertrauen. Bon ihnen wurben fie gerabe-
zu verrathen. Das Detail der Einnahme von Olynth willen
wir nicht. Es ward dur Verrath eingenommen, unb fein DI.108,1.
342 Yall Olynit’e. -Gehandiung ber griechlſchen ERähie tar Ahilivp.
Schickſal war das einer mit Sturm eingenommenen Gtabt.
Die übrig bleibenden Einwohner, Weiber und Kinder kamen
im die Sklaverei, ganze Heerden verfchenkte der König als Skla⸗
ven an bie Berräther, andere Haufen verfaufte er, andere zer-
freute er in feine Provinzen. Mit der Einnahme von Olynth
hatte er bie Eroberung ber griechiſchen Stäbte von der theffe-
liſchen Grenze bis Thrakien vollenbet.
Er behandelte die Städte biefer Küſte ale Barbar: vieler
Städte Bewohner machte er zu SHaven, bie meiflen verfebte
er, um neue Städte anzulegen. Ich habe geftern ſchon bas
Schickſal Makedonien's mit bem bes moskovitiſchen Reiches unter
ben Mongolen verglihen, und hier if wieder eine Achnlichfeit
Philipp's mit Peter J. Obgleich Philipp Sein Barbar wie Peter
und nicht fo grauſam war, findet ſich doch in der Innern Ein⸗
richtung feines Reiches viele Achnlichfeit mit der unter Peter
fo 3. B. in der Anlegung von Städten durch Verſetzung gan⸗
zer Bevöllerungen. Darin gefiel fih Philipp wie Peter. Viele
Taufende wurden von einem Orte zum anderen verſetzt. Die-
fen Taufch tried er mit den griechiſchen Städten in’s Große.
Die Küfe fuchte er mit Makedoniern zu befepen, bie Griechen
verpflanzte er von ber Käfte in die inneren Regionen feines
Reiches. Dies that er nicht bloß mit den Griechen, auch bie
einheimiſchen Bölfer verfente und vermifchte er, um fie mehr im
Gehorfam zu halten: Paeoner und Makedonier, Illyrier und
Thraker mußten auf feinen Befehl ihr Vaterland auf viele Mei-
fen verlaffen und fi in anderen Gegenden niederlaffen. Bei
ſolchen barbarifchen Völkern bat das aber nicht die ſchmerzliches
Folgen wie bei gebildeten, wenn fie aus ber Heimath wegge⸗
führt werben; fie wurden vermifcht, verloren nur in etwas ihre
Nationalität.
Die Zerflörung Olynth's brachte bei den Athenern fpäte
Reue hervor, daß fie den Rath bes Demofthenes nicht ganz be-
folgt und ihn in ber Ausführung verborben hatten; fein Anfchen
Frleden zwoifihen Athen umb Philip. 348.
nahm daher zu, ſtatt abzunehmen, und eben ber Kummer ber
Zeit rief neben ihm in Athen mehr und mehr bebeutende Män⸗
ner hervor. Es if auffallend wie viel mehr Männer von tuch⸗
gem Charakter, von Zuverlaͤſſigkeit in diefer ungluͤcklichen Zeit
ſich kund thun ale in ber früheren, Obgleich aber fo Demo⸗
ſthenes Einfing ſich Fund that, war doch die naͤchſte Maßregel
bie damals nach der Zerfiörung Olynth's genommen warb, eine
fehr unglückliche, die dem Demofihenes diejenigen fehr zum Ver⸗
gehen anrechnen, welche ſich herausnehmen über ihn zu urthei-
len, ber Abſchluß bes Friedens mit Philisp, "der nach dem Ol. 106 2.
größten Verraͤther der Srieden des Philokrates genannt wird’,
Aber dieſes unglüdliche Ereignig darf dem Demoſthenes nicht
zur Laſt gelegt werben; er konnte es nicht hindern. Maͤnner
som veifften Urtheil haben am Wenigften Starrigfeit. Demo
ſthenes hielt den Frieden für dad was er war, für ein unge⸗
heures Unglüd, und hätten die Athener ihm folgen wollen, fo
wärbe er unter allen Umſtaͤnden bie Fortfegung des Krieges
geboten haben; feßt aber da er bie Athener nur erft auf dem
Wege fah weite zu werben, nur halbweife geworben, begriff er,
daß men noch die Zeit walten laſſen unb abwarten müffe, bis
ih unter den Griechen bie Geflunung fund thun würde ben Be⸗
drängten zu Hülfe zu kommen. Allein konnte Athen den nn-
gleichen Kampf nicht beſtehen.
Jetzt aber war in ganz Griechenland Philipp's Einfluß
überwiegend; feine fchamlofen Anhänger machten ſich breit ba-
mit, feine Diener zu fein. So fonnie Demoſthenes ih fagen
wie er es auch in feinen Reden thut: wir find jetzt in ber Lage,
daß die Forifegung des Krieges uns nur von Berluft zu Ber⸗
Int führen kann, und Teicht kann eine Coalition ſich erheben,
der wir dann vollkommen nicht mehr gewachſen find, und dann
ift Alles aus. Er ſtimmte baher dem Frieden bei, aber unter
ber Bebingung, daß es ein allgemeiner Friebe fei, daß bie thra⸗
liſchen Furſten deren Reich Philipp zu vernichten ſuchte, und
344 Phokis wird Probs gegeben. Iufkänbe von Pholls.
die Phokber mit eingeſchloſſen fein ſollten. Wäre bies zu erlan-
gen geweien, fo wäre ber Trieben für bie Zeitumflände voll-
fommen richtig geweien. Demoſthenes fagte fih, dag, wenn
Philipp einen foldhen Frieden ſchloſſe, Athen eine Zeit lang Ruhe
und Erholung haben und feine Thätigkeit jenen treiben würbe
fih neue Feinde unter denen zu machen bie ihm jest befreundet
waren. Den Aibenern lag viel daran ben Cherfonnes zu be⸗
baupten, wo eine Kleruchie angelegt var,
Aber das Unglüd war, daß unter ben Gefandien bie Mehr⸗
zahl Berräther war, Philokrates gewiß und Aeſchines iſt nicht
zu entfchulbigen; feine Entihuldigangen find alle elend, wie
feine Reben überhaupt gegen bie bemofiheniichen: fie finb nach
dem griechifchen Sprichwort wie bie Eifabe gegen Die Nachtigall.
Sie Tiefen fih von Philipp beirügen, ober hatten ſich ihm ver-
kauft; breimal hielt er fle mit Unterhandlungen hin unter ben
ſchnoͤdeſten Borwänden, bis er fo weit war, baß feine Zwede
erfällt waren unb er burch Theflalien in Pholis einräden Tonnte.
Denn bie dahin hatten bie Athener in Verbindung mit ben
Dholern es ihm unmöglich gemacht in Griechenland einzubrin-
gen’; nad dem Frieden mußte aber Athen bie Flotte von ben
Thermopylen zurüdziehen. "Damit waren bie Phoker auf ihre
eigene Kraft beſchraͤnkt, und ihr Ungluͤck entfchieben’.
Die Phofer waren den Thehanern fehr furchtbar gewor⸗
ben, batten mehrere Orte erobert, faßen ihnen im Lande und
verheerten Boeotien. Phayllus wear jebt Heerführer, nad
Onomarchus' Tode. Diefer führte bie Verwaltung für den Sohn
bes Onomarchus, Phalaekus, feinen Neffen. Diefe drei Brüder
werden von Aeſchines mit Recht Tyrannen genannt. Die alte
Berfafiung der Phoker ſchlief, diefe Strategen herrfchten abfolut.
Die Phoker waren durch die fchreiendfte lingerechtigfeit zur Ver⸗
zweiflung getrieben, allein Berzweiflung bringt gewöhnlich mo-
raliſches Elend hervor und fo brach auch biefes unter ihnen
aus. Ihre Machthaber waren gewiffenlofe, ruchlofe Menſchen.
Iuände von Phekis. | 343
So wenig wir die Geſchenle Im Tempel als heilig betrachten,
fo waren jene doch nach ihrem eignen Sinne Sarrilegen, und
was bie erfie Nothwendigkleit entſchuldigen konnte, war nicht
mehr zu entſchuldigen als man in den Schägen ſchwelgte).
Anfangs hatte man das Gelb aus dem Tempelfhage genoms
men um die Debürfniffe zu befireiten, bald aber raubten bie
Machthaber ohne Not, verfchenkten an ihre Frauen oder Con⸗
eubinen den geweihten Schmud und vertheilten unter einander
die baaren Schäge. Sp war eine elende Wirthfchaft unter ihnen
und es wurde immer ſchlimmer und fchlimmer mit biefem Raub⸗
ſyſtem, während das unglüdliche Volk immer mehr in ſchwerer
Knechtſchaft ſeufzte.
Phalacekus ein noch ganz junger Mann, ber Sohn des
Onomarchus, übernahm nad) Phayllus' Tode ſelbſt den Ober⸗
befehl. An der Spitze der geworbenen Truppen bielt er bie
PYaſſe nach Theſſalien beſetzt, fo daß Philipp nac feiner Mei-
nung nicht vorbringen konnte, Bei ben Phokern ftellte ſich aber
jept eine Art bürgerlicher Regierung ber, und mit biefer
überwarf er fh, da dieſelbe anfing Lnterfuchungen über
bie Peculate, die unterfchlagenen Gelber anzuftellen. Dance
son ben Räubern wurben verurtheilt und hingerichtet, und ein
Theil der Gelder zurüdgeforberti. Diefe Maßregel empfand
Phalaekus übel, Haß man von ihm unabhängige Perfonen an
bie Spitze ftellte, und ohne Frage hat er das unglüdiiche Land
an Philipp verratben. Er ſchloß eine Capitulation um freien
Abzug für fih und die Seinigen und gab das ganze Lanb zu⸗
1) Der Raub der Tempelfhäpe kann jebody nicht ganz allgemein gewefen
fein, denn Pauſanias hat noch viele Weihgefchenfe im Tempel gefehen:
Bieles if allerdings geranbt worden. Nimmt man nun noch, daß auch
die Sallier gepländert Hatten, wie Appian erzählt, fo mäflen die Pho⸗
kier noch Dieles zurüdgelafien Haben. 10,000 Talente follen von
ihnen geraubt fein, das find 15 Millionen Thaler nach unferem Gelbe:
das hat aber keinen Gehalt. 1826.
BES Philipp beingt iu Sxieipentanb ein. GBipuedliche Behaudlung der Bhoker.
ruck. Bald naher Bat er in Kreia einen verbienten ſchmaͤhli⸗
Gen Tod erlitten.
Während nun die athenifche Geſandtſchaft auf bie empoͤ⸗
rendſte Weiſe hingehalten ward, und fogar Demofthenes, der
babei war, ſehen mußte wie feine Eolfegen das Vaterland ver-
riethben und nicht heifen konnte, rüdte Philipp jest in Pholis
ein und fo war er DE. 408, 3. in Griedenland eingebrungen:
Athen war völlig betrogen. Philipp erichien als heiliger Wär
der. Ganz Phokis erfuhr das Schidfal einer mit Sturm einge:
nommenen Stabi, Es war bie willkommenſte Beihönigung
dag Alle Sacrilegen feienz; jeder Bauer hieß Tempelraͤnber und
warb als Verruchter behandelt, das ganze Land der wilbdeſtes
Zägellofigfeit ber Soldaten preis gegeben. Unzaͤhlige Menſchen
wurden muibwillig gemorbet, viele Taufende wurben in bie
Knechtſchaft weggeſchafft. Wenige Menfhen find fo ſchlecht
daß fie nicht eine gute Hanblung then koͤnnen, und fo glaube
ich, daß Aeſchines ih wohl mit Recht das Verdienſt zufchreist,
daß Die Phoker nicht ganz ausgerotiei wurden. Nun wurde
der Rath der Amphiktyonen berufen; bie Laledaemonier wurben
als noch geächtet ausgeſchloſſen. Die Thebaner und Theſſaler
hatten dort das Uebergewicht und es wurde entſchieden, daß
Die Phoker als unwurdig bed Stimmrechts in ber Amphiktyonie
entkleidet und des Vorſitzes bei den pythiſchen Spielen, fs wie
aller Ehrenrechte unfähig erklaͤrt wurden. Die phofifche Stimme
fammt dem Antheil an den elympifchen Spielen und anderen
Ehrenrechten wurde auf Philipp übertragen. Dann wurde ber
Beſchluß gefaßt, daß die Städte geſchleift und die Phofer in
Dörfer zerfireut werben follten. Aber died Urtbeil fcheint nicht
ganz ausgeführt zu fein, denn wir finden fehr bafd nachher
Elatea als befebende Stadt. Dann follten die Pholer feine Pferde
und Feine Waffen haben; ihr Boden ſollte ihnen zwar gelaffen
werben, aber fie follten von ihm an ben delphiſchen Gott 60 Ta⸗
Iente oder 90,000 Rihlr. geben, um ben Tempelichag gu ent
Mfillpy ſeht ſich Im plus feſt. sat
ſchädigen. Diefe ganze Verurtheilung hat 68 Jahre gebauert
bis zur 125. Olympiade, bis nad dem Einbruche der Galler;
da wurben bie Phofer wieder in bie Rechte eines Volkes ein-
defept. |
Das Schidfal der Phofer erregte nicht allein in Athen
Entfegen, auch manchen anderen Griechen gingen bie Augen auf.
Beſonders hatte es die gute Folge, daß bie Thebaner gegen
Philipp fehr erbittert wurden; fie hatten gehofft Durch die Er-
pberung von Pholis Gebiet und Leute zu erbalten, allein Phi«
pp behielt Alles für ſich und Tagte zu ihnen, fie follten zufrie⸗
den ſein, daß er ihnen Koronea und Orchomenus u. f. w. zu»
rüctgegeben habe, So wurben bie Thebaner mit ber Weine der
Dankbarkeit feine bittern Feinde, Dies war eine Veränderung
welche Demoſthenes erfannte und zu benugen wußte.
Philipp wandte fih darauf nah Norden gegen Thrakien.
Schon vorher hatte er ſich nad) einer anderen Seite, nad Epi-
rus Yin, ausgebreitet. Raſtloſe Thätigfeit verfehaffte ihm Glück.
Richt alle feine Züge können wir nach Jahren eintheilen; wir
wien nur, daß er DI. 109, fchon im Befite von Ambrakia
war. Er war mit einer epirstifchen Fürftentochter vermäßlt,
ans einer jüngeren Linie, die nicht regierte. Für feinen Schwager
Alexander hatte er, als noch ber alte Fuͤrſt Arybas über bie
Moloſſer regierte, ein neues Meines Fürſtenthum in Epirus, In
Kaffopien, gegründet und als Arybas geftorben war, gab er ihm
das moloſſiſche Königreih und fegte ihn auf den Thron von Ol. 100,.
Epirus. Allein mit derfelben Politif wie Napoleon es mit
feinen Brüdern machte, damit fie fich nicht unabhängig fühlen
follten, nahm er Befig von Ambrafia und Tegte eine flarfe ma⸗
Sebenifche Beſatzung dorthin; wollte Aleranber ſich regen, fo
hatte er ihn durchaus in feiner Gewalt‘).
1) Ein Berfnh zur Unterwerfung des fehr feften Ambraflu, wo Böälliyp
fih eine Partei durch Beſtechung verfchafft hatte, war durch Demofike
neo’ Thätigfeit gefcheitert. Nach Philipp's Tore aber finden wir dort
eine mafebonifche Beſazung. 2825. (Vgl. Röm. Geſch. I. S. 188).
SR Philipp ſeht RG in Thralies feR, wendet ſich gegen ben Bosporus.
»In Thrakien hatte er den entſchiedenſten Erfolg gegen bie
Odryſer. Bor dem peloponnefifchen Kriege waren alle thrafi-
ſchen Bölterfhaften unabhängig; ſpaͤter war ber König ber
Odryſer König von Thralien geworden, und bie Thralier
herrſchten von ber Donau bis an das aegeifihe Meer, und von
Byzanz bis Mafebonien. Allein das war ein durchaus barba⸗
rifches Reich von loſem Zufammenhange und fchon unter Kotys,
dem Sohne bed erſten Königs, aufgelöf’., Nach feinem Tode
war das odryfifche Reich zwifchen mehreren Prätenbenten firei-
tig; 'man rief Philipp zu Hülfe, und als man fich verföhnie,
hatte er fih fhon vom Hebrus und Rhobope bis zur See
kaſte feflgefebt und’ das Reich zum Theil ganz umter feine
Herrſchaft, zum Theil bie thrafifchen Fürften gauz in Abhän
gigfelt gebracht, wie es jest bie einheimifhen Kürften in
Oſtin dien find,
Jetzt nun ging Philipp's Sorge dahin, ſich in Beſitz des
Zuganges zum ſchwarzen Meere zu ſetzen, und hier waren ihm
die Kleruchieen der Athener auf dem Cherſonnes ein Dorn im
Auge. Ungeachtet des Friedens wurde Athen bald mitielbar,
bald unmittelbar in dieſen Beſitzungen durch Aufhetzungen
geſtört und geplagt. Zn dieſer Gegend war nun nicht bloß
Dyzanz, fonbern auch Perinth anfehnlich, das nachher Herallea
genannt wird, mit Byzanz verbünbet und im Recht ber Sym-
politie war. _ Um nun Thrafien ganz zu beberrfchen, und
den Athenern, die mit den Perfern befreundet bie Schifffahrt
nad dem ſchwarzen Meer hatten und dadurch fich bereicherten,
biefe zu entreißen, wandte er ſich mit feiner ganzen Macht gegen
Byzanz und Perinth '),
D1.108,4. Die Belagerung Perinth’s iſt merkwurdig in ber alter
Kriegsgeichichte wegen bes mannhaften Widerflandes ber Ein:
wohner und ber ungeheuren Anflrengungen Philipp’s: 'es if bie
Belagerung, bet der die Mechanik fih aus den Windeln hob.
ı) In dem obenfichenden Abſatze find die Saͤtze umgeRellt. 2.$.
Belagerung Perluth's. 349
Perinth (jegt Ereitl) Tag auf einem Vorgebirge, das nur einen
fhmalen Zugang vom Lande aus hat, und ging am Derge
hinauf in bie Höhe. Mit einem Aufwande von Mafchinerie
wie nichts Achnfiches noch gefehen war, griff Philipp die ſtar⸗
fen Befeſtigungsmauern gegen das fehle Land an. Die Athener
ſchickten eine Flotte zur Hülfe; Demoſthenes bewog fie dazu
obwohl diefe Städte feit funfzehn Jahren mit Athen in Feind»
fchaft geweien waren; nur mit Mühe drang er gegen bie Ver⸗
räther durch’. Auch die perſiſchen Satrapen von dem gegenüber»
liegenden Afien fandten Lebensmittel und Kriegsbebärfnifle, End⸗
lich hatte Demofthenes den Aihenern fo viel Zutrauen erworben,
daß die Rhodier, Mitylenaeer und Chier die bie jetzt Ihöricht
gegen Athen geweien waren, jet auch Hülfe ſandten. So wurde
Perinth immer von der See ber unterfiüßt und verforgt: Phi⸗
fiyp war nicht im Stande zur See etwas zu unternehmen, Er
ariff bloß zu Lande anz bie erfie Mauer warb zwar eingenom-
men; aber ba die Stabt mit hoben und maffiven Häufern ſich
am Berge hinzog, vermauerten bie Perinthier die Straßen und
befeſtigten die Häufer, und eine neue Mauer fand dba, Se
rüdte er ein paar Mal weiter vor; aber bie Macht gegen ihn
war fo ſtark, daß er nad großen Anflvengungen die Belagerung
aufgeben mußte. Ehen fo verunglüdte ein Verſuch gegen Byzanz O1.110,1.
und Philipp mußte feine Truppen zurüdziehen.
Das Mißlingen biefer Unternehmung brachte unter ben
Griechen die Stimmung hervor, wie Napoleon's unglüdtiche
Kataſtrophe in Spanien; man glaubte, es fei der Wenbepunrt
für Philipp's Glück. Philipp fühlte wohl, daß feine Conſide⸗
ration ſank, und damit boch wieder von ihm gefprochen würde,
wandte er fi) zu neuen Unternehmungen gegen den König ber D1.110,2.
Skythen in Befiarabien, nörblih von ber Donau, um eine
glänzende That auszuführen. Er fiegte über ihn und brachte
bedeutende Beute an Bich und Gefangenen zurüd, verlor fie
BO Steigeunder Einfluß des Demoſthenes. Unftrengungen Athen's.
aber wieder auf dem Rückzuge ba er in ben Engpäſſen dei
Haemus von ben Triballern angegriffen wurde.
Diefed Jahr verging alfo fehr unglädiih für Philipp.
Der Einfluß des Demofthened gewann immer mehr und mehr;
die jüngeren empfänglichen Leute ſchloſſen fh am ihn an und
fo wuchs fein Anhang immer mehr’. Allmählich erſtreckte few
Einfluß ſich über Alles: er reformirte nach allen Seiten Yin, in
allen öffentlihen Angelegenheiten, namentlih auch das gan
atbenifche Steuerweien, nicht indem er füch ſelbſt geſchont hätte;
benn er war fehr wohlbabend und feine Maßregein waren bat-
auf berechnei die Laf für das Ganze erträglich zu machen, in⸗
dem er von ben Bermögenben Alles forderte‘). "In ben Volls⸗
verfammlungen konnte er jegt einen großen Theil, bie ihn als
junge Leute gehört hatien und die von ihm gebildet waren leicht
keiten; bei den älteren Leuten konnte er zwar weniger ausrich⸗
ten, aber fein Einfluß wuchs im Duabrat ber Zeit im ber er
wirkte‘,
So hatte er die Athener bewogen die größten Anſtrengun⸗
gen zu machen, große Dpfer nach dem Maße ihrer Armuth dw
mals. Es war in diefem Jeitwuncte um DI. 109 u. ff. daß
die Laſten ber Trierarchie für ben Reihen fo außerordeniliqh
erſchwert wurben, 'und baß bie Armen auf ihren Antheil am
Staatsvermögen verzichteten’. Bon den Revenuen and uniet-
thänigen Gegenden und ben Bergwerken wurde eine bebeniendt
Summe angewendet zur Bertheilung an bie Bürger bei ben Selen:
nicht wie man gefagt hat, daß man ihnen Geld gegeben, um
ihnen den Eintritt in's Schaufpiel zu verfihaffen — da war
es leichter das Schaufpiel frei zu geben, — ſondern ed waren
Feftgelder, damit auch der Aermſte fi einmal bei ſolchen Feſten
etwas zu Gute thun, dad Feſt feiern fünnte. Dies arme Boll
aber hatte eine Stimme im Staate. Died Iampgenoy nun hal
oftmals ſchon die Staatscaſſe erfchöpft, und ‚es war fchon after?
1) Der vorfehende Sap iſt von S. 357 3.19 hierbergefept. A. d. ©
Stimmungen und Iuftände im übrigen Griechenlaud. 35+
zur Sprache gekommen wegen Mangels in ber Staatscafle ea
aufzuheben. Auf den Berfchlag von fihmeichleriihen Dema⸗
gogen warb aber der Beſchluß gefaßt, daß durchaus Niemand
ber es wicht mit dem Tode bäßen, fi nicht ber yoapr) raga-
vouwr ausſetzen wollte, ben Antrag machen dürfe biefen Gel⸗
been eine andere Beflimmung zu geben. Demoftbenes aber,
ber fih über Alles hinausſetzte, begeifterte felbft den Pöbel für
das Vaterland, und nicht einmal im Augenblicke ber dringenden
Gefahr, fondern in Zeiten der noch ferne drohenden Noth op⸗
ferte Died arme Bolf freiwillig dieſe Zeftgelber auf und beſchloß
bies Geld, das Iemgıxov, zu den Rüftungen zu beſtimmen.
Uebrigend hat Athen ohne Zweifel eben in dieſer Zeit durch
Handel und allerdings nur durch den Handel fi erhoben, wie
wir aus ber Verwaltung bes Rhetors Lykurg erfehen. Unter
berfelben hat man fo viele Galeeren neu gebaut, Arfenale her⸗
gefellt, Schiffsmaterial, Waffen, Rüftungen angefchafft, daß
man daraus auf Reichthum Athen's ſchließen kann.
Sp wuchs Demofthenes’ Einfluß mit jedem Tage, und bie
Erbitterung zwiſchen Athen und Philipp flieg auch mehr und
mehr.
Auch an manchen anderen Orten in Griechenland fing jegt
bie Reue an und bie Gefinnung, daß man das Geſchehene gern
ungeſchehen gemacht hätte; nur wollte man das Seinige nicht
verlieren, und Niemand wollte ſich erklären. "Demoftbenes war
überall umhergereiſt, wo er nur Empfänglichfeit glaubte, und
hatte aufgeregt und befhworen: aber es Fam ſchwer an, was
er predigte, man ſolle wicht mit Miethſoldaten, ſondern ſelbſt
kämpfen für Weib und Kind’, Im Peloponnes war Philipp’s
verberblicher Einfluß vorberrfchend, namentlich bei den Meffeniern,
Arkadern und Arginern, denen Philipp als ber natürliche Verbüns
bete gegen bie Spartaner erfchien, obwohl doch dieſe fo gefhwächt
waren, daß fie feinen Anspruch machen konnten und von ihnen nichts
mehr zu fürdten war, Wollten fie, matt und zerſchlagen, noch
952 Stimmungen und Suflände im übrigen GSriechenland.
fortleben, fo mußten fie einen andern Weg einfchlagen und ihr
Bürgerreht den Umlanden geben. Das hat man nachher bei
Kleomenes gefehen und bei denen bie ihm folgten als Ufarpe-
toren, Machanidas) und Nabis, die Durch den Umſturz der alten
Formen und indem fie ben Perioeken und vielen Heloten das
Bürgerrecht gaben, Sparta wieder zu einer foldhen Macht ge-
bracht haben, daß es den ganzen Peloponnes beherrſchen konnte.
Aber fie blieben im Unglüd noch immer eben fo borsirt wie
früher. Archidamus ber feßige Herrfäjer war gerade das Wider:
fpiel des Kleomenes: er verfchmähte es, der König des bebräng-
ten Stants zu fein, dachte aber nicht daran feine Schwaͤche ju
heilen. Niemand dachte Emas zu ändern, man wollte bas Hei⸗
lige nicht berühren. Elis war einer der erflen Orie geweſen,
bie ſich Philipp in die Arme geworfen hatten, und war mit
ihm eng verbünbet. Hier ſcheint ſich nach der Beendigung bei
heiligen Kriegs eine Ariftofratie ber Reichen feſtgeſetzt zu haben
und biefe bot dem Philipp bie Hand. Bei dieſer Gelegenheit
wurde eine große Menge der Bürger vertrieben; bie Verbann⸗
ten nahmen ben Reft der aus dem Heiligen Kriege noch übri⸗
gen Miethötruppen in Sold und kehrten mit gewaffneter Hand
in ihr Vaterland zurüd, Die Eleer aber verbündeten fi mil
ben Arfadern, ſchlugen die Mieihstruppen und Verbannten und
ermordeten ihre Gefatigenen‘.”) Alſo im Peloponnes waral
nur Wenige geneigt die Stimme ber Wahrheit zu hören, wohl
aber bie Thebaner, die Demofhenes zur Beſinnung brachte.
Byzanz und Perintb nahmen jest das Bundniß mit Athen mit
ber größten Wärme auf: benn es hätte wohl eine unglaublide
Verſtocktheit dazu gehört fich benen nicht anzufchließen, welde
1) Ex conj. flatt Nektanebus, wie es ein Heft Hat. A. d. 6.
N) Diodor redet zwar nur von Ermordung der Miethotruppen; doch bei
Demofipenes, Olynth. I. und IV, und zegi napanpeoßelas p. b2k
und 425 find mehrere Spuren, daß auch die Verbaunten ermorbei
wurden. 1825. '
Philipp erfcheint von Neuem In Griechenland. 353
ohne Rüdficht auf vorige Feindſchaft in der Noth Hülfe Teifteten,
Aber im eigentlichen Griechenland ſtand Athen noch allein gegen
Philipp.
Indem nun die Srritation immer höher flieg, ſuchte Phi⸗ 60. V.
lipp ben Athenern burch unerwartete Schritte zu imponiren. Er
rückte plögfich mit einem Heinen Corps durch die Thermopylen O1.110,2.
in Phokis ein und nahm Elatea in Beſitz. Die Zugänge
Griechenland's waren in feiner Gewalt geblieben, aber das Land
ſelbſt hatte er geräumt. Wie diefe Nachricht. in Athen erſcholl,
erregte fie eine fo ungeheure Senfation, als ob man erwartete,
daß die Mafebonier in eben folchen Eilmaͤrſchen wie ſie dorthin
gefommen waren, auch vor ben Mauern ber Stadt erſcheinen
würden. Dies hätte die Scenen zur Folge, die Demofthenes fo
umübertrefflich in ber Rebe pro Corona erzählt, Wie die Nach⸗
richt Abends ankam, warb bie Bolfsverfammlung fogleich be=
rufen; aber Niemand wollte in ihr reden, alle bie bisherigen
Demagogen verftummten bie fonft das Wort am Gefprächigften
hatten, dieſe verbargen ſich fest. Demofthenes allein trat auf
und beſchwor fle, den Muth nicht zu verlieren und das Shrige
zu thun um dem Unglüd vorzubeugen, die Waffen zu ergreifen
und alle Poſten zu befepen. Dies geſchah. Als Philipp erfuhr,
daß bie Athener den Muth nicht fo verloren, fondern ſich ruͤſte⸗
ten und Geſandte an alle griechiſchen Orte, wo irgend Hoffnung
wer, hinſchickten, und daß beſonders Demofthenes nach Theben
gegangen war, ba machte er halt und befann fih. Er hatte
überrafchen wollen; mit ben wenigen Truppen tonnte er jebt
aber nichts bewirken, ſeine Hauptmacht folgte nach.
Hier iſt die berühmte große Geſandtſchaft bes Demoſthenes
geweſen. Oft war Demoſthenes Geſandier geweſen: ’er war
bei allen Bölfern Griechenland's umhergereiſt, wo er nur Em-
pfängfichfeit glaubte, um aufzuregen und zu beſchwoören: aber
dies war fein größter Sieg. Er ging als Gefandter für feinen
Staat, nicht wie in neuern Staaten, wo man im Cabinet der
Niebuhr. Bortr. üb. d. A. G. II. 23 e
N Genfscheuation der Griechen gegen Bike
Minißer verhandeli, fonbern er fprach ala NRepräfentant feiner
Nation. vor dem Belle das er bewegen follte, ſuchte bie Gs-
müther zu gewinnen und zu bewegen. Sein Auftrag war bie
hoͤchſte Aufgabe. Er follte ein Bolt, weiches ben Athenern ge
päffig war, treulos, unser allen Umfänden ſich inſolent grzeigh,
das alles Ungläck Griechenlaud's herbeigeführt hatte, "das fo
befubelt war, daß er bie maͤchtigſten Mittel ber Anregung nit
auf fie anwenden burfte, um es nicht zu beleidigen’; ein BoH
mit dem bie Aihener feit vollen 35 Jahren kaum einmal in leid⸗
ich. freundfchaftlichen Verhaͤltniſſen geſtanden hatten, oft in eni-
ſchiedener Feindfeligfeit, dies Boll follte er bewegen ſich mit
Athen herzlich zu verbinden, und zwar, ba fie vor Athen Tagen,
fo war der Zwei der Verbindung, fie zur Vormauer zu
haben, weit bie Gefahr fie unmittelbarer als Athen traf. Philipp
fandte einen Byzantier Python, einen berebten Mann hin nad
Theben, aber gegen Demofthenes konnte er nicht anfommen; der
große Redner vereitelte alle feine Anftrengungen. Da nachher
fo viele thebanifche Berbannte fich zeigen, fo ift wahrfcheinfid
bag Manche der von Philipp erkauften Anhänger ſchon ausge⸗
ſtoßen und die Thebaner bereit waren den Rath bes Demoſthe⸗
nes aufzunehmen, allein ber Erfolg ben er Bier hatte if darum
nicht minder bewunberungswärbig unb zeigt ihn in feiner gan⸗
zen Größe. Sein Einflug war fo groß, daß bie Boeotarchen
ihn als Beifiger in ihre Verſammlung aufnahmen, unb Theo⸗
pomp') und andere Feinde erzählen, ald ob dies ein Tadel fei,
daß feine Stimme mehr in Boeotien galt als bie ber eigenen
Boeotarchen. Auf der anderen Seite ’erröthen — wenn Aeſchi⸗
nes erröthen konnte? — elende Menſchen für die Athen's Ehre
nichts war, nicht es ihm als großes Staatsverbrechen vorzuwerfen
daß er. bei Abſchluß des Bündniffes den Borrang yon Athen
nit bewahrt, wie fih gebührt Hätte, baß er ben Thebanern
und allen andern Griechen die ſich angefchloffen völlige Gleich⸗
2 ap. Piutarch. Demosth. n. 854. 0. 18.
Chronologie. Näfungen. 355
heit mit ihnen bewilligt Babe, und doch war es das einzige
Mittel. So gelang es ihm endlich eine große griechiſche Con⸗
foeberation zu Stande zu bringen, leider aber war es zu ſpaͤt
bie höochſten Kräfte aufzubieten.
Den ganzen Umfang ber Foeberation kemnen wir nicht, aber
gewiß waren außer den Athenern und Thebanern Megara,
Korinth und die Achaeer, auch wohl bie Euboeer und andere
Heine Staaten im Bunde‘). "Andere Bölfer hielt eine raͤn⸗
kevolle md halsfiarrige Oppoſition der Beftechung gegen bie
Wahrheit zurück, wie bie Arkader, Meffenier und Argiver: bie
Spartamer blieben aus alberner Starrheit und Einfältigfeit zu⸗
rüd wegen ihrer Streitigfeiten mit den meffenifchen und anderen
Städten und Melten auch Anbere ab’,
Auch die Zeit die zwifchen der Beſetzung von Elatea und
bem Ausbruch der Keindfeltgfeiten vergangen ift, koͤnnen wir
nicht genau beflimmen. Die Schlacht bei Chaeronea wirb auf
ben 2, Auguſt gefegt — bie Schladht von annae auf den 3,
2) Diodor nennt neben den Athenern Thebaner, als hätten die Boeoter
nit daran Theil genommen. Sicher aber waren außer biefen auch
die Korinthier dabei die bei Strabo (IX, 414. A) genannt werben.
Demoſthenes de Coron. p. 306 Reisk., wo er erzählt, welche Voͤl⸗
fer er gegen Philipp mit den Athenern zum Bunde vereinigt habe,
nennt aufer den Thebanern und Korinthiern bie Megarier, Leufabier,
Corcyraeer, Achaeer und Eußoeerr. Daß Megara fih bald mit ben
Athenern aasgeföhnt Hat und mit ihnen im Bunde fland, erhellt aus
Plutarch's Leben das Phokion. _ Von ven Leufabiern und Eorcyraeern,
der korinthiſchen Colonie Ambrafia ift ed darum anzunehmen, weil fie
wie ats Demoſthenes' philippifchen Reden III und IV erhellt, im Schuß:
verhältniß zu Korinth waren; alfo mußten auch diefe mitftreiten. Cor⸗
cyra früßer maͤchtig, war damals politifch ein ganz ohumädhtiger Staat
nnd die Achaeer waren auch noch fpäter nach der Schladht bei Chaes
ronea ganz antiphilippiſch. Von den Euboeern weiß man nichts. —
Plutarch in dem Leben der zehn Redner führt ein Piephisma an, das
Demochares zu Gunften des Demoſthenes hat befchliegen laſſen. Darin
wird gefagt, er habe alle jene Völker für Athen gewonnen, und Hinzus
‚gefügb werben noch die Lofrer, Meffenier und Byzautier, von been
man ſonſt nichts weiß. Die Lebigenannten Fonnten ans ber Ferne
23°
356: Chronologie.
Auguſt; — 'die Beſetzung von Elatea iſt zu Enke des Juni
geſetzt worden'. Aber dieſe Zurückführungen von griech iſchen
Monatstagen auf unfere find alle fehr mißlich, verlaffen Sie ſich
nit darauf, Mit großem Aufwande von genauer. mathemati⸗
ſcher Gelehrſamkeit ſind ſie freilich gemacht: ſo moͤgen die Be⸗
rechnungen von Dodwell genau gerechnet ſein, ſie gehen aber von
Suppoſitionen über Cykeln aus, bie feine Sicherheit haben“).
»So ift bie Zeit der Befegung Elaten’s von franzoͤſiſchen Ge-
lehrten berechnet, denen es an hiſtoriſcher Kritik gar nicht fehlt,
die aber bei der Reduction des attifchen Kalenders auf ben
unferigen den Fehler begingen, daß fie meinten, bie Tage des
metonifchen Cyklus ſtimmten genau mit ben Tagen bes atheni⸗
ſchen Staatskalenders: ber Unterſchied iſt gering, läßt aber nicht
zur Sicherheit kommen. Der Zwiſchenraum zwiſchen ber Oeccu⸗
pation von Elatea und der Schlacht von Chaeronea muß ſehr
viel größer fein als er hiernach angenommen wird'.
So iſt der Zuſammenhang der Schlacht uns wenig bekannt
und auch das Einzelne der Schlacht ſelbſt nicht; nur bei Dio—
wohl Feine Hülfe ſchicken, von den erfteren muß fi dies wohl auf
andere Zeiten beziehen und if vielleicht nach dem Tobe Alerander’s ju
verftehen. Aelian, Varr. histt. VI, 1. nennt biefelden Bölfer, welche in
der demoſtheniſchen Rebe genannt find als folche, welche fich nach ber
Schlacht ergeben hätten, nur nicht bie Leukadier; überbies aber erwähnt
er neben ihnen noch die Gleer und of dv 1) axıy zzavres, nämlidy bie
Epidanrier, Troegenier und Halier, wo Perizonius irrt, und Weſſeling
zu Diodor. Sic. XII, 11 (7) zu vergleichen iR. Daß die Cleer bei Chae⸗
ronea mitgefochten hätten, wäre nicht unmöglich, da es wohl benfbar
wäre, daß die Partei des Volkes dort furz vorher wieder bie Oberhand
befommen hätte; aber wäre dem fo, fo würben fih Spuren bavon im
Demofthenes finden und die Schriftfteller würden bavon gejprochen
haben, und daher ſcheint Aelian fih mit feiner obigen Angabe geirt
zu haben. — Diodor fagt übrigens (XVI, 86.): die Athener Hatten
die Völker zur ZIvos geftellt, fich felbft aber die Führung vorbehalten,
und es waren alfo auch nach ihm wohl mehrere Bölfer als die Athener
und Thebaner allein. 1825.
3) Die beiden vorfiehenden Saͤhe ſind von S. 369 init. hierhergeſett.
A. d. 9.
DS
Mäftungen. Voͤlkeraufgebot in Griechenland. "357
dor if eine Erzäßfung und zwar eine ſehr ſchlechte; weniger
haben wir bei Plutarch und Juſtin. Es iſt als ob die Mufe
Griehenland’s mit dem Todestage ber griechifchen Freiheit ver⸗
flummt wäre und ihren Schleier über den Todesſtoß gezogen
hätte. | u
Während fih nun Philipp gewaltig rüftete und feine beften
Truppen aus dem ungeheuren Reiche zufammenzog’, bildete man
ein Heer von den griechiſchen Verbündeten. 'Die Athener zogen
nicht bloß mit Söfbnern in’s Feld, fondern meift mit ihren eige-
nen Dilizen, und auch die anderen Verbündeten boten bie Bür-
ger auf. Es war bie jüngere Generation ber Athener, bie bie
Waffen ergriff, vor der Demofthenes feit zwölf Jahren immer
über große öffentliche Angelegenheiten geredet hatte: einzelne
Reden über‘ öffentliche Angelegenheiten hatte er ſchon feit DL.
106 gehalten. Seine Privatreden find fehr viel älter, er hat
fie zum Theil fehr jung gefchrieben; aber feine eigentlichen
Staatsreben, Adyoı dnudcro, fangen DI. 106 an; von DI. 108
und Ende Ol. 107 an werden fie zufammenhängender und zei-
gen das ausgebildete Syftem des Widerftandes gegen Philipp.
‚Aber zu fpät hatten bie Athener auf Demofthenes’ Rath ge=
hört, daß fie ſelbſt in's Feld ziehen follten: fie waren von ber
beften Gefinnung erfüllt, aber Uebung fehlte ihnen’. Und das
Unglüd bei dieſem allgemeinen Aufgebot war, daß bie Athener
Schlechte Feldherren hatten, Lyſikles und’ denfelben elenden Cha—
res, ben man bei fo vielen Gelegenheifen verfucht und immer
unglüdlich befunden hatte, 'und den Demofthenes nicht verbrän-
gen Fonnte, Wie es mit ben öfterreichifchen Feldherren im
Nevvlutiondkriege ging, wo wenn ein Feldherr gefchlagen war,
ein zweiter, britter Fam und bann ber erfle wieder, fo ging es
auch in Athen, Von Ehares fagte auch Demades zu Philipp:
wie würde fih tie Begeifterung ber Athener gezeigt haben,
wenn Du ber Feldherr derfelben und Chares der der Diafedo-
nier geweſen wäre‘, Lyſikles war ein lebhafter Feldherr, aber
\
358 Schlacht bei Chaeronea. Auckboten
ohne Erfahrung. Zudem hatte keiner ben Oberbefehl. Das
maledoniſche Heer aber hatte erfahrene Feldherren; sd war fieg-
gewohnt, im Kriege ergraut, und hatte alle moͤglichen Bor-
theile der Bewaffnung unb ber Taftif vor dem gemifchten und
ungeübten griechifchen Heere. Auch ift e8 nicht zu bezweifeln,
bag in diefer Schlacht die Makedonier ben verbündeten Griechen
an Zahl bedeutend überlegen waren; es follen 30,000 gegen
20,000 gewefen fein. Ihr befonderer Bortheil war, bag ihre
Cavallerie ber griechifchen pier- und fünffac) überlegen und von
beffexer Befchaffenheit war.
D1L.110,3. Die mafebonifche Capallerie von Merander geführt entichieb
bie Schlacht. Sowohl Athener als Thebauer haben wie rechte
ſchaffene Leute gefochten '), 'und das Treffen, deſſen Entſcheidung
man nach den Streitkräften in höchſtens zwei Stunden hätte er⸗
warten ſollen, dauerte faſt den ganzen Tag unentfhieben’; aber
fie wurden von der Ueberzahl und der Capallerie überwältigt.
Der eine Klügel, ber athenifche, hatte im Anfange fogar mit
Bortpeil gefochten, war vorgebrungen, bie makedoniſche Infan⸗
terie war befiegt, und Philipp hätte beinahe ſchon die Faſſung
verloren, als ihm ber Sieg ber Reiterei den Tag herftellte;
der andere griechifche Klügel ward gänzlich gefchlagen und nun
warb aud der fiegreihe Flügel, ber durch bie Unbeſonnenheit
bes Lyſikles zu weit vorgebrungen war, in bie Flanke gefaßt
und mit großem Menfhenverluß gefchlagen’. Die Athener ver-
foren taufend Todte und zweitaufend Gefangene; aber bies war
nicht der ganze Berluft, denn bie Boeoter und bie übrigen Grie⸗
hen haben gewiß noch mehr verloren,
An diefem Tage focht Demoſthenes wie jeber Andere in
ben Reihen ber atbenifchen Miliz. In den elenden Anefpoten
) In dem Aoyos Enurayıos, der dem Demofienes fälfchlich zugefchrieben
wird, p. 1395, wirb den Anführern der Thebaner die Schuld gegeben
daß die Schlacht verloren gegangen. Diefe Angabe wird eben durch
fein anderes Zeugniß unterſtütt und If} verdächtig. 1825.
We Demoſthenes. Winter.
über dad Sehen großer Maͤnner Mingt es Immer wider, daß
Demoſthenes feinen Schild verloren und mit ben Uebrigen gefio-
ben ſei. Daß er mit den Uebrigen geflohen, will id germe
glauben; heidenmäthige Belbheren And bei allgemeinen Derouten
mu forigerifin. Wer den Krieg in der Wähe ſieht kennt base
ſelbſt ein Achill lann nicht widerſtehen, wenn eine Maſſe in ber
er ſich befindet ſich aufläh and Nicht, und wird mit ihr fortges
riſſen. Bei der griechiichen Geſchichte erwägt man gar nicht,
bag ber Stoff gu ben Biographieen des RMutarch meift ganz elend
iſt. In der alerenbommifgen Zeit war unendlich viel Erbaͤtm⸗
licheosð gefhrieben, beſonders Aueldoten und Biographieen, und
son dieſen ging er aus, obgleich er unendlich viel beſſer ſchricb.
Seine Aneldoten find aus Anekdotenſammlungen entnommen, bie
gar keinen Auſpruch auf Blaubwärbigkeit haben uud theils and
Hsrenſagen entſtanden find, theils aus Schriftfiellern von ber
srößten xaxorjdesa; dazu kommt, daß Plutarch ſelbſt nam an⸗
kiih iſt. Ehemals wurde er als eine von ben gebßten Zier⸗
ben der alten Litteratur betrachtet. Seinem perfünlichen Cha⸗
ralter, feiner Gefinnung nad ift er allerdings einer ber Kiebens-
weerdigſten Schriftſteller. Dieſe perfüntiche Liebenswüurdigleit
bat er mit Montaigne gemein und er gleicht dieſem im höch⸗
fien Grade: für mich iR er noch liebenswuürdiger, von eblerer
Geſinnung als Montaigne!). Beide find aber unkritiſch, und
wärben über Kritif geläcyelt haben, weil fie eigentlich bie Ueber⸗
jeugung hatten, man könne doch der Geſchichte nicht auf ben
Grund kommen, und es fei daher bie Aufgabe des Hiftorifers
bie Geſchichte anfprehend zu machen; das Anfprechende war
HMutarch’s eigentlicher Zwed. Daher wird ber Hiftoriler, ber
Es gibt feine größere Achnlichfeit als zroifchen ihm und Montaigne:
möglih, daß Platarch, wenn er in einer anderen Zelt gelebt Hätte,
eben fo ein Skeptiker gewelen wäre wie Montaigne, und der Mode
gefolgt: weil ex aber im ber Zeit des Aberglaubens lebte, war er ſelbſt
darin befangen und gibt ſich alle mögliche Mühe aberglaͤnbiſch zu fein,
was Ihm mehr ober weniger gelingt.
200 Plutarch. Unekvoien Aber Deuufiheues.
Un mit dem Safe einer gereiften Zeit lieſt, fi hundert Del
über ihn ärgern, nämlich wenn man ihn nimmt wie er gewöhn⸗
Uch ‚genommen wirb, als hiſtoriſchen Zeugen. Bas iſt er durch
und burch nicht: umbegreiflih was für alberne Geſchichten er
wit ber größten Ruhe erzählt! Ich Iefe ihn doch noch immer
gerne, und jeder Philolog muß ihn Iefen, wicht nur feine Bio⸗
graphieen, fondern auch feine moraliſchen Schriften: er if eine
zen son Notizen. So angenehm wie Montaigue,
und auch Fein fo firenger Philoſoph iſt er wie ein gutmüthiger
alter Dann, ber außerordentlich viel gelefen hat und nu nicht
genug erzählen kann. — Der Erſte der mid vor zwanzig Jah⸗
ren darauf aufmerkſam machte, daß Plutarch ſo aufgefaßt wer⸗
den muͤſſe, was mich damals ſehr frappirte, war Wilhelm von
Humboldt: „Es ſoll mir Alles recht fein, wenn man Plutarch
nur nicht ale Geſchichtſchreiber betrachtet.“ Ich war damals
noch ein junger Mann, aber es ik mir fein Wort oft eingefal-
len. — Auch hat Plutarch entfenlih eilfertig gefihrieben, und
vermeidet durchaus nicht Widerſpruche. Daber fommen fo ſelt⸗
fame Dinge! So fommt ed, daß er im Leben des Demoſthenes
kein Bedenken getragen bat die albernften Geſchichten zufam-
menzutragen, bei benen man nur fragen Tann, wie er wenn er
das Alles felbft glaubte noch mit Bewunderung von dem Manne
reben konnte! Außer den dummen Gefchichten von Darpalus,
zu beren Verbreitung er am Meiiten beigetragen, bat ee auch
biefe Gefchichte von der Flucht. des Demoſthenes. Er wußte
nicht, ob es möglich war zu ſtehen oder nicht; er wußte nicht,
was Krieg war; bloß in ben Büchern hatte er gelefen, daß
man für das Vaterland fterben müfle, aber er hatte nie erfah⸗
ven, daß man bei der Flucht einer Menge entweber mitfliehen
muß, ober unter die Füße. getreten wird. Ein Epigramm als
Grabſchrift des Demofthenes gibt es, aus dem man thöricht
allgemein gefolgert hat, bag fein Mangel an Muth Urfache
BHillpp's'infikeien gegen Aheben ned Athen. 8ot
der SAuveret Oriechenland's gewefenz das: het: Plutarch —
lich fo verſtehen fünnen! *)
Elinsso Tony bau yraun, Anoosevss, 4
Oönor br "Eiinvwv Nhobev Agns Maxedwr.
„Warſt Du eben fo ſtark als weile gewefen, dann hätte Phillpp
nicht geherrſcht.“ Aber was if da daum anders ale Macht?
es beißt nicht fo ſtark, 3.3. ald neun mal nenn. Männer,
fondern es. heißt maͤchtig: hätten Dir fo vier u Bes
bote geſtanden!
Beim Siegesmahle uͤberließ Philipp ſich dem Ernie be
er überhaupt fehr ergeben war; ber Sieg aber. machte ihn gang
übermäthig, und er fpottete ber Athener; ’auf dem Schlachtfelde
herumtanzend fang er Verſt auf den Demoftbene#‘’). Es if
bekannt, daß Demades der ſich unter den athenifchen Gefange—
nen befand ihm das Unwurdige feines Betragens vorwarf‘
Das Schidfal hat Dir die Rolle des Agamemnon gegeben
und Du fpielft die bes Therſites“ fagte er ihm und brachte
ibn dadurch zur Befinnung‘, Daraus geht ber feltfame, eigen⸗
thämliche Charakter bes Demades hervor, ber bei greuzentofer
Ruchloſigkeit, während er fi Immer beflechen Heß und fih an
Antipater verfaufte, Doch dabei nicht ſervil war, Er war ein
Kleon, aber in einem gefallenen Staate, und fein erfles Bedinfs
niß wat Inſolenz: daraus erHärt fi feine naddnole gegen
Philipp. Philipp befann fih, und fein Benehmen gegen Athen
nad dem Siege war unter dem Scheine des Edelmuths ange:
mein Hug. Er wollte bie Athener und Thebaner trennen, um®
gegen Theben rüdte er unmittelbar vor; bie gefangenen Arhener
fandte er durch Antipater zurüd, frei und gefleibet; bie Leichen
3 C£. Plut. Demosth. co. 26. 30.
2) Auch jebt noch fingen die Briechen bei ihren Tängen Lieder in lambi⸗
ſchen, katalektiſchen Tetrametern, wie der Vers des Philipp. — Juſtin,
ber es wahrſcheinlich aus Theopompus hat, erzählt, Philipp habe ſich
nach der Schlacht bei Chaeronea mit ſehr vieler Würde betragen; aber
bie audere Erzaͤhlung iſt viel verbreiteten 1825
368 Guhabe det Gipenung Aigen’.
Heß er verbrennen umb die Aſche nach Yhen bringen, bie The⸗
baner mußten ihre Leichen ihm ablaufen. Kr rüdte jepi m
Theben ein, — er ſcheint es ohne Miderſtand eingenommen
zu haben! — legte eine maledoniſche Beſatzung tu Die Kadmea
unb /mit verſelben Politit, wie Sparta in Athen nach dem pe⸗
Ioponnefiigen Kriege’ fee er eine Dligarchie von 300 Diem
feiner Anhänger ein, meiſt gurüdgeführte Verbannte, bie num
unter dem Schuse der Beſatzung tin ber Rabmea wie Tyren⸗
nen berrichten und fchändlic wütheten. In Achen aber erſchie⸗
nen Autipater anb Bieranber als Bejandie’), und uahbem Phi-
Hop gegen Ahen immer bie größte Bitterkeit nad Behäfigfent
gereigt Hatte, jo in ben Briefen, vorzägkh dem einen Dem Des
moſthenes und schalten hat”), fo nehm er jetzt auf einmal Die
Mine an, als ob es fein größter Schmerz fei, daß er habe mit
Achen kaͤmpfen muͤſſen, als ob ihm nichts ehr am Herzen Tiege
als die Aibener zu verſoͤhnen. Dies war aber reine, ſeine Politik
und bein Edelmutb: unbegreiflich, daß Das Alterthum barüber
getarſcht wurde ’uad andy fehr verſtaͤndige Leute es feinem Edel⸗
sende zuſchrieben; die Motive liegen gan; nahe vor.
Jedermann ſah es vor Augen, daß Philipp in Kuzope
nicht ſtehen bleiben würde. Die (Eroberung Yon Griechenland
war vollendet bis auf bie Beſezung non Athen; ſtehen bleiben
aber konnte er niet, erobern mußte er, und wie 4811 Jeder⸗
mann wußte, daß Napoleon's Krieg gegen Rußland erfolgen
müßte, fo kab ſetzt Jedermann, daß Philipp nad Alten gepes
maſſe. Er konnte nicht wüßig fein und in Europa hatte er
nichts zu thun; an den armen Illyriern, ober deu wor) arme
) Or. de litt. Phil.
2) Daß Alerander deu Antipater begleitet hat, meldet Inſtin; doch Roly
bias (V, 30.) und Bintarch Im Leben des Alexander erwähnen bei
diefer Erzählung den Alexander nicht und Beine bätten es ſicher nicht
ausgelaffen. Juſtin Tügt oft, weshalb wir auf feine fo oft unzuver⸗
laͤſſigen Nachrichten die Berfonen dieſer Geſandtſchaft nicht für ausge
macht halten bürfen, 2825.
RPhiliupfs Pläne gegen Aſten. 30
ren Triballern, Dalern u. ſ. w. wollte er feine Kraͤfts vd
üben: er war ein außerorbentliher Mann, aber feine Zwecke
waren bie eines gewöhnlicden Eroberers, Plünderung und Schaͤtze.
Diefe bot ihm Aſien dar. Schon die Angriffe auf Bpzanz unb
Perintpus follten den Krieg gegen Perfien vorbereiten, uab and
bas Streben fh im Hellespont feftzufegen hatte noch mehr
ben Zwed ben Krieg gegen Perfien zu führen als Plihen zu
Drängen’.
In Vorberafien erwarteten ihn fchon bie Befehlshaber und
rüfteten Sch auf ihre Weife, Memnon und Mentor beſonders,
zwei Rhodier, Beide ausgezeichnete Männer beirieben bie Raͤhun⸗
gen ; namentlih Memnon if ein großer Mann, ein großes Feldherr.
Die Perjer hatten jetzt phoeniciſche und cypriſche Schiffe, NMegyr
pten war wieder unterworfen; da Perſien alfo jegt eine gupße
Flotte hatte, fo war es feine natürliche Politif deu Krieg non
Afien dadurch abzuhalten, bag es Athen unterſtützte und- Die
Flotte nach dem Piraeeus ſandte. Athen aber haste ſelbſt noch
immer große Flotten, . Hätte man alſo in Athen nur ben erſten
Angriff beflanden, 'und ſchwerlich Yätte Philipp es jo ſchnell
eingenommen, ba bie Stabt ſtark befeftigt war und viel befiex
gerüftet old zu Ende bes peloponnefifhen Krieges‘, fo wären
von Perfien fo viele Millionen gekommen als. nöthig; dba bie
Sse offen fand, hätte Athen feine Bebürfniffe von ber See her
erhalten, und die Belagerung hätte ſich in's Unendliche per⸗
zögern Fönnen.
Ich begreife nicht, daß dies einfache Verhältniß von Per-
fien zu Athen no Fein Menſch begriffen bat, Philipp als
großer Mann durchſchaute dieſe Berhättniffe Harz er fah, daß
fein Augenblick zu verlieren fei, und daß er auf bie Athener
im erſten Augenblid wirkten müſſe. Denn Demoſthenes ſcheute
das Gerede niſht, drang ſchon darquf, daß man ſich mit Per⸗
ſien perbünden ſolle. Chios, Rhodos (das damals yon Per
ſien abhaͤngig wear), Byranz, Lasbos wurden Abe aus allen
17 Müfengen Wiben’s zum Miderflande,
Kräfteh unterflüßt, die Miſthophoren würbe Memmon herüber-
geſchickt Haben; nad einigen Jahren fleigenden Drudes und
mafebonifcher Mißhandlungen würben ſich noch zehn und zwan⸗
sig griehifhe Staaten ftatt fünf für Athen erffärt haben, und
wahrfeheintih würbe Philipp am Enbe haben abtreten müſſen.
Hätte er aber auch Athen zerflört, fo würde dieſe Rache ihm
nichts gefruchtet haben, und er wäre in feinem Kriege gegen
Perſien aufgehalten worben, auf den ſchon Yängft alle feine
Wünfdhe gerichtet waren. So mußte Philipp fuchen den Krieg
in Griechenland abzubrechen‘, und es war offenbar bie feinfte
Politik, daß er den Edlen, den Freund fpielte,
Inzwiſchen war in Athen bis die Gefandtfchaft des Phi-
lipp kam, das Aeußerſte geſchehen um eine Belagerung auszu⸗
halten. ?’Die Athener zeigten ſich bier wieder groß: fie machten
dein Demoftbenes Feine Borwürfe, fondern übergaben fich ihm
ganz; ganz anders wie bie Engländer fi im norbamerifani-
ſchen Kriege betrugen: ba war von hundert nicht Einer ber ben
Gedanken an Krieg nicht aufgab und nach dem unglüdfichen
Erfolg von hundert nicht Einer, der nicht den Urheber des Krie-
ges verfluchte, den fie felbft gewünfcht Hatten’. Demoſthenes
hatte Vorſchlaͤge zur entfehloffenften Vertheibigung gemacht, und
diefe waren von ben Bürgern ungetheilt angenommen worden.
Man erwartete eine Entfcheidung auf Tod und Leben, man be-
flog die Mauern unverzüglih in Stand zu fegen, bie Land⸗
leute wurben in bie Grenzfeftungen gebracht. Demofthenes warb
zu einem ber Commiſſaire ernannt um bie Mauern herzuftellen,
und führte nit nur das Werl auf das Zweckmäßigſte aus,
fondern gab felbft drei Talente aus feinem Bermögen zur Def:
fung ber Koſten der Bertheibigung her. Auch um Getraibe zu
Taufen wurde er vom Bolfe ernannt und er ging mit einem
Kriegsfchiffe in See: Aefchines verläaumbet ihn darüber, ale
habe er fih in Sicherheit fegen wollen. Es war eine Zeit von
droßen Tumulten, eine ber merkwärbigen Perioden, in benen
Brieden mit Phuipp. Pätlipp Heerflhrer der Griechen gegen Perflen. BGE
ber Ateopag mit bietatorifcher Gewalt auftrat, Er ernanıie
ben Phokion zum Sirategen, während bie Unrubigen die auf
einem anderen Geifte als Demoſthenes für ben Srieg gegen
Philipp geflimmt hatten, ben Charidemos zum Felbherrn ver⸗
langten’.
Nun erfchien bie Geſandiſchaft des Antipater in —
Philipp ging auf alle Bedingungen ein bie bie Athener haben
wollten: es follten Feine Nachforſchungen nad feinen ‚Feinden
gehalten 'und Feiner feiner Gegner verbannt werben’; Ahen
follte nit nur völlig ſouverän bleiben, fondern auch Lemnos,
Imbros, Skyros behalten, und fogar Samos und ben Cherfon«
neſus, ba er doch biefen geradezu nehmen fonnte, und in Sa⸗
mod Athen die meiften Sleruchieen hatte. So erkaufte er bie
Athener durch dieſen Frieden, gegen den Demofthenes und Andere,
bie weiter ſahen, ſich aufzulehnen nicht wagen burften, ba er
mehr bot als fie bieten Tonnten.. Das war ber größte Fehler
ben die Athener begangen haben, daß fie fich auf. biefen Frieden
einließen, aber fo groß er war, fo verzeihlih war er doch.
Des Demofibened Gedanken auszuhalten, bis ed Philipp au
Yang würde, konnte feine Volksverſammlung faflen: ein monar⸗
chiſcher Staat hätte ihn befolgen Fünnen’,
Das Einzige was bie Athener Philipp bewilligten war,
dag fie Symmadie mit ihm fohlofien und ihm bie Hegemonie
für den perfifhen Krieg einräumten.
Mit großer Schlauheit berief namlich Philipp nach Korinth
eine Berfammlung ber Griechen, die er feine Bundesgenoffen
nannte, um über ben perfifchen Krieg zu berathen, Der Rache⸗
krieg gegen die Perfer war aber in Griechenland damals ſchon
eine populäre dee, einer von den Gebanfen, von benen Jeder-
mann erwartete, baß er früher oder fpäter zur Ausführung
fommen werde“. Nun geriethen alle Rhetoren in Alarm, ganz
Griechenland trommelten fie unter die Waffen, wie der. alte
Thor Sokrates das Beiſpiel gegeben; Alle ſtimmten in bie
288 Phcliyp Heritährer der Griechen gegen Perfien.
Phraſen ein, man folle die Frevel bed Kerred sähe. Solrn-
tes ſelbſt haste fein Leben nach der Schlacht von Chaevemen ge-
endigt; Fer hatte erkannt, daß Das was alter ſeinet Wunſche
Ziel war, dad Unglück Griechenland's und der Abgrand fei, m
dem Alles untergehen würde, und‘ fchämte fih der Thorheit
feimer Anhaͤnglichkeit an Philipp. Aber feine Nachfolger pre=
digten Rache, forberten alle Griechen auf die Waffen zu neh⸗
mer, um die von Perfern verbraunten Tempel und Stäbte zu
raͤchen. Hundert und vierzig Sahre waren feitbem verſloſſen,
bie Zeiten Hatten fi geändert, und Philipp hatte allein am
ber thrafifchen und maledoniſchen Küfte 33 griedhifche Städte
vom Erdboden vertilgt. Ihn wollten Die Rheioren aufmuntern
bie Schwach ber Stäbte gu rächen, bie fih laͤngſt aus bem
Sthautte erhoben hatten! Hein größeren Gontraft als bie herr⸗
fihe Berebfamfeit des Demofihenes und bie Erbaͤrmlichkeit ber
Metoren!
Run erkanmen die Staaten Griechenlaud's, außer Sparta,
Chios, Lesbos und Rhodes Philipp als Hegemonen fir den
Perſerkrieg an’; und auf Beramnlaffang bes Domabes ber ſchon
vor dem Frieden bed Antiwater, wahrſcheinlich ohne Zuflim-
mung bes Bolfes, bemüht gewefen war bei Philipp den Frieden
zu vermitteln‘), erkannte jept auch das athenifche Bull den
ı) In dem Bragment des Demabes, das fchon in der Aldina die Redner
aufgenommen ft, fleht nichts von feiner Gefangennehmung, wohl aber
von dee Wirkung auf Phllipp, und dazu die Nachricht, er habe für
„ bie Athener die Loslaffung von 2000 Gefangenen und die Beflattung
ber Todten bewirkt und ihnen den Beſitz der Statt Oropus verfchaflt.
Dies war eine Heine boeotiſche Stadt, die ſich wahrſcheinlich nuch dem
peloponneflfhen Kriege unter Athen's Schutz begeben Katie. Sie
war für Athen früher von großer Wichtigkeit, weil fie einen großen
Hafer hatte und fcheint befonders großen Zollverfehr gehabt zu haben.
Nach der Schlacht bei Lenfica hatten die Thebaner ‚fie den Aihenere
entriffen, bei welcher Gelegenheit Kallifiratus eine Rebe hielt, Darauf
blieb fie bei den Bocotern, bis der Tyrann von Cretria fie defekte umd
fie diefen entriß. Die Athener verfuchten Oropus wieder zu bekommen
eher vergeben ; nachher beſthen fie Oropus, fie müflen es die ze io
Allgemeines Frieden und Vund ber Griechen. DEF
Ppyilipp als Oberſelbhervn von Griecheniand an md nahm an
dem allgemeinen Frieden von Griechenland Theil.
Merdgeiv vodg AImvelovug sis nosig sigma, Tag
Plutarch im Leben bes Phokion. Dieſe xonm eignen iR ber
» eigentliche Ausdruck zur Bezeichnung für die Hegemonie und
nn a om
zn —
das Proiectoratverhaͤltniß des Philipp (vgl. Demosth. or. de
Coron. p. 212. Reisk.)). Sie war eine förmliche Bun⸗
des⸗ und Berfaffungs-Acte für Griechenland als einen Ge⸗
fammt = Höderativ- Staat, worin zugleich die Matrikel für bie
einzelnen Staaten beflimmt war, in welchem Grabe Philipp
den Beitrag von jedem Staate in dem einmal befdloffenen
Kriege gegen. Perfien fordern Eonnte, Was bie Bundesaete
: enthielt, Tönnen wir ziemlich genau aus ber Rede regt sür
u
gög AldEavdgov ovrInmor erſehen. Da fie aber doch Mo⸗
bificationen erhielt, fe werbe ich erft bei dem Abſchluſſe des
Bundes mit Alexauder davon ſprechen. Bon ben Truppen gibt
Zußin Zahlen an, bie offenbar übertrieben find.
gend einer Zeit wieber erhalten haben: ob dies bei der Gefandtſchaft
des Antipaten oder fpäten beim Friedenoſchluß geſchah, ift uugeruig. —
Man hat dies Zragment des Demabes früh für falſch erklärt, beſon⸗
vets aus Anlag von Cicero's Brutus (9, 11.) wo gefagt wird, Demas
des Habe nichte Schriftlichss hinterlaſſen: Demadis nulla exstant
scripta. Indeß if Eicexo hier nicht eine fo große Auctorität. Suidas,
welcher nichts erbichtet hat, fondern nur verflümmelt wiedergibt, was
er aus alten guten Schriftfiellerir genomnten, nennt in einer dunklen’
She Schrifter des Deanabes. Jenes Fragment abrr iſt von ter
Art, daß ss von feinem Nachahmer und litterariſchen Betruger herrüh⸗
ren Tann. Aus einer neueren Zeit fann es aus inneren Gründen nicht
fein: die ganze Geſtalt' und die hiſtoriſchen Facta erfiären es ald ge:
diegen nad alt. Freilich waren: fchon zu ben Zeiten bes Dionyſtus
von Halikarnaß mehrere faljche Reden großen Namen untergefchoben,
wäre: aber Biefes Fragment im Geifle des Vemades nachgeſchmiedet
worben, fo wärke man wiht ſo viele ungemein‘ wichtige nund ärhto Heilen
rifche Nosizen in ihm vorfinden. Dabei hat auch die Rede etwas fo-
Friſches und Neues, Natürliches und Aechtes, daß bie Nhetoren uns
mögfich weder fo viele Kenntniffe, noch einen fo einfach ſchönen Styl
haben Tonnten. 1825.
9 Bel. KL. Schr. I. 6. 166,
g608 Bhillpp Vermittler im Peloponnes.
"Dieser Beſchluß iM nun, was dem Demabes vorgeworfen
wurde, Es ift aber nicht fo zu nehmen, ale habe er, durch
Philipp'o Gold beſtochen ben Beſchluß geſchrieben, die Athener
follten dem Philipp dienen (dovlsvoaı). Beſchenkt bat ihn
Yyilipp allerdings nachher mit boeotifchen Gütern: das Bermö-
gen, das Demades in Boeotien befaß, wirb wohl von den Gon-
fiseationen in Theben fein. Als es zur Abflimmung äber bie-
fen Beſchluß kam, trat Demofthenes wahrſcheinlich zurüd.
Phokion widerſprach jetzt und fagte, bied ginge zu weit unb
man bürfe nicht fo mit verbundenen Augen dem Philipp ent-
gegen geben: Hier erfäheint er In einer gutmüthigen Thorbheit.
Das athenifche Volk aber, obwohl noch ein Teibenfhaftlicher
Nationalhaß damals war, ſah doc keinen anderen Ausweg:
benn es waren feine Helden ba und man wollte nicht unter-
gehen: und fo verwarf ed Phokion's Rath und nahm die Bor-
fthläge des Demades an. Hernach als Philipp feine Forberun-
gen machte, murrten fie, daß fie in dieſes Verhältniß eingegan-
gen waren’.
Philipp rüdte nun mit feinem Heere in ben Peloponnes
ein, 'und begab ſich zum Bundestage nach Korinth, wo bie
griechifchen Abgeordneten feine Befehle vernahmen‘.
Im Peloponnes machte er fi zum Schiedsrichter. Arka⸗
ber, Meffenier und Argiver riefen ihn zum Schiedsrichter in
den Beſchwerden gegen Lakedaemon und forderten er ſollte fie
in ihre aften Grenzen wieder einfegen. ‘Den Arkabern hatten
früher viele Orte am Eurotad gehört, und die Meffenier waren
noch Lange nicht im Beſitz ihres Landes‘, Er befiimmte nun
bie Grenzen und hat das fpartanifche Gebiet damals gewaltig
verfleinertz er hat bie Völfer in ben Beſitz diefer Derter gefest,
das iſt ganz unleugbar und geht aus Polybius und Anbern fon:
nenklar hervor"), Er rüdte bis an die Grenze von Lakonika
2) Vgl. Paus. Ach. p. 216 D. ed. Sylb., Babe VII. p. 361 B.
Polyb. II, 48, 2. XVII, 14, 6. 1825.
Philipp Vermitiler im Peloponnes. 369
vor und bat fein Gericht auf einem Boden gehalten, ber lange
den Spartanern gehörte, In wie fern bie Lafebaemonier biefes
Urtheil anerfannten oder nicht, ift eine andere Frage: aber ihre
Nachbaren wurden in ben Befig an ben Orien geſetzt, die Ppi-
" Tipp ihnen zufprach, ohne daß die Spartaner fi dagegen fegen
* fonnten‘). Die Spartaner benahmen ſich bei dieſer Gelegen-
heit würdig; fie waren die Einzigen welche Philipp’s Hegemo-
"nie gegen Perften nicht anerfannten 'und ber xown eionn
" nicht beitwaten. Dem Philipp war es gleich, er machte ſich
aus biefem Schatten bes alten Sparta nichts und ließ fie ru⸗
big gewähren und proteſtiren fo viel fie wollten, Eine foldhe
" Proteftation verbient fehr felten daß fie berüdfichtigt wird, wie
"oft geſchieht. Daß fie Ppitipp fih nicht fügten, war fchön,
° aber wem bie Proteflation mehr als bloße Aeußerung ber Ge⸗
ſinnung fein ſollte, fo war fie kindiſch.
Diodor nennt flatt der Spartaner bie Arkader als bie
Einzigen, welde Philipp nicht als Hegemonen anerkannt hätten,
Aber von Jenen iſt es wohl mehr bewährt, und obwohl Die
Nachricht von dem Briefwechſel Philipp's mit ben Lakedaemo⸗
“ niern nur in ben Apophthegmen fleht, fo hat fie doch mehr
Gewicht).
Die Schlacht bei Chaeronea war in demſelben Jahre, in
welchem Rom die Grundlage zu feiner Herrſchaft über ganz
Italien legte durch die Befiegung ber Volsker und Latiner,
Merkwuürdig ift dies Zufammentreffen der Ereigniffe. Ein Als
» 168 ging zu Grunde, ein Neues entſtand. Schon bei ben Alten
or rv
galt Der. Tag von Chaeronea für den Tobestag Griechenland's.
9 1825 fagt N. Philipp erfchelne ausdrüdlich als auch von den Spar:
tanern freiwillig gewählter Schiebsrichter. 2.8.9
Es wird gefagt, daß die Spartaner die erſte Aufforderung abgelehnt
und auf Philipp's drohende Forderung ‚geantwortet hätten: „miß ben
Schatten, ob er feit der Schlacht von Chaeronea größer geworden”; 3
. ferner auf feine Drohung: „wenn ich nach Lakedaemon komme, ſoll kein
Stein anf dem andern bleiben” ihm erwidert hätten: „Wenn!“ 1825,
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. IL 24
sro Naſtungen gegen Afien. Zwiſt ia Shllipp's Haufe.
Alles Lebensprincip war abgefchnitten, bie Griechen lebten zwar
fort, an Geift aber und politiſch erlorben. Man begreift faum,
wie Demoftbenes und Nrifioteles dieſen Tag noch fo Tange
überleben fonnten’.
Ppilipp’s Ende,
So fand Philipp auf der Höhe feiner Macht. Byzanz
und die anderen verbünbeten Stäbte hatten fi bem Sieger
unterworfen, als er dorthin ein Heer ſchickte), und ſchon ver:
fuchte er auch ſich in Aſien fehzufegen. 'Eine Truppenabtbei-
Jung unter Attalus warb vorausgefandt, um der großen Erpe
dition den Weg offen zu halten, und Hatte fih auf dem Sta
feſtgeſegt. So konnte er ben Webergang über ben Hellespont
ausführen wann er wollte,’
Aber fhon war er am Ende feines Lebende. Sein Hand
war in diefen letzten Zeiten zerrifien, Seine Gemahlin Olym⸗
pias, deren Bruder er den Moloffertbron gegeben, die Mutter
Alerander’s, war eine Zurie in menfälicher Geftalt, bei den
Mafeboniern fchon als Fremde verbaßt, und wer fie Tannte
mußte fie haffen. Alerander aber und feine Mutter hingen
genau am einander: er fcheint feine Mutter viel mehr geliebt
zu haben als feinen Vater; unb man betrachtete Alerander als
Epiroten. Die Mafedonier aber haften die Epiroten. Dazu
fam, bag nach den Grundſaͤtzen bes Alterthums die Söhne ven
einer Fremden ald vosor, nicht Acht, betrachtet wurden, aud
bei diefen barbarifchen Bölkern nicht, und gewiß fahen die Ma⸗
febonier den Alerander nicht als yrnaros an. So entftand bei
ben Mafedoniern der Wunfch einen Thronerben von ächt ma-
4) Am diefe Zeit muß es auch geweſen fein, baß er Afarnanien fih au:
terwarf, das von alten Zeiten ber athenifcher Bundesgenoſſe war, weil
die Städte die es umgaben Eorinthifch waren und zu den Widerſachern
Athen’s gehörten. 1825.
\
Feludfchaft Pulliyp's mit Diympias und Alexander. 7
kedoniſcher Akunft zu haben, der auch von der Mutter ein
Motenonter fei. Sie Hatten aber [mit ihren Königen] das
Recht des connubium. Mafebonien obgleich unter Koͤnigen,
gehörte zum Syflem freier Bölfer, wie Neufhatel feine Zürften
bat, obglei es zu ber Schweiz gehört, 'Wir Finnen und das
Berhältniß deutlich machen aus dem Berbätniß zwiſchen Für⸗
fen und Bolt im Mittelalter, Die Könige im Mittelalter ha⸗
ben auch wohl eine abfolute Gewalt, aber fie iſt nicht legal;
wenn fie als Eroberer auftreten, find fie wohl abſolute Herr⸗
ſcher über die Voller welche fie unterworfen haben, aber nicht
über die Nation der fie angehören. So waren die fränkifcden
Könige Fürften ihres freien Bolfes, über bie Provinzialen wa⸗
ren fie Herren. Nun hatten fie aber ein Gefolge, womit fie
ihre Gewalt nusäbten; bies verftärkten fie immer mehr befon-
ders aus den Provinzialen, und dadurch Eonnten fie zu Zeiten
ihre Gewalt und ihre Lüfte blutig und frevelhaft durchſetzen.
So waren andh die malebonifchen Könige nicht unumſchraͤult.
Es find Spuren von einer BovAn, und warb ein freier Makedo⸗
nier angeflagt, fo wurbe er von ber Gemeinde gerichtet. Phi⸗
lipp freitich war volllommener Herrfiher, aber er war auch ber
Mann des Volks, er hatte es gleichfam geſchaffen. Die Ma-
kedonier konnten von ihm fagen was bie Römer über Roinulus
fagten: Tu produxisti nos extra liminum fores’,
Nun war au zwiſchen Philipp und Olympias im Laufe
der Ehe eine fchwere Feindſchaft erwachſen: ’er haßte ſie ans
gerechten Gründen und mißtraute ihr“. Auch war zwiſchen
Alexander und ihm ſchon ſeit einiger Zeit Entzweiung: immer
ſind in ſolchen Staaten Zwiſchentraͤger zwiſchen Vater und Sohn,
und man hatte dem Vater aͤcht vorientaliſch ben Sohn verdaͤch⸗
tig gemacht. Phillpp ſcheint Alexander ſchon feit lange in Ver⸗
dacht gehabt zu haben, daß er Anſchlaͤge gegen ihn ſchuldig ſei.
Am fo eher entfchloß ſich Philipp ſich mit einer Makedonierin
pornehmen Geſchlechts, Kiespatsa, zu vermählen, ber Nichte
24°
874 Grmorbung bes Phillpy.
bag fie ben Dol mit bem Philipp ermordet worben, in einem
Tempel aufhing unb unter dem Namen, ben fie als Kind ge-
habt, Myrtale, dem Gotte weihte. Yaufaniad’ Leiche warb
an’s Kreuz gefchlagen; auf feinem Haupte fand man eine gol-
bene Krone. Die unglädliche Kleopatra ſelbſt warb auf glü-
henden Eifen zu Tode gemartert, ihr unmündiges Rind in ih⸗
ren Armen ermordet, Attalus und feine ganze Yamilie.
Alexander war ohne Zweifel durch und durch Mitſchuldiger
des Mordes '): ’ein Sefchwornengericht hätte ihn als Mitwifler
verurtheilt. Aber er hatte die Klugheit, bie Theilnehmer au
der Berihwörung bie hätten ſchwatzen koͤnnen aus der Welt zu
fhaffen, wie Karl XI. von Sübermannland, ber auch um die
Verſchwoͤrung gegen feinen Bruder Guſtav IIL mußte, die Mit-
wiſſer ſtrenge befixafte, damit fie nichts ausfchwagen Eonnten’.
So ſaß auch Alerander über Die Verfchworenen zu Gericht und
ihr Blut floß damit er nicht als Vatermörber befannt würbe.
Er ließ es zu daß Olympias fih an ihrer Rebenbuhlerin
unb ihrem Kinde rächte "und nicht minder grauſam war er
feibft gegen Andere, von benen er fürdtele, baß fie ben Tod
Philipp’s rächen würden, gegen andere Angehörige und bie ei-
gentliche malebonifhe Partei. Faſt die ganze koͤnigliche Familie
warb Damals ausgerotiet.’
Letzte Zeiten des perfifhen Reichs.
Ich Habe nach meinem Plane bie fpätere perfifche Gefchichte
bis nach dem Tode Philipp's verfchoben, bie dahin, wo bie
Ausführung feiner Tange beabfichtigten Ilnternehmung unfer Auge
D1.94,4. nad Aſien richtet. Hier if alfo die perſiſche Gefchichte, Die
) Diefe Vorleſung ift die lebte im Winterfemehler 1829/30. Su ber
Naht darauf (5/6. Bebrunr 1830) brach der Brand in Niehubr's
Haufe aus, der in ihn den erſten Tobesfelm legte, und es ihm unmög⸗
lich machte diefe Vorleſungen vor bem Sommer fortzufegen. A. d. 9.
Artaxrerres I. Plutarch's Biographleen. 915:
wir nach ber Schlarht bei Kunara verlaflen haben, wieder auf-
zunehmen ').
Sp ausführlich wie fie Plutarch im Leben bes Artarerres
erzählt, werbe ih die perfifche Geſchichte nicht vortragen. Denn
ed tft die moralifhe und geiftige Wichtigkeit, die unfere Be—
handlung der Geſchichte beſtimmt, und dieſe ift bei Diefen Vol⸗
fern fehr gering und ungleich geringer ale das Zeitmaß.
Wie Plutarch die Gefchichte des Ariaxerxes aus Kieſias
und zum Theil aus Dinon erzählt, hat fie durchaus fein per⸗
jönliches Intereſſe, und ich weiß nicht wie Plutarch fein Leben
befepreiben konnte. ’Wenn es nicht planlos gefchehen ift, fo
fann es offenbar nur in ber Abſicht gefihrieben fein, den Arta-
rerred mit den großen Männern bes Weſtens contraftiren zu
laſſen: er fleht nur als großer König des unermeßlihen Rei⸗
ches da, fonft durchaus ſchwach und wenig unternehmend. Webri-
send follte das Leben gar nicht unter ben Bios sragaldnkoı
fteben, bean mit dem Aratus hat Artaxerres nicht die mindeſte
Aehnlichleit, fol es auch nicht haben: es find einige Leben, welche
ganz abgefondert son den Parallelen fliehen follten.
Merkwürdig tft diefe Biographie der Sitten, des Treibens
und Handelns im Drient wegen, und wir fehen daraus, daß
ed Feiner tiefen Blicke in den Drient bebarf, um ihn zu begrei-
fen. Wer die Gefchichte der Sofis und ber mongoliſchen Kö-
nige gelefen hat, bem brängt fi die Bemerkung auf, wie er
im Plutarch ganz daſſelbe findet, mit einigen Ausnahmen welde
bie mohammebanifche Religion hervorgebracht hat, und lieſt man
bie Gefchichte der Hindu- und MahratienNegierungen, ſo fin-
bet man barin ganz bas Gemälde bes perſiſchen Hofes. Es
if der fulsanifche Despotismus ganz dem europälfchen Typus,
) Die Geſchichte der Beziehungen Berfien’s zu Griechenland von ber
Schlacht bei Kunaxa bis zus Schlecht von Leuftra iſt 1826 au biefer
Stelle vullftiändig vorgetragen, minder vollftändig bei der griechifchen
Geſchichte wiederholt worden. 1830 ift fie nur einmal bei ber gries
chiſchen Geſchichte erzählt. Mol, oben &. 216f. - 2.9.9.
376 Entiehlichkeiten des orientallichen Despotismus.
wie er durch bie Griechen begründet wurbe, entgegengefebt.
Ausnahmen darin machen in geringem Grabe, fo lange nod
der Enthufiasmus bed Islam beftand, die erſte Zeit der Eha-
Iifen, aber fehon unter den Ommafaben zeigt fi) jenes orienta-
liſche Wefen, und unter den Abbaffiden, welche gut anfıngen,
trat es endlich in feinem größten Umfange hervor. Nicht leug⸗
nen fönnen wir, daß er ſich auch in bie byzantinifche Gefchichte
eingefhlichen hat und bie weſtlichen Dynaftieen der Morabethen,
Edriſiden u. f. mw. zeigen das nämliche Schaufpiel.’
Artarerres gehörte an fih nicht zu ben Tyramen, aber
weil er ein bfoßer Orientale war, fo ift feine Gefchichte voll
von den größten Sraufamfeiten, die begangen werben als Sa-
hen die ſich gleichfam von ſelbſt verfiehen. Strenge Gerichte,
Urtheile find in Perfien Aeußerung der Willfür, der Despotie;
fo wirb Einer zwifchen zwei zerfchnittene Kähne mit dem Kopfe
heraus befefligt, und der Kopf mit Honig beſtrichen ꝛc.: dies
ift die Strafe bes Hochverraths. Das thun felbft fonft menſch⸗
liche Paſchas. Liebhaber des Mittelalters finden das auch, wo
Einem ein Bein, ein Arm abgehadt wird flatt langes Proceffes.
»So wenig und daran Tiegt diefe Gräuel kennen zu Ternen, fo
müffen wir Doch einige anführen, um bie Zeit zu charakterifiren.
Aeußerſt charakteriftifch iſt Die Schlacht bei Runara im Plu⸗
tarch erzählt, Als Cyrus getöbtet war und feinem Bruder bie
blutige Tiara gebracht wurde, eilte Artaxerres fogleich außer
fi vor Freude zum Leichnam und Tieß ihm vor feinen Augen
ben Kopf und bie rechte Hand abhauen und zeigte fie als Tro-
paeen. Die Thäter beſchenkte er reichlich mit dem Geheiß, fie
ſollten ſchweigen daß fie den Eyrus getöbtet, und ließ fidh ale
ben Räder und Mörder feines Bruders ausrufen unb becom-
plimentiren. So iſt Perfien und fo iſt es in allen orientali-
fhen Gedichten, daß man den Brudermord nicht bloß ale
etwas VBerzeihliches, fondern als etwas Ruhmmürdiges anfteht.
Ich koͤnnte Beifpiele genug anführen aus der Gefchichte ber
PT
/
Entſetzlichkelten des orientaliſchen Despetiomus. 37
Edrifiden, Morabeiben u. f. w., daß Bruder unb Bruder ſich
morbeten: es fcheint, daß im Orient zwei Brüder fih glei
geachtet wurben, und daß man den als den Stärffien anfah, der
ben Gleichen durch Liſt oder Gewalt bezwang.
Aber fürchterlich raͤchte fih Partfatis an den Moͤrdern bes
Cyrus, Zuerft fiel ihre Rache auf den, ber auf des Könige
Befehl dem Cyrus den Kopf und Arm vom Rumpfe getrennt
hatte: fie begehrte zuerft son dem Könige, daß er ihr ihr aus⸗
Viefere, und da der König es nicht that, vergingen Jahre in
denen fie fich nichts mehr merken Tief, Endlich fing fie mit dem
Könige ein Würfelfpiel an: fie fpielte gewiß mit falfchen Wär
fein; und Tieß ben König zuerft tauſend Darifen gewinnen;
darauf machte fie aus, jede Partei bürfe fi drei Hofffianen
herausnehmen, von ben übrigen fönne bie gewinnendbe Partei
fih einen wählen, der ihr ganz überlafien ſei. Unglücklicher
Weiſe war Jener nicht unter ben drei Ausgemwählten bed Kö⸗
nigs: fie fpielten, Parifatis gewann und forderte ben Unglück⸗
lichen auf den fie ihre Rache gehäuft hatte. Der König er-
ſchrak und machte Ausflüchte, fie aber erinnerte ihn an fein
fönigliches Wort und ließ den Sklaven öffentlich auf das Graͤß⸗
lihfle zu Tode martern. So bereitete fie allen Theilnehmern
nad und nach den Tod, und zulegt erfuhr auch Statira, bie
Gemahlin des Königs, ihre Race. Sie hatte lange gefucht
diefelbe aus der Welt zu ſchaffen; allein Statira hatte fi vor
ihr gehütet, aß weber mit ihr, noch nahm fie etwas von ihr
an, aus Furcht es fei vergiftet. Endlih Ind Pariſatis fie ein
mit ihr aus derſelben Schäflel zu eſſen: da bediente fie fi ei-
nes an einer Seite vergifteten Mefferd und gab ber Statira
ben Theil ber Speifen, welche damit nach ber vergifteten. Seite
hin abgefchnitten waren. Die Königin farb an der Bergiftung.
Darifatis warb verbannt, aber Artarerres war fo ſchwach bag
er fie nach kurzer Zeit wieder zurädrief”.
Defonders aber iſt das Leben des Artaxerres darum wich⸗
IT8 Mußtfang des perfingen Welches. Gelbfkänbige
dig, weil wir unter ihm ben aufgelöften Zuſtand bes perſiſchen
Reiches fehen. Wir finden das perfifche Reich in dem Zuflande
wie die Türkei am Ende bes 18. Jahrhunderte.
Mitten im Reiche findet man Bölferfhaften, die dem Koö⸗
wige nicht gehorchen. "Schon unter Darius war bie Unterwer⸗
fung bes Reiches in fo weit nicht ganz vollſtändig gewefen, als
manche Theile fih völlig felbf regierten und nur tributpflich⸗
tig waren, wie @ilicien, das vielleicht noch von berfelben Dy-
nafie regiert ward, welche Eyrus dort antraf: denn zu Alpat⸗
sed’ Zeit war ein König Syennefis, und Cyrus der Zünger
findet auch einen Syennefis bort; wie bie phoenirifchen Stäbte,
wie Die phoeniciſch⸗griechiſchen Städte auf Cypern. Jedoch war’
bis auf Zerred bie Auctorität bes großen Könige in allen Thei⸗
ken des Landes durch unmittelbares Imponiren gleichmäßig an⸗
erfannt unb die ungugänglichfien Länder zahlten wenigflens
Tribut. Als aber die Regierung ſchwach warb, als fich nicht
sur Nationalempörungen zeigten, wie die ber Meder, ber Ba-
bplonier und Aegyptier, fonbern au bie Empörungen der Sa⸗
trapen eintraten, ba haben fich auch manche Fleine Bölferfchaf-
tem in unzugänglichen Gegenden unabhängig gemacht, bie nie
wieder unterthänig geworden find bis auf Alerander; wie aud
beim Sinfen bes römifchen Reihe die Iſaurier im öftlichen
Heiche mitten in Afien vollfommen unabhängig wurben, nod
vor Xheodoflus, 'und brittehalbhundert Jahre ihre Unabhängig-
feit behaupteten’. Auch in fyäterer Zeit finden fih viele Pa⸗
rallelen; fo auch im Reiche ber Moguls und im tärkifchen
Reiche. Unter ben erften Moguln waren alle einheimischen
Rajahs unterworfen und zahlten Tribus: das änderte fich aber
ſchon während ber Regierung des Aurengzeb, ſchon unter ihm
epörten fih die Mahratten und andere fühne Bölfer, und in
ganzen Landſchaften feines eigenen Reiches hatte ber große Mo-
gul nichts zu fagen. Wie auch in der Türkei nicht bloß No-
maden, wie die Kurden ac. bie Hoheit des Sultand gar nicht
Stämme im Innern deo Welches, 978
_ anerkennen, fonbern auch Aegypten und [angefefiene] Stämme;
Ehriften und Mohammedaner, fih unabhängig erhalten, z. B.
die Druſen.
Sp war auch ber Zufland bes perfifchen Reiches. Von
mehreren Nationen. willen wir es beflimmt daß fie unabhängig
waren, von andern vermuthen wir 28. In ben Gebirgen ziir
fchen der Kühle von Pamphylien und Phrygien, dem nachmali⸗
gen Sfaurien, waren bie Piſidier — bei benen in ber makedo⸗
nifchen Zeit die ſtaͤrkſte Miftbophorie mar — im fleten Kriege
mit den Perfern. Wie fie, fo ſtanden auch die Karduchen oder
Kurden feindlich gegen die Perfer: die auch gegen bie Chal⸗
baeer, gegen bie perſiſchen Sofis und die Türken ihre Freiheit ber
bauptet und von ben Türken nur eine Belehnung mit Dem
Roßſchweife zum Scheine angenommen haben, Böllig unbes
zwungen waren bie Kabufier, ein Volk von nichſperſiſchem
Stamme’, die in ben Grenzgebirgen von Medien gegen base
faspifche Meer zu wohnten: die Borfahren ber Tühnen Dilemi⸗
ten (im perfifchen Heldenliede werden bie Kaduſier Dilemiten
genannt), die auch unter ben fpätern Chalifen frei waren und erft
als wildes Bolt, ſpaͤter als unabhängiger Staat auftraten. Sie
waren aͤußerſt mächtig: Artarerres zog gegen fie wit einem fehr
großen Heere und würde fiher in ben Gebirgen mit: feiuem
Heere umgelommen fein, wenn nicht die Kürften um ber Land⸗
Plage los zu werben ſich ſcheinbar unterworfen hätten; laum
war aber Artarerres fort als fie auch wieber unabhängig wa⸗
ven. Diefes kühne Volk war ſicher in den unzugaͤnglichſten
Päflen des Taurus, hinter den pylae Caspiae. Ein anderes
Bolt, die Uxier, war unbezwinglich im Beſitze dev Päfle zwi⸗
ſchen Ekbatana und Suſa und ſperrte gänzlıch ’die gerade Straße
zwiſchen beiden Städten; ber perfifche König mußte ihnen fogar
Tribut bezahlen um fih den Weg frei zu halten: das größte
Zeichen eines ſich auflöfenden Reichs'.
Aegypien das ſchon mehrmals von ben Perfern abgefallen
880 Unabhängtigfelt Hegypten's. Ungküdlilcher Jeldzug
und wieber beswungen war, hatte fich fchon unter Darius No⸗
thus permanent unabhängig gemacht und unter der Regierung
bes Artaxerres ift nur ein ohnmächtiger Verſuch gemacht wor-
ben es zu unterwerfen. Im Manetho fliehen daher bie aegypti⸗
ſchen Könige ber damaligen Zeit als eigene Dynaftie: Pſamme⸗
tich II., auf den fih die Infchrift von Ipſambul bezieht, gehört
zu dieſer Dynaſtie. Die Reſidenz biefer Könige war Memphis.
Den damaligen aegyptifchen Staat Tann man füglich mit
ven konſtantinopolitaniſchen vergleichen, nachdem Michael Pa-
Inenlogus ihn von ben Franken mwiebergemonnen: eben fo ohn⸗
mächtig, eben fo arm war er gegen bas frühere Reich. So
ſtand auch das perfifhe Reich gegen früher, fo das römifde
RKeich unter Auguf und Trajan und das ımter Michael md
Andronikus Palaevlogus, was man auch noch das römifche Reich
wennt. Die Ohnmacht und Armuth biefed aegpptifchen Reichs
zeigt fi in ben Dentmälern aus biefer Zeit: Infchriften find
far Feine erhalten und was aus biefer Zeit au Gebäuben vor-
kommi if Hein und aͤrmlich. Der kriegeriſche Geift der Aegy-
ptier war laͤngſt dahin, bie ganze Kraft bes Reiches beſtand in
gessorbenen Truppen. Wie bie Byzantiner nach der Wieder:
eroberung Konſtantinopel's von den Franken ſich der Katalanen
unb Sranfen bebienten, fo hatten bie Aegyptier griechifche Mieths⸗
tenppen, hoͤchſt verwildert und unzuverläffig wie bie ber By⸗
zantiner, bie fie durch immer höheren Sold an fi Enüpfen
mußten; denn die ganze Neitung befand in ber Treue biefer
Truppen. Die Ausartung ber Griechen zeigt ſich in der voll⸗
kommenen Berruchtheit der Lohnſoldaten.
DI. 102. Ebenfalls mit griechifchen Miethstruppen hatte Artarerres
bie Unterwerfung Aegypten's unternommen, Die berüßmteften
griechiſchen Feldherren fchämten fi nicht des ſchnöden Goldes
wegen bei den Barbaren Dienfte zu nehmen und ſich unter das
Joch eines perfifhen Satrapen zu ſchmiegen, und machten fi
Sein Gewiſſen barans ſich auf alle mögliche Weiſe zu bereichern:
des Artaxerres gegen Aegypten. TG
fo fehr war. bie Ehre von den Griechen gewichen. Iphikrates
war als Soldat ein Genie, aber er war ein Räuber. wie bie
Andern, ein Dann ohne Grundfäge, und feine Auflage in Athen
war gar nicht ungerecht. Er fcheute fich nicht für die Perſer
ein Miſthophorenheer nad feinen Grundfägen auszubilden,
Aegypten für einen Tyrannen zu erobern und das arme Land allen
Graͤueln preiszugeben. Die Unternehmung ward von Iphikra⸗
tes und Pharnabazus geführt. Die Aegyptier hatten gar Feine
Flotte, die Perfer Feine bedeutende: aber doch hatten fie Schiffe,
da die Phoenirier, die zur Zeit des Euagoras von Eypern eine
Zeitlang im Anfflande geweien waren, fich feßt wieder unter⸗
worfen hatten: fo waren bie Aegyptier einer Landung an allen
fieden Mündungen bes Nils ausgefeut, und die Perfer konunten
in den Nil einfegeln und bie Memphis fchiffen: das war das
mals noch leicht, jest find die Mündungen buch Sanbhänfe
verfperrt. Die Aegyptier hatten nun zwar bie Niſmuͤndungen
mit Feſtungen, Blodhänfern, Ketten und bewaffneten Flußſchif⸗
fen befefligt,, aber ihre Macht warb baburd zu fehr zerſtrent,
und die Hauptmacht wollte nicht viel heißen. Diefe Tag bei
Pelufium, weil fie dort den Einbruch ber Perfer ermarteten,
Aber die Hauptmacht ber Perfer war eingefehifft und fegelte auf
den Rath des Sphifrates bei Peluſium vorbei, Iandete an einer
Mündung, drang vor bie Befefligungen mit Macht und er» .
flürmte fie: fo maren bie Acgypkier umgangen. Nun rieth Iphi⸗
frates gleich auf Memphis loszugehen und in der Verwirrung
den Krieg mit einem Schlage zu enden; aber Pharnabazus wi⸗
berfeßte fih, Gott weiß aus welchem Grunde. So befamen
die Aegyptier Zeit fi zu fammeln, Memphis zu befegen, und
neue Berfpanzungen weiter am Fluſſe hinauf anzulegen. So
waren bie Aegyptier gerettet, durch ben nämlichen Fehler, den
auch Ludwig der Heilige machte, und bie große Erpedition
mußte unserrichteter Sache zurüdichren’.
Aber nicht allein Aegypten hatte. ſich als für ſich beſtehend
388 Empörungen ber Gatrapın in Vorder⸗Alſien. Euagoras,
loegeſondert, fenbern noch die ganze Zeit ber Regierung bes
zweiten Artaxerxes hindurch waren bie Folgen der Empörung
des füngern Eyrus In ganz Kleinafien geblieben. Das Anfeben
des Königs von Sufa ſtellt fih nit mehr ber, die Samapen
empdren ſich haͤufig. Die Herrichaft verlängert fih nur da⸗
dach, daß der große König fi begnägte die Tribute zu erhal-
ten, die Statthalter gewähren ließ und nachfah, wenn fie unter
einander Krieg und Fehde führten, gerade wie die türfifchen
Paſchas am Ende bes 18. Jahrhunderts: 'und nad dem all⸗
gemeinen morgenlaͤndiſchen Princip wurben Feinde in den bes
nachbarsen Prosinzen zu Satrapen gefeßt, um fi einander zu
beobachten und das Gewicht zu halten, wie Pharnabazus und
Teſſaphernes.“ Nichts war gewöhnlicher als Empörungen: "es
ber Anführer der wegen der Treuloſigkeit des Hofes in Beforg-
niß war fuchte fein Heil im Aufſtande. Doch die Satrapen
empdrten fi nicht um den Thron zu erlangen fonbern hatten
feine andere Idee als durch die Unabhängigkeit ihr Dafein zu
behaupten“ Mehemed Ali kann fich den Gedanken nicht durch⸗
denken, daß er fi unabhängig macht; wenn er Tribut bezahlt
hat er Die Aucterität ber bie Truppen, fonft würde er fie wiel-
leicht wicht mehr haben, das macht den Sultan furchtbar: Die
Auetoritaͤt bes Großherrn iſt noch groß.
DL 98 ff. Unter den Kriegen, die hierber gehören, tft auch bie große
Empdrung des Euagoras In Eppern, die hoͤchſt charakteriſtiſch
iſt. Euagoras war ein Grieche, König von Salamis, griechiſch
gehildet und in Griechenland angefeben; bei ben Sophiſten be⸗
fonders if er ungemein berühmt; er war freigebig gegen alle
hommes de letires in ganz Griechenland, baher er 3. B. von
Iſokrates aus Reibesträften gepriefen wird. Wir Anden in ihm
Anen Mann von Unternehmungsgeiſt, von Charakter, aber ein
ganz unwürbiges, ſchon durch und durch barbariſirtes Gemüth.
Ein folder Grieche hatie andere Anſichten als De Perfer und
dachte weiter als die Satrapen: er hatte ben Gebanfen bie
andere Umpörer In Aelnaſien. Erbliche Gatrapieen. 388
Herrſchaft von Eyyern an fih zu reißen: 'ſchon hatte er ſich
durch Mittel aller Art der Inſel und mehrerer phoeniciſchen
Städte bemädtigt? Sein Unternehmen aber mißlang. Ein
werfifihes Heer zog mit großer Mebermacht gegen ihn und er
mußte capituliren, Er erlangte Acht orientalifch eine fehr leid⸗
liche Sapitulation, ward nur auf feinen urfprünglichen Beſitz
eingejchränft und in biefem als zinspflichliger Fürft anerkannt,
unter der Bedingung, daß er ſich Knecht des Königs nannte:
doch das war Fein Schimpf, denn der Morgenlaͤnder iſt fol
darauf Shave zu fein.’ Diefer Vertrag warb aber auch auf
orientaliſche Weiſe gehalten; es bauerte nicht Tange, fo verjag⸗
ten ihn die Perfer, und fpäter fand er wiederum Gnade beim
perſiſchen Könige, um wieder einen andern Auffland in Cypern
zu Dampfen‘), wie vor fieben Jahren, wo der Enkel des AU
Vaſcha aus dem Gefängniffe nach Epirus gefandt wurde, um
eine anbere empörte Partei zu unterbrüden. Das if das Elend
des morgenländifchen Despotismus.
Diefer Krieg in Eypern if nicht der einzige in diefer Art,
Eine Menge Empörungen brachen in Kfeinafien ans mit Per⸗
fern am der Spitze; fo befonders 'nach dem Feldzuge gegen
Aegypten' Die des Ariobarzanes In Phrygien und bes Datames:
ein merfwärbiger Mann, von anderer Art als die mefflen Drien⸗
talenz Eomelius Nepos if lehrreich über ihn, Er war durch
eine Reife von Schritten zur offenbaren, unverfühnlichen Em⸗
pörung getrieben, und hatte bie Sache ernfter anfgefaßt als die
Andern Aber biefem Beifpiele folgten mehrere. Eine Zeitlang
waren and bie Satrapen von Lydien und Myſien empört.
Auch bilder ſich in einigen Statthalterfchaften ſchon bie
Erblichkeit, und fo entfteht das Reich der Achaemeniden in Pon⸗
ins die die fefle Rage dieſer Gegenden benusten: jener Ario«- - '
barzanes ‚hinterläßt zuerk feinem Sohne Mithribates feine Sa-
1) Anfcheinend bat N. den jüngeren Euagoras, der mit Pholion gegen
Cypern zog, mit dem älteren verwechfelt. A. d. H.
384 Zob des Artaperres. Dqhus, Charalieriſtil
$rapie erblich, dem Stammvater ber Könige von Pontus.’ Sim
Karien hatte die fürſtliche Dynaſtie des Maufolus ein fürmli-
ches Königreich gebildet, das bei ber Bluthe biefer Gegend, ob⸗
gleich in Eleinem Umfang, Außerfi reih und glänzend war, um
bas der große König fih nit Fümmerte, und das bie perſiſche
Doheit oft anerkannte, oft nicht.
Diefe Empörungen find barin darafterififch, daß fie bie
entfeglichfie Depranation zeigen, Verraͤthereien, wobei und ſchau⸗
bert, keine Ehre und Treue. Datames macht eine Ausnahme,
er if ein Mann von Ehre. Andere Ausnahmen möchte man
wohl nicht machen können, unb man barf wohl behanpten, baf
font Treue und Glauben vernichtet war. Alles war feil, und
wenn die Sache nicht nach Wunfche geht, trägt feiner ber Em-
pörer Bebenfen, um fi mit dem Hofe zu verfühnen, ben Kopf
feines Gehuͤlfen als Löfegelb für ſich zu überfchiden. So Tam
«8 denn, daß unter dem Nachfolger bes Artaxerxes biefe Em-
pörungen gebämpft wurben,
Unter bes Artaxerxes langer Regierung aber nahm die
Auflöfung immer mehr zu, fo daß wir am Ende feines Lebens
bas Reich in einer Schwäche finden wie nie zuvor. Er batte
viele Söhne, und wuͤnſchte einen Krieg über bie Throufolge
nach feinem Tode zu vermeiden. Daher ernannte er ben aͤlte⸗
fen Darius zum Nachfolger und Frönte ihn. Dem lebte ber
Bater zu lange; er verband ſich alfo mit feinen Brüdern und
anderen vornehmen Perfern gegen bas Leben bes Vaters, ber
es aber erfuhr und vorfichtig verhütete. Der Prinz und bie
Mitſchuldigen wurben hingerichtet, Run beſtimmte Artaxerres
einen jüngeren Sohn, den Ochus, zum Nachfolger: auch ihm
lebte der Vater zu lange und wahrfcheinlich ſtarb Artaxerxes an
D1.105,2. Gift nad) einer Regierung von 45 Jahren, OL 105, 2,’
Dei Ochus zeigt fi die regelmäßige Entwidelung der afie-
tiihen Staaten; wenn bie Dynaftie eine Zeitlang auf bem
Thron gefeflen hat, ſehen die Fürften ben Genuß ber Herrſchaft
feiner Mogierung. Bagoas, Beherrſcher des RNeichs. "885
nur in ber Wolluſt und überlaffen ſich graͤnzenloſer Indolenz.
Dann - übernehmen bie Kriegsbefehlshaber bie Regierumg und
üben bie Gewalt bis zur vollfommenen Nulität bes Härten,
fo daß fie ihm nur ben Namen laſſen und frei berrfchen, wie
es bie Hausmeler unter den Merovingern, wie die Emir⸗al⸗
Omra unter ben Ehalifen. In Indien ging es fo weit, daß
erſt der Maharadſcha ans dem Geſchlechte bes Sewadſchi vom
Minifter in ehrenvolles Gefaͤngniß geſchickt ward, wie bie Me-
vopinger, und dann bie Peifhwah's eben fo nichtswürdig wie
die Maharadſchas ebenfalls von ihren Miniftern eingefchloffen
wurden; ſo waren biefe beiden zugleich in's Gefaͤngniß ge-
fperrt. Ochus erſcheint in ber Geſchichte als ein thätiger un⸗
ternehmenber Fürft und hat etwas Aehnliches in feinem Schick⸗
fat mit dem ſetzigen Sultan Mahmud, ber die Empörer unter
bie Botmaͤßigkeit des „Steigbügels” gebracht hat, aber es iſt
ber Unterfhied daß Mahmud ganz perfünlich berrfcht, Die Ener:
gie des Ochus aber ganz von feinem Veziere ausgeht, einem
Beamten wie die Hausmeier und Emir-al-Omta. Wie dieſe
Würde perſiſch hieß, willen wir nicht; bie Griechen nennen
diefen Beamten Chiliarch. Wie die mafebonifche Dynaſtie bas
perſiſche Ceremonial annahm, was fchon Alexander that, war
auch bier ein Chiliarch ber Erſte nach dem Könige, fo kam Per⸗
Diffas nach Alexander zur Herrfchaft ae Ealarq als der
Nachſte nach dem Koͤnige.
Der Chiliarch des Ochus, Bagoas, war ein Ems, ‚ein
graufantes unmenfchliches Ungeheuer, wie. ber ber das perſiſche
Reich am Ende des 18, Jahrhunderts wieber herſtellte, ’ber
Eunucd Achmed Mehemed Ehan, Oheim des jetigen Königs
von Perflen, des Feth⸗Ali⸗Schah. Achmed Mehemed Chan hatte
in der. Zeit der Verwirrung nach Yanger Zerrüttung bie meiften
Theile des perſiſchen Reichs zuſammengebracht, war aber ber
Faliblütigfe Bluihund, deſſen Wonne Grauſamleit war.’ Bas
gras herrſchie ganz. im Namen des Könige. Die zum bes
Niebahr Vortr. üb, d. A. G. IL
SAG Bezwingumng ber Eleineßatifihen Ampörer. Msnter nad Micmuon.
Dcus erfcheinen als perſonliche Unternehmungen; aber Bagoas
führte den Ochus barum mit fi, damit biefer nit in Sufa
ih gegen ihn empoͤrte nad einen andern Chiliarchen einfege
An Graufamleit fand Ochus biefem feinem Hansmeier nicht
nach; es ſcheint, daß er dabdurch ſich als König fühlte, dab a
eine Unmenfchligfeit felbipeibig befaßt.
As Diss sur Regierung kam, war Alles im Auffkande,
und die Empdrungen griffen immer weiter um ſich. Bam
Kleinafen- war eben jet abgefallen. Aber unter ihm fiellte fh
bie Monarchie eine Zeitlang aus ihrem Berfalle aͤnßerlich wie
ber her, durch Bold und griechiſche Miethstruppen.
In die erſte Beit feiner Regierung fällt bie Bezwingung
der Empörungen in Kleinaſien, noch darch bie Generale bei
Königs und mit Gold gemacht, indem man ben einen Abtrün-
nigen gegen den andern gewann, Alnter biefen Emporern be⸗
fand fich ein Artabagus, der in VBorberaflen ber mächtigfle ge⸗
weien war, bejonbers merkwurdig durch feine Verbindung mu
ben beiden Brüdern aus Rhodus, Mentor und Memuen, weit
deren Schweſter Artabazus verheirachet war. Modus hatte
ſich damals der kariſchen Königin Arksmifa in die Arme ge⸗
worfens bie oligarchiſche Partei hatte bie Unterwerfung Lieber
gewollt als die Kreiheit; und fo war od wit bea afiatifdgen
Satrapen in genaner Berbindung. Diefe beiden Brüder aber
fanden bier alle Befriedigung für ihren ruchloſen, verwilberten
Sinn, wie griechiſche Belege ihn nicht gewährten’. Sie Patien
volltowmene Kehnlichkeit in Hinficht ber Tuchtigkeit und smora-
liſchen Achtungswurdigkeit mit den liguiſtiſchen Führern im
dreißigaͤßrigen Kriege: fie waren Griechen, aber nicht um ein
Haar befier ale bie Barbaren damals, ald bie Perſer.
In diefer unfeligen Zeit war das Satautſche im Menſchen
zum ruhigen, volllommenen Bewußtiein gekommen, das Reine,
Edle, das Gewiffen, bie Scham vor dan Schlechten und Ehr⸗
loſen bie auch ben Böfen ſonſt einwohnt, Waren gang ver⸗
Mentor un) Memaon. 307
ſchwunden; wie Died bei ben Morgenländern allgemein der Fall
iſt, und wie es auch bei den liguiſtiſchen Grerfährern und dei
ben Führern des wallenſtein'ſchen Heeres war, wie bei Den
ſpaniſchen Befehlshabern der damaligen Zei, Man mag von
der caflilifhen Ehre fagen, was man will, fo gibt es nichts
Verruchteres als dieſt Feldherren yon Ferdinand an, nieht bloß
in Amerika; Spinola macht wohl eine rühmlihe Ausnahme,
aber eine Schwalbe macht keinen Sommer. Die uniernehmen-
ben und tühtigen Menfchen ber damaligen Zeit, Griechen wie
Perſer, Hatten Anfichten wie wir fie im Prinzen von Macchia⸗
velli Anden, die Menfchen feien Befindel, es fei nicht wahr,
‚dab man im Menſchen den Bruber, Das Ebenbild Goties fehen
müfle: Liebe, Aufopferung, Hingebung felen Thorkeit und Die
größte Lüge, auf Herrſchaft und Befriebigung ber Luft, darauf
fomme Alles an. Macchiavpelli ſelbſt Kefolgt Diefe Brundfaue
nicht, aber es waren die der Zeit; er ſah feine andern Spring⸗
febern ber menſchlichen Handlungen und erlannte fie. ale bie
vpraktiſchſten an. Sein Wort zu halten galt für Thorheit; ber
Eid war nichts anders als ein verſtaͤrktes Wort, um geſchickter
zu hintergehen. Dieſe entſetzliche Verruchtheit war allgemein,
und auch Philipp war davon ergriffen und handelte oft nad
ſolchen Grundſaͤtzen, obgleich er im Grunde sine höhere Natur
wor und manchmal Gefühle von. Menſchlichkeit zeigte, von der
nen hie Meiſten nichts wußten. -Memnon erſcheint uns nach»
per in der Geſchichte: das iſt eben der Fluch einer ſolchen Zeit,
daß ſolche Menſchen ſo große Kräfte in ber Geſchichte find, daß.
De Edelſten ſich mis ihnen in Beziehung fegen mäflen, um gu
erreichen, was ſich erreichen laͤßt; fo mußten ſelbſt Demoſthenes
und die Patriojen zu Memnon Betiehungen ſuchen, ja erwar⸗
isten von ihm Nektusg und Heil, obgleich fie ihn recht gut er⸗
fannten. Das find die entſetzlichſten Schickſale bie ein Volk
erfahren ‚Tann, und biefe muß man Fennen und würbigen, um
das Unglüd einer’ Zeit zu ermeſſen. ae
25 *
385 PBerwisgumg ber Eeinaßailkärn Gmpörer. Misnter nad Biemnon.
Ochus erſcheinen alt perſonliche \iiernehmungen; aber Bagoe⸗
fahrte den. Ochus barum mit ſich, damit dieſer nit in Sufa
ich gegen ihn emporte und einen aubern Chiliarchen einſedte.
An Grauſamkeit ſtand Dihus biefem feinem Hausmeier nidt
nach; es ſcheiut, daß er babur fi als König fühlte, decß m
eine Unmenſchlichkeit felhBgiubig befahl.
»Als Digus zur Regierung dam, war Alles im Aufſtande,
und die Empödrungen griffen immer weiter um ſich. Gam
Rleinafen war eben jegt abgefallen. Aber unter ip flellte fh
bie Monarchie eine Zeitlang aus ihrem Berfalle aͤnßerlich wie⸗
ber ber, durch Gold und griechiſche Mieihstruppen.
In die erfe Zeit feiner Regierung fällt bie Bezwingung
der. Empörungen in SKieiunfien, noch darch die Generale bei
Königs und wit Gold gemacht, indem man ben einen Abtrün-
nigen gegen dem andern gewann. Inter biefen Emporern be⸗
fand fih ein Artabagus, der in Borberaflen ber maͤchtigſte ge-
weien war, befonbers merkwürdig buch feine Verbindung mü
ben beiden Brüdern aus Rhodus, Mentor und Memnen, met
beren Schweſter Artabazus verheirachet war. Modus Kate
ſich damals ber kariſchen Königin Artemiſa in die Arme ge⸗
worfen: bie oligarchiſche Partei hatte die Unterwerfung lieber
gewollt ale bie Freißeit; und fo war od wit bea aſiatiſchen
Satrapen in genaner Verbindung. Diefe Seiten Brüder aber
fanden Hier alle Befriedigung für ihren ruchloſen, Berwilderien
Sinn, wie griechiſche Belege ˖ ihn nicht gewährten’. Ste Hatten
volllaumene Acehnlichkeit In Hinfiht der Tuͤchtigleit und mora⸗
liſchen Achtungswurdigkeit wit den liguiſtiſchen Führern im
dreißiglaͤßrigen Kriege: fie waren Griechen, aber nicht um ein
Haar befier als die Barbaren damals, ale Die Perſer.
In dieſer unfeligen. Zeit war das Sataulſche im Menſchen
zum ruhigen, volllommenen Bewußtſein gekommen, das Reine,
Edle, Das. Gewiffen, die Scham vor dan Schlechten und Ehr⸗
loſen bie auch ben Boͤſen ſonſt einwohat, Waren gang ver⸗
enter und Memugn. 307
ſchwunden; wie Died bei den Morgenlänbern allgemein der Fall
M, und wie es auch bei den liguiſtiſchen Hrerführern und dei
ben Führern des wallenſtein'ſchen Heeres war, wie bei ben
fpanifchen Befehlshabern der damaligen Zeit. Man mag von
ber caftilifchen Ehre fagen, was man will, fo gibt es nichts
Berruchteres als dieſt Feldherren von Ferdinand an, nieht bloß
in Amerila; Syinola mat wohl eine rühmliche Ausnahme,
aber eine Schwalbe macht Teinen Sommer. Die unternehmen-
den und tüdhtigen Menfchen ber bamaligen Zeit, Griehen wie
Perſer, hatten Anſichten wie wir fie im Prinzen von Macchia⸗
velli finden, die Menfchen feien Beftindel, es fei nicht wahr,
‚daß man im Menſchen den Bruder, bas Ebenbild Goties eben
müfle; Liebe, Aufopferung, Hingebung felen Thorheit und Die
größte Lüge, auf Herrſchaft und Befriebigung ber Luft, darauf
Iomme Alles an. Macchiavpelli ſelbſt befolgt biefe Grundſaͤtze
nieht, aber es waren bie. ber Zeitz er ſah Feine andern Spring-
febern ber menschlichen Handlungen und erlannte fie. ale bie
praktiſch ſten an. Sein Wort au halten galt für Thorheit; ber
Eid war nichts anders als ein perſtaͤrktes Wort, um geſchickter
zu hintergehen. Dieſe entſetzliche Verruchtheit war allgemein,
und auch Philipp war davon ergriffen und handelte oft nad
folhen Grundſaͤtzen, obgleich er im Grunde eine höhere Natur
wer und manchmol Gefühle won. Menſchlichkeit zeigte, von der
nen die Meißen nichts wußten. -Memnon erſcheint uns mach:
ber in der Geſchichte: das iſt eben der Fluch einer folgen Zeit,
daß ſolche Menſchen fo große Kräfte in der Geſchichte find, daß
die Edelſten ſich mu ihren in Beziehung fegen mäflen, um zu
erreichen, was ſich erreichen läͤßt; fo mußten ſelbſt Demoſthenes
und die Datrivien zu Memnon Beſtiehungen ſuchen, ja erwar⸗
teten von ihm Reuusg und Heil, obgleich fie ihn recht gut er⸗
kannten. Das find bie entſetzlichſten Schickſſale bie ein Volk
erfahren Kann, und Diefe muß man fennen und wiürbigen, um
das Unglück einer Zeit zu ermeſſen. wer
25 *
SH Bezwingung ber Eetnafiatihihen Empörer. Misnter nad Birmzen.
Oqus erſcheinen als perſonliche Vstisrnehwmungen; aber Bagoas
führte den Dipus darum mit fi, damit dieſer nicht in Gufa
ih gegen ihn empoͤrte und einen andern Chikierchen einſehte.
An Grauſamkeit fand Dihes biefem feinem Hansmeier nid
nach; es ſcheint, daß er dadurch ſich als König fühle, daß cr
eine Unmenfchligfeis felbgiubig befaßt.
As Diss zur Regierung kam, war Alles im Auffkande,
und die Empödrungen griffen immer weiter um ſich. Gatz
Kleinafien. war eben jegt abgefallen. Aber unter ih fhellte ſich
die Monarchie eine Zeitlang aus ihrem Berfalle aͤnßerlich wies
ber her, durch Gold und griechiſche Mieihstruppen.’
In die etſte Beit feiner Megierung fällt die Bezroingung
ber Empörungen in Kleinaſien, noch darch die Generale bei
Königs und wit Gold gemacht, indem man den einen Abtrün-
nigen gegen ben andern gewann. Unter biefea Emporern bes
fand fich ein Artabazus, der in Borberafien ber mächtige ge-
weien war, befonbers merkwürdig burch feine Verbindung wit
ben beiden Brüdern aus Rhodus, Mentor und Demuen, met
beren Schweſter Artabazus verheiratfet war. Rodus Hatte
fi damals der bariſchen Königin Artsmifla in die Arme ge-
worfens bie oligarchiſche Partei hatte Die Unterwerfung lieber
gewollt als die Breiheit; und fo war od mit bea afietiidpen
Getrapen in genaner Berbindung. Dieſe beiden Brüder aber
fanden hier alle Befriedigung für ihren ruchloſen, verwilderien
Sinn, wie griechiſche Gelege -thn nicht gewährten’. Sie Batten
vollkonmene Kehrlichkeit in Hinficht der Tuchtigkeit und more⸗
liſchen Achtungswuͤrdigkeit wit den liguiſtiſchen Führern im
dreißigiaͤßrigen Kriege: fie waren Griechen, aber nicht um eis
Saar beffer als die Barbaren damals, als Die Perſer.
In diefer unfeligen Zeit war das Sasautfche im Menſchen
zum ruhigen, volllommenen Bewußtſein gekommen, das Reine,
Edle, das. Gewiffen, die Scham vor dem Schlechten und Ehr⸗
leſen bie auch den Voſen ſonſt einwohat, waren ganz ver⸗
Menter und Memuon. 307
ſchwunden; wie dies bei ben Morgenlaͤndern allgemein der Fall
iſt, und wie es auch bei den liguiſtiſchen Heerfaͤhrern und bei
ben Führern des wallenſtein'ſchen Heeres war, wie bei den
fpanifhen Befehlshabern der damaligen Zeil, Man mag von
ber caftilifchen Ehre fagen, was man will, fo gibt es nichts
Verruchteres als diefe Keldberren son Ferdinand an, nieht bloß
in Amerika; Spinola mat wohl eine rühmliche Ausnahme,
aber eine Schwalbe macht keinen Sommer. Die uniernehmen-
den und tätigen Menſchen ber damaligen Zeit, Griechen ‚mie
Perfer, Hatten Anſichten wie wir fie im Prinzen von Macchia⸗
velli finden, bie Menſchen feien Geſindel, es ſei nicht wahr,
daß man im Dienfchen den Bruder, bas Ebenbild Goties fehen
müfle; Liebe, Aufopferung, Hingebung ſeien Thorheit uud Die
größte Lüge, auf Herrſchaft und Befriedigung ber Luft, davauf
Iomme Alles an. Macchiapelli ſelbſt Kefolgt dieſe Grundſaͤtze
nit, aber es waren bie der Zeit; er ſah feine andern Spriug⸗
febern ber menſchlichen Handlungen und erlannte fie als bie
praktiſch ſten an. Sein Wort zu halten galt für Thorheitz ber
Eid war nichts anders als ein perſtaͤrktes Wort, um gefdidter
zu himergehen. Diefe entfeglihe Verruchtheit war allgemein,
und auch Philipp war davon ergriffen unb handelte oft nad
ſolchen Brundfägen, obgleich er im Grunde eine höhere Ratur
wer und mandmol Gefühle won. Menſchlichkeit zeigte, ven der
wen hie Meiſten nichts wußien. Memnon erſcheint und nach:
ber in der Geſchichte: das iſt eben der Fluch einer ſolchen Zeit,
daß ſolche Menſchen ſo große Kräfte in der Geſchichte find, daß
die Edelſten ſich mis ihnen in Beziehung fegen mäflen, um zu
erreichen, was ſich erreichen laͤßt; fo mußten ſelbſt Demoſthenes
und die Patriorzen zu Memnon Beſiehungen ſuchen, ja erwar⸗
isten von ihm Retiusg und Heil, obgleich fie ihn recht gut er⸗
fannten. Das find die entfeglichften Schidfale die ein Voll
erfahren Tann, und biefe muß man Tennen und würdigen, um
dad Unglüd einer Zeit zu ermeſſen. = |
25 *
28 Aufkand der Bäornicier. Sultan Phoenicien's.
Mit ihrem Schwager waren jene Brüber aus Aſien nad
mißlungener Empörung geflüchtet; Aller Augen waren auf fie
gerichtet, weil fie bie größten ſtrategiſchen Genies ihrer Zeit
waren. Sie wurden nun in bie Begebenheiten buch die Em-
pörung ber Phoenicier hineingezogen.
Natürlich Hatten dieſe Kriege bie Bedürfniffe der Schatz⸗
Sammer bes großen Könige vermehrt, während zugleich ber
Umfang bes Reiches Kleiner geworben war. Aus dem Ofen
vernehmen wir zwar nichts, indefien aus den Eroberungen
bes Alexander erfeben wir, wie auch ber: Often zufammenge-
ſchmolzen wars; er iR nicht mehr fo wie Herobot ihn befchreißt.
In Herobor’s Zeit war Indien am Indus perfiih und Baktra
eine ber vornehmſten Provinzen; aber zur Zeit Aleranber’s ik
Baktra in einer fo loſen Verbindung mit dem Reich, daß die Sa⸗
trapen von Baltra ſich leicht Iosfagen Eonnten, und Indien war
ganz verloren. Dabei fehlte Aegypten. So waren zum Theil
bie reihften Provinzen verloren und dabei waren die Bebürf-
niffe der Schatzlammer wegen bes Kriegs nicht vermindert: um
fo dradender warb das Joch für die übriggebliebenen. Beſon⸗
bers Außerte fi bie Tyrannei in ben phoenicifchen Städten.
Die Form bes phoenicifchen Staats. war unter den Perfern
ungeänbert geblieben, unb nur yerfifche Statthalter waren dort,
wie Aberall mo organifirte Städte waren. Cyrus ſcheint den
Phoeniciern günftige Bedingungen gegeben zu haben, bie ihnen
freilich nicht gehalten wurben. Sidon, Tyrus, Aradus waren
bamal6 bie brei phoeniciſchen Orte, und biefe hatten eine ge-
meinfame Eolonie Tripolis, 'die ben drei Orten neben einander
zugebörte, wie 3.8. bie Roͤmer, LTatiner und Hernifer die Co⸗
Ionie Antium als Föberatioftabt befaßen, viel verſtaͤndiger als
bie Colonie von Washington, bie für fich beſtehen fol‘). ’Hier
2) Dies niag uns lehren, wie thöricht man ans ber Gleichheit ber Um⸗
fände Folgernugen gezogen hat. Die Stadt Alla hatte im Mittel:
alter vier Thelle: der eine gehörte den Pifanern, der andere ben Jo
hanniterrittern, ber dritte bem Patriarchen zu Serufalem u. f. w. und
Aneſichten der Phoeuicier. 980
hatte bie Yöberation ber drei Stäbte ihren Mittelpunct, ihre
Landtage. Jede einzelne Stabt aber hatte ihre eigene Regie⸗
rung’; ihre Berfaflung war republicanifih, aber mit Koͤnigen,
meift erblichen, bisweilen aber waren auch, nach Menander über
Tyrus, zu Cyrus erwählte Könige, obwohl es eine koͤnigliche
Dynaftie gab. Unter den Babyloniern berief zu verſchiedenen
Zeiten, wenn ber Sohn nicht auf den Vater folgte, ber König
von Babel einen aus bem Koͤnigsgeſchlechte zur Regierung;
bann war es Wahlreich, unter den Perfern waren wieber erb-
liche Könige. In Sidon hatten die perfifchen Statthalter ihren
Sig und übten ihre Gewalt aus,
Ein perfiiher Satrap mag ein Unmenſch geweſen fein, und
bie Phoenicier durch Handlungen der Unterbrücking gereizt, durch
Unmenfchlichleiten zur Wuth gebracht, empörten ſich und ver⸗
übten Graͤuel gegen die Perfer, bie die Verſoͤhnung unmöglich
machten.
Man nimmt es als eine Milderung ber Herrfchaft barkı= 71.2.
riſcher Boͤller an, daß fle fi in die Innere Regierung gebildeter
Bölfer die ihnen unterworfen find nicht miſchen, ſondern fich
bamit begnügen wenn fie nur bie Oberherrſchaft Haben. Und
allerdings trägt dies zur Erhaltung ber Originalität ſolcher
Volter, zur Erhaltung aller Sitten und Gefege bei. Aber es
if eine große Srage für unbefangene Erörterung, ob biefer Vor⸗
theil den Nachtheil aufwiege. Durch Roheit, plötlihes über-
mächtiges gewaliſames Eingreifen, bespotiih und perſoͤnlich,
wird am Ende nur eine Anarchie übrig gelafien, und bei ber
Herrfehaft barbarifcher Völker iſt diefer Nachtheil überwiegend;
es bringt die beherrſchten Völker von ihrer eigenen Civiliſation
zuruck. Das unmittelbare. deöpotifche Eingreifen folder Völler
führt zu Gewaltſamkeiten ohne Ende, und wenn ber Tribut
num ſchloß man, daß dies ans dem Gebrauch in Bhoenicien bergefoms
men fel. Solche Folgerungen find In einzelnen Fällen richtig, aber
man darg2nicht wo folche Aehnlichkeiten fich finden, auch gleich auf folde-
Folgerungen kommen. 1826.
080 Mtnfkkabe der Umpbeung.
auch oft wicht merſchwinglich ift, ſo tft dad Joch doch unleib-
lich. In entfernten Gebirgen find bie Linterworfenen wicht fo
leicht gm erreichen, aber in ber Nähe des Sitzes ber Gewalt if
der Diud ganz uneriräglih; daher find Emporungen gegen
ſolche Regierungen voll von Handlungen ber Unmenjchlichkeit:
fo der Aufſtand der Griechen gegen die Türken, fo ber der Phoe⸗
nicier gegen die Perfer, und diefe Unmenfchlichleiten haben Er⸗
widerungen von Seiten ber Sieger zur Folge und bei jeber
Empörung fleigen im Orient die Graufamkeiten, die Gräud
und die Reartion, So war in Sidon dem Sige bed Satta⸗
ven bie yerfönliche Tyrannei ber perſiſchen Statthalter am Lin-
leidlichſten, und die Phoenieier übten bei ihrem Aufftanbe un-
menſchliche Rache an den Perſern deren fe habhaft wurden,
kraͤnkten und beleidigten ben König wo fie nur konnten, zerſtoͤr⸗
ten ben Palaſt des Satrapen und alles königliche Eigenthum.
Unter den damaligen Umfländen war die Empörung gar
nicht hoffnungslos. Sie vereinten fih mit Nektanebos, bem
Könige von Aegppten, 'der Fürzlich durch Bertreibung bed Iphi⸗
krates und Pharnabazus feinem Reiche Ruhm verihafft Hatte.
Auch Cypern war au gleicher Zeit im Aufftande gegen Perſien'.
Allerdings war ber Zuftand in Aegypten eben fo traurig als
der im perfifhen Reiche, An Patriotismus war bier nicht zu
benfen, Der aegpptiſche König hatte feine ärgften Feinde unter
feinen linterthanen, in feiner näcften Umgebung. So geſchah
es daß der Borgänger des Nektanebos den Thron durch eine
Empörung verlor, und fo war alle Ehre erftorken, daß biefer
um an feinem Reiche ſich zu rächen an ben Hof von Sufa ih
wandte und es wieder unter die Herrſchaft des großen Könige
su bringen fuchte‘). Die Phoenicier hatten zwar eine ungläd-
fie Lage für ihre Vertheidigung, da an ben meiſten Stellen
ihr Gebiet nur eine deutſche Meile weit in's Land hinein ging,
1) Der vorfiehende Abfag, mit Aueſchluß des erften Sapes vom Ende
ber 70. Vorl. hierhergeſetzt. 4.28%.
Anterwerfuug RhoenctenL. 21
unb allein durch ihre Seemacht kbounten fie ſich vertheibigen.
Wenn aber ber Aufſtand nur ertraͤglich geleitet worden wäre,
fo Hätten fie ſich halten können. Allrin auch bie Phoenicier
waren gleich den Aegyptiern nur noch ein großer Name, Rur
noch bie Ueberlieferung ihrer alten Herrlichkeit, das Anbenfen
an große Erfindungen in Künften und Wiſſenſchaften war ihnen
Abrig: fie waren abgelebt, veraltet; wie fehr fle ein abgeſtor⸗
benes Volk waren, zeigt ihr Schickſal). Auch fie kannten fein
anbered Mittel fi zu veriheibigen als mit Copnfoldaten : Men⸗
tes war deren Befehlshaber, |
Dhus. hide fh nun an Phoenieien, Aegypten und 4. Di. 107/8.
yern Wieder zu unterwerfen, und fanbte beshalb nach griechi-
fen Zruppen und griechiſchen Kelbherren, Damals ging Pho⸗
Kon in perſiſchen Sold, deſſen mufterhufle Tugend ſich nicht
ſcheute gegen ein braves Volk zu ziehen, bad feine Freiheit
waßrte, und die Thebaner begingen bie Schaͤndlichkeit an ben
Perferkömig ein Truppencorps gegen Aegypten und Phoenicien
pa verkaufen‘, So warb burd die Ehrloſigkeit der Griechen
bie perſiſche Monarchie wieder hergeſtellt.
Bagoas bewog jetzt den König ſich ſelbſt an bie Sie
bed Deeres gegen Phoenicien und Aegypten zu ſtellen. Zuerſt
unternahm er bie Unierjochung Phoenirien's. Den Kern feines
Heeres machten 10,000 Griechen auss bie Uebrigen machten nur
eine Zahl aus, höchſtens gui, um wit ihnen bie Bräben aus⸗
zufüllen?, Die entfegliche moraliſche Ausartung ber Zeit zeigt
ih am Graͤßlichſten in biefer phoeniciichen Empörung, in dem
Schickſale von Sidon, eine Ansartung, bie uns tief empfinden
läßt, wie unglüdlich die großen Männer ber damaligen Zeit
fein mußten, wie namentlich Demoſthenes ).
) On dieſer Stelle Hat N. Bemerkungen über bie pheeuiciiche Verfaſſung
gemacht, bie zur Grgänzung und Erläuterung anderer Bemerkungen
über denſelben Gegenſtand S.388 3.21 benugt worden find. A. d. H.
2) Der letzte Say iſt vom Schluße der 70. Votl. hiechergefept. A. d. H.
92 Nubertwerfuitg Wheenicken's.
Bon Tyrus und Aradus if im dieſer Kataſtrophe bei Dies
dor nicht weiter bie Rede) und feine Erzählung iſt bie einzige
Duelle hierüber. Wir wiſſen alſo nicht, ob fie ſchon beim Er-
ſcheinen bes perſiſchen Heeres abfielen, ober erſt nad). ber Zer⸗
förung von Sidon. Gidon warb durch einen boppelten Ver⸗
rath zerſtoͤrt; wicht bloß Yon ben LTohnfolbaten und Mentor,
ber die Phoenicier um ben Preis verrieth, daß er mit feinem
Bruder und feinem Schwager Artabazus zu Gnaden fam, und
fe ihre Befigungen in Borberafien wieder erhielten; nicht ge⸗
nug, auch ber König von Sidon ſelbſt, Tennes, theilte die
Schaͤndlichkeit und verrieth feine Unterthanen für Bortheile,
bie ber Perferlönig ihm gerne zuficherie. Zum Handgelde fei-
ned Verraths überlieferte er bem Könige zuerſt eine Geſandi⸗
fhaft 'von hundert der ebelften’ Sibonier die er angeblich zur
Berathung nad Tripolis führte. ’Die Perfer waren offenbar
nicht vor Sidon gelagert, ſondern auf irgend einem andern
Buncte Phoenicien’s, fo baß man frei aus und eingehen fonnte.
Die hundert Sidonier wurden ermorbet, Tennes gefhägt’, und
als durch dieſen Berrath bie Ueberantwortung ber Stadt noch
nicht herbeigeführt war, feßte er feinen Verrath von Stufe zu
Stufe fort. ’Die Perfer rüdten nun vor bad beſtürzte Sibon:
bie Stabi fhidte 500 der Bornehmften hinaus, um Gnade und
eine Capitulation zu erfleben. Deus aber fragte ben Berrä-
ther, ob er ihm dafür bürge, baf er durch Verrath die Stabi
einnehmen könne, dann wolle er jetzt ein Beifpiel fiatuiren: ber
Berräther antwortete, fie werbe beſtimmt übergeben werben;
und nun wurben bie 500 mit Pfeilen niebergefchoflen’. Sept
öffnete Tennes mit Hülfe ded Mentor dem perſiſchen Könige
ein Thor, Das Schidfal Sidon's gehört zu ben enifeglichkten
bie die Geſchichte Tennt, e8 warb behandelt wie eine mit Sturm
genommene Stabt: bie verzweifelten Einwohner ſteckien bie Stabt
in Brand und gaben ſich groͤßtentheils ſelbſt den Tod, um ſich
) Bel. aber Diod. XVI. 45 v. fin. A. d. HG.
belbzug gegen Aegypten. Berieingung des Lanubes. 508
und bie Ihrigen den Mißhandlungen zu entziehen. Ueberall
loberten die Flammen auf, und bie ganze Stadt warb: ein
Schutthaufen; mehr ald 40,000 Einwohner famen um. Den
Schutthaufen verkaufte ber König, um bas Golb und Silber
u. f. w. herauszuſuchen'. Tennes ſelbſt, als der große König
ihn nicht mehr brauchen Tonnte, 'fand den verbienten Lohn bes
Berraͤthers und’ wurbe hingerichtet, Mentor in perfifche Dienfte
genommen,
Hierauf ward der Zug gegen Aegypten forigefeht. Auch
bier veriheibigten fir) Nektanebss (fo muß man ihn ausſpre⸗
hen, nicht Neltansbus: die Latinifirung bes Worts in Nekta⸗
nebus hat bie falſche Ausſprache veranlagt) größtentheils mit
geworbenen Truppen wie Pfammenitus: er hatte freilich auch
ein aegpptiſches Heer, aber das half Ihm nichts. Anfänglich
zeigten. fich die Truppen ihm treu; aber er ſelbſt betrug füch fig
und ungeſchickt. 'Er Rand mit bem Hauptheere bei Peluſtum
in einem befeftigten Lager, ale Ochus bert erſchien. Die Lage
Aegypten's war damals befier als das vorige Mal, wo bie
Perſer Pelnſium umſchifften; jet aber hatten bie Perſer dutch
das Schickſal Phoenicien's keine Flotte, und ba ſie durch Die
Wuſte zu gehen ſich gar nicht erkühnten, mußten fie. über Pe⸗
Inkum ziehen. um in Aegypten einzubringen. Der gange pelu⸗
ſiſche Nilarm war aber flarf befegt und befeftigt, und in Pelu⸗
ſium Tag ein griechifches Corps'. Die Pofittion von Peluſtum
warb aber umgangen, "indem es einem griechifehen General in
yerfifchen Dienften gelang eine Colonne über den bubaſtiſchen
Arm zu führen, bie Aegyptier wurden in einer Schlacht geſchla⸗
gen, und nun’ enifloh Nektanebos nad Memphis. Das Heer
in Peluſium verlafien ergab fih. Nun verbreitete das perſiſche
Heer fi) über Aegypten und eroberte bie Städte einen. Dex
aegyptifche König bildete Fein Heer wieder, und nitgenbs warb
mehr Wiberfiand im Felde geleiſtet.
Rektansbos. gab bie Bertheibigung ganz auf und entſtoß "1. ?
BER Mentor uuh Dagoas thelen das Meid. rmerbung bes Dies,
nach Aeihiopirn; Aegypten wurbe ſchrecklich ausgepfünbest, "ie
Tempel wurden erbrochen', und bie Heiligthumer, bie heiligen
Bäder führte Bagoad weg, um fie von ben Prieſtern für
unerfihrminglicde Summen ausiöfen zu laſſen, wie bie Diongelen
in Jadien auch die Idole aus dem Pagoden mitſchleppten und fie
den Braminen für ungebenres Gelb wieder verfauften. Wie
Uegypten behandelt wurde, können wir uns leicht beufen, daß
ed Alexander als Befreier aufnahm’.
Das Meriwärdigfe dabei ift, wie Mentor und Bagoas
weiber einander intriguixten, um den Voriheil ber Groberung
ich Einer dem Andern zu entziehen, Solche Vorfälle zeigen
ſich auch im 17. Jahrhundert; ähnliche Schlochtigkeit komme im
bes legten Zeit des dreißigjährigen Krieges vor, wo Feigheü
und Berrath fo gewöhnlich waren, daß man fich derſelben kaum
fhämie: Odowalski fchrieb fegar eine Rechtfertigung, daß er
wnbezahlte Forderungen gehabt, und daß er ba er nicht bezaplt
werben, dieſe Belogenheit wahrgenommen habe, Dann mach⸗
ven Wentor und Bagoas, als fie ſich überzeugten, daß Beide
ſich Halten würben, einen Part das Neich gemeinfcheftlich zu
beherrſchen: Dchus war ganz in ihrer Gewalt. Bagoas er⸗
hielt das ganze obere Aſien, Memnon ganz Kleinaſien. Dieſe
Dertraͤge find auch ganz orientaliſch. Mentor iſt aber natär-
lich dem Bageas nicht treu geblieben‘, Er ging nun nach
ſNleinaſten und wußte das ganze Land wieder unter perffſche
Hoheit zu bringen: ſelbſt @ilicien iR nit mehr unter feinen
Königen. Nur Piflbien blieb frei.
Ta biefe Zeit fällt eine Erwähnung von ber Anweſenheit
des Bagoas in Jeruſalem bei Joſephus: es if die einzige De
wibenheit die er in bie fübifche Geſchichte einfchiebt; er Hätte
mehr geben können, wenn er befier gefucht hätte,
WE Ochus Hierauf nach Perfien zurädgelehrt war, iſt er
aus unbelannter Urfache mit Bagons zerfallen und nach 21jäh⸗
D1.110,3. giger Regierung’ von ihm wit ’allen feinen Söhnen bis auf
Hrfee, Darlus Cobemannad. 805
Arſes ermorbei worben. Den Urſes ſetzte Bageas nun anf
den Thron; 'Arſes war nur Scheinkonig, wie die romiſchon
Kaifer unter Ricimer; aber Bagoas warb auch feiner balb
müde, ermorbete auch ihn, und verfuchte nun eine Zeitlang
ſelbſt für ſich zu herrſchen. Allein das war mißlih und da ex
fürchtete gefürzt zu werden, fo übertrug er das Reich dem
legten ungluͤcklichen Darius Codomannus.
»Mit Arjes fcheint das Geſchlecht des Darius in gerader
männlicher Linie erlofchen zu fein: Darius Codomunnus van
war buch feine Mutter’ Enfel eines Bruders bes zweiten Ar⸗
tarerres unb bes Eyrus, eines Sohnes von Darius Noihns.
Wahrfiheinlich ſetzte Bagoas ihn nur auf den Thron, um ad
den Gebanfen zu gewöhnen, daß Jemand auf dem Throuf
figen Tünne, ber nit aus bem Stamme des Darius ſei. G
wollte auch ihn ermorben; Darius aber war vorbereifei und
Heß ihn das für den König bereitete Gift trinken. 7.
Darias hatte als Privatmann fi im perfiichen Heer vinen
Heldenruf erworben, und biefer Ruf ift auf ihn auch ald König
übertragen worden. Er hat in ber Gedichte eine gänfiige
Meinung. Ich ſehe aber nicht ein, daß er etwas gethan, wos
dur) dieſer Ruf gerechtfertigt wäre: er hat nicht. gewußt bie
Kräfte feines ungebenren Reiches gegen Alerauber zu gebrauchen.
An der Schlacht von Arbeln foll er tapfer geweſen fein: allrin
Dad iſt eine unendlich unbedeutende Eigenfchaft, die x mit Em
fenden theilte, und beren Abweſenheit nur Schande iſt. Aber
mit einem gefallenen Fuͤrſten verbindet fih ein wehmaäthiges
Andenten, und dies wird baburch vergrößert, daß ev menſchlich
war. Bon ihm wird Feine einzige Handlung ber Grauſamlrit
erzaͤhlt, bie ſonſt auch bei ben beſten Orientalen ſich findet, bie
fetten Dienfihen anders als Inſelten betrachten. Er muß ein
fanftes, mildes, menſchliches Gemuͤth gehabt- haben.
Augenblidiich war damals, ehe der Krieg mit nlerander
aushbrach, im perſiſchen Reiche vom Hellespont bib zum AN
®
28 Berhältuis Griechenland's zu Berlin. afidi der Khetoren
dem Anſcheine wach Alles rublg, wie es Innge Zeit nicht gewe-
fen war; aber aus den folgenden Creigniffen, an bem Zu-
Anne, ia dem Alexander es fand, fieht man daß es nur die
Ruhe des Todes war, daß das Reich ein alter, abgelebter, ab-
geflorbener Körper war, von abſoluter Kraftloſigkeit. Noch
eine Zeitlang hätte es ſo beſtehen Töunen, wenn Aleranber nicht
feinen Zug unternommen hätte: dann wärbe wahrſcheinlich ein
Getrap nad dem aubern abgefallen, und das Reich fo einge-
gangen fein.’
Die Eroberung des perſiſchen Reihe war ſchon Lange ein
Meblingsthema der griehifchen Sophiſten, namentli des Iſo⸗
krates in feiner Rebe an den Philipp. Ich glaube, Daß Iſo⸗
Iuared Perſien für eine wirkliche Macht hielt und glaubte bem
griechifpen Bolt einen Dienk zu leiſten, wenn er ben Philipp
zermöge die Waffen gegen Perfien zu wenden. ’Allerbinge
hatte and Ochus jetzt einen infolenten Ton gegen bie Griechen,
Gelb Athen angenommen, und bie Satrapen bebrobten bie In:
fen. Nhodos war perfiih, in Ehios und Lesbos wirkte das
verſiſche Bold’. Auch war es gewiß bei ben Griechen über⸗
haupt eine weit verbreitete Borfiellung, wie herrlih es fei,
wenn nun Europa ſich auf Aften werfe, um ben Zug bes Kerred
zu vergelten. Daß die Sache nicht fchwer war, barüber war
man feit bem Zuge der Zehntaufend allgemein einig, 'und es
haite ſich jet ja gezeigt, daß das Rei nur durch griechifce
Miethlinge zufammengehalten ward’,
Weile Männer in Athen aber betrachteten dieſes perſiſche
Reich im Gegenſatze gegen Malebonien als bas minbere Uebel
und als das einzige Mittel, wodurch Athen und Griechenland
mbglicher Weile einen Stüspunct finden unb ihre Freiheit ge-
wen Mafebonien behaupten konnten. Daher if es Fein Wunber,
auch nicht zu tadeln, daß Demoſthenes ſchon Tange mit ben
Gerfern in Beziehungen geftanden hatte gegen Makedonien für
fein Vaterland: barüber iR viel berfamirt worben, aber bie
Mirkliche Lage der Sache. 397
Sache iſt die einfachſte von ber Welt, Allein das bloße nega⸗
tive Daſein Perſien's rettete Athen nach der Schlacht von Chae⸗
ronea; die Furcht, daß die perſiſche und die atheniſche Flotte
ſich auf Makedonien werfen koͤnnten, bewog allein Philipp, deit
Athenern fo gunſtige Friedensbedingungen zu geben. Daher
bie Gnade und ber Edelmuth bes Philipp! So Tange das
perſiſche Reich beſtand war die Knechtſchaft Griechenland's nichts
weniger als unwiderruflich; wenn nur die Peloponneſier befehri
wurden und ihnen bie Augen aufgingen über bie mälchonifche
Tyrannei, fo war die Macht Makedonien's nur vorübergehend.
Wenn in der gewöhnlichen Geſchichte folhe Dinge vorkommen,.
dag Demofihened von Perſien Gold erhalten ‚habe, um Bid
Athener in Beziehung zu Perfien zu ſetzen, fo iſt dies eine eben
jo platte Verläumdung, wie bie ber franzöflichen Bülletins in
der Zeit des napoleonifchen Kriegs, die von den Tyrolern ſag⸗
ten, ſie ſeien durch engliſches Gold aufgewiegelt.
Es warb Frieden zwiſchen Athen und Philipp gefchloffeh
und damals war ed das Nichtigfte den Frieden zu ſchließen )3
ed war bie Zeit ber Uſurpation des Bagoas. Darius war
träge, ein guter Menſch wie er gewefen fein mag. Yür ie
Griechen war die Ausficht, daß indeffen die Rhodier und UArta⸗
bazus nach Kleinafien herabgefommen waren; Artabazus aber
ſtarb Bald. "Mentor if ein gräßficher Menſch, Memnon er⸗
ſcheint nicht auf diefelbe Weife ungeheuer, allein darum bin ich
enifernt ihn als Ehrenmann anzufehen: er wird gewiß feine
Zeit angemeſſen gewefen fein. Demnon war ein Mann von
großem Talente, ein großes entfchiebenes Feldherrntalent. Nichte
war zu thun als ſich an ihn anzufchließen. So feuten ſich Wie
atheniſchen Patrioten in unmittelbare Beziehung zu Mentor,
unter andern Ephialtes, ein vortrefflicher Mann, 'burchaus ein
großes militärifches Genie, unerſchütterlich kühn ohne Furcht
und Tadel: den Dinarch fein Feind auf eine Weiſe erwähnt,
9 Of. dns entgegengefehte Urtheil vben S. 368. ig?
EL. Dirkliche Lage ver Sache. Grfe Beindfeligieiten
(x.Anmocd.$.,33.) daß man flieht wie perfäutich geachtet ex war’:
vielleicht ein Nachlomme jenes zu Perikles’ Jugendzeit berifnien
Bollsfsenndes, den wir nur aus den Erwähnungen fennen, wo er
neben feinem Freunde genannt wird. Diefer verließ Griechenland;
wie bie beutfchen Offiziere von den Beften ber Nation in bem
Kriegen von 1805 und 1806 dahin gingen wo ein Staat ges
gen Napoleon nuter den Waffen ſtand um geges ihn zu käm⸗
pfen, olme zu fragen, ob in anderer Dinficht ba viel zu Iohen
oder zu tabeln ſei: in folder Geſinnung gingen Ephialtes und
ein Miltiades, auch wahrſcheinlich ein Nachkomme des großen
Miältiades,ferner Kritias, der Sohn bes Iphikrates, Urenlei
des Kritias ber ein Bruderſohn des Solon geweſen“, alſo bie
Männer von ben edelſten Geſchlechtern Athen's, zu Menmnon
und den Perſern. Ephialtes war die Seele der Vertheidigung
won Halilarnaſſos. Viele Freiwillige aus Athen kaͤmpften in
der Schlacht am Granikus gegen Alerander, in ber am Paropa⸗
miſas waren mehrere Griechen, mehrmals wurben Griechen ge
fangen genommen‘, .
Se müflen wir den Krieg bes Alexander von Anfang au
aus einem ganz anderen Geſichtspuncte beivachten, als wie ex
gewobulich erzäplt wird. Anfangs [muß man gegen ihn fein],
wechher wenn Alles entſchieden if, Tann man für feine Seite
mehr Pariei nehmen, fondern man fieht zu, und macht es wie
der Großpezier zur Zeit Ludwig XIV, dem auch nichts Dazau
ag, vb Schweine und Hunde fi biſſen. So iſt es und einer-
kei wie es mit dem Uebrigen geht, ale Athen nicht mehr gehol⸗
fen werben Eounie: Perfer uub Maledoner waren Kiner wie ber
AUudere. Zudefien Afien war morfch, das uralte Afien war fchon
(enge bin und ba war es für das Intellectuelle, für Das reg⸗
ſame, geißige Leben: gut, baf ed unterwerfen warb,
Kin, eigenshänlicher Umſtand ift, daß die erſten Keinbfelig-
leiten im Irrion nieht yorlomaum. Cr beſchraͤukt fi auf Alexan⸗
ber,. und bei ihm fies es aus, als oh biefer zuerfi übergegangen
der Malevanier gegen Perfien under Phillpp. 888
fei. Wer die Erwähnung bei Diodor zeigt, daß ſchen Milippy
Drei Jahre vor dem Uebergange Aleranber’s ') ein Heer unier
Attalus und Parmenio über den Hellespont geſaudt hate —
es wer unser ber Regierung des Arſes — welthes fü umge
hindert in Myfien und Troas ausbreitete, ſich der lesbiſchen
Staädie und Tenedos bemächtigte‘, und einen großen Landſtrich
beſetzt hielt. Schon hatte Kpzikus fich ihnen angeſchloſſen: umge
durch einen. fühnen Marſch in ber ſchwuͤlen Jahreszeit entriß
Mentor es ihnen wieder, Dies Heer if aber nicht bis anf
Alexanders Uebergang dort geblisben, Attalus warb von
Alezander hingerichtet, weil er in die Verſchwoͤrung gegen Pie
linp verwickelt ſei: eine enifegliche Vermuthung aber iſt es, daß Aue
eigentliche Urſache, warum Alexander ihn aus der Welt ſchaffie.
die war, weil er ber Oheim Kleopatra's, der jüngfen Gemahr
Us Philipp’s war. Und nun mwurbe das mafebonifehe Heat
entweder zurücdgerufen, ober Mentor Hat 28 gezwungen Fi
über den Hellespont zurudzuziehen. Dies if ein mexfwürbiges
Beiſpiel wie die Geſchichte zugeſchnitten wird: fonft ift es nicht
welthiſtorifch.
Geiſtiges Leben der — der frübern Zeit
und diefer Zeit.
Liuerariſch betrachtet hat dieſe Zeit eiwas volllomuen m
ralteriſtiſches im Vergleich, nicht mis ber Zeit. am. Ende bes
peloponnefifhen Krieges, fondern mit Dem Charakter der neu
zig Sehre früheren. Zeit, der perilleiſchen.
Schon ia der Zeit des Perikles hatte m Darf ir
) Die Hefte Haben „drei Jahre vor feinem Tode”: was aus einer
Rublafiung entweber der Schreibenden oder M.'s zullkmben zu ſehn
ſcheiat. Maͤmlich N. Hat gefagt oder fagen wollen: „rei Jahre mag
dem Uebergange Alexander s, vor feinem [scil. Philipp'e] Tode”;
mit ehrer bei dem miündfichen Vortrage Häuflgen und Kofhtwendigen
‚Uiicherhalung, Dex. Mistefay abex. IR ansgeſallen. A. du M.c
«oo Almähliges Erlöfipen des Poetiſchen ſeit Perikles.
here Geſtalt angenommen: das Obſective, Darfteliende und das
Lyriſche Hatten füh fhon verbunden. Das Eigenthumliche der
lyriſchen Poeſie iR ba, wo ber Dichter feine eignen Gefühle
fingt, wie er die Begebenheiten empfindet, wo er bie Befühk
feiner Seele in Befang ausfrömt. Wie der Vogel der in ber
Laften ſchwebt, fo iſt der Iyrifche Dichter; fein Leben muß fd
yon, in Geſang auflöfen. So waren die Dichter in ber Adi
prifchen Zeit, Der legte von biefen lyriſchen Dichtern , der
uber ſchon in eine andere Periode übergeht und ſchon dieſe
hochſte der Gaben Gottes auf andere Perfonen anwendete, nicht
bloß anf bie eigenen Gefühle, war Simonibes; noch mehr Pin-
Bar. Beide verfeuten fi aus ihrem eignen Gemäth in andere
Sagen: Pindar verfegte fih fchon mehr in Andere, ale er auf
feinem eigenen Gebiete if. Dies verband fih nun mit bem
Darftellenden, Dramatlichen, 'und indem der Dichter fh in bie
Sage und die Perfon ber einzelnen Dienfchen hineindachte, bald
wie Promecheus ber freche Titane fang, balb wie ber un-
guckliche gehorchende, entftand der Dialog in ber Tragoedie,
beffen Entwidelung bei Sophofles am Bollfommenfen if’.
Epifche Poeſie findet ſich noch unmittelbar vor dem pelo⸗
pongefifhen Krieg bei Rhianus, ber in feiner Art ein fehr be⸗
beutender Dichter war; hernach bei einem Dichter, den mir
nicht fo beurtheifen Fönnen, bei Panyaſis. In der fpätern Zeit
FR Die ewifche Poeſte ganz auegegangen, ganz natürlich weil ſich
die Sage mit ihrer Lebendigkeit verloren hatte. Die Sage hat
ihre Bilbbarkeit verloren, fie war vollendet, tobt.
172.8 Das Erlöfchen des eigentlich Poetiſchen iſt aber für biefe
Zelt ‘gegen die des Perikles und die vor ihm qaralteriſtiſch.
Wir haben in neuerer Zeit bie Parallele dazu. Bergleichen
wir die Griechen unter Philipp und Alexander mit benen vor
bem pelopormefifchen Kriege, fo if bei jenen ungemein mehr
Ausbildung, Gefchie verbreitet als in ber älteren Zeit größerer
Roßeit. Aber in ber neueren Zeit iſt das Genie überhaupt
Allmaͤhliches Erloſchen des Poeliſchen ſelt Perikles. 401
ſeltener, und wo es ſich zeigt hat es ein ganz anderes Feld, es
lebt in der Behandlung der Außenwelt, der Wirklichkeit, ſtatt
Daß es damals in ber idealiſchen Welt ſchwebte. Ein aͤhnliches
Berbältnig ift wenn wir in England Shakeſpeare's und Mil-
ton’s Zeit mit ber gegenwärtigen vergleichen; fo verhält ſich bei
uns die Zeit von Göthe's Jugend zu der jegigen und noch
mehr zu derjenigen Zeit, bie wir erwarten.
Sehr ange Zeit hat allerdings bei den Griechen, da bie
Bildung fo reich und mannicfaltig war, auch das Gefchid zum
Poetiſchen fortgedauert. Aber das Ausgehen bes Lyrifchen zeigt
fih nicht bloß darin, daß nach Sophofles Fein großes Dichter-
genie mehr da ift, fondern auch im Ausgehen ber alten Iyrifchen
Sorm in ber Tragoebie, womit Euripides fihon nichts mehr
anzufangen wußte, Die Friſche, die Kühnheit waren mit dem
peloponnefifhen Kriege erloſchen; alle Träume, alle Begeiftes
rung waren dahin durch den langen und elenden Krieg. Man
hatte zu traurige Erfahrungen gemacht, um fi über bie Ge—
genwart täufhen zu Tönnen: man konnte ſich nicht verhehlen
was man fei. Bei den Athenern, in ganz Griechenland war
außerordentliche Berarmung gegen frühere Zeit eingetreten, wie
fie fih in XRenophon's Geſchichte findet: fo im Buch rzegi rö-
ewv von Kenophon die Nachricht, daß viele verlafiene Bau⸗
Rellen in Athen ſich fänden.
Eine ſelbſtſtaͤndige Lyrik findet fih nur noch in Sieilien
bei Philoxenus und Telefted, aber ſchon ausgeartet, Aus ber
Dramatifchen Poeſie verfhwindet die Lyrik; ganz und gar aus
der Komoedie bald nad dem peloponneſiſchen Kriege, auch ſchon
weil die allgemeine Verarmung bie Aufführung der Chorgefänge
hinderte. Bon ber Tragoedie ber damaligen Zeit haben wir
feine Ueberreſte mehr erhalten, aber fie wirb fehr mittelmäßig
gewefen fein. Bon der mittleren Komoedie haben wir einen
beftimmten Begriff; fie war ein Mittelding: zwiſchen ber alten
und neuen ſteht fie fo in ber Mitte, wie bie Gebäube bes ſech⸗
Niebuhr Bortr. üb. d. A. G. I. 26
403 Uusbitbung der Metorit. KRheteorenſchulen.
zehnten Jahrhunderis zwiſchen ber gothiſchen und ber neuer
Bauart: in Nebenfachen erinnern fie an bie alte Form, in ber
Hauptſache gehen fie mit unbeſtimmtem Charakter zum Neuen
über. Diefe Komoedie iſt durchaus ein ganz unbebeuiendes
Weſen, "auf kleinliche Berhältniffe und alltägliche Situationen
beſchraͤnkt.
Mit Ausnahme der Philoſophie war die ganze Zeit eine
Uebergangszeit. Die wahre Richtung war das Proſaiſche, auf
das Beftehende, Borhandene gewendet; dies wurbe behandelt
mit Anwendung ber Formen, die fi in der idealiſchen fchöpfe:
riſchen Zeit gebildet hatten. Das wirklich Beflchende, Alltäg-
liche war ber Stoff.
Sn früherer Zeit bat es feine Kunft der Rebe gegeben.
Thufybides hatte zwar bie Borbilber feines Meiſters Antiphon,
aber an Unterricht dachte man nicht. Wer NRebner war fchuf
ſich feinen eignen Ausbrud, ſprach bie tiefflen Gedanken feiner
Seele aus, wie fie lebend und mannichfach in ihm auftraten.
Außer den alten Gnomen gab es fein Gemeingut der Rebe.
Daher war bie Kluft zwiſchen ben Mächtigen und Beredten
und denen bie fih überhaupt nur ausſprachen: ſchlicht und
einfach wie im täglichen Leben ſprachen, in ber Art wie wir
bie Altern römifchen Redner anfehen Tönnen, Das find bie >>9u-
unuare, nad einem ſchwer zu erflärenden Ausdruck ber fich in
der alten Rhetorik findet, für den ich Fein beutfched Wort weiß.
Diefe Evdvunuara bilden das Größte des Thufybibes, in ih⸗
nen rubt feine Kunſt. Der Gegenſtand beberrfht den Redner,
und bie Rebe bildet fi in ihm von felder aus, wie die Pythia
welche die Oralel ſpricht ohne felbft etwag dazu zu thun; man res
flectirte nicht. Aber jetzt nah dem Kriege warb ed anders.
Nun fing man an über die Rede zu reflestiren: durch Reflection
auf die Rede entfianden bie Rebnerfchulen des Iſaeus und bes
fonders bes Iſokrates.
Bon dem großen Meifter Antiphon koͤnnen wir ung einen
Antiphon. Lufee. Iſarns. Andokldes. 408
Begriff machen, obgleich nur zwei Aoyor Idımsıxol von ihm
übrig find; aber auch diefe laſſen feine Analogie zu Thufybides
erfennen. Geine Rebe, als er angeflagt wurbe, muß völlig
thukydideiſch gewefen fein. Neben ihm fland ein Mann, ber
von Kunft, von der eigentlich tiefen Beredſamkeit nichts hat,
nichts Portifches, Leinen Geift der mit Thukydides und Anti⸗
phon zu vergleichen ift, aber ein belebter, fühner, warmer, bil⸗
dender Geiftz das if Lyſias, der durch tiefe politiſche Bewe⸗
gung, durch Patriotismus, Freipeitsfinn beredt if, Durch unges
meine Klarheit und Kraft der Darftellung, Angemeffenheit und
Lehendigfeit bes Ausbruds, über ben bie Rhetoren vor ben
Zeiten Gicero’8 fehr verfchieben urtheilten. Er verwirrte big
Rhetoren: man verehrte bie älteren Mebner, bie Attifer, aber
im Grunde fühlte man fih mit ihnen nicht recht bebaglich ohne
bad doch geftehen zu wollen; man war nicht aufrichtig, fie
verehrten bie Aitifer, und doch gab ed Manches was ihnen viel
lieber war; aber mit Cicero war es anders,
Iſaeus genießt die rechte Bewunderung ber Alten, aber er
if ein gewöhnlicher Mann der viel tiefer fieht als die Vorher⸗
gehenden. Er und Andofides zeigen, wie unter benen, bie wir
elaffifche Autoren nennen, viele find bie niedriger flehen als
viele unfrer Zeitgenoffen. Andokides ift in der Art bes’ Lyſias
ein gewandter Sprecher aber auch faft nichts mehr; die Muſe
bes Lyſias iſt Patriotismus und Freiheitsſinn, Anbofides hat
aber nichts davon, Nur von Frankreich zu reden: es hat feit
der Revolution Redner gehabt wie Mirabeau, wie den feligen
be Serre'), der anderer Art ift, nicht fo Teidenichaftlichz aber
fogar unter ben eigen franzöfifchen Rednern gibt es mehr als
einen ben ich Lieber leſe als den Andoklides. Ebenſo ſtehen
mehrere unferer Zeitgenofien unter ben Engländern und Fran
) Die Hefte haben Sieyes; aber wie hätte N. ihn den „fellgen” nennen
fönnen, abgefehen davon daß er 1830 noch lebte? Zudem hat N. ihn
alo Redner nicht fo hoch geftellt. 2.0
26 *
404 RAokrates. Demoſthenes
zoſen weit über Iſaeus. Jede übertriebene Bewunderung rich⸗
tet ſich ſelbſt zu Grunde: entweber iſt fie nicht ehrlich oder fie
wird Dumm, Die allgemeine Frage wer größer fei, bie Alten
ober bie Neuen, wie Perrauft und Chapelain fie gethan haben,
gehört in die Kindheit diefer Discuffionen und iR äußerſt
dumm, Es gibt in der claffiichen Zeit Schriftſteller bie vie
unter den Neueren ſtehen; es gibt aber auch deren bie nie er:
reiht worden find, nie werben erreicht werden; Niemand unter
den Neneren bat Thukydides und Demoſthenes erreicht, und
Niemand wird fie erreichen: Shafefpeare aber ift in feiner Art
eben fo groß wie Sophoftes, obgleich er befien Schönheit nicht
Hat: er iR auf einer andern Linie,
So if auch Iſokrates ein durchaus ſchlechter, Fümmerlicer
Sährififteller, einer der gebanfenlofeften, armfeligftien Geiſter.
Er Hat fi eine Kunft gebildet, aber eine Kunſt des Scheins,
der Worte und ber Art des Reben, und nod mehr ber Re
densarten, nicht eine der Gedanken. Unbegreiflich if es, daß
er im Alterthume fo hoch angefeben war, fo großen Ruhm er-
Tangt hat. Wenn Männer hinzukamen, bie dieſe Kunft bes
Aengerlihen auf reiche Gedanken, tiefe Gefühle, Wis und Geiſt,
übertrugen, fo konnten dieſe Kormen zum gefälligen Ausbrud
bienen, und waren fehr brauchbar. Aber wäre diefe Kunſt nicht
von ſolchen Männern befruchtet worden, fo wäre fie Die er-
baͤrmlichſte aller Künfte geblieben.
Demofthenes iſt Fein Schüler des Iſokrates geweſen; er
hat fich ganz felbft ausgebildet, ausgenommen, daß er burd
Iſaeus' Schule gegangen ift, um mit bem bürgerlichen Rechte
und dem Procefie bekannt zu werben. Die Aoyoı dexamızoi
ernährten ben Dann, Mit dem Stubium bes bürgerlichen
Rechts war es aber in Athen eine eigene Sache; es gab Feine
Öffentliche Rechtsjchule, und um mit dem bürgerlichen Rechte
befannt zu werden, hielt man ſich daher, wie in Rom, bort auf
wo bie Verhandlungen gehalten wurben. Sfaeus aber war
und feine Seligenofien. 405
Advoeat, und bei ihm, der ſich befonders mit Civilproceſſen
befchäftigte, hat Demofibenes den Ciüvilproceß gelernt, ſonſt
nichts: Anderes konnte Sfaeus ihm nicht geben.
In Athen war ein Iauer, abgefandener Zufland bie De-
mofthenes erſchien. Er ging nicht zurüd in die vergangene
Zeit, bejammerte nicht, daß die fchönen Zeiten vergangen jeien,
fondern mit warmer Liebe und Treue für fein Volk wie es
einmal war ging er an’d Werl, Er ſpazierte nicht müßig auf
und nieder, declamirend über die gute alte Zeit des Perikles,
des Sophofles, des Solon oder gar des Thefens, und reeitirie
nicht Beihwörungsformeln um fie zurüdzurufen, fondern mit
fühnem Muthe erfaßte er die Gegenwart und verzagte nicht
unter den fchwierigflen Umfländen das Schwerfte auszuführen;
er feste den größten Geiſt daran und übertrug ihn auf
Die Behandlung des Gegenwärtigen in ber ebelften Form.
Die meiften feiner Zeitgenofien ergaben fih in den Drud ber
Gegenwart; er trat gegen biefelben auf, fuchte fein Volk über
Die Gegenwart zu erheben und fich gleich zu machen. Dad
edelſte Schaufpiel, fagte ein alter Stoifer, fei ein großer Dann
ber mit dem Schidjale ringe: das ift feiner mehr gewefen als
Demoſthenes. Nach einer Zeit großer Dürftigfeit erwachte un
ter ihm in Athen theild durch das Drängende ber Zeit,. theils
durch den Impuls den ein großer Mann gab, ungemein viel
Berfiand und ein ganz neuer Geil. Ed war eine Nuͤchtern⸗
heit gewefen, viel eleganter allerdings, wie vom breißigfährigen
Kriege bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts bei ung.
Demofthenes hatte viele geiftreiche Zeitgenoffen, aber fie
alle fanden weit unter ihm. Namentlih waren viele unter
ihnen die ihm durch ihre moralifche Divergenz durchaus gerade
enigegengefegt und feinbjelig waren. Unter biefen war Dema⸗
bes, ber rohe gemeine Matrofe, das größte Talent damals ne=
ben Demoſthenes. Der Sohn eines Booistnechts hatte er
ſelbſt dies Gewerbe in früher Jugend getrieben, als auf einmal
406 Demofifenes und feine Zeitgenoſſen.
fein Genie ihn antrieb vor ber Bolköverfammiung öffenstich als
Redner aufzutreten, und‘ ohne alles Stabium, durch feinen
Wis, fein Talent, namentlich durch feine Gabe zu impronifiren‘,
fhwang er fih fo empor daß er große Gewalt über das Bolt
ausübte, ja mitunter bem Bolt mehr zufagte ale Demoſthenes.
Mit einer Schamloſigkeit die bis zur Ehrlichfeit flieg, fagte er
dem Bolfe Alles geradezu heraus, was er fühlte und mit ihm
der ganze Pöbel. Dabei warb dem Pöbel wohl; er gab ihnen
dad Gefühl, fie könnten ſchlecht fein ohne befchimpft zu fein
und das gibt bei den Leuten eine orbentlihe Dankbarkeit. Dar:
über ift eine merfwürbige Stelle bei Plato, wie biefenigen, bie
boble Reben führen mit denen es ihnen nicht Ernſt if, ohne
Einfluß und ohnmaͤchtig find, wogegen andere Ungebifbete, bie
ben Leuten gerade heraus fagen, wie ed ihnen Ernſt und um's
Herz if, große Macht haben. Das gab der materialififchen
Ppilofophie in Kranfreih im 18. Jahrhundert bei den Köheren
Ständen fo ungeheuren Einfluß, weil man ſich bei ihr nicht zu
fhämen brauchte, bag man fo viehifh war: früher hatte man
ſich deſſen doch gefchämt, aber jetzt durfte man ed fein, wenn
man nur elegaut war, Man freute ſich Jemanden fo recht aus
bem Grunde bes Herzens heraus fagen zu hören, wie es Ei⸗
nem ſelbſt um's Her; war. Demabes ift ein merfwürbiger Cha⸗
rakter; er war fein bösartiger Menſch, mir if Demades viel
lieber als Aeſchines. Aeſchines hat bie Prätenfion eined guten
Bürgers, er erfrecht fi) fogar, den berunterzuxreißen ber wirf-
ld ein guter Bürger wars bas ift aber Alles Lüge unb Un⸗
wahrheit. Sein Haß gegen Demofthenes ift eben fo fehr Haß
der Mittelmäßigkeit gegen das Genie, als ber politifcden Aver⸗
flon, der Haß der Antipathie und bes Neides ber geifligen und
moralifhen Schlechtigfeit gegen das Vortreffliche. Demades
hingegen nahm die Sache unendlich naiv und fagte gerade her⸗
aus: daß es wohl andere Zeiten gegeben wo es nicht angegan-
gen, aber jetzt fei doch Alles verloren, und fo komme es nur
Demefigenes und feine Zeitgenoſſen. 40%
darauf an, daß man fein Schäfhen ſcheere; man müfle ben,
Staat verwalten, um von ihm fo viel Geld zu nehmen als
möglih, um luſtig zu Jeben: darüber genirte er fih gar nicht.
Er haßte übrigens Teinen Menſchen. Daraus erklärt fich fein
Denehmen gegen Demoſthenes: er haßte ihn nicht, fand ihn
wohl nur erfchrediih dumm. Manchmal hat er der Republif
wirklich fehr weſentliche Dienfte geleiftet: wie in böfen Zeiten
oft der edelfte Menſch ſchadet und der ſchlechteſte nut. In der
ganzen neuern Geſchichte gab es feinen reineren unbeicholteneren
Staatsmann als Pitt, und doch war in Zeiten ein fchlechter
nüslicher, ja nothwendiger ald er. So hat es oft ſchlechte Pa⸗
trioten gegeben, die doch dem Gemeinweſen fehr genügt haben,
Die anderen Zeitgenofien des Demofthenes waren weit un⸗
bedeutender. Bon Aeſchines ift geredet, Dem Demofthenes der
nächfte, sed magno intervallo proximus, wie Cicero in ber
Beredſamkeit fagt‘, fcheint Hyperides oder ıdes zu fein (denn
der Name wird eidns und Idns geſchrieben). Wahrfcheinlich
ift er der Berfaffer der Rebe über den Bertrag mit Aleranber,
bie unter ben demoſtheniſchen Neben flebt, gewiß aber nicht Dem
Demofihenes gehört, wie ſchon die alten Kritiker gefehen und
bewiefen haben‘ '). Sie ift etwas viel Befleres als die Neben
der Uebrigen, ‘und ift jene Rebe wirklich von ihm, fo fann man
dem Uriheil Cicero's beiftimmen’.
Sp war die Profa ganz das Herrfchende, und von Poefte
befland nur das Schlechtefte der mittleren Komoedie. Als bie
Rede, die durch die Politik begeiftert Inhalt befommen hatte,
nun wieder gelähmt war, wanbte fih das Talent auf die ei«
1) Da Libanius den Hyperives las fo ift feine Bemerkung, daß er biefe
Rede für hyperidiſch Halte, gewiß nicht zu verwerfen. Des Hyperides
Reden waren in der Bibliothef des Matthias Corvinus: fle blieben in
Dfen bis die Türken dieſe Bibliothek größtentheils zerſtörten, und bei
diefem Brande ift die Handfchrift verfehwunden. Doch hoffen wir ein
Fragment in den Eflogen des Konftantinus Porphyrogenitus ans eis
nem Goder in der vaticanifchen Bibliothek zu befommen. 1825.
406 Demofigeues und feine Zeltgenofien.
fein Genie ihn antrieb vor ber Vollbverſammlung öffentlich als
Redner aufzutreten, und‘ ohne alles Studium, durch feinen
Wis, fein Talent, namentlich durch feine Gabe zu improvifiren‘,
fhwang er fih fo empor daß er große Gewalt über das Bolf
ausübte, ja mitunter dem Bolt mehr zufagte als Demofthenes.
Mit einer Schamloſigkeit die bis zur Ehrlichkeit flieg, fagte er
dem Bolfe Alles geradezu heraus, was er fühlte und mit ihm
der ganze Poͤbel. Dabei warb dem Pöbel wohl; er gab ühnen
bad Gefühl, fie Fünnten ſchlecht fein ohne beſchimpft zu fein
und das gibt bei den Leuten eine ordentliche Dankbarkeit. Dar-
über ift eine merkwuͤrdige Stelle bei Plato, wie diejenigen, bie
hohle Reben führen mit denen es ihnen nicht Ernſt ift, obne
Einfluß und ohnmächtig find, wogegen andere Ungebilbete, bie
den Leuten gerabe heraus fagen, wie es ihnen Ernft und um's
Herz if, große Macht haben. Das gab der materialiftifchen
Hpilofophie in Frankreich im 18. Jahrhundert bei ben höheren
Ständen fo ungeheuren Einfluß, weil man ſich bei ihr nicht zu
fhämen brauchte, dag man fo viehifh war: früber batte man
fih deſſen doch geſchämt, aber jetzt durfte man es fein, wenn
man nur elegant war, Man freute ſich Jemanden fo recht aus
dem Grunde bes Herzens heraus fagen zu hören, wie es Ei:
nem ſelbſt um’s Herz war. Demades ift ein merfwürbiger Cha⸗
rafter; er war fein bösartiger Menſch, mir it Demabes viel
lieber als Aeſchines. Aeſchines hat die Prätenfion eines guten
Bürgers, er erfrecht ſich fogar, den berunterzureißen ber wirk⸗
Ki ein guter Bürger wars das iſt aber Alles Lüge und Un-
wahrheit, Sein Haß gegen Demofthenes ift eben fo fehr Haß
der Mittelmäßigfeit gegen das Genie, ald der politifchen Aver⸗
flon, der Haß der Antipathie und des Neides ber geifligen und
moraliſchen Schledtigfeit gegen das Vortreffliche. Demades
hingegen nahm die Sache unendlich naiv und fagte gerabe her:
aus: daß es wohl andere Zeiten gegeben wo es nicht augegan-
gen, aber feut ſei doch Alles verloren, unb fo komme es nur
Demoſthenes und feine Sellgenofien. 40%
barauf an, daß man fein Schäfhen fiheere; man müfle ben,
Staat verwalten, um von ihm fo viel Geld zu nehmen als
möglih, um Iuflig zu leben: darüber genirte er ſich gar nicht.
Er haßte übrigens keinen Menfchen. Daraus erflärt fich fein
Benehmen gegen Demoſthenes: er haßte ihn nicht, fand ihn
wohl nur erfchrediih Dumm. Manchmal hat er der Nepublif
wirklich ſehr weientlihe Dienfte geleiftet: wie in böfen Zeiten
oft ber edelfte Menſch ſchadet und der ſchlechteſte nutzt. In ber
ganzen neuern Geſchichte gab es feinen reineren unbefcholteneren
Staatsmann als Pitt, und doch war in Zeiten ein fchlechter
nüßlicher, ja nothwendiger als er, So hat es oft fchlechte Pa⸗
trioten gegeben, die doch dem Gemeinweſen fehr genuͤtzt haben,
Die anderen Zeitgenofien des Demofihenes waren weit un«
bedeutender. Bon Aeſchines ift geredet. Dem Demofthenes ber
nächfte, sed magno intervallo proximus, wie Cicero in ber
Beredſamkeit fagt’, feheint Hyperides oder des zu fein (denn
ber Name wirb eidns und long gefchrieben). Wahrſcheinlich
ift er der Berfafler der Rede über den Vertrag mit Aleranber,
bie unter ben bemofibenifchen Reben fteht, gewiß aber nicht dem
Demofthenes gehört, wie fihon die alien Kritiker gefehen und
bewiefen haben‘). Sie ift etwas viel Beflered als die Neben
ber Uebrigen, ’und ift jene Rede wirklich von ihm, 4 kann man
dem Urtheil Cicero's beiftimmen’.
So war die Proſa ganz das Herrſchende, und von Poeſie
beſtand nur das Schlechteſte der mittleren Komoedie. Als die
Rede, die durch die Politik begeiſtert Inhalt bekommen hatte,
nun wieber gelaͤhmt war, wandte ſich das Talent auf die ei-
) Da Libanins den Hyperides las fo ift feine Bemerkung, daß er biefe
Nede für hyperidiſch halte, gewiß nicht zu verwerfen. Des Hyperides
Reden waren in ber Bibliothek des Matthias Corvinus: fie blieben in
Dfen bis die Türken diefe Bibliothek größtentheils zerflörten, und bei
diefem Brande ift die Handfchrift verfchwunden. Doch hoffen wir ein
Bragment in den GEflogen des Konftantinus Porphyrogenitus aus ei⸗
nem Gober in der vatlcanifchen Bibliothek zu befommen. 1825.
408 Rene Geſtalt der Philoſophie. Ausbllonng der exacten Wifienfchaften.
gentlichen Wiſſenſchaften und auf die neue Komoebie, woria
mehr Verſtand war als in ber mittleren,
Diefe Zeit it auch die große Zeit ber Erfcheinung ber
platonifchen Philofophie, worin die alte höhere Poeſie übergeht:
wie denn Plato ſelbſt ein ganz bichterifher Geift war. Bei
den griechifchen Philofophen der damaligen Zeit ift e8 merfwär-
big, daß fie Inhalt und Gegenfland veränderten. Bei ben frü⸗
beren griechifchen Philofophen war die Philofophie eine Natur:
philofophie mit concreter Anfhauung, worin viele tiefe Phyſik,
Mathematik verförpert wars; biefe Naturphilofophie loöſt ſich auf,
und die Mathematif und wohl auch Naturgefchichte mit mathe-
matifcher Erbfunde bilden fih daraus. Es iſt faum möglid,
dag die Naturkunde auf einmal im Ariſtoteles fo vollendet ohne
Vorbilder entftanden if. Für die Mathematif und bie mathes
matifche Erdkunde haben die Früheren einzelne Formeln gehabt,
bie fie von den Fremden befommen haben: Thaled 3.3. hat
die Sonnenfinſterniß — wenn ed überhaupt wahr it — nicht
nach eigener mathematifher Einficht, fondern nad einzelnen
Kormeln aus dem Orient berechnet, wie es jest die Chineſen
thun. Die Mathematif eriftirte noch gar nicht. Nun bildete
fie fi zuerft, und wurde jest mit großem Intereſſe aufgenom⸗
men. Die außerordentliche Ausbildung der Mechanik zeugt
davon, bie feit dem peloponnefifchen Kriege an verfchiebenen
Orten mit größtem Eifer und Erfolg zu beftimmten Zweden
ausgebildet wird, Die Philoſophie if nicht mehr Naturphilo⸗
fophie fondern fie wird ganz trangfcendental, theologifch und
dialektiſch.
Dieſer ganz verſchiedene Charakter ihrer Richtung wird
durch die Verhaͤltniſſe der Zeit vollkommen erklärt. Was ehe⸗
mals von Theologie und. Nationalglaube geweſen war, war
erloſchen und nur noch in bloßen Formeln übrig, und ber Na—
turbienft war rein in verächtlihen Gögendienft aufgegangen,
Gefchichtfchreiber. In der Geſchichte Khetorik und Aritl. A409
Daher war das Bebürfniß nad Theologie und Glauben in
allen Gemüthern rege.
Mit Demofthenes erfäheint gleichzeitig Ariftoteled, und wie
Demoſthenes fi auf das Gegenwärtige wandte, wendete and)
er feine ganze ungeheure Geiftedfraft auf das Gegenwärtige in
Natur und Staat, Alles, was ift, ift für ihn eine Merkwür-
digfeit und hat, weil es iſt, ein Recht von ihm erkundigt zu
werden.
Die Geſchichte Haben wir fchon früher in ihren verfchiebe» 73. 8.
nen Epochen befhaut: erſt Aufzeichnung in annaliftifcher Weiſe;
das erſte Auffchreiben ber alten, beſonders mythiſchen Sagen;
alsdann bie Verbindung der Ränder- und Völlerkunde mit alten
Sagen, die erfien Anfänge der Aufzeichnung in ber gegenwärs
tigen Zeit und die Erzählung bei Hekataeus und Herodot. Hes
kataeus hat in der Völkerbeſchreibung ben Impuls gegeben, wir
würbigen ihn nicht genug: Herodot iſt gegen ihn ungeredt.
Dann kam nun die Befchreibung der erlebten Zeit auf, worin
fih zuerft Hellanifus verfuchte, der aber wohl fehr mittelmäßig
gewefen fein dürfte. Dann auf einmal erbliden wir bie Ge⸗
ſchichte in ihrer hoͤchſten Vollendung im Thukydides. Nach ihm -
ruht Die Gefchichtfchreibung, und mehr als ein Menfchenalter
von dreißig Jahren ift Gefchichte nicht gefchrieben worden. Erſt
nad der Schlacht von Mantinea iſt fie wieder angefangen von
Anarimenes und Xenophon, der ein Supplement des Thukydi⸗
des fhon früh anfing: wie ſchlecht ift oben gefagt.
Als man nun eine Redekunſt zu haben glaubte mit ber
man die Beredfamfeit machte, warb dieſe auch Grundlage bes
profaifhen Schreibens und ber Geſchichte, und auf biefer
Grundlage ging die Gefchichte fort. So gingen Hiftorifer aus
der Schule des Sfofrates hervor, zwei berühmte Hiftorifer,
Ephorus und Theopompus, etwas jünger ald Demofthenes,
Ephorus iſt ein Schrififteller von ungemeinem Berbienft und
Werthe. Nach dem Berluft der griechifchen Lyriler, über bie
410 In der Geſchichte Rhetorik uud Kriti.
nichts am Herrlichkeit geht, ift kein Verluſt den wir ſchmerzli⸗
cher empfinden als ber ber Geſchichte des Ephorus. Er war
ein hoͤchſt wahrhafter Dann und hatte hiſtoriſches Talent zur
Kritik und Unterfuhung: er ift der Exfte, ber eigentlich hiſto⸗
rifche Kritik in einem großen Umfange angewandt hat, "und bei
dem die Geſchichte als wiſſenſchaftliche Disciplin ericheint’. Er
ſchrieb fehr anſpruchslos, und deswegen hat er, als bie Rhe⸗
toren herrſchten, viel weniger als Schriftfteller gegolten wie er
bei uns gelten würde. Ganz entgegengefekt würbe unfer Ur-
teil über Theopomp fein: feine Berebfamfeit wird gelobt, aber
ex war ein Rhetor von ber unmwahren unächten Art; er ver-
band eine ſchlechte Manier, aufgeblafenen Styl, Breite, Weit:
fchweifigfeit mit einer höchft verwerflichen Gefinnung, mit Lügen
und Bösartigleit des Charakters. Um fi mit ber Geſchichte
würdig zu befchäftigen, if ein Oaupterforberniß, daß wir das
Herz am rechten Fle haben. Was fümmern und vergangene
Zeiten, wenn wir uns nicht an großen Thaten und Dingen
erfreuen wollen, wenn bas Herz uns nicht für das fehlägt
was in alten Zeiten Großes geſchah? Nichts iſt abfcheulicher,
als wenn Menſchen fih daran geben die Geſchichte großer Zei-
ten gu fehreiben, die immer nur die Mängel und Gebrechen die⸗
fer großen Zeit hervorheben, um zu dem NRefultate zu kommen,
„bag Cats ein fo großer Schuft fei als fie ſelbſt,“ wie Pope
fagt. IH will nur Einen nennen, Menzel in Breslau, der
Alles herunterzureißen fucht, wofür unfer Herz fchlägt. Dieſer
Trieb ift eine Herzkrankheit fo Bieler. Bon der Art war Theo⸗
yonp: Alles was in ber griechiichen Gefchichte groß und herr⸗
lich war riß er herunter: er Iebte zu Athen, und dennoch war |
fein Streben Athen auf alle Weife herabzuwürbigen. Aller
dings war diefe Animofität eine ererbie: Athen hatte fi früher
wanderlei gegen fein Baterlandb zu Schulden kommen laſſen,
aber Chios hatte bafür den unglädlicen Bundesgenoflenfrieg
angefangen, der Gricchenland über ben Haufen warf, und nad
In der Geſchichte Rhetorik und Kritil. Eutwidelung ber Kunſt. 41
ber fih ganz von der griechifchen Sache losgeriſſen und ben
Perfern in die Arme geworfen. Wir haben Theopomp nicht
mehr. Er hatte fih Herodot zum Mufler genommen und dis⸗
ponirte feine Geſchichte mit Epifoden auf deffen Art; er fchrieb
mit großer Abfichtlichleit und Künftlichleit. Dabei war er
fehr Teihigläubig, und eine große Menge von Uebertreibun⸗
gen und Albernheiten find durch ihn in die Gefchidhte und
Bölferkunde gefommen, auch viele Verlaͤumdungen gegen vor⸗
trefflihe Männer. Doch hat er neben dieſen Albernheiten und
Unwahrheiten fehr viele Thatfachen enthalten, und fo vermiſſen
wir ihn: "wir würden durch ihn erfi Demoftbenes recht verſte⸗
ben, au umfaßte er die Gefchichte der nichtgriechifchen Böl«
fer, die mit den Griechen in Berührung waren’. Er batie
einen Oppofltionscharafter, er mußte anfeinden. Er grolite den
Ahenern, war aber auch nicht ein Anhänger ber Maledonier,
und fo war er mit der ganzen Welt-verfeindei. Das ſtellt ihm
als ſittlich beffer dar, als wenn er Knecht der Malebonier ges
weien wäre,
Zu gleiher Zeit fchrieb auch Kallifihenes bie Geſchichte
von dem Frieden des Antalfivae an bis auf das Ende bes
phofifchen Kriegs. Diefe Gefchichte hat Auf gehabt wegen fel-
nes Geiſtes: aber perfönlich iſt offenbar viel gegen ihn zu fagen
geweſen. Er war Sophift, obgleich Berwandter des Arifiotelee’.
Dies das Hauptfächlichftie. Ich habe nur eine Geſchichte
bes Geiſtes gegeben, nicht eine Ritteraturgefchichte was hier meine
Sache nicht if.
Mit der Kunſt hat ſich gerade dieſelbe Veraͤnderung zuge⸗
tragen wie mit ber Litteratur. Die älteren Griechen behandel⸗
ten die Kunft ibealifh. Das Spealifche beftand aber bei ihnen
nicht darin, wie man ed in ber Schule der Garaccis und in
ben fpäteren Schulen bes Verfalls im 17. und 18. Jahrhun⸗
bert meinte, daß man eine große Menge Schönheiten excerpirend
infammenfuchte, daß man fihöne Bilder machte Inden man aus
413 Guiwidelung der Kunſt.
verfchledenen ercerpirte, dag man von bem Einen eine Nafe
nahm, dort eine fchöne Hand u. f. w. und fo eine fchöne Ge⸗
Kalt zufammentrug. Die Alten nahmen einen ganz aubern
Weg beim Spealifhen. Sie ergriffen genau bie Umriſſe, das
Gerüfle des Lebens, und erfaßten mit dem Geiſte genau das
Bild deſſen, was bie fehaffende Natur hervorgebracht, die Idee,
welche fle in ber refractären Materie auszubilden ſuchte; fo ſchu⸗
fen fie das Bild ſich ſelbſt im Geiſte und ftellten den Gegen⸗
Rand der in der mangelhaften Materie immer mangelhaft ge:
blieben war in der Teichten Dlaterie dar. Daher kamen ben
Helteren Portraitfiatuen und Bilder als etwas ber Kunft gan;
Unwürbiges vor. Diefe eriflirten auch, aber ale Masken in
Wachs; diefe haben die Römer gewiß nicht allein gehabt. Die
Griechen dachten fih: wenn ich das Bild des Sophokles 3.2.
bilde, fo bilde ich es nicht wie er gerabe in ber Zeit ausſah
als ich ihn ſah, etwa ungefund, unwohl, nicht nach einer über:
ſtandnen Krankheit u. f. w., fondern ich faſſe mir das Geſicht
bes Mannes und frage mich, wie würden biefe Züge in ihrer
höchften Vollendung fein, wenn bas Leben nicht fo viele Mühen
zu überfleben hätte, wenn es nicht mit feinen Mängeln und
Berheerungen biefe Züge verwüflete? Auf biefe Weife arbeite:
ten fie in ihren Portraitftatuen, z. B. ber Sieger in den Weit
fampfen, Das ift ausprüdtich bezeugt. Unſere Art Portrait
zu malen und in Statuen barzuftellen fällt zuerft in Aleran-
der's Zeit.
Die alte, firenge, danteske Manier ift fchon mit dem pelo⸗
pomnefiichen Kriege verſchwunden in ber Darftellung wie in ber
Architektur. Unter Alexander fängt die Forinthifche Säulenord-
nung an, nachdem ſchon früher bie ioniſche aufgefommen war
und allmählich die borifhe Ordnung verdrängt hatte: dieſe
wurde nun gar nicht mehr angewandt. Zierlichleit, größere
Vollendung in ber Bormengebung, Anwendung einer größeren
Farbenzahl und beſſere Farbengebung, eine Zeichnung bie alles
untergang des Ueberllcſerten im Staate⸗ und Volleleben. MIE
Edige, Ungefällige vermeidet, war jest aufgekommen. Der
Charakter, den man erfizeht, ift Anmuth und Tieblichkeit. Die
alte Kunſt war in einigen Puncten geſliſſentlich ſtill geftanden:
dies {ft nie gut, ein Vorgehen muß fein. Aber jest war man
an bie gefährliche Gränze gelommen, von der aus nur no
Berfalt möglich war. Neben diefer Ausbildung zum Schönen
teitt jet das Hiftorifiren in ber Kunft ein. Schon Lyſipp war
Hortraitbildner, ein älterer Bruder von ihm war der Erfle ber
feine Statuen vollſtaͤndig portraitirte,
Schon vor dem peloponneſiſchen Kriege hatten die griechi⸗
ſchen Berfaffungen aufgehört Entwidelung ber -alten Verfaſſung
zu fein; die alte Bafls hatte fich ſelbſt verzehrt, Was von
Berfaffung da war, war nur noch Convenienz ber Gegenwart,
In der alten Zeit hatte man in den alten Weberkieferungen ge⸗
lebt als in dem eigentlih Herrlichen; barin hielt man Pas
Sefttagsleben des Geiſtes, das tägliche Leben war das gewöhns
lihe und davon zu reden fchien nit der Mühe werth; -man
lebte froh, aber die Jahre waren gleih und mit dem neuen
Sabre vergaß man des alten, wie wir ber Blüthen und Bäume
bes vorigen Jahres vergeflen über denen des gegenwärtigen.
In der Gegenwart lebte man bloß; was bie Menfchen beſchaͤf⸗
tigte waren bie alten Sagen. Daher war man damals fo Durch
und durch poetifch : in jedem Munde bildeten fich diefe Sagen
in taufenderlei Geftalten um. Diefes fchöne Sagenleben befam
einen enifiheibenden Stoß, als bie Gegenwart groß und glän-
zender warb als bie Vergangenheit, ald man erfl mit weniger
Aufmerkfamfeit, dann bald mit Geringfchäsung auf die Zeit
ber Vorfahren ſah. Als ich aus dem Kindesalter in das Jüng⸗
Iingsalter trat, und ſelbſt als ich ein paar Sahre im Jünglings⸗
alter zurüdgelegt hatte, fo erröthete ich wenn ich überbachte,
was ich Thoͤrichtes geredet, geihan: befihämt und verlegen ſah
ih auf die Kinderträume zurück; wie ich aber Alter wurbe
warb bie Erinnerung an bie Kindheit mir wieber lieb, und mit
gan Nöodergang des Vcherlieferien im Giants: und Bellsiehen.
zelferen Iahren fah ich die Lichlichleit diefer Träume ein. Jch
glaube, daß es den Meiften von Ihnen ebenfo geht, So er⸗
geht es auch ben lebendigen Bölfern: man ſchaͤmt ſich bes
Veberlieferten; fo ging es ben Römern und fo den Deutfchen
nad dem breißigfährigen Kriege, als fie fih einer fremben Lit
teratur überließen, Die Griechen hatten über ben perfifchen
Krieg fihon viel von ber Vergangenheit vergefien, obgleich He⸗
sobot noch im Stande war Aöyovg zu fammeln. Run kam ber
acht und zwanzigjährige peloponnefifche Krieg mit feinem Elende,
feiner Verwuͤſtung, moralifhen Entartung, wo man mit ber
hochſten Anftrengung um fein Dafein zu behaupten in ber Ge
genwart leben mußte; barüber mußte man bie Vergangenheit
vergeſſen. So waren bie Zeiten nad dem pelnponnefifchen
Kriege von ben früheren durch eine Kiuft gefchieden. Das if
eine Haupturfache, weswegen bie alte Poefte untergebt, benz
die Sage lebt nicht mehr fort, Weichylus und Sophofles hat-
sen bie Erzählungen von ber Amme und bem Bolfe her gelernt;
Jedermann wußte eine Sage von den alten Zeiten. Aber bie
Späteren hatten nichts, ale was fie von den früheren Dichter
fon bearbeitet fanden, Daher geht das Schöpferifche, Poe⸗
tiſche unier.
Defter ift die Rede geweien von ber Fähigfeit eines Stoffe
für epiſche Behaudlung. Mancherlei merkwürdige Dinge find
dabei von unferen Nachbarn und den Deutfchen felbfi gejagt;
oft hat man fehr ernfihaft gefagt: ein jeder epiſche Stoff müfle
ein gewiſſes Alter haben, dann erſt werbe er reif und brand:
bar; fo feien für Taffo die Kreuzzüge eben reif geweſen. Wir
hätten gegenwärtig Seinen vecht alten tanglihen Stoff. Allein
Die Sade if, daß nicht dag Alter einer Begebenheit fie epiſch
macht, fondern daß Fein Stoff eigentlich epiſch fein Tann, wenn
sr nicht Vollseigenthum, Jahrhunderte lang eine allgemeine
Vollsſage if, und im Munde ber Leute ſich bildet, bereichert,
bis er durch bichterifche Behandlung eine bleibende epifche Forn
Unfähigfelt Rewes zu bilden. Verwildernug. 415
erhält. Taflo’d Stoff war fo wenig reif, daß bie ehelichen
Staliäner felbR jet befennen, daß fein befreites Jernſalem ein
mißfungenes Werk fei: wer es noch lobt, zeigt Fein Urtheil,
ſchwatzt nad. Man muß es mit Wehmuth befennen: eo iR
ſchmerzlich daß. ein wirklich großer Geiſt dies Werk unter
nommen bat,
Diefe Beränderung in ber Sinneart der Griechen geht
ſehr weit, und daher gingen auch die angeſtammten Nativnal⸗
geſetze verloren und verloren ihren Sinn und ihre Kraft: fie
waren nicht mehr der eigenthbümliche Ausdruck ionifcher, dori⸗
fiber Berfaffung, der überlieferte Kern ihrer Eigenthümlichkeit.
Man befand ſich damals in ben griechifchen Staaten in dem⸗
felben Zuftande, in bem gegenwärtig in Europa alle Völker fi)
befinden, wenn neue geſellſchaftliche Einrichtungen zu bilden find:
daß dies Bloß nach ber Convenienz der Gegenwart geſchehen
muß, weil bie Bergangenheit die Kraft verloren bat. Iſt bie
Bergangenheit verfchwunden, fo ift fie ein tobter Leichnam, und
ſich daran zu halten, mit Gewalt darauf zu weiſen iſt Thorheit
und ſchafft Fragen. Man fol fo weit als möglich dahin ars
beiten, dag man bie gegenwärtigen Zuflände begreift und dem
Beften die größte Haltbarkeit zu geben ſucht: das allein könnte
einen gefunden tüchtigen Sinn ſchaffen. Bekennen muß man,
daß bie gegenwärtigen Zuflände denen vergangener Zeiten hierin
nachſtehen. Se war in Griechenland damals der Zuſammen⸗
bang zwifchen der alten Zeit und der Gegenwart zerriffen.
Die Sitten waren verändert, eine entſetzliche Verwilderung
mit entfeglihem Elend waren im peloponneftifhen Kriege ein-
getreten. Nicht nur waren alle VBölfer und Orte gegen einan-
ber erbittert; auch in ben Städten felbft waren überall bie
wüthendflen Parteiungen entflanden, bie darum ungleich ſchlim⸗
mer waren als bie alten Parteien, weil fie Factionen, ganz und
gar perfönlich waren. Faction if eine Partei, welche aus Leu⸗
ten befteht, die fi ihres Vortheils, ihrer Individualität wegen
416 HBerrſchaſt der Kachlonen.
zuſammenſchlagen; auch für Gutes kann es Factionen geben.
Parteien find vielmehr da, wo ſich die Theilungen, die in ei-
nem Staate zur Erhaltung feiner Lebensthätigfeit nie fehlen
Fönnen und follen, für befimmte Meinungen, überlieferte Ber:
haͤltniſſe theilen. Die Parteien brauchen gar nicht bie Erbit-
terung zu haben, bie ben Factionen eigen if. Sehr edle Men⸗
fen, jeder Menſch gehört der einen ober ber andern Partei
an, aber ohne alle Erbitterung können und follen fie gegen ein-
ander fieben. Aber in Factionen muß Gehäffigfeit und Feind⸗
feligfeit eintreten, und tritt felbft bei guten Menſchen ein, auf
wenn für das Gute ſich Factionen bilden. Was Partei fein
follte, geht nur zu oft in Kactionen über. Die Partei bee
Demoſthenes war wohl factio bonorum, aber man kann doch
nicht leugnen, daß die damaligen Spaltungen Factionen waren,
Su früheren Zeiten waren in Athen auch Entzweiungen gewe-
fen; aber wenn 3.3. unter Perikles die Fragen über die Macht
bes Areopags und die Demokratie einander enigegenflanden, fo
waren bies Parteien, wenigftens bis zu einem gewiflen Grabe.
Jetzt aber waren diefe Spaltungen perfönlich geworben: es war
wicht die Rede bavon, bie Form zu ändern, fondern wer in
dieſer Form herrſchen follte. In unferer Zeit rebuciren ſich bie
Theilungen, wo ein fogenanntes freies öffentliches Leben fein
ſoll, überall auf Fartionen: Whigs und Tories find einmal
Parteien gewefen, aber fie find jetzt Factionen geworben.
Alerander von Mafedonien.
Alerander’s Charakter Duellen feiner
Geſchichte.
Alexander war beim Tode ſeines Vaters zwanzig Jahre
alt. Er iſt das erſte Beiſpiel eines Mannes, eines Färften-
fohnes, für deſſen Erziehung alle VBortheile der königlichen Mit⸗
tel verwendet worben find, Bor Philipp’s Verfland und Ein-
ſicht Reſpect zu haben reicht hin, wenn mar and feinen andern
Beweis hätte, wenn man fieht, was er für die Erziehung feines
Sohnes that, und welche Mühe er fich gab den größten feiner
Zeitgenoffen, Ariftoteles, für feinen Sohn zn gewinnen und ihn
zu bewegen, Athen: zu verlaffen. Nur fcheint es nicht, daß
Philipp ganz ahnte, was Arifloteles feinen Zögling lehren,
und daß bie Erziehung feiner Moral und feines Herzens ihm
wichtiger erfcheinen werde als die intellectuelle Bildung, und
baf er dies gewollt hatte, da er ein roher Menfch war: aller⸗
dings ein Barbar yon gemaltigem Verflande, ein fehr geifl-
reicher Barbar, der ohne Zweifel fo gut griechiſch ſprach wie
bie Griechen, wie vornehme Barbaren franzöfifch fo vollkommen
ſprechen als es in Paris gefchieht. Ariftoteles ift baher auch
für Alexander's fittlihe Bildung nicht verantwortlih, Aber
doch macht es Philipp große Ehre, daß er Artftoteles fo würbigte
Niebuhr Bortr. üb. d. A. ©. 11. 27
74.8.
418 Erziehung Aleranter's. Seine Berühmtheit.
daß er Alles that was er für ihn thun Fonnte, um ihn zu ge
winnen, daß er ihm fogar feine zerflörte Baterfladt nach feinem
Berlangen herftellte: ein großes Zugeftändniß.
Alerander fland in feiner Jugend mit feinem Vater ſehr
gut. Allein fhon einige Jahre vor dem Tode feines Waters
entftand zwifchen ihnen heftige Entzweiung '), und ohne Zweifel
hat Alerander um den Morb feines Baterd gewußt.
Sehr wenige Menfchen haben in fo hohem Grade Be-
rühmtheit in Afien wie in Europa als Werander. Unter allen
Männern in der Geſchichte ift er außer Karl dem Großen, und
in geringerem Grabe Conftantin, der Einzige der zu einem
poetifchen Wefen geworden if. Was Karl der Große für das
Abendland war, das ift Alerander für den Orient: neben dem
Ruftam iſt er der Hauptheld der perfiihen Mähren und Ro-
mane. Auch für uns hat er eine außerordentlihe Bedeutung
dadurch, daß er der ganzen Welt eine neue Geſtalt gegeben
bat. Er hat begonnen was jetzt vollendet werben wirb trog
aller Hinderniffe, die Herrihaft Europa’s über Aften. Er bat
zuerſt die Europäer fiegreich in den Drient geführt. Afien’s
Nofle war zu Ende, und es war zur Dienfibarfeit unter Europa
beſtimmt. Er if ferner Nationalheld ber Griechen geworben,
obgleich ihnen fo fremb wie Napoleon den Franzofen: zwar
feitete er fein Geflecht von Griechen mythifh ab. Aus fra-
ben Anführungen finden wir, daß er ſchon während feines Lebens
und gleich nad feinem Tode diefe Popularität bei ben Griechen
gehabt hat, Im Anfange feiner Regierung hatte ex den Grie-
hen entſetzliches Leid angethan; aber er verlieh Griechenland
fo ſchnell und die Griechen waren fo geneigt fi bie Lorbeeren
zuzuſchreiben, die er für Mafebonien erfocht und gefällig ihnen
) Hier folgte eine ausſührliche Darfellung des Zwiſtes in ter Familie
"des Philipp und der Ermordung bes Königs, die theils zur Ergän:
jung der iu der 69. Vorl. gegebenen Erzählung benutzt, thells als
Wiederholung ganz weggelaſſen iR. Ad. G.
Benrtheilung ſeines Sharaktere. 419
mittheilte, daß er bald bei ihnen populär wurde, Wenn ex
ſchrieb „Alerander, König der Mafedonier und der Griechen,’
ließen fie ſich dies gerne gefallen.
Was aber feine Perfönlichfeit betrifft, fo werben wir fie
ganz anders anfehen. Mancher Rhetor, auch in älterer Zeit,
bat über ihn richtig geurtheilt. Wer kennt nicht die Geſchichte
vom GSeeräuber, den Alerander babe zum Tode verurtheilen
laffen, und ber vor ihn geführt ihm gefagt, es fei Fein Unter⸗
ſchied zwifchen ihnen! So nennen ihn aud die Morgenländer
Alerander den Räuber. Bon diefem Gefichtspuncte will id
nicht ausgehen, dreht fih doch die ganze Weltgefhichte um ben
Krieg und Eroberung: ich fprehe nur von feiner Perſönlichkeit.
Aber ohne die Declamationen zu theilen, die fo häufig gemacht
find, befenne ich mich unbedingt zu einem höchſt ungünftigen
Urtheil über ihn. Sehe ich einen jungen Mann, der im zwan⸗
zigften Sabre evident durch eine Verſchwoͤrung gegen feinen
Bater den Thron befteigt, der dann nach feiner Thronbefleigung
eine Graufamfeit der Politik zeigt, wie das Haus Medicio im
fechzehnten Sahrhundert, wie Cosmus von Medicis und feine
beiden Söhne; der nicht allein feine Stiefmutter der Olympias
aufopfert, auch das unfchuldige, neugeborene Kind der Unglück⸗
fihen ermorden laͤßt, fo wie mehrere andere Haldgefchwifler —
beren Namen wir nicht genau wiffen, weil Arrian dies geſchick
übergeht — ber Ale die etwas mitmifien konnien mit Falter
Ueberlegung aus der Welt fchafft, Alle die ihn vorher beleidigt
hatten aus dem Wege räumt: fo iftein en Füngling zu allen
Zeiten gerichtet!
PMutar bat eine ganz ihörichte — Zaͤrtlichkeit
für ihn, und das war bie allgemeine Meinung bei den Griechen.
Nur feine Trunfenheit fann man nicht Ieugnen. Damit ent⸗
ſchuldigt man feine Mordthaten, den Mord des Klitus, und
um das unbefchreiblich Alberne was die fpäteren Griechen vor⸗
brachten poetifch zu — vergleicht man ihn mit Dionyfos:
27°
420 Andzelchnende Wigenfchaften Alexauder's.
es läßt einmal Baechus von Alters ber einen Makedonier im
Trunke ſchwerer fehlen ale Andere, man fpriht von den Klodones
und Mimallones, von den thrafifchen Frauen die den Orpheus
zerreißen und was dergleichen unfägliche Albernheiten ber grie-
chiſchen Sophiflen mehr find. Das iſt aber nit genug mit
ber Trunfenheit. Den unfchuldigften, treuflen Diener, de
beften Feldherrn feines Vaters ließ er auf wahrhaft orientalifche
Weife heimtüdifch wegichaffen, der gewiß unfhuldig war; er
war aber. freimüthig, wußte baß ber Jüngling, was er war,
durch ihn war: davon fchweigt man. Wie er feinen Freund
Klitus ſelbſt mordete, als er ihm die Wahrheit fagte, das find
entfegliche Dinge. 'Ich begreife nicht, daß man Alerander ba-
mit entfchuldigen will, daß er ein übergroßer Menſch geweſen:
war er das, war er bann nicht auch für feine übergroßen Kräfte
verantwortlich?’ Alle feine Handlungen, die ald großmüthig ge⸗
priefen werden, find theatraliſch und auf Oftentation berechnet.
Er hat Anhänglichkeit an Arifoteles, aber ſelbſt Löwe und Tiger
haben eine Art Freundlichkeit gegen bie Ernäbrer und Pfleger
ihrer Zugend, bis das Raubthier in feiner ganzen Beflialität
in ihnen erwacht; dieſe Freundlichkeit gegen Ariftoteled rettete
nicht Kallifihenes, nnd als biefer geopfert war fand auch Jener
es rathſam nach Athen zu geben. Seine Zuneigung für He-
phaeftion war nicht Freundſchaft, fondern Schimpf. Seine Groß:
muth gegen die gefangenen perfifchen Fürſtinnen if nichte Aus-
gezeichnetes: es iſt etwas ganz Natuͤrliches, Alltaͤgliches, wenn
es nit Oftentation ift, aber es if bloß Oſtentation.
Wohl ift anzuerkennen, daß er eine höchſt merkwürdige
Erfcheinung ift, aber fein Lob kann allein feinem großen Ber:
Rande und feinem Talente gelten. Er war ein ganz unge-
wöhnlicher Mann, er hatte den Blid des Sehers der auch Na-
yoleon fo fehr auszeichneie, dev wenn er an einen Ort kam
gleich die Tüchtigkeit fah, feine Beſtimmung: den Blid der ben
praktiſchen Mann macht. Hätte man fein anderes Beifpiel von
Auszeichnende Eigenschaften Alexander's. 421
der Schärfe feine Blids, fo würde dafür ſchon Zeugniß genug
fein, daß er Aleranbria erbaute; daB er ben Punet zu finden
wußte, der feit funfzehn Jahrhunderten den Beruf gehabt hätte
bie Bereinigung von Aegypten mit Europa und Aften zu bilden.
Wenn auch früher, als der Nil noch nicht verfhlammt war,
diefer Punct diefe Wichtigkeit noch nicht hatte, fo ſah doch
Alerander auf jeben Fall mit einem Blide, wozu biefer Ort
von ber Ratur beflimmt war: 'es brauchte hier nur eine Stadt
gegründet zu werben, um groß und das Emporium ber Welt
zu werben’, Diefe Stabt follte der Schlußflein feines Reiches
fein und als folder wahrſcheinlich auch feine Hauptſtadt. Eben
fo kann man nicht ohne bie höchfte Ungerechtigkeit die Fahrung
des Krieges nicht ihm, fondern ben Feldherren Philipp’s. zu⸗
ſchreiben. Allerdings waren die Perſer unglaublich elend, und
machten durch die unſinnige Art wie ſie ihm Widerſtand leiſte⸗
ten es ihm leicht ſie zu unterwerfen; aber auch Alexander's
Fahrung war fo ſicher, ſo richtig auch unter den ſchwierigſten
Umſtänden, fein Zug nach dem Indus iſt fo geſchickt, fo wohl
überlegt und gewählt, daß es unmöglich ift ihm den Ruhm
eines großen Feldherrn nicht zuguerfennen: ja ein competenter
Richter, Hannibal, hat gejagt: „der größte". Allerdings darf
man auf der andern Seite aud wicht verfennen, daß er ganz
treffliche Inſtrumente hatte, ausgezeichnete Feldherren, eine berr-
liche Armee! Hätte er biefes Heer erft ſchaffen follen, fo wäre es
nicht fo gelungen. Dann maren Parmenis, Philotas, Piole-
maens, Seleufus, Antigonus, alles ganz ausgezeichnete: Feld⸗
herren, alle aus der Schufe feines Vaters und ſchon zu Philipp's
Zeit ausgezeichnet: und wenn man den einzigen Eumenes aus⸗
nimmt, kann man ſagen, daß unter Alexander ſich kein bedeutender
Feldherr ausgebildet hat, Wie auch König Friedrich I. von
ſeinem Vater das Heer ſchon gebildet ererbie, und die meiſten
ſeiner Generaͤle ſchon damals in der Armee waren.
Bildung hat Alexander gehabt, das iſt nicht anders mög⸗
4232 Ducllen der Geſchichte Nicranber's.
lich wegen des forgfältigen Unterrichts eines Ariſtoteles; ex war
gebildet und mit der griechiſchen Litteratur vertraut, wie ber
gebildetſte Grieche feiner Zeit.
Die Duellen der Gefchichte Alexander's die wir haben find
"nicht mehr die urfpränglichen. Bon dieſen haben wir feine
mehr. Wie feine Geſchichte circulirt, if fie durchaus märchen-
haft. Seine Gefchichtichreiber zerfallen in zwei Claſſen, erſtens
feine Zeitgenoffen und Begleiter, und dann die Späteren, bie
feine Gefchichte nach ihm meiftentheils rhetorifch fchrieben.
Bon feinen Zeitgenofien und Begleitern find zwei aus⸗
gezeichnet, die gewiß wicht bie abfolute Wahrheit gefchrie-
ben haben, aber fehr gut im Stande das Wahre zu berid-
ten und im Ganzen aud wohl glaubwürdig waren, Ariftobu-
Ins und SPtolemaens Lagi, der erſte König von Aegypten.
Beide find verloren gegangen, wir fenuen aber Alerander fo
gut, als ob wir fie hätten, und vermiflen fie nur im Detail:
fonft find fie ung in der vortrefflichen Geſchichte des Arrian
ethalten, der fle bearbeitet hat: eines Birhynierd aus Nikome⸗
bien unter Trajan, eines ber erfien Provincialen die in Rom zu
den höchften Würden gelangten. Er ift zugleih Römer und
Grieche, nicht blog Rebekünfller, fondern auch praktiſcher Mann,
Militaͤr. Das fieht man feiner Geſchichte auch an, daß er ver-
fteht was er ſchreibt: fie if das Werk eines DMaunes, der fih
Alles vollfommen begreiflih macht. 'Auch mit Kritik iſt fie
geſchrieben, obgleich in Hinficht der Gefinnung Panegyricus des
Alexander. In Hinſicht der Form if fie fehr fchön gefchrieben,
in der Manier des Xenophon. Zwar verhält fie ſich zur alten
Geſchichte, wie die neue Komoebie zur alten, aber es if immer
eine gluͤckliche Nachbildung. Zubem maden die Bemerkungen
über Die orientafifchen Berhälmifle das Buch fehr intereflant.
Diefe Geſchichte ift wahrhaft unſchaͤtzbar.
Unter den vielen anderen verlorenen war der gelefenfe
Klitarch, einer von den eleganten griechifchen Schriftfiellern ber
Quellen der Geſchichte Mlrrander’e. Romane über Mlerander. 425
fpäteren Zeit, Die ſich unter bie claffifehen Schriftſteller ein⸗
geſchlichen hatten und eben ſo geleſen wurden wie Thukydi⸗
des. Klitarch war etwas ſpäter als Alexander und nicht Ge⸗
fährte feiner Züge; er ſchrieb ohne Kritik und von ihm iſt viel
Unwahres ausgegangen. Aber geradezu fabelhaft ohne Rückſicht
auf Schen und Wahrheit if Onefifritus, Auf ihn und Kli⸗
tarch ift Qurtius meift zurüdzuführen: ’der den Livius zu einer
Zeit nachahmt da das gute Latein verfchwunden war, unter
Septimius Severus'), wie Arrian den Xenophon'. Im Dio-
dorus von Sieilien ift die Geſchichte Alexander's aus mehreren
ufammengefeßt, wahrfcheinlich wie die Fortfeßungen des Epho⸗
rung, namentlich Die des Duris fie erzählten: "wichtig iſt er für
die Chronologie”. Weber De Geſchichtſchreiber Alerander's gibt
es eine Kritif von St. Croix: das iſt aber eine Arbeit, "die
für deutſche Philologie fehr ungenügend iſt, und bafür ſo gut
als nit eriftirend betrachtet werben muß: fie muß noch ein⸗
mal gemacht werden. In den un. fönnen wir ung fehr ruhig
an Arrian halten.
Wie ſich über Karl den Großen ſchon ſehr fruͤh erklaͤrte
Fabeleien finden, während feine Geſchichte treu und wahr in—
Eginhard und einzelnen gleichzeitigen Chroniken erzählt iſt —
es ift ſchon früh von feinem Zuge nach Palaeflina die Rede;
biefe Sage bildete fih dann mehr aus, wie auch der Zug nad‘
Spanien fabelhaft wird, und die erflen Spuren von Nitter-
somanen zeigen fih ſchon 150 Jahre nach ihm; ſchon im zehn
ten Jahrhundert werben fie geglaubt — fo iſt ſchon fruͤh in
Aegypten eine fabelhafte Geſchichte Alerander’s gefchrieben ger
wefen unter dem Namen eines Aefopus. Diefe ift nicht rein
sriechifch = alerandrinifch fondern mehr aegyptiſch-orientaliſch.
In ihr wird Alerander mit Neftanebos und dem Orient in
Berbindung geſetzt: fie iſt voll von Zaubereien, Wundern und ganz
1) Bol. N.s Abhandlung „Zwei clafftfche Iateinifche Schriftſteller u. ſ. w.“
Ki. Schr. 1, ©. 3M.- A. v. H.
D1.111,2.
424 Memane von Alexander. Zuſtand von Mafebonien
zügellofer Fabelei. Mai bat eine alte lateiniſche Ueberſetzung
Davon aufgefunden, von ber leider der Anfang fehlt: dieſen hat
Peyron in Turin gefunden, aber zerflört um das was darunter
fand zu Iefen, und es nicht der Mühe werth gehalten ihn
herauszugeben. Das Griechiſche ift mehrmals umgebildet wer-
den, wie unfere Vollsbucher, wie Siegfried, Genoveva, u. f. w.
und wurbe unter dem Namen des Kalliſthenes Vollsbuch im
bygantinifchen Reiche bis 1453 gelefen. Diefer falſche Kalliſthenes
befindet ſich fchlecht altgriechiich und neugriechiſch in manchen Bi⸗
bliothelen. Sp if ed auch mit den Fabeln des Aeſopus er-
gangen. Parallel mit bem SKallifihenes geht die lateiniſche
Bolfshearbeitung oder Leberfegung bed Aefopus von Julius
Valerius. Das fpanifche Gedicht aus Dem dreizehnten Jahrhundert
über Alcxander von Garfelo ift aus dem falihen Kalliſthenes,
und sbeufo iſt ber Aefopus in bie morgenländiihe Sprade
übertragen; ohne Zweifel liegt biefer morgenländifche Aefopus
ben perfifchen Gedichten des Nifami zu Grunde, Es wäre ein
intereffanter Gegenftand, den ich gern einfimals als Preisfrage
aufgeftellt fähe, wie die Geſchichte Alerander’s im Oriente ver-
breitet worden if. Sogar eine hebräifche Bearbeitung bes
Romaned von Alerander gibt es, und eine arabifche im alten
Dialekt. Die Bearbeitungen entfernen fi mehr und mehr von
der Wahrheit. Nachher verfchwindet Alexander aus ben Ro⸗
manen, und ber Inhalt wirb auf andere Romane übertragen,
fo it 3. B. in dem alten deuifchen Roman von Herzog Ernfl
von Schwaben diefer nur an bie Stelle Aleranber’s getreten.
Dergleihen Poetiſches zu verfolgen if ebenfo fihwer als be=
lohnend.
Erſte Kämpfe Alexander's in Europa.
Der Tod Philipp’s erregte eine ungeheure Erſchuͤtterung im
Reihe; denn es war noch keinesweges feflgegründet. Philipp
bei Philipp's Tode. Gührung in Griechenland. 425
batte feinen Zug gegen ben Orient befchleunigt, gewiß in ber
Hoffnung den Erfolg ſelbſt zu überleben: da er bei feinem Tod
erfi 48 Jahre alt war, fo konnte er es recht aut hoffen. —
Indeffen würde er in ganz anderer Art erobert haben, wie
Alerander: er würde gewiß nicht fo in's Unendliche fortgegangen
fein unb den Krieg big zur Zeritörung bed Reiches geführt haben:
er würbe fi) vielleicht mit Verderaſien begnügt haben, mit
Syrien und Aegypten. Wenigftend läßt biefes fein Charafter
vermuthen, ber Lieber etwas ordentlich behandelte, als Vieles
was er nicht zu umfaffen vermochte. — Er hatte fein Reich aber
noch nicht feſt conftituiren fönnen, denn feine Makedonier waren
in jedem Jahre in ben Krieg geführt und geſchwächt; bie Bes
teranen fehlten, bie meiften waren verftümmelt’.
Alle Völker rings um Mafebonien glaubten, daß nur
Philipp's Perfönlichkeit das Reich habe zufammenhalten können;
‚die mafebonifche Uebermacht hatte man nur an feinen Namen
gefnüpft, und hielt Makedonien nun auf biefelbe Macht rebucizt,
welche ed zu Amyntas' Zeiten gehabt hatte, Alerander aber
traute man nicht zu, daß er fi werbe behaupten koͤnnen.
Seine Fehler Fannte man befier als feine glänzenden Eigen⸗
fhaften. In Makedonien ſelbſt fand die nationale Partei gegen
Aeranber’.
Sp erfolgten Bewegungen an manden Orten: nirgends
anfänglich eine ganz entſchiedene. Die entſchiedenſte war in
Ambrafia, wo bie Einwohner bie mafebonifhe Beſatzung ver⸗
trieben, Aber ganz Griechenland gährte und war. frhwierig.
Am Schwierigften war Athen, von Demofthenes geleitet. Als
die Nachricht von Philipp’ Tode nach Atben kam — Olympias
ſcheint ſelbſt in Athen Verbindungen gehabt zu haben um bie
Todespoſt zu verbreiten und, falle es fehl ginge, bie attalifche Par-
tei aber obfiegte, ſich in griechiſchen Schuß zu begeben, — war eine
ausgelaffene Trunfenheit und Freude im Bolfe. Demefthenes
erfehien im Freubentaumel vor bemfelben um ihm ben Tod
426 Alexander bernhigt Theſſalicn. Wird in Griechenland als Hegemon
Philipp's zu verlünden. Mit Blumen bekränzt und in Feier»
Heibern trat er auf, obſchon er in großer Trauer war, weil
wenige Tage vorher feine Tochter geftorben war. Dies wirb
ihm von Neichines auf eine dumme Weiſe als Beleidigung der
Matur vorgeworfen: auch bei ben Römern wurbe bie Trauer
abgelegt, wenn ein großes Gluͤck für das Baterland fich ereig-
net haste. Die Athener ließen fih in biefem Kreubentaumel
forteeigen, und fie, die kurz zuvor nod) zu der Bermählung bem
Rhilipp ein ſllaviſches Pſephisma geihidt hatten, beſchloſſen
eine Ehrenauszeichnung und Schutz für Pauſanias; denn man
glaubte er fei enttommen. Auch bie Illyrier, Thrakier und alle
feinbfeligen Bölfer waren in Gaͤhrung.
Aber jegt im Anfange feiner Regierung zeigte Aleranber
fh, wenn je zu irgend einer Zeit, durch Tüchtigfeit und richti⸗
ges Handeln ausgezeichnet und groß‘.
In ſehr kurzer Zeit ſammelte er ein Heer: in Malebonien
hielt er Alles mis Schreden im Zaum ‘und brach in großer Eile
gegen Theflalien auf, das ihn nicht anerfennen wollte‘; nach⸗
dem er bie Theftaler beruhigt hatte, zog er fchnell mit feinem
Heere nad Korinih, wohin er eine allgemeine Tagfakung ber
griechiſchen Bundesgenofien anfagte. So wie Philipp Thefla=
lien in vier Staaten getheilt hatte, bei ber Eiferfuht unb Un⸗
einigfeit die unter ihnen berrfchte, war es ihm nicht ſchwer
feine Auctorität zu behaupten: ‘bie Theſſaler unterwarfen ſich
ihm bei feiner Annäherung fogfeich, erfannten ihn freiwillig als
ihren Protector an, und übertrugen ihm ihre Revenuen, bie
Zölle und Abgaben der unterthänigen Böller bie. eig xosror
verwandt wurden‘. So wich auch in ganz Griechenland bie
erſte Bewegung bem ‚Gefühl der Nothwendigkeit. Nur bie
Spartaner erſchienen nicht auf diefem Tage in Korinth, fonft
alle Griechen: nach Arrian waren da alle Völfer dvsös ITelo-
zowenaoov; aber bier iſt ein Fehler. im Text, ber überhaupt
ſehr fehlerhaft ift, und es muß heißen &rsös IlvAer, im Gegen:
iin erkaunt. Lage Athen's Alexander gegenüber. Griech. Bumb unter Aler. 497
He gegen Theflalien‘. Der ganz junge Alexander warb von
Allen anerlannt: man erneuerte mit ihm bas Verhaältniß zu
Mhilipp: d. h. man erfannte feine Hegemonie in ber Weife an,
wie fie früher Sparta und Athen geführt hatten, und übergab
i hm die Oberanführung in dem beabfihtigten Kriege gegen Per⸗
fien. Die xounm eionvn wurbe erneut,
Die Athener waren damals in einer mißlihen Rage: es
warb Demades wieder als Gefaudier geſchickt um Verzeihung
zu bitten, und bie Stadt erlangte merkwuͤrdiger Weife ben Frie-
Den. Alerander mußte fie gewinnen, weil ihm ihre Klotte noth⸗
wendig war’, Bei diefer Gelegenheit weigerte ſich Demo-
fihenes ald Befandter zu Alerander zu gehen. Man entblöbdete
ſich nidht Died dem Demofihenes vorzuwerfen. Er hatte Miß⸗
trauen gegen Alexander; er batte feine Freude über Philipp's
Tod, feine Verachtung Alerander’d nicht verhehlt: we es darauf
anfam feinem Baterlande Bundesgenoffen zu erwerben, blieb
er nie zurüd, was follte er jegt gehen? Sonft wäre er gegangen,
auch mitten durch Dämonen: aber von ihm zu fordern. daß.
er einen verhaßten Feind becomplimentire, das war eine Schänb-
Iichleit. Alexander würde fi nicht aus dem Voͤllerrechte ge⸗
macht haben, denn damals drohte er ſchon und ſprach von ber.
Auslieferung ber Friedensſtörer.
‚Athen bewilligte Alexander felbft noch mehr akt es früher
dem Philipp geihan hatte. Was der Inhalt der. wen) algıjvn -
war, und mas bie Athener in biefer Abfaffung bewilligt Batten,
wiffen wir aus der Rede rregi swv nngög „AldEardgor ovadr-
xcõv. Sn diefer fi ſi nd bie weſentlichſten Artikel des Friedens an⸗
gegeben.
1. Der erſte iſt, daß alle Griechen frei und autonom
fein ſollen. Dadurch wurden bie Städte, welche bisher unter:
der Oberherrſchaft einer anderen geſtanden Hatten, von :der-
felden entbumben. heben verlor fo alle Anſprüche auf bie
boeotiſchen Städte.
498 Griechiſcher Bund unter Alexander's Pıotectorat.
2. Wer bie Verfaffung in den Staaten, wie fie zu der Zeit
befieht wo ein Feind dem Bunde heitrat ändert, if allgemeiner
Feind.
$, Wer einen vertriebenen Feind oder Tyrannen zurüd-
führt, fol allgemeiner Feind fein, und Alles fol gegen ihn und
fein Land ausziehen.
4. Auch follen die Berbannten und andere Bewaffnete
aus feiner verbündeten Stabt gegen ihre Heimath ziehen. Die⸗
jenige Stadt, welche dies erlaubt, ober es zu hindern verfäumt,
iſt geächtet.
5. Die BDunbesgenoffen und Confervatoren des Friedens
follen Acht haben, daß in den verbündeten Staaten feine Hin-
richtung und Verbannung gegen bie beſtehenden Geſetze verhängt
werde, keine Confiscation, Schuldenerlaffung, Adervertheilung,
revolutionäre Kreilaffung gefchehe.
6. Auf der See fol Jeder ungehindert fegeln und fein
Schiff irgend woher aufgebracht werben, bei Strafe baß wer
dagegen handelt allgemeiner Feind if.
7. Noch eine Bedingung dieſer Acte, welche fi aber nur
vage angeben läßt, ſcheint geweien zu fein, daß bewaffnete
Schiffe nicht in die Häfen der Verbündeten gegen ihren Willen
einlaufen bürften.
Daß eine ſolche Acte non Seiten bed Protectors nur eine
bloße Farce gewefen, bedarf feines Beweiſes. Hyperides führt
dieſe Puncte an um zu zeigen, wie fie von Alexander verlegt
worden wären. Gegen ben zweiten und fechsten handelte er
offenbar. Sp wurde nämlich in Pellene bie uralte bemofratifche
Berfaffung vermöge mafebonifcher Hülfe durch eine Revolution
abgejchafft, in welcher die Reichen ermorbet, Das Vermögen con⸗
firirt, SHaven befreit und Verbannte zurüdgerufen - wurben.
Ferner hatten Alexander's Schiffe den Athenern ganze Convoys
mit Getraide, bie bei Tenebog lagen, weggenommen‘.
So Tag das Joch auf ganz Griechenland. Im Pelopon-
Zug Alerander's nach Thrafien und Illyrien. 4%
1e8 waren Mafebonier, in der Kadmea war mafeboujfdhe Be⸗
atzung. Allein noch der Erfolg der Perſer konnte dad mafe-
Yonifche Reich zerfihellen. und die Ketten brechen.
Jetzt Sehrte Alexander nach Makedonien zurüd und feße Ol. I11,2.
die Rüftungen fort. In der Zwifchenzeit mögen die in Aſien
tebenden Truppen vertrieben oder zurädgezogen fein. Eine
Empörung im nörblihen Thrafien rief ihn dahin, ed war
wöthig ein fehredendes Beispiel zu geben, So unternahm er
sm dieſe Bölfer zu züchtigen den Zug über den Haemus gegen
die Triballer. Dieſe hatten die Beten über die Donau geirier
ven, ’und faßen jest in Bulgarien wo wir früher bei Herodot
ie Geten erwähnt finden. Die Beten aber hatten bie Stythen
»ſtwaͤrts verdrängt). Hier zeigte Alexander ſich zuerſt al⸗
zroßer Feldherr'. Er forcirte die Engpäſſe des Haemus mit
zroßer Schwierigkeit und Verluſt: aber es gelang: ’er daͤmpfte
aun ſchnell mit großer Energie den Aufftand’ und nun ging er
über die Donau: ’died war aber fein Feldzug, fondern bloß
:ine Necognodcirung, um zu zeigen daß er folde Entfernuns
zen nicht ſcheute'. Dabei entfleht die Frage, ob unter der In—⸗
fel Peufe die Infeln in ben jegigen Donaumünbungen zu ver«
eben find, oder ob es nicht eher eine Inſel in der alten
Donaumündung ift, hinter der das alte vallum Trajanum fteht
gegen Siliſtria hin, nörblih von Varna, wo noch jetzt ein
alter, ſchwacher Arm der Donau fließt, der früher viel tiefer
pewefen fein muß. Dies läßt fich nicht beflimmen: aber mir
it doch das Letzte höchſt wahrfcpeinlih, denn jene Donauinfeln
find ja eigentlih faum bewohnbar, und von jener Inſel wird
geſprochen als von einem fehr bevölferten Lande, Aleranber
drang in ber Nähe bes Pontus Eurinus an ber Mündung
über die Donau; feine Galeeren liefen in ben Fluß ein, und
famen zu ihm herauf. Er nahm hier die Huldigung ber Geten
an, ſchloß Frieden, und fehrte dann [über ben Fluß] zurück.
) Bol Kl. Schr. I, S. 874 fi. | A. d. 6.
40 Bewegungen in Griechenland. Aufſtand Theben's.
Bon bier zog er nach Syrien: au biefes war im Aufftanbe:
bier befand er fich, in einen Krieg gegen Glaukias, König der
Taulantier, bei dem er mehrere Jahre vorher Schutz gefunden
hatte, verwidelt, als er die Nachricht von dem Aufſtande ber
Thebaner erfuhr’.
Seine Entfernung Hatte in Griechenland eine eigene Stim-
mung hervorgebracht. Man bielt biefe nörblichen Völler für
fehr gefährlich; man hoffte, dieſe Feinde würben Alerander
überlegen fein, und dann Fönnte fih, da Memnon das perſiſche
Heer zu befehligen ſchien, das Schilfal ändern. Kurz es brach
an mehreren Orten Auffland ans.
Namentlich empörten fih die Thebaner auf dag Gerüdt,
daß Alerander gefallen fei. Es war nämlich die Communica-
Hon mit feinem Heere eine Zeitlang unterbrochen, und darauf
hin glaubten die Teichtgläubigen Griechen, daß er mit feinem
ganzen Heere vertilgt fei. Dies unfelige Gerücht hatte bie
Thebaner zum Aufflande veranlaßt; fie waren anßer ſich wegen
der fchändlichen Behandlung bes Philipp, nnd bie Meinung in
Griechenland die allgemeine, daß ed nur darauf anfomme, bie
mafebonifchen Befagungen zu vernichten.
Die makedoniſche Beſatzung der Kadmea erlaubte ſich bie
graufamften Frevel gegen EAsüdega owuara, und von ben
Soldaten gefhüst übten die zurückgekommenen Berbannten, denen
Philipp die Regierung gegeben hatte, eine jede und auch bie
ſchrecklichſte Privatrache und Alles was nur boeotifhe Bruta⸗
Htät bei der bamaligen Gewiffenlofigfeit eingab. Als nun bie
Nachricht von Alerander’s Untergang verbreitet warb, Tamen
einige Berbannte in die Stabt zurüd und wiegelten ihre Mit:
Bürger auf. Daß Demofthenes um biefe Unternehmung gewußt,
it feine Frage und es ift wohl fein falfches Gerücht, daß er
den rüdfehrenden VBerbannten Mittel an bie Hand gegeben ihren
Borfag auszuführen, da man in Beziehung auf Griechenland's
Freiheit fih an Niemand anders zu wenden wußte als an ibn.
\
Aufftaud Theben's. 434
Eine fihere Nachricht feheint zu fein, daß Demoftbenes den The-
banern und den mit ihnen Bereinigten auf feine Koften Waffen
verfchaffte. Nun war in Theben bald eine Verſchwörung zum
Aufftande herangereift ). Diefer Aufftand befchräntte ſich nicht
allein auf die Stadt, fondern verbreitete ſich in ber Gegend.
Es war leicht der mafebonifchen Partei Herr zu werben, da
die Befagung auf der Kadmea ſchwach war; einen Verſuch die
Kadmea einzunehmen fcheinen die Thebaner für unmoͤglich ge⸗
halten zu haben. Sie fdyloffen fie durch doppelte Pallifaden
ein, damit Feine Hülfe Hinein käͤme und fie die Befagung aus⸗
bungern fönnten’.-
) Arrian erzählt: diefer Aufftand fei damit ausgebrochen, daß das Volk
ven Amyntas und Timolaus, welche fich in bie untere Stadt begeben.
haften, ergeif umd mordete. Weſſeling zum Diodorne- Siculus Haft
die beiden Genannten für Zeldherren der malebonifchen Beſazungt aber,
Ampyntas halte ih für verfchrieben, und ftatt deſſen muß, wie es fcheint,
Anemeetas gelefen werten, ben Demofthenes pro Cor. unter den theba:
nifchen Derrätgern anführt. Timolaus war ebenfalls eim ſolcher
Berräther. — Aus Aeſchines gegen Ktefiphen und aus Dinar
geht hervor, daß die Befapung der Kadmea damals geneigt geweſen
it die Räumung ber Feſtung zu verfaufen. Dies iſt auch wahrfcheins
li$ und ganz begreifli, weil die Befagung aus Mierhefolvaten Kes.-
ftand. Unbegreiflich aber iR es, daß Aeſchines berichtet, man habe Ach
nicht die fünf Talente verfchaffen können um die Mebergabe zu erfaus
fen: es Ift doch nicht wahrfcheinlih, tag man die Feſtung um fo We⸗
niges. übergeben hätte. Derſelbe Aefchines und Dinarchns befchulbigex ..
ven Demofthenes, daß er ſich geweigert habe diefe fünf Talente als fie
von Ihm gefordert wurden Herzugeben, da er doch 300 Talente vom '
perfifchen Könige gehabt und nuterfchlagen habe. Das kann man aber :
nur als eine ſchaͤndliche Lüge betzachten: es If eine moraliſche Un⸗
möglichkeit: denn bei ber damals herrſchenden NRuchlofigkeit unter allen
den Männern, welche öffentlich hambelten, muß man fich eben fo wenig
wie bei den Stallänern zu Ende des, funfsehnten und Aufang des.
jechzehnten Juhrhunderts darüber wundern, daß fie die gräulichkien Ans
flagen mit der frechſten Stirne gegen einander fagen. Will man fich
einen Schluß aus diefer Befchulvigung ziehen, fo wäre es möglidy,
daß ehe die Sache ausbrach, ſehr verdächtige und unbeingte, Männeg
fid an Demoſthenes gewandt Hätten um ihm Fallfiride zu legen und,
wenn die Sache nicht gebiehen wäre, Ihn anzugeben daß er einen Auf⸗
ſtand hätte erregen wollen. 1825,
433 Nückkehr Aleranver's. Rettnugsiefigteit Griechenland's.
In Athen wurden ebenfalls heftige Neben gehalten und
heftige Entſchlüſſe gefaßt. "Wir können und wohl benfen, daß
Demoftbenes die Zeit nicht unbenugt vorübergehen Tieß und ſich
nicht ruhig hielt: aber aus dem Mangel an Reben wäre wohl
zu fohließen, daß er nicht fehr ſtark anf den Krieg gebrungen
babe. Aber Ephialtes war es, der die Athener zum Kriege
aufrief. Ä
Jedoch Alles war verfehlt: Alerander war auf der Rüdfehr
und kam ſchon heran. So wie er die Nachricht von dem Auf-
flande ber Thebaner erfuhr, trat er fogleich den Weg zur Rade
an’, und machte in unendlicher Eile ben berühmten Marſch
über Hochmalebonien, über die höchſten Gränzgebirge und den
Pindus an den Abhängen herunter‘), ftatt den gewöhnlichen
Weg durch das Peneusthal zu gehen und fo fland er auf ein-
mal. in Pellina in Theffalien, als man in Griechenland noch
meinte, er fei von den Triballern vernichtet’. So erfuhr man
[zu gleicher Zeit] feine Ruckkehr und daß er in vollem Marfche
gegen Griechenland fei.
Die Befagung ber Kadmea unter Philotas' Befehl war
unterbeß von den Thebanern in große Bebrängnif gebradt.
‚Die Ruinen von Theben find weniger ald die von irgend einer
Stadt geeignet uns einen Begriff von ber Topographie zu
geben. Zu Paufanias’ Zeit war nur noch bie Kadmea be—
wohnt. In dem Werfe von St. Croix über bie historiens
d’Alexandre findet fih ein Grundriß von Theben yon dem
fonft fehr tüchtigen Barbier du Bocage, ber wie alle feine
Eharten von Griechenland, durch einen Anfchein yon Genauig-
keit und Zuverläffigkeit irre führt, aber ganz willfürlich und
falſch if. So bildet er fih ein, daß bie Kadmea in ber Dkitte
der Stadt gelegen einen großen Umfang gehabt und concen-
triſch um die Kadmea die Stadt gelegen habe. Das ift aber
unmöglich. Die Kadmea lag wie faft alle griechiſchen Akropo⸗
4) Bel. Röm. Geſch. HI, A. 8M. A. d. H.
Einnahme Theben’s. 433
fen zwar von der Stabt umgeben, aber in dem Kreife der
Manern: aus den Geſchichtſchreibern gebt deutlich hervor, daß
bie Kabmea mit einer Seite an die Ringmauer ber Stadt an⸗
ſtieß und nur fo erklärt ſich bie Belagerung,
-.B A. Kadmea.
B. C. Verſchanzungen der Thebaner gegen "bie
Burg.
D. Die Stadt Theben.
Theben hatte ſehr großen Umfang gegen die ſchwache
Bevölkerung, "aber dennoch wäre dieſe im Stande geweſen bie
Stadt zu vertheibigen, wäre nicht die Burg in den Händen ber
Beſatzung geweien; fo dag man bie Stadt gegen Doppelte Feinde
vertheibigen mußte‘. Sie hatten den. Wal um bie Akropolis
unb bie Straßen verrammelt (bei C), und von außen (bei B)
mit einer Mauer die Beſatzung eingefchloflen.
‚Alexander erichien ſüdlich von ben Thermopylen, ebe es
möglich war diefe zu fehließen da Niemand ihn vermuthete, Er
war an dem See von Oncheſtos angelommen, ehe bie Thebaner
feine Anfunft erfahren hatten, und bie Furcht ber Thebaner ben
Feind am folgenden Morgen vor ihren Mauern zu fehen, war
ſchon Halbe Befiegung. Alerander erfchien nun und marfchirte
nah einem kleinen tapferen Scharmügel mit den Thebanern
um bie Mauern ber Stadt herum um bie Straße nad Athen
zu befegen und die Unterflügung von da abzufchneiden. Hier
lagerte er und fihloß die Stadt ein’.
Die Athener aber waren ebenfalls überrafht und im höch⸗
Ken Grade beflürzt, als fie das Gerücht feiner Annäherung
vernahmen. Sie waren noch nicht gerüflet; zwar hatten fie
‘eine allgemeine Bewaffnung befchloffen und auch’ damit ange-
fangen, waren aber noch nicht weit gefommen, "und hatten
noch gar feine Truppen audgefchidt‘,
Alle übrigen Griechen hatten Teinen Antheil genommen.
Zwar fege ich in diefe Zeit die allgemeine Bewegung im Pe⸗
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. II. 28
B
434 Zuſtaͤnde im Beloponnet.
loponnes, wo bie alten Anhänger des Yhilipp, Arkader, Eleer
und Argiver fowohl wie die Lakedaemonier fih gegen die Ma-
kedonier erflärten, die Diobor gleih nach Philipps Tode fest,
und auch die Aetoler vertrieben zu derfelben Zeit bie in Afarnanien
von den Mafedoniern eingefegten Regierungen '), aber’ im Pe⸗
Ioponnes waren größtentheild von den Maleboniern eingefeßte
Machthaber, bie durch geworbene Soldaten die Bürgerfchaft
nieberbielten.
‘Die Lakedaemonier, welche in der Schlacht bei Chaeronea
einen großen Ausfchlag für Griechenland's Sache hätten geben
fönnen, erffärten fih zwar jetzt, thaten aber nichts. Antipater
fehidte eine Geſandtſchaft nad dem Peloponnes unb forderte
die Peloponnefter auf gegen bie Thebaner zu ziehen und fie
zu unterwerfen; dagegen ſchickten bie Athener eine andere Ge⸗
ſandtſchaft und bewogen bie Lafebaemonier nicht ben Makedo⸗
niern Hülfe zu fohiden. Es hätte aber weiter fommen können.
An Arkadien war die griechifche Partei der malebonifchen über-
mädtig geworben und hatte fo viel bewirkt, daß die Milizen
anfgeboten wurden. Allein zu dem Entſchluſſe den Thebanern
zu Hülfe zu kommen, fonnte man nicht anders gelangen, ale
wenn man die Strategen erfaufte. Die Verläumbung befchul-
digte ben Demofihenes, dag er zwar Geld von Perfien in Hän-
den gehabt, daß er aber auf die Aufforderung ber Thebaner,
die Arkader zu erfaufen, es nicht habe hergeben wollen. Das
ift aber unglaublid, Die Arkader wollten auf der einen Seit
den Thebanern zur Rettung beiftehen, auf ber andern wollten
fie aber auch nicht, daß die Mafedonier aus den grieihifchen
Angelegenheiten gänzlich ausgefchloffen wärben, weil fie bie
wieberauflommende Uebermacht Lakedaemonien's fürdhteten. Da⸗
1) 1825 ſetzte N. den Aufſtand in Ambrafia in dieſe Zeit, den er 1830
unmittelbar nach Philipp's Tode fept (vgl. cben S. 425 3. 25).
A. d. H.
Die Thebaner finden Feine Hülfe. 435
durch aber gingen die griechifchen Staaten zu Grunde, daß
man eiferfüchtig auf die Uebermacht einzelner Staaten fremde
Rationen mit in's Spiel zog. Wäre Kleomenes, ber erft hun⸗
dert Jahre fpäter geboren wurde, damals König geweſen, Gries
chenland wäre gerettet worden, Die Politik, die er vor Augen
hatte, konnte freilich zu feiner Zeit nicht mehr beifen, wohl aber
zur Zeit Alexander's. Wie er den Achaeern eine Theilnahme
an der Hegemonie anbot, würde er auch jetzt Die Einficht ge=
habt haben Athen dies anzubieten, das bei Weitem mehr An⸗
ſprüche darauf gehabt hätte.
So erhielten die Thebaner bie Hülfe aus dem Peloponnes
nicht, Als nun Alexander vor der Stadt erfchien, waren fle
ohne alle Hülfe ganz rathlos. 'Es rächte fih an ihnen Ihr
Berfahren gegen die unglüdlichen Phokier: ihre Städte hatte
man zerftört, man harte fie mißhandelt, aber fie lebten noch und
nahmen jest bie Gelegenheit zur Nahe an ben Thebanern;
Philipp Hatte fie zu Grunde gerichtet, aber der Anfang ihres
Unglüde ging von Theben aus.’ Alexander zeigte ſich ihnen
jetzt freundlih und verſprach ihre Wiederherſtellung. Die
übrigen Boeoter von Theben beleidigt fchloffen fih fett mit
einer doppelten Macrität an ihn an. ’Seine Armee wird auf
30,000 Mann Mafedonier, Theffaler und Phokier angegeben,
was wohl etwas übertrieben fein Tann’.
Für Theben war nichts zu thun ale zu capitulicen fo gut
ed ging: an etwas Anderes zu denken, baran zu denken fi zu
behaupten war Unfinn. Alerander bot erträgliche Bedingungen
an: und es ift wahrfcheintih, daß fie fle wirklich befommen
hätten, weil Alerander nicht aufgehalten fein wollte: jeder Tag
ber ihn von feiner Expedition nah Aflen zurüdhielt war ihm
unerträglich. Aber fie waren wie im Wahnfinn und wollten
von Berföhnung nichts wiſſen, während ihnen Waffen, Lebens⸗
mittel, Mannſchaft, Anführer fehlten, Alexander hatte durch
28 *
436 Zerflörung ver Stadt Theben.
einen Herold Frieden ausrufen und ihnen Berzeipung anbieten
laffen; nur follten zwei ber erfien Urheber der Empörung Phoe⸗
nix und Proetidas ihm ausgeliefert werden; allein Die zurück⸗
gefehrten Verbannten wiegelten das Volk auf und antworteten
trogig, wenn Friede fein folle, wollten fie dagegen ben Antipa-
ter und Philotas haben: und als Alerander denen Sicherheit
und Schug bot bie in das maledonifche Rager kommen würben,
verfündigten fie, jeder Grieche ber zu ihnen komme folle bie
Ehre genießen wie der welcher fih mit Perfien zur Freißheit
Griechenland's verbinde‘.
Nach wenigen Tagen — ‘drei Tage foll er vor Theben
gelegen haben — unternahm Alerander Sturm, nachdem bie
Thebaner einen verfehlten Ausfall gewagt hatten und in bie
Stadt zurädgemworfen waren. ’Perbiffas machte einen Sturm
auf die Verſchanzungen bie am Nächſten an die Kabmea flie-
Gen’); fein Angriff gelang fehr gut, er brach durd bie Schan-
zen und burd bie erften Linien leicht durch, die Befagung wid
und nun fuchte er auch Die zweite Linie zu durchbrechen. Ampu⸗
tas rückte mit feinen 3000 Mann, einer zekıg, glei nad) und
da das Gefecht heftiger wurde, fo ſchickte Alerander die Teichten
‚Truppen, bie boeotifchen Bogenfchägen zur Unterflüsung nad.
Hier wurde der Widerſtand der Thebaner heftig, fie fämpften
mit Muth, Perdikkas wurde verwundet, faft wären die Mafe-
Donier wieder von ben Thebanern berausgebrängt worden, wenn
nicht Alerander jetzt die ausgeſuchten Truppen und Leibwachen
’) Seine Aufgabe war offenbar die, fih mit der Kadmta in Berbintung
zu ſeten und von bort in die Stadt einzubringen: dahin zielte auch
fein Angriff auf die thebiſchen Schanzen. Weil er von ben anderen
Gerpe unterhügt wurbe, fann es nicht eigenmächtig gefchehen fein, wir
Arrion ans Ptolemaens anführt, welcher fagt: es fei nicht Alexauder's
Blan gewefen die Stadt anzugreifen, fondern von der Kadmea ans in
biefelbe einzubringen. Mreian fiheint ben Btolemaens mißverſtanden zu
haben. 1825.
Zerörung der Stadt Theben. 437
genommen und fie ihnen enigegengeftellt hätte. Die Thebaner
wurden zurüdgeirieben und gerietben fo in Verwirrung, daß
fie wild in die Stabt hineinflohen. Auch ihre Reiterei floh
und ritt bie Infanterie nieder, eine allgemeine Berwirrung ent«
fand, in der man bie Thore fchwach befegt ließ. Die Makedo⸗
nier erflürmten theils die fchlecht bewachten Mauern, theils bie
Thärme neben den Thoren und erbrädten die Thebaner in benfel-
ben’. Nun brad auch die Beſatzung der Kadmea durch, for-
eirte die Barriere bei C, die man gegen die Burg aufgeführt
hatte, und. drang auf den Markt. So waren bie Thebaner
doppelt in der Fronte und im Rüden angegriffen: die Mafe-
donier fämpften ſchon in ber Stadt, während bie Mauer noch
geſtürmt ward. Nun warb ein Thor gefprengt, die Stabt ge-
flürmi, wie Magdeburg, und mit berfelben Wuth zerflört.
Ueberall wurde gemorbet; Alerander hatte viele Thrafer bei
fih Die raue Barbaren waren; bie Thespier, Platacer, Pho⸗
fier, Orchomenier waren die erbitteriften Feinde der Thebaner.
Den ganzen Tag bis in die Nacht hinein wurde gemordet und
Blut vergoffen‘. Kindiſch iſt es wenn man barauf Gewicht
legt, daß Alerander befahl das Haus des Pinbar fliehen zu
laſſen, und feine Kamilie fchonte, während alles Liebrige zer-
flört wurde, Das ift bei der Vernichtung einer Stabt und ihres
Bolles kein Ruhm! ')
Zum Scheine der Gerechtigkeit berief Alexander eine Ber-
2) Zn den Anefvotenbüchern if die Erzählung, daß die Nachkommen Pin:
var’s eine Infchrift über Ihre Haus gemacht hätten ale man die Ein:
nahme der Stadt vorausſah. Dies if: nicht ganz wahr, fondern
wahrfcheintih if es bloß gefchehen, ale, nachdem bie Zerflörung The⸗
ben's befchloffen war, den Pindariden Freiheit und Grhaltung zuges
fihert war. Da bat man den Ders [zum Andenken] über das Haus
gefchrieben. — Die Summe des aus ber DBente gelöften Geldes bes
trug 440 Talente, was für Theben eine große Dürftigleit anzeigt.
Diodor hat dies als den Werth der 30,000 verkauften Thebaner anges
ſehen. 1825.
438 Zerſtörnug der Stadt Theben. Alerander gegen Athen.
fammiung der griechiſchen Bunbesgenoffen, der Pholier, Thes⸗
pier, Orchomenier und ‘der übrigen boeotiſchen Städte‘ zufammen
am über die Thebaner zu richten. Es war am Tage nad
ber Erftürmung: in ber Stadt war nichts als Leihen und
SHaven, und in biefem Blutbabe berief der Heuchler unb
Tyraun die Griechen zum Gericht. Mit grellen Karben ſchil⸗
berten bie Phokier, die Boeoter bie Graufamfeiten der Theba-
ner von vielen Jahren ber’. Die alten Berfünbigungen im
perfifchen Kriege, feit dem 150 Jahre verfloffen waren, ja bie
Berbrechen des Haufes des Debipus mwurben ihnen noch mit
zur Laſt gelegt als triftige Urfachen die Stabt zu vernichten.
Das liegt ganz im Eharakter-der damaligen Zeit. Die cher
bauer durften fich vertheibigen; einer ber Gefangenen, Kleabas,
trat auf, nahm das Wort für bie unglüdliche Stabt, bat fie
nicht zu zerftören und die Gefangenen freisulaffen. Dennoch
wurbe beichloflen, die Stadt folle zerſtoͤrt, alle Gefangenen als
SHaven verkauft werben; jeber Flächtling vogelfrei fein und
bas ganze Gebiet mit Ausnahme ber Tempel unter bie Bun⸗
besgenoflen vertheilt werben, Nur bie Priefler, die Freunde
Philipp's und Alexander's, die Prorenen ber Mafedonier'), bie
Nachkommen Pindar’s erhielten die Freiheit und wahrfcheinlich
75.82.
auch ihr Bermögen‘., Wohl hatte Theben ſich ſchwer an Grie⸗
chenland verfündigt, aber doch ift die Zerflörung der Stabt, die
bie Altefle wohl von Griechenland war, bie Vertheilung ihrer
Feldmark unter die Nachbaren gräßlich’,
Die Zerftörung Theben's brachte einen allgemeinen Schref-
fen hervor, wie eine entſcheidend verlorene Schlacht gegen bie
Sranzofen in unferen Tagen. Wo vorher bei Manchen fan-
guinifhe Hoffnungen geweien waren, bei ben Berfländigen
.?) Diefe nnoofevo: hatten die Pflichten gegen ein Land, bie ein Eeros ge:
gen deu einzelnen Maunn und deſſen Familie hatte. Sie waren in ber
Stadt mehr als ueroxoı, Tonnten heiratben und erben. 1825.
Alerander gegen Alben. 439
ſchwere Sorgen, bei Andern wenigfiens bie ſchwache Hoffnung
daß es doch eublich etwas beffer werben würde, ba hatte auf
einmal die ſchrecklichſte Wirklichkeit Alles vernichtet, und die
gänzliche Abhängigkeit war da.
Als die Nachricht in Athen anfam, feierte mau gerade bie .
Myfterin am 20. Boedbdromion (September). Augenblicklich
wurden alle Ceremonieen eingeflellt, die Thore gefchloffen, und
alle Borlehrungen für eine Belagerung getroffen‘. Die Athe-
ner batten ſich ſchwer compromittirt: ſchon durch ihre Maßre⸗
geln als fie nah Philipp’s Tode fi unabhängig erflärten,
noch mehr als Alerander hinter dem Haemus fand; befonders
bie Häupter. Demoſthenes und Hyperides unter ben Nebnern,
Ephialtes und Leoſthenes unter ben Feldherrn hatten unummwun-
den ihre Gefinnung ausgeſprochen. est ſtand Alexander mit
feinem Heere auf dem Kithaeron, die Wachtfeuer müſſen in
Athen fichtbar geweien fein. Das Boll war verfammelt, be=
rietb was zu thun fei. An eine Vertheibigung, ba man fo
überrafcht worden, war nicht zu denken. Ganz augenbliclich
muß es wicht entfchieden, ed mögen Wochen vergangen fein,
denn Nieranber befürchtete wie Philipp vorher, der Piraceus
möchte den Perfern geöffnet werden. Mitten in dieſer Beklom⸗
menbeit betrugen fich. die Athener mit einem Edelmuth, ber ber
Republik eigen war. Leber die unglüdlichen Thebaner war von
den Bunbesgenoffen die Aechtung ebenfo ausgeſprochen, wie bie
Spartaner am Ende des peloponnefiichen Krieges den Deichluß
gefaßt hatten, daß jeder Athener vogelfrei fein follte ber aus⸗
gewandert fei, und wie die Fürften bes rheinifchen Bundes nicht
faul gewefen fein würden [gegen Preußen] au beſchließen, wenn
Napoleon es gewollt hätte. Mitten jedoch in dieſer Bedraͤngniß
beſchloſſen die Athener, daß bie zu ihnen geflüchteten Tpebaner
in Schug genommen, einer ausgeliefert werden follte, zum
Danfe dafür daß die Borfahren ber Thebaner ben athenifchen
440 Unterhandlangen mit Alerauder. Die zehn Reduer.
Fluchtlingen nach dem peloponneflichen Kriege eine Freiſtatt ge⸗
währt hatten: aber nicht aus Großmuth wie wir gefehen ha-
ben, fonbern weil ihnen bie Augen über den Stolz ber Spar
taner aufgegangen waren. Darauf jahen aber bie Athener nicht.
Seitdem waren 17 Olympiaden (68 Jahre) verfloffen und ge
wiß nur die älteften Leute erinnerten ſich deſſen noch.
Was follte man aber gegen Alerander tun? Jetzt war
bie Rede davon ihn zu verföhnen. Wenn eine Flotte hinrei⸗
hend ausgerüftet dageweſen wäre, fo hätte man bie Verbindung
mit Perfien eröffnen und der Stadt Lebensmittel zuführen kön:
nen, man konnte dann das Landvolf in die Stabt bringen und
allerdings den Entſchluß faflen, es auf den Krieg aufom-
men zu laffen. Da aber bie athenifche Flotte noch nicht ge
väftet und bie 170 Schiffe der Malebonier und ihrer Bun-
besgenoffen in See waren, fo war dies gefährlih. Sie waren
jedoch noch Feinesweges fo weit gebracht, Daß fie unbebingt ber
Gnade Alerander’s ſich hätten ergeben müflen: fie fanden fo
daß fie unterhandeln fonnten.
Man befhloß nun in Athen eine Gefandfchaft an Aleran-
ber zu ſchickken um ihm Glück wegen des Sieged über bie Il⸗
Igrier und XTriballer zu wünfchen, ald wüßten fie noch nicht
von ber Zerftörung Theben’s. Wlerauder aber behandelte die
Geſandiſchaft fehr fehnöbe, warf das Pſephisma auf die Erde
und wandte ihr den Rüden: er fchrieb dann einen fehr grim-
migen Brief an die Athener, worin er ihnen alle Berleßungen
vorwarf und zuletzt Demofthenes und bie vornehmflen und aus⸗
gezeichneiften Bürger forderte, um fie von dem hoͤchſten Gericht
Griechenland's richten zu Taffen‘.
Es heißt gewöhnlich, Alexander hätte die Auslieferung ber
zehn Redner gefordert. Damit ift es wunderlich zJugegangen‘.
Durch Veränderungen, von denen bie Geſchichte nichts fagt,
muß nämlich damals in Athen eine ſchwache Analogie mit dem
Die zehn Redner. 441
römischen Volkstribunat eingetreten geweien fein. Demoſthenes
fagt ſelbſt: ehemals zogt ihr in’s Feld nach den Phylen, vü»
solssevsaIe zurd pulag; und ’aus mehreren Stellen’ ſcheint
ed bervorzugehen, baf die Einrichtung getroffen war, daß jebe
Phyle einen Fürſprecher — wie bie Schweizer fagen — er⸗
nannte, den fie unter benen erwählte, bie am Meißen bem
Ruf eines Redners hatten, Bon der atheniſchen Berfaffung
wäßten wir gar nichts, wenn wir nit im Harpokration
und Pollux Fragmente aus Arifioteles’ Politieen Hätten, So
mäffen wir annehmen, daß in der Anardie fih aus dem
Bedürfniß nad einer Regierung eine andere Conflitution ent⸗
widelt hatte, als wir fie uns. vorfiellen. Wenn auch die
Macht ber Bollöverfammlung größer und unbeilfamer ge»
worden war, wenn fie fich auch in Alles mifchte und bie Macht
der BovAn befchränfte, fo hat ſich doch nach dem peloponneſiſchen
Kriege eine Korm entwidelt, in der bem Volle vorgetragen
wurde. Diefe ift allerbings fehr dunkel, aber‘ außer Frage if,
dag, wahrfcheinlich nach der Olymp. 100, die Veränderung ein⸗
getreten ift daß jede Phyle einen Fürfprecher erwählte, "ber,
obwohl jeder attifhe Bürger fprechen konnte, doch mit größerer
Befugniß als Nepräfentunt der Phyle auftrat, vorzugsweife zu
reden, Borträge zu machen u. f. w., aber nicht ſolche Gewalt
wie die römifchen Tribunen hatte. Ihre Berhältniffe waren
burch befondere Gefege näher beftimmt; fo mußte man, um ein
folcher Fürfprecher zu fein, Familienvater fein und fein Vermoͤ⸗
gen in Tiegenden Gründen haben‘. Diefe Form ift eben Ber-
anlafjung daß die Macht der Rede fo groß wurde. Dieſer
Repräfentant führte ben Namen bes Rhetors, und weil zehn
Phylen waren, deren jede ihren Rebner hatte, fo waren zehn
Rhetoren. Dies ift der Sinn, in welchem die zehn Rebner zur
Zeit des Demofthenes genannt werben, Ein foldher war De⸗
mofthenes und auch Aefchines‘,
443 Die zehn Nedaer.
Epäter gehören nun bie Adna dejsoges bloß der Ritteratur-
geſchichte an, eine Weihe von Rednern aus verfehiebenen Zeiten,
Die anfängt mit Antiphon nnd Hundert Jahre naher ſchließt
wit Dinarch. So eben die zehn Rebner in allen Litteratur-
geſchichten. Plutarch und Dionyfius von Halilarnaß fahen in
ihnen wur eine zufällige Zuſammenſtellung einer Anzahl von
zehn claffifhen Rednern. Man fragt ich aber, wenn nur auf
Elaffirität Rüdficht genommen wird, warum ift nicht Demetrius
Dpalereus unter ihnen? Der Umſtand ift aber ber: jener Name
der zehn Redner, der in der demoſtheniſchen Zeit oft vorkommt,
iR naher "in einer ſpielenden Allufion‘ von den aleranbrini-
fhen Grammatikern, 'die die atheniſchen Linrichiungen aus
Ariftoteles’ Politieen wohl Taunten’, auf die übertragen, die fie
in den Kanon ale claffifh aufgenommen hatten. Auch ift wohl
in der Zeit des Philipp und Alerander die Rede von ben zehn
Rednern, wo keineswegs Redner gemeint find: unter ben zehn
Kebnern, die Alerander forderte, waren nicht alle Zehn Reb-
ner, fo Ephialtes nicht, von deſſen Rednerſtelle wir fouft feine
Spur haben. Wenn Alexander überhaupt zehn Männer for-
berie fo haben Plutarch und Andere übereilt zehn Rebner ver-
fanden, befonders da Plutarch ſich vorflellt, Die Athener Hätten
nur Wüffen als Rednet, fo als wen jegt ein Journaliſt be-
leidigt ').
) Welche Männer Alexander forderte, ift nicht ganz beftimmt. Mrrian
nennt uns Demoſthenes, Lyfurgos, Hyperldes, Chares, Cphialtee, Ber
Igeutins, Moerekles, Diotinns und Charidemue. Platarch in ber vita
de6 Demofthenes aber übergeht dem Hyperides, Dietimus und Chares
und nennt an ihrer Statt den Damon und Kalllſthenes. Arrlan if
eine hohe Unetorität, uud Ihm IR zu folgen, Plutarch dagegen had
nakritiſch. Daß Huperides gefordert fei, wird von mehreren Seiten
bezeugt; er könnte alfo wohl durch einen Schreibfehler bei Plutarch
anegefallen fein. Was den Damon und Kalliſthenes betrifft, fo iſt der
Erſtere eine ganz unbefannte Perfon und gewiß verfchriehen. Der
Name gehört nur dem borifchen Stimmen, fein Athener if mir mit
diefem Namen vorgefommen. Kalliithenes aber war cin Freund des
Demoſthenes; fein Name war vielleicht der zehnte bei Aırian und fanz
Phoflon. Würdigung feines Charaktere. 443
‘Alexander hatte gerade bie Blaͤthe bes atheniſchen Volles
geforbert, um es ganz herabzumärbigen: feine Forderung erregte
das größte Entfetzen“. Da trat Phokion in der Vollsverſamm⸗
Iung anf und forderte bie Zehn höhnifch auf: da fie fo ebke,
gute Männer wären, fo follten fie ihren Patriotismus dadurch
beweifen, baß fie nach dem Beifpiele der Töchter bes Leos und
Erechtheus fih willig für das Vaterland opferten, das fie fo
compromittirt hätten!
Phofion war ein Held nicht der Zeitgenofien — bex
Rednerſchulen, daher ift er auch ber Held des Plutarch, der die
leicht ausgefallen fein. Smwar haben ihn alle Handfchriften des Arrian
wicht: dieſe kommen aber alle anf einen einzigen Haupttoder zuräd, der
nicht gefunden ift; die befannten find gering. — Unier ven Geforders
ten iſt außer Demofthenes, Hyperides — eine patriotifhe Seele, wenn
er auch nachher ſtranchelte — Lykurgos und CEphialtes, Polyenktod:
er war vertrauter Freund des Demoſthenes, ein Mann der mit dieſem
und Lyfurgos verbunden, in Griechenland herumging, um feine Brüs
der anzufenern und an den bedentendſten Gefchäften Theil nahm, Märs
tyrer feiner Freiheitsliebe. — Dann Moerofles: er erfcheint Immer ale
einer von den guten und achtbaren Bürgern, nur anf eine Art kam
er In übeln Ruf. In dem dritten ber apofryphifchen Briefe des De:
moſthenes wirb er als der genannt, welcher die Kinder bes Lyknrgos
verfolgt babe. Nirgends aber fonft flieht dieſe Berläumbung, Einer
Schuld wegen foll er in deu Schuibferfer geworfen nnd nachher von
Antipater ale ein Anhänger des Demoſthenes gejorbert und für bie
ante Sache ermordet worden fein. — Diotimus ferner war einer von
denen bie gegen Philipp auftraten: er machte die Schlacht bei Chaero⸗
nea als Hipparch mit, bewaffnete ans eigenen Mitteln athenifche Reis
ter. Er war äfter als Demoſthenes. Bon Ihm if es ſchon zweifels
haft ob er zum ven zehn Mhetoren gehörte. — Chares muß Damals ſchon
ſehr alt geweſen fein, da er fchon In dem nuglücklichen Kriege gegen
die Bnndesgenofien Feldherr geweſen war. Charidemus war jener
eleude Anführer von Niethſoldaten: er hatte das athenifche Bürgerrecht
belommen. Dinarchns fpricht von ihm als einem ber erfien Männer
der Nation. Er ging jept an den Hof des Darius, wurde fehr güns
ig aufgenommen und in den Rath des Könige gezogen. Da er aber
vor der Schlacht bei Zfiue ſtolze Rathſchlagge gab — er wollte bas
DObercommanto für fih — fiel er beim Könige in Ungnade nnb warb
hingerichtet, weil die Satrapen durch ihn fich beleidigt fanden. — Kal:
liſthenes, ein Lüchliger Staatemaun und Freund tes Demodenes If
faft weiter nicht befannt. 1825.
444 Phoklon. Würdigung feines Charaktere.
Biographieen mit dem Urtheil übernommen hat, wie es ſchon
sorbanden war‘). Die Hug Nachkommen ſahen aber ein,
daß Demoſthenes und bie Patrioten Athen's Lage fehr ver-
ſchlimmert hätten, Daß es unendlich beſſer geweſen wäre, wenn
De Borfahren ſich fein zeitig unter die malebonifche Hoheit be>
geben hätten, daß man Philipp bewundern, Alexander vergöt-
tern müfle! Bon diefer Gefinnung gingen fie aus, und fo
hatte ſich natürfich die Meinung feftgefest, daß Phofion, ‘der
zufällig das Ungläd vorausgefagt hatte, das Rechte getroffen
babe!
Phokion hatte unter feinen Zeitgenofien den Beinamen det
Reblichen, xonoros, und diefer kam ihm in einem gewiflen
Sinne zu: daß man ihn aber einen Helden der Tugend
nennt, ihn als ben einzigen Edeln in Athen betrachtet fo daß
man auch dem Demoftbenes und andern Erlauchten dadurch
Abbruch thut, das iſt unerträglich, das kann ich nicht zugeben.
Während im Allgemeinen die Denfchen mit wenigen Ausnab-
men nach Reihihum, Behaglichkeit fireben, pflegt man fich für
dieſes Streben eben damit abzufinden, daß man eine Art Gößen:
dienft mit der Armuth treibt. Ariſtoteles und jeder praftifche
redliche Menſch würde fagen, bag man fih durch feine Rück⸗
ſicht auf Reichthum, durch alle Schaͤtze der Welt vom rechten
Wege den man geht nicht abbringen Taffen folle, aber daß ber
Reichthum eine große Kraft if, daß er Mittel gibt Vieles zu
pollbringen, das Leben zu verfchönern. Der Kynifer ſpricht
verähtlih vom Reichthum: er ift aber ein Adiaphoron für den
verfländigen Dann. Die Leute, bie von ber Auf beberrict
werben, glauben durch vorübergehendes, unvernünftiges Kaſteien
bes Leibes fromme Handlungen zu thun: fo ein indifcher Büßender,
ein mohammebanifcher Fakir, ein Kyniler find ausgeartete Men⸗
) Gin Urtheil über Plutarch, das an viefer Stelle fand iſt Hier ausgelaflen,
weil ein ganz ähnliches fchon in der 69. VB. (S. 359) Ach findet, und
in die letztere Stelle verflochten. A. d. H.
Phokion. Würdigung feines Charakters. 445
fhen; das Heißt Bott laͤſſern! Woher kommt dies Derlamiren
gegen Reichthum, als bloß weil man ben Reichthum als eine
fo unfelige Verführung, als etwas fo unwiderſtehlich Reizendes
betradhtet? Demofihenes hätten alle Schäge der Welt nicht
vermodt das Baterland zu verratben, wie ed ung feinen Ruhm
bringt, daß wir nicht Gannibalen find: das tft Fein Verdienſt,
eben fo wenig ald wenn wir feine Gräuel begeben, bie ber
Ratur widerfiehen. Wenn man von Phofion’s freiwilliger Ar⸗
muth einen foldhen Laͤrmen fchlägt, fo befennt man damit nur:
wäre ich in feiner Lage geweien, dann hätte ich bie hundert
Talente von Antipater genommen! Wenn die Zeitgenoflen Pho-
fion den Redlichen nannten, fo gefhah es nicht im Gegenſatze
zu Demoftbenes, Leofihenes und Ephialtes: — Ephialtes und
Leofihenes nenne ich neben Demofthenes als edle Namen der
Zeit, vor denen ich mich tief verbeuge, — fondern weil man
ihn mit Eharidemus und Chares verglich und da mußte frei-
lich Phokion fehr hervorleuchten. Schande war. es allerdings
für Athen, dag man ihn mit folchen Leuten verglich: dieſe Bei«
den waren wüfle Menſchen, feil; Charidemus war ber treulo⸗
fefte Menſch, der an Athen verbungen ſich an Jeden verkaufte
der ihm eine Summe bot, der 3.3. von den Athenern zu einer
Erpedition ausgefchict, kein Bedenken irug 3.3. für den Kö⸗
nig Kotys von Thrakien Krieg zu führen und bie athenifche
Erpedition in Stih zu laſſen! Daß die Athener ihn und Cha⸗
ridemus zu Feldherren wählten war das größte Unglüd. Und
doch fonnte, wie Durch Zauber, Athen von biefen grundfchlechten
Menſchen nicht loskommen. Es fehlte eine Gentralregierung im
Athen bei folhen Wahlen zu den Keldherrnfiellen, und völlig
durchgreifen fonnte dabei ein einzelner Dann wie Demoſthenes
nit. Was fol man aber dazu fagen, daß Phokion Dienk
bei den Verfern nahm? War es vielleicht um feinen Dilettan-
tismus zu zeigen, daß er gegen ein Volk auszog, das fich fei-
ner Freiheit wehrte? deſto fchlimmer. Oder war es wie bei
446 Phoklon. Würbigung feines Charakters.
Iphikrates Raub» und Gewinnfucht die ihn dazu trieb? wie
fann denn der Ruhm von ihm gelten baß er nichts auf bas
Geld hielt? Sein mufterhaft tugendhaftes Reben befhränft ſich
in der That darauf, daß er nicht zu beftechen war’.
Diefer einzige Zug iſt genug, daß er Demoſthenes auf-
fordert in den Tod zu gehen. Das allein Tann den Rimbus
der Tugend von ihm nehmen‘. Er war Demoftbenes perfön-
lich feind: ein Widermwillen den man begreift, wenn man zur
Zeit des Rheinbumdes die Menichen gefehen bat. Ich babe
Leute gelannt, von denen ich weit entfernt bin anzunehmen, daß
fie nicht ehrlich geweien feien, aber die unfähig waren für je
ben Enthuſiasmus, Aufopferung, für jedes Vertrauen, die mein-
ten: „das Elend beftebe in Wahrheit nicht in der Knechtſchaft
unter frembem Joche, fondern in den Uebeln die der Krieg mit
ſich bringe, in perfönlichen Leiden; nichts fei thörichter als Auf-
spferungen feder Art; es fei ja eine unendlich geringe Wahr⸗
ſcheinlichkeit auf Erfolg, es fei vielen Taufenden gleichgültig,
wer über fie herrſche.“ GSagte man ihnen bagegen: „Damit
opfert man alle Nationalität auf, die Exiſtenz wodurch das Le⸗
ben ſich über das thierifche Wohlbefinden erhebt; was iR es
dann noch für ein großes Unglüd, wenn man flirbt? was {fl
der Tod, was iſt Ungläd gegen die Knechtſchaft?“ — wie oft
babe ih das Gefühl gehabt, daß ich flerben möchte und alle
bie mir Tieb waren und ich Bott dafür gebanft hätte, auch da⸗
für daß ich noch keine Kinder hatte! — dann antworteten fie:
„Sie fchwärmen,” und erbittert fügten fie zu: „für alles Un-
glüd find Sie verantwortlich; ja man risfirte von ihnen de-
nuncüirt zu werben als Schmwärmer und Anftifter bes Berber-
bens. Zu diefer Claſſe von Leuten, denen in neuerer Zeit fein
billiger Mann ein Ehrendentmal fegen wird — man wirb ih⸗
nen verzeihen — bie zwar nicht böfe find, aber unendlich nie-
drig in moraliſcher Hinfiht fleben, ganz Inbifferent, alles En⸗
thuſiasmus ganz unfähig find, gehört Phokion. In folden
Bhofion. Bürbigung feines Charakters. 447
Menſchen ift Haß und Gift: ich habe fie triumppiren fehen über
Dinge, die fie fonft in ruhigem Sinn beflagt hätten, aber ihre
Weisheit hatte ed gefeben, und fie fränlten ihre Gegner! Ber
räther waren fie nit. So war Phofion- ein eben fo fehlechter
Bürger als Demoftbenes ein vortreffliher. Ich erwarte noch
einmal das Vergnügen, deswegen als Läfterer dargeſtellt zu
werden. Bon Jugend auf habe ich vor Phokion einen gefun-
den Widerwillen gehabt, und. er if mir immer flärfer gewor-
den. Ich bin in Verhaͤlmiſſen geweien, wo ich ſolche Erfah- °
rungen machen konnte, und nur dann kann man von Befchichte
reden, wenn man fie fo fühlt als ob man damals gelebt hätte.
Ich hätte mid unbedingt an Demoſthenes gefchloflen, er war
fein Schwärmer, fondern von aller Thorheit frei. Was follte
er thun? Sollte er fuchen ein Buͤndniß mit Philipp einzugeben
um Athen zu fördern oder follte er ruhig zuſehen? Go fragt
er in der Rede pro Corona’,
Pholkion forderte alfo hoͤhniſch nichts anderes, als daß ber
Mann der ohne Vergleich damals der erfle zu Athen war, ben
malfebonifhen Tyrannen überliefert werde, damit die Stabt
wieder zu Gnaden angenommen würbe. Aber das athenifche
Volk zeigte fi wie es wars; es verwarf dieſen ſchaͤndlichen
Borfhlag und befhloß nicht nur feinen Mitbürger aufzuopfern,
fondern ſelbſt dann nicht Frieden zu fhließen, wenn bie Aud-
lieferung ber unglüdlihen Thebaner gefordert würde: Tieber
wollten fie alles Webel über ſich ergehen laſſen. Demofthenes’
nolızein war es, weiche die Athener in ber edlen Gefinnung
beflärfte die Thebaner zu ſchützen. Nach einem foldhen Beſchluß
follte man doch mit Reſpect über Athen reden und anerfennen
weichen Einfluß ein großer Mann auf das Bolf haben konnte!
Das Schwere war nım, daß Jemand zum Tiger in feine Höhte
ging, um jest zu unterhandeln, und ich glaube wohl daß es
wahr ift, daß Demofibenes dem Demabes 4000 Kronenthaler
oder 1000 franzöfifche Louisb’or (vier Talente) geboten bat,
448 Frieden mit Alexauder.
damit diefer zu Wlerander hinginge und bie Sade unterban-
delte. Er that es: er konnte auch ohne Furcht wagen zu geben;
er galt weber bei Alexander noch bei font Jemandem für
einen Schwärmer, Er war im Brunde eine gute Haut, durch⸗
aus wicht bösartig, und hat Niemand unglücklich gemacht:
fonute er nur Gelb befommen, fo war er geneigt das Bee
zu thun. Es gibt Fälle, wo ein Ehrenmann nicht zur Unter⸗
handlung tangt oder man Ihn nicht dazu auffordern kann; ba
if ein folder Demades ein großes Glück. Demades machte eine
Sache gut und brachte die ganze Sache aufs Schönfte in’:
Keine; Alerander ließ fich wirklich beivegen bie Forderung auf:
zugeben. ’Die Feſtigleit der Athener zwang ihn zur Rachgie-
‚bigfeit: denn er hatte nur die Wahl, jetzt Frieden zu fchliegen
oder Athen zu beiagern: dann aber ſetzte er fih ber Gefahr
aus daß die Perſer den Krieg nad Griechenland verfesten:
aber feine Panegyrifer haben nicht verfäumt feine Nachgiebig-
keit als Großmuth zu preifen und als Hochachtung für das
große Athen.
Nur wurde bedungen, bie Athener follten einige Feldherrn
exiliren: die nämlich fi ſchon entfernt hatten um gegen Aleran-
ber zu flreiten: es wurde ihnen nur ein Verbannungsdecret
nachgeſchickt, mit dem guien Borfage, fobald andere Berhält:
niße einträten, ed wieber zurüdzunehmen. Was diefe Ber-
bannung zu bedeuten hatte, das fieht man daraus, daß Deme-
fibenes und feine Freunde in Athen blieben’. Jene Männer
gingen bin, wo Widerftand gegen Alexander war, gleich unferen
Dffigieren im Freiheitskriege: fo unfer trefflidder General Grol-
mann, der 1809 als wir unglüdlih waren zu den Oeftreichern,
banın zu den Spaniern ging, wo er auch als Gemeiner bienen
wollte, wenn ed nicht auders ginge: er mußte ringen, kaͤmpfen,
wo man gegen ben allgemeinen Feind focht. Se ging damals
Epbialtes zu den Perfern, der hernach bei Halifarnaß blick,
und biefe Befinnung war in verfehiebenen Männern: Dinarchus
Lage Mihen'a nach nem. Tuleden. 48
war Anfangs auch einer von ihnen, aber nachher ward er ein
Abtrinniger, veränderte feine Politit. Dem Demoſthenes wirb
vorgeworfen, wenn er ein folcher Patriot gewefen, warum er
nicht auch ‚gegangen ſei? aber bie Antwort if ganz einfach:
weil Demofthenes in feinem vorgerüdten Alter nicht viel aus⸗
richten komte. Wer fagt denn, daB er als Offizier etwas
taugie? ſonſt wäre er wohl Strateg geworben; und als einzel⸗
ner Soldat bei vorgerücktem Alter zu gehen, fühlte er ſich mil
Hecht nicht veranlaßt. Er blieb in Attika, Ieitete bie Athener
in der Stabt richtig und mit Kühnheit, wenigftens fo wenig
Unwürbiges als möglich zu thun: fo lange er da war, war er
eine ſtumme Proteftation gegen Alles was Athen’s Ehre ver⸗
letzte, für die Unabhängigkeit und Würdigkeit Athen’s.
Me Geißeln für ihre Treue mußten die Athener Reiter
und 20 Baleeren dem Alexander zu Hülfe fchiden. Die The⸗
baner blieben aber ungeftört und ficher in Alben. Alexander
zeigte ſich Hier in ber That fehr gnädig: er fühnte ſich mit dem
Athenern aus und fagte, daß fie die Hegemonie über Griechen
land Abernehmen follten, wenn er gegen Alien unglädlich wäre, .
Sp fland Athen auf eine würdige Weife da, ba es nicht
mehr glänzend daſtehen konnte. Vor Allen behaupteten bie
Athener ihren Charakter, und wenn fie dem Alexander Ehren»
bezeugungen erwiefen, fo geſchah dies nur weil es Gewohnheit
war. Ihre ſittliche Würbe zeigte aber daß fie in biefer Zeit
unter den Schreien ber höchften maledoniſchen Macht bas alte
Geſetz einſchaͤrften, wer einen freigebovenen Griechen als Skla⸗
ven befäße folle flerben, und auch wirklich Einige zum Tobe
verurtheilten, die von. den Mafeboniern zu SHaven gemachte
Griechen kauften: daß fie in der höchſten Größe Alerander’s
dem Demofibenes den goldenen Kranz zufprachen auf Ktefiphon's
Rath und ihn von allen Auflagen der Sykophanten befreiten;
dag fie ihn nie anflagten daß feine Verheißungen nicht in Er⸗
füllung gegangen feien, und bie Anverwandten ber in der Schlacht
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. IL 29
23@ Lage Klpen's undy dem Weichen.
bet Chaeronea Gefallenen verficherten, es gereue fie aud nad
dem Tobe ihrer Angehörigen nicht, daß fie dem Demoſthenes
gefolgt feien?.
Dabei wurbe Alles angewandt, um fi zu rüſten. Die
athenifhe Flotte warb auf eine Zahl gebracht wovon fie feit
dem yeloponnefifchen Kriege weit entfernt gewefen. war. Lylurg
war ald Verwalter der Finanzen fehr ausgezeichnet: er iſt der
Einzige im Alterthume der duch Finanzverwaltung fih Ruhm
erwarb. Sonft ift er neben Demoftbenes nicht zu nennen, aber
unglaublich iſt es wie er bie Einnahmen verbefierte, Athen ver-
fehönerte, ‚die Flotie baute. Er hatte drei Pentacteriben hin-
durch die Leitung und Verwaltung ber Finanzen und mehrere
Theile der Verwaltung hatten eine confolidiriere Berfaffung er-
halten als felbf in Rom. Lykurg felbf hatte das Geſetz gege-
ben, daß Niemand länger ald eine Pentaeteride hindurch bie
fem Amte vorfiehen folle: aber das Volk ſelbſt trug es ibm
einmal nad) einander unter der Form an, baß einer feiner
Freunde den Namen trug, er ſelbſt aber die Geichäfte ver-
waltete,. Ex hat in der Berwaltmg wirklich Wunder gethan,
400 Galeeren gebaut, im Piraceus Arfenale errichtet, die Zeug-
bäufer mit Waffen verjehen. Auch hat er Alles geiban um
Sinn und Achtung für die ſchon gefunfene Poeſie zu erbalsen:
er bat Chöre und neue theatralifche Wettlämpfe gegründet und
einen Fonds für die Sieger in benfelben geftiftet, er hat bie
Tragvedien bes Aeſchylus, Sophofles und Euripides auihen-
tiſch abſchreiben, fie in Archive niederlegen und dann öffentlid
vorlefen laſſen: denn aufgeführt mußten immer neue Stüde
werben. 14,000 Talente hat er verwaltet und treue Rechen-
shaft gegeben. Bei Stolz auf fein Gefhleht — er war aus
dem alten edeln Geflecht ber Butaden) — hatte er große
2) In aufallendem Widerſpruch mit feinen fonfligen, früheren wie fpätes
ren, Mufichten bemerkt N. an dieſer Stelle, der alte athenifche Adel,
die eoyevera ſel nicht In die Demen eingefchrieben gewefen, ſondern
habe für ſich in ydveoı befanden. Dan könnte dies fo verſtehen, daß
‚Lage Athen'e nach dem Frieben.
Liebe für das Volk und heffen alte Inſtitute und Geſetze. Dem
Tode ſchon nahe ließ er fih in die Bollöverfammlung tragen,
legte mit flerbender Mine dem Bolfe feine Abrechnung vor und
forderte Jeden auf ihm Etwas vorguwerfen; und mirkfich trat
ein &lender, ein an Makedonien verfaufter Schurfe auf und
läfterte ibm in feiner Tobesfumde‘. Aber von Demofthenes if
er bimmelweit verfdhieben.
‚As Alerander fo feine Berhältuiffe mit Athen geordnet
hatte, kamen auch die übrigen griechischen. Staaten alle die füch
gegen ihn aufgelehnt hatten reumüthig und Yegten ſich zu bei
Füßen feines Throned. Die Arlader welche bis zum Iſthmus
gefommen waren verurtbeilten den Anftifter und bie Rathgeber
bes Zuges zum Tode, die Eleer nahmen ihre Berbannten wies
der auf und die Aetoler baten um Gnade. Sie fhidten bit⸗
tend xar’ 8997 Geſandie, ein Zeichen alfo, daß fie noch feine
Gefammtverbindung hatten, fondern die einzelnen Völkerſchaften
zufammenwirkten wie bie artadifhen Voͤlker. Damals wahr
fheinlih war auch die Revolution in Pellene, die und das
Schickſal der Griehen unter der mafebonifchen Regierung recht
zeigt’.
Rah diefem zog Alerander im Frühling, am Ende bes
zweiten Jahres der 111. Olympiade über den Hellespont, und
der perfifche Krieg begann, den ich wenig ausführlich behandeln
will, weil ich geradehin auf Arrian verweilen kann.
Eroberung des perfifhen Reichs.
Alerander unternahm den Zug gegen Aſien als ein wahrer
Abenteurer. Ich gehe niemals darauf aus, parabor zu fein:
der Mel nicht in die Localdemen eingefchrieben gewefen fei, fondern
in feinen yEyeoı verbleibend befondere Demen gebildet Habe: was denn
anf N's. gewöhnlihe Meinung herausfommen würde. Aber weiter
fagt N. Lykurg fei als Adliger von allen Borrechten ausgeſchloſſen ges
wefen, und damit fällt die Möglichkeit dieſer Deutung fort. A. d. ©.
29*
‘
76. 2.
459 Sage der Triegfüheenten Parteien.
im Gegeniheite ich vermeide Paraborieen und verabicheue fie:
ich betrachte xoıwas dasaı als etwas fehr Reſpectables. Wenn
th alfo über Alexander fpreche, fo habe ich gar nicht bie Abſficht
Yaraborieen zu fagen. Ein Abenteuer aber nenne ih ed eine
Sache fo zu unternehmen, baß von ihrem Erfolge Alles ab-
hängt. Die Lage der Dinge kann fo fein, daß man einen Krieg
anfangen muß und Alles daran ſetzt zu fiegen ober unterza-
gehen. In ber Lage war Hannibal bei feinem Zuge gegen
Stalien; aber da war nichts Anberes zu machen, SKarthage
konnte Feine Flotte herfiellen und ber Krieg war unvermeiblid.
Aber nicht fo war es der Fall bei Alerander; er fing den Krieg
bloß an, weit die Herrſchaft über das reiche Afien ihn unwi⸗
derſtehlich anzog. Er unternahm ferner den Krieg ohne eine
Meferve; denn die Truppen die unter Antipater’s Befehl in
Makedonien und Griechenland blieben, waren nothwendig, um
dort bie Herrfchaft zu behaupten. Die Bevoͤllerung Mafebo-
nien’3 kann nicht groß geweien fein, und diefe war durch bie
Kriege Philipp's ſchon fehr angegriffen. Er ging in ben Krieg
mit einer Flotte von 170 Schiffen, die für den Seekampf ge-
gen die perfifhen Schiffe von Phoenicien und Cypern ganz und
gar unzureihend war. Er hatte ferner fein Geld; es ift nicht
unwahrfcheinlih baß er, wie angegeben wird, nicht mehr ale
70 Talente bei ſich hatte als er anfing: fobalb der Krieg in
bie Länge gezogen wurbe, konnte er nicht ſechs Monate beſte⸗
ben. Mit dem Geifte eines Spielers facrificirte er demohnge⸗
achtet in Mafedonien Alles, machte die Makedonier fleuerfrei
und verſchenkte feine Domainen, fo daß der Verftändige fagte:
„Dir bleibt nichts,’ er aber fagte: „bie Hoffnung.‘ Das ift
ein Abenteurer! Hätte Memnon gegen ihn bein Befehl gehabt,
fo hätte er durchaus ſcheitern müflen und er kam befchimpft und
ohnmaͤchtig nach Makedonien zurüuck; dann aber hätte er zuerfl
feine Gefchenfe zurüdnehmen müffen.
Wäre Darius wirklich durch perfönliche Auszeichnung auf
⁊
©
Memmon. 453
ben Thron gelommen, wäre cr aus feinem Palafte in bie Pro⸗
vinzen herabgeſtiegen um bie Lage der Dinge zu feben, hätte
er dem Mann, dem er doch traute, dem Memnon, unbedingt
den Befehl gegeben, und hätte ſich dieſer auch gegen bie per»
fönliche Eiferfucht der Satrapen behaupten können, fo war
Alerander durchaus verloren. Memnon’s Blan war ber, der
fih in nenerer Zeit unter noch ungünftigeren Umſtänden be—
währt hat, durchaus feine offene Schlacht zu Tiefern und ben
Krieg in bie Länge zu ziehen; bie ganze Kraft aber auf bie
Flotte zu Tegen und auf fie die größten Anfirengungen zu wen⸗
den; die Inſeln Alerander zu entreißen und Griechenland in
Aufſtand zu bringen; alle Schäge von Sufa und Ekbatana
aufzumwenden, um in Griechenland Zaufende zu werben unb
bort ein Heer zu bilden, das Makedonien angreife, Alerander
gegenüber aber bloß defenfiv zu handeln, 'die feſten Pläge ſtark
zu befeten’ und ihın das Vorrüden auf alle Weife zu erſchwe⸗
ren, ihm feine Berftärtungen abzufchneiden, das ganze Land por
ihm zu verwüſten. Nur einige Monate folle man aushalten,
Das Gebiet an der Küfte zerftören, fich felbft in die unwegſa⸗
men Gegenden zurüdziehen, und fo Alexander tief in’s Land
Loden, ibn nöthigen feine geringe Kriegscaſſe aufjuzehren und
feine Armee in fich felbft aufreiben. Gegen dieſen weifen vor⸗
trefflihen Plan — berfelbe Durch den der Herzog von Wellington im
fpanifchen Kriege Portugal gerettet hat, — feste fih die niedrige .
Eiferfucht der perſiſchen Satrapen und auch zum Theil ihr Pri-
vatvortheil, da fie wahrfcheinlih an der Küfte reihe Beſitzun⸗
gen hatten, Memnon aber war ohne einen beftimmten Befehl
in der allerfatalfien Rage; er hatte den Schein auf das Ber-
trauen des Königs herabgefommen zu fein, aber ihn ale Frem⸗
ben in eine Stelle einzufegen, wo er befehlen konnte, das ſchien
zu gefährlich und das vermochte ber Perferkönig nicht. Memnon
hatte nichts weiter ald eine Stimme, und biefe warb von
den unwiſſenden erbärmlichen Satrapen verworfen. Sie ver⸗
ab Schlacht am Granifus.
tranten auf ihr Uebergewicht an Cavallerie, bie befonders im
Dinfiht der Pferde den Makedoniern weit überlegen war.
Alexander führte 30,000 Dann Infanterie, 4500 Caval⸗
lerie nach Aften: dies iſt autbentifch bie auf Kleinigfeiten; ein
viel ſtaͤrkeres Verhaͤltniß der Heiterei zur Infanterie, ald es
jemals in einem griechiichen Heere flattgefunden hatte. In die⸗
ſem Heere war die Phalanr, bie Miliz, ungefähr die Hälfte,
So ſchwach waren bie eigentlichen Kriegsmittel Mafedonien’s,
daß Alerander 5000 Mann geworbener Truppen hatte. Die
mofebonifche Phalanx war barduf berechnet, daß fie die nicht
eingeübte Miliz; in Maſſen und dur die Maſſen brauchbar
mare; in fpäteren Zeiten wurde die Phalanr gewöhnlich im
Winter entlaffen, im Frühling kamen fie wieder zufammen. Die
Mierhefoldaten aber waren das ganze Jahr unter den Waffen
nnd wurden befländig einexereirt. Diefe machten den Kern bee
Heeres aus.
DOL.111,2. Ohne Schwierigfeit und ohne Wibderfland zu. finden, ging
Alerander über den Hellespont bis an den Granikus. Das
perfiihe Heer ik ihm ohne Zweifel nicht einmal fehr überlegen
gewefen: die Angaben von ungeheurer Anzahl find apokryphiſch;
die Achte Angabe bei Arrian ftelt Feine fo großen Zahlen. Rur
bedeutendes Lebergewidht an Cavallerie hatten die Perfer. Am
DL.111,3. Fleinen Fluße Granifus trafen fie mit den Mafeboniern zufam-
‚ men, Selbſt ber hoͤchſt ſchätzbare Arrian gibt oft blos bie Be⸗
wegungen an, aber ihre Zwede muß man erratben. Es fcheint,
baß bie Perfer, die in der Ebene von Dascyleum, Sig des
Statthalter von Niederphrygien, wo ihr Hauptquartier war,
verfammelt geweien, von da dem Alexander entgegeugezogen
find, weil fie erwarteten baß er die Küfte entlang nad Kyzikus
gehen wolle. In diefer Schlacht hätte die perſiſche Cavallerie
ihrer Bortrefflichfeit und Mehrzahl wegen fiegen follen: allein
fie unterlag dem Lebergewicht der Europaeer über Afiaten: wie
es immer gefchehen ift, außer zur Zeit der. Chalifen und
Sehlacht am Grauilus. Memnen beherrſcht die Ger, 5
ber türfifhen Eroberung, wo bie. Europaeer halb Afinten ger
worben waren. Alerander gebührt in dieſer Schlacht, wie über-
au, das Lob einer großen ſugendlichen Tapferkeit, bes großen
Keldberrninlents und des enifcheibenben, erforſchenden Blicks,
Der ibm durchaus eigenthümlich if bei Allem was materiell
einzurichten war. Moraliſch und inteflertuell etwas einzurichten,
Dazu hatte er feinen Blick, ja er Hatte nicht die geringfte Ahn⸗
dung daß es gefchehen müfle: aber materiell etwas einzurichten
batie er denfelben Blick wie Napoleon. . Durch biefe Eigen-
fegaften und durch bie verzweifelte Rage des makedoniſchen Hee⸗
res, da fie fiegen ober zurüdgehen mußten und dann ſo ſchmaͤh⸗
lich wie Mad bei Ulm geendet hätten, warb der Sieg möglich.
So firgten bie Makedonier und das perfifche Heer zerfireute ſich
fo, daß man. vor der Schlacht bei Iffus nirgends mehr Trup⸗
pen zufammenfindet, Man berfugte auch gar nicht ein. neues
Heer zu bilden.
Unbegreiflich, daß Darius fo ruhig in feinem goldnen
Palaſte verweilte, ohne ein Heer zu bilden. Allerdings wur⸗
den grieihifche Lohnfoldaten angeworben: aber es hätten ja brei
Monate vorher alle Zugänge aus Kleinafien nach bem Innern
mit unzähligen Bewaffneten gefüllt werben follen, und flat
deſſen wurde die Armee ganz allmählich bei Damaskus gefam-
melt und kam erft. bei Iſſus Alerander entgegen. Diele Schlacht
Hätte indeſſen noch Perfien retten können, Denn auf ber ande-
ren Seite hätte, wenn das Schickſal anders geweien wäre,
Memnon feine Pläne durchfegen Fünnen. est wurden naͤm⸗
lich feine Nashfchläge gewürbigt, der König faßte den Entſchluß
ibm den Befehl über eine Armee zu geben, wo er mit Eiferfucht
nicht zu Tampfen hatte; er gab ihm den Oberbefehl über bie
Klotte und Geld um ein Heer von Griechen zu werben. Er
begab füch zuerft nach Halikarnaß, fammelte hier griechifche Mi-
Rhophoren und eine Flotte. Diefe befam eine ſolche Bebeu-
456 Alerander uuterwirft Bybien und Karien. Belagerung
tung, daß Alexander ſehr weiſe um die Seinigen nieht einer
Niederlage auszuſetzen fe ganz entließ.
Inzwiſchen drang er mit derſelben Entſchloſſenheit vor, wie
die franzöftfchen Befehlshaber in Spanten, und ruͤckte laͤngs ber
Küfte vor. Ueberall fand er bie Symptome eines aufgelöften,
vermobderten Reiches. Die perſiſchen Befehlähaber in ven feften
Plaͤtzen dachten nit an Vertheibigung, die unüberwindliche
Burg von Sarbes mit allen Schägen wurbe ihm fogleich ohne
Widerftand übergeben. Sin ben griechifchen Seeftäbten erfehien
Alexander als Befreier: er proclamirte allenthalben die Deme⸗
kratie. Nur einige Orte, in denen flarfe perſiſche Beſatzungen
von griechifchen Söldnern flanden, Milet und Hafllarnaffus,
feifteten enifchiedenen Widerſtand. Milet warb balb erobert,
Halifarnaß wehrte fih Tange. Diefe Stabt war nicht mehr
vollkommen griechiſch; fie war lange ber Sig ber kariſchen
Dynaftie geweſen. Diefe indeß war weniger barbariſch als bie
mafedonifche. Ste ſchmückte die Stabt außerordentlich und
Halikarnaß ift Damals eine ber glänzendfien Stäbe. Seit den
Perſerkriegen hatte bie eigenthümliche unerflärlihe Macht der
griechiſchen Sprache und bes griechiſchen Weſens (unter ber
perfifhen Herrſchaft) eine ſolche Gewalt gewonnen, daß diefe
Gegenden ohne griechifche Einwanderung oder politifches Leber:
gewicht ſich helleniſirten. Die Karer waren zuerft Bapßaeo-
pcovor und nun waren bie kariſchen Fürften bie Befchüger
der griechiſchen Kunft und Litteratur. Alles war griechiſch;
ihre eigene Sprache hielten fie des Schreibens nit für werth
und haben fie eben fo wenig geachtet, wie die Miafebonier
oder wie bie Gothen unter Theoberih in Jialien bie übrige,
bie gewiß nur wenn bas höchfle Bebürfniß war gothifch ges
f&hrieben haben. Die Belagerung von Halifarnaffus gehört zu
ben denfwürbigften., Dem athenifchen Ausgewanberten Ephial⸗
te8 gebührt das Verbienft der Bertheibigung: bie Barbaren
hatten fehr wenig Antheil daran: aber Ephialtes mit Griechen
von Halilarnaß. Aemnono Operationen. AaBy
und mern fegte Alexander einen wahrhaft begeiſterten Wiber⸗
stand zmigegen, unterflüst durch Memnon von ber See her,
ber fein. Hauptquartier zu Kos hatte. Aber Alerander’s Rage
Hatte ſich jetzt zwar aufßerorbentlich gebeflert; er war jetzi im
Defige non Myſien, Lybien, Jonien, der reihen Kuͤſtengegenden,
von Benen'er reiche Eontributionen zog: fo erhielt er fein Heer
im Ucerfluß und hatte Mittel zu immer neuen Werbungen.
Er hat gewiß. mit Karern und anderen tüchligen Benten fein
Heer verſtaͤrkt. Seine Siege find wie bie König Friedrich HL
in den letzten Jahren bes fiebenjährigen Krieges: geworben
wurde immer flärker im Verhaͤlitniß mit feinen Makedaniern.
Aber: der Befig von Halikarnaß war eniſcheidend; wäre bie Be⸗
Sagerung mißlungen, fo war ber ganze Zug mißlungen, Die
Meinung war gewichen und ein Heer perſiſcher Eavallerie brach
hinter feinem Rüden aus Phrygien hervor, zerflörte Lydien
.|.W. und ruinirte ihn. Alfo Halikarnaß mußte er um jchem
Preis nehmen, und bie Borfehung wollte ihm ben Sieg. - Ephial⸗
tes fiel in. einem Ausfalle, bei dem er die makedoniſchen Bela—
gerungswerkzeuge zerflört hatte; mit ihm war bie Seele ber
Beriheidigung geſchwunden. Nun warb erfi Die Stabi einge⸗
nommen, und dann fapitulirte die Burg. Dur Ephialtes
Tod allein fiel Halikarnaß in Alexander's Hände,
Memnon hatte Alexander nicht hindern koönnen; aber er
ließ ſich nicht ſchrecken, und unternahm nuh einen großen Plan:
er ließ Alexander vorwärts gehen, und wollte ihm indeſſen der
Arhivelagus entreißen unb den Krieg nad Griechenland ver⸗
ſetzen. Ehios nahm ihn als Befreier auf, dann wandte er fih. -
nach Lesbos, in deſſen Beſitz Alexander ſchon vor feinem Lieber:
gang geweſen war, und auch biefes außer. Mitylene fiel ihm
zu. Mitylene war im Bunde mit Alexander‘); es mußte er⸗
) Auf diefen Vertrag beziehe ich eine in ber Dodwellſchen Reife befindliche
Inſchrift (Boeckh. C. J. 2166), die palaeographifch merfwürbig und im
rein aeoliſchen Dialekt gefchrieben iR. Der Stein iſt aber geflißentlich zer⸗
258 Memnen’s Beriiubung mit Aoie. Ach. Ulscander
obert werben, und er nahm es nach barinädiger Belmgerumg.
Den König Agis von Sparta hatte er gewonnen, umb ſchon
Hatte biefer ein Heer für ihn zuſammengebracht; fon waren
yerfifche Truppen auf Euboen gelandet, Dremnon ſelbſt wollte
folgen, wollte ohne Zweifel Antipater hin und her ziehen, er
würbe bie Aihener gewiß auf bie Beine gebracht und an fe
gezogen, dann aber wärbe er bie Mafebonier genöthigt haben
ben Alerander zurüd zu berufen, unb biefer würbe feine Hei⸗
math nicht erreicht Haben; da wurde Memnon krank und farb.
So wenig war Leitung und fo fehr Alles aufgelöf, daß
Niemand vorhanden war, ber an feiner Stelle den Befehl Aber:
nehmen fonnte. Zwar erhiet Pharnabazus das Conmrmando
der Flotte und nahm auch noch Tenedos ein, aber bana
kreuzte er unthätig zwifchen ben Inſeln an ber Heinafiatifcjen
KRäfte. — Er fegte die Unterhandlungen mit Agis zwar fort,
und hatte mit ihn eine Zufammenkunft auf ber Inſel Siphnus,
gab ihm Gelb und 10 Galeeren; aber er ſelbſt lehrte dann
nach Kleinaſien zuräd und unternahm mit feiner großen
Flotte nichts‘. Dazu kam, bag nad) ber Schlacht von Zus,
DL.111,4.’al8 die phoeniciſchen Städte und auch Eppern fi ergaben‘,
bie phoeniciichen Galeeren nicht mehr bienen wollten und zu⸗
rüdfehrten. Das ganze Heer mit allen Schägen und bie Flotie
jerfirenten fih nun. ‘Lesbos, Chios, kurz alle kleinaſiatiſchen
Suteln ergaben füch dem Alexander‘. Damit endigte dieſe Un—
sernehmung. Indeſſen König Agis von Sparta war hierburd
aufgeregt; von beffen Unternehmungen nachher.
Alerander ging während biefer Bewegimgen, bie ihn fehr
beforgt gemacht haben mäffen, immer vorwärts und verfolgte
mergif den einzig richtigen Weg ber für ihn da war, nämlid
vorwärts zu rüden: in’s Innere vorzudringen und bie perfifche
fhlagen. Der Bertrag bezieht fi anf die RKückkehr der ans Perfien
entlaffenen Makebonier, für die eine Behörde feſtgeſtellt iR, um die
Güter derfelben vor der Gonflscation zu bewahren. 1825.
bringt in Rleinaflen vor. -- ; 459
Armee zu treffen, zu ſchlagen, Die perfäche Flotte aber dadurch
zu zerflören, daß er die Küftenländer, die Stabte, von denen fie
zeftellt ward, einnahm. So rüdte er in Lykien ein. Lykien
and Pamphylien waren hoch cultivirte Länder, wie wir fchon
zus ben Muͤnzen fehen mit Anfchriften in unbefannter Sprache,
Die bie böchfte Vollkommenheit ber Kunft haben; fie waren voll⸗
kommen griechifch gebildet und, obgleich nicht Griechen, tm ‚Bes
be der griehifhen Kunſt, wie dies auch andere Denkmäler
zeigen: bie Architeftur if im vollkommenſten Stpl ber griedi-
chen Kunſt. Leider find biefe Länder ſchwer zu bereifen, Diefe
Bölferfchaften hatten republicanifche Verfaſſungen und werben
pon den Perfern wie bie griechifchen Städte in Jonien behan⸗
beit; fie hatten daſſelbe Gefühl des Hafled und ver Verachtung
gegen ben Despotismus wie die Griechen, fie waren denſelben
intellestuell verwandt, den Afiaten intellecsuell fremd, Dazu
kam no eine Kollifion anderer Art, die ich nirgend erwogen
gefunden habe: das Entgegengefegte der Religion. Denn den
Perſern war der Gößendienfi der Hellenen und ber biefen ver⸗
wandten Voͤller ein verächtlicher Gränel, Die Opfer, wodurch
nad ihrer Meinung das euer verunreinigt wurde, waren ißr
nen unerträglich, die ganze Mythologie veräcdhtkich, weit fie eme
viel reinere Theologie hatten, und daher entſtanden ewige Con⸗
fliete. Sp erklärt ſich ſchon daraus, dag bie Perfer auch deu
Lyfiern und Pamphyliern verhaßt waren, die Griechen hingegen
ihnen verbrübert und willkommen. Dann tft aud gar nicht zu
bezweifeln, daß bei dieſen Voͤlkern eben wie auch in Stalien,
der Einfluß der griedhifchen Litteratur fehr groß war, daß bei
ihnen vertraute Bekanntiſchaft mit ben griechiſchen Mythen, ber
Sprache und Litteratur war, Die Mafedonier aber galten für
Griechen. Kein Wunder daher, daß Alexander überall freudig
aufgenommen wurde. Nur in ganz wenigen Orten fand er
entſchloſſenen Widerfland, wo das verfländige Bewußtfein, daß
man einen ftarfen, Fräftigen Herricher befomme, ben man mehr
R6D Vrthuſiasmus ber Ortechen für Alexauder. Winterquartiere.
gu fürchten babe als ben oßmmädhtigen, entfernten König zu
Suſa, zur Bertheibigung anfregte, namentlih zu Termeſſus.
Allenthalben aber fiegte Alexander; er imponirte, bienbete bei
feinem Heere burg Unternehmungen unb @efahren, bie viel-
leicht nicht durchaus nothwendig waren, fo 3.8. burch jenen
beräbmten Mari, ale er fait einen Engpaß zu erobern ihn
umging und einen geregelten Zug über ein vom Meere befpäl-
tes Geſtade machte, durch das Meer hindurch. Durch folde
Thaten biendete er weit und breit. Schnell hat er für ſich be⸗
geiftert: fo entſtand fon damals au bei ben Griechen ein
Entpufiadmus für ibn, fo daß ein Gefühl von Ehrgeiz da
war den jungen Helden in feiner Herrlichkeit anzuexiennen,
um fi wegen ihrer Sklaverei bei ſich ſelbſt zu entfchulbigen
und fi einen Theil der Ehre zuzueignen. Diefe Geſinnung
war auch in Athen. Wenn Dlenanber ber Dichter Alexander's
Zuges dur das Meer erwähnd‘), fo halte ih bag nicht für
eine captatio benevolentiae, um eine Hand voll Golb zu em-
pfangen: Menander war ein ehrlicher Mann; fondern er war
nur enthuflasmirt für den jungen Helden. Aleranber fihmei-
chelte auch ben Griechen, beſonders fanbte er ben Athenern nad
jedem Siege Nachrichten und Trophäen. Bon ihnen wollte
Alexander. gelobt fein; Einer fagte etwas fpäter: „bie Athener
allein hätten das Vorrecht in den Himmel zu erheben.‘ Das
Kobbeeret ber Athener war für einen ehrgeizigen Fürften Damals
das Hoͤchſte was er erhalten konnte, das was jebt für einen
eitlen Privatmann Titel und Orden find. So hoch ſtanden
bie Athener damals intellectuell. — Die Eroberung bes wefli-
chen Kleinafien’s bis an den Halys war bie Frucht eine
Sommerfeldzugs, und Alexander legte früh fein Heer in bie
Winterquartiere.
Dann ruͤckte er gegen Cilicien vor, wo der Taurus bie
natürliche Graͤnze zwifchen Aften und Europa bilde. Der
’) Piatarch, v. Alex. c. 17.
Alenauder in Gilicies. 461
dellespont iſt nicht bie natürliche Graͤnze, fo wenig wie rin
Strom bie Bölfer fcheiden kann: bie natürliche Gränze ih der
Taurus, fo daß bie Küften von Cilicien eigentlich zu Aſien
zehören. Die vorliegenden Völker in Kleinafien waren ent⸗
veder ſelbſt europäifches Stammes oder europätfchen Stämmen
serwanbts; bei fa allen biefen Vollern waren Snftitutionen wie
yet ben Griechen, durchaus republicanifh. Die Phryger auf
der Höhe machten eine Ausnahme, fie hatten Feine freien Städte
und bei ihnen war ein afiatiiches Weſen; ebenfo war es aber
auch bei manchen Voͤlkerſchaften bie zum eigentlihen Europa
gehörten, und doch waren die Phryger bem großen enropäiſchen
Stamme, ben Thrafern nämlich, nahe verwandt. Die Natur
macht eben bie Gränze: denn wenn irgendwo eine Beriheibi-
gung if, fo iſt Afien zweifach geſchloſſen, erſtens durch die ei⸗
liciſchen Päfle, die nad Tarſus hinabführen, dann durch bie
ſyriſchen Paͤſſe, die zwiſchen dem Amanus unb dem Meere lie⸗
gen. Ueberall find bie Gebirge bie natürlihe Graͤnze und fo
bier der Taurus; jenfeits kommen die femitifhen Bölfer Bei
allen dieſen Bölfern, mit Ausnahme ber phoeniciſchen Städte,
bie Analogie mit Europa hatten, war damals ber morgenläns
diſche abfolute Despntismus einheimifch: fie hatten eine ganz
andere Religion auf ganz anderer Baſis, die mit ber griechi⸗
fchen nicht Die geringfie Verwandiſchaft hat, einen ganz andern
Zuſchnitt der Kunft, die ſich nie zum Idealiſchen erhob, bie hoͤch⸗
ſtens gefchict zufammenfegen Tonnte, ber aber immer ein allge⸗
meiner Begriff, aus dem bie Ausbildung entwidelt wäre, fehlte;
eine ganz andere Sprache, die Feine Berwanbtichaft hatte mit
ben enrapätichen. Die perfifche Sprache hat in ihrem Urfprunge
vielleicht Berwandtfchaft mit den europäifchen, aber jene Spra⸗
hen find radical verſchieden von ben europäifchen: nicht allein
von ihnen ganz verichieden, fonbern geradezu entgegengefeßt,
gehen yon ganz anderen Vorausſetzungen n.|.w. aus. Die
208 GSqhlacht bei Bus.
Cilicier fen waren ben Perfern gewogen, aber fie verifeibig-
ten das Land nit’.
Hier hätte Alexander aufgehalten werben können und müſ⸗
fen, wenn bie perſiſchen Befehlshaber ihre Pflicht gethan hätten.
Darius ſelbſt war herbeigefommen, hier war die Schlacht bei
77.2. Iſſus. Mit den Schlachten gegen bie Barbaren hat es nicht
biefelbe Bewanbmiß wie mit ben Schlachten gebilbeter kriege⸗
rifcher Bölfer, 3. B. mit den Schlachten Hannibal's, die ſchon
an und durch ſich intereffant find, auch ohne ben Ausgang durch
bie Bewegungen. Diefe Schlachten gegen bie Perfer unb an-
dere Drientalen haben alle einen allgemeinen Charakter, eiwas
Veraͤchtliches. Nicht dag bie herabzufegen find, bie fie gewon-
nen haben; aber die Verwirrung, das Planlofe und bie Kraft:
loſigkeit der überwunbenen Heere nimmt biefen Schlachten ihren
Reiz. Die Schlacht am Iſſus ward verloren, wie fie verloren
werben mußte, ba Allee was hätte geicheben follen ungeſchehen
geblieben war, und alle Vorkehrungen und Vorſichtsmaßregeln
serfäumt waren.
D.ı11,4. Die Paäſſe die aus Kappadokien und Phrygien nach Cili⸗
eien berunterführen gehören zu ben Ttärkfien in der Welt. Heut
zu Tage ſucht man folde Päfle zu umgehen, nicht zu fürmen:
in den Kriegen ber Alten if es aber gewöhnlich ben Stier bei
den Hörnern zu faflen, man fuchte fie zu flärmen, und fo hät
ten jene Pafle ſich vortrefflich vertheidigen laſſen: ich weiß es
durch Reifenbe, bag fie zu den foawierigften gehören, bie ein
Land von dem andern abſchneiden. Aber biefe Päfle waren
durchaus nicht befegt, jo dag Alerander ohne Schwierigkeit über
ben Taurus kam. Eben fo war Tarſus, wo man ben Leber:
gang über den breiten und ftarfen Kybnus hätte wehren fön-
nen, nicht befeut und befefligt. 'Nun hätten die Perfer wenig-
fens noch die fyrifchen Paͤſſe beſetzt halten follen; eine Schladt
anzunehmen war ganz unvernünftig‘. Aber das ganze perfifche
." Wihleiht bei Iſſus. 488
Beer, der Angabe nad 300,000 Mann, lag müßig noch nid
einmal verſchanzt.
’Hier zeigte fih nun Alexander wieber als großer Kelbherr,
indem er die Perſer in einer Stellung, in ber fie mit dem größe
ten Nachtheil kaͤmpften, zur Schlacht nöthigte. Nichts von dem
was man hätte erwarten follen geihah in der Schlacht. Nir⸗
gende hat die perfifche Reiterei ihre Schuldigkeit geihan, da fie
Doch bie vortrefflichfien Pferde der Welt hat, und das Reiten
Die ganze Bildung ber perfiichen Ablichen ausmachte; und au
Hier that fie nichts. Die Einzigen die ihre Schuldigfeit thaten
waren bie griechifchen Lohnſoldaten, größtentpeils geführt von
vem trefflichen Athener Leoſthenes (sic). Diefe braven Leute,
von ben Perfern verlafien, thaten ihr Aeußerſtes: ich nenne fie
Kran in der Schlacht, fonft waren fie Gefindel wie im fechzehn-
ten Jahrhundert die Geworbenen: viele blieben auf dem Plage,
Die übrigen erlangten eine ebrenvolle Eapitulation und gingen
nach Phoenicien zurüd, Ein Theil ſchlug fih Durch nah Sy⸗
rien. Hinter fih hatten die Perfer die engen fprifchen Päfle,
vor fih ein Defile, das fie nicht befegt hatten und einen brei-
ten veißenden Fluß; ganz nahe hinter fich ein anderes Deflle
wo fih bei ber Flucht ihre Bagage ftopfte und fperrie, wo we⸗
der Räder noch Menfchen burchfonnten: bie unfinnigften Maß.
regeln! So ift es Fein Wunder, daß die ganze perſiſche Armee
wie Spreu vor dem Winde aus einander flob, nachdem ber
Kern, die griechifchen Lohnfolbaten, verloren war, und als bie
Armee fo zerfireut war, fiel bag ganze perfifche Nager, voll von
unermeßlichen Schägen, in bie Hände des Sisgerd, ’Die Max
febonier wurben durch die veiche Beute des Krieges frober als
female’.
Die Art wie Alerander den Sieg benutzte macht wieber
feinem Uriheil, feiner Strategik und feinem großen Blicke große
Ehre, Er gehört zu ben geborenen Feldherrn, bie ben Sieg in
feinem ganzen Umfange zu benutzen verſtehen. Einige können
—— — —
208 Unterwerfung Mocalelens.
nur Schlachten gewinnen mit großer Bewanbtheit, oft wit nicht
großen Mitteln, find aber blind für ben Zwed bed Siege und
betrachten ihn wie ein Schahfpieler, woburd fie ben Krieg am
Erde nothwendig verlieven, wenn fie tätige Telbherren gegen
ſich haben. Andere aber ſehen den Sieg nur ale Mittel. Im
biefem Geiſte drang Alerander vor und that was man leicht
als das einzig Richtige anerkennt, was aber nur ber Mann
von droßem Talente thut. Für den jüngeren Cyrus wäre es
auch richtiger geweſen, wenn er längs der fyrifchen Küfte ſtatt
in's Imere gegangen wäre, und fo ging Aleranber längs ber
phoenicifchen Küfle. Die phoeniciſchen Städte fielen ab, öffne:
ven ihm freubig Die Thore, im Andenken an bad fchred-
liche Schickſal, befonders an das Sivon’s, bas fie vor 14
Jahren von Ochus erlitten hatten. Nur das einzige Tyrus
hielt Alexander feine Thorr verſchloſſen und wollte Neutrali⸗
tät beobachten. Aus welcher Urfache? "blinde Leidenſchaft war
gewiß nicht die Beranlaffung‘. Ob es vielleiht von ben Per⸗
fern den Vortheil gehabt, daß es Feine perſiſche Garnifon ix
feinen Mauern hatte und es barum that, Tann id nur ale
Hypothefe fagen. Vielleicht war es auch Eiferfucht gegen Si-
don: zwifchen beiben Stäbten fand ſchon Längft Eiferfucht ſtatt,
und Tyrus war ſchon im vorbergebenben Kriege von den Per⸗
feen glimpflich behandelt worden, vorzugsweiſe vor Sibon, und
machte fih von den Phoeniciern 106. Vielleicht hatte es nad
ber Zerfidrung Sidon's bie Metropolitie über bie übrigen phoe⸗
nietichen Städte erhalten’. Es fcheint aber, Daß es jenes große
Privilegium hatte, daß es Feine Truppen ald Garnifon zu ha⸗
ben brauchte: was bas bebeute zeigt dad Beifpiel von Ham:
burg und nachher Frankfurt a. M. im breißigfährigen Kriege;
bies iſt die größte Begünfligung bie einer Stabt in folchen
Zeiten widerfahren konnte. Ich glaube, daß bie Tyrier ſich
Alexander unterwerfen, ihm anerkennen und ihm Hulfe ſchicken
wollten, aber er follte Die Stabt wicht betreten; das reizte feinen
Anteronfung Phoentclen’s und Aegypten“s. ABS:
Zorn. Man kann e8 Unvernunft nennen: er wollte bie Stabt:
zwingen und verwandte auf die Belagerumg fieben ganze Mo⸗
nate. Tyrus lag aͤußerſt feſt anf einer Infel, wohin fi in’
der Zeit Nebuladnezar’s die Bewohner gezogen: hatten, 'vier
Stadien vom feflen Lande: Alt-Tyzus war nicht zanz verlafr
fen, aber feit jener Zeit unbedeutend geworben, und bie Regie⸗
rung war wohl in Neu⸗-Tyrus'. Dieſe Belagerung IR höchſt
merkwürdig: nur aber Fönnen wir fie nicht ausführlich erzählen
wegen ber Zeit. Lefen Sie diefelbe im Arrian, ber fie vor⸗
trefflich fehilvert, ein ungemein angenehmer Schriftfieler : und
ungemein Teicht zu leſen. Er iſt ein verfländiger, fehr beſon⸗
nener Schrififeller, erzählt alles Militaͤriſche mit Einſicht und
Sachkenntniß, daher hat feine Erzählung eine feltene Klarheit
und einen großen Werth. Die Anftrengurgen waren unermeß⸗
lich: endlich gelang es. Alerander einen Damm durch's Meer:
nach ber Inſel zu bauen, 'trotz ber reißenden Strömung, und
darauf brachte er bie Belagerungsmafchinen an die Mauern
der Stadt. Die Tyrier wehrten fich verzweifelt: Belagerer und
Belagerte fochten mit gleichem. Ruhme, endlich warb bie Stadt
mit Sturm genommen’. ine Belagerung bie nad) langer Ver⸗Oi. 113,1.
theidigung am Ende noch Erfolg Hat, iſt einem rechtlichen Sinne:
immer ſehr ſchmerzlich: wie ein Beldenmüthiger, Feiner Haufe-
von der Uebermacht aufgerieben und überwältigt wird, das hat:
etwas fehr Melancholiſches; fo auch das Unterliegen von Tyrus.
Die Stadt erlitt das Schredfichfle und die’ Bevölkerung wäre’
aufgerieben worben, wenn nicht die Tyrier ihre Weiber und
Kinder vorher nach Karthago geflüchtet‘ Hätten, ’fo daß Tyrus
ſich nachher wieder mit Tpriern bevölfern konnte'.
Nun zog Alerander vorwärts nad Aegypten. Auch bier
fand er einen entfchloffenen Wiberftand an ber Gränze in Gaza,
wo fih der'täpfere Statthalter mit 2000 Dann zwei Monate‘
ang vertheibigte, der einzige Perfer der fich rühmlich verthei="
digte. Sonft war der Widerftand in Aegypten ſelbſt ganz un⸗Ol. 112,2.
Niebuhr Bortr. 36.0.9. G. IL. 30
AGB Wulsunerfung Hegypien’s. Grünbung von
bebesttend ; man hatte bie perfifchen Truppen meift nah Iſſus
gesogen, und die Macht in Aegypten war ſchwach. Die Aegy⸗
ptier aber, bie unter Ochus alle Gräuel der aflatiichen Grau⸗
famleit und Habſucht erfahren hatten, fahen in ben Mafeboniern
ihre Befreier. Dazu kam auch ſchon die alte Berbindung ber
Aegyptier mit den. Griechen gegen die Perfer als ihre gemein-
ſchaftlichen Feinde’. ‚Die religidfe Antipathie zwiſchen ben Aegy⸗
ptiern als Idololatren und den Perfern hatte den höchften Grab:
ed war ein wahrer Religionshaß. Die Perfer verachteten bie
Regpptier mit Recht wegen ihres Thierdienſtes, und biefe be⸗
trachteten die Berker mit Abfcheu, weil bie Perfer geringfchäs-
ten, was fe verehrten: ein Perfer machte füh nichts daraus
eine Kate ober einen Ochſen zu fihlagen, und das war ein
Graͤuel in den Augen ber Aegyptier. Die Malebonier waren
in der Hinficgt nicht correcter als die Perfer, aber Alexander
benahm fi in dieſer Hinficht fehr Ing; er hatte gewiß firenge
Befehle gegeben bie Aegpptier nicht zu beleibigen und er ſelbſt
affectirte eine große Verehrung für Anubis; fo feheint auch fein
berühmter Zug nach dem Drafel bes Jupiter Ammon barauf be-
rechnet gemwefen zu fein, den Aegyptiern feine Verehrung für biefen
ihren Haupigott zu bezeugen. Mit auserleſener Begleitung
wellfahrtete er nach Siwah, ein Zug der ihm leicht hätte theuer
zu fliehen Fommen fönnen. Außer ber Politif zog ihn aud
wohl feine Wißbegierde dahin; es war für ifn eine Merkwür-
digkeit die ihn anzog, ſchon die berühmte Duelle zu Siwah und
vieles Andere, und das Drafel, bas einzige barbarifche an wel-
yes fi) Die Griechen wandten, war gewiß für ihn fehr anzie-
hend. Er erreichte feinen Zweck vollfommen: bie Aegyptier be-
trachteten ihn als einen Freund ihrer Nation. ’Alerander fiel
ihnen auch nicht ſchwer: er forderte Feine Truppen und nichts
außer den Abgaben, und fo war Aegypten bie nad Nubien ihm
von ganzer Seele ergeben’.
Hier gründete er bie größte feiner Schöpfungen, Aleran-
Alerandrien. Zug Alexander's nach Mefopotamien. Adr
dria, an einem Plage, für deſſen ungeheure Vorzüge man bie⸗
ber blind gewefent wie das Drafel denen fagte die nach By—
zanz zogen, fie follten fi an der Käfte den Blinden gegenüber
nieberlaffen, da finb die Aegyptier unter ben Blinden gemeint,
Er gab der Stabt gleich bie Beſtimmung bie größte zu werben,
und ihr fchnelles Aufblähen zu diefer Größe iſt Acht orienta⸗
liſch. Eine jede neue Dynaftie im Drient gründet eine neue
Hauptfladt ober erhebt wenigſtens eine neue Hanpt- und Ref
denzſtadt, indem fie ben Gig der Regierung Yon Per Haupiſtadt
Des Reihe in eine andere Fleine Stabt verlegt? diefe neue
Hauptfiabt muß dann bie alte verbunfeln als der Mittelpunet
einer neuen Macht. So in Sindien, wo 3.8; in Bengalen bie
Haupiftadt mehrmals verlegt if, zulegt nach Caleutita, und im
Reiche des Großmoguls: fo jet in Perſien, zuerſt In Kasbin,
dann in Iepahan, dann in Schiras, dann in Teheran; fo in
Aegypten wo Theben, Memphis, Sais Hauptftädte waren und
in verfihiedenen Zeiten Bubaſtis, Heliopofis, fo jegt Alexanbria.
Ohne Frage hat Alerander damals bie Idee gehabt Aferandria
zum Site feines Reiche zu machen, und wollte dann auch ge-
wiß alle Laͤnder um das mittehänbifche Meer zu feinem Neiche
verfammeln. 2
Alexander 309 jetzt nach Syrien zurück und von da an
Den Euphraf. Er war jetzt im Beſitz von unermeßlichen Schatzen.
In Damaskus hatte Parmenio die perſiſchen Schaͤtze aufgeſpürt
und erobert; ſo wurde Alexander ungeheuer reich.
Jenſeits des Tigris an der Graͤnze von Kurdiſtan, am
Zab, hatte indeſſen Darius ein unermeßliches Heer aus den
hintern Satrapieen verſammelt. Aber fein Vertrauen war ge-
ſunken und ſeine Hoffnungen ſehr vermindert; er ſuchte Frieden
mit Alexander, bot ihm die Hälfte feines Reiches bis an den
Euphrat an und Berfchtwägerung durch feine Tochter, die als
Gefangene in Alerander’d Händen war, 'als Unterpfand dafür,
daß die Perſer das Reich nicht zurüdforberten’, Parmenio ſah
30 *
AB Ing. Nlesander’s nach Mefopolamien. Schlacht von Arhela.
verfländig und rieth dazu, Eine Zeit des Verfalls bewundert
Alexander in der Antwort: „Wenn id Parmenio wäre, würde
ich es thuu“; feine Größe hätte aber darin beflauden wenn er
es angenommen hätte, denn das Größte ik doch das Maß:
was Beßand haben will, barf nicht grängenlos fein, Ein fo
begsänzted Reich Hätte eine Form gehabt und fi regieren Iaffen;
and obſchon aus beierogenen Beſtandtheilen zufammengefeät,
hätte es fich nachher doch helleniſiri'. Alerander aber ber nicht
einfab, warum er Killfiehen und nicht alle Schäge bes Könige
nehmen follte, warum nicht bis in's Unendblige im Oflen vor-
dringen, nad ben Boldläuderu, von denen die Erzählungen
noch übertrieben wurden, dem etwas Unbegränztes am Liebſten
‚war, und ber one Krieg nicht gewußt hätte was mit ſich jelbt
anzufangen, verſchmähte Alles, Drang Durch Meſopotamien vor,
D1.112,2.ging über beide Ströme, traf im vierten Jahre bes Feldzugs
bei Arbela wit Darius zufammen. Hier kam es zur Schladı,
die über Aktien entfchieb’, worüber ich eben fo wenig ausführ-
hich fein wid wie über die bei Iſſus; fie verdient es eben fo
wenig. Darius foU hier tapfer gewefen fein, bad mag fein,
‚aber es iſt nichts weiter ald Die Tapferkeit eined Mannes, der
noch zulegt feine Ehre zu reiten fuchte, Der Sieg war leidt:
es war ein Sieg "über afiatische Feigheit und barbarifche Un-
ordnung', wie ber des Lorb Clive bei Plaſſey, der mit einigen
taufend Mann ein Heer ber Inder von 100,000 flug; fo
ſchlug auch Alexander ein höchſt zahlreihes Heer, mag es
‚300,000, 500,000, 1,000,000 Dann gewefen fein, mit einem
perhaͤlinißmaͤßig geringen, 'obwohl Die Schlacht in bee Ebene
und ber Boden für bie Perſer günſtig war’. Er ſchlug de
Perſer fo vollkommen, daB nachher von biefem ungebeuern Heer
Seine Syur ſich findet. Nirgends fammelte ſich etwas; ſelbſt
als bie Römer bei Cannae gänzlich geſchlagen waren, konnte
doch Varro, ben ich für feinen vorzüglichen Dann halte, nad
einigen Tagen einige tauſend Mann ſammeln, ſo daß Hannibal
Unterwerfung von Babylon und Berfie. 459
für gerathen fand, ihn hinter den Mauern von Tänufium du
Iaffen: nie fo Bei ben Perſern.
Alerander konnte fi jest hinwenden, wohin er- RN
Sein Weg führte ihn zuerſt nad) dem gewältigen Babylon, deſ⸗
fen Mauern fhon damals abgetragen gewefen fein müffen, was
aber dennoch Wunder genug noch hatte nach der Plünderung
der Perſer um die Mafebonier in großes Staunen zu fegen.
Auch bier war Merander hoch willlommen: das herrliche ba⸗
bylonifche Rand ſcheint von den Perſern mit befonderer Hab⸗
Sucht ausgefogen worden zu fein. Aber doch war ed damals
auch unter perfifcher Tyrannei angebaut wie ein Garten, wie
die Niederlande, jebt ift e8 Wildniß. Von dort wandte fid
Alerander dann nah Sufa, nad Chufiftan, einem halb perfi«
fehen Lande: ich halte es urfprünglich für femitifh, aber von
den Perfern mit ftarfer Menge eingenommen, fo daß bier eine
ſtarke Miſchung von beiden Stämmen, Elamiten (Perfer im
aften Teflament) und Semiten flatifand. In Sufa war bie
fehr fefte Burg des perfifchen Reiches; mit allen ihren Schägen
ward fie ohne Widerſtand ihm übergeben. Alle Perſer betrach⸗
teten fih nun fchon fo als feine Diener, daß fie ihm Alfes wie
fein Eigenthum übergaben, ’und ber Schasmeifter ihm den
Schatz Aberreichte wie feinem Tegitimen Herin, obwohl Darius
noch Iedte, während in andern Rändern in foldhen Zeiten jeber
nimmt was er retten Tann’. Von ba zog er nach Perſepolis,
Der eigentlichen Haupiflabt ber yerfifhen Nation im engeren
Sinne. Zur perfifchen Nation, zu den Sraniern, gehören auch
die von Siftan, Ehoraffen, Balkh und ringsum bis nah Ma-
waralnahar, Bochara und das Land ber Afgbanen, wo unter
dem Namen Tabfchif -ein perfifcher Stamm Stäbtebemohner und
Handwerker find, auch Aderbauer zum Theil. So weit reichte
der alte perfiihe Stamm ; ihm waren bie Meder verwandt ohne
diefelbe Nation zu fein: unter Mefen Stämmen machten aber
die von Fars und Kerman die perſiſche Nation im engern’
40 Ierhörung von Perfepolis.
Sinne ausı die Arier und Drangiener in Siſtan und Choraſ⸗
fan, obgleich Nationalgenofien, wurben doch von ihuen als ln
terthanen behandelt. Die herrlichen Ueberreſte von Perfepolis
find gewiß Denfmale ber alten Nationalhauptitabt, in der Zeit
des Glanzes ber perſiſchen Nation von ben Königen als Schmud
ihres eigentlichen Rationalfiges gebaut, und mit aller Beute ber
fremden Völker gejchmädt. Aber obgleih die Könige es als
ihren NRationalfig betrachteten und bier ihre Gräber waren, fo
war es doch nicht ihr eigentlicder Wohnſitz; fie befuchten es nur
von Zeit zu Zeit: Sufa war im Winter Refivenz, Efbatang
im Sommer. Aber ed war ber Mittefpunet der alten perfi-
ſchen vornehmen Familien und vol von unermeßlichen Schägen’.
Hier in Perfepolig nahm Alerander auch Anfangs die Mine
ber Schonung und des ebelmüthigen Siegerd an: aber ber
größte Widerſpruch damit if, daß er bie Stadt einäfeherte.
Das zeigt Daß er doch nur ein übertündhter Barbar war: wel:
des Motiv immer er haben modhie, ed war eine durchaus un»
würbige Handlung und Far if, daß er nur eine Beſchönigung
ſuchte, wenn er behauptete, er babe den Perfern die Einaͤſche⸗
sung ber griechiſchen Tempel vergelten wollen. Die Gebäude
von Perſepolis haben in all ihrer funftvollen Manier, in ihren
kunſtvollen Säulen dennoch etwas Geſchmack- und Ideenloſes;
auch in ihren kunſtvollen Basreliefs iſt gänzlicher Mangel an
Schönheit und ſchoͤpferiſchen Gedanken. Auffallend iſt daß ſich
daran Feine Spur von Brand zeigt, da ed Marmor iſt und
Marmor von ber Flamme fehr leidet, ch begreife nicht, wie
wen auch nur bie Bebälfe von Holz waren, das Gebälf hat
verbrannt werben koͤnnen ohne dag die Säulen befhädigt wur-
ben, Auch der Boden ift nicht befpädigt. So muß man glau-
ben, daß hier Das Feuer nicht gewäthet hat. Daher it es wohl
moͤglich, daß damals andere Gebäude eiugeäfchert worden find,
daß die Stadt der Perfer gelitten hat die nahe babei Tag, nicht
aber die Palaͤſte oder bie Tempel, und daß bie eingeäfcherten
d
Zug, durch Mebien und) Maßauderan. Flucht des Datius u. Tod. Bent, 471
Sebäude ganz verſchwunden, micht aber die Ruinen find Die
noch da ſtehen. Dies ift das Herrlichfle des ganzen Orienis. + 1.
Sept hatte Alerander nur die Schwierigkeit der Wahl, wo⸗
hin er fi$ wenden follte, Die Natur Teitete ihn: Gerade aus
weiter nah Oſten iſt die unermeßfiche Wuͤſte, bie in In⸗
bien zwifchen Ganges unb Indus anfängt, dann von bem
Thal des Indus durchſchnitten bieffeitd des Indus hervor⸗
fommt und durch Mefran und Kerman bis auf die Höhe von
Medien und Mafanderan fortgeht, Hier durchzuziehen, wie er
23 nachher ihat, hatte er Feine Beranlaffung, Es zug ihn naqh Ol. 112, 3.
Efbatana zu gehen. Merfwürdig ift wie wir anf Diefem Zuge
bie Beſchaffenheit des perſiſchen Reichs kennen lernen; bier
mußte Alerander ſich durch Gebirge burchichlagen, von wilden
Böltern bewohnt, die mitten in Perſien die Hoheit der perſiſchen
Könige nicht ‚anerfannt Hatten, und benen ber große König,
wenn er von Eibatana nach Sufa ziehen wollte, um Ruhe zu
haben, immer Tribut unter dem Namen eines Geſchenks ent»
richten mußte. Bon Ekbatana wandte ſich Alexander nah Oſſen,
und fam von dba durch den Pap des Elburs') nah Maſande⸗
san herunter, |
Darius oh por ihm, wie Jezdegerd vor den arabiichen
Eroberern. Ein Ungeheuer von Schändlichfent aller Art, bas
im damaligen Ruine feines Baterlandes die Schänblichleit ha⸗
ben fonnte den Thron erobern zu wollen, Beſſus, empörte fich
gegen ihn, nahm ihn gefangen und führte ihn fort, Alexander
folgte ihm nad, aus dem triftigen Grunde bamit er nicht Con⸗
fiftenz gewinnen follte da er vielleicht ein tüchtiger Mann: war:
einfältig wird erzählt, als ob Alexander geeilt fei, den Darius
zu reiten! Beſſus oder feine Helfershelfer Tieß den Darius
umbringen: das ift die gewöhnliche, obgleich nicht unbeftreitene
Erzählung. Weranber nahm nun höͤchſt zwedmäßig bie Mine
des Raͤchers der Legitimität und des unglüdlichen Monarchen
.’) Conj. für „Btrah’s Bett” wie ein Heft es hat. 9.0.8.
ATD Hlerander durchzieht das norböfliche Berfien. Meberlage des Zophrion.
an; er nahm einen Bruber des Darius zu Gnaden auf, gab
D1.112,4 f. ihm eine Satrapie, und verfolgte den Beſſus. So durchzog er
78. V 8
nun das oͤſtliche Perſien und drang bis in bie öſtlichſten Ge⸗
genden vor, 'durch Partbien über den Drus und Sogdiana'.
Die Märfche, die er machte find für die Geographen ſchwer zu
erfennen, unb es gehört nicht zu unfrer zufammengezogenen Ge:
fhichte, wie er bis über den Jaxartes ging. Hier aber in
Dſchagatai mußte er umkehren; denn in die ffuthifchen Stepper
fonnte er nicht eindringen, auch fühlte er daß er ſchon in ein
fehr Faltes Rand gelommen war. Wir wundern und, wenn bie
Alten fagen, Alerander fei bie zu dem arftifchen Kreis gefom-
men; auf diefen hoben Steppen ift aber ſchon eine außerorbent-
liche ſibiriſche Kälte, und es ift Fein Wunder, daß bie Solbe-
ven welche Feine Polhoͤhe nahmen glaubten unter ben 60. Grad
gekommen zu fein, woran freilich noch viel fehlte, Die Schwie:
rigkeiten die er auf diefen Zügen überwanb mit Berbienft und
Glack, find glänzende Thaten: alle Unternehmungen gelangen
ihm. Wie Höchft zweckmaͤßig er feinen Krieg führte Iefen Sie
im Arrian,
Die Ordnung bes Zuftin führt ung auf zwei Epifoden in
ber Geſchichte Alexander's, die Kriege bes Königs Agis in
Griechenland und Alerander von Epirus in Stalien, und auf
‚eine Erwähnung des unglüdlihen Zuges bed Zopyrion im
Pontus gegen die Skythen. Nachdem Alerander das yerfifche
Reid umgekürzt hatte, vernahm er durch eine Nachricht Anti:
pater's die dreifache Botfchaft von dem Tobe des Agis, des
Alerander von Epirus, und feines Feldherrn Zopyrion gegen
die Skythen. Bon letzterem Zuge wiſſen wir wenig. War
Zophrion wirfich Felbherr im: Pontus, fo folgt daraus, baf es
falſch if, dag der Pontus bei Alerander’s Zuge unberührt ge:
blieben iſt, und es find ferner dann die Skythen, welche Zopy-
rion angriff, nicht ‘bie wandernden Skythen vom Iſter gewefen,
fondern die Bewohner des Kaufafus. Aber wie Fommen biefe
Rüfungen des Agis. Taenarus. Zug nad Kreta— 479
Berichte an Aleranber durch Antipater und nicht durch Parme⸗
nio, den Statthalter von Medien, durch den Die Nachricht ja
am Nächften gegangen wäre?
Ereigniffe im Abendlande. Agis und
Alexander von Epirus,
Wie König Agis, bes Arhidamus Sohn, Enfel des Age—
fifaus, perfiihe Subfidien yon Memnon empfangen und damit
ein Heer geworben hatte, ift ſchon oben furz erwähnt.
Damals war der große Werbeplag für alle Miſthophoren
auf fpartanifchem Gebiet am Taenarus, wo ſchon feit 30 Jah⸗
ren und lange nachher ein beftändiges MWerbquartier war, wo
bie Reisläufer von ganz Griechenland fich hinbegaben und wo
fie Quartier fanden.: Eine merkwürdige Erfcheinung! "Es war
bort ein Tempel bed Neptun mit einem Aſyl, unb dadurch war
Diefe Gegend mit der Zeit neutral geworben‘. Alles beim Elende
Griechenland's fuchte damals fein Brod als Lohnfolbat, jeder
junge gefunde Kerl ließ fi werben, nahm bie Pike flatt ſich
zu Haufe hudeln zu Iaffen, wie im breißigjährigen Kriege und
plünberte feines Gleichen in andern Ländern: ein Uebel wonen
Rationen fi) manchmal nie wieder erholen‘). Je mehr Drte
verwäftet murben, deſto mehr Werblinge fanden fih: der Krieg
nährie ben Krieg.
Hier am Taenarnd fammelte num Agis Truppen‘; er hatte
von Memnon fehr große Summen erhalten und war fchon be⸗
reit loszubrechen, als Memnon’s Tod Alles ‘änderte,
Um ober nad) Memnon’d Tode begab Agis fih nach Kreta,
um feme Truppen zu befrhäftigen. Weber dies Unternehmen
Yiegt tiefes Dunkel. Die Kreter waren lange fill geweien,
waren aber ſeit einiger Zeit zerfallen, Knoffus und Lyktus im
Kriege gegen einander, und bebrängte Kreter riefen den Schub
9 Der vorſtehende Sub iſt von S. 463 3. 25 hergeſetzt. A. d. H.
474 Lage Griechenland's nach dem Tobe bes Memmen.
ber Perſer und bes Agis an. Diefer fanbte feinen Bruder
Agefilaus dahin; Bas Nähere wiflen wir nicht weiter, nur ba
Agis fih auf Kreta feftfegte. Als Alerander Phoenicien er-
obert hatte, Tieß er eine Expedition dorthin abgehen um bie
Spartaner von der Inſel zu verjagen. Dieß muß ihm gelun-
gen fein und biefer Krieg ift es vielleicht, auf den Ariſtoteles
im zweiten Buch der Politif anfpielt; denn die Sache mit Phe-
laetus war zu kurz und zu gering.
Unterbeffen aber gewann Alexander die Schlacht bei Ifiug‘,
und nach Memnon's Tode, der Nieberlage bei Iſſus und ber
Eroberung von SPhoenicien war die Lage Griechenlanb’s eine
folhe geworden, daß verfländige befonnene Männer von einer
Unternebmung nichts bofften: 'ſo lange die Perfer beifen fonn-
ten war noch immer Zeit gewefen, aber jest war es zu fpäl.
Es zeigt Demoſthenes' Berftändigfeit unb daß er frei von blin⸗
ber Leidenſchaft war, wenn ihm von ben Berkleinerern in feiner
Zeit vorgeworfen if, daß er Feine Dewegung machte, währen
Agis ganz Griechenland aufregte, und bie Athener zurüchkhielt.
Diefe Anflagen bes Aefchines und Dinar) find hernach an bie
Yinfel unter den Neuern übergegangen unb man hat fech nicht
gefeheut zu wiederholen, daß es Demofihenes fein Ernſt mit ber
Freiheit Griechenlandb’s geweſen. Aeſchines der feile Verräther,
der gewiffenlofe Dinarch warfen ihm vor, baß er dem Ephial⸗
tes nicht gefolgt, daß er nicht unter den Waffen gewefen fei,
als Agis unter den Waffen war, daß, als ein malebonifches
Corps unter Korrhagos zufammengehauen, er zurüdgehalten,
ja e8 fehlt nicht an Sinfinuationen daß er wohl mafebonifches
Gold genommen haben fünne. Daß dieſe Parteimänner der
Zeit fo redeten war fein Wunder, fie thaten ihr Geſchaft und
Iogen mit gutem Bewußtſein befien was fie thaten. Aber bie
Nahmelt fol das Wahre erfennen, ‚Neben ift Silber und
Schweigen Gold zu feiner Zeit, iſt ein Sprüchwort im Drient,
und bas wußte Demoſthenes wohl; er hatte ben Helbenmuth
Pläne des Demofgenes. 475
ber Geduld. Er fah, daß mit Memnon’s Tobe Alles verloren
war, daß man auf neue Umflände warten muͤſſe. Agis war
freilich ein Fühner, heidenmüthiger Abenteurer, der wie ein Held
ftarb, aber er war nicht der Mann, von dem Demofthenes viel
hoffte. Er, der in die Ferne fab und gewiß Mittheilungen
hatte die Anbern geheim waren, er fah füherlich in den Berhält-
nifien Mafedonien’s, in dem Innern ber makedoniſchen Regie-
rung und Macht den noch Heinen Keim zur Theilung und Spal⸗
tung, und auf dieſe allein hatte er feine Ausficht, obgleich fie
traurig war. Da Agis fo heidenmüthig focht, "und Aleranber
Makedonien fo von Mannfchaften erfchöpft hatte’, hätte Anti-
paser allerdings in große DBerlegenheit kommen koͤnnen, wenn
bie Athener füch zu ihm fchlugen, das ift wahr, aber wenn
Alerander einen Theil des Heeres zurüdfandte, war es doch
vergebene, Wenn ber Aufſtand fpäter ausgebrochen wäre als
Alerander jenfeits des Drug und Indus, und bie Gährung im
feinem Heere ſchon größer geworben war, fo hätte gehofft wer⸗
ben können, und Demoſthenes würde wohl mehr gewagt haben ;s
jest aber, da er in Medien war unb beliebig von feinem Heere
einen Theil zurüdienden konnte, wann er wollte, war ed Thor⸗
heit fih zu erheben. Es waren eben damals Verhältniffe wie
bei ung in Preußen im Sabre 1811, als Napoleon nach Ruß⸗
land gegangen war, wo brave Männer glaubten und hofften,
es müffe. etwas VBerzweifeltes gewagt werben, man müffe auf«
ftepen in Deutſchland; bie Befonneneren waren anderer Meinung
und banften dem Himmel, daß es nichts wurde. Ich bin ſel⸗
ber darüber zweifelhaft gewefen, mit Freude war ich unter des
nen bie mit Ungeduld hofften. Bielleicht war Demofthenes zu
vorſichtig, aber er konnte ja die Folgen dieſer Erfehütterung un⸗
möglich berechnen. Daß es nicht Fleinlihe Eiferſucht gegen
Sparta war, die ben Demofthenes zurüdhielt, zeigte fein Be—
tragen bei Friedens- und Bunbesfchlüffen, wo er immer nad-
476 Agie beginnt den Krieg. Bedrängniß der Malebonter.
gab, bie Berhältniffe, worin er Theben zu Athen ftellte: er er-
wartete bie ganze Präponderanz vom @eifte in Athen‘).
D.112,3. Agis warb indeffen thätig fort. Die griechifchen Truppen
zogen fih nad der Schladht bei Iſſus größtentheild von Perſien
ab. Ein Theil begab ſich unter dem Amyntas nach Phoenicien
und fegelte nach Cypern und dann nach Aegypten, wo fie nie-
dergehauen worden fein follen. Diefe Erzählung ift aber wohl
mit großer Befchränfung zu verftehen, benn die Meiften müffen
nach dem Taenarus entfommen fein. Doch vor ber Schladt
bei Arbela kam nichts Bedeutendes zu Stande.
Indeß Hatte ein gewiſſer Memnon, der Statthalter von
Thrakien ih empört und in Thefialien revoltirte ein Fürſt ber
Perrhäber (Aesch. in Ctes.). Und nun unternahm Agis ben
Krieg gegen die Makedonier. Die Lafebaemonier zogen aus,
mit ihnen die Achaeer, Eleer, ein Theil der Arkader. Agis
hatte 10,000 Dann Geworbene, meiftens Griechen, bie aus
der Schladt von Iſſus entlommen waren. Nah Diodor fol-
fen außer den Peloponneftern die fih unter die Hegemonie bes
Agis ſtellten, auch von ben Griechen einige außerhalb bes Iſthmus
beigetreten fein: dieß koͤnnen bloß Aetoler gewefen fein.
Klar if, daß Antipater durch diefen Krieg in große Ber:
kegenheit und Bebrängniß Fam, befonders da er mit dem Anf-
Rande in Thrafien zu fämpfen hatte‘. Inter Korrhagus wurde
ein Heer der Mafedonier vernichtet "das in den Peloponnes ein-
gefallen war’. Dan verfieht falfch Korrhagus ale den Namen
eines Ortes, aber es ift ein makedoniſcher Name, ber auch in
einer Anekdote in Alerander’s Gefchichte vorkommt”).
1) Nicht fo urteilte N. 1825. Er fügt: „Die Schuld war wohl aui
Seiten der Spartaner und Athener zugleich, tie gegen einander ven
ihren Brätenfionen nichts nachlaffen wollten. Vielleicht glaubte and
Ayis die Sache ohne die Athener durchſetzen zu fünnen umd wahrſchein⸗
ih Hatte er ſchon jept die Idee Griechenland vom Peloponnes aus
herzuftellen und zu beherrfchen.” A. d. H.
?) Diod. XVII, 100.
Argos n. Megalopolis, feindlich gegen Agis. Anzüden des Antipater. AN
Agis fand inheffen im Peloponnes Schwierigfeiten, Die Die
Grauſamkeit der Spartaner in früheren Zeiten und bie kauris
gen Bemühungen gegen bie Athener herbeigeführt hatten. ‘Dir
Argiver waren Lakedaemon feindfelig‘, und er fand die Arkader
vol Eiferfucht gegen Sparta; fie waren ber Knechtſchaft bar
Mafedonier geneigt, die Abhängigkeit von Sparta war ihneg
Dagegen ganz und gar verhaßt, befonbers wegen ber Feindſchaft
der Spartaner mit Megalopolis. Hätten die Spartaner nad
der Schlacht von Mantinea irgend Dernunft angenommen, beu
Arkadern die Hand geboten und fi) entichloffen, Megalopolis
im Befig der ihnen von Epaminondas zuerlannten, Qänbereien
anzuertennen, jo wäre bas nicht fo geweien und ee würde gut
gegangen fein; nun aber hatte Philipp Megalopolis die Grän-
zen geſetzt, die flreitig waren zwiſchen Sparta und Mega-
lopolis, und fo konnte daſſelbe fih nur erhalten durch ben
Schuß der Mafedonier, Es if eine von den Städten geive-
fen, die Urfache zu vielem Unglück Griechenland’3 waren, und
fo war es auch hier’.
Agis' erfie Aufgabe bei feiner Unternehmung war Megalo«
polis zu belagern, 'um fich den Rüden frei zu halten’, und dies
hielt ihn fo Tange auf, daß der alte Antiyater, noch ein rüfti-
ger frifher Krieger, mit einem Heere heranfommen fonnte, der
maledonifchen Miliz und Miethöfoldaten: er mochte die Thra=
kier und Perrhaeber Teicht unterworfen haben’ und Alle Für-
fien vom Rheinbund fchloffen fih an ihn an und folgten ihm
nah in den Peloponnes, bereit ihre Devotion zu beweifen.
So fam Antipater vor Megalopolie und zwang Agis zur
Schlacht!): die Malebonier waren ihm weit überlegen, unb er
) Der Drt der Schlacht flieht nicht ganz feſt; gewöhnlich neunt man fie
die Schlacht bei Mantinea, ich weiß aber fein Zeugniß dafür. Der
Ort der Schlacht war aber in Wahrheit Megalopolis und die Schlacht
der Verſuch Antipater's die Stadt zu entjeßen. Jenes fann eine Ber:
wechelung fein, da ein fpäterer Agis, Sohn des Eudamidas, bei Mans
arsg Miederlage und Tod des Agis.
ward vernichtet; aber er endigte auf glorreiche Weiſe ſein vor⸗
eiliges Unternehmen, Die peloponneſiſchen Verbundeten hatten
20,000 Mann · Fußvoll und 2000 Reiter, Antipater aber, wie
Diebor fagt, Bas Doppelte der Truppen. Die Schladt war
nach Curtius hart befteitten, und noch einmal zeigte ſich bier
die alte ſpartaniſche Tapferkeit‘, obwohl zu bemerfen if, daß
une wenige Spartaner und Lakedaemonier in Agie’ Deere wa-
ven, es befland meift aus Geworbenen, Die Spartaner batten
Anfangs gefiegt, allein Antipater warf ſich jest in Die Schlacht
and drängte die Spartaner fo lange zurüd bie fie ein günfli-
ges Terrain fanden. Hier widerftanden fie fo Tange bis Agis
ſchwer perwundet wurde fo daß er weggebracht werben mußte,
und als die Uebermacht der Mafedonier immer mehr und mehr
anbrängte, wichen Die Verbündeten, und fo wurden bie Zlanfen
Frei. Die Spartaner wichen auch, flohen aber nicht, ſondern
zogen ſich Anfangs wenigſtens nach Diodor in Ordnung zurüd:
freilich Halt ein folder Rüdzug fih nicht fange regelmäßig‘.
Es war eine ber blutigſten Schlachten innerhalb der Gränzen
tinea geſchlagen If. In ben Apophthegmm. Laconn. des Plutarch,
welche ihm nicht abzufprechen find, p. 216 wirb ein Gefecht bei Mau
tinea erwähnt und erzählt, Einer habe Agis abgerathen bei Mantinca
zu kaͤmpfen, weil die Feinde ihm an Zahl überlegen felen, und er habe
geantwortet, wer über Viele herefchen wolle, müfle gegen Biele käm⸗
pfen. Dies bezieht fich aber nicht auf dieſe Schlacht, fondern auf ein
anderes Gefecht, wahrfcheinlih auf den Sieg über Korrhagos. Das
mag zum Jerthum beigetragen haben. Gbendaſelbſt p. 219 fiudet fi
aber das Zeugniß, bag die Schlacht bei Megalopolis gewefen, we
Avriyovov flatt Avrinaroov fteht. Huch fonft laſſen fih In Plutarch
noch manche Heine unzufammenhängende Notizen über ben Krieg des
Agis finden. So fcheint es, bag Argos in diefem Kampfe emtfchieren
gegen bie Spartaner Partei nahm: Agis Tiefert ihnen eine Schlacht
und ſchlaͤgt fie, aber darnach rüden fie wieder gegen ihn vor. Side
ver IR, daß Agis bis nach Korinth vorrüdte, aber wieder zurück bie
gegen Megalopolis z0g, als Antipater mit feiner ganzen Heeresmacht
ans Makedonien Heranzog. Binen achtzigjährigen Officier Hat Agis am
Tage der Schlacht nah Sparta zurückſenden wollen; „es ift fchöner
her zu fterben als in Sparta,” antwortete er. 12825.
Untertoerfung bes Pelopennes. “RB
des alten Hellas; 5000 Mann auf jeder Seite fiefen.!). Agis
überlebte die Nieberlage nit, am Fuße verwundet, von ben
Seinigen anf dem Schilde forigetragen wurde er eingeholt; ba
ließ er file halten, Tieß fich feine Waffen geben und wählte
ſich den Ort aus wo er. fierben wollte; hier ließ er ſich nirder⸗
feten und fämpfte auf ben Knieen gegen bie verfolgenden Mix-
kedonier bis eine Lanze feine Bruft traf nud er vom m bes
freit mar,
Die Spartaner fandien Geſandte an Antipater und —
bei ihm Frieden, Er rückte nicht gegen Sparta und verwies
fie an die Bundesverfammiung der Griechen und biefe: ſie an
Alexander; indefien gaben fie bem Antipater 50 Geißeln ans
den angefehenften Geſchlechtern?). Das Weitere ift unbekannt,
Ob fie Damals den Argivern die Orte haben abtreten mäffen,
bie biefen verſprochen waren, ift ungewiß; die Häupter wurden
ficherlich verbannt. Den übrigen Bölferfchaften des Pelopon⸗
ned, den Arkadern, Eleern u. f. w. tft es ohne Zweiſel viel
fehlimmer als den Spartanern ergangen. Antipater hob damals
eine bedeutende Truppenmadht aus und fihicte fie zu Aleran-
der. Das war ein Runfgriff der Politik, beun fo wurben bie
Kräfte Griechenland's hinlänglie geſchwaͤcht. Aber vor Aergereni
rettete fie Antipater‘.
Ein Umſtand, anf ben ber tiefſehende Demoftbenes gewiß
Die Peloponneſier hatten 3300 Todte, die Maledonier aber auch über
3000. Bei Curtius ſtehen 5360 von Seiten der Spartaner, aber dieſe
Zahl iſt verdorben, weil die 60 etwas Anderes en halten wie die
Schriftzüge zeigen. 1825.
?) Die Epartaner follen gejagt. haben: „Lege uns Opfer auf, aber feine
Schande,” und Borftellungen gemacht, Sünglinge Fönnten fie nicht ges
ben, weit fie die fpartanifchen Sitten verlernten, aber die doppelte Zahl
Breife. — Die Bundesverſammlung der Griechen hatte zu Kortuth
Rast. Wahrſcheinlich waren bloß die iſthmiſchen und pythifchen Spiele
(vgl. or. c. .Ctes. p. 89 ed. Steph.) von der Zeit an wo bie: Bere
ſammlungen flattfanden. Ss {ft alfo wahrfcheinlich daß die auyedpoe
bei allen vier Spielen zugegen waren. 1825.
4600 Nahe In Griechenland.
Ausfichten baute, war das Verhaͤltniß Antipater's zu Aleramber:
Antipater fürchtete den König und er. unterhaudelte wit ben
Griechen feiner Sicherheit wegen um einen Rüdhalt zu haben.
Als Alexander von. biefer Schlacht erfuhr, die etwas gan An-
deres war ald alle Die Schlachten in denen er über die Perfer
den Sieg erhielt, fagte er mit einem vornehmen Ignoriren, er
höre, daß in Arkadien ein Mäufegebeiß geweſen. Solche Aru-
Berungen madten Antipater fein gutes Blut und es iR fein
Wunder, daß. er Alerander’s erbilterter Feind warb’.
Griechenland's Rage blieb von nun an unverändert, bie
Alexander in Indien mit feinem Heere war’. Kür Athen war
Died eine Zelt großer Prosperität: Lykurgus war ein fo ge:
ſchidter Adminiſtrator, ale er ein grundfchlechter Rebner war;
wenn feine Reden nicht ganz befaunt als achte wären, folle
man glauben, fie feien von einem Declamator: fie find fo
ſchlecht als es in der älteren griedifchen Titteratur wohl nur
weiche gibt, An gutmüthigen Bewunderern Alerander’s war in
Athen Leberfluß, unter ihnen ber Dichter Menander ber ein
Enthuſtaſt für Werander war, fo wie viele ehrliche brave Leute
in Athen; wie in Dentfchland und fogar in ‚England [fo Biele
für Napoleon]. Menander ift ein fehr liebenewürbiger Menſch,
aber urtbeillos wie je einer. Ich glaube Demoſthenes Hat ihn
ganz unbeſchreiblich verachtet, wie ein thätiger, großer, gewalti-
ger Mann und hielt ihn nur in feiner Sphäre brauchbar.
Alexander's Siege blendeten, und man betrachtete feinen Zug
als Nationalſache. Diefe Stimmung änderte fih nachher allge:
mein, als aber Agis fein Unternehmen begann, hatte bie allge:
meine Stimme fih noch nicht gegen Alexander erhoben’.
Wir Fommen jest auf die Unternehmung bed Alerander
son Epirus ').
Alerander von Epirus war der Mutterbruber Alerander’s.
9) Bol. Röm. Gefch. IH. S. 181 ff. und Vortr. 16. R. ©. I. S. 465.
Die Dorgefchichte von Epirus wird dei Pyrrhus erzählt. A. d. H.
Verhaͤliniſſe Alexander's von Cpirus. Tarent nimmt ihn in Dienfle. ASt.
Philipp hatte ihm ein kleines Fürſtenihum in Epirus gegrän-
dei, aber die Feſtungen mitten in feinem Lande hielt er befest,
wie Ambrafia, Die ganz Epirus den Hals zuſchnüren Fonnten’,
fo daß Alerander "aus feinem Lande nur Revenuen zog und’
ale Fuͤrſt fich befand wie ber Fürſt in Indien, ber eine Meile
von ſeiner Hauptſtadt Seringapatnam hat [bas von den Eng⸗
laͤndern befest ift], in feiner Hauptkadt ſelbſt aber einen engli«.
fchen Abgeorbneten, ber gewiſſenhaft darauf jehen muß, daß gut
adminiftrirt werde, Alexander mochte wohl feine Abhängigkeit
fühlen. Er theilte den, Unmuth, den abenteuerlichen Charakter
der Zeit, wie Agis. Ihm war es unerträglich, daß fein Neffe
Afien unterworfen habe und ſich ein Weltreich ermerbe, während er
in diefen Gegenden unthätig und eingefchränft fleben folle: da⸗
her nahm er mit Freuden den Antrag ber Tarentiner an, ihnen Ol. 112,1.
ein Heer zuzuführen. Es gehört zu ben Albernheiten ber ſpaͤ⸗
teren griechiſchen Schriftfieller, dag man den Tarentinern als
Zeigheit vorwirft, daß fie mit Mieihſoldaten Serieg führten, da
doch Sparta felbft feine Kriege fo führte, Aleranber, bie ganze
Welt damals geworbene Truppen gebrauchten: alfe Heere ber
Zeit beftanden immer-aus Miethstruppen. Wie hätte aber das
feefahrende Bolt mit Miligen Krieg führen follen gegen Hirten
und Bauern? Ihnen wirft man es als Feigheit vor, bei Anz
dern tabelt man es nicht. Auch wirft man ihnen vor, daß fie
einen fremden Zürften mit einem Heere mietheten: aber auch
hier macht man ihnen den Vorwurf mit Unrecht. Ein folches
Heer hing viel beſſer zufammen, war viel ficherer als 10,000
Griechen, die aus zwölf, zwanzig verfchiebenen Völfern zuſam⸗
mengefebt waren, und ben Kürften nahmen fie als das verbin-
bende Element des Heeres mit. Die Treulofigfeit bie ihnen
von einem ſolchen Fürften drohte, brohte Ihnen ebenfo von ei⸗
nem zufammengelaufenen Haufen: im Gegentheil Tonnten fie
von ber Ehre eines folgen Kürften viel mehr Sicherheit hoffen
gegen Treulofigkeit. Vorher hatten fie den König Archidamus,
Niebuhr Vortr. 6.0.9... 31
483 Tarent utnmt Wieranber in Dienfle gegen die Lucauer.
Bater des Agis, gegen Qucaner und Sallentiner in ihre Dienſte
genommen; er fiel und fein Heer wurde zerfireut, aber doch
ſcheint es, daß fie große Kortfchritte machten, daß die Sallen-
tiner unter ihre Hohelt gelommen und geblieben waren. Damals
fpeinen fie über fie geberrfeht zu haben. est waren fie mit
den Lucanern in Streit verwidelt, beſonders um bie Golonie
Heraflen am Siris zu fhügen. Faft alle griechiſchen Colonieen
an der Kuͤſte von Lucanten waren von ben Lucanern zerflört
oder zu Grunde gerichtet, Tarent hingegen war beflänbig im
Steigen. Bielleiht 50 Jahre naher war es anf ber höchſten
Höhe der Bluͤthe, als ber Krieg mit Rom entitand, allein au
damals ſchon war es fehr groß und angejehen.
Sammerfchabe, daß man von diefem Kriege fo gar nichts
weiß. Das 17. und 18. Buch Diodor’s haben aus zwei Hälf-
ten beſtanden, waren doppelt. Bon dem lebteren haben wir
nur bie erfte Hälfte und zwar auch dieſe mit bedeutenden Luͤcken,
die aber oft verftedt find: was diefe Rüden aufdeden konnte if
abgefchnitten, um die Käufer zu täufchen. Diobor hatte im er-
fen Theile bie Geſchichte der Diabochen erzählt und im zwei⸗
ten Theile bie ber übrigen Bölfer in Griechenland, Sicilien,
Italien, Africa u. f. w. während berfelben Zeit unb ber Zeit
Alerander’s, während 19 bis 20 Jahre, Diefer Mangel if
nirgend erwähnt, weber in ber Bibliotheca graeca, noch fon
in einer litterariſchen Schrift über Diodor. Es verhäft ſich aber
fo, und dadurch fehlt uns die Geſchichte bes Alexander von
Epirus, was namentlich für die Gefhichte von Italien höchſt
ſchmerzlich iſt). Ich habe bie Trümmer über biefen Krieg ge-
fammelt. In ben Memoires de l’academie des inscriplions
et des belles lettres ift eine, wie es heißt, vollſtaͤndige Samm⸗
Iung ber Stellen und Fragmente, allein ich habe weit mehr ge⸗
’) Die vorfichenden 5 Säpe find von ©. 473 3. 25, wo fie außer Zus
fammenhang fanden, hierher geſetzt. Vgl. dazu Röm. Gefchichte II.
A. 207. A. d. H.
Ehrgeizige Pläne Alerınber’s. Zerwürfniß mit Tarent. 483
fammdt. Merfwürbig iſt die Berwirrung ber Zeitrechnung, wo
burch falfche Anwendung ber römifchen Chronologie ein Theil
zu früh, der andere zu fpät gefegt wird, Der Krieg bat au
nicht fo Lange gedauert, ſondern er war kurz.
Alerander fland anfangs ben Tarentinern mit großem Er⸗
folge bei und befiegie die Qucaner amd Apuler, hernach aber
entzweite er fi mit ben Tarentinern. Den Tarentinern wirb
Undank vorgeworfen. Ich glaube aber fehr mit Unrecht; er
’fehrte fein Verhaͤltniß zu Zarent um’, und wollte im Weſten
fein was fein Neffe im Orient war, und fürs Erfie König von
Italien und Sicilien. Dadurch erregte er Mißtrauen bei ben
Tarentinern und Abneigung. Died ging bis zur Feindſeligkeit;
Tarent fonberte fü von ihm ab und ſchloß, ſcheint es, Friebe
mit den Lucanern. Alexander aber feßte Den Krieg gegen dieſe
auf feine Hand und mit eigenen Mitteln fort, Die Heineren
griechischen Städte an ber Küſte ber Lucaner und Bruttier fan-
den bei ihm Schutz, was für fie auch das Naͤchſte war: viele
von biefen hingen ihm an, namentlich bie von Thurii, und wie
es fcheint auch die von Kroton. Mit den Römern fchloß er
ein Sreundfchaftsbündniß, das ihnen Feine Ehre macht. Sie
thaten es, weil die Samniter den Qucanern beigetreten waren,
und mi ben Sammitern fanden fie damals oͤffentlich in freund-
ſchaftlichem Verhaͤltniße, aber wie Chamfort in Hinfiht auf
burgerliche Verhältniße fagt: „il y a trois sortes- d’amis, des
amis-qui nous aiment, qui nous detestent et qui nous sont
indifferens;” alfo flanden auch die Römer mit den Samnitern.
Die Lucaner waren immer unter fich getrennt. Es herrichte
unkr ihnen bie fabellifche Colonie; dieſe war nicht fehr zahlreich.
In dem großen Lande Lucanien if bie Bevölkerung der Bür⸗
ger im Genfus des eisalpiniſchen Kriegs außerorbentlich Hein,
fie wird nur auf 84,000 Bürger angegeben, während doch die
ganze Zahl ber Bewohner eine halbe Million gewefen fein muß 5
das beweiſt, daß bie alten venottiſchen Einwohner Peneſten,
31 *
484 Tod Wlerander’s von Eyirus,
Unterihanen waren. Man wundert fi ausnehmend, daß bie
Lucaner eine ſolche Ohnmacht im ſamnitiſchen Krieg Hatten, und
eine fo große Ausbehnung auf der Karte. Dies liegt aber
eben in dem unglücklichen Umſtande eines herrfchenden und un-
teriochten Volls bei einer freien Verfaſſung. Ein Fürk ann
ſolche Völker amalgamiren, aber in ber Republik iſt es unmöglich.
Alexander ſetzte den Krieg fort; er fah keinen andern Aus-
— weg, auch nachdem ſchon ſeine Hoffnungen verſchwunden waren;
Ol. AA5 er verlor fein Leben in einem Gefechte durch ben Verrath von
lucaniſchen Ausgewanderten, bie dadurch Frieden mit ihrer Na⸗
tion machen wollten. — Im rheiniihen Mufeum') babe id
ein merkwürbiges Stüd aus Lykophron und Tzetzes über dieſe
Angelegenheit befannt gemadt. Eine ber merfwärbigften Ber:
widelungen, burch Bermilhung, woraus wir fchöne hiſtoriſche
Nefultate ziehen können! —
Auf die Verhaͤlmiſſe von Groß⸗ Griechenland kommen wir
surüd,.
Alerander’s Zug nah Indien. Zwift mit den
Makedoniern. Ende:
Alexander hatte nun das perſiſche Reich vernichtet und
drang indeſſen im Oſten immer weiter vor. Er fand Alles auf-
gelöft und eben fo werig Wiberfanb wie Rabir Schab in
Indien, ale er einmal Delpi eingenommen hatte, nur von ein
zelnen Subabars,
Alerander entwidelte nun fihon Pläne. Seine Aufgabe
war ungemein fchwierig wie bie eines jeden Eroberer. Das
Gluͤck trieb ihn bisher vorwärts mit vollen Segeln, das fein
Geſchick lichte. Jetzt aber fragte es fih, was foll geſchehen ? Cs
follte num eingerichtet, regiert werben: aber bie Einrichtung und
Regierung von eroberten Ländern war überhaupt Fein Geſchaͤfi
: I RL Ge I 8. 488, insbeſ. ©. 446.
S
nr
Bage Mlerander's als Eroberer. 485
für die Alten: es iſt das eine Seite, in ber das Alterihum
unferer Zeit ſehr nachſteht. Wir ſtellen uns indeſſen das Al⸗
terthum unendlich viel einfältiger vor, ald es wirklich war.
Man denkt fih 3.3. in der Adminifiration einen Autoſchedias⸗
mus Hon ganz eigener Art; man glaubt nicht, daß viel gefchrie-
ben wurde, man flellt fi die Regierungen bes Alterthums vor
wie die roheften Regierungen bed Morgenlanbes, ftellt fih vor
daß alles Wefentlihe mündlich abgethan worden fei. Diefe
falsche Vorſtellung bat einen Grund yon Richtigkeit, wie alle
falſche Borflellungen. Das Verhaͤltniß der höheren Behörde
zur abminifirirenden war ungemein einfach, man verfuhr nur
zumellen eingreifend, wie im Mittelalter. In Anfehung des
bürgerlichen Rechts und im Finanzweſen warb aber im Alter»
thum ungeheuer viel gefchrieben, wie jest no in Indien. Ich
babe Städe von dem indiſchen Steuerweſen gefehen, bie ba be=
weifen, mit welcher unendlichen Sorgfalt die Eontrolen geführt
werben: ein Freund hatte eine herrliche Sammlung: von folchen
Landbüchern in yerfifher Sprache - aus Bengalen mitgebracht,
wo bie Genauigkeit in Parcellen fo groß iſt, wie nur in einer
auten Adminiſtration bei und. Die Römer ſchrieben unermeß-
Sich viel fchon zur Zeit der Republik. Sie hatten gewiffe No=
tariatformulare, wie wir Beifpiele aus der SKaiferzeit haben.
Auch haben bie Berhöre gewiffe Formen gehabt, wie man aus
den [Proceß-] Acten des Heiligen Eyprianus, des Maͤrtyrers,
deutlich erfehen Tann. Alfo war man nicht fo roh, wie man
alaubt. Aber das eroberte Land ließ man auf dem Fuße wie
es war, und bie einzige Sorge war, fidh dieſelben Bortheile
davon zu verfehaffen, die der frühere Here hatte. Diefe Ein-
richtungen befchäftigten aber Alexander nicht, ihn befchäftigte- bie
Idee der Verfchmelzung der Nationen von Aflen und Europa,
Diefe Idee hat etwas Schmeichelhaftes und Alexander -wirb
deshalb gelobt, Aber daB er es that war in jeder Hinſicht uns
486 Alexander's Bläne zur Verſchmelzung ber Nationen. Grbitterung
gemein verfehrt unb übereilt, abgeſehen davon, wie unbanfbar
er gegen fein Volk und feine Waffengenofien dadurch wurde.
29.2. Aerander hätte nicht nur die Griechen an fich ziehen fon-
bern auch die Voͤller, bie ihnen ahnlich waren, Pamphplier,
Lylier, Karer hellenifiren und an fich binden follenz fie mit den
Makedoniern zur herrſchenden Nation machen und aus ihnen
feine -Heere bilden follen, fo bag bie Dorgenländer befländig
von ihnen getrennt gehalten und ben bellenifchen Stämmen uu-
tergeorbnet gewefen wären. Died zu ihun lag in ber Natır
ber Sache. Ein richtiges Unternehmen war, baß er durch ben
ganzen Umfang bes Reiche eine Menge Eolonteen gründete, um
bie Nationen in Unterwürfigfeit zu halten. Aber was er weiter
that, war das Allerverkehrieſte was gefchehen konnte und läßt
nicht zu, dag man Alexander als einen großen Mann beurtpeilt.
Alexander wollte das Ganze feiner VBölfer zufammen verfchmel-
sen und fie dadurch einander affimiliren, daß er mit feinen
Mafedoniern zu den morgenlänbifchen Sitten überging. Die
Makedonier waren gegen die Völfer in Oberafien eine Hand⸗
vol gegen Millionen, und indem fie ſich ben Perfern näherten,
mußten fie alles Schlechte Der DOrientalen annehmen und bald
das Veraͤchtlichſie bes morgenländifchen Rurus lernen. Er halte
das ganz unfinnige Project eine Armee aus Verfern nach ma-
kedoniſcher Disciplin zu bilden, und bie maledoniſchen und grie-
chiſchen Soldaten follten perfifhe Kleidung und Sitten abwech⸗
felnd annehmen; fie follten nisht aufhören Mafebonier zu fein,
fondern malebonifhe Rüftung ‚tragen, aber mitunter perſiſche
Kleider, mitunter auch wieder makedoniſche. Gr ließ in Ser:
fien vüftige Leute ausbeben, Dies empörte feine alten Solda-
ten. Sie fagten fih: bie Bölfer reiben ung auf wenn es ge
lingt, ober es gelingt nicht, und dann werben unfere Kinder
Morgenländer, entarten: wie bie zweite Generation ber Rad:
kommen ber Ritter in den Krenzzügen, bie Pullanen, bie elen-
der Malebonier. Felndliches Verhältuig zu den alten Jelbherren. 487
beten Morgenlaͤnder waren, Dies war ein ganz richtiges Ge⸗
fühl der alten Soldaten.
Er ſelbſt nahm ben elendeften Prunk des morgenlänbifchen
Despotismus an, 'und gefiel ſich in ber Eitelfeit und Thorheit
ber Perfer; bie Dorgenländer, bie daran gewöhnt hübſch vor
ihm nieberfelen, waren feine lieben Kinder. Er vergaß den
Reſpect vor feinen alten Soldaten und verlangte von ihnen,
bie Doc freie Männer waren, perſiſche Unterwürfigfeit. Alles
das ersegte allgemeine Erbitierung unter dem SHeere.’
Alexander fland jung da unter einer Generation bie viel
älter war; feine Feldherrn waren alle älter als er, zum Theil
recht bejahrt, älter als Philipp, und biefe Männer waren ihm
mit ihren Vorwürfen zur Lafl. Inter feinen Altersgenoffen
waren fehr wenige bebeutende Menſchen. Dies ift eine fehr
merkwürdige Erfcheinung: es ift auffallend, daß das Genie oft
auf eine gewifle Zeit beichränft if. Unter allen feinen Zeitges
noſſen iſt Keiner zu vergleichen mit ben alten Soldaten bes
Philipp, - Kraterus ift unter den jüngern der einzige ausges
zeichnete. Mann. Eumenes von Kardia wurbe zwar erfi von
Alerander hervorgezogen, war aber viel älter und gehörte ſchon
unter die Armee des Philipp. Se älter nun bie Keldheren was
ren, befto bitierer waren fie gegen Alerander’s Neuerungen; fie
fühlten wohl, daß fie feine Derrfchaft gegründet hatten. Es
entſtand eine entfchiebene Abneigung zwifchen ihm und ihnen,
die fie zwar gegen ihn nicht äußerten, aber manchmal flanden
fie zu ihm in ber Art wie einige ber Älteren Generale ber Re-
volution gegen Napoleon, die nicht verbargen daß fie ihn haß-
ten, wie 3. B. Maffena, ber das gegen Jedermann zur Schau
trug. In biefer Art war Parmenio, ber wohl unter Philipp
ber bedeutendfle der Felbherren gewejen war, Alexander hatte
ihn von fich entfernt, hatte ihm bie Statihalterfhaft von Me-
dien und die Bewahrung ber Schäge von Efhatana übertragen,
um ihn vom Deere zu entfernen.
28 - Hiurichtang des Rhllotas und
Aerander Hatte im Often ange Zeit zugebracht; in dieſe
Zeit, die Alerander’s militärifhem Talent alle Ehre macht, fällt
die Hinrichtung des Philotas, und ber Anfang der Enifrem-
dung von feinem Volke und Heere. Philotas war Altersgenoſſe
mit Philipp, ein Sohn Parmenio's; er hatte eine große Hof⸗
ſtelle an Alexander's Hofe: Alerander hatte feinen Hof nad
bem perfifhen eingerichtet, vergab aber die Stellen damals noch
meif an DMafebonier,
Was die größte Erbitterang hervorbrachte war das afla-
tifche Heer, welches er bildete und das felbfiftändig fein follte.
Beffer wäre es gewefen,. wenn er eine Phalanx aus Afiaten
gebildet Hätte, wo bie Lochagen Mafebonier geweſen wären.
So war unter den Dafeboniern viel Gerede; Ausbrüdhe von
Indignation waren unter ihnen nicht felten und eben fo "häufig
Wuͤnſche, dag man von Alexander befreit fein möchte. Solche
Aeußerungen find felten Verichwörung, fie find mehr ein dum⸗
mes Gefhwäs, wie man es unter Napoleon in Deutfchkand
und Frankreich häufig hörte, oft mit den unglücklichſten Folgen
DL.112,3.für Einzelne. So war befonders der Mafebonier Dimnus, der
viel davon redete, man folle Alexander aus dem Wege fehaffen
u. ſ. w. Died warb Philotas hinterbracht, und da er bei
Alexander ungefähr im Berhältniß eines Kammerherrn war,
Tann man fagen, daß er ed dem Fürften hätte melden follen;
aber natürlich ift es daß er ſchwieg, wenn viele alte Dffiziere,
Freunde feines Vaters, die felbft fo gefprochen haben mochten,
au in Verdacht fommen konnten, ba Alexander fhon Grau:
famfeit gezeigt hatte; die Sache hätte gewiß auch Feine Folgen
gehabt. Aber da unter denen ein Verdacht entfland die es bem
Philotas mitgetbeilt, [daß diefer es verſchwiegen babe], und fie
fürdteten, ed würbe durch Andere an Alerander gelangen, fo
wollten fie zuvorkommen, zeigten dem Alexander ſelbſt bie
Sade an und Hagten ben Philotas an, daß er das ſchon laͤngſt
wife. Alexander meinte nun hier eine eigeniliche Verſchwoͤrung
bes Barmenio. Steigende Verbitterung Rigranber’s. 2
au fehen; er ließ Philotas als Hochverräther vor bie Armee,
als Repräfentant ber makedoniſchen Nation, vor Gericht teilen.
Die Garde veruriheilte ihn zum Tode und er warb fehr ſchuel
hingerichtet: Die Sache wurde fehr fehleunig behandelt. Unter⸗
dei ſandte Alerander eilig einen Offizier nad Efbatana, um
Parmenio aus der Welt zu fchaffen, gleihfam einen Kapidſchi⸗
Baſchi; dieſer Tam ganz unerwartet in Ekbatana an, und wäh
send Parmenio den Brief las, fließ der Meuchelmörber ihn nie⸗
ber. Und damit nun Niemand übrig bleibe der bie Sache raͤ⸗
then Tönnte, wurde mit mehreren Anderen auch ber letzte feiner
Söhne Bingerihtet: er hatte drei gehabt, von denen einer ſchon
in Alexander's Dienften gefallen war. Das ift eine abſcheuliche
That und es laßt ſich dafür fein Schatten von Entfchuldigung
fagen.
‚Sp flieg der MWiderwille der alten Soldaten gegen ihn
immer mehr, und ihn bdrüdte das Gefühl, daß er feine Siege
ihnen verdanke.“ Unter den jungen Männern waren zwei, bie
Alerander ald Freunde behandelte, Hephaeſtion, für den er eine
ſchmähliche Neigung hatte; dieſer war Affentator, unbebingter
Dimer des Willens feines Herrn in Allem bis zur Schande,
Der zweite war ein ganz anderer Mann, Kraterus, ber eine
ungluͤckliche Erſcheinung für die Weltgefchichte if, weit feine
Ankunft den unglüdtichen Krieg von Lamia leider gegen bie
Griechen entfchied. Aber unter den Makedoniern war er bei
Weitem der Befte; er iſt unter allen Maleboniern berienige
für den man fih am Meiften interefficen muß. Er und feine
Gemahlin Phila, die Tochter des Antipater, find ein ganz edles
Paar wie fie die makedoniſche Gefchichte fonft nicht lennt; fie
fliehen ganz einzig unter den Mafedoniern da, bie von allem
Edeln auf eine furchibare Weife entfernt waren, Phila war
unbefchreißtich unglüdtih wie das ganze Haus bes Antipater,
aber in biefem Unglüde zeigt ſich ihr ganzer Edelmuth. Auf
ihrem Sohne ruhte ber Segen von beiden Eltern; er war ein
40 Steigende Berbitterung Alexaubder's. Klitus.
Maun von ſehr vielem Geiſte und Keminiffen, ganz anberer
Art als die anderen Maledonier: berjenige ber eine bipfoma-
Hide atheniſche Geſchichte ſchrieb, die Geſchichte aus dem Ur⸗
kunden behandelte. Alle drei ſtehen über ihrer Nation, ale ganz
wereinzelte Erſcheinungen. Kraterus hat in feinem nahen Ber:
Hältuiffe zu Aleramber fi niemals ber Schmeichelei gegen ihn
ſchuldig gemacht; er fagte felbil, ex biene nur bem Könige, nicht
Alexander. Dis zuletzt behielt Alerander Achtung und Schen
für ihn, auch noch in feiner ausgenrtetfien Zeit, Wie Teufel
glauben und zittern, fo ift es aud mit bem Lafterhaften; er
sehennt das Gute an und Tann e6 ehrbar und brauchbar finden:
im Grunde findet er es Tächerlich, aber er kann anerfennen baf
es auch eine Kraft if.
Unter diefen Umfländen entftand eine eigenthümliche Bitter:
Beit bei Alexander und daraus ging ber Morb des Klitus her:
DOL13,1.H0r, Klitus war fein treuer Sreund, ber ihm fo nahe verwandt
war durch feine Schwefler, die Alexander's Amme und bie
Dflegerin feiner Kindheit, feine Bonne geweſen war: im Mor:
genlaude find die Ammen fehr geachtet und treten in ein fo
nahes Verhältnig wie Verwandte. Dean fol biefen Mord nicht
ganz allein feiner Trunfenpeit aufchreiben. Durch feine Ber:
anlaſſung ift er charakteriftiih. Alexander war in aller Fülle
einer Siege neidiſch auf feine Feldherrn. Ich habe von ber
Niederlage des Zopyrion geredet: biefe Niederlage war ihm ba-
ber lieb, weil er dachte, da ſehen bie Mafebonier wie viel fie
ohne mich ausrichten Fönnen, Er nahm bie ganze Sache ver-
achtlich auf, ja bei einem Gaſtmahle wurden fogar Spottlieber
über das vertilgte Heer gefungen, Das empörte bie alten Sol-
»aten, Klitus ſtand auf und bat den König, er folle biefe Lie
der Schweigen heißen, bie einheimifches Unglück verfpotteten:
Alexander fchon trunfen antwortete mit Gelächter und bem Be⸗
fehle fortzufahren, und darüber entſtand ber Zwiſt. Klitus ge-
sieh außer fih und wurbe raſend, ganz wathrlih: man denke
Ralttfäenen, a
ſich nur in die Lage bes. Klitus hinein, der einen Fuͤrſten fick
ber über feine eigene Nieberlage fpotiet und fi über Das Un⸗
gluͤck feiner eigenen Soldaten freut, das iſt etwas wo kein
Menſch fagen kann, daß er ſich halten Fönnte:s ich entſchuldige
Klitus deshalb, daß er vafenb wurde, daß er, als Alexander ihn
durchaus nicht hörte, ihn fo reiste dag er ihn niederſtieß. Das
SZammern und Wimmern Merander’s über den Tod, Die ger
fpielte Klage des Achilles um Patroklos halte ich ‚größtentheilg
für eine Farce, für eine Komoedie vom Jammer des Achilles;
Und wenn es auch Ernſt gewefen wäre, auf jcden Fall —
es nichts gut.
Er ging auch nach dieſem Vorfall auf keine Weiſe in 4
ſondern trotzte immer mehr und mehr; er forderte von bey
Griechen und Makedoniern, fie ſollien fi nach perſiſcher Weiſe
vor ihm auf die Erde niederwerfen. Im Allgemeinen erlangie
er bad mit einer unbegreiflihen Bereitwilligkeit: ber Schren
über Parmenio hatte bie Leute außer ſich geſetzt, und find af
im Schreden einige feige Handlungen geſchehen, ſo if Teig
Maß dabei mehr, So if die Sklaverei des Kalliſihenes u ol.113,2.
begreifen. Diefer, ein naher Verwandier des Ariſtatelas, und
von dieſein dem Alexander zugegeben, war bamals in bed Kö—
nigs Geſellſchaft. Seine eigentliche Beſtimmung mag wohl ger
weſen fein, Alexander als Hofgelehrter und Hiſtoriograph 34
begleiten, wozu ev aber ſchlechierdings nicht geeignet war. Po⸗
Ipbius eitirt ihn Aber die Schlacht bei Iſſus. Er verftand vom
Militairiſchen ungefähr fo viel als Voltaire in feinem: Lehen
Karl's XI: Polybius, ein tüchtiger Offizier, ‚ärgert füh nr
mentlich ſehr über ihn. An feiner Gefchichte ift daher .gar Teig
Verluſt: berühmt ift er als der aus dem Plutarch gefchöpft
bat, Auch feinen Charakter verachtet man: aber er erſcheint
ziel günfliger ald man gewöhnlih glaubt. Man behanbeit im
als fchleht, aber er erfcheint nur ſchwach. Er war berühm
als ber welcher in utramque partem bifjerirt hat, und bie Axt
498 | Kalliſthenes.
wie er dies that gibt mir einen tiefen Blick in feinen Chara⸗
Ber. Bei einem fürftlichen Mahle warb er nämlich aufgefordert
eine Lobrede auf die Mafebonier zu halten. Er hielt fie und
Belt fie glänzend. Alerander forderte ihn nun auf, er follte
auch umgelehrt gegen bie Mafebonier eine Rebe halten. Nun
Aberließ er ſich ſelbſt, brach in eine entfegliche Invective ang,
ſprach über das Elend das fie über Griechenland gebracht —
ber Zwei warum er Alexander begleitete war bie Herſtellung
feiner durch Philipp zerfkörten Baterflabt zu bewirfen — und
Jatte er vorher die Mafebonier gerühmt, fo ſchilderte er fie
jest mit den fehwärzeften Farben, den Fluch den fie über Grie-
chealand und die Welt gebracht hätten, bie Zerſtoͤrng, daß
Atles fich entſetzte. Darans erkenne ich ihn ganz: das zeigt
deutlich feinen Sinn und fein Herz und welche Gefühle in ihm
verborgen waren. Es gibt Gemuͤther, die zwar ruhig ſchwei⸗
gen koͤnnen wenn fie abhängig find, aber doch ihr Inneres mer-
ben laſſen und nie in der Sklaverei ein Wort über ihre Lippen
bringen können, bas ihrer als freier Leute unwärbig wäre, Ich
slanbe diefen Charakter ſelbſt zu haben: ich bin oft zu Unter⸗
Yanblungen gebraucht worden, wo ich mit den Erſten zuſam⸗
menlam, mich aber nie überwinden Eonnte meiner Gefinnung
Eintrag zu thun, aud wenn fie an ben Tag gefommen wäre,
ich erkannte jedes DVerbienft an, achtete den Staatsmann und
guten Offizier an fih. Eine andere Art Gemüther gibt es, bie
beweglicher find, Die eine Neigung haben nicht außer den Zei:
ten zu fleben fondern in bie Zeit ſich hineinzupafien, wenn dieſe
auch ihrem Gemuͤthe enifchieden wiberfpricht; fie nehmen eine
äußere Seite an, mit der fie den Reuten gefällig find mit denen
fie in Beziehungen ſtehen, und fchließen ſich äußerlich den Macht⸗
habern an, huldigen der victrix caussa, quae Diis placuit, im
Innern aber haben fie dennoch ein Gefühl des Schmerzes und
der Indignation, daß die Verhältniffe fo find und daß fie es
nieht ändern koͤnnen. Der Art iſt Kalliſthenes. Manchmal
Kalliſthenes. Antipater and Olymplas. 293
bricht dann der Schmerz durch, und fo war es bamals mit ihm.
Jene Sprache die ihm bamals nicht geahndet wurde, warb Ihm
nicht gefchenkt, denn bie grauſame Behandlung, bie er erfuhr
Schreibt fich gewiß von jenem Tage ber. Er mag gedacht has
ben, da einmal das Wort über die Lippen war: jet IR doch
Alles vorbei, Du biſt verloren, fei nun ein ordentliher Mann
und fürchte Dich nicht mehr, Die vornehmen Mafedonier, Pie
fi) niedertraͤchtig vor Alerander beugten, wütheten doch immer
daß fie es thun mußten, wie bie alten Generale ber Revolu⸗
tion gegen Rapoleon, Menfhen ohne alle moraliſche Haltung,
bie wenn Napoleon erfchlen nicht genug große Büdlinge zu
machen wußten, wenn ex aber nicht ba war ohne Rüdhalt ge»
gen ihn fprachen, ihn nicht anders nannten als cet homme,
nie empereur, und doch jeben neuen Orden von ihm mit dem
größten Danke annahmen und fi darüber freuten: fo waren
auch die Makedonier, und mit diefen mag Kalliſthenes viel ge»
rebet haben, weil er ihren niedrigen Sinn kannte. Als nun Alexan⸗
ber die Berbeugungen verlangte — benn zur Erde Werfen if
nicht immer gemeint — vermieb Kallifihenes bie tiefe Verbeu⸗
gung und warb nun von Jenen denunciirt. Alexander beban-
beite ihn bafür als Mafeftätsverbrecher und Tieß ihn in einen
Käfig einfperren, in dem er fieben Donate mit ber Armee
Herumgeführt wurbe in Schmuß und Unrath bis er — im
Elend ſtarb.
Alerander’s Erbitterung gegen bie alten Maledonler war
ſo groß, daß Antipater ſich ſeines Lebens nicht mehr ſicher hielt
und einen Dolch fürchtete unb mit ben Aetolern deshalb in ge⸗
heime Unterhandlungen trat um fih zur Empörung gefaßt zw
machen, wenn Alexander fein Leben angreifen wollte wie er es
mit Parmenio gethan. Seine Lage war um fo gefährlider,
da bort Olympias fih in der Nähe aufbielt, bie ihn bitter
haßte. Er Hatte von jeher mit ihr in Feindſchaft gelebt: Olym⸗
4 UÜlexanders Zug nach Indien.
pies wollte Einſtuß auf bie Regierung haben, Anttpaier aber
Abie deopotiſche Gewalt,
mierdeſſen aber zog Alexander immer weiter und weiter,
ohne allen beftimmten Zweck, nur weil er weiter mußte. So ein
Grobeser kommt in bie gräßlihe Lage eines Hazarbfpielers
hinein und kaun nicht ſtill fliehen, er muß Krieg haben und
fine. Exißen; daran fegen. So war Napoleon, er fonnte nicht
aufpören weil er in biefer ‚Lage war. In biefe Stimmung
war auch Alexander, und fo ging er vorwärts und vorwärts:
olein eine ſolche Stimmung kamn fih dem Heere nicht mitthei=
len; ber Wührer küͤmmert fich nicht um das Heer. Alexander's
Armee mußte immer weiter, ba fie ſich doch fehr nach Ruhe
fehnie um ihre Narben zu pflegen und den Genuß ihrer Arbeit
im hohen, und fie verdiente wohl Rabe und verlangte fie daher
wit Recht. Wenn Bewunderer Alerander’s die Leute verfchreien,
daß fie nicht in feine großen Ideen eingegangen feien, fo ift
das albern: er hatte Feine großen Ideen, es riß ihn wur voran
und follten die WMafebonier ſich für dieſe Idee todtſchlagen
laſſen?
DL.118,2. Nach dieſen Vorfaͤllen unternahm Alexander ben Zug nad
Indien, Wie er Kriegsunternehmungen beginnt iſt er gleich be⸗
wundernswuͤrdig. Schaͤndlich iſt bie Art wie er vorher feine
Srldeten tänfchte burch die Ausficht einen Theil zu entlafen;
wie er dann bie BVriefe fich verfchaffte, die bie Mafebonier nah
Hauſe geſchickt Hatten, und fie aufbrechen Tieß, bie einzelnen
Perdaͤchtigen ausſuchte, fie nach entlegenen Drten ausfhidte
ober zu verzweifelten Unternehmungen. Aber groß war, wie
eg über bie Gebirge, über den indiſchen Raufafus, den himmel⸗
hohen Paropamiſus, einen Theil bes Himalaiah geht um in
Indien vorzubringen, feine Kämpfe dort, mo er verzweifellen
Wiherſtand von den friegerifchen Völfern findet, — bean mit
dem größten Erfinnmen fand man bie Inder kriegeriſch, nicht
weichlich: bier auf ber Graͤnze wohnten Krieger: es finb bie
\
Alexander's Zug nach Indien. 295
Sitten von Raviftan und die Sitten der jesigen Radſchbuten um
Adſchmir, nicht die ber Bengalen — und doch immer vorwärts
bringt, alle Schwierigfeiten überwindet: das find herrliche Tha⸗
ten, und biefer indiſche Feldzug ift wahrhaft glorreich für Alexan⸗
der und rähmlich auch für bie Inder,
Vom Paropamifus ſtieg das Heer in das paradieſtſche
Indien hinab. Nah Kaſchmir iſt AMlerander nicht gefommen:
er fam fin bie herrliche Gegend von Multan und Lahore. Die
Inder flelften ihm bier den Yebhafteften Widerſtand entgegen?
er ſchlug aber zwei ihrer Kürften und bahnte fih ben Weg
über alle Berge und Flüffe. Er zog immer vorwärls, ging
über fünf Flüffe: vom Indus bie über den Akeſines und bis
an ben legten Strom des Pendfihab, wo die Wüfte das Indus⸗
that von dem Ganges⸗Indien trennt. Bis in die Gegend vom
Delhi drang er vor, offenbar mit ber Abficht auf ben Ganges
loszugehen. Wenn auch bie Feldherrn feine Kenntniß vom
Ganges hatten, — Herobot wußte nichts von ihm, vielleicht
auch Ktefias nicht, — fo war doch Alerander gewiß über die
dortigen Gegenden genauer unterrichtet, Er wollte Indien ganz
unterwürfig machen, und wiürbe ed auch wohl ganz erobert has
ben. Zwifchen Dfeyumna und Hyphafls ift zwar eine unfrucht«
bare Wüfte, aber nicht: fo unfruchtbar wie ſuͤdlich in Radſch⸗
butana '): Alerander hätte feine Soldaten ohne alle Schwierige
keit dadurch führen können. Auf dem Dſchumng würde er
eine Flotie gebaut und auf ihr den Dſchumna und Ganges
hinunter nad) Bengalen gegangen fein. Da aber weigerten ſich
bie Mafebonier weiterzugehen, weil fie gehört hatten, - DAB fie
an einen Fluß Tämen, defien Stromgebiet in ganz andere Re⸗
gionen, in eine ganz andere Semifohäre führe, Deswegen em⸗
pörten fie fih, weil fie Alexander gut Fannten, daß Ihn fol:
ein Abenteuer reizen würde. Hier alfo kehrte er um. Er 50g01.118,3.
nun bis an ben Indus, und verfolgte biefen hinunter bis an
5) Conj. flatt Bengalen, was die Hefte Haben. 0. -
498 Nücklehr. Zug durch Belnbiäitan.
feine Mänbung mit einem großen Theil ber Armee. Einen
andern Theil fandie er über das feßige Kandahar und das
ſchoͤne Siſtan zuräd, bie herrlichſten Lande bes perfiichen Reiche.
Auf dem Indus ließ er eine Klotte bauen, die unter
Nearch den Strom hinunterging, wie er auf dem Ganges
Winuntergegangen fein würde, und bie Eutdedung ber Küfte bes
erythraͤiſchen Meeres bis Gebroften machen follte: d. 5. für bie
GSriechen, denn die Perſer hatten ſolche fchon unter Darius ge
macht auf kariſchen Schiffen von Kafchmir aus bie zum Eu-
yhrat oder Aegypten. Ein Töblihes und ſchoöͤnes Unternehmen
Alexanders, das für die Geographie fehr erfprießlich gewefen
. iſt. Nearch war eine fehr glückliche Wahl. Seine Reifebe-
fpreibung hat Arrian erhalten. Er wurde zu einer unglädli-
Gen Zeit abgeſchickt da bie Monfuns gegen ihn waren, und
brachte ſechsmal längere Zeit auf biefer Reife zu als fonf ge⸗
ſchehen wäre.
Alerander felbft hätte den Indus eine Strede wieder hinauf
sehen und banır ben Weg über Gasna und Kandahar nehmen
follen. Diefen Weg fandte er allerbings auch einen Theil ſei⸗
ner Armee, Er felbR aber mit bem größten Theile des Heeres
folgte einer anderen Straße, deren Schwierigfeiten ungeheuer
waren, unb das konnte ihm nicht unbefannt fein. Er that es
entweder unfinniger Weile aus dem Kitzel Außerorbentliches
auszuführen, ungeheure Schwierigfeiten zu überwinden, wobei
die Fuͤrſten immer das Geringfle zu leiden haben, ober aus
Haß gegen feine Armee, aus dem Wunfche fih an feinen Trup⸗
yon zu rächen und fie für den Widerfland zu züchtigen: was
fehe wahrſcheinlich ik. Er Hatte bis zum Ganges, biefen hin⸗
under gewollt und bann würde er Indien umfchifft haben, und
noch weiter vielleicht gebrungen fein: weil nun biefer Plam zer⸗
. Rört wurde, haßte er wirklich bie Makedonier. So führte er
fie durch das gräßliche Beludſchiſtan. Das if ein ſchreckliches
Land, viel fchlimmer als die Wüfle von Arabien ober bie
Leiden des Heeres. | :497
Sahara, wo mau auch auf mehreten Tagereifen Leine‘ Anſtede⸗
taugen findet und. dieſe nur. wie ganz weit. aus einander ge-
"Iague Inſeln find. Aber es ift eine ganz andere Art Wuͤſte.
Es gibt in der Sahara und in ber avabifhen Wüſte einzelne
Singfandgegenden, aber nur ausnahmeweife, im Ganzen iſt ber
Boden fer und lieſig. Hingegen biefe Länder von ben Graͤn⸗
gen von. Serman bis an den Indus, Meran und das eigent-
Ude Beludfchiften find unendlich viel gefährlicher. Kin Engr
Känder, Lieutenant Pottinger, dat fie vor 12-13 Jahren ver⸗
fieidet bereit — die Einwohner fliehen auf ber niebriaften
Stufe der Bultur, find fanatiſche Wohammebaner und ein Ab
fdaum der. Menſchheit — und beſchrieben und diefe Beſchrei⸗
bung Int mir den Zug Alerauber’s Mar gemacht. Dieſe große
Strede ſcheint nicht .ein eigentlicher Sand zu fein; Pottlinger
vergleicht es vielmehr mit vulkaniſcher Aſche, Die unendlich fein
iſt; ob es auch chemiſch der Afıhe gleicht ‚hat er. wahrſcheinlich
nicht unterſuchl. Einen Schatten. von den Schwierigfeiten bier
feß. Landes finden wir in nnferen Sandgegenden im nörblichen
Deutſchland, wo man tief in den Saud tritt und ſich ſehr er⸗
madet: aber. das iſt nur ein ganz unbedeutendes Bilb gegen
jenes Lond. . Der Staub, fo Tann man ed nennen, if: ſo um
endlich fein, daß er nicht allein bei. dem leiſeſten Winde ſich in
Die Luft erhebt, fonbern fchon durch die Sonhenftrahlen, wenn
fie ſenkrecht Reben, anffleigt: wenn die Sonne hoch am Himmel
Sehe, erzaͤhlt Pottinger, bilde ſich durch den Staub gleihfam eine
Atmofphäre von Ausdunſtungen in biefen Gegenden. Der Staub
vermifcht fich bei dem geringſten Winde fo mit der Luft, daß
er in Mund und Nafe eindringt, Die Anftedelungen find nicht:
fo weit entfernt wie in Arabien und der Wüfle Sahara, Es
gibt Waller von Zeit zu Zeit, wo einzelne Anfiedelungen von
wenigen. elenben Kamilien find, aber dag Grün, das man in
Arabien und der Sahara an ſolchen Zleden fiebt mo wirkliche
Quellen find, erblit man in dieſer ganzen. —_— Aus deh⸗
Niebuhr Vortr. üb. d. A. G. IL
J
498 Leiden des Heeres, Triumpbzug Alerander's.
nung nirgends: nirgends iſt eigeniliches Gras. Die elenbe
Bevölterung an der Küſte finb Ichthyophagen, die von Wall:
fiiden und Robben leben: ihre Häufer find von Wallſiſchrippen.
Auf diefem gräßlichen Wege, den Mari emes ganzen
Monate, führte Alerander fein Heer, und. es erlitt Roth und
Elend, wie in ber entgegengefegten Art bie franzöftfche Armee
auf dem Rückzuge von Rußland. Aber durch die Dauer war
has Elend noch viel größer. ’Die Flotte die Wierander unter
Nearch vom Indus ans laͤngs der Küfte fegeln ließ, hätte we-
nigftens einigermaßen bie Beſchwerlichkeit bes Marfches mildern
können, wenn fie flationenweife Magazine angelegt hätte: allein
es war nichts berechnet: bad: Heer nahm nicht mehr Lebens:
mittel und Waſſer mit, als Jeder tragen konnte. Ein graͤßlicher
Durft der an Wahnfinn gränzte bemädhtigte fih bes Heeres
und bie größte Marter war daß man meinte Waſſer zu fehen
und es warnur Schein.’ Viele Taufende verſchmachteten. Bon
ben Truppen, die Alerander über die Paropamifaden nad In⸗
bien geführt hatte, brachte ex nicht ben vierten Theil wieder
zurüd, obwohl das Corps, welches er über. Kandahar führen
ließ, gut zurüdfam, fo daß zwei Drittel von feinen Truppen
gewiß in der Wüfte verloren gingen. Bei theatralifchen Hiſto⸗
rifern Tefen wir die rührende Erzählung von dem Waſſer, wel⸗
ches dem Aleranber ein Soldat brachte, und wie er es and
fchüttete, um ihnen zu zeigen baß er alle Beihwerben mit ihnen
theifen wolle. Ich vermuthe, daß es mit Alexander gerwefen
if, wie ein fonft großer Kelbherr ein Commisbrod aß, worin
eine Paſtete geſteckt Haben fol.
Ol.iis,a. As er nah diefem Zuge in Kerman angelommen war,
fol er durch biefes Land ben Triumphzug des Bachus nad-
geahmt haben; die Shidaten, nachdem er fie genug gemartert,
ließ er bier in dem ſchoͤnen Weinlande sich erquiden, dem äußer-
ſten Weinlande Afien’s nad Often zu. Diefer Zug war nad
Art feiner traurigen Tarıen. Es if eine fehr wahre Bemer⸗
4
Frapenhaftigkeit ſeines Deſens. Steigende Neigung zu den Perſern. 408
fung: Goethes '), daß Die ſpaͤteren Römer ſchon in ben letzten
Zeiten der Republik, und dann unter den Kaifern, in Allem
was fie Großes machen follten, in's Srapenhafte verfielen; die⸗
fen felben Chernfter haben die großen Feftlichkeiten und Spiele
Abexenber's. Ein‘ Baumeifter ſchlug ihm vor, ben Athos zu
eiter liegenden Statue von ihm zu bilben, und er fdhlug .ed
umr..ab, weil es nicht möglich war. Wie das Riefenmäßtge
fein Element war und nicht das Schöne, das fieht man aus
deu: Beftimmungen .in. feinem Teſtamente, an den Werfen bia
er andführen weilte, ’eine Poramide zu Ehren Philipp’s, dann
fieben Tempel für dexen jeden er 1,500,000 Kronenthaler aus⸗
warf, Pläne die ungeheure Keöfte erfordern, aber von ber Art
find, wie die Zeuberpalaͤſte in den morgenländiichen Schriften,
Die unermeßlshen Kräfte Aſien's hatte er zur Ausführung :
aber das. Schöne, wie es in Athen ‚unter Perikles geweſen war
fehlie ihm.
Er Kom jetzt nach Perfis zurück, und von dieſer Zeit an
benahm er fi vollig ald Perſer, 'affte ganz bie Sitten ber per⸗
ſeſchen Könige nuch: dadurch flieg die Erbitterung der Maledo-
nie immer höher. Dei den alten perfiihen Königen war die
Siue geweſen / duß wenn fie ihr eigentliches Sammland beira-
ten, ſie ein beſtimmtes Congiarium gaben, einer jeden Frau
vom Stammland ein Goldſtirck; das that. jetzt Alexander auch.
Bei. den perſiſchen Königen war das angemeſſen, aber für
Alexander war bie Auskbung dieſer Sitte eine offenbare Ver⸗
lengnung feiner Nation. 30,000 junge Berfer hatte er aus⸗
geleien, hatte ihnen Kriegsehre und milttäriiche Erziehung ge-
geben, und ‚fie Griechiſch Iernen laſſen: biefe beſtimmte er zu
feiner Phalanr. Cr würde fih) aber fehr getäufcht haben, wenn
er fie ohne makedoniſche Lochagen als Yhalanı hätte gebrauchen
wollen; fie würden ſo : unbraudbar geweien fein wie Sipais
ohne enropaͤiſche Offiziere nichts werth find. Denn es fehlt ben
1) Bol. Borir. über Röm. Gef. III. &. 208, A. d. .
32*
500 VBallige Untfrenibung von ten Dkufeboniem. :
Aſiaten, was Ariſtoteles das Architektoniſche nennt, dad Diri«
girende, Einrichtende: die Aſiaten ſind Maſſen. Ausnahmen
find Maͤnner, wie Sewadſchi, Mohammed, bie erſten Chalifen
u. ſ. f, aber immer haben nur Einzelne unter den Aſiaten dieſe
Gabe, und wohl fann ein einzelner Geiſt durch die Degeifle-
rung bie Nation forttreiben, aber nie die Seele fein. Der
@rad der Geſchicklichkeit, Fähigleit einer Nation beruht darauf,
daß Einzelne die Seele von Bislen fein Tönnen: wo das fehlt
iſt immer ein großer Schritt zu thun. Leider fehkt und Deut
fhen viel daranz wir wären Rärker, wenn wir biefes hätten,
wie.fo mande andere ſchoͤne Eigenſchaft. Eine Maſchine if
oft mur ein unbelebter Orzanismus. Ariſtoteles würde dies
Alexander gefagt haben, er kannte ‚ven Unterſchied ber Europäer
und Afiaten gut. Er fagte fon: die Aſiaten wären uufähig
frei zu fein, das heißt zu Yeiten, ſowohl ſich ſelber ald Andere.
Ein afiatifcher Dfficier kann nie die Seele von Aſiaten fein.
Das. makedoniſche Erercitium if ganz einfach, und man kann
ed ſich vorſtellen, ald ob man es ſelbſt gefehen hätte; ich kenne
es genau, ich habe es mir oft gegeichnet mit allen Evolutionen,
alfo Taun.man fi, denken, baß wen die. Perfer nor dem Kö⸗
nige exercirten, fie ihn völlig befriebigten. Aber weiter konnten
fe auch nichts lernen.
Alexander glaubte. aber die alten Mafebonier jet entbeh⸗
ven zu Sonnen umb wollte füh von ihnen frei machen. Sein
Plan äußerte fih zunächſt dadurch, Daß er bekannt machte, bie
alten Ausgedienten follten entlaffen werben. Fruͤher ſchon hatte
er eine große Menge in ben entfernieften Gegenden am Sarar-
tes, Oxus angefiebelt oder als Beſatzungen gelaffen, auch gegen
ihren Willen, Jetzt follten die Uebrigen entlaffen werden. Nun
waten. biefe Mafebonier ein verwilberted Kriegsvolk, und im
ber Heimath erwartete fie nichts Erfreuliches; fie wußten nicht,
was fie zu Hauſe treiben follten, fie hauen entfeulich geplän-
dert, aber Alles durchgebracht, und in Makedonien mußten fie
Böllige Cutfremdung von deu Makebdonlern. Gränel Alexauders. 501
Bettler oder Räuber werben. So wellten fie bleiben, fie hat-
ten afietifche Weiber bei ſich, einen entſetzlichen Troß wie in
morgenlaͤndifchen Heeren. Das Nationalgefühl regfe ſich und
es entſtand ein allgemeiner Auffland; die Makedonier verlang«
sen, wenn er Sinen entlaffe, fo folle er fie Alle entlaffen. Da
nahen ‚er den richtigen Befchluß und verabſchiedete fie Alle; das
war nicht ihre Abficht geweien. Das imponirte ihnen, zum
Theil Hatten fie auf feinen Befehl die Waffen niedergelegt und
waren ganz in feine Gewalt, So baten fie bald um feine
Suabde. Auch dieie haben. Sophiften als etwas Großes ge⸗
rüßmt; allerdings Hatte ev bier feſt und geſchickt gehandelt.
"Uunerkeanbar war jegt fein ganzes Steben darauf gerichtet
ſich von den Maledoniern unabhängig zu machen, und das zeigt
ſich auch in feinen Plane die. Bölker despotiſch zu verfegen,
Akten nah Europa zu pflanzen, Die Bölker in Europa nach. Aften
Wir zu zerfireuen. Er wollte eine Maſſe zufammenbringen, die
ohne alle Rationalität gervefen wäre. Wenn zwanzig verſchie⸗
bene Völker die Bevöllerung einer Gegend ausgemacht hätten,
wem. unter 10,000 Einwohnern 500 Griechen, 500 Serfer,
5008 Aegyptier u. ſ. w. gewefen wären, fo wäre eine Nation
eakſtanden ohne die geringfte Eigentämlichleit, ohne Verband der
Sprache, ohne Zuſammenhang — bas Abſcheulichſte und. Ber:
derblichſte was füh denken läßt — und bei dieſem Gegeniheil ber
babyloniſchen Sprachverwirrung hätte er bie Nationen fo zu⸗
fammengerütielt, daß Keiner gewonnen aber Jeder verloren hätte,
und Alexander felbf den Plan hätte aufgeben müflen.
Für alles Menſchliche war er jetzt ganz abgefumpft, md’
er überließ ſich feiner natärligen Wildheit immer mehr. Sein
ſchimpflich geliebter Hephaeſtion ftarb, und biefem feierte er Exe⸗
anten, bie den Unfinn bes bollfonunen Kragenhaften zeigen im
der Verſchwendung und orientaliihen Graͤßlichkeit. Um ihm
ein würbiges Zobtennpfer zu bringen unternahm er einen Zug
gegen ein freies Bergvollk und roltete bie: ganze Nation aus;
502 wWlevander's Wüßkeit. Plaue zur Eroberung des Weſtenc.
ſchlachtate nach orienselifger Sitte dem Tobten zu Ehren die
Befangenen. Die Züge aus biefer Zeit find alle fhmäplid;
Rumpf und mit fih in Unfrieden verfiel er immer mehr und
mehr dem ſchrecklichſten Trunke. Er fente Prämien für's Trin⸗
ko aus, und ein ayer nmolvrsocieg endigte bamit, dag fi
einige dreißig Menſchen. todtſoffen: eine Schändlichleit Die man
nur mit Elel betrachtet.
Doc machte er jetzt auch große Räfungen, er mußte etwas
unternehmen um fich au zerfireuen. Im Orient war nichts
mehr für. ihn zu thun; nach Indien durfte er feine Soldaten
nicht zum zwriten Male führen: dann wäre ber Aufſtand aus⸗
gebrochen. Er warf alſo feinen BIKE nach dem Wehen, und
wirklich biidte dieſer mit großer Angſt na ihm hin. In
Dhoenicien ließ er Schiffe bauen und in Thayfalus am En⸗
pheat, Die dann über Laub an’d Mittelmeer geſchafft werben
follten. Wahrſcheinlich wurden [die Städe] fertig gemacht und
trausportirt, am Mittelmeere aber erſt zuſammengeſetzt. Sein
Pina war eine Flotte von 1000 Galeeren auszuruſten, Tetre⸗
ten uud Penteren, Alles ging in's Kolofſale. Er wollie wahr⸗
ſcheinlich Afrika umſchiffen laſſen und Karthago erobern. Seine
Feldherren follten auch Arabien unterwerfen, er ſelbſt wollte
aber mach Wehen gehen uud Karthago einnehmen, wobei bie
Almenicter tro ihres Widerfirebend gemäthigt geweien wären
gegen ihre Landsleute und Colonen zu ziehen. Karthago wärbe
ihn nur wenig befdhäftigt Haben: er wärde es mit Leichtigkeit
erobert haben, wie -fih das nachher bei den Landungen bes
Agathokles und Regulus zeigt; denn war man ihm einmal
nahe, fo war es ein Koloß auf morfhen Trümmern, Karthago
war nicht fo ausdauernd; und dann wärbe er feinen Zug wei⸗
ter fortgefest haben: "um alle Binder bie zu den Säulen bes
Hercules zu erobern. Um bie Provinzen zu verbinden, wollte
er dann eine Strafe längs ber Küfte des Mittelmeeres von
Kyrene nad Karthago bauen’...
Gefandfchaften ans dem Welten. Mömlfche Geſandiſchaft. 1508
Aus dem ganzen Weflen kamen nun ſchon Geſanbiſchaften
zu ihm, von den Kelten, Iberern und italtfchen Bölfern. Die
Griechen in Stallen und Sieilien riefen ihn ftenbig an. Die
Freiheit kümmerte fie nicht mehr, unter ber Hoheit eines ge⸗
maltigen Königs zu fleben, war ihnen gewiß nichts Anfiößiges,
und fie wollten gerne ihre Selbfändigfeit als Feine Staaten
dem Glanze eines ſolchen Reiches aufopfern. Mitarchus erzaählt,
daß auch römifche Gefandte zu Ihm gefommen feien, und man
Tann nicht geradezu fagen, daß bies falfch fei‘). Freilich Tat
ſich nitht fagen, daß Klitarch Feine Beranlaffung hatte die Rö⸗
mer zu nenttien. 'Zwar waren Die Römer, als er fihried, noch
nieht fo berühmt, daß ein Grieche fie aus Eitelleit genannt ha⸗
ben würde; aber’ fie waren doch ſchon befannt und fo konnden
leicht, wenn die übrigen italifchen Völker aufgezählt wurden,
die Römer: mitgenannt werden, wie bie heutigen Italiäner oft
Bekanntes mit hereinbringen, wo es eigentlich nicht hingehoͤrt,
unb bei aller Gelegenheit zufammenzählen, mas fie einmal gut
fammen zu nennen gewohnt find. Der Staliäner zählt immer
weiter, die handelnden Voͤller und die befannten in der Näbe:
fo wenn ein Stalläner von einer Unteenehmung von Mailand,
Genuaga, Florenz erzählen fol, fo zählt er nicht nur dieſe Städte
ber, fondern auch die dazwiſchen gelegenen, und fagt man ihm
daß dieſe nicht bahin gehören, fo ermidert er, das If gleidh-
galtig. Das iſt alfo fehr möglih. Aber anbrerfeits, wenn
man bebenft, daß bie Römer eben mit Alerander von Epirus
einen Bund geſchloſſen Hatten, fo ſehe ich Teinen Grund, warum
fie nit auch mit Alerander dem Großen unterhandelt haben
ſollten, um fich bei dem drohenden Gewitter vorzufehen. Wenn
Livius glaubt, Die Römer hätten Alexander's Namen‘ gar nicht
gekannt, fo ift das eine ungeheure Leichifertigfeit: die "Römer
mußten fehr gut von dem Umſturz bes perfiichen Reichs und
den ungeheuren Exoberungen Alerander's wiffen. Im Akterihume
2) Bol. Rom. Geſch. M. 191. Bortr. üb. R. ©. J. ©. ATI.
504 Nomiſche Geſandiſchaſt.
war ber Sexrverkehr ſehr lebhaft und auch von großem Um⸗
fange, wovon unſere Anſichten ganz verkehrt find: roöntiſche
Schiffe fahren nach Vertreibung der Könige bis nad Spanien,
wie wir aus dem Bergleiche wit Karthago fehen. Alſo wiſſen
founten bie Römer von Alexander fehr gut. Dringen bodh jest
große Ereigniſſe mit unbegreifliher Schnelligkeit in das Innere
von Afrika, nach Perfien, nah China. So war aud die fran-
zöffche Revolution früh tief im Drient befannt: aber auf wun-
derliche Weife; fie konnten fie nicht begreifen, fo in Perfien, an
der arabifchen Küfle: merkwürdige Dinge babe ich von deren
gehört, die dieſe Ränder bereift hatten; früh hat man auch ie
Ehina davon gewußt. Der jehige Auffland der Griechen war
im Innern Afrifa’s befannt; in Safatu, Borneo war im Jahre
1823 Alles damit beſchaͤftigt; fie fahen darin einen allgemeinen
Krieg zwiſchen Ehrifen und dem Ielam. Wußten das biefe,
die doch nur Halbwilde find, wie follten die wahrhaft hochge⸗
bildeten alten italifchen Völkerſchaften nichts von Alerander's
Kortfihritten gehört haben und von feinen Eroberungen? Wer
davon erzählte hatte gewiß Zaufende von Zuhörern. Während
des fiebenjährigen Krieges fand mein Bater im Innere vor
Yemen den Minifter Fati Achmed, ber yom fiebenjährigen Kriege
wußte und viele Fragen mit großem JIutereſſe that über die
Verhaͤltniſſe zwifchen England und Frankreich. Er hatte Land⸗
harten deren Namen er nicht Iefen Eonnte, aber er machte ſich
bach Begriffe. In Japan bat man einen voflfländigen emro-
paiſchen Atlas mit japaniſcher Schrift, und lernt darnach feit
40 Jahren Geographie von Europa, obgleich fie die Europäer
ausſchließen. Man fragt, wie fanden bie Romer ben Weg
nach Babylon: wenn aber etruskiſche und fogar fpanifche Ge
fandten ben Weg fanden, warum follten nicht auch die Römer
fh hingefunden haben’? Unſere Vorſtellungen von lebendigen
Zufläuden ber alten Welt find fo verlehrt klaͤglich, ale die Ver⸗
traulichfeit mit dem Alterthume fi von ber Wirklichkeit ab-
Alerander in Babylon. Tod, 505
neigt: wie unfer Leben mehr profaifh wird, wogegen nichts zu
thun if, follten ‚wir uns das Alterthum aus ber Schattenweit
in die wirkliche Welt übertragen.
Die Schaaren von Geſandten verfammelten fih in Baby⸗
Ion, Babylon war für Aleranber was Dresden für Napoleon,
ehe er nach Rußland ging, der glänzendfle Punct feines Lebens
Durch die Huldigungen Die er empfing. Aber Babylon zu bes
treten, warnten ihn feine Wahrfager: in wie fern das Taͤn⸗
fung, Betrug geswefen, oder ob Gottes unerforfchlicher Rath⸗
ſchluß ihnen ein Mal wirklich einen Blick in die Zufunft gege-
ben, davon eins zu glauben wäre Thorheit; ich erwähne es
nur. Das Erfle abfolut behaupten kann man nicht; es laͤßt
fi) auch nicht fagen, daß das Leute in einem beftimmten Kalle
Fingetretin; aber der würde irren, welcher annehmen wollte,
alle Oralel und Wahrfagereien des Alterthums feien nur Be-
trug gewefen. Die Wahrfager Alerander’s mögen volllommene
Thoren gewesen fein: was für Grund zu warnen fie hatten,
davon findet fi keine Spur. Aber Alexander widerſtand der Ol. 114, 1.
Berfuhung nicht, er begab ſich nach Babylon wie zu feiner
Hauptſtadt. Er wußte, daß Babylon die Wiege aller aſiati⸗
hen Reiche war, wie e8 fa auch nach der Bibel ift, und das
309: im: bin, obgleich die Mauern gefchleift waren und bie Stadt
verwäftet: Babylon war wie das feige Delhi gegen das frü-
here, wie‘ ed Bernier befihreibt. - &8 309 ihn dahin, wie ben
Menſchen oft eine unerflärlihe Gewalt nad) dem Orte zieht,
wo es ihm befiimmt iſt zu ſterben. Ob nun Alerander bier
an Gift geſtorben ift, oder an einem Fieber, das ihm feine vie⸗
hiſche Unmaͤßigkeit zugezogen, laͤßt fich nicht entfcheiden. Wenn
er durch Gift geftorben ift, fo fol Ihm Kaffander, Sohn bes
Antipater, gegen den er thoͤricht ergrimmt war, durch feinen
Oberſchenken Jollas, "einen andern Sohn des Antipater’, das
Gift gegeben Haben. Nimmt man ben damaligen Gang ber
Sachen, ferner bag Bergiftung im maledoniſchen Reiche fo ge⸗
Niebuhr Bortr. üb. d. A. G. II. 33
506 Wlerander's Ton. Welgen
wöhntih war, dann noch den entfegliden Haß ber Familie
Antipater’s gegen Alerander, jo möchte man wohl mit ben meis
fien Zeitgenoffien an die Vergiftung glauben, und Plutarch's
Beweis dagegen genügt nit. Aber alle die Bulletin’s bie
Arrian !) über Alexander's Krankheit gibt deuten mehr auf Fie⸗
ber als Kolge feines viehiſchen Lebens, und machen bies höchß
wahrſcheinlich. Er iſt viel zu Lange frank geweien, ale daß er
durch Gift geforben fein follte. Alles Gift im Alterthum töd⸗
tet in 24 Stunden ober es wirkt ganz ſchleichend; Alexander
war aber 10-12 Tage krauk.
‚Bielleicht kein Menſch Hat indivibuell hiſtoriſch mehr ge-
wirft als Alexander; das leidet keine Frage. Wie er aber und
ob er wohlthätig wirkte, barüber find die Meinungen verſchie⸗
den. Im Allgemeinen wird er durch Plutarch und ambere
Spätere:bie Meinung für fih haben: das if nicht ganz abzu⸗
leugnen, aber überwiegend zu verneinen.
In Hinfiht auf Griechenland waren feine Eroberaungen
durchaus verberblih. Dur ihn wurde die griechiſche Ratiou
gleihfam von der Ausdzehrung ergriffen: denn fie ſchmolz dur
ihn ungeheuer zufammen. ine ungeheure Menge Rekruten
müflen aus Griechenland und Maledonien nach Indien und
Dberafien gegangen fein, die er für immer dem Baterlaude
entzog, indem er fie dort anfiebelte. Daß Griechenland verlo⸗
ven war als ein neuer reicher und militärtfcher Staat ſich bil:
bete, daß es zur völligfien Ohnmacht herunterfant, Tag in ber
Natur der Sache. Selbfi ba Gute was aus bee Stiftung
dieſes makedoniſch⸗ aſiatiſchen Reiche entſtand war nachtheilig für
Griechenland. Der Handel zog ſich nach Alexandria; von Athen
war als Handelsſtadt nicht wehr die Rede.
Die Einwirkung Alexander's auf die entfernteren und nä⸗
heren unterworfenen Laͤnder Aſien's war verſchieden. Für Aegy⸗
pten war er wohlthätig, und Dies hat offenbar unter den Pto⸗
) Conj.: in den Heften fieht Plutarch. A. d. 4.
feiner Grobernug für die Welt, 507
Lomarern fich beſſer befunden als unter Perſien. Die drei
erſten maleboniichen Könige waren vorirefflihe Fürſten und
Soeben das Land zu einem Grabe der Blüthe, den es früher
und fpäter nicht wieder gehabt bat: denn biefe Zeit war für
ein ſolches Land hinreichend die alten Wunden auszubeilen.
Die Heimafatifhen Voͤller fuchten fih unter der maleboni-
ſehen Herrfſchaft zu graeeifiren und dies gefchah wunderbar ſchnell:
die alten Sprachen verfchwanden bald und in einem Jahrhun⸗
dert nach Alexander war die griehifhe Sprache in Lylien und
Karien fo allgemein verbreitet, daß bie Bollsrebner griechiſch
Sprachen. Dan könnte dies für einen Erſatz nehmen ben Brie-
thenland erhielt, da es felbft veröbeiez aber biefes Griechiſch
Sad fie redeten war nur ein bürftiges und angenommenes, bie
Sitteratoven aus biefen Landſchaften waren bie elenden afati-
Sehen Redner, von benen wir in einigen Bruchſtücken einen hin-
Yänglihen Begriff haben nm zu fehen, was das für eine Litte⸗
ratur im Vergleich mit der aligriedhifchen gewefen. Diefe Voͤl⸗
kerſchaften Haben aber auch nichts Neelles gewonnen. Daß in
dieſen Drten viel gebaut wurbe und daß einige zu einer gewif-
fen Eelebrität und Bedeutung gelangten ift nicht zu leugnen.
Einigen Bortheil hat Syrien erhalten, Phoenicien aber
serlor: ber Handel zog fih nah Alerandrien und Rhodus. Es
iſt wirklich ein Räthfel, wie bie phoenicifhen Stäbte fo unbe⸗
deutend wurden. Daß Tyrus veröbete war natürlih, allein
daß es ebenfo mit Sidon, Aradus u. f. w. fland, zeigt bie Lage
der Sache. Später entfland in dieſen Gegenden Antiochia, eine
herrlihe und fehr geiftreihe Stabt, Die Leben verbreitete aber
mit einem wunderbaren Gemifch.-
Auf die oberen Satrapieen von Mefopotamien, Babylo=
nien, Perfien haben Alexander's Eroberungen nur verberbliche
Wirkungen gehabt; fie wurden zwar graecifirt, aber ihre alte
Kunſt und Wiſſenſchaft ging verloren und nichts Neues hatte
Wurzel gefaßt. Seine Eolonieen fchlugen felten Wurzel: nur
508 Solgen von Wirsanver’s Greberumgen für die Weit.
bie Bemühungen einiger feiner Nachfelger heiten einen eiwed
befieren Erfolg. Selenfia wer eine Inſel mitten in ber Darbarei,
Die Zeitgensfieu Alerandber’s unter ben Griechen tüufdhten
fih nicht über feine Einwirkung. Er farb mit bem Fluche und
der Berabichenung Griechenland’d unb Mafebonien’s. . Hälte er
länger gelebt, fo hätte er vielleicht das Gebäube ſeines Blüfs
ſelbſt ffürgen gefehen. Er fonnte nur thätig und rege fein, unb
wirklich wäre er babei geſcheitert. Er wollte nit Aſſen grier
“ich, fondern Griechenland perſiſch machen. Wäre er baber
länger in Aſien geblieben, fo hätten wir unter ihm ein grie-
chiſch⸗perſiſch⸗ maledoniſches Reich entſtehen ſehen. Ba er Gries
den und Malebouier perfiich bewaffnen wollte, fo hätten dieſe
wahrſcheinlich ſich fpäter empört und ihn umgebradt. Das
einige Rettungsmistel Griechenland's, wodurch es frei Yalte
werben koͤmen, wäre geweſen wenn Wieranber ausgelsbt Hätte
und mit dem Ruhme feiner Thaten gefallen wäre’.
«r
Digitized by Google
Digitized by Google
Digitized by Google
— — — — — —
— —F — ⏑—
THE NEW YORK PUBLIC LIBRARY
REFERENCE DEPARTMENT *
——
This book is under no circumstances {0 be
taken from the Building
— Sn un —
— — —
1
— — — 1 — — — — — — — —
1
— —
— — —
—— — — — — — — —
—— —
— — — — — ——
— — —— a
— —
— — — — —
— — — — —
— —
— 172—
— — — Ir zn
— — — —
turın uw
u
I
J
u u u
Dieiized by C00g le